Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
Glossar
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 1987
Der Mörderprinz
Bericht aus ferner Vergangenheit – ein mächtiges Wesen entsteht
von Robert Feldhoff
Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt
Im Frühjahr des Jahres 1291 Neuer Galaktischer Zeitrechnung steht im Zentrum der Milchstraße eine kosmische Entscheidung bevor. Am Dengejaa Uveso, dem riesigen Schwarzen Loch, wehrt sich die Superintelligenz ES, der uralte Freund der Menschheit, vor den Zugriffen der Kosmischen Fabrik MATERIA.
Von Bord der SOL aus werden Perry Rhodan und seine Begleiter aktiv, um größere Bedrohungen von den Völkern der Galaxis abzuwenden. Rhodan, seit einiger Zeit der Sechste Bote von Thoregon, weiß, dass die mächtigen Wesen in MATERIA die Koalition Thoregon vernichten wollen – und damit jene Völker, die zu der Koalition gezählt werden.
Will Rhodan der Menschheit helfen, muss er Front gegen MATERIA beziehen. Das gelingt den Terranern und ihren Verbündeten sogar. Eine galaktische Flotte nimmt den Kampf auf, an der Spitze rund 100.000 Raumschiffe des Kristallimperiums.
Es kommt zu einer verheerenden Raumschlacht, der größten, die in der Milchstraße seit langen Zeiten tobt. Erst mit einem Trick kann MATERIA vernichtet werden.
Noch weiß Perry Rhodan nichts über die Motive seiner Feinde. Der wohl gefährlichste von ihnen begann seine »Karriere« als DER MÖRDERPRINZ ...
Samaho – Der Prinzregent der Crozeiren sieht sich für kosmische Aufgaben ausersehen.
Guantamari Sailent – Der Raikal-Fischer vom Volk der Maunari geht auf einen Handel ein.
Karvencehl – Der alte Diener ist seinem Herrn bis zu seinem Tod treu.
Cairol – Der Roboter der Kosmokraten sucht nach neuen Kommandanten für die Kosmischen Fabriken.
Anfang April des Jahres 1291 NGZ schien die Gründung der Koalition Thoregon unmittelbar bevorzustehen. Den sechs Thoregon-Völkern – unter ihnen die Terraner – stellte sich jedoch ein übermächtiger Gegner entgegen.
Perry Rhodan war es, der als erster das Potenzial der Kosmokratenfabrik MATERIA erkannte; zu einem Zeitpunkt, als andere den bevorstehenden Untergang der Menschheit noch als Fiktion abtaten.
Rhodan war es auch, der für die endgültige Vernichtung von MATERIA am Schwarzen Loch des Milchstraßenzentrums verantwortlich zeichnete.
Zu diesem Zeitpunkt herrschte jedoch Unklarheit in einem ganz zentralen Punkt. Niemand wusste, ob Torr Samaho, der mysteriöse Beherrscher von MATERIA, entkommen war oder ob er in seiner Fabrik den Tod gefunden hatte.
Von der Beantwortung dieser Frage hing der Ausgang kosmisch wichtiger Ereignisse ab.
Die Identität Torr Samahos galt als vollständig unbekannt, über Aussehen und Herkunft konnte lediglich spekuliert werden. Ohne Erkenntnisse über den Hintergrund jenes Wesens, das als eines der mächtigsten diesseits der Materiequellen galt, war es nicht möglich, Aussagen über die Motive seiner Handlungen zu treffen.
Entsprechend distanziert gaben sich die Analysten in Rhodans Umfeld. Der Sieg über MATERIA war schwer erkauft und ebenso schwer zu bewerten.
Ob dem Feldzug gegen Thoregon nur ein Nadelstich zugefügt worden war oder ob MATERIAS Ende auch das Ende der Kampfhandlungen bedeutete, musste mit dem Erkenntnisstand Anfang April 1291 als »offene Frage« bewertet werden.
(Aus: Hoschpians unautorisierte Chronik des 13. Jahrhunderts NGZ; Kapitel 23.1.19, Voraussetzungen zur Entstehung der Koalition Thoregon)
Person: Prinz Samaho
Aktion: Orakelspruch vom Ende der Welt
Lokation: Gebirge der Träume, über dem
Planeten Crozeiro, Galaxis Pooryga
Das Kloster der Druu blickte vom höchsten Gipfel des Planeten auf die Welt herab, mit einer Illusion steinerner Augen, die aus einem vergessenen Zeitalter vor Beginn der Raumfahrt stammten.
Prinz Samaho wusste genau, dass die Augen von Druu mehr als zweihundertachtzigtausend Jahre alt waren.
Allgemein wurden sie als das älteste Zeugnis der crozeirischen Hochkultur angesehen, und es schien in der Galaxis Pooryga keinen Archäologen von Format zu geben, der die Augen nicht zumindest einmal in seinem Leben besucht hatte.
Das Kloster der Druu war ein Wallfahrtsort.
Nur einmal in zweihundert Jahren standen die unsichtbaren Maschinen still, die das Kloster umgaben, einmal in zweihundert Jahren wurden die Transmitter zum Gipfel abgeschaltet, und die Gondeln des schwerelosen Pendelverkehrs kehrten in ihre Boxen zurück, die am Fuß des Gebirges der Träume lagen, in einem schneebedeckten Seitental, das zu Fuß nicht erreichbar war.
Einmal in zweihundert Jahren – wenn der Prinz von Crozeiro mit dem Sphärenkranz von Cro zum König gekrönt wurde.
Samaho legte den ganzen beschwerlichen Weg zu Fuß zurück, wie es Tradition war, wie es jeder Prinz von Crozeiro einmal in seinem Leben zu erdulden hatte.
In seinem Gefolge bewegten sich tausend Crozeiren, Höflinge vom Anwesen seines verstorbenen Vaters. Sein Trost war, dass sie alle genauso gehen mussten wie er.
Für einen Augenblick hielt der Prinz inne und starrte den vor ihm liegenden Hang hinauf.
Der Weg schien ihm noch endlos weit. Er hatte Angst, dass er es nicht schaffen würde. Crozeirenkörper eigneten sich für die feinen Dinge des Lebens, für das Spiel und die zarten Augenblicke, wenn der Morgen mit einer fühlbaren Leichtigkeit erwachte und wenn durch die Blätterkronen gesprenkeltes Licht wie durch Millionen Prismen zu Boden fiel. Gewaltmärsche durch das Hochgebirge gehörten nicht zur Art der Crozeiren. Samaho fragte sich, ob hier eine genetische Auslese betrieben wurde; er hatte niemals gehört, dass ein Prinz am Hang gestorben war. Aber das musste nichts heißen, denn der Marsch zum Kloster fand nur einmal alle zweihundert Jahre statt.
Eine unangenehm spitze, quäkende Stimme zerriss die Stille am Hang: »Verspürt Ihr Hunger, mein Prinz?«
»Nein«, versetzte er unzufrieden.
»Durst?«
»Nein!«
Mit einer Handbewegung verwies er den Diener, der ungebührlich nahe an ihn herangetreten war, auf Abstand.
Karvencehl hatte dem König bis ans Totenbett gedient, und er würde an diesem Tag ebenfalls den Tod finden. Die Treue der Crozeiren kannte keine Grenzen; mit derselben Selbstverständlichkeit wäre Karvencehl auch für ihn gestorben, hätte Samaho das verlangt.
Doch nichts lag ihm ferner als das. Er brauchte kein Suizid-Opfer von einem unterernährten, hinfälligen Narren, der sein Leben an die Etikette bei Hof verschleudert hatte, sondern er wünschte sich lediglich seine Ruhe zurück.
Mit Samahos Regnum würden neue Diener kommen. Er nahm sich vor, für die Zukunft auf schweigsame Leute zu setzen.
Und, was unendlich viel wichtiger war, er wollte Musiker um sich spüren, die Allgegenwart schwebender Melodien. Sein Leben lang hatte er von einem Orchester geträumt, den großartigsten Solisten der Galaxis, zu einem Ensemble unter seiner Leitung vereint. Samaho spürte in sich das Herz eines großen Dirigenten. Zum Herrschen war er nicht geboren, auch wenn er nun gezwungen sein würde, gegen seine Überzeugung ein König zu sein.
»Ich weise Euch darauf hin, mein Prinz, dass Ihr den gesamten Anstieg unter allen Umständen allein bewältigen müsst. Andernfalls kann Eure Krönung nicht erfolgen.«
»Erzähle mir nicht Dinge, die ich bereits weiß!«
»Ihr werdet mich nur noch heute ertragen müssen, Hoheit.«
»Das ist wahr«, hauchte Samaho mit unüberhörbarer Erleichterung und mit einem Seitenblick auf die fragile Gestalt, die mit durchscheinenden Gliedern neben ihm auf die Knie gesunken war.
Wenn ich Glück habe, überlegte Samaho, stirbt er noch, bevor wir oben sind. Aber das galt für zwei Drittel aller Frauen und Männer im Tross.
Der Prinz von Crozeiro straffte sich, raffte sein Gewand zusammen und reckte das empfindliche Gesicht in den eisigen Höhenwind.
»Hoheit! Wartet!«
Er gab keine Antwort. Statt dessen schritt er aus, mit trippelnden Schritten, so schnell es seine Glieder zuließen.
Der Tross folgte ihm in geringem Abstand, so dass er den Atem der nächsten Diener in seinem Nacken zu spüren glaubte.
Samaho gab es auf, sie um Distanz zu bitten.
Hin und wieder drangen unnütze Kommentare an sein Ohr, mit wenig angenehmer Stimme vorgetragen – immer wieder Karvencehl, dachte er.
Jenseits der Zwei-Kilometer-Höhenmarke sprenkelte ein sachtes Weiß die Landschaft. Mit dem Schnee sank die Temperatur auf einen Wert kurz unter dem Gefrierpunkt von Wasser.
Samaho kämpfte sich den Pfad hinauf, in der grimmigen Kälte des späten Nachmittags.
Er hielt mehrfach inne und blickte zurück: Die Stadt der Crozeiren erstreckte sich in ihrer prunklosen Eleganz bis an den Horizont, Millionen ineinander verschachtelter Wandelhallen, Lustgärten und Lichthöfe, mehr als hundert Kilometer weit, eine Architektur aus weißem Licht und braunem Sandstein, in der kristallene Kathedralen und Museen eine ruhmreiche Vergangenheit lebendig hielten.
Von dort würde er Pooryga regieren.
Etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung konzentrierte sich in Crozeirenstadt, etwas mehr als eine Million Individuen. Das bedeutete, dass auch ein Viertel ihres Menta in der Stadt manifest wurde.
Er sog tief den Atem ein, und ein Hauch von Blütenstaub, der aus den Nebentälern herbeigeweht wurde, legte sich wie ein süßer Film über seine Atmungsorgane.
Der Pfad, gerade noch beschritten, war im Schnee schwer zu erkennen. Samaho schätzte, dass sie allein an der Schneegrenze mehr als fünf Dutzend Personen verloren hatten. Sein Vater hatte die Leute als Diener zu sich geholt, als er jung gewesen war, und nun waren sie mit ihm alt geworden; ausgenommen Karvencehl und wenige andere, die sich in Samahos Alter befanden, Jünglinge mit degenerierten Greisenkörpern. Das robotische Räumkommando würde die Leichen bergen, wenn die Krönungszeremonie vorüber war. Ein von Leichen gesäumter Aufstieg zum Kloster von Druu machte sich nicht gut, wenn die Wallfahrer kamen.
Wer es jedoch bis in die Regionen des ewigen Eises schaffte, der wählte selbst sein Grab. Wer an diesem Tag das Ziel erreichte, konnte Gomberach begehen, die crozeirische Spielart eines rituellen Selbstmordes. Gomberach bedeutete, dass die Tätigkeit von Herz und Atmung mit einem willentlichen Impuls angehalten wurde.
Die eisigen Wächter waren heilig. Jenseits der Frostgrenze mussten es zehntausend sein. Niemand hatte je das gefrorene Heer der Gomberach-Leichen angetastet.
»Hoheit, könnt Ihr noch gehen?«
Er stieß einen grimmigen, nicht artikulierten Laut aus, der Karvencehl verstummen ließ. Er wurde den Verdacht nicht los, dass der Diener ihm insgeheim ein Scheitern wünschte.
Junger Prinz von Crozeiro, mit alten Männern und Frauen in den Tod gezogen. Er schwor sich, dass es so weit nicht kommen würde.
»Es geht weiter!«, stieß er hervor.
Samaho richtete seinen Blick nach vorn. Er hatte das Gefühl, dass es immer kälter wurde.
Mechanisch setzte er Schritt an Schritt. Nicht ohne eine gewisse Befriedigung vernahm er das Schnaufen, das von hinten kam.
Hochverdichtete Nahrungsmittel führten ihm Energie zu, dennoch versagte die Beinmuskulatur ihm den Dienst.
Jede Generation der Crozeiren wurde schwächer geboren als die vorhergehende; und der Zeitpunkt ließ sich absehen, da sie ohne robotische Hilfe nicht mehr existieren konnten. Wenn er König war, beschloss Samaho, würde er ein genetisches Zuchtprogramm auf den Weg bringen. Aber zuerst musste der Sphärenkranz von Cro seinen Leib umfangen. Dann konnte er regieren, wie es ihm beliebte.
Prinz Samaho ließ seinen Blick auf die ersten zu Eis erstarrten Crozeiren fallen. Wie lange sie schon den Weg bewachten, das wusste er nicht. Es konnten fünfhundert Jahre sein, manche Eisskulpturen hatten aber auch zehntausend Jahre und länger die Erosion überdauert.
Ein halber Tag verstrich, dann war ein ganzer vorbei, und die Cro-Schwestermonde schickten ihren prachtvollen Glanz über den Abendhimmel.
Sein Tross hatte sich von dreihundert auf weniger als sechzig Personen verringert.
Samaho vermochte kaum noch zu gehen. Jeder einzelne Schritt fügte ihm Schmerzen zu, die er früher niemals ohne ein Medikament ertragen hätte.
Dann stieß er auf die Mauern aus Graphit, die das letzte Stück des Weges säumten, und die schwer begehbare, im Neuschnee kaum noch sichtbare Trasse verwandelte sich in eine gepflasterte Straße.
Vor ihm lag das Kloster von Druu. Prinz Samaho hatte niemals ein Bauwerk erblickt, das aus der Nähe so monumental wirkte. Die schwarzen Mauern strahlten eine gewalttätige, geballte Dominanz aus, und er lehnte den Gedanken an die Krönung innerlich vehementer ab denn je.
Dennoch, er hatte es geschafft. Das allein zählte in diesem Augenblick.
Die Augen von Druu blickten auf ihn herab, jedes ragte von seinem Sockel zwanzig Meter in die Höhe, und sie wisperten: Mörderprinz. Wird nie ein König sein.
Samaho zuckte schockiert zusammen, als er die Botschaft hörte.
»Hoheit!«, krächzte eine Stimme von hinten. »Was ist mit Euch?«
Er machte sich klar, dass es keine Botschaft gab, dass die Augen nicht sprechen konnten und dass er lediglich einer Illusion aufgesessen war.
»Nichts, Karvencehl«, stieß er hervor.
»Warum tretet Ihr dann nicht ein?«
»Weil ... Ich bin schon auf dem Weg.«
*
Der Klostersaal war bis auf die versteinerten Mörder und den Crozeirenzwilling, das eigentliche Orakel, vollständig leer.
Die Mörder stellten ein furchtbares Relikt aus einer dunklen Stunde ihres Volkes dar, soviel wusste Samaho, doch ihre Geschichte war längst in Vergessenheit geraten.
In Crozeirenstadt kannte man sie nur als »die Mörder«, die Torr.
Sie waren alle um die zwei Meter groß, natürlich humanoid, fünfzig Zentimeter größer als die Durchschnittscrozeiren der Gegenwart. Ihre schmalen Konusköpfe mit den spitzen, hochgezogenen Ohrmuscheln und den Knopfaugen wirkten plumper, als es heute der Fall war, und ihre Glieder sahen kräftiger aus.
Körperlich hätte Samaho gegen keinen jener Torr eine Chance gehabt. Die Crozeiren entwickelten sich mit Rasanz in Richtung fragil, zart, lebensuntüchtig.
Samaho ließ seinen Blick über die konservierten Mienen gleiten. In den Gesichtern aus Stein stand eine längst vergangene Qual zu lesen.
Der Prinz spürte, dass ihre Augen aus Koliumgranit ihn nicht mehr loslassen wollten.
Doch er tat ein paar wacklige Schritte nach vorn, bis er nur noch das Orakel sah.
Der Crozeirenzwilling, ein zeitloses Geschöpf mit der Fähigkeit, die Zukunft zu erkennen, galt als letzter in einer Reihe furchtbarer Crozeiren-Mutationen, aus einer Epoche vor Beginn der Geschichtsschreibung, über die es nur noch Vermutungen gab.
Der Zwilling und die vierundzwanzig Torr-Statuen säumten die rückwärtige Front der Halle. Im ungewissen Licht vermochte Samaho ihre Züge nicht zu erkennen.
Zum ersten Mal hätte er sich gefreut, wäre Karvencehl dagewesen. Er hatte nicht das Gefühl, der Zeremonie gewachsen zu sein. Er wusste nicht einmal, wie die Zeremonie aussah und ob sie eine Gefahr für einen crozeirischen Prinzen darstellte.
Es roch seltsam im Kloster, wie nach Schimmel, obwohl ein kaum merklicher Zug für Entlüftung sorgte.
Drinnen war es nicht sehr viel wärmer als draußen, im Eiswind des Gebirges. Immerhin, Prinz Samaho hörte zu frieren auf. Aber das lag an seiner Aufregung.
Ein tieffrequenter Chorgesang, wenige Acustiqs oberhalb der Wahrnehmungsschwelle von Crozeirenohren, erfüllte den Saal. Samaho konnte nicht feststellen, woher der Chorgesang kam und ob es wirklich einen unsichtbaren Chor gab oder ob der Höhenwind des Gebirges sich in gemauerten Scharten fing, die zufällig wie die Resonanzkammern eines gigantischen Musikinstrumentes angeordnet waren.
Mit seinen Augen suchte er argwöhnisch die Wände ab. Stein singt nicht.
Die von Hand gehauenen Blöcke, unregelmäßig gemasert und von einem feinen dunklen Belag überzogen, wuchteten sich zu einem steinernen Gewölbe empor, dem Klostersaal von Druu.
Der Boden war mit polierten Fliesen vertäfelt, ein Sprenkelmuster in Silber und dunklem, schmutzigem Braun. Samaho hörte auf den Fliesen überdeutlich jeden seiner Schritte.
Der Prinz gestand sich ein, dass er Angst hatte.
Er gehörte nicht hierher. Kein Unrecht lastete auf seiner Schulter, er hatte niemals ein Verbrechen begangen. Was also führte ihn ins Kloster? Mit welchem Recht wurde ein Prinz von Crozeiro der steingewordenen Sünde ausgesetzt? Er wollte nicht der König seines Volkes sein. Er wollte nicht eine Verantwortung tragen, die für jeden anderen zu schwer gewesen wäre.
Durch den Boden lief eine Vibration. Samaho konnte es durch die Kacheln spüren.
In den tieffrequenten Chorgesang mischte sich ein klapperndes Geräusch, diesmal einige Acustiqs lauter, so als würden Zehntausende von Glasscherben an einem fernen Ort durcheinandergeschüttelt.
Die Herkunft des Geräusches konnte sich Samaho nicht erklären.
Er versuchte, überall hinzuschauen – nur nicht nach vorn.
Sie haben sich ... bewegt! Es ist nicht möglich!
Nervös irrte sein Blick zu den Seiten.
An der rechten Flanke des Klostersaals führten Treppen abwärts, mit spiegelglatten Stufen, die für die Beine eines Crozeiren zu hoch ausfielen. Frühere Generationen hatten möglicherweise längere Beine besessen. Oder eine fremde Kultur hatte das Kloster erbaut, überlegte der Prinz. Eines der Hilfsvölker aus dem Halo, die Techniker von Pooryga, womöglich ein Geschenk der alten Freunde aus Erranternohre.
Er hatte den Eindruck, dass die Geräusche ausgerechnet von dort unten kamen.
Da aber regte sich etwas anderes, direkt vorn, im Halbdunkel an der Stirnseite des Klostersaals, und die Bewegung hatte er so genau gesehen, dass es nicht mehr den Schimmer eines Zweifels gab.
»Prinz ...!«
Eine Stimme wie ein fernes Wispern.
»Prinz ... Wie lautet Euer Name, Prinz?«
Die steinernen Mörder und der Crozeirenzwilling hatten sich gedreht, jeder nur um eine Nuance, aber sie alle blickten nun in seine Richtung.
Sein Herz fühlte sich so klamm an, als höre er soeben eine Stimme aus einem Grab.
»Mein Name ist Samaho«, versuchte er zu sagen. Nur ein Wispern kam aus seinem Mund, das auch nicht viel lauter war als die Stimme des Orakels.
»Samaho«, versuchte er es noch einmal, »mein Name ist ...«
Er verstummte voller Entsetzen, als sein Blick auf den Crozeirenzwilling fiel.
Die machtvolle, scheinbar steinerne Gestalt, links und rechts von einem Dutzend der sehr viel kleineren, ebenfalls versteinerten Torr eingerahmt, richtete sich aus ihrer allzeit kauernden Haltung langsam auf.
Mit vier Metern Höhe überragte der Crozeirenzwilling Samaho um mehr als das Doppelte. Seine wuchtige Gestalt hatte nicht viel mit dem feingliedrigen humanoiden Körper des Prinzen gemein. Auf den abnorm verbreiterten Schultern reckten sich in einer kaum erkennbaren Bewegung zwei Köpfe mit vorstehenden Kiefern, die schwarzen Gesichter Samaho zugewandt. Die Glieder besaßen nicht allein das Aussehen, sondern auch die Festigkeit von Stein.
Er war froh, dass die Gestalt sich nicht von der Stelle bewegen konnte.
Ihre Füße endeten im Boden. Sie standen nicht, sondern sie waren wie mit einem Sockel verbunden.