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„Wohl Keime wecken mag der Regen,

der in die Scholle niederbricht;

doch golden Korn und Erntesegen

reift nur heran bei Sonnenlicht.“

(Fontane)

Für P. M.

Im goldenen Herbst 2005

Inhalt1

Vorwort

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Es war ein Oktobermorgen, wie Bernd Schwertfeger ihn liebte. Der Regensturm der vergangenen Nacht war in den frühen Morgenstunden nach Osten abgezogen und hatte eine kühle Morgenfrische hinterlassen. Als der Reckhölter Postbote um 6.30 Uhr im früheren Postamt an der Kirche seinen Dienst angetreten und die erste Lieferung mit Sendungen aus dem Brief-Verteilungszentrum in Empfang genommen hatte, war der Himmel klar gewesen und blau wie Tinte. Als Schwertfeger um 8.00 Uhr endlich sein Postauto für die Land-Tour starten konnte, war klar, dass zumindest ein schöner Herbstmorgen vor ihm lag.

Wie im Bilderbuch ging die Sonne über dem Hagenwald auf und vertrieb den dünnen Wolkenschleier und die Feuchtigkeit, die aus den Wäldern und Wiesentälern aufstieg. Nur in den schattigen Niederungen hielten sich die Nebelschwaden noch einige Zeit und boten den auf den Weiden stehenden Rindern eine fast romantische Kulisse. Der Postbote fuhr seine Kunden auf den Höfen und Betrieben ab, verteilte seine Briefe, Pakete und Sendungen und führte hier und da ein Schwätzchen. Dabei erfuhr Schwertfeger das ein oder andere aus Bauerschaften und Gemeinde oder brachte seinerseits Neuigkeiten an den Mann.

Gegen 10.00 Uhr hatte er an diesem ruhigen Dienstag schon einen beträchtlichen Teil seiner Tour erledigt und freute sich auf seine Frühstückspause, die er, wenn der Dienstplan ihm die Landzustellung zuwies, regelmäßig auf der Höhe eines kleinen Hügels in der Bauerschaft Handrup zu halten pflegte. Zügig bog Schwertfeger von der Landstraße ab und folgte der schmalen Straße, die sich in kleinen Windungen den Hügel hoch schlängelte. Von der kleinen Baumgruppe dort oben hatte man einen schönen Ausblick über weite Teile der hügeligen Reckhölter Landschaft. Deshalb hatte der Heimatverein an dieser Stelle auch einen Aussichtspunkt angelegt, eine Schutzhütte mit Bänken gezimmert und einen Grillplatz eingerichtet. Schwertfeger mied jedoch den ausgewiesenen Parkplatz und hielt am rechten Straßenrand. Hier hatte er schon vor 30 Jahren, als er als Jungpostbote noch mit dem Moped durch die Landreviere fuhr, auf einem Postsack sitzend seine Frühstückspause gemacht. Und so sollte es auch bleiben. Zumindest so ähnlich. Die Sonne hatte inzwischen an Kraft gewonnen. Schwertfeger drehte die Seitenscheibe der Fahrertür herunter, holte Frühstücksbrot, Thermoskanne und Zeitung aus seiner Tasche und hielt die verdiente Pause. Die Radio-nachrichten hatten keine Neuigkeiten zu bieten, so dass er intensiv die Morgenzeitung studierte. Etwa eine Viertelstunde später stieg der Postbote aus seinem Wagen, reckte und streckte sich und dachte dabei an seinen Hausarzt, der ihm wegen des Rückens ständig irgendwelche Übungen aufschwatzen wollte. Im Wäldchen hinter der Grillhütte erleichterte er sich und ging dann zum Auto zurück. Doch bevor er einstieg, ließ er seinen Blick noch einmal über die Landschaft schweifen. Das wäre ein guter Jagdtag heute, dachte er und sah sich schon in Treiberkluft durch Busch und Hag steigen. Die großen Termine mit der Jagdgesellschaft aus der Stadt standen noch bevor. Und da er diesbezüglich seit Jahren seine guten Beziehungen pflegte, wäre er bestimmt wieder dabei: vom Anblasen am Morgen bis zum Schüsseltreiben am Abend. Nur müsste er rechtzeitig die Urlaubstage einreichen.

Das Landschaftsbild in Handrup wurde vom Zippenberg beherrscht, einem großen Hügel mit einem wunderschönen Bestand an alten Eichen, der gewöhnlich bei Wanderern und Naturfreunden und auch bei Holzfachleuten Bewunderung erregte. Am Fuße des Zippenberges lag breit und behäbig Große Drenkmanns Hof, der Haupthof der Bauerschaft, und sein Besitzer war so etwas wie der Bauernkönig von Reckhölter. In Richtung Osten konnte Schwertfeger noch so eben den Hof Ahlmer ausmachen, während zu seinen Füßen, nahe der Brücke über die Reckhölter Aa, Wortmanns Erbe lag. Aus dessen Kamin stieg Rauch und Schwertfeger hatte hier seine nächste Kundschaft. Er stieg wieder in den Wagen, griff zur Briefmappe und sortierte die Sendungen sicherheitshalber noch einmal durch. Dabei senkte sich sein Blick wieder runter auf Wortmann, blieb jedoch für eine kurze Weile an einem anderen Punkt im Gelände – weit vor dem Hof – hängen.

Der Postbote startete seinen Wagen und ließ ihn gemächlich den Hügel hinunterrollen. Dann legte er langsam an Tempo zu und gelangte schon nach kurzer Zeit zum Grund seiner näheren Aufmerksamkeit. Von der Straße, die hier von einem hohen, von der Flurbereinigung als Wallheckenersatz gepflanzten Gehölzstreifen gesäumt wurde, führte eine befestigte Auffahrt hinunter auf ein großes Maisfeld, das offenbar erst am Vortag abgeerntet worden war. Schwertfeger drosselte das Tempo deutlich, ließ den Wagen sachte rollen und versuchte, durch das spärliche Laub des Heckenstreifens hindurchzuspähen. Offensichtlich gewann er dabei keine neuen Erkenntnisse, denn er hielt an, setzte langsam zurück und spähte wieder durch die Beifahrertür, deren Scheibe er inzwischen zwecks besserer Sicht heruntergedreht hatte, fast so als suche er einen Grund, nicht aus seinem Wagen aussteigen zu müssen. Schließlich schien er doch ansatzweise Klarheit gewonnen zu haben, parkte und ging die wenigen Meter zur Feldauffahrt zurück. Ihr folgte er bis hinter den Gehölzstreifen.

Er hatte sich nicht getäuscht. Hinter dem Grünstreifen verlief ein Entwässerungsgraben für das Feld, und in diesem Graben lag schräg ein Kleinwagen, ein auffälliger Mini, rot mit weißem Dach. Das Kennzeichen aus Recklinghausen. Schwertfeger ging auf den Wagen zu, versuchte hineinzusehen, aber die Scheibe an der Beifahrerseite war zersprungen. Unsicher fasste er schließlich an den Türgriff. Die Beifahrertür war unverschlossen. Vorsichtig zog er sie auf und blickte in den Wagen. Sofort schlug er die Tür wieder zu.

Jenseits von Post und Beruf hatte Bernd Schwertfeger ein zweites Leben als aktives Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr von Reckhölter. In dieser Eigenschaft wurden er und seine Kameraden auch gerufen, um bei Unfällen im Gemeindegebiet und auf einem bestimmten Abschnitt der Autobahn Hilfe zu leisten. Er kannte Schreckensbilder.

Dennoch musste er jetzt für einen Moment tief durchatmen; schließlich fasste er sich wieder, ging die Feldauffahrt zu seinem Wagen zurück, drehte dann abrupt wieder um, um zu dem Auto im Graben zurückzulaufen, verharrte unschlüssig auf halbem Wege, um sich dann doch für den Dienstwagen zu entscheiden. Auf der Konsole lag sein privates Handy, mit dem er die Notrufzentrale in der Kreisstadt kontaktierte. Hier kannte er die meisten Mitarbeiter durch seine Arbeit bei der Feuerwehr. Prompt hatte an diesem schönen Oktobermorgen ein alter Bekannter Dienst am Telefon.

Schwertfegers Mitteilung an ihn lautete wie folgt: An dem Verkoppelungsweg zwischen der Landstraße und der Brücke über die Reckhölter Aa bei Wortmann habe er etwas versteckt ein Fahrzeug gefunden, in dem eine Person, wohl eine Frau, tot liege. Auf die eher scherzhaft gemeinte Gegenfrage des Kollegen, ob er denn Männlein und Weiblein nicht mehr unterscheiden könne, blieb Schwertfeger sachlich. Der Person sei offensichtlich das Gesicht weggeschossen worden, fuhr er fort, und es sei in jeder Beziehung eine ungeheure Schweinerei. Übrigens könne man den Notarzt gleich dalassen und stattdessen direkt den Gerichtsmediziner schicken. Zu retten sei da eh nichts mehr.

Der Diensthabende hatte inzwischen einen Vorgesetzten dazugeholt. Man verständigte sich, dass Schwertfeger unbedingt vor Ort bleiben müsse, alarmierte umgehend die Kreispolizei im selben Gebäude und schickte drei Streifenwagen los, die den Tatort sichern und den Verkoppelungsweg mindestens zwischen Wortmanns Brücke und der Landstraße sperren sollten. Von den Kriminalen rückte sofort der Dienst habende Oberkommissar Schücking aus, nicht ohne zuvor die Meldung nach Münster weitergegeben zu haben; denn dort lag die Zuständigkeit, wenn es um Gewaltverbrechen ging.

So wurde nach wenigen Minuten Hauptkommissar Klaus Kattenstroht über den Fund in der Bauerschaft Handrup der Gemeinde Reckhölter informiert. Er stimmte sich kurz mit seinem Chef ab, regelte einige Dinge für den Tag und setzte die Spurensicherung schon mal in Gang. Schließlich ärgerte er seine junge Assistentin Kathrin Eilers, dass sie ihren Termin in der „Höppelbude“ wohl absagen müsse, und fuhr gemeinsam mit ihr los. Aufs Land, wie er sagte.

Nach einer knappen Stunde und einem Stau auf der Autobahn hatten sie Reckhölter passiert und fuhren nun in die Bauerschaft Handrup. Natürlich hatte die Eilers die Koordinaten des Tatortes, soweit sie ihr inzwischen bekannt waren, in das Navigationssystem eingegeben, wunderte sich aber, dass sich Kattenstroht nicht die Bohne um die Angaben und Aufforderungen des Computers scherte. Er schien den Weg und vor allem die eine oder andere Abkürzung bestens zu kennen.

An der Landstraße registrierten sie schon von weitem die Maßnahmen der Kreispolizei. Die Abzweigung nach Handrup war mit einem Streifenwagen blockiert, und auch das Team aus Münster musste die Dienstausweise zücken, um durchgelassen zu werden. Auf der Höhe, wo knapp anderthalb Stunden zuvor der Reckhölter Postbote noch gemütlich gefrühstückt hatte, hielt Kattenstroht kurz an, um sich in der Landschaft zu orientieren. Beide konnten sie den Tatort sofort eingrenzen: er war weiträumig mit Flatterband abgesperrt. Mehrere Autos, Bullis, Kombis und Limousinen, dienstlich oder zivil, parkten die schmale Straße fast zu. Unten im Tal konnte man einen weiteren Streifenwagen der Schutzpolizei ausmachen. Er stand quer auf der Brücke vor einem Bauernhof und versperrte so die Zufahrt aus nördlicher Richtung.

An den Flatterbändern, die fast hundert Meter vom Fundort entfernt zwischen der Wallhecke auf der einen und Zäunen auf der anderen Seite aufgespannt waren, standen viele Menschen, die – auf welchem Wege auch immer – die beiden Sperren an der Landstraße und der Brücke überwunden hatten.

„Ich habe mich immer gefragt, wie sich in den Bauerschaften Nachrichten so schnell herumsprechen können“, kommentierte Kattenstroht. „Und das funktionierte auch schon zu Zeiten, als es noch kein Telefon und erst recht kein Handy gab!“ Fast amüsiert ließ er den Wagen den Hang hinunterrollen: „Die Schneemänner waren ja wirklich fix, schneller als ich auf meinen Abkürzungen. Seien Sie mal ehrlich, Frau Eilers, sieht das nicht albern aus mit diesen weißen Overalls? Und alles wegen der Faserspuren.“ Kathrin Eilers wandte ein, die Herren der Spurensicherung könnten sich ja sonst ihre normale Kleidung verschmutzen, und dann hätten wieder nur die Frauen den Ärger mit der Wascherei: „Ich habe in unserer Behörde noch keinen Mann kennen gelernt, der Feinwäsche von normaler und 30-Grad-Wäsche von Kochwäsche unterscheiden kann!“, meinte sie.

Kattenstroht entgegnete etwas knapp: „Sie sind ja auch noch nicht so lange dabei!“, und wäre gerne in eine Diskussion eingestiegen, schon allein um seine Kompetenz auch auf diesem Gebiet unter Beweis zu stellen. Er beschloss aber, diesen Part aufzuschieben, und parkte stattdessen das Auto in der Reihe der Dienstwagen ein.

Sie stiegen aus. Kattenstroht stellte seine junge Assistentin dem Kollegen Schücking von der Kreispolizei vor und ließ sich dann über die ersten Erkenntnisse informieren. Schücking führte die beiden Münsteraner Beamten bis auf einige Meter an den Mini heran, um den sich die „Schneemänner“ gerade intensiv kümmerten.

„Das Opfer ist eine junge Frau“, berichtete Schücking. „Barbarischer Zustand, sollten Sie sich vielleicht besser ersparen, Frau Eilers. An der rechten Seite des Wagens ist die Seitenscheibe heruntergedreht. Der Täter hat ihr offensichtlich eine Schrotladung direkt ins Gesicht geschossen; ein oder zwei Schüsse, mindestens. Das muss die Gerichtsmedizin noch klären. Vielleicht noch eine Kugel hinterher. Sieht ganz nach einem Jagdgewehr aus. Dann hat der Täter die Leiche über den Beifahrersitz zu schieben versucht, hat die Gangschaltung auf Leerlauf gestellt und den Wagen hier die Feldauffahrt herunter – in den Graben rollen lassen. Sollte wohl nicht so früh entdeckt werden.“

Kattenstroht guckte kritisch, während Kathrin Eilers sich doch dem Wagen näherte. „Herangehen können Sie ja!“, rief Schücking ihr nach. „Die Bodenspuren sind eh schon gesichert!“ Und zu Kattenstroht, der gerade einen nachdenklichen Blick auf das Stoppelland mit seinen Maisstrünken, dann auf seine verschmierten Schuhe und seine zumindest gefährdete Hose warf, sagte er: „Da hat der Täter anscheinend Glück gehabt. Heute Nacht war hier ein toller Regensturm. Der hat alle Spuren verwischt. Die einzigen Fußspuren, die wir feststellen konnten, stammen von dem Postboten da hinten. Er hat den Wagen gefunden und die erste Meldung gemacht.“

„Und was sagt der Doktor?“, fragte Hauptkommissar Kattenstroht.

„Der ist drüben an seinem Wagen schon beim Protokoll. Nach Temperatur und Zustand der Leiche tippt er auf etwa ein Uhr heute Morgen. Mehr kann er aber nicht sagen. Wir haben die Position der Leiche unverändert gelassen. Den Rest muss Münster machen. Der Transport ist schon organisiert.“

„Und die Spurensicherung?“ Kattenstroht versuchte, mit seiner linken Schuhspitze Lehm von der Innenseite seines rechten Schuhs zu kratzen.

„Die haben erst mal Fotos gemacht und sichern jetzt die weiteren Spuren. Sobald wir die Frau draußen und wegtransportiert haben, geht der Wagen auch zu euch nach Münster auf den Hof. Wir haben im Übrigen noch gar nicht feststellen können, was sich sonst noch im Wagen befindet. Ist ja nur ein Zweitürer.“

„So ein schöner Morgen“, seufzte der Hauptkommissar und betrachtete die nähere Umgebung. Plötzlich stutzte er. Auf der Höhe des abgeernteten Maisfeldes näherte sich ein Mann mit schnellen Schritten auf den Tatort zu. Im Gegenlicht der Sonne war er fast nur als Silhouette zu erkennen. „Sehen Sie, Frau Eilers“, sagte Kattenstroht, „ was ich Ihnen sagte: Nachrichten sprechen sich auf dem Lande schnell herum und finden immer ihren Weg.“ Und zu Schücking: „Schicken Sie mal einen Schupo hoch, dass der den Mann vom Tatort fern hält.“

Kattenstroht und Schücking kümmerten sich anschließend gemeinsam um den Landzusteller, wie der Hauptkommissar Bernd Schwertfeger richtig titulierte. Der berichtete ziemlich ausführlich und hastig von seinem schrecklichen Fund und hörte gerne, dass ihm die beiden Kriminalbeamten bescheinigten, er habe sich völlig richtig verhalten.

Während Schücking sich noch einige Notizen machte, bemerkte Kattenstroht aus den Augenwinkeln, dass auf der Höhe des Feldraines der zuletzt eingetroffene Mann in eine heftige Diskussion mit einem Polizisten verwickelt war, der ihm entschieden den Weg versperrte. Etwas schien dem Hauptkommissar aus Münster auffällig zu sein. Er beobachtete die Szene, die Diskussion, die heftiger werdenden Gesten und registrierte schließlich, dass der Mann sich abrupt umdrehte und langsam auf dem Weg, den er gekommen war, wieder über die Hügelkuppe verschwand.

„Noch so ein Sensationslustiger!“, meinte Kathrin Eilers, die sich inzwischen bleich, aber gefasst wieder der Gruppe angeschlossen hatte.

„Lassen Sie den jungen Kollegen gleich mal zu mir kommen“, bat Kattenstroht und wandte sich seiner Assistentin zu: „Na, war’s schlimm?“

Kathrin Eilers nickte. „Ja, sicher. Die Frau scheint nur unwesentlich älter gewesen zu sein als ich. Da kommt man schon ins Grübeln!“

Sie kam aber nicht dazu, laut über das Leben und den Tod nachzudenken, denn mit getragener Stimme deklamierte Kattenstroht mit ironischem Unterton: „Und es erscheinen Ihro Gnaden, der Herr Staatsanwalt aus der Provinzialhauptstadt! Da haben wir aber Glück, dass du das Kapitaldezernat verwalten darfst!“

Der so Angesprochene kam in eleganten, feinen Schuhen vorsichtig über den feuchten, aufgewühlten Acker. Eine mittelgroße, etwas untersetzte Erscheinung im dunklen Anzug, mit Rollkragenpullover und beigem Trenchcoat darüber. Aus einem rundlichen, aber dennoch markanten Gesicht mit gepflegtem Dreitagebart unter kurzem Stoppelhaarschnitt blitzten zwei ungemein wache Augen durch eine moderne Designerbrille in edlem italienischen Schwarz: „Na, Klaus, was hast du denn hier wieder angerichtet? Typisch, Theater auf dem Lande!“ Dann ein kurzer, prüfender Blick mit einem durchaus herzlichen Lächeln auf Kathrin Eilers. „Dann mach mich mal bitte bekannt!“, forderte der Staatsanwalt Kattenstroht auf.

„Nun, Herr Staatsanwalt Jochen Stellmacher, ich darf dir meine neue Assistentin vorstellen, Frau Kathrin Eilers, seit kurzem in unserer Behörde!“

Kathrin Eilers wunderte sich ein wenig über den ersten Beamten in diesen drei Wochen, mit dem sich Kattenstroht offensichtlich duzte, tauschte aber gerne einen kräftigen Händedruck mit dem Staatsanwalt, der sich dann an Schücking wandte, ihn ebenso freundlich begrüßte und erst einmal einen Blick auf das Auto werfen wollte. Die beiden zogen ab.

„Wir haben wirklich Glück, dass Stellmacher den Kap-Dezernenten macht!“ Und auf Kathrin Eilers’ kritische Frage, was das denn für eine Figur sei, ergänzte Kattenstroht: „Einer der fähigsten Juristen, die ich kenne, und darüber hinaus sehr kooperativ. Das werden Sie in der nächsten Zeit schon sehen. Außerdem ist er ein alter Freund von mir. Wir spielen manchmal zusammen Boule, wenn uns die Arbeit dazu noch Zeit lässt!“

„Aber“, beendete ihr Chef das Intermezzo, „Arbeit lenkt auch ab. Konzentrieren wir uns auf den Fall und kümmern wir uns dabei zuerst um die Identifizierung des Opfers!“

Schon reichte Schücking einen Notizzettel herüber und sagte etwas von Halterfeststellung. Aber man wisse noch nicht, ob die dabei genannte Sandra Keiten aus Recklinghausen auch das Opfer sei. Vielleicht finde man ja im Wagen noch die Papiere des Opfers.

Da mischte sich der Postbote wieder ein, der in den letzten Minuten etwas abseits gestanden und sich wohl auch so gefühlt hatte: „Ich glaube, ich kenne den Wagen! Der hat noch im letzten Winter immer mal wieder bei unserem Puff in Reckhölter geparkt.“

„Da kommt aber auch alles zusammen“, seufzte Kattenstroht zu seiner Assistentin gewandt. „Erst eine derartige Blutorgie und jetzt auch noch das Rotlichtmilieu. Fehlen nur noch die Drogen, dann haben Sie für Ihren ersten dicken Fall alles im Pott.“ Umgehend befragte er den Landzusteller und ließ sich den Namen des Bordells geben und seine genaue Lage beschreiben. Stirnrunzelnd nahm er zur Kenntnis, dass das fragliche Etablissement vor einigen Jahren in einer alten Landkneipe zwischen Reckhölter und der Autobahn eingerichtet worden war und den Namen „The Red Farmhouse“ trug. „Nicht mal was auf Plattdeutsch! ‚De Raude Timmerie’ hätte ja gepasst“, ulkte Kattenstroht und meinte dann, Schücking könne das Schlachtfeld erst einmal allein weiterbestellen. Er werde sich kurz um das Bordell kümmern und nehme Kathrin Eilers mit; die müsse so etwas ja auch mal dienstlich sehen. Aber man müsse online bleiben. Falls nötig werde er nach der Recherche dort wieder zum Tatort zurückkehren.

Schnell verglichen die beiden Kommissare ihre aktuellen Handynummern. Auf dem Weg zum Wagen kam der junge Beamte auf sie zu, der den Beobachter auf dem Stoppelland abgewiesen hatte. „Der Mann wollte unbedingt zu dem Wagen im Graben. Der wirkte irgendwie verstört. Ich habe ihm klar gemacht, dass er keinen Meter weiter gehen soll. Und hatte dabei schon die Funke in der Hand. Der war nämlich kaum zu bremsen: Das wäre schließlich sein Land und er hätte es hier zu sagen, hat er gemeint.“

Bernd Schwertfeger war diensteifrig mitgegangen, hatte dem Beamten interessiert zugehört und ergänzte ungefragt dessen Bericht: „Das war der Ferdi Große Drenkmann. Und das ist wirklich sein Land hier. Fast so weit, wie man gucken kann.“

„Na dann müssen wir uns um den später auch noch mal kümmern“, entschied Kattenstroht und machte sich mit Kathrin Eilers auf den Weg ins Bordell. So sagte er.

Keine Viertelstunde später stand das Duo aus Münster auf dem diskret verborgenen Parkplatz des „Red Farmhouse“, der ehemaligen alten Landgaststätte, die früher der Bevölkerung der Bauerschaft wie auch den Fuhrleuten und ihren Gespannen zur Rast gedient hatte. Für die Wanderer hatte es in früheren Zeiten unter den beiden Kastanien, die vor der malerischen Front farbenprächtiges Herbstlaub trugen, Ruheplätze gegeben. Jetzt aber war der Blick zur Straße durch die hoch ausgeschlagenen Weißdornhecken begrenzt und das dramatisch rote Leuchtschild mit der genauso dramatisch wirkenden Frauen-Silhouette an der Straße wies die Besucher hinter das Haus; von vorne war keine Einsicht mehr möglich.

Kattenstroht parkte neben einem Wagen mit Essener Kennzeichen und hoher PS-Zahl und begab sich mit seiner Assistentin zur Vordertür. Rote Klinker, weiße Fensterrahmen, grüne Fensterläden und rote Dachpfannen zeugten von der typischen Architektur der Region. Selbst Gardinen gab es noch, und hätte nicht in einem der Fenster eine Neonlampe in Gestalt einer spärlich bekleideten Frauen-Silhouette gestanden, wäre kaum ein Unterschied zu den Anwesen der näheren Umgebung festzustellen gewesen. Kattenstroht schien sich wohl zu fühlen.

„Sehen Sie mal, Frau Eilers, nicht mal die Ringe zum Anbinden der Pferde hat man hier aus den Mauern genommen! Eine Kneipe wie in meiner Kindheit! Radtouren mit Papa und Mama und dann Pause machen und ein Glas kalten Regina-Sprudel trinken!“

Die Klingel neben der Eichentür hatten sie schnell gefunden. Im Haus ertönte ein Gong und bald darauf waren Geräusche zu hören. Der Schlüssel drehte sich im Schloss und durch den Türspalt lugte das Gesicht eines Mannes von etwa 45 Jahren: „Ja bitte? Was kann ich für Sie tun? Wir öffnen erst um 14.00 Uhr.“

Kathrin Eilers zeigte ihren Dienstausweis: „Kriminalpolizei Münster! Mein Name ist Eilers und das ist mein Kollege Hauptkommissar Kattenstroht. Wir müssten den Besitzer oder Betreiber einmal sprechen.“

Der Mann schob mit einem Fuß die Tür weiter auf und besah sich beide Dienstausweise sehr genau, bevor er sich selbst als Christian Barwick, Besitzer und Betreiber dieser Gaststätte, vorstellte und den Besuch formvollendet ins Haus bat. Schon standen sie im Gastraum mit mächtiger Theke und Zapfanlage. „Ich hol mal eben die Akten!“, bemerkte Barwick und machte dabei einen ziemlich gelangweilten Eindruck.

„Die brauchen wir nicht; jedenfalls jetzt noch nicht“, erwiderte Kattenstroht und ergänzte, es handele sich nicht um eine Routinekontrolle des Hauses, sondern um eine Befragung in einer ganz anderen Angelegenheit. Es müsse auch gar nicht lange dauern.

Der Wirt komplimentierte seine beiden Gäste erst einmal an einen der Tische, die in Nischen angeordnet waren, und bot ihnen eine Tasse Kaffee an. Er habe gerade eine Kanne frisch aufgebrüht, meinte er. Kattenstroht nahm Milch und Zucker und überließ die erste Befragung seiner Assistentin.

„Sie kennen Sandra Keiten?“

Barwick schien über den Gegenstand der Befragung erstaunt zu sein, reagierte aber selbstsicher: „Ja, seit etwa fünf oder sechs Jahren. Sie arbeitet gelegentlich bei mir. Erst gestern Abend war sie noch bis gegen ein Uhr hier. Was ist denn mit ihr?“

„Wir können nicht ausschließen, dass sie Opfer einer Gewalttat wurde. Jedenfalls haben wir eine Tote in einem kleinen rot-weißen Mini aufgefunden, der auf ihren Namen zugelassen ist.“ Kathrin Eilers bemühte sich um eine sorgfältige Formulierung. Umso überraschter war sie von der Reaktion des Bordell-Wirtes. Der wirkte wie vom Schlag getroffen, seine Gesichtszüge erstarrten und es dauerte schier endlos, bis er sagte: „Das gibt’s doch nicht. Sie hat doch noch vor ein paar Stunden hier bei mir im Saal getanzt.“ Er deutete in Richtung zweier großer Schiebetüren, die in einen Seitenraum führten. „Doch nicht Sandra!“ Er klang irgendwie verzweifelt.

Kattenstroht mischte sich jetzt doch ein: „Herr Barwick! Wir wissen nicht, ob Ihre Mitarbeiterin Sandra Keiten das Opfer ist. Wir haben jedenfalls eine junge Frau erschossen in dem Wagen aufgefunden, der auf den Namen Sandra Keiten angemeldet ist. Näheres wissen wir auch noch nicht und wir haben Probleme mit der Identifizierung. Trotzdem ...“

„Die hätte ihren Wagen nie und nimmer verliehen, die Sandra. Da war sie viel zu eigen. Wenn Sie eine junge Frau in Sandras Wagen gefunden haben, ist es sehr wahrscheinlich Sandra selbst.“ Er zögerte. „Es ist unvorstellbar.“

„Sie kannten sie seit fünf oder sechs Jahren, sagten Sie?“, nahm Kathrin Eilers den Faden wieder auf, während Kattenstroht umständlich ein Stück Würfelzucker aus dem Papier wickelte und scheinbar desinteressiert abwartete.

„Ich habe mit einem Kollegen noch einen Laden in Essen. Animierbar und Filme. Damals kam Sandra zu uns und bot sich als Tänzerin an. Strippen und so. Sie hatte eine tolle Figur und – was ganz selten ist in unserer Branche – eine tänzerische Ausbildung. Die hat als Kind und als Schülerin lange Ballett gemacht, wissen Sie, und kann sich bewegen, das glauben Sie gar nicht.“

„Hat sie sich denn hier auch prostituiert?“, fragte Kathrin Eilers – etwas unsicher geworden – weiter. Kattenstroht, der ihr diese gezielte Frage gar nicht zugetraut hätte, signalisierte mit einem Brummen über seine Kaffeetasse hinweg Zustimmung und Interesse.

„Komischerweise nicht. Ich weiß gar nicht, ob man Sandra Keiten so richtig als Nutte sehen kann, so wie unsere anderen Mädchen. Sie tanzt in erster Linie und animiert. Übrigens meistens in Essen. Und damit hat sie schon eine ganze Menge Kohle gemacht. Sie geht nicht hier und auch nicht dort mit aufs Zimmer, wenn Sie das meinen. Und wenn doch, dann sind das mehr so Gespräche und ein bisschen Schöntun. Allerdings ...“

Barwick unterbrach sich selbst und blickte in seine Kaffeetasse.

„Was – allerdings?“, fragte Kattenstroht leise, aber nachdrücklich und imitierte dabei den Tonfall des Wirtes.

„Ich weiß allerdings, dass sie als Domina geht, in die großen Hotels in Köln und in Düsseldorf. Ganz selten, wenn sie mal einen Kunden hierher bestellt, mietet sie sich auch ein Zimmer bei mir. Kommt aber kaum vor, alle halbe Jahre mal. Sonst hat sie ihren Schwerpunkt eben woanders.“

„Also noch mal von vorn“, fasste Kathrin Eilers zusammen: „Hier bei Ihnen Strippen und Animieren, woanders als Domina? Und sie ist keine richtige Nutte?“

Barwick wand sich ein wenig bei seiner Antwort: „Nein, sie ist anders. Die hat eine Art, mit den Freiern und anderen Leuten umzugehen, die ist ganz anders. Würde man eigentlich bei einer Frau in diesem Gewerbe nicht erwarten.“

„Na gut!“, brummte der Hauptkommissar und stand auf. „Wir müssen auf jeden Fall die Identifizierung abwarten und dann sehen wir weiter. Haben Sie denn die Arbeitspapiere Ihrer Damen da? Die müssen wir im Zweifelsfall später auch noch mal befragen. Jedenfalls alle die, die letzte Nacht hier gearbeitet haben.“

Barwick wies auf sein kleines Büro, einen Verschlag hinter der Theke, wo man in einem Regal ordentlich aufgestellte und beschriftete Ordner erkennen konnte. „Sie können ja bei der Kreispolizei nachfragen. Wir führen den Laden hier nach klaren Prinzipien und sind sauber: keine Illegalen, keine Ausländerinnen, immer ordentliche Papiere, auch für die Versicherung und Steuer!“

„Und die Bockscheine?“, wurde Kathrin Eilers vorwitzig, erntete jedoch unerwartet ironische Kritik ihres Chefs: „Frau Kollegin Eilers! Was für eine Frage! Die Gesundheitszeugnisse sind doch seit 2001 abgeschafft! Das neue Infektionsschutzgesetz! Hat Ihr Professor an der Fachhochschule wohl die letzten Gesetzblätter nicht richtig gelesen!“ Er schüttelte übertrieben erstaunt den Kopf. „Können wir uns hier noch einmal umsehen?“

Barwick stimmte zu und sie begannen einen kurzen Rundgang durch das Haus. Im ersten Stock bewunderte Kathrin Eilers die einzelnen Zimmer, nach Kattenstrohts Empfinden etwas zu lange. Er jedenfalls fand die „Buden“, wie er sich ausdrückte, in ihren knalligen Farben, mit den breiten Betten und den vielen Kissen und Lampen in Herzform reichlich daneben. Auf die Frage, ob denn Sandra Keiten einen eigenen Bereich im Hause habe, führte der Wirt die beiden Beamten in den Keller. Dort befand sich ein großer Umkleideraum mit mehreren spindartigen Schränken sowie Duschen und Sanitärräume: alle bestens ausgestattet und blitzblank. Auch Sandra Keiten hatte hier einen solchen Schrank, an dem von außen ein glänzendes Hängeschloss angebracht war. Die Schlüssel zu den Schränken hätten nur die Mädchen, betonte Barwick. Kattenstroht entschloss sich, den Spind der Sandra Keiten zu versiegeln, und bat seine Assistentin, die dafür notwendigen Siegelmarken aus dem Wagen zu holen.

Die junge Frau machte sich auf den Weg. In der Zwischenzeit versuchte der Hauptkommissar, noch etwas über die Kundschaft des „Red Farmhouse“ zu erfahren; da aber wurde Barwick, der vorher so mitteilsam gewesen war, entschieden einsilbiger. Er druckste ein bisschen herum, sprach von den Autobahn-Kunden und den Leuten aus dem Ruhrgebiet, die gerne aufs Land kämen. Es sei schließlich, wie man bei der Polizei bestimmt wisse, ein Geschäft mit Diskretions-Charakter.

Der Wirt schien erleichtert zu sein, als Kathrin Eilers zurückkam und nicht nur die Siegelmarken mitbrachte, sondern auch einen jungen Beamten der Schutzpolizei. Den hatte Schücking geschickt. Bei der Bergung der Leiche habe man zwischen den beiden Vordersitzen eine Handtasche gefunden, anscheinend die des Opfers. Eine erste Durchsuchung hätte bereits alle wichtigen Papiere, Schlüssel und Utensilien der Sandra Keiten zum Vorschein gebracht. Es sähe ganz so aus, als sei sie das Opfer. Die Tasche, nach erster Durchsicht sicher verpackt, befände sich oben im Wagen. Kattenstroht möge sie gleich mitnehmen.

Der tastete sich vorsichtig an ein neues Problem heran: „Sie sehen, Herr Barwick, es läuft alles auf Ihre Sandra Keiten hinaus. Würden Sie uns, Sie haben sie ja gut gekannt, eventuell für die Identifizierung zur Verfügung stehen?“ Kattenstroht verschwieg auch nicht, dass es sich um keinen schönen Anblick handeln würde. Der Wirt zögerte, erklärte dann aber doch seine Bereitschaft, sich für den kommenden Vormittag in der Gerichtsmedizin einzufinden. Soweit er wusste hätte die Sandra keinen einsatzfähigen Verwandten mehr, wie er sich ausdrückte. So wurden Visitenkarten übergeben und Telefonnummern ausgetauscht.

Kattenstroht versiegelte anschließend den Spind. Um den würde man sich am nächsten Tag kümmern. Oben im Gastraum angekommen, bat er Barwick, doch noch einmal einen Blick auf den Saal werfen zu dürfen, der sich hinter den beiden Schiebetüren im Thekenraum verbarg. Der Wirt schaltete die Beleuchtung ein, denn hier waren die Fensterläden verschlossen. Der große Raum wurde von zwei Bühnen dominiert; die eine in der Ecke war fest installiert. Die in der Mitte war offensichtlich eine Drehbühne. Jede Menge Strahler und Spots für Lichteffekte hingen an der Decke. Der Wirt schien an der Technik seinen Spaß zu haben, denn er fuhr die Beleuchtung einmal hoch und ließ ein kleines automatisches Lichtprogramm abfahren. Aber wegen der blauen und roten Tapeten, der dramatischen Bilder und Farbfelder blieben die in Nischen stehenden Sitzgruppen in einem gewissen Halbdunkel. „Und da hat Sandra noch gestern Abend getanzt!“, bemerkte der Wirt mit leiserer Stimme.

„Ist ja ein richtiger Hingucker!“, kommentierte der Hauptkommissar trocken, aber anerkennend die Ausstattung. Barwick entgegnete: „Aber Sie wissen doch, Herr Kommissar, wir verkaufen Illusionen.“

Augenblicklich setzte Kattenstroht nach: „Wie sind Sie eigentlich zu diesem Gewerbe gekommen?“, wollte er wissen.

Barwick schien im Halbdunkel ein wenig irritiert: „Also von Beruf bin ich eigentlich Automechaniker. In meiner Freizeit habe ich Taxi gefahren und da habe ich mitgekriegt, wie viele Männer in solche Lokale gehen – und was da für ein Geld ausgegeben wird. Sollte ich mein Leben lang Taxi fahren? Oder Motoren schrauben? Da kann ich doch besser ein paar Leuten helfen und ihnen ein paar kleine Träume verschaffen.“

Kattenstroht wandte sich seiner Assistentin zu: „Früher wurden in solchen Räumen die Familienfeiern abgehalten: Westfälische Hochzeitssuppe und anschließend auf demselben Teller Rindfleisch mit Zwiebelsoße. Später wurde man moderner: Da gab’s Schinken in Champagnerkraut.“ Er betonte die letzte Silbe. „Und heute ... ?“

Vom Auto aus führte der Hauptkommissar ein Gespräch mit Münster und gab dem Polizeipräsidenten einen ersten Überblick. Kathrin Eilers, die noch kurz um das Haus und durch den verwilderten Garten gestrichen war, registrierte, als sie in den Wagen stieg, dass Kattenstroht schlechte Nachrichten hatte. Zwar werde es eine offizielle Mordkommission geben, aber der Präsident habe mal wieder seinen eigenen Kopf: „Nur weil er selbst auch zur Jagd geht, glaubt er, dass er die Leute auf dem Lande kennt! Schrotschuss heißt für ihn, dass es eine Beziehungstat sein muss. Ergebnis: Nur zwei Mann für ein paar Tage, überwiegend zur Innenrecherche und die Sekretärin nur bei Bedarf! Wie wir das schaffen sollen, weiß wohl nur er!“ Kattenstrohts Laune war an einem Tiefpunkt angelangt. –

Schweigend fuhren die beiden Kriminalbeamten zum Tatort zurück. An der Kreuzung zur Kreisstraße kam ihnen schon der Leichenwagen entgegen und am Tatort wurde gerade der Mini verladen. Die Spurensicherung war schon abgerückt. Kattenstroht stieg noch einmal aus, um sich von Schücking zu verabschieden. Nachdenklich schaute er über das abgedroschene Maisfeld, das in der nun schon tiefer stehenden Sonne vor ihm lag: Hart und kahl ragten die abgeschnittenen Strünke der Maisstauden aus dem Boden, der von vielen Traktor- und Drescherspuren zerwühlt und teilweise mit Dreschresten wieder bedeckt war.

„Schönes Durcheinander, so eine Ernte!“