Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Epilog
Glossar
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2106
Der weiße Tod
In den Randbezirken von Tradom – ein ganzes Volk wird versklavt
von Horst Hoffmann
Auf den von Menschen besiedelten Planeten der Milchstraße schreibt man das Jahr 1306 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, dies entspricht dem Jahr 4893 alter Zeit. Eigentlich weisen alle Anzeichen auf eine friedliche Entwicklung der Erde und der gesamten Liga Freier Terraner hin, wenngleich weiterhin Spannungen zwischen den Großmächten der Milchstraße bestehen.
In dieser Situation kommt unverhoffter Besuch in die Milchstraße – durch das Sternenfenster im Raumsektor Hayok. Es wurde mit Hilfe einer unglaublichen Technik errichtet und erlaubt eine Verbindung zum Reich Tradom, das fast vierhundert Millionen Lichtjahre von der Menschheitsgalaxis entfernt ist.
Die Fremden aus dem Reich Tradom verfügen über Waffen und Schutzschirme, die den galaktischen Schiffen weit überlegen sind. Und sie haben auf der anderen Seite des Sternenfensters 22.000 Raumschiffe stationiert, die alle Flotten der Milchstraße sofort überrollen könnten.
Perry Rhodan geht in die Offensive. Mit der LEIF ERIKSSON und in Begleitung des arkonidischen Superschlachtschiffes KARRIBO wechselt er durch das Sternenfenster und stößt in die Galaxis Tradom vor.
Bei ersten Erkundungsmissionen versuchen die Terraner herauszufinden, wie sich die Situation in der Sterneninsel darstellt. Auf einem kleinen Planeten treffen Terraner auf insektoide Wesen und ihre Feinde – einer dieser Feinde ist DER WEISSE TOD ...
Liktus Boi – Der letzte Gelehrte der Zineda befürchtet den Untergang seines Volkes.
Benjameen da Jacinta – Der Zeroträumer versucht mit seiner Gabe ein Massaker zu verhindern.
Tess Qumisha – Die Physikerin schmiedet einen waghalsigen Plan.
Scharanay – Die Prinzessin der Zineda sieht nur noch eine einzige Chance.
Harun al Kharud – Der Kommandant der JEFE CLAUDRIN regiert mit eiserner Faust.
Zinet
Liktus Boi, der letzte große Gelehrte Derer von Zineda, stieß ein leises, helles Zischen aus – das Pendant zu einem menschlichen Seufzen. Das zwei Meter hohe, aber sehr grazil gebaute Wesen in dem weißen Umhang blickte mit seinen großen Facettenaugen in die Zwillingsokulare des leistungsstärksten Teleskops der einzigen Sternwarte auf dem Planeten Zinet.
Jede Nacht verbrachte er hier, im Turm der Weisen am Nordrand der Stadt Zineda. Und was er sah, machte ihm nicht gerade Freude – vor allem in der letzten Zeit nicht.
Diesmal war es ganz schlimm, so arg, dass die vier dünnen Beine, auf denen Boi stand, leicht zitterten. Mit den beiden Vordergliedmaßen seines halb aufgerichteten Insektenleibes hielt und regulierte der Gelehrte die Einstellungen seines Fernrohrs, das meist auf die drei Monde seines Heimatplaneten gerichtet war, in diesem Augenblick auf den zweiten, auf Krato.
Liktus Boi vermochte wie kein anderer der 50.000 Bewohner von Zineda aus der Bewegung der Monde die Zukunft vorherzusagen. Jede Nacht verfolgte er aufs Neue die sich gegenseitig beeinflussenden, täglich wechselnden Mondspiralen. Alle Vorhersagen, die er aus den erratischen Bahnen der Monde treffen konnte, gingen in dieselbe Richtung: Das Ende war nah, das Leben in der einzigen Stadt des Planeten würde in nicht mehr ferner Zeit erloschen sein. Und es gab nichts, was er dagegen tun konnte. Liktus Boi verbrachte weitere drei Stunden in seiner Sternwarte, wo er einsame Wacht hielt. Dann kletterte er die steinerne Wendeltreppe zu den unteren Geschossen des Turmes hinab, in denen sich die Bibliotheken und Sammlungen alter Kultgegenstände befanden. Es war ein Museum, das seinen jüngeren Artgenossen offen stand. Aber kaum einmal verirrte sich einer von ihnen zu ihm. Der Gelehrte kannte den Grund dafür.
Es gab nicht mehr viele junge, wissenshungrige Männer und Frauen. Sie vegetierten dahin, ohne Hoffnung, und warteten darauf, dass sie gerufen wurden – gerufen, um zu sterben. Überall in den schon halb leer stehenden Siedlungen der Stadt Zineda herrschte diese bedrückende Stille. Selbst die Vögel, die sich in den überall an den Gebäuden hochrankenden Glott-Pflanzen ihre Nester bauten, schrien in der Schwüle der Nacht nicht mehr. Es war, als erahnten sie den Untergang.
Im Palast der Prinzessin Scharanay, der Tochter des Mondes, wurde nur mehr hinter vorgehaltener Hand getuschelt – stets über dasselbe Thema: Die Auslöschung Derer von Zineda stand bevor, das Ende ihres alten, vielleicht nicht sehr ruhmreichen, doch moralisch hoch stehenden Volkes.
»Diese schrecklichen E'Valenter«, seufzte Liktus Boi, nachdem er seinen Saugrüssel ausgefahren und damit Nährflüssigkeit aus einem hohen, schmalen Gefäß zu sich genommen hatte. »Wären sie nur niemals auf diese Welt gekommen ...«
Niemand antwortete ihm, wie immer. Der letzte Gelehrte war allein. Er hatte keine Schüler und besuchte nur alle paar Tage die Prinzessin in ihrem Palast, oder sie schickte nach ihm, um seine neuesten Deutungen der Bewegungen der Monde zu erfahren. Aber auch das hatte sie in der letzten Zeit aufgegeben. Sie konnte die schlimmen Vorhersagen nicht mehr verkraften.
Liktus Bois Chitinpanzer hatte längst die ausgebleichte Färbung und die feinen Risse des Alters angenommen, genau wie sein Geruch. Bei den Jüngeren schimmerte der Panzer, aus dessen zwei Einschnürungen die sechs Gliedmaßen wuchsen, in glänzenderen Farben. Zwei Beinpaare zum Laufen, eines zum Handeln, so war es immer gewesen. Der Oberkörper Derer von Zineda war stets aufgerichtet, während der Hinterleib sich in der Horizontale befand. Am dreieckigen Kopf befanden sich zwei lange Fühler, die Facettenaugen und der normalerweise aufgerollte, dünne Rüssel. Die Bewohner des Planeten Zinet waren seit langer Zeit schon Safttrinker und Pflanzenesser. Scharfe Beißzangen an ihren Mündern schienen zu belegen, dass dies einmal anders gewesen war. Liktus Boi hatte früher einmal auch in dieser Richtung geforscht, aber das war vorbei, seitdem die E'Valenter sein Volk dezimierten.
Das taten sie zwar schon seit vielen Generationen, als auch Boi noch gar nicht geboren war, aber erst in den letzten Jahren war es so schlimm geworden.
Die schrecklichen E'Valenter des Reichs zwangen das Volk Derer von Zineda, in der Mine von Eyschant zu arbeiten. Nicht genug damit, auch die Versorgung der Minenarbeiter mit Wasser und Nahrungsmitteln musste von den Stadtbewohnern ohne eine Gegenleistung sichergestellt werden.
»Sie rotten uns aus«, sagte Liktus Boi vor sich hin. »Sie lassen unser Volk, unsere Jugend verbluten. Bald gibt es keine jungen, zeugungsfähigen Männer mehr ...«
Aber das Ende konnte noch schneller kommen. Würde die Arbeit in den Minen nicht befehlsgemäß geleistet, so drohten die Wächter seit Urzeiten an, müsste das gesamte Volk Derer von Zineda für den Ungehorsam büßen.
Und so schickte das Herrschergeschlecht seit Äonen immer wieder einen Teil der jungen Generation in die Mine. Diese Zineda wussten, dass der Gang in die Mine ihr letzter Gang war, denn die Arbeit war hart und führte unweigerlich nach einigen Jahren zum Tod. Doch die jungen Zineda, auf welche die Wahl fiel, opferten sich aus Treue zu ihrer Prinzessin.
Seit einigen Jahren aber, das wusste Boi, forderten die Wächter des Reichs in immer kürzeren Intervallen neue Minenarbeiter an. Die Prinzessin und ihr Volk wussten nicht, welcher Umstand daran schuld war; was die Minenarbeiter, die sich für ihr Volk opferten, in immer kürzerer Zeit schwach werden und sterben ließ.
Manche Stimmen im Palast tippten auf eine Krankheit, andere auf tödliche Willkür der Wächter, die ihre Arbeiter ums Leben brachten.
»Und die Prinzessin schweigt«, zischte der alte Gelehrte.
Was sollte sie auch tun? Jeder Widerstand, jede Weigerung würde als Aufstand ausgelegt und bestraft werden ...
Was immer es auch sein mochte: Die Arbeiter starben, und wenn die Zahl der Opfer weiter stieg, würde vom Volk der Zineda bald nichts mehr übrig sein. Ihre Geburtenrate war viel zu gering. Sie waren ein fragiles, zartes Volk, keine Kämpfer und keine Minenarbeiter.
Liktus Boi wischte sich über die Augen. Die Nacht war furchtbar schwül. Einmal nur hörte er das Schreien eines Vogels, und es klang kläglich. Gerade so, als wolle das heilige Tier das Schicksal Derer von Zineda betrauern.
Wenn die Monde ihm wenigstens einmal ein Zeichen gegeben hätten, wie er sein unterdrücktes Volk hätte retten können – das Volk und die liebliche, traurige Prinzessin. Aber das taten sie nicht. Stattdessen verkündeten sie das drohende Ende.
Der Gelehrte war kurz davor, sich in den Trost eines die Sinne berauschenden Extrakts zu begeben, da geschah das Unerwartete.
Irgendjemand klopfte unten an die schwere Holztür des Turms der Weisen. Zum ersten Mal seit vielen Tagen.
*
Liktus Boi lief die Treppen nach unten hinab. Wer wollte zu ihm, dem letzten Bewohner des altehrwürdigen Bauwerks?
Als er die Tür öffnete, sah er im Schein des elektrischen Lichts das unverkennbare Gesicht von Hauptmann Imm Zuliffer. Dahinter erkannte er einige seiner besten Männer der Palastwache. Ihr beißender Geruch kündete von starker Erregung.
»Willkommen, Hauptmann«, brachte er staunend hervor. Er fühlte sich etwas überrascht. »Seid meine Gäste! Aber was führt euch zu dieser späten Stunde zu mir?«
»Gleich«, sagte Zuliffer. »Im Turm. Wir dürfen doch eintreten?«
»Ich hieß euch doch schon willkommen«, antwortete der Gelehrte. »Obwohl es mich wundert, dass ihr ...«
Der Hauptmann der Palastwache – der einzigen Krieger, die es auf dem Planeten gab – schob ihn sanft beiseite und trat ein. Ihm folgten seine Soldaten, sechs an der Zahl. Als auch der letzte im Turm war, schloss und verriegelte Liktus Boi die Tür wieder.
Er huschte an seinen Besuchern vorbei und stieg die Treppenstufen in eine Etage des Turms hinauf, in der er früher – lange war es her – Schüler unterrichtet hatte. Er hatte nie wieder von ihnen gehört und musste annehmen, dass sie alle in der Mine ums Leben gekommen waren.
»Bitte, setzt euch!«, bot Boi den Soldaten an.
Der wabenförmige Raum umfasste die ganze Etage. Die Wände waren von Regalen mit Speicherfolien bedeckt. Es gab etwa zehn Stühle und zwei große Tische. Liktus Boi setzte sich Imm Zuliffer gegenüber hin und blickte den Hauptmann gespannt an.
»Was ich zu sagen habe, wird dir vielleicht nicht gefallen, Liktus Boi«, sagte Zuliffer. Die Greifzangen an den Enden der sechs Gliedmaßen zuckten nervös. »In dem Fall bitte ich dich schon jetzt, darüber Schweigen zu bewahren und vor allem nichts der Prinzessin zu berichten. Gibst du mir dein Versprechen?«
»Ja«, sagte Boi irritiert. Weshalb machte Zuliffer es so spannend? Was hatte er Geheimnisvolles vor?
Wie verschwörerisch beugte sich der Hauptmann nach vorn, bis seine Fühler fast die des Gelehrten berührten.
»Es ist so«, sagte er. »Wir Zineda wollen nicht länger den Terror und die Willkür der Wachen des Reichs hinnehmen.«
»Auf diesen Moment habe ich lange gewartet«, seufzte der im Grunde vollkommen pazifistisch eingestellte alte Mann. »Und, was wollt ihr tun?«
»Wir werden«, sagte Imm Zuliffer noch leiser, so als hätten die Wände Ohren, »mit unseren besten Soldaten die E'Valenter angreifen! Wenn am morgigen Tag eine neue Karawane aus zwanzig neuen Minenarbeitern von Prinzessin Scharanay verabschiedet wird, werden in den Kutten der Todgeweihten nicht die jungen Leute stecken, sondern ich und meine Palastwache.«
Liktus Boi erschrak zutiefst. So hatte er sich eine Aktion gegen die Unterdrücker nicht vorgestellt.
»Das ist Selbstmord«, sagte er schockiert, und seine Fühler zitterten vor Erregung. »Du weißt, über welche furchtbaren Waffen die E'Valenter verfügen. Sie haben es mehr als einmal demonstriert.«
»Aber sie sind nur wenige«, tat der Hauptmann den Einwand ab. »Wir haben ebenfalls Waffen, wenn auch nicht solche wie sie. Aber in einem Überraschungsangriff können wir sie besiegen!«
Seine Stimme klang eindringlich. Liktus Boi schwankte in seinem Widerstand.
»Und weshalb kommt ihr damit zu mir?«, fragte er, obwohl er die Wahrheit bereits ahnte.
»Unser Wunsch ist«, sagte Zuliffer freiheraus, »dass du uns bei unserem Angriff begleitest.«
»Ich?«, fuhr Boi zurück. »Warum ich? Ich bin kein Kämpfer!«
»Aber du bist unser größter Gelehrter und mit den Monden vertraut! Du kennt sogar die Sterne und ihre Bewegungen! Wenn du dabei bist, werden die Palastwächter beginnen, an die Erfolgsaussichten des Unternehmens zu glauben! Und nur Soldaten, die einen Glauben an sich selbst besitzen, können auch den Sieg davontragen, verstehst du? Gegen die Waffen der E'Valenter ist der Glaube alles, was wir haben!«
Liktus Boi schwieg eine Weile. Auch Zuliffer sagte nichts, sondern ließ ihn nachdenken.
Schließlich sagte Boi: »Es ist alles schön und gut, Hauptmann. Dein Plan erscheint mir wohl durchdacht. Aber verrate mir eines: Weshalb willst du gerade jetzt eine so verzweifelte Aktion starten?«
Er hatte damit ins Schwarze getroffen, das verrieten ihm die unsicheren, nervösen Zuckungen von Zuliffers Fühlern. Und dann gestand der Hauptmann der Palastwache.
»Du hast Recht, Liktus Boi«, sagte er widerstrebend. »Die junge Tochter des Mondes, Prinzessin Scharanay, grämt sich zu Tode darüber, dass sie die Kinder ihres Volks immer wieder ins Verderben nach Eyschant in die Mine schicken muss. Und da sich zwischen mir und ihr seit einiger Zeit gewisse ... zarte Bande angebahnt haben, kann ich nicht länger dem Niedergang meines Volkes und meiner Prinzessin zusehen. Aber ich warne dich nochmals! Wenn du nicht zustimmst, sag kein einziges Wort zu Scharanay! Sie darf nichts von dem Plan und dem Kommando wissen!«
Wieder schwiegen sie für Minuten. Liktus Boi wog zischen den Vor- und den Nachteilen des Plans des Hauptmanns ab. Dann nickte er endlich.
»Du kannst mit mir rechnen, Imm Zuliffer«, versprach er. »Wenn es um unsere Freiheit und die Prinzessin geht, bin ich auf eurer Seite. Ich werde eure Aktion begleiten – und wenn es das Letzte im Leben ist, was ich tue. Für die Freiheit ist kein Preis zu teuer.«
Der Hauptmann beugte sich wieder vor und legte ihm eine Klauenhand auf die schmale Schulter.
»Ich danke dir, Liktus Boi, im Namen unseres Volkes und der Prinzessin. Ich bin sicher, wir werden siegen.«
Der Gelehrte gab keine Antwort. Er hoffte zwar, dass Zuliffer Recht hatte, konnte sich aber auf der anderen Seite nicht vorstellen, dass die E'Valenter so leicht zu überraschen und zu bezwingen sein sollten.
Aber immerhin gab es keinen Präzedenzfall. Noch nie hatten sich Angehörige des Volkes Derer von Zineda gegen sie aufgelehnt. Noch nie war es zu einem echten Kräftemessen gekommen.
Allein das war ein Grund dafür, dass er seine Teilnahme zusagte. Wer sonst als er sollte später einmal davon berichten, wie es gewesen war – falls er den Kampf überlebte!
Er geleitete den Hauptmann und seine Begleiter ins Freie. Die Schwüle der Nacht traf ihn wie ein Hammer. Und wieder schrie ein Vogel ganz kläglich. Er sah ihn am tiefvioletten Himmel davonflattern.
Es war für den Forscher wie ein böses Omen.
*
Schon am kommenden Tag fanden sich bei Sonnenaufgang zwanzig Soldaten der Wache vor dem Palast ein, in dem die Prinzessin lebte. Der Palast stand im Zentrum der weitverzweigten Stadt. Hohe, spitze Türme ragten zwischen hohen Mauern in den Himmel.
Zwei der drei Monde standen noch sichtbar am Himmel, als Liktus Boi zu Fuß von seinem Turm eintraf. Trotzdem war ihm bereits heiß. Er hatte fast eine Stunde gehen müssen.
Die Palastwachen waren in graue Kutten gehüllt, die über ihren Hinterleibern auseinander fielen. Boi wusste, dass dies die zwanzig angeforderten Minenarbeiter sein sollten und dass sich Imm Zuliffer unter ihnen befand. Noch war er aber nicht bereit, sich unter sie zu mischen, zumal er bis zum Abmarsch eine gute Stunde Zeit hatte.
Der Gelehrte begab sich in den Palast; es war ihm gleichgültig, was sich der Hauptmann dabei denken mochte. Er hatte sein Wort gegeben, der Prinzessin nichts zu verraten, und das musste – bei seiner Ehre – genügen.
Liktus Boi ließ sich bei der Prinzessin anmelden und durfte schon eine Minute später in ihr wabenförmiges Schlafgemach eintreten. Diese Gnade wurde nicht vielen anderen gewährt. Er fand Scharanay in einem erschreckenden Zustand auf ihrer Liegestatt.
Ihr Chitinpanzer war viel ausgebleichter als gewöhnlich. An einigen Stellen war er gekräuselt und rissig. Scharanays Facettenaugen schimmerten blass. Ihre Fühler hingen schlaff herunter. Sie machte den Eindruck eines gebrochenen Wesens, krank und hinfällig, obwohl sie immer noch schön war. Boi fühlte starkes Mitleid mit ihr.
»Du bist es, Liktus«, zirpte sie. »Es tut gut, dich zu sehen. Viel zu lange habe ich auf dich warten müssen. Was sagen die Monde?«
Er war überrascht, dass sie danach fragte, nahm aber ihre Hand. Sie zitterte leicht. Das Schlimme war, er konnte ihr selbst keinen Halt geben.
Liktus Boi sah die Käfige mit kleinen, bunten Vögeln, die normalerweise fröhlich zirpten und sangen. Aber jetzt waren sie still. Sie schienen die Verzweiflung der Prinzessin zu spüren und mit ihr zu leiden.
»Die Monde ...«, begann er, brach dann ab. Liktus brachte es nicht fertig, ihr die Wahrheit zu sagen. »Die Monde prophezeien, dass alles gut werden wird«, log er also. »Es ist vor allem wichtig, dass du, unsere geliebte Prinzessin, wieder gesund wirst.«
»Das sagen die Monde?«, fragte Scharanay mit Zweifeln in ihrer Stimme. »Belügst du mich auch nicht, Liktus?«
Boi machte eine abwehrende Bewegung mit dem Kopf. »Du musst gesund werden, Prinzessin, dann wird alles wieder gut. Das sagen die Monde.«
Er schämte sich angesichts seiner Lügen, aber was konnte er sonst tun? Scharanay sich ihren Seelenqualen um ihr geknechtetes Volk überlassen? Nein, das ganz bestimmt nicht!
Er wünschte, so friedfertig er im Grunde war, Hauptmann Zuliffer jeden erdenklichen Erfolg gegen die Versklaver. Allein schon im Interesse der dahinsiechenden Prinzessin, deren Lebensinhalt er vielleicht tatsächlich geworden war. Dann erinnerte er sich daran, dass er selbst mit ihnen zu den Minen marschieren wollte.