Der auf die Pferde hört – 20 Jahre später
Wie Pferde fühlen
Aus der Sicht des Pferdes
Ursachen für Probleme
Schwer lösbare Fälle
Probleme am Boden
Pferde, die sich nicht einfangen lassen
Gehorsam am Boden
Die Beine aufnehmen
Kopfscheue Pferde
Pferde verladen
Probleme beim Reiten
Pferde, die nicht ruhig stehen
Pferde, die scheuen
Pferde, die durchgehen
Pferde, die mit dem Kopf schlagen
Die Pferde als Lehrmeister
Danksagung
Zum Weiterlesen
Für meine Frau Wendy,
meine Tochter Lindsey und meine
Söhne Tyler und Aaron.
Ich danke Euch!
Es scheint erst gestern gewesen zu sein, dass „Der auf die Pferde hört“ das erste Mal als Buch erschien. Zu der Zeit war ich zeitweise im Raum Colorado unterwegs, um Reitstunden zu geben, Jungpferde einzureiten und Leuten bei ihren Problemen mit ihren Pferden zu helfen. Den anderen Teil meiner Zeit arbeitete ich auf einer örtlichen Gäste-Ranch als eine Art Berater, um deren Pferdeprogramm zu verbessern. Ein Buch zu schreiben kam mir damals nicht in den Sinn.
Doch dann bat mich eines Tages eine Reitschülerin, ein Pferd zu beurteilen, das sie und ihr Mann verkaufen wollten. Keiner der beiden kam so richtig mit dem Pferd klar, sodass sie beschlossen hatten, dem Tier ein neues Zuhause zu suchen. Sie wussten aber nicht, wie viel Geld sie verlangen konnten. Also bin ich eines Abends im Sommer 1992 zu ihnen rübergefahren. Dort traf ich einen großen Palomino Wallach an, der sich weder gerne einfangen ließ, noch es mochte, wenn man ihn bürstete, sattelte, aufzäumte oder ritt. Auf den ersten Blick erschienen die Probleme unüberwindbar. Aber nachdem ich einige Zeit mit dem Pferd und seinen Besitzern verbracht hatte, stellte sich schnell heraus, dass es sich bei den Problemen eher um eine Serie von Missverständnissen handelte als um ein reines Fehlverhalten von Seiten des Pferdes. Mit ein paar Korrekturen auf beiden Seiten und innerhalb einer recht kurzen Zeit kamen alle drei viel besser miteinander klar, sodass das Ehepaar sich sogar ganz gegen einen Verkauf des Pferdes entschied. Es war mir damals kaum bewusst, aber dieser Abend gab meinem Leben eine neue Richtung, die ich nie für möglich gehalten hätte.
Es stellte sich heraus, dass der Ehemann Lektor in einem Verlag war. Nachdem er die besonnene Art mitbekommen hatte, wie ich mit seinem Pferd gearbeitet hatte, fragte er mich, ob ich schon einmal daran gedacht hatte, ein Buch über meine Arbeit mit Pferden zu schreiben. Ich sagte ihm, dass ich das noch nicht getan hätte und nahm an, dass nichts weiter folgen würde. Aber eines Abends ein paar Wochen später rief er an und fragte noch einmal, ob ich daran interessiert wäre, ein Buch zu schreiben. Während unseres Gesprächs überlegte ich mir, dass manche Gelegenheiten nicht oft kämen. Gefragt zu werden, ob man ein Buch schreiben möchte, schien mir eine davon zu sein. So wurde in dieser Nacht nach einem zweistündigen Telefongespräch die Idee für dieses Buch geboren.
Ein knappes Jahr später kam das Buch in den Druck und wie jeder neue Autor freute ich mich sehr darauf, das fertige Produkt zu sehen. Zunächst einmal war ich etwas überrascht, dass es mir schwer fiel, das Buch zu lesen. Erst verstand ich den Grund dafür nicht, aber je mehr ich mich damit beschäftigte, desto klarer wurde mir, dass ich ja nicht nur die Geschichten in dem Buch selbst durchlebt hatte, sondern sie auch niedergeschrieben und bis zum Druck mehrmals durchgelesen hatte. Als das Buch dann endlich erschien, wollte ich es nicht noch einmal lesen. Das wäre so, als ob ich in der Vergangenheit verhaftet bleiben würde, was mir nicht guttat. Um als Persönlichkeit und als Pferdemensch weiter zu wachsen, musste ich mich weiterbewegen, deshalb beschäftigte ich mich beinahe 20 Jahre lang nicht mehr mit dem Buch.
Interessanterweise nahmen in diesen 20 Jahren zahllose Menschen von überall auf der Welt Kontakt zu mir auf, sandten Briefe, E-Mails, riefen mich an oder besuchten Kurse bei mir und erzählten mir, wie viel ihnen mein Buch bedeutete oder wie sehr es ihnen im Umgang mit ihren Pferden geholfen hatte. Da waren Leute dabei, die fast wörtlich einzelne Kapitel rezitieren konnten und mir erzählten, wie sehr sie an einigen Stellen gelacht hätten und wo sie zu Tränen gerührt waren. Bei allem hatte ich das quälende Gefühl im Hinterkopf, dass die Informationen, die ich versucht hatte, mit diesem Buch weiterzugeben, nicht mehr ganz auf Höhe der Zeit waren. Ich stellte fest, dass ich manche Dinge aus dem Buch inzwischen anders sah, anders handhabte und einige Dinge sogar gar nicht mehr umsetzte.
Dann erhielt ich vor ein paar Jahren einen Brief eines zwölfjährigen Mädchens, das mir erzählte, wie viel ihr mein Buch bedeutete und wie sehr es ihr in der Beziehung zu ihren Pferden geholfen hätte. Sie sagte, dass sie ihre Pferde lange schlecht behandelt hätte und sie das gar nicht gewusst hatte, bis sie mein Buch las. Weiter sagte sie, dass sie seit dem Lesen des Buches nicht nur ihre eigenen Pferde mit mehr Verständnis und Freundlichkeit behandelte, sondern auch jedes andere Pferd, mit dem sie in Kontakt kam. Der Umgang mit Pferden mache ihr jetzt wieder Spaß – davor hasste sie ihn fast schon.
Daraufhin betrachtete ich dieses kleine Buch mit anderen Augen. Auch wenn ich einige Dinge inzwischen anders sah und ein wenig anders anpackte, so war doch der Inhalt nach wie vor aktuell. Ich begann zu verstehen, dass das Buch eine Momentaufnahme davon darstellt, wo ich zum Zeitpunkt des Verfassens in meinem Leben und als Pferdetrainer stand. Während ich mich immer weiterentwickele, gab es doch Menschen, die von den Erzählungen profitierten, die ich auf den Seiten des Buches vor all diesen Jahren teilen wollte. Schließlich realisierte ich, dass dieses Buch vielen Leuten und Pferden auf der ganzen Welt geholfen hatte und außerdem der Startschuss für eine annähernd 20 Jahre andauernde schriftstellerische Tätigkeit geworden war.
Im Jahr 2005 wurde der Verlag, mit dem ich so viele Jahre lang eng zusammengearbeitet hatte, von einem viel größeren Unternehmen übernommen. Obwohl sich alle meine Bücher nach wie vor gut verkauften, beschloss das Mutterunternehmen, die Bücher nicht mehr nachzudrucken. Als der Verlag Skyhorse Publishing davon hörte, erwarb er schnell die Rechte an meinen Büchern und plante gemeinsam mit mir Neuausgaben mit Aktualisierungen und Textergänzungen.
Als ich dieses vorliegende Buch auf der Suche nach Stellen zum Ergänzen oder Ändern durcharbeitete, kam es mir wie ein Treffen mit einem alten Freund vor, den ich zwanzig Jahre nicht gesehen hatte. Die Menschen, Orte und Pferde sprangen mich aus den Seiten an und wurden wieder lebendig. Während es tatsächlich Dinge gibt, die ich heute ergänzen oder über die ich jetzt anders reden würde, konnte ich es nicht über mich bringen, etwas an dem alten Text zu verändern. Ich habe schon erwähnt, dass für mich dieses Buch wie eine Momentaufnahme aus meinem Leben ist. Darum kommen mir Änderungen am Text wie ein nachträgliches Bearbeiten eines alten Bildes mit Photoshop vor: Das Foto mag danach besser oder anders aussehen, aber es ist nicht mehr das Original. Also entschied ich mich, anstatt den Originaltext zu verändern oder zu ergänzen, dafür, alle Änderungen, Ergänzungen oder andere Gedanken, die ich zu dem Text von 1992 hatte, jeweils am Ende eines Kapitels anzufügen. Sie werden feststellen, dass einigen Kapiteln wenig Text hinzugefügt wurde, bei anderen Kapiteln hatte ich mehr zu schreiben. Bitte bedenken Sie, dass keine der Ergänzungen oder Kommentare als Darstellung darüber zu verstehen sind, wie ich die Dinge heute anpacke. Meine nachfolgenden Bücher enthalten diese Information bereits.
Wie ich schon erwähnt habe, fühlte ich damals wie auch heute noch, dass die Möglichkeit, dieses Buch zu schreiben, eine einzigartige Gelegenheit war. Nicht viele Menschen werden jemals gebeten, ein Buch zu schreiben, und noch weniger Leute dürfen dann 20 Jahre später Ergänzungen anfügen. Ich schätze mich glücklich, dass ich beides tun durfte, und es ist für mich ein Privileg und eine Ehre, diese Möglichkeiten bekommen zu haben. Ihnen, den Lesern, habe ich dafür zu danken.
Wie man sich sicher vorstellen kann, habe ich die Erstausgabe 1992 mit meinem Herzblut geschrieben. In vielerlei Hinsicht trifft das noch mehr auf diese Überarbeitung zu. Ich hoffe, dass den „Oldtimern“ unter Ihnen, die bereits die erste Ausgabe gelesen haben, die Ergänzungen gefallen. Für alle Neulinge, die dieses Buch zum ersten Mal in Händen halten ... herzlich willkommen und ich hoffe, dass Ihnen das Lesen ebenso viel Freude bereitet wie mir das Schreiben.
Mark Rashid, 2010
Die Familie Pike bewohnte und bewirtschaftete den Boden bereits seit irgendwann um das Jahr 1800. Drei Generationen hatten hier gelebt, ehe das Haus 1941 schließlich an die Stromversorgung angeschlossen wurde.
Nach allem, was man so hörte, muss das eine größere Aktion gewesen sein. Von weit her kamen Leute angereist, um zuzuschauen, wie der Bohrer der Elektrizitätsgesellschaft die Löcher für die Strommasten aushob und ein Mast nach dem anderen im Boden versenkt wurde. Über diese Masten sollten die Leitungen verlegt werden, die den Strom zur Pike Farm führten. Allerdings lag die Farm so weit abseits von der Straße, dass elf dieser ölverschmierten Masten notwendig waren, um die Leitungen bis zum Haus zu führen. Im Verlauf der Arbeiten gelang es der Elektrizitätsgesellschaft, den größten Teil des Geländes zur linken Seite des Fahrweges, der zum Haus der Familie Pike führte, zu ruinieren.
Als wäre das noch nicht genug gewesen, entwurzelte ein später Sommer-Tornado, der zwei Monate nach Abschluss der Bauarbeiten in der Gegend wütete, alle Masten bis auf einen. Der Tornado zerstörte den Viehstall, hob das Dach des Wohnhauses ab und vernichtete die gesamte Heuernte sowie den größten Teil des Viehbestandes. Die Familie versuchte, alles wieder aufzubauen, endete aber im Ruin und sah sich zehn Jahre später gezwungen, ihren ganzen Besitz an Jim Johnson zu verkaufen. Johnson wollte auf dem Anwesen Pferde züchten, trainieren und verkaufen.
Das erste, was Johnson an der Farm auffiel, war der Starkstrommast, den der Tornado nicht erwischt hatte. Er stand fest verwurzelt an der südwestlichen Ecke des Werkzeugschuppens und war seit jenem Sturm nicht mehr seinem eigentlichen Zweck entsprechend genutzt worden. Das, dachte Johnson, wäre das ideale Stück Holz für den Pfosten, den er in der Mitte des geplanten Roundpen einrammen wollte. Mit Hacken und Schaufeln versuchten er und sein Onkel, den Mast auszugraben. Zwei Tage später, als der Mast noch immer fest im Boden verankert war, mussten sie erkennen, dass es einfacher wäre, den Roundpen um den Mast herum zu bauen, statt den Mast in den Roundpen zu verpflanzen. Und genau das taten sie dann auch.
Sie rissen den Werkzeugschuppen ab und bauten an dieser Stelle den Roundpen. Seine Wände waren aus grob bearbeiteten Balken zusammengefügt und neigten sich leicht nach außen. Der oberste Balken war 1,30 Meter vom Boden entfernt und wurde hauptsächlich als Sitzplatz von Leuten genutzt, die zuschauten, wie die Pferde eingeritten wurden. Der Roundpen wurde über die Jahre so sehr beansprucht, dass der Boden nur noch aus einer Mischung aus Dreck und pulverisiertem Pferdemist bestand.
Während der nassen Jahreszeit war er deshalb praktisch unbenutzbar. Der Boden wurde so glitschig, dass es sehr schwierig war, darauf zu gehen, und absolut unmöglich, dort mit Pferden zu arbeiten. Auch während der trockenen Jahreszeit war es nicht viel besser. Durch die Arbeit mit den Pferden im Pen wurde so viel Staub aufgewirbelt, dass vorbeigehende Leute die Staubwolke häufig für Rauch hielten, der von einem brennenden Gebäude aufstieg.
Es war an einem dieser trockenen, staubigen Tage im Sommer 1968, als ich auf dem obersten Balken von Johnsons Roundpen saß. Neben mir mein Chef, Walter Pruit. Wir waren die knapp sechs Kilometer von Walters Ranch zu Johnsons Ranch gefahren, um eine Wagenladung Heu zu holen. Nun hockten wir dort, nachdem wir den Truck beladen hatten, um den Jungs bei der Arbeit mit einem der neuen Jungpferde zuzusehen.
Es war das erste Mal, dass ich die Gelegenheit hatte, das Einreiten eines Pferdes so hautnah mitzuerleben, und es fiel mir schwer, dabei still sitzen zu bleiben.
Durch die Staubwolke sah ich den Männern bei der Arbeit zu. Einer von ihnen presste seinen Fuß mit ganzer Kraft gegen den alten Starkstrommast in der Mitte des Pen, um das Seil besser festhalten zu können, das zwei oder dreimal um den Mast gewickelt war. Am anderen Ende des Seils zog das junge Pferd, dem man ein Lederhalfter über den Kopf gezogen hatte und dessen Augen mit einem Tuch verbunden waren.
Die Hand eines zweiten Mannes lag auf dem Tuch, seine andere Hand umklammerte das Ohr des Pferdes, an dem er mit aller Macht zog. Zudem hatte er seine Zähne in die äußere Ecke des Ohrs verkeilt. Der dritte Mann warf dem Pferd den Sattel auf den Rücken und zog, so schnell er konnte, den Sattelgurt an.
Alle drei schwitzten so stark, dass sich der Staub, mit dem sie in Berührung kamen, sofort in Schlamm verwandelte. Ihre Arme und Gesichter waren von der schwarzen, schmierigen Masse überzogen, und ihre Hemden waren so verdreckt, dass nicht mehr zu erkennen war, welche Farbe sie einmal gehabt hatten.
Das war in der Tat eine Ehrfurcht erweckende Vorführung von Reitkunst, dachte ich. Es war eindeutig, dass dieses Pferd seinen Meister gefunden hatte. Als ich dort saß und zuschaute, war mir klar, dass ich genau das eines Tages auch würde machen wollen – Pferde einbrechen.
Weitere Farmarbeiter hatten sich nach und nach um den Pen versammelt und feuerten die drei Männer lautstark an. Ich merkte, dass ich mit ihnen im Chor brüllte. Als der dritte Mann so weit war, dass er aufsitzen konnte, geschah etwas Seltsames. Ich vernahm die sanfte Stimme des alten Mannes, der neben mir saß:
„Was glaubst du wohl, wie sich das Pferd dabei fühlt?“ fragte er, während er sich gelassen eine filterlose Zigarette zwischen die Lippen schob und anzündete.
„Was?“ fragte ich und versuchte das Beifallsgeschrei der Menge zu übertönen.
„Das Pferd.“ Er stieß eine bläuliche Dampfwolke aus. „Was glaubst du, wie sich das Pferd dabei fühlt?“
„Ist doch nur ein Pferd“, hörte ich meine zwölf Jahre alte Jungenstimme beinahe mit Abscheu sagen.
Bis zu diesem Zeitpunkt waren Pferde für mich ausschließlich Objekte gewesen, die überwältigt und unterworfen werden mussten. Ich war nie auf die Idee gekommen, mir zu überlegen, was das Pferd dabei empfinden könnte. Natürlich hatte bis zu diesem Tag auch niemand von mir verlangt, dass ich mir darüber Gedanken machte.
Rechtzeitig lenkte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf das Geschehen, um zu beobachten, wie der Cowboy ein Bein über das Pferd warf und sich tief in den Sattel setzte. Und plötzlich nahm ich das Pferd mit anderen Augen wahr. Die Stute war tropfnaß von Schweiß und Schmutz, was eine genaue Bestimmung ihrer Farbe unmöglich machte. Sie stand inmitten von Staub und flirrender Hitze hilflos an den Pfosten gebunden. Jeder Muskel ihres Körpers war angespannt, und sie zitterte vor Angst. Als der Mann ihr die Augenbinde abnahm und sie losband, spiegelte ihr Gesichtsausdruck blankes Entsetzen.
Der Reiter, bereit loszulegen, trieb die kleine Stute mit seinen Sporen an. Sie explodierte sofort und war nur noch als ein verschwommenes Durcheinander von Hufen, Fell und Staub wahrnehmbar. Sie buckelte so stark, dass ihre Hinterbeine jedesmal ein knackendes Geräusch machten, wenn sie gestreckt nach hinten ausschlug. Die röchelnden Laute, die sie bei jedem Satz von sich gab, wenn die Luft gewaltsam aus ihrer Lunge gepresst wurde, waren entsetzlich. Ich habe solche Laute niemals zuvor und nie wieder danach gehört.
Einer der Jungs, der mit uns auf dem obersten Balken saß, sagte, dass Tony, der Mann auf dem Rücken des Pferdes, sich wohl zuviel zugetraut hatte. Und so war es auch. Pferd und Reiter schafften drei sehr schnelle und ungestüme Runden im Roundpen, bevor Tony in die Luft geschleudert wurde, wie der Typ, der sich auf dem Jahrmarkt einmal aus einer Kanone hatte abfeuern lassen. Tony landete wie ein nasser Sack sechs Meter von der Abwurfstelle entfernt. Als die Männer in den Roundpen kletterten, um ihm zu helfen und das Pferd wieder einzufangen, berührte mich der alte Mann leicht am Arm.
„Komm“, sagte er, indem er ein Bein rückwärts über die hintere Absperrung schwang. „Wir müssen noch Heu abladen.“
Seit meinem zehnten Lebensjahr arbeitete ich in dem kleinen Pferdebetrieb des alten Mannes, meistens als Stalljunge und Laufbursche. Als Gegenleistung durfte ich umsonst reiten. Während dieser zwei Jahre war ich mit ihm ungefähr ein halbes dutzend Mal zum Heuaufladen unterwegs gewesen. Dabei stand ich immer oben auf dem Heustoß und warf die Ballen runter auf den Lieferwagen, wo er sie dann aufstapelte. Der Wagen war ein 1949er Ford Pickup und sah aus, als sei er irgendwo einen steilen Abhang hinuntergestürzt, mit etwas Glück auf allen vier Rädern gelandet und einfach weitergefahren.
Der alte Mann bestand jedesmal darauf, fünf Ballen mehr auf den Truck zu laden, als dort eigentlich Platz hatten. Er weigerte sich immer, die Ladung zu befestigen und verkündete, dass wir schließlich nicht sehr weit zu fahren hätten und die Ladung zu befestigen zuviel Zeit kosten würde. Es war daher unvermeidbar, dass der größte Teil des Heus auf dem Nachhauseweg auf der Straße landete. Es kostete uns immer mindestens eine weitere Stunde, bis wir die Heuballen wieder auf der Ladefläche hatten.
Auch heute war es nicht anders. Als wir vom Feldweg auf die asphaltierte Straße einbogen, schwankte der Wagen verräterisch, und sogleich wusste ich, dass die Heuballen, die gerade noch hinten auf dem Truck gestapelt gewesen waren, jetzt auf der Straße lagen.
Während wir alles mühsam und mit viel Zeiteinsatz wieder aufluden, konnte ich an nichts anderes denken als an die Frage, die der alte Mann mir im Roundpen gestellt hatte: Was ich wohl glaubte, wie sich das Pferd dabei fühlte? Es war, als hätte der alte Mann mit dieser einen Frage versucht, mir die Augen zu öffnen für eine andere Seite der Pferde. Eine Seite, die viele Menschen, mich zu diesem Zeitpunkt eingeschlossen, nicht sehen. Ich wollte ihm gerne sagen, dass ich verstand, was er mit dieser Frage beabsichtigt hatte. Ich wollte ihm auch sagen, dass ich gesehen hatte, was er mir hatte zeigen wollen – die Angst des Pferdes.
Doch während wir beide dort standen und Heu auf den Wagen stapelten, konnte ich einfach nicht die richtigen Worte finden. Mir wollte einfach nichts Passendes einfallen. Erst als wir den vorletzten Ballen auf den Truck schleuderten, sprach ich ihn an.
„Sie hatte Angst“, sagte ich kleinlaut zu ihm. Der alte Mann hielt inne und schaute mich an, als wollte er sagen: „Ich weiß nicht, wovon du redest.“ Doch mir war klar, dass er es wusste.
„Die Stute“, fuhr ich fort. „Sie hatte Angst. Das ist es, was sie fühlte.“
Er nickte zustimmend mit dem Kopf und sagte ganz ruhig: „Ich bin froh, dass du das gemerkt hast.“ Ich erwartete, dass er noch etwas sagen würde. Etwas Tiefgründiges vielleicht wie: „Alle guten Reiter bemerken solche Dinge.“ Oder: „Du bist sehr aufmerksam.“ Oder sogar: „Du bist nicht so dumm, wie ich dachte.“ Aber er fügte nichts mehr hinzu. Später wurde mir klar, dass es nichts gab, was noch hätte gesagt werden müssen. Er hatte seinen Standpunkt deutlich gemacht. Er war der Auffassung, dass es mehr gab im Zusammenhang mit Pferden, als einfach nur aufzusitzen und zu reiten, sehr viel mehr. Das hatte er deutlich gemacht, und alles Weitere war meine Sache. Entweder ich fing etwas damit an oder ich ließ es bleiben. Also beschloss ich, mich von diesem Tage an sehr viel intensiver damit zu beschäftigen, wie Pferde wirklich funktionieren, wie sie denken und was sie fühlen.
Wie gern würde ich behaupten, dass die verbleibenden Tage dieses Sommers eine außergewöhnliche Erfahrung für mich gewesen seien. Dem war nicht so. Obwohl ich jetzt versuchte, Pferde aus einer anderen Perspektive zu betrachten, lief alles ganz genauso weiter wie vorher. Ich mistete Ställe aus, reparierte Zäune und nur selten, wenn überhaupt, hatte ich die Gelegenheit, mit Pferden zu arbeiten.
Erst im darauffolgenden Frühjahr konnte ich meine neu gewonnene Einstellung Pferden gegenüber auch anwenden. Eines Morgens, als ich wieder mal die Boxen ausmistete, fuhr ein Pickup mit einem Viehanhänger auf den Hof. Im Innern des Anhängers warf sich ein Rotfuchs-Wallach von einer Seite auf die andere, in der Hoffnung, sich befreien zu können. Der Fahrer setzte den Anhänger rückwärts an einen freien Auslauf, dessen Tor der alte Mann geöffnet hatte. Kaum war die hintere Klappe des Anhängers auf, schoss der Wallach auch schon in den sechs mal neun Meter großen Corral hinaus. Bald merkte er jedoch, dass er nicht weit kam, und baute sich in der am weitesten entfernten Ecke auf.
Er hatte einige leichte Schnittwunden an Kopf, Beinen und Kruppe und zitterte so entsetzlich vor Angst, dass ich dachte, er würde im nächsten Augenblick zusammenbrechen. Der Fahrer des Wagens teilte uns mit, dass das Pferd absolut wertlos sei, und wenn wir mit ihm zurechtkämen, dann könnten wir ihn behalten. Als der Anhänger vom Hof rollte, kam der alte Mann zu mir herüber.
„Möchtest du mit dem hier arbeiten?“ fragte er mich in sachlichem Ton. Niemals zuvor hatte der alte Mann auch nur angedeutet, dass ich eines Tages mit Pferden arbeiten dürfte, deshalb war ich vollkommen überrumpelt.
„Ich weiß überhaupt nicht, was ich mit ihm machen soll“, sagte ich.
„Das Pferd wird dir zeigen, was zu tun ist“, lautete seine Anwort. „Du musst nur alles, was du tust, aus seiner Sicht betrachten, alles andere ergibt sich von selbst.“
„Ich wüsste nicht einmal, wo ich anfangen sollte“, sagte ich zu ihm.
„Er hat Angst“, brummte der alte Mann. „Damit fängst du an.“ Und er ging davon.
Das war’s. Wieder einmal hatte er alles mir überlassen. Ich konnte den Stier entweder bei den Hörnern packen und mit dem Pferd arbeiten oder weiter Ställe sauber machen. Nachdem ich beide Möglichkeiten gründlich gegeneinander abgewogen hatte, um ja nichts zu überstürzen, beschloss ich, in den Stall zu gehen und auszumisten. Die nächsten zwei Tage ging ich meiner gewohnten Arbeit nach. Am dritten Tag hörte ich, wie der alte Mann aus seinem Pickup zu mir herüberbrüllte. Über den Lärm des laufenden Motors rief er mir zu, dass er in die Stadt müsse. Er schrie noch, dass er ein Halfter im Corral des neuen Wallachs vergessen hätte, und ob ich so gut sein könnte, es da rauszuholen. Ich antwortete, dass ich das tun würde.
Das vertraute Geräusch des klappernden Metalls und der gequälten Gangschaltung verlor sich in der Ferne, als ich um die Ecke bog, um den Wallach in seinem Auslauf aufzusuchen. Ich war schockiert, als ich sah, dass das einzige Halfter im Corral am Kopf des Wallachs saß. Es musste dem alten Mann an diesem Morgen gelungen sein, so nah an das Pferd heranzukommen, dass er ihn nicht nur hatte einfangen können, sondern es sogar geschafft hatte, ihm das Halfter anzulegen. Und das alles, ohne dass ich ihn dabei gesehen oder gehört hatte. Es war unglaublich. Na gut, dachte ich – so wie nur ein Teenager denken kann –, wenn er das kann, kann ich es auch.
Ich nahm allen Mut und alle Entschlossenheit zusammen und betrat den Pen. Das Pferd war nicht beeindruckt. Es drehte sich einfach um und begann, an der äußeren Umzäunung des Corrals entlangzutraben. Furchtlos lief ich hinter ihm her. Eine Viertelstunde später war die Situation unverändert. Er trabte noch immer, ich ging hinter ihm her.
Es waren etwa 25 Minuten vergangen, als ich beschloss, meine Strategie zu überdenken. Ich bewegte mich auf die Mitte des Auslaufs zu und blieb dort stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Zu meiner großen Überraschung blieb das Pferd ebenfalls stehen. Nicht nur das, es wandte sich mir zu und sah mich an. Einige Zeit hatten wir einander bewegungslos gegenübergestanden und uns angesehen. Jeder hatte versucht herauszufinden, was wohl als nächstes geschehen würde, als ich eine Biene bemerkte, die auf mich zugeflogen kam. Es war eine von diesen Bienen mit schwarz-gelb gestreiftem Körper und der Größe eines Bierfasses, die ein Geräusch machten wie ein Hubschrauber, wenn sie vorbeifliegen. Die Biene war jetzt direkt vor mir, etwa in Brusthöhe stand sie tanzend in der Luft. Ich wich ihr aus, indem ich einige Schritte zurücktrat.
Die Biene umkreiste meinen Kopf drei- oder viermal, um dann erneut in Brusthöhe vor mir in der Luft stehenzubleiben. Wieder trat ich zurück. Drei- oder viermal wiederholten wir dieses Spiel, bis die Biene das Interesse verlor und davonflog. Ich hatte meine gesamte Aufmerksamkeit der Biene zugewandt und war daher, als ich mich schließlich wieder dem Pferd zuwandte, vollkommen überrascht, als ich feststellte, dass es in der Mitte des Corrals stand. Ich dagegen hatte mich wegen der Biene immer weiter von der Mitte weg bewegt und stand jetzt näher am Zaun.
Plötzlich kam mir der Gedanke, dass der Wallach hinter mir hergelaufen sein könnte, während ich mich rückwärts bewegt hatte, ebenso wie ich ihm vorher gefolgt war, als er vor mir davongelaufen war. Ich ging noch ein paar Schritte weiter zurück, um zu prüfen, ob dies tatsächlich der Fall war. Das Pferd zögerte und ging dann ein paar Schritte auf mich zu.
Ich hatte eine überraschende Entdeckung gemacht. Je länger ich darüber nachdachte, desto einleuchtender erschien es mir. Wenn ich Angst hätte, und jemand würde mich jagen, würde ich weglaufen. Genau so hatte sich der Wallach verhalten. Er war vor mir weggerannt, weil ich ihm Angst gemacht hatte. Sobald ich aufhörte, hinter ihm herzulaufen, verlor er seine Angst und fühlte sich sicher genug, um stehenzubleiben. Ich konnte mir jedoch nicht erklären, was ihn dazu gebracht hatte, hinter mir herzulaufen. Obwohl es mich interessierte, zerbrach ich mir nicht lange den Kopf darüber. Wenigstens rannte das Pferd nicht mehr vor mir davon. Allein die Tatsache, dass es sich bemühte, auf mich zuzugehen, war ein echter Erfolg.
Ich bewegte mich weiter rückwärts, und der Wallach folgte mir. Mit jedem Schritt kam er näher an mich heran. Zehn Minuten später befand sich sein Kopf weniger als dreißig Zentimeter von meiner Brust entfernt. Ganz langsam hob ich die Hand und berührte seine Nase. Er wurde ein bisschen nervös, blieb aber stehen. Ich nahm meine Hand herunter und versuchte es noch einmal. Er schien es bereits etwas besser zu ertragen, war aber immer noch ängstlich.
Ich machte weiter, berührte ihn und zog meine Hand vorsichtig wieder zurück. Es dauerte lange, jedenfalls kam es mir so vor, bis ich es endlich schaffte, ihm Stirn, Nase und Ganaschen zu streicheln. Ich erinnere mich, dass ich Angst hatte, mich falsch zu verhalten oder etwas zu tun, was ihn erschrecken könnte. Aus diesem Grund waren meine Bewegungen immer langsamer geworden. Es stellte sich aber heraus, dass es genau diese langsamen Bewegungen waren, die er brauchte. Sie schienen eine überwältigend beruhigende Wirkung auf ihn zu haben. Auf diese Weise gelang es mir, mich bis an seine Seite vorzuarbeiten und ihm schließlich auch das Halfter vom Kopf zu streifen.
Nachdem ich ihm das Halfter abgenommen hatte, trat ich rückwärts vom Pferd weg und steuerte auf das Tor zu. Ich war außer mir. Ich hatte das Gefühl, dass das Pferd bereitwillig zugelassen hatte, dass ich das Halfter abnahm, obwohl es Angst hatte. Ich hatte es geschafft, mich in das Pferd hineinzuversetzen, und Dinge getan, durch die ich mich selbst, zumindest glaubte ich das, in einer ähnlichen Situation wohl gefühlt hätte. Es hatte geklappt.
Ich konnte kaum erwarten, dass der alte Mann endlich zurückkam und ich ihm von meiner Heldentat berichten konnte. Als er endlich eintraf, setzte er sich ruhig auf einen Heuballen, rauchte eine Zigarette und hörte aufmerksam zu, wie ich ihm atemlos und bis ins kleinste Detail erzählte, dass ich es tatsächlich geschafft hatte, dem Pferd das Halfter abzunehmen.
„Sieht so aus, als hättest du alles genau richtig gemacht“, sagte er schließlich. „Es war gar nicht so schwierig wie du dachtest, stimmt’s?“
„Nein!“ stimmte ich ihm zu. „Es war großartig.“
Der alte Mann nickte bedächtig mit dem Kopf, zog an seiner Zigarette und sagte: „Nun, wir machen uns besser an die Arbeit. Die Ställe müssen noch ausgemistet werden.“
Ställe, dachte ich. Wie konnte er mich bloß dorthin schicken? Ich hatte es doch immerhin geschafft, dem Pferd das Halfter abzunehmen! Für ihn war das offensichtlich keine so großartige Angelegenheit wie für mich. Aber schließlich war mir das egal. Ich hatte es geschafft, und niemand konnte mir diese Erfahrung jemals nehmen. Und für mich war es ein Anfang. Ich hatte den alten Mann unzählige Male über die Sichtweise des Pferdes reden hören, und obwohl ich es nicht verstanden hatte, hatte ich es doch erlebt. Das Verstehen würde mit der Zeit schon kommen.
In den nächsten Jahren fing ich an, mir praktische Kenntnisse in der Ausbildung von Pferden anzueignen und dabei ihre Sicht der Dinge zu beachten. Das ist so ähnlich wie die Geschichte des einbeinigen Mannes, der erzählt, dass er die Bewegungsabläufe beim Square Dance beherrscht. Er mag zwar in der Lage sein zu tanzen, aber es sieht nicht besonders elegant aus.
Mir wurde klar, dass zwei Dinge notwendig waren, um erfolgreich Pferde zu trainieren. Erstens, ich musste soviel wie möglich über das Pferd als Tier lernen. Und zweitens, mit so vielen Pferden wie möglich arbeiten. Erst dann könnte ich mein Wissen und meine Erfahrungen individuell auf die jeweiligen Pferde anwenden. Ein Problem war allerdings, dass ein großer Teil der Informationen, die ich entweder aus Büchern oder durch Berichte anderer Pferdeleute gesammelt hatte, nicht mit dem übereinstimmte, was der alte Mann mich gelehrt, oder die Pferde selbst mir erzählt hatten.
Es wird zum Beispiel allgemein angenommen, dass Pferde keine intelligenten Tiere seien und nicht fähig, zu denken. Wie auch immer, ich habe während meiner täglichen Arbeit mit Pferden genau das Gegenteil erfahren. Ich habe Pferde erlebt, die sich selbst beigebracht haben, ein Gatter zu öffnen. Andere, deren Sattelgurt immer zu fest angezogen worden war, bliesen sich auf. Sobald der Reiter aufsaß, ließen sie Luft ab, damit sie sich freier fühlten, während sie geritten wurden. Ich habe Pferde beobachtet, die entweder leicht oder aber nur sehr schwer einzufangen waren, je nachdem wie sie behandelt wurden, nachdem man sie eingefangen hatte.
Viele Leute, die solche Erfahrungen im Umgang mit ihren Pferden machen, denken, ihre Pferde seien unverbesserliche Unruhestifter, nur weil sie etwas tun, was in den Augen dieser Leute falsch oder nicht wünschenswert ist.
Die einzige Erkenntnis, die ich im Laufe der Zeit im Umgang mit Pferden gewonnen habe, ist die, dass sie nicht wie Menschen sind. Sie denken nicht wie wir, und sie lernen nicht wie wir. Jedesmal wenn wir das Tier zwingen, gemäß menschlicher Gedanken, Empfindungen und Emotionen zu funktionieren, bekommen wir Probleme.
Sehr oft vergessen wir, dass ein Pferd, wenn es geboren wird, nichts anderes ist als ein Pferd. Ich meine nicht das ausgebildete, gezähmte Pferd, das hinter unserem Haus steht, sondern das wilde Tier, das ausschließlich seinen Instinkten gehorcht. Der Überlebensinstinkt gebietet jedem einzelnen Tier, vor allem wegzulaufen, was Angst auslöst, und bevor es keine anderen Erfahrungen gemacht hat, löst erst einmal alles Angst aus. Es ist dieser Grundzug im Wesen des Pferdes, der es vom Tage seiner Geburt bis zum Tage seines Todes beherrscht. Genau das ist es, wodurch die größten Missverständnisse entstehen. Weil das Pferd nicht so reagiert, wie wir es von ihm erwarten, wird es für dumm oder wertlos erachtet. In Wahrheit aber reagiert es vielleicht lediglich so, wie es sein Verstand zulässt, indem es nämlich versucht, zu überleben oder sich zu schützen.
Diese einfache Erkenntnis wurde mir schmerzlich bewusst in dem Jahr, bevor der alte Mann starb. Er hatte mir ein Pferd anvertraut, von dem er sagte, dass es geschlagen worden wäre und daher ein wenig schreckhaft sei. Ich sollte versuchen, es so weit hinzukriegen, dass man es reiten könnte. Als mir dieses Pferd anvertraut wurde, hatte ich ungefähr ein Dutzend Pferde erfolgreich trainiert oder korrigiert. Ich muss fairerweise gestehen, dass mich diese Erfolge ein wenig eingebildet gemacht hatten. Bei den vorangegangenen zwölf Pferden hatte ich mehr oder weniger nach dem gleichen Trainingsplan gearbeitet. Ein paar Tage im Roundpen, damit man miteinander vertraut wurde, drei oder vier Tage an der Longe und Bodenarbeit, ein oder zwei Tage Arbeit, damit das Pferd sich an den Sattel gewöhnte und schließlich aufsitzen und die ersten Schritte gehen lassen. Ich sah keinen Grund, warum es mit diesem Pferd anders gehen sollte.
Um so überraschter war ich, als ich nach drei Tagen im Roundpen kaum eine Veränderung im Verhalten des Pferdes feststellen konnte. Die zwei Tage, an denen wir an der Longe und am Boden gearbeitet hatten, führten zu keiner Verbesserung, in gewisser Hinsicht bewirkte diese Arbeit sogar eine Verschlechterung. Das tat aber nichts zur Sache, denn nach sieben Tagen hatte ich das Pferd soweit. Es ließ sich den Sattel auflegen, und ich konnte sogar den Steigbügelriemen belasten.
Am achten Tag schwang ich das Bein über das Pferd und setzte mich ruhig in den Sattel. Es zitterte vor Angst, und ich versuchte es zu beruhigen, indem ich seinen Hals streichelte. Wenn ich heute darüber nachdenke, muss die Wirkung so ähnlich gewesen sein, als ob man mit einer Wasserpistole versucht, einen Waldbrand zu löschen. Damals war mir das egal – die Hauptsache war, dass ich im Sattel saß.
Nachdem ich einige Minuten im Sattel gesessen hatte, wollte ich, dass das Pferd sich vorwärtsbewegte, also klopfte ich es dreimal leicht mit dem Absatz an. Die einzige Reaktion, die ich bekam, war eine ängstliche, zuckende Bewegung des ganzen Körpers, als ich das Pferd berührte. Weil die Reaktion anders ausfiel, als ich erwartet hatte, gab ich noch etwas mehr Druck, indem ich ihm einen harten Stoß versetzte.
Es überrascht mich immer wieder, wieviel explosive Energie ein Pferd aufbringen kann, wenn es denjenigen, der auf seinem Rücken sitzt, um alles in der Welt loswerden will. Besonders dann, wenn diese Person ihm über eine Woche lang Stress und Ärger bereitet hat.
Dieses Pferd hatte mich so schnell abgeworfen, dass mein Gesicht im Dreck lag, bevor ich überhaupt begriffen hatte, dass ich in Schwierigkeiten war. Ich erinnere mich, dass ich eine Flut von Flüchen ausstieß, die die Farbe vom Schuppen abblättern ließen. Von einigen dieser Schimpfwörter kannte ich nicht einmal die Bedeutung. Als ich mich vom Boden hochgerappelt hatte, baute ich mich vor dem Pferd auf und brüllte, so laut ich konnte: „Du blöder, verdammter, wertloser Gaul!“
Plötzlich bemerkte ich den alten Mann, der am Zaun des Corrals lehnte und mich mit diesem ganz besonderen Blick anstarrte. Dieser Blick, der mir sagte, dass der Fehler ganz allein bei mir lag, weil ich versucht hatte, dem Pferd meine Vorstellung davon aufzuzwängen, wie es sich zu verhalten hatte. Natürlich hatte er Recht. Durch meine Ungeduld hatte ich dem Pferd keine andere Wahl gelassen, als sich zu verteidigen gegen etwas, das es als Bedrohung wahrgenommen hatte. Sein Überlebensinstinkt hatte sich durchgesetzt, und das Ergebnis war mein völlig verdrecktes Gesicht. Man nennt das poetische Gerechtigkeit, glaube ich.
Was ich damit eigentlich erläutern möchte, ist, dass ich Pferde nicht für dumm halte. Im Gegenteil, ich denke, dass sie sehr viel intelligenter sind, als wir ihnen oft zugestehen. Wir erleben sie als nicht sehr klug, da sich der Instinkt durchsetzt, wenn irgend etwas falsch läuft oder sie verwirrt sind. In solchen Situationen kommt es uns oft so vor, als würden sie sich dumm oder sinnlos verhalten. Für Pferde bedeutet eine solche Reaktion aber vielleicht einfach den Unterschied zwischen Leben und Tod.
Ich erinnere mich daran, dass der alte Mann einmal zu mir sagte, um ein guter Trainer zu sein, müsse ich aufhören, wie ein Mensch und anfangen, wie ein Pferd zu denken. Ich sollte versuchen, die Welt mit den Augen des Pferdes statt mit meinen Augen zu sehen. Ich habe schnell gemerkt, dass das sehr viel einfacher gesagt, als umgesetzt ist, obwohl ich mit dieser Einstellung buchstäblich aufgewachsen bin.
Mir wurde klar, dass ich außer dem Verständnis für das Verhalten der Pferde auch unendlich viel Geduld aufbringen musste. Das hat mehrere Gründe, wovon vielleicht der entscheidende der ist, dass Pferde keinerlei Zeitgefühl haben. Damit meine ich, dass Pferde, im Gegensatz zu uns, niemals unter Zeitdruck stehen. Sie müssen keine Einkäufe machen, nicht ins Kino gehen, sie müssen nicht zur Bank und nicht zur Reinigung, sie müssen nicht einmal das Mittagessen zubereiten.
Mit anderen Worten, sie haben den ganzen Tag Zeit zu lernen, was wir ihnen beibringen. Es ist ihnen egal, ob wir um drei Uhr irgendwo einen Termin haben. Sie haben keinen. Man kann sie nicht dazu zwingen, etwas schneller zu verstehen oder zu tun, nur weil wir in Zeitnot sind. Das ist wahrscheinlich ein wesentlicher Grund, weshalb Menschen Probleme mit ihren Pferden haben. Das und die Tatsache, dass viele Menschen ein angeborenes Bedürfnis haben, Pferde zu dominieren und einzuschüchtern, mehr noch als den Wunsch, mit ihnen zu kommunizieren.
Ich erinnere mich, wie ich vor einigen Jahren Anfang September als freiwilliger Helfer bei einem Benefiz-Ritt aushalf. Wie so oft im Frühherbst in den Ausläufern des Gebirges war die Temperatur auf etwa 35 Grad angestiegen, und am Himmel stand keine Wolke. Es war ein Fünfundzwanzig-Kilometer-Ritt, der gegen acht Uhr morgens begann und gegen zwei Uhr am Nachmittag endete.
Der Parkplatz stand voll mit Pferdeanhängern aller Marken, Formen und Größen. In der einen Ecke des Platzes parkte ein Pickup mit einem sehr schönen, dunkelgrauen Zweipferdehänger. Die Hängerklappe war zweigeteilt, und jede Seite bestand aus einem oberen und einem unteren Teil, mit denen man den Transporter fest verschließen konnte. Der Anhänger war den ganzen Tag verschlossen gewesen.
Als der Wanderritt beendet war, kam eine Frau auf einem glänzenden braunen Quarter Horse Wallach auf den Anhänger zu. Sie stieg ab, band das Pferd am Anhänger fest, nahm ihm das Sattelzeug ab und fing an, ihn mit übertriebener Sorgfalt zu putzen. Mittlerweile hatte die Temperatur gut 38 Grad erreicht.
Als sie mit dem Putzen fertig war, band sie ihn los, ging mit ihm zur hinteren Seite des Pferdeanhängers und öffnete die Klappen. Dem Transporter entströmte eine Hitze wie einem überdimensionierten Pizza-Ofen. Es schlug ihr so heiß aus dem Anhänger entgegen, dass die Frau einen Schritt zurücktaumelte, während sie sich mit den Händen Wind zufächelte. Sie wartete 30 Sekunden, führte den Wallach an die Klappe und befahl ihm hineinzugehen. Er steckte den Kopf und einen Fuß in den Anhänger und scheute sofort zurück . Er sah die Frau an, als wollte er sagen: Mann, das ist echt heiß da drin. Was hältst du davon, wenn wir ein paar Minuten warten, bevor ich da reingehe?
Die Frau scherte sich nicht darum. Sie führte das Pferd zurück zum Anhänger und befahl ihm wieder hineinzugehen. Der Wallach scheute erneut, und es begann ein zähes Ringen. Während der nächsten zwei Stunden tobte ein verbissener Kampf zwischen der gelegentlich gewaltsamen menschlichen Natur und dem Instinkt des Pferdes, am Leben zu bleiben. Einige Zeit später zählte ich siebzehn Menschen, die sich um das Pferd und den Anhänger versammelt hatten, und jeder von ihnen bot seinen Rat und seine Muskelkraft an. Keiner hatte Erfolg.
Im Verlauf dieser zwei Stunden hatte ich die Besitzerin des Pferdes mehrere Male sagen hören, dass sie um fünf Uhr zu Hause sein müsse, da sie Gäste zum Abendessen erwarte. Nur wegen ihres „blöden“ Pferdes, das sich nicht verladen lassen wollte, würde sie nicht rechtzeitig heimkommen. Ich fand es sehr aufschlussreich, dass sie für ihre Ungeduld das Pferd verantwortlich machte – ein Pferd, das, wie sie selbst eingestand, noch niemals zuvor Probleme beim Verladen gemacht hatte. Ich konnte mir auch den Gedanken nicht verkneifen, dass der gesamte Vorfall überhaupt nicht notwendig gewesen wäre, wenn sie sich nur zehn oder fünfzehn Minuten Zeit genommen hätte, um den Anhänger abkühlen zu lassen.
Stattdessen machte sie genau den gleichen Fehler, der mir damals mit jenem Pferd unterlaufen war, das mich in hohem Bogen in den Dreck geworfen hatte. Sie wollte ihr Pferd schneller zu etwas zwingen, als das Pferd bereit war, dies umzusetzen. Das Ergebnis war das gleiche. Der Überlebensinstinkt des Pferdes dominierte sein Handeln, und es reagierte in Notwehr. Bald wurde deutlich, dass jeder einzelne Bewohner Denvers der Frau seine Hilfe hätte anbieten können, das Pferd wäre trotz alledem nicht zu bewegen gewesen, in den Anhänger zu gehen. Der Instinkt hatte sich über seine gesamte Ausbildung hinweggesetzt und ihm signalisiert, dass es sich in einer lebensbedrohlichen Situation befand, obgleich dies gar nicht der Fall war.
Im Laufe der Jahre habe ich begriffen, dass beinahe jedes Trainingsproblem, das sich bei der Arbeit mit Pferden ergeben kann, aus unserem mangelnden Verständnis für genau diese einfache Wahrnehmung des Pferdes besteht. Dies und die Tatsache, dass wir oft viel zu sehr in Eile sind, um das Tier geduldig dazu zu bewegen, all das zu tun, was wir von ihm verlangen, ist der Grund, weshalb Trainingsstunden und Trails oft in einer Katastrophe enden.
Ich kann die Art und Weise, wie manche Leute mit ihren Pferden arbeiten, nur damit vergleichen, wie der alte Mann Heu transportierte. Er wollte sich keine fünfzehn Minuten zusätzlich Zeit nehmen, um die Ladung zu befestigen. Also brachten wir dann über eine Stunde damit zu, den Truck wieder zu beladen, nachdem das Heu heruntergefallen war. Mit Pferden verhält es sich genauso. Wenn wir uns nicht die Zeit nehmen, die Dinge beim ersten Mal richtig zu machen, müssen wir uns mit ziemlicher Sicherheit wieder und immer wieder die Zeit dazu nehmen. Ich habe zu viele gute Pferde erlebt, die nur deshalb zu Problempferden geworden sind, weil es uns an Verständnis und Bereitschaft gefehlt hat, einen Weg zur Verständigung mit ihnen zu finden. Wo doch ein wenig Geduld ausgereicht hätte, um das Problem von Anfang an zu vermeiden.
Ich will damit natürlich nicht andeuten, dass es allein auf das Verständnis für die Sichtweise des Pferdes ankommt, um es leicht und mühelos zu trainieren. So einfach ist es nun auch wieder nicht. Vor allem ist ein Denkansatz notwendig, der sich grundlegend von der wilden und heftigen Art der Cowboys vergangener Tage unterscheidet, wie Pferde eingeritten werden sollten. Es bedarf einer einfühlsamen Hand anstelle eines langen Stockes – eine unangenehme Vorstellung für manche Leute.
Ich erinnere mich, wie ich die alte Johnson Ranch im Sommer 1980 noch einmal aufgesucht habe, einige Tage, bevor alles planiert werden sollte, um Raum zu schaffen für ein paar neue Häuser. Der Ort war seit 1975, dem Jahr, in welchem Jim Johnson gestorben war, verlassen und stach nun aus der Landschaft heraus, wie eine Wunde im Zentrum dessen, was in der Zwischenzeit zu einem Vorort herangewachsen war.
Ich bahnte mir einen Weg durch das hüfthohe Unkraut bis zum alten, zerfallenen Roundpen, kletterte auf den obersten Balken und setzte mich. Ich ließ meinen Blick über das wildwuchernde Unkraut schweifen, das es irgendwie geschafft hatte, im Inneren des Pen zu gedeihen, und betrachtete den alten Starkstrommast, der noch immer in der Mitte stand.
Wenige Zentimeter oberhalb der „Unkrautkante“ waren die Narben eingekerbt, die sich während der ungezählten Kämpfe mit den an ihm festgebundenen Pferden in den Mast eingegraben hatten. Hunderte von Seilen hatten drei verschieden tiefe Einkerbungen hinterlassen.
Schon oft ist mir der Gedanke gekommen, dass die Einstellung mancher Menschen zur Pferdeausbildung dem alten Mast sehr ähnlich ist – unnachgiebig und unversöhnlich und so tief verwurzelt, dass man sie einfach nicht herausbekommt. Oft habe ich auch an all die Pferde denken müssen, die gegen diesen Pfahl und die durch ihn verkörperte Einstellung niemals eine Chance bekommen haben.
Natürlich ist mir bewusst, dass viele Pferdebesitzer es einfach nicht besser wissen. Sie behandeln ihre Pferde so, wie man es ihnen beibrachte, und weil niemand sie je mit einer anderen Form des Umgangs vertraut gemacht hat. Im Gegensatz zu mir werden sie vielleicht niemals den Unterschied kennenlernen, wenn sie nicht jemand darauf aufmerksam macht, oder sie sich nicht selbst darum bemühen, ihn herauszufinden.
Meine Erfahrung zeigt mir, dass sich die meisten Pferdebesitzer durchaus bemühen, mit dem Pferd statt gegen das Pferd zu arbeiten, wenn sie erst einmal entdeckt haben, dass Pferde tatsächlich ihre eigene Sicht der Dinge haben.
Jede Einstellung kann man ändern. Manchmal brauchen wir einfach ein bisschen mehr Zeit und Mühe, als wir ursprünglich angenommen haben. Auch dieser alte Mast, der all die Jahre unerschrocken in der Mitte des Roundpen gestanden hatte, ist schließlich umgefallen. Allerdings war dafür ein Acht-Tonnen-Bulldozer nötig.