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Die Hauptpersonen des Romans
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PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2745
Kodewort ZbV
Verräter-Symphonie – falsches Spiel auf Maharani
Uwe Anton
Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt
Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen.
Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.
Im Jahr 1516 Neuer Galaktischer Zeitrechnung steht die Milchstraße seit nunmehr zwei Jahren unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals, das behauptet, im Rahmen der »Atopischen Ordo« für Frieden und Sicherheit zu sorgen.
Welche Auswirkungen die Atopische Ordo haben kann, erfährt Perry Rhodan in der Galaxis Larhatoon, der Heimat der Laren, die vor über eineinhalb Jahrtausenden als Mitglieder des Konzils der Sieben Galaxien eine beträchtliche Zeitspanne in der Milchstraße herrschten.
In der Milchstraße regieren faktisch längst die Atopischen Richter und treiben die Regierungen der galaktischen Völker vor sich her. Einer der ersten Befehle lautete, das Arkonsystem komplett an die Naats zurückzugeben.
Jüngst wurde Aurora, die Zentralwelt des Galaktikums, von ihnen mit einer Ordischen Stele versehen, und nun wenden die sich Atopen der Zentralwelt der Liga Freier Terraner zu: Maharani. Doch dann fällt das KODEWORT ZBV ...
Sichu Dorksteiger – Die Chefwissenschaftlerin der LFT begibt sich sehenden Auges ins Dunkle.
Vetris-Molaud – Der Tefroder wird an seine Beistandspflichten erinnert.
Arun Joschannan – Das Oberhaupt der LFT muss eine brisante Entscheidung treffen.
Homer G. Adams – Diesmal ist der Zellaktivatorträger nicht als Wirtschaftsexperte unterwegs.
Iivirin-System, Planet Vysninc,
10. Juni 1516 NGZ
»... und die wenigen Überlebenden
werden dazu verurteilt,
stumpf und hoffnungslos
vor sich hin
zu vegetieren!
Die Jülziish werden
das nicht hinnehmen!«
Die Hymne des Komponisten Ke-Wyin-Sylpyrd hallte in Hyki-Yuruk-Tins Hörgängen. Die Melodie kannte er in- und auswendig. Er konnte das Lied mühelos mitsingen, wie alle Gataser seiner Kompanie.
Wenn sogar ein so berühmter alter Mann nachdrücklich für den Widerstand gegen die Installation einer Ordischen Stele eintrat, konnte sich kein Jülziish, der noch in tieferen Frequenzbereichen zu hören und zu sprechen vermochte, diesem Appell entziehen.
Hyki-Yuruk-Tin überprüfte den Sitz seines schwer gepanzerten Kampfanzugs. Teile der Armee hatten sich auf ihre Seite geschlagen und sie mit Waffen, Schutzanzügen und Fahrzeugen versorgt. Die Bevölkerung von Vysninc war uneins. Die Regierung hatte die Installation der Stele gebilligt, doch im Volk regte sich Widerstand. Die Situation eskalierte, und es kam zu offenem Aufruhr. Die Gataser hatten sich erhoben.
Ein einmaliger Vorgang in der Geschichte des Iivirin-Systems. Wenn auch nicht in der der Jülziish-Völker, bei denen Bruderkriege in der dunkelsten Epoche ihrer Geschichte eher die Regel als die Ausnahme gewesen waren.
»Vorrücken!« Das Akustikfeld trug den Ultraschall weit. Die Stimme des Kommandanten drang durch ganz Hyrküüt. Der Vorort der Hauptstadt war von Zivilisten geräumt worden und diente nun als zentrales Aufmarschgebiet der Bürgerwehr.
Hykis Blick fiel auf ein Holograffiti, das an einer Hauswand prangte, ziemlich verblichen und an den Rändern schon zerfranst. Onryonen raus aus Tüjyglii!, stand dort zu lesen.
Er setzte sich in Bewegung. Es war kein Gleichmarsch, den die Milizionäre zustande bekamen, dazu waren sie zu schlecht ausgebildet.
Eigentlich waren sie überhaupt nicht ausgebildet. Es handelte sich um eine zusammengewürfelte Truppe, die sich allerdings nicht über Mangel an Zulauf beklagen konnte. Zumindest die Hälfte der Bevölkerung stand hinter ihnen, schätzte der Gataser.
Aber nicht die Hälfte kämpfte. Das waren nur einige Tausend. Für mehr hatten sie einfach nicht genug Ausrüstung. Oder sollten Köche, Kellner und Komponisten mit bloßen Händen gegen die Ordische Stele anrennen? Und vielleicht sogar gegen ihre eigenen Brüder, wenn es zum Äußersten kam?
»Möge die schwarze Kreatur der Ewigkeit mit dir sein!«, stieß sein Nebenmann hervor, als er zu ihm aufschloss.
Hyki-Yuruk-Tin stolperte unversehens. Das war der Totengruß der Jülziish. Stand es wirklich so schlecht um sie? Hatten die Männer vor, hinter und neben ihm schon mit dem Leben abgeschlossen?
Er marschierte weiter. Sie ließen ein Hochhaus hinter sich und konnten einen ersten Blick auf Tüjyglii werfen, die Hauptstadt von Vysninc.
Und einen Blick auf die Ordische Stele.
Die Onryonen hatten sie mitten im Zentrum von Tüjyglii errichtet, an einer Stelle, an der gerade ein uraltes Wohngebäude abgerissen worden war, um Platz für ein neues, viel höheres Geschäftshaus zu machen.
Die Stele war gewaltig, insgesamt dreihundert Meter hoch. Das untere Drittel war dabei in den Boden eingelassen worden, wie Hyki wusste. Über die Errichtung der Stele sprachen heute noch viele; es war ein Spektakel gewesen. Ein hundert Meter hoher, oval geformter Bereich lag unter der Erde.
Die sichtbaren zwei Drittel bildeten eine dreiseitige Pyramide mit einer Kantenlänge von sechzig Metern an der unteren Basis und zwanzig Metern am obersten Punkt. Die Spitze wirkte wie abgeschnitten. Rund um den Pyramidenkörper zog sich am Boden eine glänzende Fläche aus völlig glattem Rubin.
Hyki-Yuruk-Tin konnte keinen Zugang ausmachen, kein Geländer. Man kam die Stele nicht hinauf. Er sah auch keine Antennen oder Funkmasten, wie sonst überall auf den benachbarten Gebäuden. Zurzeit befand sich die Stele im Verschlusszustand.
Das gesamte Gebilde war offenbar aus onyronischem Patronit gefertigt und leuchtete aus sich heraus in einem tiefen Rot.
Der Kompaniekommandant stimmte eine weitere Strophe aus Ke-Wyin-Sylpyrds Komposition an. Das Akustikfeld ließ seine Ultraschall-Stimme weiterhin über die gesamte Vorstadt erschallen.
»Gerechtigkeit! Recht und Gesetz!«, hallte sie über die Parklandschaften und niedrigen Wohnhäuser, die nun immer öfter von höheren Gebäuden ersetzt wurden. »Herrschaft im Kleinen für die Herrscher!«
Hyki-Yuruk-Tin wusste, worauf der Text sich bezog. Die Ordischen Stelen sollten, sobald sie aktiviert sein würden, als Gerichtshöfe im Kleinen dienen. Die Onryonen hatten verkündet, dass Recht Suchende dorthin gehen und Recht sprechen lassen konnten.
Atopisches Recht. Das Recht der Ordo. Der Plan war perfide. Auf diese Weise wurde schon im Alltag die Atopische Ordo im Bewusstsein der Milchstraßenvölker verankert. Irgendwann würde sie ihnen so sehr in Fleisch und Blut übergehen, dass sie sich gar nicht mehr vorstellen konnten, jemals unter einem anderen Rechtssystem gelebt zu haben.
... und die wenigen Überlebenden werden dazu verurteilt, stumpf und hoffnungslos vor sich hin zu vegetieren! War das das Ziel der Onryonen? Arbeiteten ihre Vordenker und Strategen darauf hin?
»Die graue Kreatur des Untergangs erwartet uns!«, flüsterte sein Nebenmann. Seine vier Augen waren vor Angst weit aufgerissen.
Sie marschierten weiter, immer schneller, wie es Hyki-Yuruk-Tin vorkam. Die vier Augen ermöglichten ihm auch einen Blick auf die Milizionäre hinter ihm. Ihre Bewegungen gewannen eine Eigendynamik. Bald würden sie sich gar nicht mehr in Erwägung ziehen, stehen zu bleiben oder einfach zu verharren.
Fast unmerklich lösten die Strukturen der Vorstadt sich auf. Brutparks und kleinere Wohnsiedlungen wurden immer seltener. Schließlich lag das Zentrum von Tüjyglii vor ihnen.
Hyki-Yuruk-Tins Hochstimmung schwand. Die Innenstadt war eine waffenstarrende Festung. Schwer gepanzerte Gleiter flogen zwischen den Häusern, in den Straßen standen die regulären Truppen von Vysninc. Hoch am Himmel waren Raumschiffe zu sehen. Die gewaltigen Diskuskörper standen bereit, um im Bedarfsfall weitere Raumlandetruppen auszuspucken.
Aber die Übermacht der regulären Truppen, die die Ordische Stele und das Kastell schützen sollten, war ohnehin erdrückend. Einer gegen zehn, dachte der Gataser. Einer von uns gegen zehn gut ausgebildete und ausgerüstete Soldaten!
Der Kommandant schmetterte sein Lied. Die rhythmischen Klänge trieben Hyki-Yuruk-Tin voran, genau wie die Jülziish neben ihm. Schritt für Schritt für Schritt stapfte er voran, den Truppen entgegen.
Dem Untergang.
Schritt für Schritt für Schritt näherte sich Hyki-Yuruk-Tin den Mündungen der Kombistrahler, die aus Gleitern, Fenstern und Haustüren auf ihn gerichtet waren. Der Lärm wurde unbeschreiblich. Längst verstand er nicht mehr, was der Kompaniekommandant brüllte oder sang. Seine und die Stimmen seiner Kameraden wurden von dem Getöse der Kampfgleiter übertönt, die immer dichter über ihre Köpfe hinwegflogen. Normalerweise benutzten sie die leisen Antigravs, doch jetzt wollten sie zum Druck beitragen, der auf die Aufrührer ausgeübt werden sollte, und griffen auf die konventionellen Triebwerke zurück.
Jeden Augenblick würde es so weit sein. Der erste Schuss ließe alle Dämme brechen. Wenn der erste Soldat feuerte, feuerten auch die anderen. Dann würde nur sein gepanzerter Kampfanzug ihn noch ein paar Sekunden überleben lassen.
Wie einfach war es in seiner Vorstellung doch gewesen! Für die Freiheit zu sterben ... ein Zeichen zu setzen, das die Bevölkerung aller Welten aufrütteln und veranlassen sollte, Widerstand gegen die drohende Unterjochung durch die Onryonen zu leisten!
Aber so leicht war es nicht.
Mit jedem Schritt wurde Hyki-Yuruk-Tin klarer, dass es überhaupt nicht leicht war, in den Tod zu marschieren. Jetzt wurde es ernst. Er spürte, wie es in seinen Gedärmen rumorte.
Doch es gab kein Zurück mehr. Die Gesänge trieben ihn voran, der Lärm nahm ihm jede Orientierung. Es gab nur ein Ziel für ihn.
Die Ordische Stele, die es zu vernichten galt! Die Gataser von Vysninc würden aufbegehren, und wenn es ihren Tod bedeutete.
Zweihundert Meter bis zur gegnerischen Front ... einhundert ... fünfzig. Warum schossen die Soldaten nicht? Warum ließen sie die unselige Vergangenheit nicht wieder aufleben, die alten Bürgerkriege, die Bruderkriege, in denen Gataser gegen Gataser gekämpft hatte?
Warum schießen sie nicht?
Dann hatten sie die feindliche Linie erreicht – und marschierten weiter, immer weiter, in geordneter Formation oder dem, was sie dafür hielten.
Bei der farblosen Kreatur des Mysteriums! Voller Erstaunen begriff Hyki-Yuruk-Tin, dass kein Schuss gefallen war. Dass die regulären Streitkräfte sie hatten passieren lassen, ohne sich ihnen in den Weg zu stellen.
Die Ordische Stele und das Kastell, das direkt neben ihr errichtet worden war, lagen vor ihnen.
Sie hatten es geschafft! Sie brauchten nur noch zuzugreifen, und der Sieg gehörte ihnen!
Das ultraschallene Frohlocken fegte einen Moment lang Hyki-Yuruk-Tins Gedanken hinweg.
*
Weiter, weiter, immer weiter! Hyki-Yuruk-Tin marschierte, stimmte Ke-Wyin-Sylpyrds Komposition an, brüllte sie aus vollem Hals, während er seine Muskeln unter dem Gewicht des gepanzerten Kampfanzugs immer deutlicher spürte, bis sie zu schmerzen begannen.
Aber er ignorierte die körperlichen Qualen, die der Vormarsch ihm bereitete. Er rang nach Atem und ging einfach weiter.
Zum ersten Mal sah er das Kastell nun aus der Nähe. Es war eine Art Wohngebäude, quadratisch im Grundriss, mit einfacher Architektur und einem Flachdach. Praktisch ein gewaltiger Würfel von über hundert Metern Kantenlänge.
Die humpelnde Kreatur der Unsicherheit rührte sich warnend tief in seinem Inneren. Kastell, das hörte sich kriegerisch an. Ein Kastell war eine Befestigungsanlage oder ein Militärlager, ganz allgemein ein befestigter Ort. Es sollte etwas schützen.
Wie würde dieses Kastell seine Aufgabe erfüllen?
Hyki-Yuruk-Tin folgte dem Kommandanten, stürmte in seiner schweren Panzerung voran, auf die Ordische Stele zu. In ihrer auffälligen Färbung Rot reckte sie sich wie die rote Kreatur der Todesschlünde in den Himmel. Die Farbe ließ sie kriegerisch wirken, als wüsste sie, wie sie sich zu verteidigen hätte. Doch noch immer konnte Hyki-Yuruk-Tin keine Tür, kein Tor, kein eigentliches Ziel sehen.
Verführt vom greifbaren Erfolg gab seine Kompanie jede Ordnung auf. Die Gataser neben ihm rannten los, schwangen ihre Waffen und schossen auf die Ordische Stele.
Hyki-Yuruk-Tin lief mit ihnen, legte aber nicht an. Der letzte Rest seines logischen Denkens sagte ihm, dass er in sein Verderben rannte. Doch alle anderen Gedanken schrien: Töte sie! Zerstöre die Stele!
Einige Schüsse trafen das Kastell in der Nähe der Stele. Angeblich hielten sich dort nur Onryonen und ein paar Roboter auf. Doch Beweise für diese Vermutung fehlten. Jedenfalls waren die Onryonen bislang nicht tätig geworden, falls es sie überhaupt gab.
Abrupt hüllte das Kastell sich in einen Energieschirm. Hyki-Yuruk-Tin war Koch, kein Spezialist für Schutzschirme, doch er glaubte, dass es sich um eine Art Paratron handelte.
Der Lärm der Gleiter über ihren Köpfen, das Fauchen der Kombistrahler und anderen Handfeuerwaffen, die hohen Klänge der Hymne von Ke-Wyin-Sylpyrd, das alles vermengte sich in seinem Kopf zu einem Crescendo, das jedes bewusste Denken verdrängte und nur Platz für seine Instinkte ließ. Lauf. Renn um dein Leben! Schieß endlich!
Die Stele bekam einige Treffer ab. Dort, wo die Strahlen aus den Waffen auf die Außenwand prallten, glühte sie hell auf, in einem noch intensiveren Rot als zuvor.
Dann reagierte sie.
Sie begann zu schwingen, zuerst langsam, dann immer schneller. Dabei erzeugte sie ein Geräusch, das bis tief in Hyki-Yuruk-Tins Knochen drang und körperliche Schmerzen auslöste.
Nach wenigen Sekunden vibrierte die Ordische Stele so rasch, dass ihre Konturen verschwammen. Hyki-Yuruk-Tin konnte sie nicht mehr deutlich ausmachen. Aber was sah, hörte, roch er überhaupt noch deutlich?
Der Angriff der Gataser geriet ins Stocken. Hyki-Yuruk-Tin taumelte, konnte sich nicht mehr orientieren.
Klar denken konnte er längst nicht mehr. Irgendwie bekam er mit, dass er in die Irre lief und mittlerweile ebenfalls um sich schoss. Aber nicht auf die Stele und das Kastell, sondern irgendwohin.
Auf meine Kameraden!, dachte er. Er hatte jede Kontrolle über sich verloren.
Auch die über seine Gedärme. »Nur noch einen Zehnteltag leben«, flüsterte er, »nur noch einen Zehnteltag leben!« Sein Darminhalt quoll feucht und warm in seine Beinkleidung.
Es ist würdelos, dachte er, als seine Beine plötzlich nachgaben. Es ist würdelos, sich so tief zu bücken, sich so weit hinabzubeugen, dass sich der Kopf unterhalb der Wirbelsäule befindet.
Mit einem Mal stand die Welt auf dem Kopf, und er merkte, dass er stürzte, und nun schmeckte er endlich etwas, das Kupfer von Blut, aber nicht das in einer Blutegelsoße, die er so gern zubereitete, sondern sein eigenes. Er sah, dass er in seinem eigenen Blut lag, und seine Gedanken waren träge – und dann kam der Schmerz, ein furchtbarer, stechender Schmerz in seinen Beinen und seiner Brust. Er tastete nach seiner Waffe, um noch einmal zu schießen, und dann ...
... war nichts mehr.
Helitas-System, Tefor,
12. Juni 1516 NGZ
Vetris-Molaud war müde und gereizt.
Das eine hing mit dem anderen zusammen.
Müde war er trotz des Zellaktivators, den er von den Onryonen bekommen hatte. Gereizt war er unter anderem, weil seine Müdigkeit ihm zu schaffen machte. Seit Wochen hielten ihn die Amtsgeschäfte bis spät in die Nacht wach. Er fand jeweils nur zwei bis drei Stunden Schlaf, dann ließ er sich wieder wecken.
Nun forderte der Körper sein Recht. Zehn Stunden Schlaf an einem Stück, sagte er sich, und alles ist wieder in Ordnung. Vielleicht reichen auch schon fünf ...
Zu seiner Gereiztheit trug bei, dass er sich nicht vernünftig konzentrieren konnte. Er ertappte sich dabei, dass er den Blick durch den Konferenzraum im Stern von Apsuma schweifen ließ. Er sah das wuchtige Mobiliar aus Naturmaterialien, Tarbanleder und Fandelholz und lächelte. Der Innenarchitekt hatte ganze Arbeit geleistet. Der Raum war geschmackvoll eingerichtet, ohne protzig zu wirken. Wie es seinem Rang entsprach.
Dann zwang er sich, seine Aufmerksamkeit wieder auf sein Gegenüber zu richten. Dieses Gespräch war wichtig. Alle Gespräche, die er führte, waren wichtig. Jedes einzelne war ein vielleicht winziges, aber gleichwohl bedeutendes Teilstück seines umfassenden Plans. Schließlich wollte er ein neues Reich errichten.
Die Phanarkonidin Niaben da Thoctar, Abgesandte der Sternenbaronie Phan, war mit ihrem asymmetrischen Gesicht alles andere als eine Schönheit im klassischen Sinn. Das machte sie in seinen Augen aber nur interessanter. Völlig ebenmäßige Schönheit war langweilig. Es waren die kleinen Ausreißer, die den Eindruck von Attraktivität hervorriefen, und in dieser Hinsicht war sie eine sehr attraktive Frau.
Die Phan-Baronie war nicht besonders einflussreich, zumindest nicht im Spiel der großen Machtblöcke, zu denen er Tefor nun auch zählte. Eine Sternenbaronie wurde vom unteren arkonidischen Adel beherrscht. Barone waren lediglich Edle Dritter Klasse.
Und von der Familie da Thoctar hatte Vetris-Molaud nie zuvor gehört. Sie hatte höchstens lokale Bedeutung. Oc Shozdor, der Chef seines Geheimdienstes, hatte eigens ein Dossier über sie zusammengestellt, damit er wenigstens über die grundlegenden Informationen verfügte. Auffälligkeiten hatten sich darin nicht gefunden.
Vetris-Molaud zwang sich zu einem Lächeln, um seine kurze Unaufmerksamkeit zu kaschieren. »Ich fasse also zusammen, Niaben da Thoctar. Phanwaner im Phan-System ist die Hauptwelt der arkonidischen Sternenbaronie Phan. Sie liegt im Randbereich der Eastside.«
»Das ist richtig, Maghan. 30.612 Lichtjahre von Arkon, aber nur 7504 Lichtjahre von Tefor entfernt.«
Sein Lächeln wurde eine Spur breiter. »Also ein echter Außenposten des Imperiums, erst vor gut zweihundert Jahren gegründet ...«
»Die Erstbesiedlung fand im Jahr 1305 NGZ statt.«
»Und nun wird Phanwaner zu einer Koordinierungswelt des arkonidischen Vizeimperators Tormanac da Hozarius ausgebaut.«
»Das ist richtig. Hozarius hat zu diesem Zweck einige Tausend Einheiten der Robotflotte in unser System verlegt.«
39 besiedelte Welten in 29 Sonnensystemen, dachte Vetris-Molaud. Immerhin. Ein winziger Tropfen auf dem heißen Stein, aber immerhin.
»Die Sternenbaronie Phan bedürfe ihrer Lage wegen besonderen Schutzes. So argumentiert jedenfalls der Vizeimperator.«
Die Arkonidin erwiderte sein Lächeln, als er nicht fortfuhr. Ihr Mund saß leicht schief, nicht so sehr, dass es auf den ersten Blick aufgefallen wäre. Ihre Augen waren unterschiedlich gefärbt, die Nase war minimal verzogen und wies einen kleinen Hügel auf. Alles winzige Details, die sich jedoch zu einem Gesamtbild zusammenfügten. Ihr Gesicht war einfach nicht ebenmäßig.
Vetris-Molaud fragte sich, warum sie diese kleinen Unregelmäßigkeiten nicht chirurgisch korrigieren ließ. Zumindest leicht verbessern, damit sie sich nicht der langweiligen Perfektion näherte. Es wäre eine Sache von ein paar Stunden gewesen. Zumal sie schlank und hochgewachsen war und in jeder anderen Hinsicht dem arkonidischen Schönheitsideal entsprach. Und ein Parfum benutzte, dessen Duft sogar ihn in Versuchung führen könnte.
Auf jeden Fall war sie eine charmante Frau. Sie machte einen guten ersten Eindruck und vertrat die Interessen der Baronie hervorragend. Noch wusste er nicht genau, worauf sie hinauswollte.
Doch er ahnte es.
Er riss sich wieder zusammen. Diese ständigen unkonzentrierten Phasen des Abschweifens ... Er musste dringend ein paar Stunden schlafen. »Und davon sind die Phanarkoniden nicht begeistert?« Ihr Tonfall machte das klar. Und welchen Grund hätte es sonst gegeben, um dieses Gespräch mit ihm zu bitten?
»Bei aller Gemeinsamkeit unserer Herkunft wird die Robotflotte nicht von allen Phanarkoniden begeistert aufgenommen«, gestand Niaben da Thoctar ein. »Wir fühlen uns vom Vizeimperator ... nun ja ... fast schon besetzt.«
Jetzt kommen wir zum Kern des Gesprächs.
»Vielleicht sogar ... bedroht?«
Sie zuckte fast unmerklich zusammen.
Damit hatte er sie aus der Fassung gebracht. Die Arkoniden verstanden sich ausgezeichnet darauf, viel zu sagen, ohne für Ohren, die nicht an diese Spielchen gewöhnt waren, irgendetwas auszusagen. Sie hatten es in den Jahrtausenden der höfischen Ränkespiele gelernt, bei denen man auf jedes Wort achten und sich stets den Rücken freihalten musste, wenn man nicht im Konverter landen wollte. Es hatte sich geradezu in ihre Gene eingebrannt.
Die Abgesandte der Baronie ging mit einem weiteren Lächeln über diesen Stilbruch hinweg. »So weit würde ich nicht gehen. Das grenzte an Verrat. Es besteht ein Unterschied zwischen ... Unannehmlichkeiten und einer Bedrohung.«
Vetris-Molauds Gedanken glitten wieder ab. Du kannst mir viel erzählen, geschätzte Niaben. Du bist hier, um erste unverbindliche Gespräche zu führen. Du hast den Auftrag, die Spielräume auszuloten, die ich eurer Baronie ließe, wenn sie sich dem Tamanium anschließen würde. Ein weiteres winziges, aber durchaus wichtiges Detail auf dem Weg zu einem neuen tefrodischen Großreich in der Milchstraße.
»Trotzdem ...« Ein Holo bildete sich vor ihm. Es zeigte einen seiner vielen Adjutanten. Er wusste im Augenblick nicht einmal, wie der Tefroder hieß, was er aber seiner Müdigkeit zuschrieb. Im Normalfall konnte er sich durchaus an die Namen seiner engeren Mitarbeiter erinnern.