Christine Berner
ausgerechnet Islam
ein folgenschwerer Blick vom Balkon
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Hinweis
Vorwort
Metamorphose
blog
Teil 1
Teil 2
Teil 3
Nachwort
Erläuterungen zu einigen arabischen/islamischen Begriffen
Impressum neobooks
Keine Biografie, keine Chronik, kein Tagebuch, kein Reisebericht, keine Poesie, kein Fachbuch – aber von allem ein wenig.
Ein Blog eben. Sehr persönlich. Sehr authentisch. Sehr ehrlich.
Für die einen ein Blick in eine andere Erfahrungswelt.
Für andere ein Wohnzimmer zum Wohlfühlen.
Im März 2011 begann ich zu bloggen. Aus einer Not heraus – da war schlicht niemand zum Reden. Mit mir war nämlich etwas vorgegangen, das mein Leben von Grund auf veränderte. Etwas, mit dem ich nie gerechnet hätte, das überhaupt nicht zu mir passte, das mich »kalt erwischt« hat, wie man zu sagen pflegt. Hätte mir jemals jemand so etwas vorausgesagt, ich hätte ihm den Vogel gezeigt und gesagt: Ich? NIEMALS! Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr…
Und doch ist es passiert. Zum Schrecken meiner Umgebung, bei der meine Veränderung die schlimmsten Befürchtungen und Ängste auslöste: »Sie ist verrückt geworden«. »Sie wurde gehirngewaschen«. »Wie kann sie nur, in dem Alter«. Man legte mir nahe, psychologischen Rat zu suchen, ja sogar, mich in psychiatrische Behandlung zu begeben. Man nannte mich egoistisch, zweifelte an meiner Intelligenz, nahm mich nicht mehr ernst.
Da hatte ich die Idee mit dem Blog. Ich könnte, dachte ich, dieses Medium einerseits dazu nutzen, mich Freunden und Bekannten zu erklären und dadurch ein klein wenig Verständnis oder wenigstens Akzeptanz finden. Zum anderen Teil brauchte ich ein Ventil – irgendwo musste raus, was mir durch den Kopf ging.
Ich hatte während der Monate zuvor schon Einiges geschrieben. Es ist eine Aufarbeitung der Geschehnisse bis zu meinem »Outing« und ein Versuch, mir selbst und meiner Familie verständlich zu machen, wie es im dritten Drittel meines Lebens zu solch grundlegendem Wandel kam. Dieser Text mit dem Titel »Metamorphose« steht im Blog auf einer eigenen Seite und macht nun den Anfang dieses Buches.
Zunächst hatte ich vor, die anschließenden Blogbeiträge »buchgerecht« in einen fortlaufenden, stilistisch einheitlichen Text umzuschreiben. Ich merkte aber schnell, dass dadurch die Authentizität verloren ginge, denn die Artikel leben gerade von den jeweiligen Stimmungen, in denen ich sie schrieb. Also beließ ich sie so weit wie möglich in ihrer ursprünglichen Form.
Dieses Buch entstand auf vielfachen Wunsch von Leser/Innen, die u. a. die Texte gerne auch an Menschen weitergeben möchten, die nicht viel mit PC und Internet anfangen können und/oder keine Blogs zu lesen pflegen.
Allen, die mich motiviert und unterstützt haben, danke ich von ganzem Herzen.
Als das Unerwartete geschah, lebte ich seit fast 20 Jahren mit meinem Mann in dessen Heimatland im Süden Europas. Wir haben zwei erwachsene Söhne, ein eigenes Geschäft und ein paar Hunde und wir führten im Großen und Ganzen ein sorgloses Dasein.
Meine allgemeine Einstellung zum Leben war unter anderem geprägt durch einen schweren Autounfall in jungen Jahren, den ich entgegen den Prognosen der Ärzte nicht nur überlebte, sondern bei dem ich auch ganz knapp dem Rollstuhl entging. Während meines mehrmonatigen Aufenthaltes in einer Spezialklinik für Querschnittgelähmte fragte ich mich angesichts der Para- und Tetraplegiker immer wieder, warum denn nun ausgerechnet ich das unverdiente Glück hatte, von diesem Schicksal verschont geblieben zu sein.
Diese unbeantworteten Überlegungen führten dazu, dass ich an eine Art »zufälliges Schicksal« zu glauben begann: Wenn es sein muss, muss es sein, und wenn nicht, dann eben nicht. Daraus ergab sich die Devise: Leb den Tag und genieß das Leben, solange du kannst (und damit niemandem schadest). Natürlich empfand ich auch durchaus ein Gefühl der Dankbarkeit, gewissermaßen ein zweites Leben geschenkt erhalten zu haben. Dankbarkeit ohne einen Gegenstand, an den ich sie hätte richten können.
Denn an einen Gott hatte ich schon seit meiner Kindheit nicht mehr geglaubt. Spätestens nach dem Konfirmandenunterricht und den obligatorischen Kirchgängen war das Thema Religion für mich abgehakt. Nicht einmal in der Klinik, in der Zeit der Ungewissheit, ob ich je wieder würde gehen können, wäre es mir eingefallen, zu beten und Gott um Heilung zu bitten.
Die Vorstellung eines Gottes, der die Welt erschaffen hat, kam mir genauso wahrscheinlich oder unwahrscheinlich vor wie die Zufallstheorie. Könnte es nicht noch viel weiter außerhalb des menschlichen Verstandes liegende Möglichkeiten zur Erklärung allen Seins geben? »Glauben« – das war ein Wort, das mir im Zusammenhang mit der Frage nach dem Ursprung der Welt und dem Sinn des Lebens fehl am Platze schien. Etwas so Grundlegendes ohne jedes Wissen einfach nur zu glauben – das war nicht mein Ding. Das Wort »Gott« schien mir allenfalls dienlich als Begriff zur Umschreibung all dessen, worüber man nichts weiß.
Meine Einstellung zu Religionen fußte auf dieser Prämisse. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein einigermaßen intelligenter Mensch an eine Religion glaubt.
Für die verschiedenen Religionsstifter, die meiner Meinung nach alle die gleiche Grundbotschaft brachten: »Seid gut zueinander«, brachte ich wohl einen gewissen Respekt auf.
Die Religionen, die Kirchen, die Hierarchien, die Riten, die Machtmittel, die sich daraus ergeben hatten, all das war mir entschieden suspekt. Ich hielt Religion für ein Mittel, das Volk zu unterdrücken, auszubeuten und zu manipulieren. Karl Marx drückte es so aus: Religion ist Opium fürs Volk.
Ich tanze sehr gerne. Mein Mann leider nicht. Das war der Grund dafür, dass ich mich vor einigen Jahren eines Tages überwand und mich in einen Kurs für orientalischen Tanz – im Volksmund Bauchtanz genannt – einschrieb. Eigentlich fand ich diese z.T. alten (wie ich) Frauen, die mit ihren Hintern wackeln, eher albern und hätte viel lieber mit meinem Mann einen Salsa- oder Tango-Kurs belegt. Aber er ließ sich in all den Jahren nie dazu überreden. Beim Bauchtanz hingegen braucht man keinen Partner, und die Bewegungen sollten, wie es hieß, gut für meinen aufgrund jenes Unfalls etwas schmerzanfälligen Rücken sein. Entgegen meinen Vorurteilen erwies sich das Ganze als weder anstößig noch peinlich. Wir waren einfach ein paar ganz unterschiedliche Frauen zwischen 15 und 75 Jahren, die durch das Tanzen und dessen meditativen Aspekt eine etwas unverkrampftere Einstellung zu ihren so gar nicht perfekten Körpern erlangten, und viel Spaß hatten.
Die exotische arabische Musik faszinierte mich von Anfang an. Mein mp3 Player war bald voll davon. Als Nächstes verwirklichte sich ein alter Traum von mir: Mein Mann und ich machten eine Reise nach Ägypten. Natürlich konzentrierte sich die Reise auf die altägyptischen Sehenswürdigkeiten, aber wir waren auch ein paar Tage mitten in Kairo und besuchten u. a. die Zitadelle hoch über der Stadt, mit der Ehrfurcht gebietenden Mohammed-Ali-Moschee. Nicht Ehrfurcht erweckend genug, dass sich mein Mann nicht lustig gemacht hätte beim Anblick der sich verbeugenden und niederwerfenden Gläubigen. »Allah Petrol« will er nämlich immer verstehen statt »Allahu Akbar«. Ich amüsierte mich mit.
Aus einem plötzlichen Impuls heraus bat ich ein knappes Jahr später eine Freundin, mir aus der Schweiz einen Arabisch-Lehrgang zum Selbststudium mitzubringen. Mir ging es darum, mein Gehirn zu trainieren, und die Sudokus und Kreuzworträtsel waren mir verleidet. Es heißt ja, dass es gut für die grauen Zellen sei, im Alter etwas ganz Neues zu lernen und ich fand, eine Sprache mit ganz anderen Buchstaben und entgegengesetzter Schriftrichtung sei neu genug und eigne sich durchaus als Gehirngymnastik.
Ich lernte zunächst ein halbes Jahr autodidaktisch, doch das war auf Dauer unbefriedigend. Also suchte und fand ich einen Online-Lehrer und buchte eine Probestunde. Diese war einwandfrei. Allerdings fehlte nicht viel, und ich hätte im letzten Moment abgesagt: Ich googelte nämlich nach dem Namen des Lehrers und fand nebst Veröffentlichungen zur arabischen Sprache auch einen religiösen, islamischen Text. Auf Frommes hatte ich nun wirklich keine Lust, und am allerwenigsten auf Islamisches.
Da ich mich nicht auf längere Zeit verpflichten musste, fing ich dennoch an, alle 2 Wochen eine On-line-Lektion zu nehmen. Der Lehrer machte keinerlei religiöse Andeutungen. Dafür wies er mich darauf hin, dass das Arabisch, das ich bisher gelernt hatte, ein »abgekürztes« sei, etwas »schlampig«, nicht klassisch Hocharabisch. Ich erwiderte ziemlich unwirsch, ich hätte ja keineswegs die Absicht, den Koran zu lesen, sodass mir das durchaus genüge.
Nach ein paar Lektionen packte mich dann aber doch der Ehrgeiz. Natürlich nicht wegen des Korans, aber ich dachte »wenn ich schon eine Sprache lerne, dann auch richtig« und fing an, Hocharabisch zu lernen. Es machte mir Spaß und ich hatte den Eindruck, zusammen mit dieser so ganz anderen Sprache ein neues Lebensgefühl zu erahnen. Anfangs fand ich sie interessant und seltsam, mit der Zeit gefiel sie mir immer besser, mitsamt den komischen ungewohnten Kehllauten. Die Lektionen waren professionell gestaltet und es schimmerte kein bisschen Religion durch.
Denn trotz meiner Schwäche für das Orientalische – der Islam gehörte nun ganz bestimmt nicht dazu. Obwohl ich mich für eine relativ tolerante Person hielt, war mir diese Religion noch suspekter als alle anderen – natürlich nicht zuletzt durch die vielen Nachrichten über Selbstmordattentäter und Terrorakte und andere dem Islam zugeschriebene Grausamkeiten. Eigentlich hörte man ja immer nur Negatives. Eine Religion, die Gewalt befürwortet, Frauen unterdrückt, Andersgläubige ausgrenzt und heutzutage noch Steinigungen toleriert fand ich schlimmer als die schlimmsten Sekten. Und wenn ich schon für meine eigene, »angeborene« Religion keinerlei Interesse hatte, dann bestimmt erst recht nicht ausgerechnet für den Islam.
Zu meinem Geburtstag schenkte mir eine gute Freundin, die wusste, dass ich arabisch lerne, einen schönen goldenen Anhänger mit einer arabischen Kalligrafie. Ihr inzwischen verstorbener Mann hatte ihn ihr vor vielen Jahren in Ägypten gekauft und sie wusste nicht, was draufstand. Ich konnte es zunächst auch nicht entziffern, aber natürlich freute ich mich sehr und trug es gerne. Als ich jedoch erfuhr, dass die Kalligraphie »Allah« bedeutet, war das Grund für mich, es nicht mehr zu tragen. Nur nichts Religiöses, auch wenn es noch so schön aussieht!
Ich bin ein Naturmensch. Ich könnte mir nicht vorstellen, in einer Stadt zu wohnen. Im Urlaub sind es nicht die Monumente, sondern Landschaften und die Schönheiten der Natur, die es mir am meisten antun. Und ich gestehe, dass mich trotz meiner negativen Einstellung zu Religionen durchaus manchmal beim Anblick der Natur ein ehrfürchtiges Gefühl überkam, eine Art diffuse Dankbarkeit, dass ich hier sein und das sehen und erleben darf. Doch das, was mich nun erwartete, übertraf alle diese momentanen Glücksgefühle um ein Vielfaches.
Ich weiß, dass sich das, was ich jetzt berichten werde, verrückt anhört. Ich erzähle es trotzdem, weil ich es genau so erlebt habe. Es war so: Eines Tages, es war Mitte April, stand ich auf dem Balkon und schaute über die blühende Gegend zum Meer hinaus, und auf einmal erfasste mich ein unglaublich intensives Gefühl, ich »wusste« plötzlich um die Existenz Gottes und für einen Moment war da »Allah«. Es war kein Wort, auch nicht wirklich ein Gedanke, eher ein klangloser Ton, der meinen Kopf, meinen Körper ausfüllte. Ich war völlig überrumpelt. Für das damit einhergehende Glücksgefühl fiel mir später ein Vergleich ein: Die Geburt meiner Söhne – pure Liebe, Dankbarkeit und Staunen. Dass da in mir »Allah« »tönte« und nicht »Gott« (oder etwas anderes) erklärte sich durch das Arabischlernen.
Mit meinem Leben war ich zum Zeitpunkt dieses Erlebnisses durchaus zufrieden. Ich wohnte an einem wunderschönen Ort, in einem schönen Haus, hatte eine Familie, Hobbies, mir fehlte es an nichts. Ich hatte nie an Halluzinationen gelitten und fühlte mich psychisch gesund. Natürlich hatte ich auch ein paar Probleme, aber ich hatte noch nie den Wunsch verspürt, deswegen mein ganzes Leben umzukrempeln.
Da war also dieses seltsame Erlebnis. Es blieb aber nicht einfach ein momentanes »Flash«, sondern die Erinnerung an das Gefühl blieb präsent und manchmal brach es mehr oder weniger intensiv wieder durch. Vor allem hatte ich das physische Empfinden der Präsenz Gottes, wenn ich draußen in der Natur war. Verstandesmäßig konnte ich das Ganze nicht einordnen.
Wie schon erwähnt, von Religionen hielt ich nichts. Allerdings war ich nicht ganz unbedarft, meine eigene Religion war mir schon vertraut, durch Sonntagsschule, Konfirmandenunterricht. Auch hatte ich in jungen Jahren aus purem Interesse und Lust am Lesen einen Großteil der Bibel gelesen, und auch über Buddhismus und Hinduismus hatte man in den Hippie-Jahren Einiges erfahren. Keine dieser Religionen vermochte mich jemals anzuziehen.
Jetzt drängte es mich jedoch, mich über den Islam zu informieren, zunächst auf Wikipedia. Mir war bereits bekannt, dass das Wort »Allah« nichts anderes als der arabische Begriff für das Wort »Gott« ist, dass die arabischen Christen Gott ebenso »Allah« nennen wie die Muslime. Ich wusste, vor allem von unserer Ägyptenreise her, dass letztere furchtbar fromm sind und beten und sich niederwerfen bis sie schwarze Male auf der Stirne kriegen, und dass sie ihre Gäste im Taxi warten lassen, wenn gerade eine Gebetszeit ansteht. Und natürlich wusste ich um all die negativen Schlagzeilen, die der Islam in den vergangenen Jahren in den Medien gemacht hatte. Jetzt lernte ich eine ganz neue Sichtweise auf den Islam kennen.
Ich lud eine Koranübersetzung von Rassoul herunter und stieß beim Stöbern ziemlich rasch auf:
«Sprich: wahrlich, mein Herr, der Kenner des Verborgenen, schleudert (euch) die Wahrheit entgegen» (Sure 34 Vers 48)
«......... die Haut erschauert, dann erweicht sich ihre Haut und ihr Herz zum Gedenken Allahs. Das ist die Führung Allahs...» (Sure 39 Vers 23)
Besser könnte ich meine Empfindungen auf dem Balkon nicht beschreiben.
Ich intensivierte die Lektüre, fing am Anfang an. Manche Verse fand ich durchaus erbaulich, andere sehr befremdlich. Der Koran stieß mich ab und zog mich noch mehr an. Mein Verstand wehrte sich mit Händen und Füßen. Brachte alle Argumente gegen Religion im Allgemeinen und den Islam im Speziellen auf, berechtigte und unberechtigte, Vorurteile und Tatsachen, alles was – wie ich wohl wusste – auch mein Mann oder meine Freunde oder jeder, der etwas gegen Religionen hat, dagegen anbringen würden. Schalt mich dumm, hielt mich für verrückt, war total durcheinander.
Und ich konnte mit niemandem reden. Ich wusste genau: alle, die ich kenne, würden genau das Gleiche sagen wie mein eigener Verstand, würden alles unternehmen, um mich von diesem »Humbug« abzubringen. Ich wollte aber nicht nur meine eigene Meinung hören, sondern ich wollte jetzt etwas von der »anderen Seite« wissen.
Ich überwand mich also und schrieb nach vielen inneren Kämpfen etwa eineinhalb Monate nach jenem Erlebnis auf dem Balkon dem einzigen muslimischen Menschen, den ich »kannte«, meinem Arabischlehrer, eine E-Mail. Ich weiß nicht mehr, was ich als Erstes fragte, ich habe in einem Versuch, meine Ehe zu retten, viele Mails von damals gelöscht – doch davon später. Auf jeden Fall erklärte sich der Dozent höflich und distanziert bereit, meine Fragen zu beantworten. Dieser Austausch fand ausschließlich per E-Mail statt. Von den Antworten auf meine vielen Fragen waren manche schlüssig, einige konnte ich nicht wirklich nachvollziehen, und es kam auch des Öfteren etwas wie »das liegt in der Weisheit Gottes« was ich als höchst unbefriedigend empfand.
Trotzdem wollte ich mehr wissen. Ich las jetzt gleichzeitig zwei verschiedene Koranübersetzungen. Las alles, was ich über, vom, für und gegen den Islam im Internet fand.
Zu meiner Reaktion auf den Koran selbst zitierte der Lehrer nachstehende Worte Goethes. Ich glaube, kein Nicht-Muslim (wobei man, soviel ich weiß, nicht ganz sicher ist, ob er nicht vielleicht sogar einer war) hat dieses Buch besser beschrieben:
»Grenzenlose Tautologien und Wiederholungen bilden den Körper dieses heiligen Buches, das uns, so oft wir auch darangehen, immer von neuem anwidert, dann aber anzieht, in Erstaunen setzt und am Ende Verehrung abnötigt […] Der Stil des Korans ist seinem Inhalt und Zweck gemäß streng, groß, furchtbar, stellenweise wahrhaft erhaben; so treibt ein Keil den anderen, und darf sich über die große Wirksamkeit des Buches niemand verwundern.«
Das, was ich außerhalb des Korans über den Islam erfuhr – das meiste weiterhin im Internet – zog mich immer mehr in den Bann. Plötzlich erschien mir vieles logisch – langsam aber sicher zog mein Verstand mit. Ich hatte auch angefangen, mir Koranrezitationen anzuhören und erfahren, welche Wirkung sie auf den Hörer haben – sogar ohne dass dieser ein Wort versteht. Den »wissenschaftlichen Wundern« des Korans (da stehen in der Tat eine Anzahl erst in der Neuzeit wissenschaftlich beweisbare Fakten, die man damals unmöglich wissen konnte) stand ich eher skeptisch gegenüber da ich ja als Laie die Behauptungen nicht überprüfen konnte. Die Sprache an sich und die Tatsache, dass nicht nur muslimische Linguisten davon überzeugt sind, dass es in den 1400 Jahren seit der »Herabsendung« niemandem gelang, eine auch nur annähernd ebenbürtige Sure hervorzubringen, faszinierte mich am meisten. (Eine Herausforderung des Korans: wer nicht an den göttlichen Ursprung glaube, solle nur eine einzige vergleichbare Sure – und die kleinste besteht aus 3 Sätzen – beibringen.)
Ich, die selbstbewusste, weltoffene, unabhängige, intelligente, moderne Frau, als die ich mich selber gern verstand und als die ich vermutlich von meiner Umwelt wahrgenommen wurde, fühlte mich von einer Religion angezogen! Und dazu noch ausgerechnet vom Islam! Wieder und wieder warnte mich mein Verstand: »Lass bloß die Finger davon! Das widerspricht allem, woran du bisher (nicht) geglaubt hast. Islam! Das ist für Araber und Fanatiker. Für Ungebildete und Kindsköpfe. Oder für Tagträumer und Verrückte. Aber ganz bestimmt NICHT FÜR DICH!«
In dieser Zeit meiner inneren Zerrissenheit wuchs eine zweifarbige Rose an meinem gelben Rosenstock, auf der einen Seite gelb, auf der anderen rot, die beiden Farben in der Mitte scharf getrennt. Ich fand sie interessant und wunderschön, ich habe auch weder vor- noch nachher irgendwo etwas Ähnliches gesehen. Ich fotografierte sie, und zeigte sie überall herum und freute mich über diese Laune der Natur.
Indessen zog mich der Islam immer mehr an. Ich lernte bei meinen Reisen im Internet, wie wenig der Koran und die wahre Religion des Islam mit Gewalt und Terrorismus und Frauenverachtung zu tun haben. Diese Dinge geschehen zwar zweifellos, und unter Muslimen leider in erhöhtem Masse, in einer seltsamen Mischung aus arabischen Traditionen oder auch – in den Industrieländern – aus den Folgen sozialer Ausgrenzung, verbunden mit fanatischem Glaubensverständnis. Außer den ganz extremen Eiferern, aus deren Reihen dann die Extremisten und Terroristen erwachsen, begreifen alle praktizierenden Muslime ihren Glauben als eine Religion des Friedens.
Fast unbewusst begann ich, innere Zwiesprache mit Gott zu halten. Und ich hörte schon mal auf, zu rauchen und reduzierte den ohnehin maßvollen Genuss von Alkohol auf ein Minimum. Einmal schrieb der Arabischlehrer: »Vielleicht sind Sie bereits Muslima und wissen es nur nicht«.
Ich? Muslima?? Islam, Muslima? Plötzlich tönten, schmeckten diese Wörter ganz anders, fühlten sich gut und schön und richtig an. Und eines Tages Ende Juni spürte ich den inneren Drang, die »Shahada«, das Glaubensbekenntnis, das einen Menschen vor Gott zum Muslim macht, zu sprechen.
Aschhadu an la ilaha illallah Wa aschhadu anna muhammadan rasulullah
(Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer Gott. Und ich bezeuge, dass Muhammad sein Gesandter ist)
Ein paar Tage lang lebte ich wie im Traum. »Ana Muslima. Ana Muslima.«, (ich bin Muslima) dachte und sagte und sang ich lächelnd vor mich hin, wie ein verliebter Teenager.
Die zweifarbige Rose war längst verblüht. Aber erstaunlicherweise brachte der Stock jetzt noch einmal etwas Besonderes hervor. Diesmal erblühte inmitten der vielen gelben eine einzelne, ganz rote Rose. Weder vor- noch nachher wuchs an diesem Stock je etwas anderes als gelbe Rosen.
Inzwischen schien mir alles eine Fügung, ein Weg: Vom Tanz als Einstieg, über die Reisen in den Orient, die arabische Sprache, das Medaillon mit der Allah-Kalligraphie, der muslimische Lehrer, jenes Gefühl auf dem Balkon, bis zum Glaubensbekenntnis. Und dann die zwei Rosen: ein kleines »Wunder« als Draufgabe ….Und das war noch nicht einmal alles! Aber davon später.
Natürlich kann man das alles für Zufall, Hirngespinste, Halluzinationen, Einbildung und Wunschdenken halten. Oder aber, dass ich mir mit Hilfe des Internets und einer Kapriole der Natur quasi selbst eine Gehirnwäsche verpasst habe. Darüber habe ich lange gegrübelt. Eines ist aber klar: niemand hat mich zu irgendetwas gedrängt, es kam alles aus mir selbst heraus (oder besser, so empfinde ich es, in mich herein).
Täglich lernte ich nun mehr über diese Religion, traf auf extremere und weniger extreme Seiten im Netz, auf missionarische und anti-islamische. Ich erinnere mich, dass ich mich – eine gestandene Frau im gesetzteren Alter, einmal dabei ertappte, wie ich vor dem PC saß und andächtig auf YouTube irgendwelchen bevollbarteten Jünglingen lauschte – und die Situation total absurd fand.
Doch mit solchen Gedanken hielt ich mich nicht lange auf. Ich war jetzt Muslima. Ich nahm sogar einen islamischen Namen an. Das ist nicht obligatorisch, aber möglich. So richtig weiß ich eigentlich nicht, warum ich das getan habe, ich habe gar nicht viel darüber nachgedacht. Ganz am Anfang meiner Nachforschungen über den Islam, auf Wikipedia, war ich mal auf den Namen Chadidscha gestoßen. So hieß die erste Frau des Gesandten s.a.s., und da sie eine bodenständige Geschäftsfrau war, die wusste, was sie wollte, und da sie (wie ich) erst in gesetzterem Alter zum Islam kam, und weil mir der Name gefiel, übernahm ich ihn, ohne mir viele Gedanken zu machen. Ich möchte aber betonen, dass dieser Name meinen Taufnamen nicht etwa ersetzt – niemals würde ich den Namen, den meine Eltern mir gegeben haben, einfach ablegen.
Bisher wusste niemand aus meiner Familie oder von meinen Freunden etwas über meine Veränderungen. Mir war klar, keiner würde das verstehen – ebenso wenig wie ich es vor ein paar Monaten verstanden hätte, wenn jemand mir eine solche Geschichte erzählt hätte. Also musste ich im Geheimen beten. Das ging eine Zeit lang gut, aber ich fühlte mich nicht wohl dabei. Einerseits hatte ich ein schlechtes Gewissen, nicht selbstbewusst genug zu sein, um dazu zu stehen, andererseits befürchtete ich, mit der Wahrheit Ängste und Beunruhigung auszulösen. Ich hatte also zwar innerlich dieses Gefühl des Glücks und der Ruhe, war aber äußerlich unruhig, fahrig und abwesend, weil ich ständig darüber nachdachte, wie ich es meinem Umfeld schonend beibringen konnte.
Nun kam Ramadan. Und ich wollte auch diese »Säule des Islams« einhalten und fasten. Das ließ sich nach ein paar Tagen natürlich nicht mehr verheimlichen – nach kurzer Zeit nahm mir keiner mehr diese komische Diät ab, bei der man von Sonnenauf- bis -untergang nichts isst und bei der man nicht einmal trinken darf. So musste ich also mit der Wahrheit herausrücken.
Die schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich. Ich will nicht im Detail erwähnen, was ich alles zu hören bekam. Auf jeden Fall veranlasste es mich, meinem Mann, 33 Ehejahren und der Familie zuliebe nicht weniger als 3x zu versuchen, davon »loszukommen«. Während dieser Zeit las ich ganz bewusst wieder vermehrt islamkritische Veröffentlichungen.
Der dritte Versuch, »mit dem Unsinn aufzuhören« und meine Ehe zu retten, ging – nicht ganz freiwillig – soweit, dass ich alles Islamische vom Computer und von meinem mp3 Player entfernte und meinem Arabischlehrer schrieb, ich würde den Unterricht abbrechen und er möchte mich ab sofort nicht mehr kontaktieren – denn dieser arme Mann wurde verantwortlich gemacht für das »ganze Theater«, das alles konnte ja, so meinte man, unmöglich von mir selbst gekommen sein.
Als ich am Abend dieses radikalen Versuchs, wieder »normal« zu werden, ins Bett ging, steckte ich mir wie üblich die Kopfhörer meines mp3 Players in die Ohren. Ich hatte ja darauf noch die Musik von vorher, darunter natürlich viel Arabisches, im Ganzen mehrere hundert Titel. Ich schaltete wie immer auf »Zufällige Titel«. Als Erstes kam eine arabische Musik, die ich zwar vom Tanzen her kannte, bei der ich jedoch noch nie auf den Text geachtet hatte. Diesmal schon: Da erklang in deutlichem, brasilianischem Portugiesisch: »InschaAllah Chadidscha que espere, InschaAllah Chadidscha seja feliz«. Das war der ganze Text, immer wieder dieser Satz. Das heißt auf Deutsch so viel wie: So Gott will, soll Chadidscha warten, so Gott will, wird Chadidscha glücklich sein. Das war doch nicht möglich! Ich machte Licht und sah auf dem Display nach: Tatsächlich, das Stück hieß Khadija (englische Umschrift desselben Namens). Aber der Liedtext konnte ja keinesfalls portugiesisch sein, sicher etwas Arabisches, das sich nur so anhörte. Am nächsten Tag fand ich im Internet heraus, dass es sich um eine brasilianisch/arabische Gruppe aus Südamerika handelte....
Ich gab mir alle Mühe, auch dieses Ereignis mit all den anderen »Hirngespinsten« als Zufall abzutun und den Versuch, »wie vorher« zu werden, fortzusetzen, spielte also ein paar Tage lang vor mir selber und nach außen die »Alte«, »Normale«, »Intelligente«. Es war schwer, nicht zu beten. Der Alkohol schmeckte mir gar nicht mehr. Ich täuschte Fröhlichkeit vor und fühlte mich innerlich leer und traurig. Es ging einfach nicht. Der Islam war stärker und nach etwa 10 Tagen konnte ich nicht anders, als aufzugeben, mich zu wehren.
Natürlich hörte ich trotzdem nie auf, alles zu hinterfragen. Ich ging auf die Vermutungen ein, die andere über die Ursachen für meine »psychischen Probleme« und den darauf beruhenden »religiösen Wahn« hegten und versuchte, ehrlich mit mir selbst zu sein. Mit immer denselben Schlussfolgerungen: Ich fühlte mich psychisch gesund, die hormonellen Sprünge der Wechseljahre lagen hinter mir, ich stand weder am Rande einer Depression noch bin ich ein Mensch, der sich von irgendetwas oder jemandem ungewollt derart beeinflussen ließe. Wenn ich ein Abenteuer gebraucht hätte – bestimmt hätte es da näherliegende, weniger komplizierte Möglichkeiten gegeben....
Außerdem tut kein vernünftiger und schon gar nicht ein wie ich phlegmatisch veranlagter Mensch für ein Abenteuer oder eine Schwärmerei oder um irgend jemandem zu imponieren, was ich nunmehr seit dem letzten gescheiterten »Umkehrversuch« konsequent und aus einem inneren Bedürfnis heraus tue: Ich verrichte fünf mal täglich die obligatorischen Ritualgebete (und nicht nur), einschließlich die vorausgehenden Waschungen, ich lese den Koran und viele andere Werke über den Islam. Ich mag nicht mehr in verrauchten Lokalen sitzen, zusammen mit Angetrunkenen. Ich unterhalte mich lieber über Religion, als dass ich fernsehe. Ich versuche, die Gebetszeiten einzuhalten, trinke keinen Alkohol und esse kein Schweinefleisch. Übrigens habe ich später sogar für die Tage, die ich im Ramadan durch den »Reagnostizierungsversuch« verpasst habe, »nachgefastet«. (Am letzten Tag habe ich mir ein paar Datteln gekauft, um das Fasten so zu brechen, wie Muhammad s.a.s. es damals tat, und nach dem Abendgebet habe ich für mich ganz alleine ein kleines Festmahl gekocht.)
Ich glaube nicht, dass ich verrückt bin. Denn ich habe mein Leben im Griff, tue meine Arbeit, unterrichte, treffe Freundinnen. Natürlich kann ich diese Möglichkeit nicht zu 100% ausschließen – wahrscheinlich glauben die meisten Verrückten von sich selbst nicht, dass sie es sind. Sollte es so sein: Bitte lasst mich verrückt bleiben – es geht mir gut dabei. Es betrübt mich nur, dass es Menschen, die ich gern habe, meinetwegen schlecht geht, weil sie mich so gar nicht verstehen können.
Inzwischen wissen auch meine Freunde und Bekannten Bescheid und manche haben ziemlich tolerant reagiert – was natürlich für sie einfacher ist als für Familienangehörige, die ständig um mich herum sind. Aber vermutlich wundern auch sie sich und finden, dass ich es übertreibe. Eine von ihnen meinte allerdings, so ein Erlebnis, wie ich es auf dem Balkon hatte, würde sich doch insgeheim jeder wünschen. Paulo Coelho nennt es in seinem Buch »Veronika beschließt zu sterben« den »magischen Moment, der Menschen dazu bringt, ihr Leben grundlegend zu ändern«.
Ich verstehe diejenigen, die sich Sorgen machen, Angst um mich haben, weil sie den Islam für eine gefährliche, sektenartige Religion halten. Immerhin dachte ich doch vor gar nicht langer Zeit noch wie sie, und ich hätte wohl im ersten Moment ebenso ablehnend reagiert.
Jemand, besorgt darüber, dass meine Religion meine Ehe gefährde, meinte: »Weißt du, wir haben ja alle Bekannte, bei denen der eine Partner eine Neue oder einen Neuen kennen gelernt haben. Auch mit den Problemen Alkohol, Drogen, psychische Probleme, ja selbst mit Ehepartnern, die sich homo- oder trans- oder wie auch immer-sexuell outen, haben die meisten gewisse Erfahrungswerte aus dem Bekanntenkreis. Aber kaum jemand kennt eine Frau, die zum Islam konvertiert ist, schon gar nicht, wie das bei dir abgelaufen ist. Wenn schon, steckte da ein anderer Mann dahinter.«
Wie ist es denn bei mir »abgelaufen«? Für Muslime, das ist mir nunmehr klar, ist es einfach: Ich wurde »rechtgeleitet«, auf den (richtigen) Weg gebracht, so seltsam sich das für Andere anhören mag. Inzwischen weiß ich, dass viele praktizierende Muslime irgendwann in ihrem Leben solche oder ähnliche Erlebnisse hatten und wissen, von was für einem »Gefühl« ich da dauernd spreche.
Und – ein »Anderer« steckt allerdings dahinter – nur dass es kein Mann ist. Wenn auch mein Zustand wie schon erwähnt manchmal durchaus vergleichbar ist mit der Verliebtheit eines Teenagers: Ich habe mich sogar schon ertappt, wie ich am Strand, an einem besonders schönen Tag, mit einem Stock die schönen arabischen Schriftzeichen für »Állahu Akbar« in den Sand malte.
Ich habe mir eine Auszeit genommen, damit ich in Ruhe und ohne ausgelacht oder missbilligt zu werden und ohne jemanden vor den Kopf zu stoßen meinen Glauben praktizieren kann.
Mein Mann möchte zwar jetzt meine Religion tolerieren. Aber es ist schwierig - für mich das Wissen, dass er es zwar toleriert, aber im Grunde völlig unsinnig und ziemlich verrückt findet, und für ihn, dass seine Frau Dinge tut, die er überhaupt nicht nachvollziehen kann. Dass ich ausgezogen bin, dürfte gewisse Vorurteile noch bestärken: ist es nicht bei den Scientologen so, dass sie Familien bewusst auseinander nehmen? Den Kontakt zu Familienangehörigen untersagen?
Das ist selbstverständlich im Islam nicht so, im Gegenteil, die Pflege der Familienbande wird im Koran mehrmals explizit gefordert. Und natürlich bin ich gerne mit meinen Leuten zusammen. Es ist jedoch auf die Dauer zermürbend, wenn man offen oder unterschwellig immer wieder versucht, mich gegen den Islam zu beeinflussen, oder mir zu verstehen zu gibt, dass ich vielleicht psychisch krank bin, Hilfe brauche.
äöüä