Einführung
Was sind uns unsere
Nutztiere wert?
Durch bäuerliche Landwirtschaft die Artenvielfalt retten
Das Landleben als pure Idylle? Zumindest auf den Verpackungen unserer Lebensmittel, in Prospekten für ländliche Urlaubsziele und in unseren Kinderbüchern. Dort ist die Welt noch in Ordnung. Dort suhlt sich fröhlich grunzend ein Schwein im Schlamm. Eine Kuh liegt friedlich dösend mit ihren Kälbern in der Sonne. Ein majestätischer Hahn stolziert zwischen seinen gackernden und nach Körnern pickenden Hühnern umher. Ein Schaf schaut versonnen vom Deich aufs offene Meer.
Wir alle haben, was die Produktion unserer Lebensmittel angeht, bestimmte Bilder im Kopf. Bevorzugt romantische Bilder. Dass die Realität jedoch meist anders aussieht, ist uns Verbrauchern durchaus bewusst. Die Lebensmittelskandale der Vergangenheit dürften mittlerweile vielen Konsumenten verdeutlicht haben, dass die Tiere, die uns mit Eiern, Milch und Fleisch versorgen, kaum auf idyllischen Kleinbauernhöfen mit viel frischer Luft und Auslauf gelebt haben, sondern größtenteils einer hocheffizienten und hochtechnisierten Industrie entstammen und nie das Tageslicht gesehen haben. Mit immer gravierenderen Folgen für Tier, Mensch und Umwelt. Um ständig Milch zu geben, muss eine Kuh jedes Jahr ein Kalb bekommen. Eine »moderne« Zuchtsau wirft mehr Ferkel, als sie Zitzen hat. Heutige Geflügelrassen können sich nicht mehr auf den Beinen halten, sie wachsen zu schnell, und sie werden zu schwer. Die Gier nach Billigfleisch führt zu immer höherer Produktion und damit zu industrieller Tierhaltung. Deutschland entwickelt sich zum Maststall Europas, der subventionierte Fleischexport boomt. Derzeit leben knapp 13 Millionen Rinder, davon 4,3 Millionen als Milchkühe, 28 Millionen Schweine, knapp 70 Millionen Masthühner und 36 Millionen Legehennen in Deutschland. Jedes Jahr werden es mehr. Nimmt man Schafe, Puten und andere Nutztiere hinzu, leben insgesamt fast doppelt so viele Nutztiere in Deutschland wie Menschen. Die Massentierhaltung führt dazu, dass unsere Böden, die Luft und die Gewässer immer stärker belastet werden. Ein Mastschwein verbraucht fast eine Million Liter Trinkwasser in seinem kurzen Leben. Nicht, weil es so durstig ist – der Großteil wird dazu gebraucht, sein Futter anzubauen. Unsere Nutztiere werden vor allem mit Soja gefüttert, das zum größten Teil aus Südamerika importiert wird. Für den Sojaanbau mussten allein in Brasilien bereits 21 Millionen Hektar Regenwald weichen. Zudem wird bei der Sojaproduktion überwiegend auf gentechnisch veränderte Pflanzen gesetzt, mit unerforschten Risiken für Mensch, Tier und Natur. Je intensiver die Tierhaltung, desto schärfer wird der Konflikt zwischen Bauern und Verbrauchern. Machen wir uns nichts vor: Die Landwirtschaft hat zunehmend ein Akzeptanzproblem.
Alte Rassen sterben aus
Ein weiteres Problem kommt hinzu, denn auch die Artenvielfalt leidet unter der Hochleistungsproduktion von Fleisch, Milch und Eiern. Die Schweine aus den Mastbetrieben der Republik bekommt man als Außenstehender kaum noch zu Gesicht, ebenso wenig das Federvieh, das zumeist in fensterlosen Großbetrieben hinter verschlossenen Türen gezüchtet wird. Allenfalls sieht man noch Rinder oder Schafe auf ihren Weiden grasen, und das auch nur, wenn es einen in ländliche Regionen verschlägt. Folge der Zustände hinter den Zäunen der Zuchthäuser: Die Artenvielfalt in den Mastbetrieben der deutschen Fleischindustrie ist auf dem Tiefpunkt. Nur wenige Hochleistungsrassen decken rund 98 Prozent des hohen Bedarfs an günstigem und immer verfügbarem Fleisch ab. Die ehemals artenreiche Nutztierlandschaft ist im Begriff zu verarmen. Die Welternährungsorganisation FAO führt insgesamt 7.600 Rassen, darunter Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen, Büffel, Yaks und Kamele auf. 740 Rassen werden in ihrem Bericht als bereits ausgestorben aufgelistet. 20 Prozent gelten als besonders stark gefährdet. In den nächsten 20 Jahren rechnet die FAO mit einem Totalverlust von weiteren 2.000 Haus- und Nutztierrassen.
Wer den Begriff »biologische Vielfalt« hört, denkt meistens nur an Tiere und Pflanzen in freier Natur. Doch seit mehr als 10.000 Jahren züchtet der Mensch auch Nutzpflanzen und domestiziert Tiere. Aus den wenigen, weitgehend einheitlichen Wildtierformen entstanden im Laufe der Zeit eine große Anzahl neuer Rassen – bei Rind und Schaf waren es deutlich mehr als 1.000, bei Ziege und Schwein immerhin noch mehr als 500. Ab dem 18. Jahrhundert blühte die gezielte Zucht von Nutztieren auf. Aus den vielerorts herausgebildeten Landschlägen, Produkt und Spiegelbild der Region, in der sie heranwuchsen, entstanden moderne Kulturrassen. Die Wissenschaft hielt Einzug in die Tierzucht, man verständigte sich auf Zuchtziele und Zuchtverfahren, führte sogenannte Herdbücher ein und hielt Leistungsschauen ab. Doch viele dieser alten Kulturrassen sind im Verlauf des 20. Jahrhunderts schon wieder ausgestorben, viele andere sind in ihrem Bestand bedroht, je nach Tierart sind es bis zu 40 Prozent der heute noch existierenden Rassen. Jede Form einer Art unterscheidet sich genetisch von der anderen. Jede Rasse ist einzigartig. Sobald sie ausgestorben ist, ist sie für immer verloren.
Für die Turbomast nicht geeignet
Viele alte Nutztierrassen haben den Menschen über lange Zeit begleitet und sind durch die strukturellen Veränderungen in der Landwirtschaft mittlerweile akut in ihrer Existenz gefährdet. Der vor einigen Jahrzehnten noch bestehende Reichtum an regionalen und bisweilen lokalen Rassen ist der Dominanz einzelner Hochleistungsrassen gewichen, die nach rein quantitativen Kriterien gezüchtet und gehalten werden. Das Deutsche Weideschwein ist Ende der 1970er-Jahre ausgestorben, sein Genmaterial ist unwiderruflich dahin. Und wem ist das Glanrind noch ein Begriff? Die aus Rheinland-Pfalz stammende Rasse ist robust, anspruchslos und kann eine anständige Milchleistung vorweisen. Seit knapp 200 Jahren wird sie in ihrer Heimat reinrassig gezüchtet und ist trotzdem in ihrer Existenz bedroht. Oder das Angler Sattelschwein mit seiner prägnanten schwarz-weißen Färbung? In der Nachkriegszeit ob seines fetthaltigen Fleisches beliebt, begann mit dem Wirtschaftsaufschwung der Rückgang der Nachfrage. Der Wunsch der Konsumenten nach magerem Fleisch verdrängte allmählich das urwüchsige Vieh mit seinen stark ausgeprägten mütterlichen Instinkten. Auch das lebhafte Tiroler Weideschaf ist heute eher unbekannt. Trotz seines als besonders schmackhaft geltenden Fleisches und seiner ausgezeichneten Anpassungsfähigkeit an Bergregionen spielt es landwirtschaftlich kaum noch eine Rolle und ist stark gefährdet. Die heutigen Nutztiere sollen geltenden Ansprüchen gemäß nicht in die Landschaft passen, sondern in die Fabrik.
Der Einheitsbrei der Nutztierrassen, der durch Hochzüchtung entstanden ist, landet schließlich auf den Tellern und in den Mägen der Bevölkerung. Geschmackliche Vielfalt sucht man vergeblich im üppigen Fleischangebot der Supermärkte, ebenso vergeblich wie gute Qualität und ethisch und ökologisch vertretbare Zuchtbedingungen.
Haltungsfragen
Bis in die 1960er-Jahre pflegten die Bauern noch eine zumeist artgerechte Schweinehaltung. Weidefütterung, traditionelle Ställe. Die Erzeugung war an Qualität orientiert. Das Metzgerhandwerk blühte. Selbst Franzosen und Italiener bestaunten die Vielfalt und die Qualität der deutschen Wurst. Und heute, gut 40 Jahre später: Das Metzgerhandwerk stirbt aus, die Qualität von Fleisch und Wurst sinkt und sinkt. Kein Wunder: Ist doch die Schweinemast längst zu einer tierquälerischen, ethisch verwerflichen Angelegenheit geworden. Von 100 Tieren, die gegessen werden, haben 99 nicht wirklich gelebt. Sie wurden geboren, um in riesigen Hallen mit 10.000 und mehr Tieren dahinzuvegetieren, um möglichst schnell viel Gewicht auf ihre schwachen Rippen zu bekommen. 99 Prozent des in Deutschland verkauften Schweinefleisches entstammen der Turbomast. Das subventionierte, hoch profitable Gewerbe wird heute von wenigen multinational tätigen Firmen kontrolliert. Und was wirklich erstaunt: Normalerweise arbeiten Hersteller ständig an einer Verbesserung ihres Produkts – nur beim Fleisch nicht. Aromatisch saftiger Kochschinken? Kaum mehr im Angebot, dafür zusammengepappte Fasern, genannt Formschinken.
Früher feierten Schweine vor dem Schlachten noch ihren ersten Geburtstag, heute geht es nach fünf Monaten Turbomast in die Schlachtfabriken, in denen täglich 10.000 Schweine getötet, zersägt, zerlegt und abgepackt werden. Schweine sind zur reinen Handelsware verkommen. In Viehtransportern werden sie häufig über Hunderte Kilometer vom Zucht- zum Schlachtort gekarrt. In Deutschland werden mittlerweile drei Viertel aller hier geborenen Ferkel in Osteuropa geschlachtet. Und die Zustände während der Reise der Tiere schreien häufig zum Himmel: qualvolle Enge, drückende Hitze im Sommer, unerträglicher Durst. Gerade einmal 75 mal 100 Zentimeter stehen einem 90-Kilo-Schwein in der konventionellen Haltung zu. Man stelle sich einen Menschen vor, der auf einem knappen Quadratmeter leben, schlafen und gleich an Ort und Stelle seine Notdurft verrichten muss. Eine Tortur. Sie dürfen nur noch fressen und ausscheiden, fressen und ausscheiden. Suhlen, soziale Kontakte und Kommunikation – Fehlanzeige. Ihre Sinne verkümmern. Sie leiden unter ihrem Gewicht. Kreislaufschwäche, Muskel- und Gelenkerkrankungen sind die Folgen. Der Platznot und dem Stress folgen Krankheiten und der massenhafte Einsatz von Medikamenten. Der Haltungsstress führt dazu, dass die Schweine vermehrt Enzyme und Stoffwechselprodukte ausscheiden, die zu dem sogenannten PSE-Fleisch führen. Übersetzt: pale, soft, exudative (blass, weich, wässrig). Jeder Koch kennt das Phänomen, wenn sich das Schnitzel in der Pfanne zusammenzieht, nach dem Braten nur noch die Hälfte seiner ursprünglichen Größe hat. Das Fleisch ist zäh und trocken. Nussigen Eigengeschmack, der gutes Schweinefleisch auszeichnet, sucht man vergebens. Und für solch minderwertiges Fleisch quälen wir unsere Schweine? Grausam und absurd! Würden wir unsere Hunde und Katzen so halten wie unsere Schweine, die Nation würde auf die Barrikaden gehen.
Treue Begleiter
Seit langer Zeit begleiten Nutztiere den Menschen in seinem Alltag und stillen seine grundlegenden Bedürfnisse. Das früher weitverbreitete Hausschwein war ein beliebter Fleischlieferant, das Geflügel legte wertvolle Eier. Rinder versorgten ihre Besitzer mit Milch, Fleisch und Leder, das Schaf wärmte sie als lebende Wollfabrik. Schon in der Jungsteinzeit begannen unsere Vorfahren, junge Wildtiere zu fangen, um sie auf den Menschen zu prägen und dann zu züchten. Belegt ist, dass es 8000 bis 9000 vor Christus die ersten von Menschen gezähmten Haustiere gab. Die Vorteile für unsere Ahnen waren überzeugend. Als Jäger und Sammler waren sie essenziell vom Jagderfolg abhängig. Schrumpften die Bestände der Wildtiere oder zogen sie in andere Gebiete, musste der Mensch hinterherziehen. Während des Übergangs zum sesshaften Menschen und zum Ackerbauern machte man sich dann zunehmend unabhängig vom aufwendigen Jagen und hielt sich die Tiere da, wo man auch lebte. Dieser Schritt war entscheidend für den weiteren gesellschaftlichen Fortschritt. Die gesicherte Verfügbarkeit von tierischen Eiweißen war eine der Grundlagen, um die Produktivität des Menschen zu steigern, und ermöglichte das Wachstum der urzeitlichen Gesellschaften. Dörfer, Städte und Staaten konnten entstehen, eine Entwicklung in der Menschheitsgeschichte, die ohne die kulturelle Leistung der Tierhaltung so nicht möglich gewesen wäre. Unseren Vorfahren nutzten etwa 20 unterschiedliche Wildtierarten, die zur Haltung am und im Haus geeignet waren. Im Lauf der Zeit entwickelten sich auf dieser Basis rund 7.600 Haustierrassen, die, bedingt durch ihre genetische Vielfalt, an die verschiedenen regionalen Gegebenheiten gut angepasst waren.
Diese bunte Rassenlandschaft, die sich aus guten Gründen entwickelt hatte, befindet sich seit Jahrzehnten im Niedergang. Bereits im 19. Jahrhundert standen die quantitativen Merkmale der Nutztiere hoch im Kurs, in der Folge verbreiteten sich besonders die großen, als wirtschaftlich wertvoll erachteten Rassen. Spätestens die strukturellen Veränderungen in der Landwirtschaft in den 50er-Jahren besiegelten für viele Traditionsrassen das wirtschaftliche Aus. Die Betreiber der Zuchtbetriebe entwickelten sich vom Bauern zum Fleischproduzenten, für regionale Besonderheiten einzelner Rassen gab es zunehmend keine Verwendung mehr. Mit den Jahren sank die Zahl der Züchter. Mittlerweile sind es nur noch wenige Riesenkonzerne, die einen Großteil des Marktes bedienen, ohne nennenswerte genetische Vielfalt. Dass die Fleisch produzierende Industrie, ein Milliardengeschäft, mittlerweile auf einige wenige Rassen setzt, ist rein ökonomisch begründet. Hochgezüchtete Tiere, die einen schnellen Fleischzuwachs garantieren, haben ihre weniger ertragreichen Artgenossen aus den landwirtschaftlichen Betrieben verdrängt. Die Ausschöpfung der züchterischen Möglichkeiten auf ein moralisch fragwürdiges Maß treibt das Aussterben alter Nutztierrassen weiter voran.
Der Markt bietet, was der Verbraucher verlangt, so wird es zumindest behauptet. Dem durchschnittlichen Konsumenten liegt in der Regel eher der niedrige Preis am Herzen als die Biodiversität, also die genetische Vielfalt der konsumierten Tiere. Gewünscht ist nicht, was schmeckt, sondern was billig und in großer Menge zu bekommen ist. Turbozuchtbetriebe, in denen ein Schwein nach nicht einmal einem halben Jahr zur Schlachtbank geführt wird, haben mit lebenswerter Aufzucht nichts mehr zu tun. Wenn Nutztiere auf engstem Raum zusammengedrängt und mit Medikamenten am Leben gehalten werden und dabei von naturbelassenem Futter nur träumen können, ist geschmackliche Vielfalt nicht zu erwarten. Aber da der Verzehr von Fleisch das Alltägliche und nicht das Besondere ist, muss dauerhaft für schnellen Nachschub gesorgt werden.
Die Vorteile regionaler Rassen
Und trotzdem gibt es sie noch, die seltenen Vertreter der traditionellen und ursprünglichen Nutztierrassen. Von der Öffentlichkeit nur am Rande wahrgenommen, nehmen die Versuche zu, alte Rassen zu schützen und zu erhalten. Von der Europäischen Union über verschiedene nationale Organisationen bis hin zu lokalen Vereinen werden immer mehr Anstrengungen unternommen, um ein weiteres Aussterben zu verhindern und die Artenvielfalt zu erhalten. Die Gründe für ein Engagement sind vielfältig: wissenschaftliches Interesse, die Bewahrung regionaler Besonderheiten oder die Leidenschaft für ein leckeres Stück Fleisch abseits der Industrieware. Aber warum lohnt sich der Einsatz für die Erhaltung des Rotbunten Niederrinds? Wäre die Welt ohne das Schwäbisch Hällische Schwein ärmer? Welche Vorteile bringt dem Verbraucher die Rettung der Weißen gehörnten Heidschnucke? Ist das Federfüßige Zwerghuhn so einzigartig, dass der Erhalt der Rasse die Bemühungen rechtfertigt?
Die Antwort ist schlicht und einfach: Ja. Der Erhalt der Artenvielfalt hat viele wichtige Aspekte. Die lange gemeinsame Geschichte von Mensch und Haustier ist einer davon. Es ist eine menschliche Kulturleistung, dass sich in den unterschiedlichsten geografischen Gebieten jeweils die ideale Rasse angesiedelt hat. So hält es außer der Moorschnucke wohl kaum eine Schafrasse lange in den unwirtlichen Mooren aus. Die optimale Anpassung der Tiere an ihre jeweilige Umgebung repräsentiert in besonderem Maße kulturelle Identität. Rinder und Pferde wurden vor der Verbreitung von Landmaschinen über Jahrhunderte hinweg auch zur Arbeit genutzt. Ist das Haustier nicht nur Lieferant von Lebensmitteln und Bedarfsprodukten, sondern zugleich Arbeitsgerät und Begleiter durch lange Arbeitstage, stellt sich zwangsläufig eine Bindung ein. Das Zusammenleben von Mensch und Tier ist also oft mit Emotionen verknüpft, das Tier ist keine Ware, sondern Mitgeschöpf. Diese Empfindungen verschiedenen Rassen und Tieren gegenüber mögen sich nicht rein der Logik wirtschaftlicher Interessen unterordnen, dennoch sind sie ein nicht zu unterschätzender Aspekt der Identifikation mit der eigenen Region und Heimat.
Zukünftige Probleme
Der Verlust der Biodiversität kann zu unvorhersehbaren Problemen führen, ihr Erhalt ist daher entscheidend für die Zukunft der Landwirtschaft. Die Verengung auf wenige Rassen in der Tierhaltung birgt Risiken, besonders im Hinblick auf bislang unbekannte Tierseuchen und -krankheiten. Dass einzelne Rassen unterschiedliche Resistenzen gegenüber Krankheiten aufweisen, ist bekannt. So sind die überwiegend genutzten Hochleistungsrassen erheblich anfälliger für Parasiten als die alten Landrassen. Die Tiere der hochtechnisierten Mastbetriebe weisen eine erheblich kürzere Lebenserwartung auf, ihre Fruchtbarkeit ist eingeschränkt, und viele wären außerhalb der von Menschen geschaffenen Lebensräume nicht lebensfähig. Ihre ursprünglicheren Artgenossen hingegen sind zumeist widerstandsfähig und robust. Zwar sind viele von ihnen im Wuchs kleiner und bringen weniger Gewicht auf die Waage, geben oft weniger Milch und erreichen später die Schlachtreife, dafür sind sie perfekt an ihre Lebensräume angepasst und liefern Fleisch von höchster Qualität. Die jahrhundertelange Anpassung an klimatische Verhältnisse hat sie perfekt auf die jeweiligen Regionen zugeschnitten. Ob vorwiegend niedrige oder hohe Temperaturen, alle Klimazonen haben ihre Bewohner gefunden. Die alten Nutztierrassen eignen sich im besonderen Maß für die alternative landwirtschaftliche Nutzung. Gerade im Bezug auf eine ökologisch korrekte und nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen haben sie schon heute die Nase vorn. Die Hochleistungszuchtrassen der Industriebetriebe hingegen verbringen ihr kurzes Leben in beheizten Ställen. Das ist nicht nur unnatürlich, sondern auch noch kosten- und energieintensiv und damit schlecht für die Umwelt. Alte Rassen kommen zudem erheblich besser mit energieärmerem Futter zurecht. Eine spezielle Nahrung ist nicht nötig, sie fressen, was die natürliche Umgebung hergibt. Ihre Anspruchslosigkeit bietet ein hohes Potenzial an Möglichkeiten, wie den kommenden Herausforderungen für Landwirtschaft und Tierproduktion zu begegnen sein wird. Daher ist es wichtig, die genetische Vielfalt zu bewahren und zu pflegen.
Doch nicht nur die höhere Widerstandsfähigkeit gegenüber Umwelteinflüssen und Krankheiten könnte die alten Rassen wieder für die vermehrte Zucht attraktiv werden lassen. Ähnlich wie Musik oder Kleidung sind auch unsere Ernährungsgewohnheiten bestimmten Trends unterworfen und folgen wechselnden Modeerscheinungen. Viele Leistungsmerkmale der traditionellen Haustierrassen sind bis jetzt unerkannt oder schon wieder in Vergessenheit geraten. Was heute als »unmodern« gilt, kann morgen schon wieder im Trend sein. So feierte beispielsweise das Finnische Landschaf ein unerwartetes Comeback. Nachdem die Population von über eine Million Individuen im Jahr 1950 auf rund 150.000 Tiere im Jahr 1967 zurückgegangen war, wurde entdeckt, wie robust und außerordentlich fruchtbar das Schaf ist. Die Population ist mittlerweile wieder stark angestiegen.
Esst, was Ihr schützen wollt
Dass auch die Verbraucheransprüche zu einem gesteigerten Interesse der Fleisch produzierenden Industrie an alten Rassen führen könnte, zeigt sich seit einigen Jahren. Immer mehr Verbraucher wollen genauer wissen, was sie essen, und legen vermehrt Wert auf die Art und Weise der Züchtung und Haltung der Tiere. Konnten viele alte Rassen den ökonomischen Anforderungen aufgrund rein quantitativer Nachteile nicht entsprechen oder waren sie schlicht aus der Mode gekommen, setzt mittlerweile ein Umdenken ein, das neue Möglichkeiten landwirtschaftlicher Nutzung bietet. Eine regional geprägte Küche, die sich im Einklang mit den Jahreszeiten und den örtlichen Gegebenheiten aus ökologisch unverfälschten Produkten zusammensetzt, wird für eine zunehmende Anzahl von Verbrauchern interessant. Sie möchten nicht mehr nur konsumieren, was die Industrie ihnen vorsetzt, sondern sich der artgerechten Tierhaltung, der nachhaltigen Erzeugung und des vernünftigen Umgangs mit natürlichen Ressourcen sicher sein. Diese wieder zunehmend gewünschte Art der bäuerlichen Landwirtschaft bietet gerade in Bezug auf die alten Nutztierrassen großes Potenzial. Die geschmacklichen Unterschiede zur Industrieware sind groß, die Qualität der alten Rassen macht das Essen wieder zum Genuss. Auch die nachhaltige Nutzung ökologisch schützenswerter Flächen ist mit den alteingesessenen Tieren möglich. Sie fressen die vorhandenen Pflanzen und sind nicht auf Nahrungsergänzungsmittel angewiesen. Zugleich leisten sie durch die ganzjährige Beweidung einen wichtigen Beitrag zur Landschaftspflege und zum Erhalt bedrohter Flächen, Pflanzen und Insekten.
Die traditionelle Ansiedlung in Nischengebieten bietet so die Möglichkeit einer günstigen Haltung der Tiere und macht sie zu einer vernünftigen Alternative zur konventionellen Zucht. Die alten Rassen wirtschaftlich zu nutzen ist die Voraussetzung zum dauerhaften Erhalt der genetischen Vielfalt. Maßnahmen, die nur das Erbmaterial sichern, etwa in Form tiefgefrorener Spermien und Embryonen, sind grundsätzlich sinnvoll, jedoch nur als unterstützende Schritte geeignet. Nur wenn es gelingt, die Aufmerksamkeit der Verbraucher auf die Vorteile der alten Nutztierrassen zu lenken und einen Markt für sie zu schaffen, haben sie eine wirkliche Chance zu überleben. Denn erst wenn die Nachfrage groß genug ist, um eine sichere wirtschaftliche Existenz aufbauen zu können, können wieder ausreichende Bestände entstehen. Daher ist der gezielte Konsum bedrohter Nutztiere ein guter Ansatz zu ihrer Rettung nach dem Motto: »Esst, was Ihr schützen wollt!« Belohnt werden wir mit geschmackvollem Fleisch und gehaltvoller Milch und nicht zuletzt mit attraktiver Lebensvielfalt. Was wollen wir mehr?