Philip, ein erfolgreicher Schriftsteller, ist aus seiner Wahlheimat Paris zurück nach New York gezogen. Er hat alles verloren, was ihm lieb war, seine Frau und seine Tochter, doch nach der Trauer kam die Resignation und mit ihr auch eine neue Art von Leichtigkeit. Philip lebt in seinen Erinnerungen, ein glücklicher Witwer, dem Ambitionen so fremd geworden sind wie Ängste. Dann begegnet er Lucy, einer Jugendfreundin – Lucy, die schöne Erbin, die lebenslustige und frivole junge Frau, mit der er einst mondäne Partys feierte. Jetzt ist sie eine gehässige alte Dame, die voller Verbitterung über ihre Ehe mit Thomas Snow spricht, einem sozialen Aufsteiger, von dem sie sagt, dass er ihr Leben zerstört habe. Und Philip, der ihr zunächst nur widerwillig zuhört, lässt sich infizieren von der Geschichte, die immer mehr Fragen aufwirft. Er beginnt, der Sache auf den Grund zu gehen, in der Vergangenheit zu forschen. Dabei darf er sich, anders als in seiner Jugend, nicht in Lucys Bann ziehen lassen.

Banker und Anwälte, holzgetäfelte Raucherzimmer und Sommerhäuser in den Hamptons: Erinnerungen an eine Ehe ist ein temperamentvolles Sittendrama um Liebe, Kränkung und Verrat, das Porträt einer eigensinnigen Frau und einer ganzen Gesellschaftsschicht.

Louis Begley, 1933 in Polen geboren, arbeitete bis 2004 als Anwalt in New York. Als Schriftsteller wurde er mit seinem Roman Lügen in Zeiten des Krieges weltweit bekannt. Seine Bücher wurden in 18 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Zuletzt erschienen: Zwischen Fakten und Fiktionen (2008, es 2526), Der Fall Dreyfus (2009), Schmidts Einsicht (2011).

Christa Krüger übersetzt die Bücher von Louis Begley seit seiner ersten deutschsprachigen Veröffentlichung. 2009 wurde sie mit dem C.H.Beck-Übersetzerpreis ausgezeichnet.

Louis Begley

Erinnerungen
an eine Ehe

Roman

Aus dem
amerikanischen Englisch
von Christa Krüger

Suhrkamp

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2013
unter dem Titel Memories of a Marriage
bei Nan A. Talese/Doubleday,
a division of Random House, Inc., New York

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2014

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe
des suhrkamp taschenbuchs 4549

© der deutschen Ausgabe

Suhrkamp Verlag Berlin 2013

© Louis Begley, 2013

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Umschlagfotos: Lise Metzger/Getty Images (Paar), Marta Nardini/Getty Images (Hintergrund)

Umschlaggestaltung: Hermann Michels und Regina Göllner

eISBN 978-3-518-73450-6

www.suhrkamp.de

Für Anka

All you need is love, love, love is all you need …

  – The Beatles

I

An einem Abend im Mai 2003, ein paar Tage nach George W. Bushs erstaunlicher Erklärung, die »Mission« sei erfüllt, ging ich ins New York State Theater, um mir eine Aufführung der New York City Ballet Compagnie anzusehen. Ich hatte auf ein reines Jerry-Robbins-Programm gehofft, und das stand auch auf dem Spielplan, aber erst zu einem Termin später im Monat. Leider lag der spätere Zeitpunkt für mich ungünstig – ich war am fraglichen Abend schon mit einem Freund aus Studentenzeiten, der sich gerade wieder verheiratet hatte, zum Dinner verabredet –, und ich musste mich mit einer Vorstellung begnügen, in der unter anderem die offizielle Premiere von Guide to Strange Places, wieder eine von Peter Martins’ hohlen Kreationen, zu sehen war. Die Musik von John Adams ließ mich kalt. Hätte Martins doch zugelassen, dass er uns als der phantastische Tänzer in Erinnerung bliebe, der er in seiner besten Zeit gewesen war, dass wir ihm weiter dankbar für seine Geschäftsführung der Compagnie sein konnten, dachte ich bei mir; wie schade, dass er stattdessen immer wieder Anlass zur Enttäuschung über seine Choreographie gibt. Da ich mich nicht auf die Tanzfiguren konzentrieren konnte, die das Ensemble zwar tadellos ausführte, die aber nach meinem Eindruck kein Ziel hatten, ließ ich meine Gedanken zu Jerome Robbins abschweifen. Meine Frau Bella und ich waren mit ihm eng befreundet gewesen, und er hatte uns regelmäßig zu Proben eingeladen. Wir schauten zu, wie er jede Szene eines Balletts unermüdlich durchprobierte, wie er schimpfte, korrigierte, gut zuredete, bis endlich eine mysteriöse, für Bella und mich oft nicht wahrnehmbare Veränderung signalisierte, dass die Musik und der Tanz harmonierten und jetzt seiner Vorstellung entsprachen. Dann klatschte er in die Hände, drehte sich zu seinem Assistenten Victor um und sagte: Das ist es, sie haben’s gepackt, komm, lass uns essen gehen. Nach den Proben war Jerry immer wie ausgehungert. Dann begleiteten wir ihn und Victor ins Shun Lee, ein Chinarestaurant an der West Sixty-Fifth Street, wo Jerry, der im Alltag so frugal lebte, die mild gewürzten Kanton-Gerichte, die er liebte, eins nach dem anderen hinunterschlang. 1998, fünfzehn Jahre nach George Balanchine, starb er, und damit fiel der Vorhang, eine großartige, von ihrer Arbeit geprägte Ära in der Ballettgeschichte war vorbei. Ich war dankbar, dass ich zu ihren Lebzeiten so viel davon gesehen hatte, aufgeführt von Tänzern aus ihrer Schule. Ob die Compagnie die Meisterwerke, die diese beiden für sie geschaffen hatten, weiter so vollendet aufführen würde, wenigstens, solange ich noch lebte? Ich hoffte es.

In der Pause holte ich mir an der Bar einen Whiskey und ging, da der Abend mild war, auf die Terrasse hinaus. Der Springbrunnen mitten auf der Plaza war noch nicht neu programmiert und ließ seinen Strahl also nicht in einem Rhythmus aufsteigen und fallen, der so kompliziert wie Fred Astaires Steptanz und nicht leichter zu entschlüsseln war, aber mir gefiel er trotzdem, und ich wurde nie müde, ihn anzusehen. Ich war bezaubert. Wie wunderbar, sagte ich mir wieder und wieder, was für ein Glück, dass ich zurückgekommen bin, um in dieser Stadt zu leben. Die längste Zeit hatte ich mich gescheut, mir und anderen zu gestehen, dass ich glücklich war. Mit diesem Geständnis hätte ich, dessen war ich mir sicher, die Götter herausgefordert, dort zuzuschlagen, wo ich am verletzlichsten war. Nicht mich zu treffen, sondern Bella oder unsere kleine Agnes. Doch die Strafe hatte mich schon ereilt, in vollem Ausmaß, und das Wenige, das von mir übrig blieb, war nicht mehr verwundbar. Wir hatten teils in Paris, teils in New York gewohnt, länger jedoch im Ausland, weil Bellas gesamte Familie dort lebte. Kurz nachdem wir wieder für eine Weile nach New York gekommen waren, wurde Agnes von einem herabfallenden Ast im Central Park erschlagen. Sie war sofort tot, und auch das Kindermädchen, das sie vom Kinderzoo nach Hause brachte, wurde schwer verletzt. Für unseren Kummer gab es keine Worte. Zwei Jahre oder länger konnten wir nicht über die Katastrophe sprechen, wir litten stumm und waren uns wortlos einig, dass wir kein Kind mehr haben wollten; niemand konnte Agnes’ Platz einnehmen, und wir wollten dem Schicksal nicht noch eine Geisel geben. Wir hielten uns von New York fern, wann immer es möglich war, und lernten, füreinander und für unsere Arbeit zu leben. Wir waren kaum je getrennt. Ich bin Schriftsteller, und Bella schrieb ebenfalls; in jeder Wohnung, ob in New York oder in dem Haus an einem felsigen Abhang außerhalb von Sharon, Connecticut, das ich in den fünfziger Jahren von einer unverheirateten Tante geerbt hatte, oder in unserer Pariser Wohnung in der Nähe des Panthéons, überall richteten wir zwei nebeneinander liegende Räume als unsere Arbeitszimmer ein.

In einem Winter dann, den wir aus Berufsgründen in New York verbrachten, begann Bella, die nie über Schmerzen oder Beschwerden klagte, nie Erkältungen hatte oder sich von einem Jetlag das Schlafmuster durcheinanderbringen ließ, unter dauerndem Schnupfen und seltsamen kleinen Infektionen zu leiden, und auf ihrer Haut tauchten rote Flecken auf. Sie scherzte, wenn einer von uns ein Drogensüchtiger wäre, der Nadeln gemeinsam mit anderen benutzte oder mit anderen Abhängigen schlief, dann würde sie denken, sie habe Aids. Aber nein, sie sei einfach von dem endlosen New Yorker Winter angeschlagen. Ich glaubte, dass sie recht hatte. Zum ersten Mal in unserem Leben reisten wir der Sonne nach in den Süden, nach Barbados, die einzige reizvolle Insel, auf der es eine Unterkunft gab, die bot, was wir brauchten – die beiden unentbehrlichen Arbeitszimmer und Strandnähe – und sofort zu einem annehmbaren Preis verfügbar war. Das Haus am Strand von St. James erwies sich als perfekt. Vom frühen Morgen an saßen wir arbeitend an unseren Schreibtischen. Vor dem Lunch gönnten wir uns ein, zwei Stunden in der Sonne und im sanften Karibischen Meer, das uns mit einer endlosen Modenschau der im Korallenriff hin und her flitzenden Fische verwöhnte, dann gingen wir zum Essen nach Hause und hielten danach den Mittagsschlaf, der für uns die Zeit zum Lieben war. Anschließend arbeiteten wir wieder bis weit in den Abend. Nach einer Woche dieses paradiesischen Lebens sagte mir Bella, als wir mittags vom Essenstisch aufstanden, diesmal müssten wir ausnahmsweise nur Ruhe halten. Ihr tue alles weh, und besonders dort unten. Auch eine merkwürdige Blutung sei ihr aufgefallen. Ob ich einverstanden sei? Sofort erklärte ich ihr, wir müssen den nächsten verfügbaren Flug nach New York nehmen und zu unserem Hausarzt oder einem Spezialisten gehen. Das lehnte sie kategorisch ab und bestand darauf, dass wir die restlichen zwei Wochen, für die wir das Haus gemietet hatten, auf der Insel blieben. Kein Grund, auch nur einen Augenblick unseres Idylls zu opfern. Dass es reichlich Grund gegeben hätte, erfuhren wir jedoch schon bald, nachdem wir wieder in der Stadt waren. Bella hatte die Symptome einer akuten lymphoblastischen Leukämie, die das Knochenmark angegriffen hatte und es methodisch, unerbittlich zerstörte. Mit zunehmend drakonischen Maßnahmen ließ sich eine vielleicht einen Monat vorhaltende Remission erreichen. Wieder und wieder durchlief Bella den Zyklus, der sie schwer zeichnete und völlig erschöpfte; Hoffnung auf Heilung oder eine länger anhaltende Remission bot nach Auskunft des Hämatologen nur eine gelingende Knochenmarktransplantation. Bella hatte außer einem älteren Bruder keine Geschwister; er war sofort bereit, Knochenmark zu spenden. Die Blutsverwandtschaft und die daraus resultierende fast vollständige Übereinstimmung ihrer Blutgruppen würde das Risiko einer Abstoßung erheblich vermindern. Bella wog die Nachbehandlung, der sie sich im Anschluss an die Transplantation unterziehen müsste, gegen die Heilungschancen ab, die sie mit hartnäckiger Skepsis einschätzte, und entschied sich gegen die Prozedur. Ich glaube nicht, dass der Krebs meinen Körper verlässt, und ob ich ein paar Jahre gewinne, ist mir egal, sagte sie. Es wären keine guten Jahre. Wir haben ein wunderbares Leben miteinander gehabt. Geben wir uns nicht mit einem Rest zufrieden, in dem so schrecklich wenig von mir übrig bliebe. Das wollen wir beide nicht. Ich konnte nicht verbergen, dass ich mit ihr einig war. Mit Hilfe von Opiaten, die wir gehortet hatten, starb sie sechs Monate später friedlich in meinen Armen. Und ich? Ich leide Folterqualen, aber ich habe immer noch meine Arbeit. Die erledige ich gewissenhaft und bescheiden und nur, weil sie mir Freude macht, einen anderen Lohn erwarte ich nicht. Und ich habe meine Erinnerungen. Dantes Vergil hat sich geirrt, als er ihm erklärte, kein Schmerz sei größer, als im Unglück an vergangene glückliche Zeiten zu denken. Die Erinnerung ist ein Trost. Vielleicht der einzige. Sie ist auch der beste Begleiter.

Eine Stimme, die mir bekannt vorkam, die ich aber nicht sofort zuordnen konnte, unterbrach meine Träumerei; sie rief meinen Namen: Philip! Ich drehte mich um und sah eine hochgewachsene schlanke Dame Ende sechzig oder vielleicht Anfang siebzig, erstaunlich gut aussehend, in einem schwarzen Hosenanzug, wahrscheinlich von Armani, und schwarzen Pumps. Eine schwarze Handtasche hing ihr an einer Goldkette von der Schulter. Als mir einfiel, wer sie war, blinzelte ich. Viele Jahre waren vergangen, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Zu viele, um rasch nachzurechnen. Aber ja, sie war es, ohne Zweifel.

Meine Güte, sagte die Dame jetzt, was ist denn mit dir los, kennst du mich nicht mehr? Ich habe dich sofort erkannt, obwohl du mir den Rücken zugedreht hattest. Deine Haare sind weiß geworden, immer noch zu kurz geschnitten, und deine Ohren stehen immer noch ab. Ich hatte keine Ahnung, dass ich mich so verändert habe. Herrgott noch mal, ich bin Lucy Snow. Lucy De Bourgh Snow.

Ich überließ mich meinem Ärger darüber, dass sie so viel lauter als nötig geredet hatte, und zitierte Hubert H. Humphreys Floskel, die er immer verwendete, wenn er Fremden, die sich ihm vorstellten, die Hand schüttelte: Natürlich bist du das, und ich freue mich, dich zu sehen.

Das will ich doch hoffen.

Sie klang recht streng.

Was machst du denn hier?, fragte sie weiter. Ich dachte, du hättest New York aufgegeben.

Ganz und gar nicht, erklärte ich ihr. Ich war viel fort, aber ein New Yorker bin ich immer noch. Diesmal bin ich gekommen, um zu bleiben.

Das ist gut, sagte sie, dann kommen wir uns wieder näher.

Dann erzählte sie in rapider Folge, dass sie in der Stadt wohne, aber, da sie noch ihr Haus in Little Compton besitze, auch einen Wohnsitz in Rhode Island habe; dass ihre Eltern beide tot seien, ihre Schwägerin Edie ebenfalls; dass ihr Bruder John nicht wieder geheiratet habe, in dem großen Haus in Bristol wohne und dessen Bedeutung für die Geschichte des Staates noch ernster nehme als die Eltern; und dass man sich noch viel zu erzählen habe. Sodann hörten wir den Gong, der uns zu unseren Plätzen rief. Als wir uns trennten – sie war im ersten Rang und ich im Parkett –, kündigte sie an, sie würde in der nächsten Pause nach mir Ausschau halten.

Ich gab mir Mühe, den Vorgängen auf der Bühne zu folgen – einem Balanchine-Ballett, das ich nicht besonders schätzte –, aber vergeblich. Meine Gedanken schweiften ab, und ich konnte sie nicht daran hindern. Lieber Himmel, Lucy! Nach ihrer Scheidung von Thomas hatte ich sie wohl noch einmal oder zweimal gesehen, Ende des siebziger, Anfang der achtziger Jahre musste das gewesen sein, an mehr erinnerte ich mich nicht. Wahrscheinlich hatte ich überhaupt nur einen Gedanken an sie verschwendet, wenn ich dann und wann, mit einer gewissen Häufigkeit, Thomas traf, allein oder mit seiner neuen Frau, und natürlich, als ich den Nachruf auf ihn las. Alles außer dem Nachruf schien unendlich lange her zu sein. Lucy hätte eine jener Radcliffe-, Smith- oder Vassar-Absolventinnen aus guter Familie sein können, die in den fünfziger Jahren im Anschluss an das College auf der Suche nach einem Ehemann oder einem Traumjob nach New York kamen. Man traf sie auf der Cocktailparty irgendeiner Tante oder Patentante. Meist waren sie attraktiv – Lucy war, je nach Blickwinkel, eine große Schönheit oder eine jolie laide gewesen –, und wenn sie nicht unverzüglich und direkt Eheglück und ein perfektes Familienleben in Bronxville, Scarsdale oder Morristown ansteuerten, wollten sie schreiben. In der Zwischenzeit suchten sie einen Job in einem Buchverlag oder bei Time, LIFE oder der Sunday Evening Post. Leider fanden die Männer, die solche Jobs zu vergeben hatten, dass Mädchen wie sie am besten zum Telefondienst und Kaffeeholen geeignet waren. Die Arbeit für eine Modezeitschrift war eine Alternative und eine gute Möglichkeit, diesem Stereotyp auszuweichen. Lucy entschied sich für diesen Weg. Ein paar Jahre nach Sylvia Plath’ einmonatigem Aufenthalt dort bewarb sie sich mit Erfolg um einen Sommerjob als Gastredakteurin bei Mademoiselle, absolvierte dann das letzte Studienjahr am Radcliffe College und hatte nach dem Examen wieder Geschick oder Glück. Sie verschaffte sich ein einjähriges Praktikum bei der Pariser Vogue, ein Aufstieg, der die angehenden Schriftstellerinnen und Journalistinnen ihres Jahrgangs sicher grün vor Neid werden ließ.

Lucy war offenbar auch in anderer Hinsicht etwas Besonderes – wenigstens im Rahmen der frühen fünfziger Jahre. Ein Mann, mit dem ich zweimal pro Woche Squash spielte, abwechselnd im Harvard Club, wenn ich einlud, und in seinem feinen Park Avenue Club, wenn er an der Reihe war, hatte noch weiter seine Runden im Karussell der Debütantinnenbälle gedreht. Er war nicht aus der Einladungsliste gestrichen worden und deshalb auf dem Ball gewesen, den Lucys Eltern in dem Sommer bevor sie ans Radcliffe-College ging, in ihrer herrschaftlichen Villa für die Tochter gaben, und hatte während der darauf folgenden New Yorker Saison bei den Junior Assemblies und allen möglichen anderen Gelegenheiten – darunter einigen, über die er lieber nichts Genaues sagte – Kontakt mit ihr gehalten. Sie war hinreißend, umwerfend, erzählte er mir, sie setzte alle Männer ohne Tanzpartnerin unter Strom und hätte leicht die Debütantin des Jahres sein können, wären nicht die Gerüchte über die unselige Angelegenheit an Miss Porters Institut gewesen, die sich ausgerechnet unmittelbar vor ihrem Examen abgespielt hatte. Sie hatte sich unerlaubt aus dem Institut entfernt – angeblich hatte sie sich aus ihrem Schlafzimmerfenster abgeseilt – und wurde am nächsten Morgen außerhalb von Farmington in einem Howard-Johnson-Motel aufgefunden, wo sie ihren Rausch ausschlief. Ihr Verehrer hatte sich schon absentiert, und sie weigerte sich, der Schulleiterin oder der Polizei seinen Namen preiszugeben, verriet ihn auch ihren Eltern nicht. Mr. De Bourgh zog ein paar Drähte und schrieb einen dicken Scheck aus, so dass sie ihr Examen machen durfte, und er und Mrs. De Bourgh ließen die Party steigen wie geplant. Ob es ihnen gegen den Strich ging, war eine offene Frage, da die Einladungen schon verschickt waren und die Peinlichkeit größer gewesen wäre, hätten sie das Fest abgesagt. Mein Squashpartner machte mir diese Eröffnungen, als wir uns nach einem schweißtreibenden Match in der Umkleidekabine seines Clubs ausruhten. Passend zur Atmosphäre der Umgebung fügte er noch ein persönliches Zeugnis an: Sie fickt wie eine Mänade. Eine versnobte Mänade!

Ich lernte sie in Paris näher kennen. Zunächst liefen wir uns nur auf Veranstaltungen der amerikanischen Botschaft über den Weg. Botschafter Dillon und sein Nachfolger Amory Houghton hatten zusammen mit ihrem Vater studiert; beiden lag daran, sich um Lucy zu kümmern. Später lud sie mich zu den eleganten kleinen Dinnerpartys ein, die sie in ihrem Apartment in der Rue Casimir-Perier gab; von ihrer Wohnung konnte sie zu Fuß zur Place du Palais Bourbon gehen, wo damals das Redaktionsbüro der Vogue war. Dann kam eins zum anderen. Damals waren viele junge amerikanische Studenten und Expatriates in Paris. Mit dem starken Dollar war Luxus erschwinglich. Ein Lunch für zwei mit einer Flasche ordentlichem Wein und einem großzügigen Trinkgeld im Lapérouse kostete vielleicht zwölf Dollar. Der Krieg in Algerien war noch nicht in seiner heißen Phase, und die Verlockung des intellektuellen und literarischen Lebens in Paris befand sich dank Sartre, Simon de Beauvoir und Camus auf dem Höhepunkt, umso mehr, als der Existentialismus und der französische Film groß in Mode waren. Bekanntlich sind die Reichen anders als wir Übrigen: Sie besitzen und genießen früh und sind überzeugt, besser zu sein als wir. Lucy selbst war nicht sehr reich, aber unverkennbar umgeben von einer Aura historischer Bedeutung und alten Geldes. Im achtzehnten Jahrhundert waren ihre Vorfahren wohlhabende Schiffseigner in Bristol, Rhode Island, gewesen. Ihr Vorvater James De Bourgh hatte bereits ein Schiff geführt, als er noch keine zwanzig war; im Krieg von 1812 war er ein gefürchteter Freibeuter auf Seiten der Amerikaner gewesen, nach einer Karriere in der Landespolitik Rhode Islands wurde er Senator. Sein gewaltiges, später durch die Baumwollindustrie konsolidiertes Vermögen erwarb er sich mit dem Sklavenhandel; als er in den späten dreißiger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts starb, galt er als der reichste Mann Rhode Islands und womöglich der zweitreichste in den Staaten. Ich vermute, John Jacob Astor war derjenige, der ihm den Rang ablief, aber ich habe mir nicht die Mühe gemacht, dies nachzuprüfen. Als ich Lucy kennenlernte, kannte kaum jemand die Legende der De Bourghs, sofern nicht die amerikanische Geschichte sein Steckenpferd war, und sogar ich, auf den das zutraf, hatte zunächst nur eine vage Erinnerung, dass es irgendwann einmal einen wichtigen De Bourgh gegeben hatte. Gezwungenermaßen wurde ich dann aber vertraut mit der Legende. Es war einfach unmöglich, mit Lucy Zeit zu verbringen, ohne von James De Bourgh und seinen Zeitgenossen und Konkurrenten in Rhode Island, den weitaus bekannteren Brüdern John und Moses Brown, zu hören. Sie schimpfte über die Verschwendung des Familienvermögens, die James’ unfähige Nachfahren – ihr eigener Vater eingeschlossen – zu verantworten hatten, und sie schimpfte auf die amerikanische Handelspolitik, die schuld gewesen sei an dem Zusammenbruch der Textilfabriken New Englands nach 1920, den ihr Großvater und seine Brüder nicht vorausgesehen hatten, aber soweit sie betroffen war, hatte sich der Glanz der Familie nicht getrübt. Außerdem ist »kein Hemd mehr auf dem Leibe haben« relativ, sagte sie immer. Alles hängt davon ab, wie viele man im Schrank hat. Unser Vorrat reicht noch lange.

Nach dem Ende ihres Praktikums bot ihr die Zeitschrift eine Stelle als Juniorredakteurin in New York an; zu meinem Erstaunen lehnte sie das Angebot ab. In New York zu leben, sei nichts für sie, sagte sie. Stattdessen fuhr sie im Sommer nach Hause, um, wie sie sagte, mal wieder ein paar gute Tennisspiele zu machen, und im Herbst kam sie zurück nach Paris in ihr Apartment und zu ihren Dinnerpartys. Als wir am Ende eines solchen Abends noch einen Abschiedsschluck tranken, fragte ich sie, was sie jetzt, da sie wieder in Paris sei, eigentlich vorhabe.

Leben! antwortete sie kühn. Leben wagen!

Im Lauf späterer Unterhaltungen erklärte sie mir dieses Konzept näher. War sie nicht die Erbin aller Zeiten, war sie nicht verpflichtet, alle Vorteile ihrer Bildung voll auszukosten – sie hatte eine absurd hohe Meinung von ihrem Radcliffe-Examen in romanischen Sprachen und Literatur – und vor allem ihre Freiheit? Treuhandfonds ihrer Familie, die zwar längst nicht mehr so üppig waren wie einst, erlaubten ihr doch, so weiterzumachen wie bisher. Warum einen Job annehmen, den sie weder unbedingt wollte noch brauchte und den sie womöglich jemandem wegnahm, der darauf angewiesen war?

Darauf wusste ich nichts zu sagen als »natürlich«, obwohl ich mich fragte, wie gründlich sie über das Schicksal der im Ausland lebenden Damen des neunzehnten Jahrhunderts nachgedacht hatte, die sie sich vielleicht bewusst oder auch nicht zum Vorbild genommen hatte. Aber es ging mich ja nichts an. Lucy und ich kamen gut miteinander aus, und dass sie in Paris war, ihre Partys und gelegentlich anspruchsvollere Unternehmungen organisierte, war angenehm für mich. Zum Beispiel fuhr sie mit mir und einem Ehepaar aus Providence, das seine Flitterwochen in Frankreich verbrachte, nach Chartres. Ohne Punkt und Komma über die Architektur der Kathedrale und Henry Adams’ Chartres-Buch redend, bretterte sie über die dreispurige route nationale, die vom Schattenspiel der Platanenreihen zu beiden Seiten in einen flimmernden Strom verwandelt schien, und ihr viertüriges Mercedes Cabrio ließ die deux chevaux der weniger gut gestellten Franzosen und die von der französischen Bourgeoisie und Regierungsbeamten bevorzugten großen glänzenden Citroëns in einer Staubwolke hinter sich, bis uns die Gendarmen an einer Radarfalle etwa dreißig Kilometer vor unserem Ziel anhielten. Sie waren höflich, und Lucy war höflich, aber als wir weiterfuhren, hatte sie, wie sie sagte, einigen Schwung verloren. Doch das galt nur für den Morgen. Nachmittags war sie wieder in Hochform, und die Rückfahrt nach Paris wurde noch haarstäubender. Ihre Theorie war, dass die Bullen niemals jemanden zweimal auf derselben Straße anhielten. Außerdem hatte sie eine Verabredung zum Dinner, und sie wollte nicht zu spät kommen.

Vor der zweiten Pause kam mir in den Sinn, dass ich genug Erinnerungen auf Lager und lebende Gespenster – ehemalige Personen nannte ich sie – um mich herum hatte, Freunde aus der Schule und dem College, Leute, mit denen ich für die eine oder andere Zeitung gearbeitet hatte, auch meinen Literaturagenten, dem ich immer treu geblieben war, und dass ich nicht auch noch Lucy brauchte. Vielleicht sollte ich in der Pause einfach auf meinem Platz sitzen bleiben. Oder ich konnte mir den dritten Teil des Programms schenken, ein Balanchine-Ballett, das ich schon oft genug gesehen hatte, das Theater verlassen und direkt zum Essen gehen. Das Gewissen eines Ballettomanen war stärker. Es gab keinen guten Grund, Lucy aus dem Weg zu gehen, und bestimmt keinen, mich von ihr vertreiben zu lassen.

Lucy musste sich nach mir umgesehen haben, um herauszufinden, in welche Richtung ich ging, als wir uns nach der ersten Pause trennten. Sie wartete oben an der Treppe auf mich.

Also, das Ballett war gut, sagte sie. Hat es dir gefallen?

Ich nickte.

In Europa gibt es vielleicht bessere Tänzer, fuhr sie fort, aber das weiß ich nicht. Ich reise nicht mehr nach Europa. Für mich ist diese Compagnie immer noch wunderbar.

Ich sei ganz ihrer Meinung, versicherte ich, worauf sie fragte: Willst du mir nicht ein Glas Champagner anbieten?

Nüsse zum Knabbern verlangte sie dann auch noch. Ich zahlte und folgte ihr auf die Terrasse. Dort erklärte sie mir, fast ohne eine Pause zwischen den Sätzen zu machen, es habe ihr leidgetan, die Nachricht über Bella zu lesen, sie hätte mir schreiben sollen, aber sie habe Bella nicht besonders gut gekannt und angenommen, dass der Verlust mich sehr einsam gemacht habe.

Schockiert von der Fühllosigkeit ihrer Bemerkungen drehte ich mich zum Springbrunnen und schwieg.

Nach einer Pause sagte sie, andererseits hätte ich ihr nach Thomas’ Tod geschrieben, das wisse sie noch, und sie habe damals gemeint und meine immer noch, dass das eine Geste fehlgeleiteter Höflichkeit gewesen sei. Beileidsbriefe habe sie nicht erwartet und deshalb auch nicht beantwortet.

Vielleicht habe ich die Achseln gezuckt, bevor ich antwortete, dass ich Thomas gern gemocht hatte und traurig war, als ich von ihrer Scheidung erfuhr, und natürlich erst recht, als ich von dem grauenvollen Unfall hörte.

Sie drehte sich zu mir.

Was denkst du denn! Mit diesem Monster hätte ich nicht mehr leben können. Du hast dich natürlich weiter mit ihm getroffen, so wie meine restlichen Freunde auch. Tja, alles, was er wollte, fiel ihm in den Schoß, einschließlich dieser Berühmtheit, seiner zweiten Frau, und dass er alles nur mir verdankte, hat er nie zugegeben. Vielleicht hat er es vergessen. Vielleicht auch nie begriffen.

Eine Antwort ersparte ich mir.

Mein Sohn Jamie ist ein Versager, sagte sie noch, ohne Zusammenhang zum Vorigen. Er versucht, Drehbücher zu schreiben, versteht aber nichts davon. Kein Wunder, dass er sie nicht verkaufen kann. Seine Frau ist eine Chicana. Natürlich wohnen sie in einem gruseligen Vorort von L. A. Wenn ich dahin fahre, darf ich nicht mal bei ihm zu Hause wohnen. Ich muss in ein Motel gehen!

Das ist bitter, sagte ich.

Diesmal stimmte sie mir zu. Sie sagen, dass Thomas nie gefragt hat, ob er bei ihnen wohnen kann. Warum auch? Er blieb in einer Suite im Beverly Hills Hotel und ließ sich hin und zurück fahren. Er hatte überhaupt keinen Ortssinn, weißt du.

Ich musste lachen. Womöglich hat er sich damit die bessere Lösung ausgesucht, sagte ich.

Natürlich, er konnte sich das leisten, entgegnete sie.

Sie hatte wohl gemerkt, dass ich mich verabschieden wollte, und wechselte das Thema: Ich denke mir, du bist zum Dinner verabredet. Du kannst es mir ruhig sagen. Du musst dir nicht den Kopf zerbrechen, ob ich dazu passe, ich habe schon gegessen. Ich esse jetzt immer früh. Aber an einem anderen Abend möchte ich dich zum Dinner sehen. Gibst du mir deine Telefonnummer?

Ich nannte sie ihr, ebenso meine E-Mail-Adresse.

Sie schrieb beide in ein abgegriffenes Adressbuch und sagte: Ich melde mich.

II

Thomas Snow: der brillante Investmentbanker, der massenweise Geld machte, viel davon weggab und zu einer Wall-Street-Koryphäe wurde. Je nachdem, wo ich gerade lebte, in New York oder in Paris, hatten wir uns immer gern getroffen, und seit dem Ende der siebziger Jahre war er oft auf der Durchreise nach Paris gekommen. Natürlich hatte ich seine Gast-Kommentare in US-Zeitungen und gelegentlich in der Financial Times verfolgt. Als Lucy nun mit solcher Feindseligkeit von ihm sprach und mit einem Groll, den die Zeit offenbar nicht im Mindesten gemildert hatte, stand mir wieder der junge Mann vor Augen, den sie mir vor ungefähr fünfzig Jahren in Paris an einem Nachmittag vorgestellt hatte. Ich saß damals in meinem Studio und arbeitete am ersten Kapitel eines Romans, das hieß in meinem Fall, ich überarbeitete zum dritten oder vierten Mal, was ich am Vortag geschrieben hatte. Das Telefon klingelte; ich nahm den Hörer ab und hörte Lucy sehr laut sagen: Hallo, ich stehe praktisch unten vor deinem Haus, ich bin in dem Café an der Ecke Vaugirard und Madame. Bei mir ist jemand, den ich dir gern vorstellen möchte. Können wir heraufkommen? Wir bleiben auch nicht lange.

Sie gehörte zu den Leuten, die, überzeugt, dass man ihre Stimme wiedererkennt, sich nicht mit ihrem Namen melden, wenn sie anrufen. In diesem Fall hatte ich begriffen, dass sie es war, und unterdrückte meinen Ärger. Nein sagen und danach ein schlechtes Gewissen haben hätte mich mehr gestört, deshalb sagte ich: Ja, komm herauf, ich freue mich.

Ich wohnte im dritten Stock nach französischer Zählung, also eigentlich im vierten. Es gab keinen Fahrstuhl. Einige lange Minuten vergingen, bevor es klingelte. Ich öffnete die Tür. Lucy machte ein Gesicht wie eine Katze, die eine Maus bringt. Sie schob mir einen jungenhaften Amerikaner entgegen und sagte: Das ist Thomas Snow. Thomas, hier siehst du den großen Romancier, von dem ich dir erzählt habe.

Wir gaben uns die Hand. Es war nach sechs, und ihn machte ihre Vorstellung so offensichtlich verlegen, dass ich die beiden entgegen meiner Absicht, sie so schnell wie möglich wieder loszuwerden, ins Wohnzimmer führte und ihnen einen Drink anbot. Der Whiskey entspannte den jungen Mann. Die belanglose Frage, was ihn ausgerechnet im Januar, zu einer für Touristen ungewöhnlichen Zeit, nach Paris geführt habe, öffnete die Schleusen, und er überschüttete mich mit einer wahren Informationsflut. Er sei ein GI auf Urlaub. Er habe mit einem Stipendium des Harvard College an der London School of Economics studiert und seinen Master gemacht. Danach habe er sich freiwillig zum Militärdienst gemeldet und diene als Unteroffizier im Hauptquartier der 7. US-Armee in Heidelberg. Seine Dienstzeit dauere noch bis zum Sommer. Im Herbst werde er an der Harvard Business School anfangen.

Und danach?

Er hatte alles genau geplant: Er wollte an der Wall Street arbeiten, in einer großen Investmentbank, am liebsten bei Morgan Stanley oder, wenn daraus nichts wurde, bei Kidder. Darüber hinaus hatte er mehr oder weniger nebelhafte Träume.

Das ist ein ziemliches Programm, sagte ich, und fragte dann Lucy, wo sie diesen bemerkenswerten zukünftigen Financier kennengelernt habe.

Aber das wollte ich gerade erzählen, protestierte Thomas. Wir sind uns zu Anfang des zweiten Semesters in meinem letzten Jahr am College begegnet, auf einer Party Ihres guten Freundes Alex van Buren. Dass Sie Freunde sind, weiß ich, weil Lucy es mir erzählt hat. Das war unheimliches Glück. Lucy und ich haben uns sofort verstanden. Ich kann mir nicht vorstellen, wie wir uns sonst begegnet wären.

Lucy nickte heftig und hielt mir ihr Glas zum Nachfüllen hin.

Wie interessant, sagte ich. Was hatte Alex in Cambridge zu tun? Er hat sein Examen vor Jahren gemacht. Früher als ich.

Er hatte in der Maklerfirma der Familie gearbeitet, erklärte Thomas, und dann wurde beschlossen, dass er an der Business School weiterstudieren solle. Sein Vater hat ihn dazu gedrängt.

Genau genommen hatte Lucy nicht ganz recht. Ich hatte Alex gekannt, wir vertrugen uns, er war immer sehr nett zu mir gewesen, aber von enger Freundschaft konnte keine Rede sein. Er war ein paar Jahre älter als ich, hatte bei den Marines gedient und Iwojima überlebt. Eine kleine Weile waren wir beide gleichzeitig beim Lampoon; er hatte sich dafür eingesetzt, dass ich aufgenommen wurde, aber das war auch alles. Er wird wohl zu den Lampoon-Dinners gegangen sein. Ich nicht. Ich erinnerte mich an die auffallend reichen und snobistischen New Yorker, mit denen Alex herumgehangen hatte, und fragte mich, was ausgerechnet dieser junge Mann auf einer von Alex’ Partys zu suchen hatte. Ich musste es nicht eruieren: Die Erklärung war schon auf dem Weg. Es sah so aus, als hätte Thomas beschlossen, mir seine Lebensgeschichte zu erzählen, und Lucy, mütterlich stolz auf seine höfliche Selbstsicherheit, ließ ihn offenbar ganz gern reden.

Alex und Alex’ Eltern, eigentlich den ganzen Van-Buren-Clan habe er in den Sommerferien kennengelernt, die er seit seinem Junior-Jahr auf der Highschool immer im Sommerhaus der Familie in Newport zugebracht hatte, als Babysitter und um den Neffen, Nichten und Enkelkindern der van Burens Nachhilfeunterricht in Mathematik und Geschichte zu geben. Er stamme auch aus Newport, aber nicht dem van Burenschen Newport – bei der Vorstellung, ich könnte das denken, schüttelte er sich vor Lachen. Seinem Vater gehörte die Autowerkstatt, in der alle Welt, auch die van Burens, ihre Nobelkarossen überholen ließen, und seine Mutter war Buchhalterin. Sie führt die Geschäfte für meinen Vater, fügte er noch hinzu. Ich bin ein Einzelkind.

Dann sind Sie in der Nähe von Bristol aufgewachsen, bemerkte ich, beinahe im De-Bourgh-Territorium.