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Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
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PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2749
Die Stadt Allerorten
Er ist gefangen in einer unglaublichen Metropole – und sucht den Heimweg in die Milchstraße
Michael Marcus Thurner
Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt
Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.
Im Jahr 1516 Neuer Galaktischer Zeitrechnung steht die Milchstraße seit nunmehr zwei Jahren unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Seine Angehörigen behaupten, im Rahmen der »Atopischen Ordo« für Frieden und Sicherheit zu sorgen.
Welche Auswirkungen die Atopische Ordo haben kann, erfährt Perry Rhodan in der Galaxis Larhatoon. Sie ist die Heimat der Laren – dieses Volk herrschte vor über eineinhalb Jahrtausenden eine beträchtliche Zeitspanne in der Milchstraße. Auch in der Menschheitsgalaxis regieren faktisch längst die Atopischen Richter und treiben die Regierungen der galaktischen Völker vor sich her.
Reginald Bull hat indessen den Untergang der JULES VERNE überlebt, wurde allerdings durch den mysteriösen Androiden Quick Silver an einen fremden Ort gebracht. Von dort führt der Weg des Unsterblichen in DIE STADT ALLERORTEN ...
Reginald Bull – Dank des Identor findet er in ein neues Leben.
Omye – Die Frau an Bulls Seite weiß, was ihn belastet.
Zhayo Penyyin – Ein Yothoy lernt Fremde kennen.
Chüpa Röljat – Ein Gastgeber mit eigenen Motiven.
Annthas Athelsam und Ghurlauc Gothoddin – Zwei Beauftragte der Stadt Allerorten.
Das Protokoll Integrität (PI): Es wacht darüber, dass sich keine Unbefugten in der Stadt aufhalten und dass sie weder infiltriert noch ausspioniert wird.
Bull würde Quick Silver den glänzenden Hals umdrehen, sobald sich die Gelegenheit dazu bot. Doch vorerst galt es zu überleben.
Zwei Bernsteineinschlüsse plumpsten unmittelbar vor ihm aus den Fassungen. Sie vereinten sich wie Seifenblasen und wurden zu etwas Größerem. Zu einer Wächtereinheit des Schiffs, durch das er lief, kroch und rannte, stets auf der Suche nach einem sicheren Versteck.
Der Wächter ließ bitter riechende Dämpfe aus seinem Inneren entweichen, die Bulls Willenskraft lähmten und müde machten. Und er nahm Licht auf, das aus der Tiefe des Raumers hochdrang. Er speicherte die Helligkeit in einem Prozess, den Bull Spektralbündelung nannte, um dann, nach zwei bis drei Sekunden, einen hochenergetisch wirksamen Strahl in seine Richtung abzufeuern.
Bull reagierte geistesgegenwärtig, noch bevor die Wächtereinheit die Bündelung zu einem Ende brachte. Er sprang zur Seite, nach links, hechtete in eine Bodenlücke, ließ sich von der Antigrav-Einheit des Kubus in die Tiefe tragen. Doch dem Strahl konnte er auf Dauer nicht entkommen. Er würde ihn verfolgen, aufgesogen und weitergegeben von anderen Bernsteinwächtern, die gleichermaßen Medium und aktive Abwehreinheit waren.
Der Schutzkubus, den Bull bei sich trug, verrichtete seine Arbeit ausgezeichnet. Er war bloß handgroß und mit Elementen versehen, die gegeneinander verschiebbar waren. Jede Kombination, die er auf einer der sechs Flächenseiten erzeugte, erfüllte eine andere Funktion. Manche von ihnen beschützten ihn, andere dienten ihm als Angriffseinheiten. Ohne den Schutzkubus hätte es Reginald Bull nur noch in Partikelform gegeben. Und das wäre doch schade, dachte er.
»Genauere Befehle erbeten!« mäkelte der Schutzkubus, dessen Sprache Bull dank des Identor-Tuchs verstand. Er hielt das Stück Stoff nach wie vor um den Körper geschlungen. Es verlieh ihm das Aussehen eines Buquer, eines Bewohners dieser fremden Welt, und es half ihm, sich darin zurechtzufinden.
Der vom Kubus erzeugte Schutzschirm leuchtete mit einem Mal in einem tiefen Grün. Er wurde getroffen. Der Schirm verzerrte und beeinträchtigte Bulls Sicht auf seine Umgebung. Grün ist akzeptabel. Gefährlich wird es erst, wenn das Abwehrfeld rings um mich gelb leuchtet!
Er beschleunigte seine Fahrt, raste auf einen der vielen Ausgänge des Raums zu. Suchte Deckung zwischen Metalltrümmern. Streute Bluff-Kugeln aus, die ihm der Kubus zur Verfügung stellte, und wartete, bis sie von den aktiven Bernsteinwächtern unter Beschuss genommen wurden, um dann weiterzufliegen und die wenigen Momente auszunutzen, die ihm dieses Ablenkungsmanöver an Zeitgewinn brachte.
Geschafft! Er glitt durch halb geöffnete Schotte in einen dunklen Gang. Die bernsteinfarbenen Einschlüsse dort waren kristallin geformt. Nach Bulls Erfahrung waren sie defekt. Er hatte nun einige Sekunden Zeit, um sich eine neue Strategie zu überlegen und einen Weg aus dem Gängewirrwarr zu finden, das sich vor ihm ausbreitete.
Bull hielt den Würfel auf Armlänge von sich und betätigte mit dem Daumen den zentralen Knopf der rot markierten Seite. Ein Holo erwachte zum Leben. Es wurde rasch bunter und vielfältiger. Auf eine Art und Weise, die Bull nicht verstand, erforschte das Gerät die nähere Umgebung und baute vor seinen Augen eine dreidimensionale virtuelle Darstellung auf.
Über ihm rumorte es. Die Bernsteinwächter vermochten Metall zu durchdringen oder es zu zwingen, zur Seite zu weichen und sie durchzulassen. Sie waren einerseits Teil des wracken Schiffs und besaßen andererseits Hoheitsrechte über die Hülle. Der Durchdringungsprozess nahm einige Zeit in Anspruch; doch es gab keinen Ort, kein Versteck, an dem Bull sicher war.
Über kurz oder lang würde er diesen Wettlauf verlieren, das wusste er. Die Einschläge kommen näher. Vor zehn Minuten hätten mich die Bernsteinernen beinahe in die Ecke gedrängt und ins Kreuzfeuer genommen.
Also hatte er mithilfe des Würfels ein Ausstiegsszenario entwickelt, das ihn binnen weniger Minuten aus dem Inneren des Schiffs brachte. Er hatte einen exakt festgelegten Kurs abgespeichert, dem er folgen würde, kreuz und quer durch den Heckbereich des Raumers, bis er seinen Fluchtkamin erreichte: einen Lastenschacht, der die Zentralachse des Gebildes durchschnitt und – hoffentlich – durchgehend benutzbar war.
Metall zog sich an der Decke zurück, bernsteinfarbene Masse quoll aus der entstandenen Lücke. Sie plumpste satt zu Boden und verteilte sich unregelmäßig rasch. Weitere Masse stürzte nach wie Teig, der aus einer Schüssel auf das Walkbrett fiel.
Es war ein faszinierender Vorgang, der Bull immer wieder in den Bann zog. Diese unspektakulär aussehende Masse wies eine Rechnerintelligenz auf, deren Kapazitäten irgendwo im Inneren des Schiffs bestimmt und gesteuert wurden. Ganze Schiffsteile bestanden aus Bernsteinmaterial!
Bull meinte, einen Lichtschimmer zu erkennen, der aus der Lücke auf die Masse hinabfiel. Bald würde er sich zu einem intensiven Strahl verdicken und einen neuen Angriff starten, um ihn weiter zu verfolgen, ihn zu jagen und letztlich in eine aussichtslose Position zu bringen. Um ihn zu töten.
Er raste davon, knapp über dem Boden. Der Würfel besaß keine Autopilot-Funktion. Bull musste den Kurs selbst bestimmen und den virtuellen Vorgaben des Hilfsgeräts folgen.
Links. Rechts. Rechts. Nach oben weg, an einem querstehenden Trümmerteil vorbei, durch eine Staub- und Sandwechte, die der Oberflächenwind irgendwann und irgendwie in die Tiefen des Wracks herabgetrieben hatte. Wieder war er der Verfolgung für eine Weile entzogen, wieder musste er sich neu orientieren.
Das virtuelle Bild zeigte rings um ihn sechs rot eingefärbte und damit besonders gefährliche Brennpunkte. Dort hatten sich Dutzende der Bernsteinwächter versammelt. Sie setzten sich eben wie auf Befehl in seine Richtung in Bewegung, als fühlten sie seine Anwesenheit, und so war es wohl auch. Die Masse war überall. Manchmal kristallin, manchmal dünnflüssig, meist träge wie Baumharz. Jede dieser Daseinsformen erfüllte ihren Zweck. Und das Zeug war so gut wie unzerstörbar, wie Bull bereits nach wenigen Versuchen mit seinem Strahler festgestellt hatte. Die Bernsteinwächter speicherten Energien. Eine Übersättigung trat erst ab einem punktuellen Dauerbeschuss von mehr als fünfzehn Sekunden ein.
Vier der sechs Wächterkonglomerate befanden sich in unmittelbarer Nähe. Sie waren hinten, vorne, oben, unten. Sie drängten vorwärts, wie von Antigravfeldern geschoben oder in Form von kleinen Sturzfluten. Sie füllten Gänge aus oder näherten sich als Rinnsale, sie blieben unauffällig oder kamen mit lautem Getöse.
Bull brannte ein Loch in die Wandverschalung links von ihm. Auch im Dahinter, im schmalen Zwischenraum, der mit Leitungen und Röhren gefüllt war, steckten geringe Mengen des Bernsteins.
Er durchbrach die Wand zum nächstgelegenen Raum, einer Art Sanitäranlage, klinisch weiß und mit einer Vielzahl an Bodenlöchern, zwischen denen winzige, bloß einige Zentimeter hohe Liegen verbaut waren ...
Aus den Löchern blubberte Bernsteinflüssigkeit hoch. Zuerst langsam und sachte, dann mit eruptivem Druck, der binnen weniger Sekunden den Flüssigkeitsstand auf zwanzig oder mehr Zentimeter ansteigen ließ. Malzige, karamellige Flüssigkeit, die Wärme abstrahlte, an Bulls Füßen zerrte, seine Beine einzufassen drohte und die Funktionen des Schutzanzugs gefährdete ...
Bull fluchte ausgiebig, während er den Kubus auf höchste Leistung schaltete und aus dem Bernstein zu entkommen trachtete. Sein wichtigstes Hilfsgerät vibrierte ihm in den Händen, Bulls Schutzschirm irrlichterte. Der Würfel arbeitete mit immensen, spürbar werdenden Kräften. Bull meinte, einen winzigen Atomreaktor in Händen zu halten, der in die Höhe gehen würde, während die Bernsteinmasse weiter anstieg, ihn nun bereits bis auf Hüfthöhe bedeckte und nach wie vor nachsprudelte, aus fünfzig oder mehr Löchern gefüttert ...
Er feuerte mit seiner Waffe gegen die Decke, um ein Loch zu brennen, um irgendwie nach oben zu entkommen. Ein Paneel klatschte herab, traf Bulls Schutzschirm und fiel beiseite, um gleich darauf von der laut gurgelnden Bernsteinflüssigkeit aufgenommen zu werden und unterzugehen. In der Deckenlücke zeigte sich ... Braun. Weitere Massen des unheimlichen Schiffswächters, nahezu verfestigt und mit Feuergewalt kaum zu überwinden.
»Quick Silver!«, rief er, in der Hoffnung, dass der Würfel auch ein Funkmodul besaß, das ihn mit seinem Partner wider Willen verband. »Du musst mich hier herausholen! Schnell!«
Nichts. Keine Reaktion. Der Würfel gab keinen Ton und kein Wort von sich. Seit Minuten schwieg er, als wüsste er, dass Bull diesen Kampf ohnedies verlieren würde.
Er riss die Arme mit aller Kraft aus der ihm nun bis zur Brust reichenden Masse. Er feuerte mit höchster Fokussierung gegen die einzige Türe des Raums, ignorierte die entstehende Hitze und den Druck, den die Masse auf seinen Schutzschirm ausübte und ihn immer mehr einzwängte.
»Quick Silver! Komm schon, verdammter Schweinehund!«
Bull schoss weiter, ließ nicht nach. Irgendwann würden das Metall und die dahinter liegende Bernsteinmasse zerbröseln und zumindest ein Teil der Flüssigkeit abrinnen.
Sie erreichte Kinn, Mund, Nase. Dann die Augen. Ringsum wurde es dunkel. Nur noch seine beiden Arme ragten ins Freie. Noch konnte er atmen, noch reichte die Luft innerhalb des Schutzschirms. Bull hielt den Zeigefinger der Rechten am Abzug.
Er fühlte keine Panik, sondern bloß Ärger. Quick Silver hatte dafür gesorgt, dass die Aufmerksamkeit der Wächtereinheit des Wracks ausschließlich Bull galt, während der Androide ein Steuerelement aus dem Schiff zu bergen versuchte. Der Silberne nahm Bulls Tod bewusst in Kauf.
Irgendetwas zerbarst. Der Terraner fühlte, wie der Druck um seinen Körper geringfügig nachließ. Hatte er sein Ziel erreicht, rann die Bernsteinmasse ab?
»Schlechte Aussichten, Energiemangel!«, meldete sich der Würfel seit längerer Zeit wieder mal zu Wort. Das war alles, was das Multifunktionsgerät zu sagen hatte.
Wurde es wieder heller, ließ die Materialdichte nach? Oder gab er sich bloß Illusionen hin?
Seine Hände – sie ließen sich nicht mehr bewegen! Er stand da, statuenhaft, ein Dekorationsstück, eingefroren bis in alle Ewigkeit.
Nein, das stimmte nicht ganz. Die dünne Hülle des Schutzschirms gab ihm noch zwei oder drei Zentimeter Bewegungsfreiheit und erlaubte ihm, den Abzug der Waffe gedrückt zu halten. Doch die Atemluft wurde weniger und schlechter. Sie reichte bestenfalls noch für fünf oder sechs Minuten. Dann würde er sterben, überwältigt von einem Gegner, der Maschine und Schiff gleichermaßen war.
»Ausfall absehbar!«, schrie der Würfel, so laut, dass er es trotz der ihn umgebenden Masse hören konnte. »Selbstvernichtung initiiert.«
Bull würde also nicht als in Harz konservierte Statue enden. Was für ein Trost ...
Er ignorierte die Schwärze. Die schwächende Wirkung, die das Schiff auf sein Gemüt ausübte. Den Druck. Die beginnende Atemlosigkeit, die dem Gehirn alle Kraft entzog und ihn in einen sanften Schlaf geleiten würde. Den Gedanken an Gevatter Tod, der ihn trotz einer Menge Gelegenheiten immer wieder hatte ziehen lassen.
Stur feuerte er weiter, auf ein Ziel, das er längst nicht mehr sah und das womöglich gar nicht mehr existierte. Die Hitze, die er an seiner Rechten fühlte, sagte ihm, dass auch seine Arme allmählich von Bernstein eingefasst wurden und die Flüssigkeit alle Energien reflektierte.
Bull lächelte. Es war bloß ein Leben, das verging. Es war aus seiner Sicht bedeutungsvoll. Andere Wesen mochten anders darüber denken, und aus der Sicht eines vor Vitalität strotzenden Universums, das seine Galaxien bestenfalls wie kurz aufleuchtende und rasch wieder vergehende Lichtfunken wahrnahm, war er weniger als ein Nichts.
Aus. Ende. Alles war Stillstand. Er war eingefroren. Es blieb nur eine einzige Änderung in seinem Dasein übrig, und das war die Explosion des Würfelelements in seiner Linken.
Schläfrig wartete er. Einzelne Gedanken verirrten sich in der weit zurückliegenden Vergangenheit. Sie beschäftigten sich mit dem Elternhaus, mit Frauen und Kindern. Mit kurzen Zeiten der Ruhe und Kontemplation, die er in seinem Leben kaum einmal hatte genießen können. Seltsam, dass er sich im Angesicht des Todes ausgerechnet an diese Momente erinnerte.
Etwas brach über ihm weg, der Druck auf ihn wurde geringer. Vor seinen Augen wurde es hell, glänzende Lichtreflexe zeigten sich und blendeten ihn. Köstlich schmeckende Luft durchströmte seine Lungen, und mit einem Gefühl leisen Bedauerns kehrte Bull ins Leben, in die Gegenwart zurück.
»Du bist also noch wach«, hörte er Quick Silver sagen. Der Androide brach erkaltete Bernsteinbrocken ringsum weg und warf sie achtlos beiseite. »Das ist verwunderlich.«
Bull bedachte ihn mit Schimpfworten, die selbst die Ohren eines Ertrusers vor Scham hätten erröten lassen.
*
Quick Silver. Der Roboter, der ihm an Bord der JULES VERNE das Leben gerettet und Bull auf nicht nachvollziehbare Weise nach Buq geschafft hatte. Ein Androide, der seine eigenen Ziele verfolgte und ihn wie eine Schachfigur hin und her schob. Ein Geschöpf mit geschmeidiger Haut. Silbern glänzend. Meist ausdruckslosem Gesicht. Undurchschaubar.
Quick Silver war wieder da. Also hatte er sein Ziel erreicht.
Reginald Bull hörte und sah sich um.
Etwas hatte sich im Inneren des Schiffswracks verändert, auf eine Art und Weise, die sich mit Logik und nüchterner Betrachtungsweise nicht nachvollziehen ließ. Dem Raumer fehlte eine Komponente, die ihn bislang hatte lebendig wirken lassen. Die bernsteinfarbenen Einschlüsse hatten dieselben Farbtöne und Konsistenz wie ehedem; doch das Gefühl der Bedrohung, das von ihnen ausgegangen war, war verschwunden.
»Und?«, fragte Bull. »Hast du dein Ziel erreicht?«
»Ich habe die Schiffswächter bezwungen«, wich Quick Silver einer direkten Antwort aus.
»Der Devitalisierer arbeitet aber noch. Ich kann seine Wirkung fühlen.«
»Wir werden ihn ausschalten.« Der Androide wies ihm den Weg, eine Schräge aufwärts, an deren Ende ein leuchtender Fleck auf sie wartete.
Bull aktivierte den Antigrav und schwebte an Quick Silvers Seite hoch. Er betrachtete die Seitenwände. Sie wiesen seltsame Einkerbungen auf. An manchen Stellen meinte er, Schmetterlinge zu sehen, die sich aus dem Metall lösen wollten, stahlblecherne Tiere mit messerscharfen Flügeln. Doch sie waren mit dem umgebenden Material verwachsen oder verbacken. Vielleicht waren sie die letzte Reserve der Schiffsverteidigung gewesen? Hatte Quick Silver das Nervenzentrum des Schiffsgehirns vernichtet, bevor die mechanischen Tiere zum Angriff hatten übergehen können?
»Was ist mit dem Mnemotektonischen Steuerwerk?«
»Das werden wir gleich herausfinden.«
Sie gelangten in einen Raum, der dem Inneren eines Eis glich. Bull schwebte hinein und blickte aus einer Höhe von etwa fünf Metern in die Tiefe. Er war nach wie vor durch den vom Würfel erzeugten Schutzanzug geschützt. Das Gerät hatte während des Bernsteinbads keinerlei Schaden genommen und war ebenso funktionstüchtig wie sein Strahler.
Bull drehte sich einmal um die eigene Achse. Die Wände waren cremeweiß, an der Decke klebten einige seltsam antiquiert wirkende Scheinwerfer. Sie warfen ihr Licht auf ein Dutzend kugelrunder Steine mit etwa zwanzig Zentimetern Durchmesser, die auf dem Boden hin und her rollten. Manchmal berührten sie einander, um sich gleich wieder zu trennen, als wären sie magnetisch gepolt.
»Dies sind die Schiffsgehirne«, sagte Quick Silver. »In ihnen steckt alles, was ich wissen muss.«
»Dann hol dir, was du brauchst. Und wenn du schon dabei bist, könntest du auch ein gutes Wort für mich einlegen.«
»Selbstverständlich. Wir haben eine Vereinbarung getroffen. Ich stehe zu meinem Wort.«
Quick Silver landete zwischen den Steinen. Sie wichen vor ihm zurück, als wüssten sie, dass ein Feind in ihrer Nähe war.
Bull verstand nicht genau, was da unten vor sich ging, und er gab sich auch gar keine Mühe. Heerscharen von Völkern, die das Universum besiedelten und bereisten, hatten gänzlich unterschiedliche technische Ansätze entwickelt. Was dem einen logisch erschien, war für den anderen rätselhaft und unklar. Zahlen- und Bezugssysteme, moralische und philosophische Wertigkeiten und ganz generell die Art, wie man die Umwelt wahrnahm, hielten terranische Forscher – und gewiss nicht nur diese! – seit Jahrtausenden auf Trab.
Er beobachtete Quick Silver, der eine der Kugeln von den anderen isolierte und sie mit grazilen Fingern berührte. Aus dem scheinbaren Nichts zupfte er ein ovales Objekt, das er gegen die Außenhaut des Teils des Schiffsgehirns klebte. Aus seinem eigenen Knie zog er ein Kabel, das er mit der Kugel verband.
Eine Zeitlang geschah nichts. Die anderen Kugeln klackerten gegeneinander. Doch sie konnten nichts gegen Quick Silver tun, der ihr eiförmiges Refugium erobert und sie aller Verteidigungsmöglichkeiten beraubt hatte.
Die isolierte Einheit begann zu leuchten. Sie strahlte Hitze aus, die selbst Bull noch spüren konnte, an der sich Quick Silver aber nicht störte.
»Ein Selbstzerstörungsmechanismus«, sagte der Androide lapidar. »Was für eine lächerliche, zeitraubende Angelegenheit!«
Nach einigen Sekunden erkaltete die Kugel wieder, Risse zeigten sich in der Außenhaut. Die anderen Objekte lagen mit einem Mal still.
»Die Datenübertragung beginnt jetzt«, meldete sich Quick Silver erneut zu Wort, um dann in aller Stille und scheinbar in sich selbst versunken den Informationen zu lauschen, die der Rechner des Schiffswracks mit ihm teilte.
Fünf Minuten vergingen. Fünf Minuten, die Bull mit deutlich steigender Anspannung abwartete. Warum dauerte das alles so lange, warum informierte ihn sein »Partner« nicht über das, was er in Erfahrung brachte? Verstanden die beiden künstlichen Intelligenzen einander nicht, mussten sie erst einmal ihre Logik-Parameter aneinander angleichen?
Mit einer Art Seufzer trennte sich Quick Silver vom Kugelrechner, ließ aber das Kabel und das ovale Gerät bei ihm zurück.
»Nun?«, fragte Bull ungeduldig.
»Das Mnemotektonische Steuergerät befindet sich nicht an Bord«, sagte er ohne einer Spur der Enttäuschung in seiner Stimme. »Damit ändert sich natürlich alles.«
»Was meinst du?«
Der Androide ging nicht auf seine Frage ein. »Du hast nun Zeit, dich mit dem Schiffsrechner zu unterhalten. Nutze sie gut. Stell die richtigen Fragen und Forderungen.«
Quick Silver packte Bull am Arm und geleitete ihn zum Boden hinab. Das Verbindungskabel legte er sanft auf den Identor, auf sein Tarngewand, und tat mehrere Handbewegungen, die der Terraner in ihrem Tempo nicht nachvollziehen konnte.
Bull zuckte zusammen. Er konnte das Schiffsgehirn fühlen! Die Myriaden Gedankenvorgänge, die Berechnungsmuster, die kalte Panik vor einem Exodus, der das Schiffswrack allein zurücklassen würde.
Da war weit mehr als bloß berechnende Sorge. Dieses Gehirn empfand, so, wie eine Mutter um ihr Kind bangte.
Steckte etwa Bioplasma in der Kugel? War dies ein weit entfernter Ableger der Hundertsonnenwelt und damit der Posbis?
Bull fühlte Aufregung, vage und weit entfernt – und dann wieder die kühle Distanz eines Rechengehirns.
Ich möchte, dass du den Devitalisierer abschaltest!, dachte er und rief sich Bilder in Erinnerung, die leidende Buquer zeigten, Wesen, wie er sie auf seiner Reise quer über die Oberfläche dieses Planeten hinweg kennengelernt hatte.
Das Schiffsgehirn zeigte sich uninteressiert. Die Heimat muss unter allen Umständen geschützt werden, ließ es ihn wissen.
Dann wirst du abgeschaltet. Du weißt, dass das in der Macht meines Begleiters liegt.
Das darf nicht sein, und was nicht sein darf, wird nicht passieren.
Bull konzentrierte sich. Er vermittelte Bilder, die das Ende des Schiffs zeigten. Völlige Leblosigkeit und ein Dutzend Kugeln, die ruhig dalagen, in ihrem eiförmigen Kokon, von grauem Staub überzogen. Sie vermoderten langsam, zerfielen, verrotteten.
Du darfst das nicht zulassen!, ließ er das Schiffsgehirn wissen. Ich biete dir die Gelegenheit, es nicht so weit kommen zu lassen.
Ich verhandle nicht mit einem Eindringling.
Dann ist alles gesagt. Ich werde dafür sorgen lassen, dass das Schiff stillgelegt wird. Bull zupfte am Kabel, löste es ein klein wenig vom Identor und machte Anstalten, sich zurückzuziehen, hin zum über ihm schwebenden Quick Silver.
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