Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Epilog
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 1899
Katastrophe im Deltaraum
Im Reich der Baolin-Nda – Perry Rhodan erreicht sein Ziel
von Horst Hoffmann
Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt
Die Heliotischen Bollwerke, die verschiedene Galaxien unter dem Dach der Koalition Thoregon miteinander verbinden sollten, existieren nicht mehr. Das hat für die Menschheit zur Folge, dass zwei Teile der Erde durch hyperphysikalische Vorgänge in andere Galaxien »verschlagen« worden sind. An ihrer Stelle erheben sich nun sogenannte Faktorelemente.
Eines davon steht bei Kalkutta, in seinem Innern befinden sich Gebäude der Nonggo. Das andere steht in Terrania – und aus seinem Innern heraus griffen zuletzt die barbarischen Dscherro die Hauptstadt der Erde an. Das Dscherro-Problem wurde mittlerweile über dem Planeten Siga »erledigt«; wo sich die »ausgetauschten« Menschen aus Terrania derzeit aufhalten, weiß jedoch niemand.
Der verschwundene Teil Kalkuttas jedenfalls hat sich im Bereich des Teuller-Systems materialisiert, im Herzen der Nonggo-Zivilisation. Von dort aus brach Perry Rhodan zur Galaxis Shaogen-Himmelreich auf. Bei den mysteriösen Baolin-Nda, den Konstrukteuren der Heliotischen Bollwerke, will er weitere Informationen erlangen.
Doch in Shaogen-Himmelreich herrscht Krieg. Die Truppen des Traal-Gegenkults planen die Zerschlagung des religiösen Systems der Galaxis. Während Perry Rhodan versucht, sich in den Wirren des Kriegs an die unbekannten Baolin-Nda heranzutasten, kommt es zur KATASTROPHE IM DELTARAUM …
Tautanbyrk – Ein Forscher der Baolin-Nda entwickelt sich zum Helfer des Dritten Boten.
Kuntherherr – Der Dritte Bote von Thoregon.
Viviaree – Die junge Baolin-Nda wird zur Hoffnung ihres Volkes.
Perry Rhodan – Der Terraner versucht den Deltaraum zu erreichen.
Siebenton – Der Seelenhirte von Wolkenort steht vor der Entscheidungsschlacht.
»Dies ist die Geschichte der letzten beiden Baolin-Nda – der letzten Überlebenden eines Volkes, das einst von kosmischer Bedeutung war; deren Bestimmung es nun ist, Stammeltern einer neuen Generation zu werden, um einst dem Universum den Geist der Baolin-Nda zurückzugeben.
Es ist die Geschichte von Tautanbyrk und Viviaree, aber auch die von dem Dritten Boten Kuntherherr und seinem tragischen Irrtum …«
1.
Baolin-Deltaraum, vor vielen Jahrzehnten
Tautanbyrk arbeitete im Tessma-Design, solange er sich erinnern konnte. Eine Kindheit im Sinne anderer Völker hatte er nie gehabt. Ein Baolin-Nda wurde nicht als Kind geboren, sondern als erwachsenes, voll ausgereiftes Wesen – jedenfalls soweit dies für dieses Entwicklungsstadium zu sagen war.
An diesem Tag geschahen drei Dinge, die Abwechslung in sein sonst nicht sehr aufregendes Dasein brachten.
Alles begann mit einer Nachricht, die er bei Dienstbeginn in einem Computer seines Testlabors vorfand und die ihn seelisch fast aus dem Gleichgewicht warf. Denn die Nachricht stammte von keinem anderen als von Kuntherherr selbst, dem in ULTIST residierenden Hochtechniker der Baolin-Nda und Dritten Boten von Thoregon!
Es war nur Text auf dem Bildschirm. Aber das genügte. Wenn Kuntherherr persönlich zu ihm, dem einfachen Techniker und Forscher, gesprochen hätte, wäre das wahrhaftig zuviel gewesen. Es genügte vollauf, dass der Mächtigste und Weiseste der Baolin-Nda ihn für den kommenden Tag zu sich bat – ihn!
Das war nicht zu fassen. Das kam völlig unerwartet, das war ein ungeheures Privileg. Normalerweise kommunizierte Kuntherherr nur mit Tautanbyrks Vorgesetztem in diesem Kollagen.
Den ganzen Vormittag über versuchte Tautanbyrk herauszufinden, was er bei Kuntherherr eigentlich sollte. War es überhaupt ein Grund zur Euphorie und Gespanntheit? Hatte er vielleicht seine Arbeit nicht zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten erfüllt? Hatten sie sich daraufhin beim Hochtechniker über ihn beschwert?
Nein, dachte er, das wäre nicht ihre Art. Sie waren Baolin-Nda. Sie konnten nicht lügen oder hinter seinem Rücken intrigieren. Sie hätten es ihm selbst gesagt. Tautanbyrk zwang sich dazu, sich auf seine momentane Beschäftigung zu konzentrieren. Sein jüngstes Projekt bedurfte noch der einen und anderen Verbesserung, bevor es für den sinnvollen Einsatz reif war. Er saß unruhig in einem Sessel, dem man nur bei genauem Hinschauen ansah, dass es sich um ein lebendes Wesen handelte, und nahm die Änderungen an der Tessma-Programmierung vor, die er sich in der letzten Nacht überlegt hatte.
Begriffe wie Tag und Nacht, Vor- oder Nachmittag, Monat und Jahr hatten im Baolin-Deltaraum absolut keine natürliche Bedeutung; sie stammten noch aus anderen, uralten Zeiten und dienten ausschließlich dazu, die vergehende Zeit in fixe Einheiten einzuteilen – nichts anderes als ein Orientierungsgerüst für die Bewohner des Deltaraums.
Vor ihm auf dem Tisch lag eine daumenkuppengroße Kugel, die in hellem Grau mit einem metallischen, bronzefarbenen Ton schillerte. Als Tautanbyrk die Umprogrammierung insgesamt dreier Subsysteme vorgenommen hatte und seinem »Sessel« den Befehl gab, ihn zu einem Kontrollpult zu tragen, hörte er aus dem Gang bekannte, kratzende Schritte.
Er drehte sich um und sah Roganwerg. Er kam auf seinem großen, auf zwölf mehrfach geknickten Beinen laufenden Tessma ins Labor, das so groß war wie eine mittlere Raumschiffszentrale. Roganwergs Tessma hatte einen erstaunlich artnahen Kopf mit zwei riesigen Facettenaugen, war aber im »Nacken« eingekerbt wie ein Sattel. Am Hinterleib waren rudimentäre Flügel übereinandergeklappt. Es war der Standardtyp für bequeme Wege innerhalb eines Kollagens; allerdings verlangte er Unmengen an Nahrung, die von den miniaturisierten Tessma für ihn hergestellt werden musste.
Jemand hatte einmal einen Tessma von dieser Art so konstruiert, dass er in Räumen, die groß genug waren, tatsächlich noch fliegen konnte. Aber so etwas war Spielerei und von keinem praktischen Nutzen. Die einzigen brauchbaren fliegenden Tessma waren die wenigen, die bis ins Riesenhafte hochgezüchtet und als Raumschiffe ausgebaut worden waren, um von einem der insgesamt 52 Kollagene des Deltaraums zum anderen zu gelangen. Dazu mussten sie, abgesehen von ihrem immensen Nahrungsbedarf, in eine Energiesphäre gehüllt werden, die sie vor der Kälte und dem Vakuum schützte, und außerdem Antriebsaggregate implantiert bekommen. Auch das war für Tautanbyrk nichts anderes als Spielerei – eines seiner Lieblingswörter, wenn es um Sinn und Unsinn des Tessma-Designs ging.
Roganwergs Rückkehr an diesem Tag war die zweite Überraschung. Tautanbyrks Kollege hatte lange in einem anderen Kollagen an einem Projekt gearbeitet, das dessen eigentlicher Leiter nicht mehr hatte vollenden können. Er war im Alter von über fünftausend Jahren aus dieser Existenzform geschieden, hatte seinen Körper aufgegeben und war als reiner Geist in die Äole übergewechselt.
»Ich bin so froh, dass du endlich zurück bist«, begrüßte Tautanbyrk den Heimkehrer. »Ich weiß, du hast eine Menge zu erzählen, und ich bin auch schon gespannt darauf. Aber höre zuerst, was mir heute passiert ist …«
Und endlich konnte er jemandem von Kuntherherrs Einladung berichten. Er redete aufgeregt, untypisch für einen wie ihn. Als er fertig war, schwieg Roganwerg.
»Was ist?«, fragte Tautanbyrk. »Habe ich nun Grund zur Freude – oder zur Furcht?«
»Ich weiß es nicht«, gab sein Gegenüber zu, der inzwischen von seinem Tessma abgestiegen war, welcher daraufhin in Wartestellung gegangen war und sich nicht vom Fleck rührte. »Ich weiß nur, dass ich an deiner Stelle mit unseren Vorgesetzten darüber sprechen würde, bevor ich ginge. Aber nun sag mir, woran du gearbeitet hast. Du wirst mich sicherlich überraschen. Ist es diese Kugel dort?«
»Ja«, sagte Tautanbyrk etwas zerknirscht. Das Projekt, an dem er Monate gebastelt hatte, interessierte ihn plötzlich kaum noch.
Er ließ sich von seinem Tessma-Sessel zur Kontrolltafel tragen, nahm eine Fernbedienung aus einer Nische und richtete sie auf die Kugel. Sodann sprach er eine Reihe von Befehlen in das Gerät, das seine Worte in Sendeimpulse umwandelte, die von den Millionen und Abermillionen mikrominiaturisierten Tessma, die die Kugel bildeten, als Befehle aufgenommen und umgesetzt wurden.
Die grauschillernde Kugel auf dem Labortisch wuchs um das Doppelte, dann entfaltete sie sich wie die von oben aufgeschnittene Schale einer Frucht. Sie klappte in sechzehn Segmente auseinander, und aus ihrem Zentrum wuchs ein schlanker Stab einen Meter in die Höhe, der an seiner Spitze weitere, waagerechte Stäbe ausfuhr, bis sich eine Art Schirm gebildet hatte. Dieser Schirm wurde auf Tautanbyrks Befehl hin in alle Richtungen geschwenkt.
»Spielzeug«, sagte Tautanbyrk unzufrieden, obwohl er soviel Zeit in diese Entwicklung investiert hatte. »Aus der Kugel können sich mehrere Dutzend verschiedene Sende- und Empfangseinrichtungen bilden, je nach Befehl. Aber das ist noch nichts grundlegend Neues. Ich muss noch dafür sorgen, dass sie direkt ansprechbar wird, ohne Steuergerät, rein akustisch. Die Steuertechnik muss in die Kugel selbst integriert werden.«
»Das bedeutet unvorstellbare Miniaturisierung«, meinte Roganwerg.
»Na und? Unser Volk hat schon ganz andere Aufgaben gelöst.«
»Und du willst dich in die Liste der großen technischen Pioniere eintragen, ist es nicht so?«, fragte Roganwerg. »Du warst schon immer ehrgeizig. Jetzt verstehe ich.«
»Was?«, fragte Tautanbyrk. »Was verstehst du?«
»Du weißt es doch«, erhielt er zur Antwort. »Und jetzt wenden wir uns wieder unserer Arbeit zu, dem Tessma-Design. Von meiner abgeschlossenen Arbeit werde ich dir später berichten. Ich habe hier eine umfangreiche Liste von Aufträgen …«
*
Tessma-Design …
Die Baolin-Nda waren, soweit Tautanbyrks rudimentäre Geschichtskenntnisse reichten, ein uraltes Volk von Supertechnikern, deren Erfolge zu großen Teilen auf ihren phantastischen Entwicklungen in der Miniaturisierung und in der Bio-Technologie basierten. In der aktuellen Zeit war ein Leben ohne Biotechnik gar nicht mehr vorstellbar. Und das hieß: ohne die Tessma.
Die Tessma waren ursprünglich eine Insektenrasse aus dem Universum gewesen, das »unterhalb« des Baolin-Deltaraums lag, das wusste Tautanbyrk. Heute waren sie im Deltaraum unverzichtbar.
Das Erbmaterial der Tessma ohne Intelligenz war im Laufe der Zeit so verändert worden, dass es sie in allen nur denkbaren Formen und Größen gab. Es gab sie von Riesen wie den Reittieren oder Sesseln bis hin zu mikrobengroßen Exemplaren, die zum Beispiel für die Abfallbeseitigung auf fast molekularer Basis in den 52 Kollagenen oder den Wohninseln der Baolin-Nda verantwortlich waren: Statt Reinigungsgeräten wirkten Milliardenheere von mikrokleinen Tessma, die jeden Unrat wegfraßen und in nützliche neue Substanz verwandelten.
Für jeden Zweck gab es die entsprechend designten Tessma, deren Bewusstsein auf die reine Funktion ausgerichtet war. Tessma produzierten alles von Nahrungsmitteln bis zu Medikamenten. Sie stellten – analog etwa irdischen Termiten, von denen Tautanbyrk natürlich nichts wusste – sogar die Grundstoffe für Wände, Decken, teils sogar für Maschinen zur Verfügung.
Die Tessma waren im Deltaraum allgegenwärtig. Und alle, bis auf die kleinsten, wurden sie von Steuercomputern aus gelenkt und mit Befehlen versorgt. Jeder Tessma verfügte dazu über einen organischen Resonator, der wie ein Funkempfänger auf Steuerimpulse reagierte und mit dem Willenszentrum verwachsen war. Ohne ihre Tessma, das wusste kaum einer besser als Tautanbyrk, wären die knapp hunderttausend Baolin-Nda in ihrem übergeordneten Lebensraum praktisch am Ende gewesen.
Und er, Tautanbyrk, arbeitete daran, immer wieder neue Tessma-Sorten zu schaffen, jedem noch nicht befriedigten Bedürfnis der Deltaraum-Bewohner angepasst.
Nachdem seine Schicht zu Ende war und er sich von Roganwerg verabschiedet hatte, begab er sich zu Fuß zu seinem direkten Vorgesetzten, Krapohl. Er benutzte Gleitbänder und kleine Transmitter, Rampen und Gleittreppen. Er hatte sich vorher nicht anzumelden brauchen. Krapohl hatte ihn am Nachmittag gebeten, sich nach Dienstschluss bei ihm einzufinden.
Natürlich hatte Tautanbyrk sofort einen Zusammenhang mit der Nachricht von Kuntherherr vermutet, doch er erlebte die dritte Überraschung dieses Tages: Krapohl hatte ihn nicht deswegen kommen lassen, er schien tatsächlich überhaupt nichts von der Botschaft zu wissen.
»Ich habe deine Berichte gelesen«, sagte der Vorgesetzte und meinte damit jene Reports, die jeder seiner Untergebenen wöchentlich über seine Arbeit abzuliefern hatte, »und bin mit den bisher zustande gekommenen Ergebnissen hoch zufrieden. Dein neuer Multikom-Tessma könnte einmal von praktischem Nutzen für jeden einzelnen von uns sein. Überhaupt verfolge ich deine Leistungen seit langem mit großem Interesse, Tautanbyrk. Um es kurz zu machen: Ich habe dich zur Beförderung vorgeschlagen, zum Leiter der gesamten Miniaturisierungsabteilung in diesem Kollagen, Tautanbyrk. Damit wären dir rund fünfzig Forscher und Techniker unterstellt, und du könntest dich noch stärker deinen eigenen Projekten widmen.«
Das machte den jungen Baolin-Nda erst einmal sprachlos. Aus seinen großen runden Augen blickte er Krapohl an.
»Ich bin sehr geehrt«, sagte er dann. Was hielt dieser Tag denn noch für ihn bereit? »Ich freue mich, obwohl ich mich bisher auch nicht zu beklagen hatte. Darf ich nur eine Frage stellen?«
»Natürlich«, sagte Krapohl. »Selbstverständlich.«
»Hat dieses Angebot … diese Beförderung irgend etwas mit dem Hochtechniker Kuntherherr zu tun?«
Krapohl zeigte sich verwirrt und verständnislos. Nun musste ihm Tautanbyrk von der Nachricht im Computer für ihn berichten; dann bat er ihn um seine Beurlaubung für den nächsten Tag.
»Das ist allerdings …«, begann Krapohl. Er stand aus seinem Tessma-Sessel auf und wanderte in seinem großen Büro auf und ab. Er ging steif.
Nach terranischen Maßstäben wäre er rund 115 Zentimeter hoch gewesen und damit fünf Zentimeter höher als Tautanbyrk. Nach menschlichen Maßstäben wäre er auch als humanoid zu bezeichnen gewesen. Seine Haut war weiß und vollkommen glatt wie die aller Baolin-Nda.
»Was?«, fragte der Tessma-Designer. »Habe ich etwas Falsches gesagt? Habe ich eine unangebrachte Frage gestellt?«
Krapohl hob abwehrend die Hände und setzte sich wieder. Er legte die Ärmchen flach auf die Platte des Tischs, der natürlich ebenfalls aus Tessma bestand. Etwa hunderttausend der Zuchtinsekten waren mit ihren speziell designten Leibern so ineinander verzahnt, dass es zwischen ihnen keine sichtbare Lücke mehr gab. Aus ihrer scheinbaren Todesstarre erwachten sie erst wieder für kurze Zeit, wenn Krapohl ihnen den Befehl dazu gab, die Form des Tisches nach seinen Erfordernissen zu verändern.
»Du hast nichts Falsches gesagt«, meinte Krapohl dann, »du hast mich nur überrascht. – Das heißt, der Bote hat mich überrascht. Er hat dich zu sich bestellt …« Krapohl nickte, wie um sich selbst etwas zu bestätigen. Sein Blick ging an Tautanbyrk vorbei und blieb an einer holographischen Darstellung des Deltaraums hängen. »Dann war ich wohl etwas zu voreilig mit deiner Beförderung …«
»Wieso?«, fragte der Tessma-Designer erschrocken. »Was hat das eine mit dem anderen zu tun?«
»Du wirst es durch Kuntherherr erfahren, nehme ich an«, erhielt er zur Antwort. »Der Hochtechniker ist ein weiser Mann und weiß, was er tut. Ich frage mich trotzdem, ob das Treffen mit ihm für dich nicht vielleicht etwas zu früh kommt …«
»Bitte, wie meinst du das?« Tautanbyrk jammerte fast. Mussten denn alle so orakelhaft reden? Warum konnte ihm niemand eine klare Antwort geben? »Was ist das für ein Treffen? Warum will Kuntherherr mich sehen – und nicht dich oder einen der anderen Vorgesetzten?«
»Ich darf ihm nicht vorgreifen«, sagte Krapohl. »Es kann auch sein, dass ich mich irre. Aber wie dem auch sei, Tautanbyrk – ich wünsche dir Glück und Erfolg. Beides wirst du brauchen.«
Damit gab er zu verstehen, dass das Gespräch für ihn beendet war. Verwirrt verließ Tautanbyrk sein Büro und verkniff sich gewaltsam jede weitere Frage.
Morgen, dachte er aufgewühlt. Morgen werde ich schlauer sein.
Aber es war noch eine furchtbar lange Zeit bis dahin.
*
Er hatte die ganze Nacht über nicht geschlafen. Er war auch erst gar nicht zu seiner Wohninsel auf dem Ozean zurückgekehrt, wo er mit seiner Familie die arbeitsfreie Zeit verbrachte, sondern im Kollagen geblieben. Nun endlich war der neue Tag da, und Tautanbyrk konnte es nicht abwarten, sich nach ULTIST zu begeben.
Wann sollte er eigentlich da sein? Kuntherherr hatte ihm keine bestimmte Zeit mitgeteilt, aber doch wohl am Morgen. Nur nicht so früh, das wäre unhöflich.
Tautanbyrk stand schon fix und fertig vor dem Spiegel seiner kleinen Schlafkabine im Design-Kollagen. Jetzt wäre er normalerweise zur Arbeit gegangen. Aufgeregt betrachtete er sich noch einmal im Spiegel. Er sah in sein weißes, faltenloses Gesicht mit den großen Rundaugen, der kleinen Nase und dem noch kleineren Mund. Haare und Brauen besaßen Geschöpfe wie er nicht. Die Ohren lagen flach an, konnten aber auch aufgerichtet werden.
Tautanbyrks Kopf war, ginge man nach menschlichen Maßstäben, im Vergleich zum Körper unverhältnismäßig groß. Er saß auf einem schmalen Hals. Die Schultern waren schmächtig, die Arme kurz. Sie endeten in fünffingrigen Händchen mit sehr zarten und langen Fingern, die über mehrere Gelenke verfügten und nahezu beliebig drehbar waren. Auch die Hüften waren schmal, und der ganze Körper stand auf platten, breiten Füßen, die mehr zum Stehen als zum Laufen geschaffen schienen.
Kleidung trug ein Baolin-Nda nicht. Es gab nichts, was durch sie geschützt oder verborgen werden müsste. Geschlechtsorgane – falls die Bewohner des Deltaraums etwas wie Scham gekannt hätten – waren nicht vorhanden, weder sichtbar noch unsichtbar. Die Vermehrung erfolgte auf andere Weise.
Was also sollte er tun? Noch warten? Das würde ihn nur noch nervöser machen.
Wenn er, wie eigentlich vorgesehen, den Transmitter nach ULTIST benutzte, wäre er in kürzester Zeit dort – wahrscheinlich zu früh. Aber warum überhaupt? Wann hatte er zuletzt mit einem Raumschiff ein anderes Kollagen oder den Ozean aufgesucht?
Das war die Idee. Weshalb war er nicht vorher darauf gekommen? Beim Flug verging mehr Zeit, und er konnte sich sofort zum Hangar in Bewegung setzen. Außerdem entspannte er sich vielleicht beim Anblick des Deltaraums, den er in den letzten Monaten – oder gar schon Jahren? – nur immer vom Kollagen aus oder in Holos gesehen hatte.
Tautanbyrk begab sich zum nächsten Transmitter und unternahm einen Kurzsprung zu den Hangars, wo er seinen Wunsch nach einem kleinen Schiff und sein Ziel angeben musste. Er wurde als Berechtigter eingestuft und bekam von dem Hangarmeister ein Boot angewiesen, das draußen am Kollagen angedockt war.