Warum Architektur
keine Kunst ist
Adolf Loos
Warum
Architektur
keine
Kunst ist
Fundamentales über
scheinbar Funktionales
metroverlag
Mit freundlicher Unterstützung der Kulturabteilung der Stadt Wien, Literaturreferat |
Herausgegeben von Peter Stuiber.
Die Orthografie wurde gemäß den Regeln
der alten Rechtschreibung vereinheitlicht.
© 2009 Metroverlag
verlagsbüro w. gmbh
info@metroverlag.at
Alle Rechte vorbehalten
Gesamtherstellung: Druckerei Theiss GmbH, St. Stefan i. Lavanttal
Printed in the EU
ISBN 978-3-902517-79-1
Inhalt
Die Potemkin’sche Stadt
Wiener Architekturfragen
Unsere jungen Architekten
Die alte und die neue Richtung in der Baukunst
Die Baumaterialien
Ornament und Verbrechen
Architektur
Mein erstes Haus!
Mein Haus am Michaelerplatz
Otto Wagner
Regeln für den, der in den Bergen baut
Konfiskation der Schlösser
Adolf Loos über Josef Hoffmann
Die Potemkin’sche Stadt
Wer kennt sie nicht, die Potemkin’schen Dörfer, die der schlaue Günstling Katharinas in der Ukraine erbaut hatte? Dörfer aus Leinwand und Pappe, Dörfer, die die Aufgabe hatten, eine Einöde für die Augen Ihrer kaiserlichen Majestät in eine blühende Landschaft zu verwandeln. Aber eine ganze Stadt soll der schlaue Minister gar fertig gebracht haben?
Das ist wohl auch nur in Russland möglich!
Die Potemkin’sche Stadt, von der ich hier sprechen will, ist unser liebes Wien selber. Eine schwere Anklage, deren Beweis mir wohl auch schwer gelingen wird. Denn ich brauche dazu Hörer von so sensitivem Rechtsgefühl, wie sie in unserer Stadt leider noch recht spärlich zu finden sind.
Wer sich für etwas Höheres ausgibt, als er ist, ist ein Hochstapler und verfällt auch dann der allgemeinen Verachtung, wenn niemand dadurch geschädigt wurde. Wenn aber jemand diesen Effekt durch falsche Steine und andere Imitationen zu erreichen sucht? Es gibt Länder, wo ihm das gleiche Schicksal zuteil werden würde. In Wien ist man aber noch nicht so weit. Nur ein kleiner Kreis hat das Gefühl, daß hier eine unmoralische Handlung, ein Schwindel vorliegt. Und diesen Effekt sucht man nicht nur durch die falsche Uhrkette, nicht nur durch die Wohnungseinrichtung, die sich aus lauter Imitationen zusammensetzt, sondern auch durch die Wohnung, durch das Wohngebäude zu erreichen.
Wenn ich den Ring entlang schlendere, so ist es mir immer, als hätte ein moderner Potemkin die Aufgabe erfüllen wollen, jemandem den Glauben beizubringen, als würde er in eine Stadt von lauter Nobili versetzt.
Was immer auch das renaissierte Italien an Herren-Palästen hervorgebracht hat, wurde geplündert, um Ihrer Majestät der Plebs ein Neu-Wien vorzuzaubern, das nur von Leuten bewohnt werden könnte, die imstande wären, einen ganzen Palast vom Sockel bis zum Hauptgesims allein innezuhaben. Im Parterre die Stallungen, im niedrigen, untergeordneten Mezzanin die Dienerschaft, im hohen, architektonisch reich durchgebildeten ersten Stockwerke die Festräume und darüber die Wohn- und Schlafräume. Einen solchen Palast zu besitzen, gefiel den Wiener Hausherren gar wohl, in einem solchen Palast zu wohnen, gefiel auch dem Mieter. Dem einfachen Mann, der auch nur das Zimmer und Kabinett im letzten Stockwerke gemietet hatte, überkam auch etwas von feudaler Pracht und Herrengröße, wenn er sein Wohngebäude von außen betrachtete. Liebäugelt nicht auch der Besitzer eines falschen Brillanten mit dem glitzernden Glase? O, über den betrogenen Betrüger!
Man wird mir einwenden, daß ich den Wienern falsche Absichten unterschiebe. Die Architekten sind schuld daran, die Architekten hätten nicht so bauen sollen. Ich muß die Baukünstler in Schutz nehmen. Denn jede Stadt hat jene Architekten, die sie verdient. Angebot und Nachfrage regulieren die Bauformen. Derjenige, der dem Wunsch der Bevölkerung am meisten entspricht, wird am meisten zu bauen haben. Und der Tüchtigste wird vielleicht, ohne je einen Auftrag erhalten zu haben, aus dem Leben scheiden. Die anderen aber machen Schule. Man baut dann so, weil man’s eben gewohnt ist. Und man muß so bauen. Der Häuserspekulant würde am liebsten die Fassade glatt von oben bis unten putzen lassen. Das kostet am wenigsten. Und dabei würde er auch am wahrsten, am richtigsten, am künstlerischesten handeln. Aber die Leute würden das Haus nicht beziehen wollen. Der Vermietbarkeit wegen ist der Bauherr gezwungen, diese, und gerade nur diese Fassade anzunageln.
Jawohl, anzunageln! Denn diese Renaissance- und Barockpaläste sind nicht einmal aus dem Material, aus dem sie hergestellt erscheinen. Bald geben sie vor, aus Stein, wie die römischen und toskanischen Paläste, bald aus Stuck, wie die Wiener Barockbauten, gebaut zu sein. Sie sind keines von beiden: Ihre ornamentalen Details, ihre Konsolen, Fruchtkränze, Kartuschen und Zahnschnitte sind angenagelter Zementguß. Gewiss hat auch diese Technik, die erst in diesem Jahrhunderte in Anwendung kommt, ihre volle Berechtigung. Aber es geht doch nicht an, dieselbe auf Formen, deren Entstehung mit der Beschaffenheit eines bestimmten Materials eng verknüpft sind, nur deswegen anzuwenden, weil ihrer Anwendung keine technischen Schwierigkeiten im Wege stehen. Aufgabe des Künstlers wäre es nun gewesen, für das neue Material eine neue Formensprache zu finden. Alles andere ist Imitation.
Darauf kam es dem Wiener der letzten Bauepochen auch gar nicht an. Ihn freute es sogar, mit so geringen Mitteln das teuere Material, das als Vorbild diente, nachahmen zu können. Als echter Parvenu glaubte er, daß die anderen den Schwindel nicht merkten. Das glaubt der Parvenu immer. Von der falschen Hemdbrust, dem falschen Pelzwerk, von all den imitierten Dingen, mit denen er sich umgibt, glaubt er sicher, daß sie ihren Zweck vollständig erfüllen. Allein diejenigen, die über ihm stehen, diejenigen, die dieses Parvenu-Stadium schon überwunden haben, die Wissenden also, sie lächeln über die nutzlosen Anstrengungen. Und mit der Zeit gehen auch dem Parvenu die Augen auf. Bald sieht er dieses, bald jenes bei seinen Freunden, das er früher noch für echt gehalten. Dann gibt er’s resigniert auch auf.
Armut ist keine Schande. Nicht jeder kann in einem feudalen Herrensitz auf die Welt gekommen sein. Aber seinen Mitmenschen derartiges vorzuspiegeln, ist lächerlich, ist unmoralisch. Schämen wir uns doch nicht der Tatsache, in einem Hause mit vielen anderen, uns sozial gleichstehenden Menschen zur Miete zu wohnen. Schämen wir uns doch nicht der Tatsache, daß es Stoffe gibt, die uns als Baumaterial zu teuer wären. Schämen wir uns doch nicht der Tatsache, Menschen aus dem 19. Jahrhundert zu sein, und nicht solche, die in einem Hause wohnen wollen, das seiner Bauart nach einer früheren Zeit angehört. Ihr würdet dann sehen, wie schnell wir den unserer Zeit ureigenen Baustil erhalten würden. Den haben wir auch so wie so, wird man einwenden. Ich meine aber einen Baustil, den wir mit gutem Gewissen an die Nachwelt überliefern könnten, auf den noch in der fernen Zukunft mit Stolz hingewiesen würde. Diesen Baustil aber hat man in unserem Jahrhundert in Wien nicht gefunden. Ob man aus Leinwand, Pappe und Farbe Holzhütten darzustellen sucht, in denen glückliche Bauern leben, oder aus Ziegel und Zementguß Steinpaläste errichtet, in denen feudale Großherren ihren Sitz haben könnten, im Prinzip bleibt es das Gleiche. Über der Wiener Architektur dieses Jahrhunderts schwebte der Geist Potemkins.
Wiener Architekturfragen
Es ist etwas Eigenes um den Baucharakter einer Stadt. Jede hat ihren eigenen. Was für eine Stadt schön und reizvoll, kann für eine andere häßlich und abscheulich sein. Die Danziger Ziegelrohbauten verlieren sofort ihre ganze Schönheit, wenn man sie in den Wiener Boden versetzen würde. Man spreche hier nicht von der Macht der Gewohnheit. Denn es hat ganz bestimmte Gründe, warum Danzig eine Ziegelrohbau- und Wien eine Kalkputzstadt ist.
Ich will die Gründe hier nicht besprechen, würde doch der Beweis ein ganzes Buch füllen. Aber nicht nur das Material, auch die Bauformen sind an den Ort, an den Grund und an die Luft gebunden. Danzig hat hohe und steile Dächer. Die architektonische Lösung dieser Dächer füllte den ganzen Erfindungstrieb der Danziger Baukünstler aus. Anders in Wien. Auch Wien hat Dächer. Aber unsere Baukünstler haben das Dach ignoriert. Wenn man um den Johannestag herum noch bei Nacht auf der Straße ist und diese bei hellem Morgenlichte menschenleer vor einem liegt, da glaubt man eine neue Stadt zu durchwandern. Wir brauchen nicht mehr auf Passanten, Wagen und Automobile Rücksicht zu nehmen und wir stehen erstaunt vor einer Fülle von Details, die uns der Tag vorenthalten hat. Und da sehen wir die Wiener Dächer, sehen sie zum ersten Male und wundern uns, wie wir sie bei Tage übersehen konnten.
Aber die Wiener Architekten überließen das Dach ganz dem Zimmermann. Mit dem Hauptgesimse war die Arbeit abgeschlossen. Paläste erhielten wohl eine Attika und Vasen und Figuren darauf. Der Bürger verzichtete auch auf diese.
Fünf Minuten von Wien, nach Überschreitung des Glacis, des heutigen Ringes, gab es „das Dach“. Dieselben Architekten, die in Wien keine Dächer zeichneten, waren voll Geist und Erfindung, wenn es sich um die Dächer und Kuppeln eines Hauses oder Palastes in der Vorstadt handelte. Ich zeige dies nur auf, um zu beweisen, daß die alten Wiener Baukünstler den Baucharakter eines Ortes ins Kalkül zogen und bewußt alles vermieden, diesen zu stören.
Ich klage unsere heutigen Architekten an, daß sie bewußt dem Baucharakter nicht Rechnung tragen. Doch der Bau der Ringstraße hat sich der Stadt angepaßt. Wenn aber die Ringstraße heute gebaut werden würde, hätten wir heute keine Ringstraße, sondern eine architektonische Katastrophe.
Wenn ich von der Oper nach dem Schwarzenbergplatz blicke, so habe ich das volle Gefühl: Ringstraße! Das Gefühl: Wien! Aber am Stubenring habe ich das Gefühl: Fünfstöckiges Mährisch-Ostrau.
Sind vielleicht die Bauten des Stubenrings schlecht? Oder die des Kärntnerrings gut? Keines von beiden. Es gibt gute und schlechte Bauten hier und dort, Bauten von Künstlern und Banausen. Aber Künstler und Banausen am Kärntnerring haben dem Wiener Baucharakter Rechnung getragen, während beide am Stubenring nie an ihn dachten.
Wienerisch ist der gerade Gesimsabschluß, ohne Dächer, Kuppel, Erker und andere Aufbauten. Das Baugesetz spricht von einer Höhe von 25 Metern bis zur Oberkante des Hauptgesimses. Aber das Dach soll ausgenützt werden und Ateliers und andere vermietbare Räume beherbergen. Denn der Grund kostet viel Geld und die Steuern sind hoch. Und des Geldpunktes wegen ging der alte Wiener Baucharakter verloren. Ich wüßte schon ein Mittel, wie wir ihn wieder gewinnen könnten. Beileibe nicht mit neuen Gesetzen, die dem Haus und Grundbesitzer Rechte nehmen würden. Beileibe nicht nach dem beliebten Grundsatze: Gleiches Unrecht für alle. Sondern: Wer sich verpflichtet, über sein Hauptgesims nichts, aber auch gar nichts aufzubauen, dem werden sechs Stockwerke bewilligt. Denn lieber ein ehrlich hohes Haus als solche mit Dachungetümen, die im sogenannten Belehnungstil gebaut sind. Wir hätten dann wieder schöne monumentale Linien und große Verhältnisse, wir, zu denen seit Jahrhunderten italienische Luft über die Alpen weht, italienische Größe und Monumentalität, Dinge, die in unseren Nerven liegen und um die uns die Menschen in Danzig mit Recht beneiden können.
Und dann haben wir den Kalkverputz. Man sieht ihn über die Achsel an und begann sich seiner in einer materialistischen Zeit zu schämen. Da wurde der alte gute Wiener Verputz mißhandelt und prostituiert, durfte nicht mehr sagen, wer und was er ist, und wurde dazu benützt, Stein zu imitieren. Denn Stein ist teuer und er ist billig. Aber in der Welt gibt es keine teuren und billigen Materialien. Bei uns ist die Luft billig und am Mond teuer. Gott und dem Künstler sind alle Materialien gleich und wertvoll. Und ich bin dafür, daß sich die Menschen die Welt mit Gottes- und Künstleraugen betrachten sollten.
Der Kalkverputz ist eine Haut. Der Stein ist konstruktiv. Trotz ihrer ähnlichen chemischen Zusammensetzung ist zwischen ihnen der größte Unterschied bei ihrer künstlerischen Verwendung. Der Kalkverputz hat mit Leder, Tapeten, Wandstoffen und Lackfarben mehr Ähnlichkeit, wie mit seinem Vetter, dem Kalkstein. Wenn sich der Kalkverputz ehrlich als Überzug des Ziegelmauerwerkes gibt, hat er sich seiner einfachen Abkunft ebensowenig zu schämen, wie der Tiroler mit Lederhosen und nackten Knien in der Kaiserburg. Ziehen aber beide Frack und weiße Binde an, so wird sich der Mann dort unsicher fühlen und der Kalkverputz wird plötzlich gewahr werden, daß er ein Hochstapler ist.
Die Kaiserburg! Ihre Nähe allein schon ist ein Prüfstein für echt und unecht. Leuten mit unsicherem Geschmack gebe ich immer einen guten Rat. Wenn man wissen will, ob ein Gegenstand gut oder schlecht ist, frage man sich: Würde dieser Gegenstand in die Burg passen oder nicht. Das ist die Feuerprobe. Anscheinend geschmackvolle Sachen, wie die Erzeugnisse der Kopenhagener Porzellanindustrie, Galeesgläser und die Erzeugnisse der Wiener Werkstätte können diese Probe nicht bestehen, während die größten Geschmacklosigkeiten, wie der auf Blech gemalte, aufwartende Pintscher, der für die Feuerzange und Schüreisen dient, gut weg kommen. Aber der Blechpintscher hat recht und die Kopenhagener Katze unrecht.