Tony Bard
Mystery Shopper
4 Tage, 3 Boutiquen, 1 Mord
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Inhaltsverzeichnis
Titel
MYSTERY SHOPPER
Impressum neobooks
4 Tage, 3 Boutiquen, 1 Mord
„Ab 40 mach ich was ich will.“, hatte Walter Anderson, 38, schon mit 20 zu sich gesagt. Also noch ein Jahr. Ein Jahr bedeutete drei Auftragsmorde. Barbara Frell in London war der dritte und letzte im vorletzten Jahr.
Es war immer schon unheimlich, wie sehr Walter Anderson sich konzentrieren konnte. Auch nach einem dieser Abende an denen er als Kind seine Mutter vor seinem gewalttätigen Vater beschützen musste, der immer nur sie – niemals ihn – bedrängte, konnte er trotzdem am nächsten Tag vor der Klasse stehen und seelenruhig seine Hausaufgabe vorlesen, wieder die beste von allen.
Niemand vermutete irgendwelche Schwierigkeiten hinter der Fassade dieses hübschen, ordentlichen Jungen, Teenagers und jungen Erwachsenen der problemlos seine Schullaufbahn absolvierte - immer unter den Klassenbesten und sympathisch genug, um weder Neid noch Verdacht zu erwecken.
Diese Konzentrationsfähigkeit kam Walter Anderson jetzt zugute, als er einerseits die Berichte über seine letzten Boutiquenbesuche an die Zentrale schickte und gleichzeitig die Mail mit Details zu seinem nächsten Mordauftrag entschlüsselte.
Barbara Frell, 54, befand sich gerade in London. So wie er. Sie war hier, um bei Sotheby´s ein paar postmoderne Kunstobjekte für ihr Haus in Miami zu ersteigern. Er war hier, um das Personal in den Boutiquen des amira Mode- und Accessoireskonzerns zu testen. Sie: die Multimillionärin, deren Ehemann vor einiger Zeit den Auftrag erteilt hatte, sie zu ermorden. Er: der pedantische Mystery Shopper, der im Auftrag einer Mystery Shopper Vermittlungsstelle europaweit Filialpersonal von hochpreisigen Mode- und Schmuckunternehmen zu bewerten hatte. Berührungspunkte zwischen den beiden: null.
Deshalb war Walter Anderson auch einer der international einsetzbaren Lieblingsauftragskiller einer geheimen Agentur, die sich auf die Beseitigung von unliebsamen Personen spezialisiert hatte. Sein Job, der ihn von Frankfurt aus an vier Tagen der Woche durch Europa führte, verschaffte ihm die perfekte Tarnung: ständige Reisen, von denen niemand außer ihm selbst wusste, dass sie nicht nur der Bewertung des Shop-personals dienten.
Selbst diese Auftragskillervermittlungsagentur kannte nicht seinen Namen, so wie er selbst nicht wusste, wer hinter dieser höchst profitablen und geheimnisvollen Organisation stand. Alles lief über nicht zurück verfolgbare Emailadressen, Verschlüsselungssoftware und geheime Konten. Niemand konnte die jeweils andere Seite verraten.
Der Auftraggeber musste Details zu dem Opfer angeben: wo es anzutreffen war, was für Gewohnheiten es hatte, welchen Bekanntenkreis, welche Medikamente es einnahm und sonst alles hilfreiche, um es dem Killer zu ermöglichen, seine Tat zu planen. Detektive überprüften die Informationen und danach erstellte der Killer seine Strategie. Alles sehr professionell und durchdacht, kein Raum für Überraschungen.
Im Fall von Barbara Frell war es leicht. Sie hatte immer die gleiche Routine, wenn sie ihre Einkaufstour in London absolvierte. Das gleiche Hotel, die gleichen Galerien und Geschäfte, der obligate Theaterbesuch, die obligaten Treffen mit Bekannten. Für Walter Anderson bedeutete dies, eine überschaubare Ansammlung von Gelegenheiten zuzuschlagen.
Seit acht Jahren hatte Anderson seine geheime, gut bezahlte Zweitbeschäftigung. Seine Spezialität war es, den Mord wie einen Unfall aussehen zu lassen. No clouds, sheer nerves – keine Wolken, die die Stimmung und Gedanken trübten, nur Nerven, die nicht flackerten. Walter Anderson verlor nie einen Gedanken an die Opfer. Sie waren Variablen, die es zu annullieren galt. Das war ihm nie schwer gefallen.
Diese moralische Unbelastetheit verhinderte auch, dass Anderson irgendwelche Kompensationsmechanismen entwickeln musste, um mit seinen dunklen Taten zu Recht zu kommen. Er musste sein Gewissen weder in Alkohol-, Drogen oder sonstigen Exzessen betäuben. Er hatte alles unter Kontrolle. Kein Drama, kein Blut. Das waren nicht nur seine Regeln als Killer, das galt irgendwie für seine gesamte Lebenseinstellung.
Sein Erfolgsrezept war, nicht gierig zu werden. Also nicht mehr als drei Mordaufträge pro Jahr anzunehmen und dadurch die sorgfältige Planung zu beeinträchtigen. Ebenfalls unvernünftig wäre es, große Geldbeträge schon jetzt auszugeben und so Aufmerksamkeit oder gar Neid zu erwecken. Aber Anderson war ein Meister der Zurückhaltung und Selbstdisziplin. Er lief nicht Gefahr, durch Übermut seine Zukunftspläne zu torpedieren.
Diese Pläne für nachher waren bescheiden: Kleinstadt, Haus, freiberufliche Arbeit als Fotograf - egal ob das profitabel war oder nicht. Familie. Nichts würde an die zehn Jahre erinnern, die den Grundstein für diese beschauliche Idylle gebildet hatten. Als Erklärung für seinen Wohlstand könnte Anderson gegebenenfalls eine überraschende Erbschaft angeben. Aber da er ohnedies keine langfristigen Freundschaften und Kontakte pflegte (weder real noch digital auf Facebook), war auch nicht anzunehmen, dass jemand ihn nach einem Umzug in eine neue Stadt nach seinen veränderten Lebensumständen fragen würde.
Als Mystery Shopper war man ein unauffälliger Jedermann. Jemand an den man sich nicht erinnern kann, obwohl man mit ihm gesprochen hat. Der ideale Beruf für Walter Anderson. Seine Chefs kamen und gingen, Anderson blieb. Er verstand sich mit all seinen Vorgesetzten gut. Er wurde nie als Bedrohung wahrgenommen. Die perfekte Tarnung als B-hörnchen, ohne jede Ambition am Sessel des A-hörnchens zu sägen. Die perfekte langfristige Überlebensstrategie im Großkonzern füüö