Daniel H. Pink
MEHR WERT
Daniel H. Pink
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Die Kunst, gefragt zu sein
Aus dem Englischen von Friederike Moldenhauer
Daniel H. Pink
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Die Kunst, gefragt zu sein
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel
„To Sell Is Human: The Surprising Truth About Moving Others“
bei Riverhead Books, Mitglied der Penguin Group (USA) Inc., New York.
© 2012 by Daniel H. Pink
Deutsche Ausgabe: © 2014 Ecowin, Salzburg
bei Benevento Publishing
Eine Marke der Red Bull Media House GmbH
Lektorat: Claudia Jürgens, Berlin
Umschlaggestaltung: s-stern.com
Autorenfoto: Rebecca Drobis
Gesamtherstellung: www.theiss.at
Gesetzt aus der Sabon
Printed in Austria
E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH
978-3-7110-5102-8
www.ecowin.at
Den Buchhändlern in Dankbarkeit gewidmet.
Das Einzige, was zählt in der Welt, ist, was du verkaufen kannst. Komisch, dass du als Handlungsreisender das nicht weißt.
Arthur Miller
Tod eines Handlungsreisenden (1949)
Einleitung
Teil I Die Wiedergeburt des Vertreters
Kapitel 1 Wir arbeiten alle im Verkauf
Kapitel 2 Entrepreneurship, Flexibilität sowie Bildungs- und Gesundheitswesen
Kapitel 3 Von Caveat emptor zu Caveat venditor
Teil II Die Haltung
Kapitel 4 Sich mit anderen in Einklang bringen
Musterkoffer Einklang
Kapitel 5 Auftrieb
Musterkoffer Auftrieb
Kapitel 6 Klarheit
Musterkoffer Klarheit
Teil III Das Verhalten
Kapitel 7 Pitch
Musterkoffer Pitch
Kapitel 8 Improvisieren
Musterkoffer Improvisieren
Kapitel 9 Dienen
Musterkoffer Dienen
Dank
Literatur
Der Autor
Register
Vor ungefähr einem Jahr nahm ich mir vor, zu untersuchen, womit ich meine Zeit verbrachte. In dieser Phase schob ich Arbeit vor mir her und tat so, als handelte es sich dabei um eine bewusste Entscheidung. Ich klappte mein Laptop auf, klickte den stets synchronisierten Kalender mit den verschiedenen Farbcodes an und versuchte zu rekonstruieren, was ich in den letzten zwei Wochen eigentlich wirklich getan hatte. Ich listete die Besprechungen auf, an denen ich teilgenommen hatte, die Geschäftsreisen, die ich unternommen, die Mahlzeiten, die ich eingenommen, die Telefonkonferenzen, die ich durchgestanden hatte. Ich versuchte, alles aufzuschreiben, was ich gelesen und mir im Fernsehen angeschaut hatte, sowie alle Gespräche, die ich mit meiner Familie, Freunden und Kollegen geführt hatte. Dann schaute ich mir an, was mir die digitalen Medien in den zwei Wochen beschert hatten: 772 versendete E-Mails, vier Blogeinträge, 86 Tweets, ungefähr ein Dutzend SMS.
Als ich versuchte, mir die Unmenge von Informationen vor Augen zu führen – eine pointillistische Darstellung dessen, was ich mache, und daher auf gewisse Weise dessen, wer ich bin –, war ich davon überrascht, welches Bild sich daraus ergab: Ich bin ein Verkäufer.
Weder verkaufe ich Minivans in einem Autohaus, noch ziehe ich von Praxis zu Praxis, um Ärzten cholesterinsenkende Medikamente aufzudrängen. Aber abgesehen von Schlafen, Sport und Hygiene zeigt sich, dass ich einen Großteil meiner Tage damit verbringe, andere dazu zu überreden, sich von ihren Ressourcen zu trennen. Klar, manchmal bemühe ich mich, Menschen in Versuchung zu führen, ein Buch, das ich geschrieben habe, zu kaufen. Aber meistens führt das, was ich tue, nicht dazu, dass die Kasse klingelt. In jenen zwei Wochen arbeitete ich daran, den Herausgeber eines Magazins davon zu überzeugen, die Idee für eine dumme Geschichte zu verwerfen, einen potenziellen Geschäftspartner dazu zu bringen, sich mit mir zusammenzutun, eine Organisation, in der ich ehrenamtlich tätig bin, ihre Strategie zu ändern, und sogar einen Angestellten einer Fluggesellschaft, meinen Sitz am Fenster in einen am Gang umzuwandeln. In der Tat versuche ich den Großteil meiner Zeit, an andere Ressourcen als Geld heranzukommen. Kann ich Fremde dazu bringen, einen Artikel zu lesen, einen alten Freund bitten, mir bei der Lösung eines Problems zu helfen, oder meinen neunjährigen Sohn davon überzeugen, nach dem Baseball-Training zu duschen?
Ihnen geht es wahrscheinlich nicht anders. Graben Sie Ihre eigenen Kalendereinträge aus und schauen Sie sie sich genau an – ich vermute, dass Sie ähnliche Entdeckungen wie ich machen werden. Einige von Ihnen werden zweifelsfrei etwas im wörtlichen Sinn verkaufen: Bestands- und potenzielle Kunden davon überzeugen, eine Unfallversicherung abzuschließen oder Beratungen anbieten oder auf einem Bauernmarkt selbst gemachten Kuchen verkaufen. Aber Sie alle werden vermutlich mehr Zeit, als Sie ahnen, mit Verkaufen in einem weiteren Sinne verbringen – Kollegen für Ihre Sache gewinnen, Geldgeber überzeugen, Kinder dazu kriegen, etwas zu tun. Ob es Ihnen gefällt oder nicht, wir sind heute alle im Verkauf.
Den meisten Menschen gefällt es gar nicht, wenn sie das hören. Verkauf? Igitt. Für die Smarteren gehört der Verkauf zu den Unternehmungen, die nur wenig intellektuelle Leistung erfordern – eine Aufgabe für aalglatte Schmeichler, die mit einem Lächeln durchs Leben kommen. Für andere bedeutet Verkaufen eine Tätigkeit zweifelhafter Gestalten, die windige Geschäfte machen – ein Reich, wo Gaunerei und Betrug die Hauptrollen spielen, während Ehrlichkeit und Fairness die Szene stumm aus den Kulissen beobachten. Wieder andere betrachten es als die Weiße-Kragen-Variante des Toilettenputzens – vielleicht nötig, aber unangenehm und vielleicht sogar ein wenig unsauber.
Ich bin überzeugt davon, dass wir falschliegen.
Dieses Buch dreht sich um das Verkaufen. Aber es unterscheidet sich von all den Büchern über dieses Thema, die Sie bisher gelesen (bzw. ignoriert) haben. Der Grund dafür liegt darin, dass sich in den letzten zehn Jahren das Verkaufen in allen Facetten – sei es Buicks auf einem Parkplatz zu verticken oder in einer Besprechung Ideen zu präsentieren – stärker verändert hat als in den hundert Jahren zuvor. Die meisten Auffassungen über das Verkaufen, die wir haben, basieren auf Annahmen, die nicht mehr zutreffen.
In Teil I dieses Buches lege ich die Argumente für ein drastisches Umdenken hinsichtlich des Verkaufens, wie wir es bisher kennen, dar. In Kapitel 1 zeige ich, dass sich die Nachrufe, die den Tod des Verkäufers in der derzeitigen digitalen Welt verkünden, kläglich irren. Allein in den USA verdient ca. eine von neun berufstätigen Personen ihren Lebensunterhalt damit, dass sie Menschen dazu bringt, etwas zu kaufen. Vielleicht geht es dabei nicht mehr um Warenmuster, sondern um Smartphones, oder sie bietet Erlebnisse statt Enzyklopädien an, aber immer noch arbeitet sie im traditionellen Verkauf.
Noch erstaunlicher ist allerdings, was mit den anderen acht Leuten geschehen ist. Auch sie arbeiten im Verkauf. Zwar verfolgen sie keine Kunden in den Gängen eines Möbelhauses, aber sie – oder besser: wir – sind mit dem beschäftigt, was ich „Verkauf, ohne zu verkaufen“ nenne. Wir überreden, überzeugen und beeinflussen andere, etwas aufzugeben, was sie haben, und es für das, was wir haben, einzutauschen. Wie Sie aus den Ergebnissen einer erstmaligen Untersuchung dessen, was Menschen an ihrem Arbeitsplatz tun, ersehen werden, widmen wir 40 Prozent und mehr unserer Zeit bei der Arbeit der Aufgabe, Menschen zu etwas zu bewegen. Und wir schätzen dies als wesentlich für unseren beruflichen Erfolg ein.
Kapitel 2 analysiert die Gründe, warum so viele von uns letztlich damit beschäftigt sind, andere zu etwas zu bewegen. Die Schlüssel, um diese Verwandlung der Arbeit zu verstehen, sind Entrepreneurship, Flexibilität und der Bereich Bildung und Gesundheitswesen. Erstens Entrepreneurship: Genau dieselben Technologien, denen nachgesagt wurde, sie würden Verkaufspersonal überflüssig machen, verringern die Zugangsschwelle für kleinere Unternehmer und sorgen dafür, dass mehr von uns als Verkäufer arbeiten. Zweitens Flexibilität: Gleich, ob wir nur für uns selbst arbeiten oder für eine große Organisation, stellen die meisten von uns fest, dass wir nicht länger nur eine Sache tun, sondern dass unsere Fähigkeiten über die speziellen Tätigkeiten an unserem Arbeitsplatz hinausgehen müssen. Insofern umfassen sie einige Aspekte traditionellen Verkaufens und viele Elemente vom Verkauf, ohne zu verkaufen. Und drittens Bildung und Gesundheitswesen: die weltweit am schnellsten wachsenden Branchen. Arbeitsplätze in diesen Feldern drehen sich ausschließlich darum, Menschen zu etwas zu bewegen.
Auch wenn Sie diesen Argumenten zustimmen und willens sind, ihnen auf den nächsten Seiten Ihre Aufmerksamkeit zu schenken, mag das Fazit nicht recht schmecken. Verkauf hat nicht unbedingt einen großartigen Ruf. Denken Sie nur an all die Filme, Theaterstücke und Fernsehsendungen, in denen Verkäufer als zum Teil hinterhältige, gierige Menschen, zum Teil als hohlköpfige Verlierer dargestellt werden. In Kapitel 3 beschäftige ich mich mit diesen Annahmen, insbesondere mit der Vorstellung, dass es im Verkauf primär um Betrug und Hereinlegen gehe. Ich zeige auf, wie sich das Mächtegleichgewicht verschoben hat und wie wir vom Caveat emptor (möge sich der Käufer in Acht nehmen) zum Caveat venditor (möge sich der Verkäufer in Acht nehmen) gekommen sind, wo Ehrlichkeit, Fairness und Transparenz häufig der einzig gangbare Weg sind.
Dies führt zu Teil II, in dem ich Erkenntnisse aus den Sozialwissenschaften heranziehe, um drei Qualitäten aufzudecken, die heute am wichtigsten sind, wollen wir andere zu etwas bewegen. Ein Sprichwort in der englischsprachigen Verkaufsbranche war lange Zeit „ABC – Always Be Closing“, das heißt, Ziel ist es, den Verkauf immer abzuschließen. In Teil II stelle ich die neue Herangehensweise vor: Einklang, Auftrieb, Klarheit.
In Kapitel 4 geht es um In Einklang bringen: sich selbst mit anderen Individuen, Gruppen und Kontexten harmonisieren. Ich beziehe mich auf einen reichen Schatz wissenschaftlicher Untersuchungen, um Ihnen die drei Regeln der Einstimmung und die Gründe aufzuzeigen, warum extrovertierte Menschen selten gute Verkäufer sind.
Kapitel 5 beschäftigt sich mit Auftrieb, einer Qualität, die wilde Entschlossenheit mit größtem Optimismus paart. In dem Bemühen, andere zu etwas zu bewegen, sehen wir uns dem gegenüber, was ein Verkaufsveteran den „Ozean der Zurückweisung“ nennt. Sie lernen von einer Gruppe von Lebensversicherungsvertretern und von einigen weltweit führenden Sozialwissenschaftlern, was man vor, während und nach dem Verkaufsgespräch tun sollte, um über Wasser zu bleiben. Außerdem werden Sie erfahren, warum der Glaube an das, was Sie verkaufen, das Wichtigste auf dem neuen Verkaufsparkett geworden ist.
In Kapitel 6 diskutiere ich das Thema Klarheit, die Fähigkeit, in schwierigen Situationen die Übersicht zu behalten. Es gilt seit Langem, dass es guten Verkäufern, sei es nun im traditionellen Verkauf oder im Verkauf, ohne zu verkaufen, gelingt, Probleme zu lösen. Hier werde ich aufzeigen, dass es heute wichtiger ist, Probleme aufzuspüren. Eine sehr effektive Art und Weise, andere zu etwas zu bewegen, ist, ihnen Herausforderungen aufzuzeigen, die ihnen vielleicht nicht bewusst sind. Sie werden hier auch etwas über das Handwerk der Kuratierung lernen, ebenso wie einige gewiefte Ansätze, wie Sie Ihre kuratorische Auswahl bei einer bestimmten Problemlage treffen.
Nachdem Sie etwas über die Schlagworte Einklang, Auftrieb und Klarheit erfahren haben, wird in Teil III beschrieben, was Sie tun müssen – die Fähigkeiten, die für den Verkauf am wichtigsten sind.
In Kapitel 7 beginnen wir mit dem Pitch, dem Verkaufsgespräch. Seitdem es Gebäude mit Aufzug (elevator) gibt, haben geschäftstüchtige Menschen ihre Verkaufsargumente so formuliert, dass sie in der kurzen Zeit auf dem Weg in die oberen Etagen ihren Standpunkt klarmachen können: der Elevator Pitch. Da aber heutzutage die Aufmerksamkeitsspanne schrumpft (und im Aufzug alle auf ihr Handy schauen), ist diese Technik veraltet. Im siebten Kapitel lernen Sie die sechs Nachfolgetechniken des Elevator Pitch kennen und wie und wann man sie anwendet.
Kapitel 8 Improvisieren beschäftigt sich damit, was zu tun ist, wenn Ihre perfekt abgestimmten, angemessen belebten und ultraklaren Pitches unvermeidlich schiefgehen. Ich stelle Ihnen einen erfahrenen Improvisationskünstler vor und zeige Ihnen, warum das Verständnis der Regeln des Improvisationstheaters Ihr Überzeugungsvermögen stärken kann.
Schließlich zeige ich in Kapitel 9 Dienen, welche zwei Prinzipien grundlegend sind, wenn traditioneller Verkauf und Verkauf, ohne zu verkaufen, überhaupt etwas bedeuten sollen: Sorgen Sie dafür, dass er persönlich und sinnvoll ist.
Damit Sie diese Ideen praktisch umsetzen können, helfen Ihnen am Ende jedes Kapitels in Teil II und III einige clevere Techniken, die ich aus der aktuellen wissenschaftlichen Forschung und den Best Practices aus der ganzen Welt zusammengestellt habe. Ich nenne diese Sammlung von Instrumenten und Tipps, Übungen, Checklisten und Literaturempfehlungen Musterkoffer, als Hommage an die Handlungsreisenden, die einst ihre Taschen voller Waren von Stadt zu Stadt schleppten. Am Ende dieses Buches, so hoffe ich, werden Sie effektiver Menschen zu etwas bewegen.
Genauso wichtig ist, dass Sie den Akt des Verkaufens hoffentlich in einem neuen Licht sehen werden. Verkaufen, so habe ich mit der Zeit verstanden, ist dringlicher, wichtiger und – auf seine ganz eigene Weise – attraktiver, als wir es wahrnehmen. Die Fähigkeit, andere dazu zu bewegen, etwas, das sie besitzen, für das einzutauschen, was wir haben, ist für unser Überleben und unser Glücklichsein entscheidend. Es hat bei der Entstehung unserer Spezies geholfen, sorgte für die Verbesserung unseres Lebensstandards und unseres täglichen Lebens. Das Vermögen zu verkaufen ist keine unnatürliche Anpassung an die gnadenlose Welt des Kommerzes. Es ist Teil dessen, was wir sind. Wie Sie umgehend sehen werden – falls ich Sie dazu gebracht habe, umzublättern –, ist Verkaufen im Kern menschlich.