Bewegt im hohen Alter
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Unter Mitarbeit von Simone Hecking, Tobias Henken & Anika Herbrik
Bewegt im hohen Alter
Ein Programm zur psychomotorischen Aktivierung in Altenpflegeeinrichtungen
Kursmanual
Meyer & Meyer Verlag
Papier aus nachweislich umweltverträglicher Forstwirtschaft.
Garantiert nicht aus abgeholzten Urwäldern!
BEWEGT IM HÖHEN ALTER
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© 2012 by Meyer & Meyer Verlag, Aachen
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Kindberg, Maidenhead, Sydney, Olten, Singapore, Tehran, Toronto
Member of the World
Sport Publishers’ Association (WSPA)
Druck: B.O.S.S Druck und Medien GmbH
ISBN 9783898997218
eISBN 9783840330629
E-Mail: verlag@m-m-sports.com
www.dersportverlag.de
1 Einführung
1.1 Hochaltrigkeit und Bewegung.
1.2 Die Zielgruppe des Programms.
1.3 Rahmenbedingungen und Informationen zur Kursdurchführung.
1.3.1 Anforderungen an den Gruppenleiter
1.3.2 Anforderungen an den Bewegungsraum
1.3.3 Die Teilnehmer
1.3.4 „Goldene” Regeln der Gymnastik
2 Das Programm „Psychomotorische Aktivierung in Altenpflegeeinrichtungen”.
3 Das Programm integriert in das Modell der Qualitäten von Gesundheitssport
4 Praktische Umsetzung
4.1 Förderung der Ichkompetenz.
4.1.1 Stärkung der motorischen Funktionsfähigkeit.
4.1.1.1 Koordinationstraining.
4.1.1.2 Krafttraining.
4.1.1.3 Beweglichkeitstraining.
4.1.1.4 Förderung der Entspannung.
4.1.1.5 Themenorientiert aktivieren und Bewegungsgeschichten.
4.1.2 Stärkung kognitiver Funktionen
4.1.2.1 Training der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit
4.1.2.2 Gedächtnistraining.
4.1.3 Stärkung psychischer Ressourcen
4.1.3.1 Stärkung des Selbstbewusstseins.
4.1.3.2 Stimmungsmanagement
4.2 Stärkung der Sozialkompetenz
4.2.1 Stärkung der Kommunikations- und Kontaktfähigkeit
4.2.2 Stärkung der Kooperationsfähigkeit
4.3 Stärkung der Sachkompetenz.
4.3.1 Stärkung von Materialerfahrung
4.3.2 Stärkung des sensomotorischen Handelns
5 Basisprogramm: 12 Kurseinheiten für den Programmbeginn
5.1 Die Grundstruktur einer Kurseinheit
5.2 Die Kursstunden im Überblick.
5.2.1 Kurseinheit 1: Bewegungsgeschichte:
Ein Urlaubstag im Sommer – wir gehen schwimmen
5.2.2 Kurseinheit 2: Krafttraining mit Hanteln
5.2.3 Kurseinheit 3: Stabil stehen – das Körpergleichgewicht
5.2.4 Kurseinheit 4: Der Ball ist rund – Reaktionsarbeit mit Bällen
5.2.5 Kurseinheit 5: Gemeinsam sind wir stark – Gruppenübungen mit diversen Materialien
5.2.6 Kurseinheit 6: Themenorientierung Tageszeiten
5.2.7 Kurseinheit 7: Der Luftballon
5.2.8 Kurseinheit 8: Koordination ist alles – Stundenthema Rhythmus und Auge-Hand-Koordination
5.2.9 Kurseinheit 9: Der Stab
5.2.10 Kurseinheit 10: Das Seil und das Bohnensäckchen
5.2.11 Kurseinheit 11: Bewegungsgeschichte – Ein Tag im Garten
5.2.12 Kurseinheit 12: Sinneswahrnehmung
6 Evaluation des Kursprogramms
7 Literatur
8 Bildnachweis
Aufgrund des demografischen Wandels wird der Anteil der alten und hochaltrigen Personen in Deutschland und Europa stark zunehmen. In der wissenschaftlichen Terminologie werden diese Personen dem vierten Lebensalter zugeordnet. Das vierte Lebensalter beginnt mit ca. 80 Jahren1 und ist im Gegensatz zum dritten Lebensalter (ca. 65-80 Jahre) von Multimorbidität und funktionellen Defiziten geprägt. Daher wird sich auch die Anzahl der pflegebedürftigen Personen in Deutschland in den nächsten Jahren deutlich erhöhen. Laut Vorausberechnung wird sich die Zahl der Pflegebedürftigen von ca. 2,2 Millionen im Jahr 2007 bis zum Jahr 2050 auf ca. 4,5 Millionen verdoppeln (Statistische Ämter des Bundes und der Länder, 2010). Aufgrund der Pflegebedürftigkeit werden auch immer mehr Menschen ihren Lebensabend in Altenpflegeeinrichtungen2 verbringen. Das Leben in einer Altenpflegeeinrichtung wird dann notwendig, wenn psychische, körperliche und kognitive Veränderungen ein selbstständiges Leben unmöglich gemacht haben. Der Gesetzgeber schreibt Bewohnern von Altenpflegeeinrichtungen ein Recht auf Präventions- bzw. Rehabilitationsmaßnahmen zu. In § 5 SGB XI weist er die Leistungsträger an, darauf hinzuwirken, „(…) die Pflegebedürftigkeit zu überwinden, zu mindern sowie eine Verschlimmerung zu verhindern“. Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen haben damit auch in Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen ihre Berechtigung.
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass es trotz der vermehrten Defizite und Funktionseinschränkungen auch bei hochaltrigen Personen möglich ist, eine Erhöhung der Lebensqualität durch Bewegungsmaßnahmen zu erreichen. Es ist möglich, auch mit Hochbetagten eine anregende und fröhliche Aktivierung durchzuführen; auch dann, wenn die Personen vorwiegend nur noch sitzen können und der Bewegungsradius stark eingeschränkt ist. Es zeigt sich jedoch, dass Maßnahmen, die sich bei selbstständig lebenden Älteren bewährt haben, sich meist nicht für Hochaltrige bzw. Pflegebedürftige eignen. Deswegen war es notwendig, ein spezielles Bewegungsprogramm für die zumeist hochaltrigen und pflegebedürftigen Bewohner von Altenpflegeeinrichtungen zu entwickeln.
Dieses Kursleitermanual stellt ein effektives – wissenschaftlich evaluiertes – Bewegungsprogramm speziell für Bewohner von Altenpflegeeinrichtungen vor, das geeignet ist, die motorische und kognitive Funktionsfähigkeit sowie psychosoziale Ressourcen möglichst lange aufrechtzuerhalten bzw. wieder aufzubauen. Es ist als Ergänzung bzw. Fortsetzung des Manuals Fit bis ins hohe Alter (Regelin et al., 2007) zu sehen, das für die Zielgruppe der selbstständig lebenden Älteren konzipiert ist. Ziel des vorliegenden Manuals ist es, einen Beitrag zu leisten, um die Selbstständigkeit im Alltag sowie die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben von Bewohnern von Altenpflegeeinrichtungen möglichst lange positiv zu beeinflussen.
Das Programm „Psychomotorische Aktivierung in Altenpflegeeinrichtungen“ ist für die stationäre und teilstationäre Altenhilfe konzipiert. Dies sind – meist hochaltrige – Bewohner stationärer und teilstationärer Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen, wie z. B. Alten- und Pflegeheime oder betreutes Wohnen. Grundsätzlich können alle interessierten Bewohner teilnehmen, die mindestens sitzfähig sind. Absolute Kontraindikationen zur Teilnahme sind:
• akute Erkrankungen/Fieber,
• akute entzündliche Prozesse/Schmerzen,
• akute neurologische Ausfallerscheinungen,
• Zustand nach Operation/kurz zurückliegendem Krankenhausaufenthalt,
• Zustand nach koronarer Herzkrankheit,
• Zustand nach Schlaganfall,
• Bluthochdruck oder
• bekannte Aneurysmen.
Für weitere Erkrankungen, wie z. B. sehr starke Demenz, stark beeinträchtiges Hör- und Sehvermögen, muss das Programm u. U. angepasst werden. Diese Erkrankungen stellen jedoch nicht per se Kontraindikationen dar. Die oben dargestellten Kontraindikationen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vor Teilnahmebeginn oder im Zweifelsfall auch während des Programms sollte eine Rücksprache mit dem behandelnden Hausarzt erfolgen.
Zur Umsetzung der Ziele und Inhalte des Programms sowie zur Qualitätssicherung ist eine adäquate Qualifikation der Kursleiter notwendig. Dies sollten Fachkräfte sein, die sich in Form von Aus-, Fort- und Weiterbildungen für die psychomotorische Aktivierung von pflegebedürftigen Hochaltrigen qualifiziert haben. Dies können sowohl Sportlehrer mit sportwissenschaftlichem Hochschulabschluss, Kursleiter (2. Lizenzstufe „Sport in der Prävention“) als auch Pflegekräfte aus der Altenhilfe sein, die eine Zusatzqualifikation zur psychomotorischen Aktivierung in Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen für Hochaltrige erworben haben. Das Manual stellt die Arbeitsgrundlage für eine Fortbildung (8 UE) dar, die über den Deutschen Turner-Bund angeboten wird.
Neben diesen Qualifikationsvoraussetzungen sind jedoch auch weitere, sogenannte Softskills der Kursleiter im Umgang mit pflegebedürftigen Hochaltrigen gefragt. Hochaltrige haben einen großen Schatz an Lebenserfahrung erworben, müssen aber mit der Situation zurechtkommen, nicht mehr selbstständig leben zu können und permanent körperliche, psychische, kognitive und soziale Einbußen zu erleben. Diesen Grundvoraussetzungen in der Arbeit mit alten Menschen muss das Verhalten des Kursleiters unbedingt gerecht werden. In jedem Falle sollte ein persönlicher Bezug zur Gruppe bzw. zu jedem Bewohner innerhalb der Gruppe aufgebaut werden. Das persönliche Gespräch ist in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung.
Die Mitteilungsbereitschaft eines Bewohners ist im Allgemeinen sehr hoch, da für diesen nur selten die Möglichkeit besteht, sich in Ruhe mit einem anderen Menschen zu unterhalten.
Im zuweilen hektischen Heimalltag fehlen in der heutigen Zeit die Möglichkeiten eines ruhigen und angenehmen Gesprächs. Oft hat das Pflegepersonal neben den vielen funktionalen Versorgungsaufgaben nicht mehr ausreichend Zeit, den Menschen, den es pflegt, kennen zu lernen und sich mit diesem eingehender zu beschäftigen.
Eine grundlegende Eigenschaft des Kursleiters sollte dabei darin bestehen, dem Bewohner zu vermitteln, dass er sowohl Zeit als auch Interesse an einem Gespräch mit ihm hat. Die Zeit sollte dabei nicht nur auf die Trainingsstunde beschränkt sein, sondern weit darüber hinausgehen, beispielsweise beim Abholen zur Trainingsstunde oder beim Zurückbringen von derselben. Der Kursleiter erhält auf diese Weise Informationen über den Teilnehmer, die er gegebenenfalls auch innerhalb des Trainings berücksichtigen oder im nächsten Gespräch weiter ausführen kann. Auch die Interaktion des Kursleiters mit dem Pflegepersonal ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Der Kursleiter sollte also grundsätzlich Interesse an den Bewohnern und auch am allgemeinen Einrichtungsleben (Veranstaltungen, Speiseplan usw.) zeigen, das über das „reine Gymnastikprogramm“ hinausgeht.
Darüber hinaus sollte der Kursleiter sehr feinfühlig im Einsatz der verschiedenen Übungen sein. Alte Menschen haben mitunter Schwierigkeiten, sich anderen Menschen (Kursleiter, andere Gruppenteilnehmer) gegenüber zu öffnen. Übungen zur Förderung psychischer Ressourcen bzw. der Sozialkompetenz sind den Teilnehmern zuerst meistens fremd und sollten daher behutsam und an die jeweilige Gruppenzusammensetzung und -atmosphäre angepasst, eingesetzt werden. Erfahrungen mit Aktivierungsgruppen alter Menschen zeigen jedoch, dass nach einer anfänglichen Eingewöhnungsphase derartige Übungen gerne angenommen werden.
Innerhalb der Trainingseinheiten wird der Kursleiter grundsätzlich mit einer äußerst heterogenen Gruppe konfrontiert sein. Die Heterogenität betrifft sowohl physische als auch psychische, kognitive, soziale und emotionale Voraussetzungen. Hinsichtlich der physischen Voraussetzungen unterscheiden sich neben Kraft-, Dehn- und Koordinationsfähigkeit mitunter auch die Funktionsfähigkeiten der Sinnessysteme enorm, z. B. Hör- und Sehvermögen.
Daher sollte der Kursleiter klar, deutlich und laut sprechen und Sorge dafür tragen, von allen akustisch verstanden zu werden. Gerade auch für sehbehinderte Teilnehmer ist dies von außerordentlicher Bedeutung. Auch in seiner Gestik und Körpersprache sollte der Kursleiter klar und verständlich sein – grundsätzlich sollte er jede Übung selbst durchführen und vormachen, sodass immer die Möglichkeit besteht, das Gesehene nachmachen zu können. Die Demonstration von Übungen hat sich auch für Personen mit Demenz als sehr geeignet erwiesen, da diese verbale Erklärungen mitunter nicht verstehen.
Zusätzlich zu diesen physischen und psychischen Voraussetzungen wird jede Person ihre besonderen Charaktereigenheiten aufweisen – die eine kann zurückhaltend und ängstlich sein, die andere offenherzig und mitteilungsfreudig, wieder andere können forsch und sogar aufbrausend sein. Auch diese Gegebenheiten müssen vom Kursleiter berücksichtigt werden. Er sollte hierbei die Fähigkeit besitzen, sich entsprechend in die Situation des Teilnehmers bzw. der Gruppe einfühlen zu können und entsprechend zu handeln. Der Umgang mit der jeweiligen Person muss hierbei individuell auf diese abgestimmt sein – beispielsweise kann man mit der einen Person Witze machen oder ein ironisches Gespräch führen, mit der anderen jedoch nicht. Diese Fähigkeit ist entscheidend für eine angenehme Atmosphäre innerhalb der Trainingsgruppe. Ein gutes Mittel für eine angenehme Atmosphäre ist auch das Loben der Teilnehmer. Der Kursleiter sollte immer wieder sowohl die ganze Gruppe als auch einzelne Personen beim Durchführen einer Übung loben, sei es durch den entsprechenden Blickkontakt oder auch durch das konkrete Ansprechen: „Sie machen das genau richtig“, oder an alle Teilnehmer: „Schauen Sie einmal, wie Frau … die Übung durchführt – genau so sollte es aussehen, das ist prima“, „Sie können das aber toll, Herr … – ich bin begeistert!“
Erfahrungsgemäß bedürfen Hochaltrige sowohl im alltäglichen Leben als auch bei der Teilnahme an Gruppenstunden sehr klarer und gewohnter Strukturen. Im Hinblick auf die Durchführung psychomotorischer Aktivierungsstunden bedeutet dies, dass auch diese eine deutlich nachvollziehbare Grundstruktur aufweisen sollten (vgl. Kap. 5.1). Ein ständig wechselnder Ablauf der Stunde sollte demgemäß vermieden werden – die Inhalte der jeweiligen Stundenabschnitte sollten einen gewissen Wiedererkennungswert für den Teilnehmer haben. Diesem sollte also immer klar sein, was auf ihn zukommt und wie die Stunde in ihrem Ablauf aussieht.
Diese gewohnte Struktur bezieht sich letztlich auch auf die Person des Kursleiters. Ein ständig wechselnder Kursleiter stellt zweifellos einen Nachteil dar – einerseits kann langfristig kein persönlicher Bezug zwischen Kursleiter und Teilnehmer aufgebaut werden, andererseits fällt es den Teilnehmern in aller Regel sehr schwer, sich an immer wieder neue Personen zu gewöhnen. Demgemäß ist es wünschenswert, wenn die Gruppe über sehr lange Zeiträume mit einem konstanten Kursleiter zusammenarbeitet, der über die genannten Softskills verfügt.
Die Durchführung des Programms zur psychomotorischen Aktivierung erfordert in jedem Falle geeignete räumliche Voraussetzungen. Zumeist ist das räumliche Angebot für Bewegungsstunden in den Pflegeeinrichtungen relativ gering und lässt nur wenig Spielraum. Hat man dennoch eine gewisse Auswahlmöglichkeit, so gilt es, einige wichtige Dinge zu beachten.
Hinsichtlich der Größe des Raums sollte beachtet werden, dass dieser weder zu klein (beengendes Gefühl) noch zu groß (Gefühl der Leere) für die Trainingsgruppe ist (Eisenburger, 2004). Räume, in denen viel „Durchgangsverkehr“, z. B. des Pflegepersonals oder der Hauswirtschaft, herrscht, sind gänzlich ungeeignet, da sie die Aufmerksamkeit und Konzentration der Teilnehmer stark beeinträchtigen. Die allgemeine Raumgestaltung sollte in jedem Falle wohnlich und ansprechend sein, um eine angenehme und geborgene Atmosphäre zu schaffen.
Bereits das Aufhängen von Bildern oder das Schmücken des Raums mit Blumen kann hierzu wesentlich beitragen. Ein kahler, lieblos eingerichteter Kellerraum lädt sicherlich nicht zur gemeinsamen Bewegung ein. Weitere unerlässliche Grundvoraussetzungen neben der Raumgröße sollten eine angenehme Belichtung (idealerweise viele/ große Fenster), regulierbare Heizsysteme, sowie eine gute und ausreichende Belüftung sein. Auch die Akustik des Raums sollte beachtet werden.
Einen bedeutenden Sicherheitsaspekt stellt die Bodenbeschaffenheit des Raums dar.
Dieser sollte in jedem Falle rutschfest und griffig sein und keine Unebenheiten aufweisen. Der Sicherheit dienen ferner in greifbarer Nähe angebrachte Geländer an den Wänden des Raums. Neben diesen materiellen Sicherheitsvorkehrungen ist es zweifellos sinnvoll, wenn vor, während und unmittelbar nach den Übungsstunden Pflegepersonal erreichbar ist, d. h., es sollte immer die Möglichkeit bestehen, schnell Hilfe holen zu können. Auch die Erreichbarkeit einer Toilette stellt erfahrungsgemäß einen wichtigen Faktor dar. Neben dem eigentlichen „Gymnastikraum“ sollte schließlich noch eine weitere Räumlichkeit zur Ablage der verschiedenen Geräte und Materialien in unmittelbarer Nähe vorhanden sein. Zur Durchführung des Programms zur psychomotorischen Aktivierung eignen sich vor allem die folgenden Geräte:
• Hanteln:
Sind in verschiedenen Gewichtsklassen erhältlich, welche oftmals durch unterschiedliche Farben gekennzeichnet sind. Für das Üben mit Bewohnern von Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen hat sich ein Gewichtsbereich von 0,5 kg (meist gelbe Hanteln) bis maximal 2 kg (meist violette Hanteln) bewährt.
• Gewichtsmanschetten:
Sind in vielen verschiedenen Ausführungen im Fachhandel erhältlich. Bei einigen ist eine Variation des Trainingsgewichts (ca. 1,0-2,0 kg) durch Einlegen bzw. Herausnehmen von Gewichtsstäben möglich, andere wiederum haben unveränderbares Gewicht.
• elastische Bänder,
• Bälle (z. B. Softbälle), ein Schwungtuch,
• Luftballons,
• 2-3 Gymnastikmatten,
• Seile.
• Alltagsmaterialien:
z. B. Wäscheklammern, Zeitung, Korken, Kochlöffel, Sofakissen.
• Naturmaterialien:
z. B. Steine, Rinde, Kastanien, getrocknete Blumen.
Des Weiteren werden zuweilen benötigt: Schreibmaterial und Flipchart, CD-Player sowie eventuell Musikinstrumente, z. B. Gitarre.
Da zahlreiche der in Kap. 4 dargestellten Übungen zur psychomotorischen Aktivierung in der Sitzposition durchgeführt werden, muss schließlich auch das „Trainingsgerät Stuhl“ bestimmten Anforderungen genügen. Gerade hochaltrige Bewohner bedürfen einer guten Sicherung auch im Sitzen, und nicht jede Sitzmöglichkeit bietet diese in ausreichender Form. Für die jeweiligen Übungsformen hat sich eine Stuhlform bewährt, die eine ausreichende, gepolsterte Sitzfläche bietet und sowohl über eine Rücken- als auch über seitliche Armlehnen verfügt. Die letztgenannten sind von großer Bedeutung, da das Festhalten an diesen Stützen bei zahlreichen Übungen für eine zusätzliche Stabilisierung der Rumpfmuskulatur sorgt, weiterhin stellen sie eine wirkungsvolle Hilfe beim Aufstehen dar. Aus Gründen der Übersichtlichkeit und der „Raumästhetik“ (s. o.) wäre eine einheitliche Bestuhlung ebenso wünschenswert und sinnvoll.
Die Größe der Gruppe sollte eine Teilnehmerzahl von 10-12 Personen nicht überschreiten. Andernfalls ergeben sich erfahrungsgemäß zahlreiche Störfaktoren, die die Qualität einer Übungsstunde maßgeblich beeinträchtigen können: Der „Geräuschpegel“ und damit die allgemeine Unruhe in der Gruppe erhöht sich, die Aufmerksamkeit der Teilnehmer lässt gleichfalls nach, und auch die Aufmerksamkeit des Kursleiters im Hinblick auf eine individuelle Betreuung des Einzelnen wird eingeschränkt.
Es empfiehlt sich, dass die Teilnehmer bequeme, nicht zu enge Alltagskleidung und flache Schuhe in den Aktivierungsstunden tragen und dass sie eine persönliche Trinkflasche (Plastik) mit Wasser oder Saftschorle mitbringen.
Falls möglich, sollte auf eine gewisse Homogenität der Gruppe in Bezug auf die körperlich-motorische sowie die kognitive Funktionsfähigkeit geachtet werden. Es empfiehlt sich, eine Differenzierung in „geh- und stehfähige Personen“ und in „sitzfähige“ Personen vorzunehmen und die Übungsgruppen dergestalt zu differenzieren. Sofern Stehfähigkeit in ausreichendem Maße gegeben ist, können und sollten auch Übungsformen in der Standposition durchgeführt werden. Ist Stehfähigkeit nicht ausreichend gegeben, so sind ausschließlich Übungsformen im Sitzen (zumeist im Rollstuhl) möglich. Durch eine entsprechende Gruppeneinteilung kann somit vermieden werden, dass die einen Teilnehmer über- bzw. die anderen unterfordert werden.
Auch bezüglich der kognitiven Funktionsfähigkeit bzw. des Demenzgrades ist eine gewisse Homogenisierung von Vorteil. Wenige Personen mit leichter bis mittlerer Demenz können gut in eine psychomotorische Aktivierungsgruppe eingegliedert werden. Gibt es mehrere Personen mit Demenzerkrankung oder handelt es sich um stark fortgeschrittene Demenzstadien, ist eine getrennte Aktivierungsgruppe zu empfehlen, um den bestehenden Bedürfnissen sowohl der Personen mit Demenz als auch der kognitiv nicht beeinträchtigten Bewohner nachkommen zu können.
In Sportgruppen herrscht meist ein ungezwungener Umgang miteinander und Kursleiter und Teilnehmer duzen sich. Für ältere Menschen ist es jedoch häufig wichtig, bei der höflichen Anrede zu bleiben und gesiezt zu werden. Fragen Sie in der Einrichtung nach, wie der übliche Umgang in Gruppenangeboten dort ist. Gehen Sie behutsam vor und „überfallen“ Sie Ihre Teilnehmer nicht mit einem sportlichen „du“. Auch wenn Sie die Teilnehmer und die Teilnehmer sich untereinander durchgehend im Kurs siezen, ist eine angenehme Gruppenatmosphäre möglich.
Die allgemeine Organisationsform für die meisten Kräftigungsübungen ist der Stuhlkreis. Hierbei sind die Stühle (möglichst mit Armlehnen) kreisförmig angeordnet, sodass sich alle Teilnehmer gut sehen können und auch der Kursleiter alle Personen gut im Blick hat. Bei den Übungen in der Standposition dient die Rückenlehne des Stuhls als Haltegriff und verleiht so ein sicheres Standgefühl bei gleichzeitiger Verminderung des Sturzrisikos.
Bei ausreichender Größe des Gymnastikraums hat sich zusätzlich die Form des doppelten Stuhlkreises bewährt – hier befindet sich vor den Teilnehmern ein weiterer Stuhlkreis, sodass sich in der Standposition auch hinter der Person eine Sitzmöglichkeit befindet. Ferner können Trainingsgeräte, wie Hanteln oder Gewichtsmanschetten, auf dem Vorderstuhl abgelegt werden und stellen somit keine Stolperfallen auf dem Boden dar.
Bei der praktischen Durchführung der Übungen sollten von Beginn an grundlegende Aspekte zur Sicherheit des Einzelnen beachtet werden. Man kann in diesem Zusammenhang auch von den „goldenen“ Regeln der Gymnastik sprechen, die jeder Teilnehmer verinnerlichen sollte:
• Die Übung darf keine Schmerzen verursachen. Ist dies doch der Fall, so ist die Übung sofort abzubrechen.
• Die Übung sollte anstrengen, sie darf jedoch nicht überanstrengen. Es sollte sich während der Ausführung kein Gefühl der „völligen Erschöpfung“ einstellen. In jedem Falle ist die Übung auch hier vorher abzubrechen. Die Belastung sollte somit eher als angenehm empfunden werden.
• Einsatz des subjektiven Belastungsempfindens: Wird die Ausführung einer Übung als „leicht-mittel“, „mittel“ bzw. „mittel-schwer“, also im mittleren Bereich, beschrieben, so ist die Belastung individuell richtig gewählt. Grundlage ist hierfür die siebenstufige Skala des subjektiven Belastungsempfindens (vgl. Buskies & Boeckh-Behrens, 2009):
Wie schätzen Sie Ihre Beanspruchung während der Aktivierungsstunde ein?
□ | 1 | sehr leicht |
□ | 2 | leicht |
□ | 3 | leicht-mittel |
□ | 4 | mittel |
□ | 5 | mittel-schwer |
□ | 6 | schwer |
□ | 7 | sehr schwer |
• Lassen Sie sich von den Teilnehmern rückmelden, wie schwer sie die Beanspruchung empfinden. Machen Sie deutlich, dass es hier kein „Richtig“ oder „Falsch“ gibt, sondern dass es wichtig ist, dass die Teilnehmer ihre tatsächlich wahrgenommene Belastung rückmelden. Wissenschaftliche Studien der Universität Bayreuth haben gezeigt, dass diese Trainingssteuerungsmethode sehr genau ist, wenn sie mit den Teilnehmern oft geübt wird.
• Während der Übungsausführung die Atmung beachten! Es sollte bewusst und kontinuierlich ein- und ausgeatmet werden, Pressatmung bzw. Luftanhalten sind unbedingt zu vermeiden.
• Die Körperposition während einer Übung sollte der aufrechte Sitz bzw. der aufrechte Stand hinter dem Stuhl sein (nähere Erläuterung in Kap. 4.1.1.2). Auch der Kopf sollte aufrecht auf den Schultern gehalten werden.
Diese „goldenen“ Regeln sollten von der ersten Stunde an einstudiert, betont und immer wieder wiederholt werden.
1 Laut Definition beginnt das vierte Lebensalter zu dem Zeitpunkt, zu dem die Hälfte der ursprünglichen Geburtskohorte gestorben ist. In den westlichen Industrieländern ist das bei ca. 80 Jahren der Fall (Baltes, 2003).
2 Unter dem Begriff Altenpflegeeinrichtungen werden sämtliche teil- und vollstationären Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen für alte Menschen, wie z. B. Altenpflegeheim, Altenheim oder betreutes Wohnen, verstanden.