Michaela und Karl Vocelka
Leben und Legende einer Kaiserin
Verlag C.H.Beck
Sisi: Sie ist die ewig jugendlich scheinende Kaiserin, die mit sechzehn den österreichischen Monarchen Franz Joseph heiratet, die Widerspenstige, die sich dem steifen Wiener Hofzeremoniell nicht unterwerfen will, die Liebhaberin und Bewunderin der ungarischen Seele, aber auch die eitle Neurotikerin, die jeden Tag ihr Gewicht kontrolliert, eine Extremsportlerin, die waghalsige Jagden und stundenlange Gewaltmärsche durch Wind und Wetter unternimmt und ebenso rastlos zu immer neuen Reisen aufbricht.
Bei allen Mythen, die sich um Sisi ranken, schaffen Michaela und Karl Vocelka ein Porträt, das der historischen Person Elisabeth nicht nur in all ihren Facetten und Widersprüchen gerecht wird, sondern auch wenig bekannte Seiten der Kaiserin zeigt: Wer weiß schon, dass sie Gedichte verfasste, in denen sie freimütig ihre politischen Ansichten äußert und die Fehler und Schwächen ihrer habsburgischen Verwandtschaft mit einer Bissigkeit beschreibt, die einem allzu oft puderzuckrigen Sisi-Bild Realismus und auch die nötige Prise Schärfe verleiht.
Die Historikerin Michaela Vocelka ist Leiterin, Archivarin und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Simon Wiesenthal Archivs. Karl Vocelka war langjähriger Vorstand des Instituts für Geschichte und Professor für Österreichische Geschichte an der Universität Wien. Von ihm liegt im Verlag C.H.Beck vor: Österreichische Geschichte (32010).
Mit zwei Abbildungen und einer Stammtafel
(Portrait: Elisabeth als junge Kaiserin.
Gemälde von Franz Xaver Winterhalter, 1864, KHM, Wien.
© akg-images/Erich Lessing; Vignette, Seite 3: Gedenkpostkarte
(Ausschnitt) für die Kaiserin mit Porträts von Kaiser Franz Joseph I.
und Kaiserin Elisabeth von Österreich in einer Doppeladler-Kartusche.
Lithographie, um 1900. © IMAGNO)
Originalausgabe
1. Auflage. 2014
© Verlag C.H.Beck oHG, München 2014
Reihengestaltung nach Uwe Göbel, München
Umschlagabbildung: Kaiserin Elisabeth von Österreich, offizielles
Krönungsporträt, Gemälde von Georg Raab, 1867, KHM Wien.
© akg-images/Nimatallah
ISBN Buch 978 3 406 66089 4
ISBN eBook 978 3 406 66090 0
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Einleitung
Fröhliche Kindheit in Possenhofen?
Die Eltern
Kindheit und Jugend
Verlobung und Hochzeit mit Kaiser Franz Joseph
Begegnung im Schatten der Revolution
Verlobung in Ischl
Hochzeit in Wien
Die frühen Ehejahre am Wiener Hof
Erste gemeinsame Reise
Geburt der Kinder
Reisen nach Italien und Ungarn
Der weite Weg zu Freiheit und Selbstbestimmung
Madeira
Korfu, Venedig und Kurorte
Repräsentative Aufgaben
Machtkampf um die Erziehung Kronprinz Rudolfs
Ungarn und die politische Seite der Kaiserin
Der Ausgleich mit Ungarn
Krönung in Budapest
Liebe zu Ungarn und politische Abstinenz
Schönheit und ihre Schattenseiten
Schönheitskult
Schlankheitswahn?
Körperliches Training
Auf der Suche nach sich selbst
Elisabeth, ihre Kinder und ihre bayrischen Verwandten
Die Last der Repräsentation
Reiten
Griechische Welten
Orte der Ruhe – Achilleion und Hermesvilla
Unstetes Wanderleben
Tod durch einen Anarchisten
Das Attentat
Luigi Lucheni
Begräbnis und Nachlass
Gedichte für die Nachwelt als Spiegel der Persönlichkeit und des Lebens
Literarische Ambitionen
Das Verhältnis zum Kaiser
Die habsburgischen Verwandten
Politische Haltungen
Ludwig II.
Liebesleben
Sisi als europäischer Erinnerungsort
Denkmäler und Benennungen
Das literarische Bild Elisabeths – Entstehung eines Mythos
Die «wissenschaftliche» Beschäftigung mit Elisabeth
Filme
Musikalische Interpretationen
Museen
Was macht Elisabeth zu einer Legende und einer Zentralfigur der Nostalgie?
Weiterführende Literaturhinweise
Register
Viele Generationen von Habsburgern waren mit Frauen aus den unterschiedlichsten europäischen Dynastien verheiratet, deren Persönlichkeit wie unter einem Schleier von Klischees verborgen liegt. Ihre Hauptaufgaben scheinen neben der Geburt von möglichst männlichen Nachkommen vor allem im Bereich der Frömmigkeit und der Wohltätigkeit gelegen zu haben. Nur wenige dieser Frauen wurden besser erforscht und gewinnen an Profil, sodass sich Aussagen über ihre künstlerischen, oft auch wissenschaftlichen Interessen und ihre politische Rolle machen lassen. In ganz seltenen Fällen gelingt es, auch ihrer Persönlichkeit näherzukommen und diese zu verstehen.
Zwei Hindernisse stellten sich der Erforschung dieser Ehefrauen der Habsburger entgegen: Einerseits ist die Quellenlage schlechter als für die männlichen Mitglieder des Adelsgeschlechtes, und andererseits war die Beschäftigung mit Frauen bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts kein wichtiges Thema der Geschichtswissenschaft. Erst mit der verstärkten Pflege der Frauen- und Geschlechtergeschichte wurden auch die (bei sozialgeschichtlichen Zugangsweisen normalerweise vernachlässigten) Gemahlinnen plötzlich interessanter.
Eine Gestalt unter ihnen ragt jedoch markant heraus: die Ehefrau Kaiser Franz Josephs, Elisabeth, Herzogin in Bayern, genannt Sisi, deren Persönlichkeit schon früh zum Gegenstand von Stilisierung und biographischer Interpretation wurde. Doch was machte diese Frau zu einer solchen von Legenden umrankten Zentralgestalt, zu einem Mythos, der nicht nur in mehr oder minder wissenschaftlichen Publikationen, sondern auch in literarischen Texten, Filmen, Musicals und Ausstellungen immer wieder das Interesse eines großen – man kann sogar sagen weltweiten – Publikums findet?
Diesen Fragen versucht das vorliegende Buch ein wenig nachzugehen, vorrangig will es aber eine Lebensskizze Elisabeths zeichnen, auf Basis der Quellen und der reichlich vorhandenen Literatur zu ihrem Leben. Bei vielen dieser Werke offenbaren sich die Schwierigkeiten einer objektiven Betrachtung der Kaiserin. Diese resultieren einerseits daraus, dass die Aussagen zu ihrer Persönlichkeit und ihrem alltäglichen Leben – sieht man von den äußeren Ereignissen ab – meist schwierig nachzuprüfen sind, denn sie stammen entweder aus den frühen Biographien von Zeitgenossen, die eine Mittelstellung zwischen Quelle und Darstellung einnehmen, oder zitieren Quellen, die heute nicht mehr verfügbar sind.
Neben den Bildern und Realien, die mit Elisabeth zu tun haben, gibt es auch autobiographische Quellen, die aber ebenfalls problematisch sind. Die Briefe sind zwar teilweise ediert, wie etwa die von ihrem Ehemann an sie gerichteten, andere Teile des Briefwechsels sind jedoch verloren oder schlummern für die Forschung unzugänglich in privaten Archiven der habsburgischen Familie. Das «poetische Tagebuch» der Kaiserin, das erst in den 1980er Jahren freigegeben und von Brigitte Hamann (geb. 1940) ediert wurde, ist durch mannigfache poetische Verschlüsselung nicht mit den üblichen Tagebüchern, die als biographische Quellen vorrangige Bedeutung haben, zu vergleichen.
Der erste «wissenschaftliche» Biograph Egon Caesar Conte Corti (1886–1953) hatte ähnlich wie Richard Sexau (1882–1962), der Verfasser einer Lebensbeschreibung von Elisabeths Bruder Carl Theodor, durch seine persönlichen Beziehungen zum Adel Briefe und Dokumente in Privatarchiven benutzen können, die anderen Forschern bis heute verschlossen bleiben, und Gespräche mit Zeitzeugen geführt, die sich in unseren Tagen nicht mehr verifizieren lassen. Von all diesen finden sich in den Nachlässen der beiden Forscher Abschriften, die wahrscheinlich unvollständig und teilweise schon interpretierend sind. Erschwerend kommt noch hinzu, dass es wenige aussagekräftige schriftliche Quellen von Zeitgenossen gibt. Das Tagebuch ihrer Tochter Marie Valerie (1868–1924), die Aufzeichnungen ihres Griechischlehrers Constantin Christomanos (1867–1911) sowie ihrer Hofdamen Marie Festetics (1839–1923) und Irma Sztáray (1864–1940) oder die Hofchronik von Marie von Redwitz (1856–1933), der Hofdame ihrer Nichte Amelie von Urach (1865–1912), wurden daher ebenso wie die Schriften von Sisis Nichte Gräfin Marie Louise Larisch-Wallersee (1858–1940) immer wieder intensiv interpretiert. Dabei haben diese natürlich persönlich gefärbten Aussagen später oft sehr unterschiedliche, manchmal auch extreme Auslegungen gefunden. Das macht die Arbeit an einer Biographie der Kaiserin schwierig und teilweise unbefriedigend, denn die Mehrzahl der modernen Biographinnen und Biographen bezieht ihre Informationen zu großen Teilen aus dieser älteren Literatur, und sie besitzen kein Korrektiv, etwa in Form anderer Quellen, zur Überprüfung ihrer Darstellungen. So zeigt sich, dass die ambivalente Persönlichkeit Elisabeths häufig zur Projektionsfläche der Betrachter wird, wo Spielraum zur Überinterpretation gegeben ist.
Elisabeth, Herzogin in Bayern, wurde 1837 in München geboren. Dass ihr Geburtstag auf das Weihnachtsfest – dieses im betreffenden Jahr noch dazu auf einen Sonntag fiel – und dass sie bereits mit einem Zahn auf die Welt kam, wurden später als besondere Vorzeichen für ihr Leben gedeutet. Denn zunächst wies nichts darauf hin, dass dieses neugeborene Kind einen besonderen Lebensweg einschlagen würde. Ihre Familie im engeren Sinn war nicht die regierende Hauptlinie des Hauses Wittelsbach, die Herzöge von Bayern bzw. seit 1806 Könige von Bayern, sondern eine Nebenlinie, die von Johann Karl von Pfalz-Gelnhausen (1638–1704) abstammte. Dieser führte den Titel Pfalzgraf bei Rhein, Herzog in Bayern, von Zweibrücken-Birkenfeld zu Gelnhausen, Graf von Veldenz und zu Sponheim und war in zweiter Ehe mit Esther Marie von Witzleben (1666–1725) verheiratet. Nach langen Streitigkeiten wurden die Nachkommen aus dieser Verbindung in den Herzogsstand erhoben, ab 1806 konnten sie sich sogar, allerdings mit Unterbrechung unter König Ludwig I. (1786–1868), «Königliche Hoheit» nennen. Dennoch war die Linie der Herzöge in Bayern gegenüber der regierenden Linie der Wittelsbacher rangmäßig benachteiligt.
Der Großvater Elisabeths, Herzog Pius August (1786–1837), galt als überaus schwieriger Mensch, cholerisch und aggressiv, der immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt kam, da er Menschen auf der Straße anpöbelte. Schließlich wurde er unter Polizeiaufsicht gestellt und in der Erbfolge übergangen; zum Oberhaupt des Hauses ernannte man seinen Sohn Herzog Maximilian Joseph (1808–1888), den Vater Elisabeths. Herzog Max, wie er meist genannt wird, stand stark unter dem Einfluss seines Großvaters Wilhelm (1752–1837), der sich ehrgeizig bemühte, der bayrischen Nebenlinie größere Bedeutung zu verschaffen, und später die Eheschließung seines Enkels mit einer Tochter des bayrischen Königs bestimmte. Nach einer ersten Erziehungsphase mit einem überstrengen Lehrmeister erhielt Max im «Königlichen Erziehungsinstitut für Studirende» auf Initiative seines Großonkels König Maximilian I. Joseph (1756–1825) in München eine gute Ausbildung. Diese verlief anders als die seiner Standesgenossen: Nicht alleine mit einem Privatlehrer, sondern in der Gemeinschaft anderer junger Menschen erlebte er seine Schulzeit. Der Leiter der Schule, Benedikt von Holland (1775–1853), förderte vor allem seine literarischen und musikalischen Fähigkeiten und erweckte indirekt sein Interesse am Zirkus. Später besuchte Sisis Vater auch Vorlesungen an der neuen Universität in München.
Herzog Maximilians Mutter Amalie Luise (1789–1823) stammte aus dem deutschen hochadeligen, aber nicht regierenden Geschlecht Arenberg. Das hatte für ihn positive Folgen, denn das reiche Erbe der Familie Arenberg ermöglichte ihm nicht nur einen Aufenthalt in Paris, wo er in Kontakt mit liberalen und republikanischen Strömungen kam, sondern auch ein finanziell sorgenfreies Leben. Dieses Vermögen machte ihn von den regierenden Wittelsbachern unabhängig, an deren Hof er auch keine offiziellen Funktionen und Repräsentationspflichten erfüllen musste.
Für seine Tochter Elisabeth, von der niemand ahnen konnte, dass sie einmal eine Kaiserin werden würde, hatte diese Verwandtschaft mit den Arenbergs allerdings keine so günstigen Folgen. Zwar war dieses Adelsgeschlecht nach dem habsburgischen Familienstatut von 1839 ebenbürtig, doch findet sich schon Elisabeths Großmutter väterlicherseits nicht mehr in der sehr eingeschränkten Liste der für das Erzhaus Habsburg als standesgemäß geltenden Familien. Da sich der Adel über 16 adelige Vorfahren inklusive aller Ururgroßeltern definierte, war die Herkunft Elisabeths nach diesen strengen Gesichtspunkten nicht lupenrein, was ihre Aufnahme in die reaktionäre Wiener Hofgesellschaft nicht gerade fördern sollte.
Elisabeths Vater hingegen zeigte keinen Standesdünkel. Er verkehrte in bürgerlichen und bäuerlichen Kreisen, war volkstümlich, liebte bayrisches Brauchtum, Schnadahüpfeln – das Singen improvisierter einstrophiger Gedichte – und Volksmusik, die er auch selbst komponierte und, mit H. M. signiert, als Notenaufzeichnungen veröffentlichte.
Zudem übte er sich in schriftstellerischer Tätigkeit und publizierte unter den Pseudonymen Bavarus Philippus oder Phantasus Erzählungen sowie Theaterstücke. Vorbild seiner literarischen Tätigkeiten war der große deutsche Dichter Heinrich Heine (1797–1856), der später auch zum Idealbild für das dichterische Schaffen von Elisabeth werden sollte. Das rege Interesse an der Wissenschaft, das Herzog Max hegte, dokumentierte sich in seiner Bibliothek, die 27.000 Bände umfasste, sowie in umfangreich angelegten Sammlungen. Dafür unternahm er weite Reisen, wie etwa jene im Jahre 1838, kurz nach Elisabeths Geburt, die ihn über Griechenland nach Ägypten und Jerusalem führte. Von dieser Expedition brachte er nicht nur zahlreiche Reiseandenken mit, die er in einem Kuriositätenkabinett ausstellte, das er im orientalischen Stil in seiner Sommerresidenz Banz einrichtete, sondern hielt die Eindrücke auch in seiner Reisebeschreibung «Wanderungen nach dem Orient» literarisch fest.
Eine weitere zentrale Rolle im Leben des unkonventionellen Herzogs spielten Zirkus und Pferde. In seinem Münchener Stadtpalais, das in den Jahren 1828 bis 1831 von dem bekannten Architekten Leo von Klenze (1784–1864) errichtet worden war, heute allerdings nicht mehr existiert, ließ er im Hof einen Zirkus einrichten, wo er selbst die Hohe Schule ritt.
Durch seine Heirat am 9. September 1828 mit Maria Ludovika (1808–1892), einer Tochter seines Großonkels König Maximilian I. Joseph, war Herzog Max mit dem bayrischen Haupthaus, der regierenden Linie der Wittelsbacher, verwandtschaftlich noch enger verbunden. Dieses Haus stellte seinerzeit mit Ludwig I., der seit 1825 regierte, allerdings 1848 wegen seiner Affäre mit der irischen Tänzerin Lola Montez (1821–1861) abdanken musste, einen gemäßigt liberalen und schöngeistigen Herrscher. Auch dessen Nachfolger König Maximilian II. Joseph (1811–1864) war, wie sein Vater, konstitutionell eingestellt, kunstsinnig und den bayrischen Bräuchen und Trachten verbunden. König Maximilians II. Sohn, Ludwig II. (1845–1886), der ab 1864 regierte und als problematischer «Märchenkönig» galt, wird uns in der Biographie Elisabeths wiederbegegnen.
Dieses aus Heiratspolitik resultierende komplizierte verwandtschaftliche Beziehungsgeflecht brachte aber noch einen Aspekt mit sich, der langfristig von Bedeutung werden sollte: Eine der älteren Schwestern Ludovikas, Sophie (1805–1872), wurde mit dem wenig begabten österreichischen Erzherzog Franz Karl (1802–1878) verheiratet, aus deren Ehe Kaiser Franz Joseph (1830–1916) hervorging – somit war Sophie zugleich Tante und spätere Schwiegermutter Elisabeths. Max und Ludovika waren über diese Eheschließung, die ihnen auferlegt wurde, nicht sehr glücklich. Ludovika, die sich eine Verbindung mit dem Prinzen Miguel von Braganza, dem späteren König von Portugal (1802–1866), gewünscht hätte, wird sogar nachgesagt, sie habe bei ihrer Hochzeit den Fluch «Dieser Ehe und allem, was daraus hervorgeht, soll der Segen Gottes fehlen bis ans Ende» ausgesprochen. Dabei handelt es sich wohl aber um eine Legende, die sich auch im Mythos um ihre Tochter Elisabeth wiederfindet.
Die Ehe von Herzog Max mit Ludovika resultierte also keineswegs aus einer Liebesheirat. Trotz der acht Kinder, die dieser Beziehung entstammten, führten die beiden ein weitgehend voneinander getrenntes Leben, was nicht zuletzt der Ausspruch Ludovikas «Wenn man verheiratet ist, fühlt man sich so verlassen» erahnen lässt. Der phantasiebegabte und lebenslustige Max, dessen diverse Veranstaltungen als die amüsantesten der Münchener Hofgesellschaft galten, kümmerte sich wenig um seine Ehefrau, war oft auf Reisen und verkehrte häufiger als mit seiner Familie mit Künstlern und intellektuellen Männern, die er in der sogenannten Artusrunde in seinem Münchener Palais um sich versammelte. Aus seinen zahlreichen Liebschaften sind zwei uneheliche Töchter bekannt, die gleichwohl freien Zugang zu ihm hatten und mittags mit ihm speisten. Ludovika, der ein eher nüchterner Charakter, trockener Humor und eine Veranlagung zur Melancholie zugeschrieben wurden, war anders als ihr Mann erzogen und viel mehr in eine höfische Ordnung eingespannt worden. Der von ihr auf Französisch überlieferte Ausspruch: «Die Prinzessinnen müssen lernen, sich mit Anmut zu langweilen», mit dem sie einen Opernbesuch ihrer Kindheit kommentierte, bringt das in einmaliger Weise zum Ausdruck.
Von den acht gemeinsamen Kindern, Ludwig (genannt Louis, 1831–1920), Helene («Néné», 1834–1890), Carl Theodor («Gackel», 1839–1909), Marie (1841–1925), Mathilde («Spatz», 1843–1925), Sophie (1847–1897) und Max Emanuel («Mapperl», 1849–1893), war Elisabeth, die von allen Sisi gerufen wurde, die Drittgeborene.
Die meisten Biographien attestieren ihr – man fragt sich oft: auf Basis welcher heute noch überprüfbarer Quellen? – eine glückliche Kindheit, die allerdings sicherlich von der schwierigen Beziehung ihrer Eltern überschattet war. Dass das Bild ihrer Kindheit vorwiegend positiv gezeichnet wird, beruht wohl nicht zuletzt darauf, dass Sisi in einer naturnahen Umgebung, durch Herkunft privilegiert, jedoch ohne höfischen Zwang, im Kreis ihrer zahlreichen Geschwister aufwuchs. Diese Zeit verbrachte sie nicht nur im Stadtpalais in München, sondern zu einem großen Teil in dem kleinen Landschloss Possenhofen, das sich in wunderschöner Lage am Ufer des Starnberger Sees befindet. Herzog Max hatte es mit dem Erlös aus dem Verkauf der Besitzungen der Familie Arenberg in Frankreich nach der Julirevolution 1830 erstanden. Das später von Elisabeth «geliebtes Possi» genannte Schlösschen wurde zur Lieblingshofhaltung des bayrischen Herzogs, der in Bayern auch noch das ehemalige Kloster Schloss Banz sowie einen alten Stammbesitz seiner Familie, das Wasserschloss Unterwittelsbach, erworben hatte. Der Haushalt in Possenhofen, der im Gegensatz zur Münchener Residenz nicht sehr geräumig war und nur eine bescheidene Einrichtung besaß, gestaltete sich zu einem locker-ungebundenen Ort, in dem Natur und Tiere eine wichtigere Rolle spielten als steifes Hofzeremoniell. Die Erziehung Elisabeths war sicher nicht auf den Wiener Hof ausgerichtet, denn eine Heirat an den kaiserlichen Hof erwog man bestenfalls für ihre ältere Schwester Helene. Die Erzieherin der beiden Schwestern war Luise Baronin Wulffen, spätere Gräfin Hundt, von der man wenig weiß. Sisi galt im Gegensatz zu ihrer älteren Schwester als keine gute Schülerin, aber als Liebling der Familie, da sie nach Aussage der wenigen Quellen über ihre Kindheit eine sanfte, freundliche und charmante Art aufwies. Bewegung an der frischen Luft und weite Spaziergänge waren ihr schon damals wichtig, sie liebte die freie Natur. Das Reiten – und das stellte keine Ausnahme dar, sondern war bei den Töchtern des Adels üblich – erlernte sie früh, und es gefiel ihr besonders.
Elisabeth wird eine besonders vertraute Bindung zu den beiden Geschwistern nachgesagt, die ihr altersmäßig am nächsten waren: Helene und Carl Theodor. Helene, mit der Sisi häufig Englisch sprach, was zeitweise nicht nur die bayrische Umgebung, sondern dann auch den Wiener Hof, an dem diese Sprache nicht gepflegt wurde, verärgerte, soll noch in späteren Jahren oft kalmierenden Einfluss auf ihre Schwester gehabt haben. Carl Theodor, laut Richard Sexau der erklärte Liebling Ludovikas, war in der Kindheit wahrscheinlich Elisabeths häufigster Spielgefährte. Sisi hielt zeitlebens innigen Kontakt zu ihrem Bruder, der später ein bekannter Augenarzt wurde, wenn auch das Verhältnis gelegentlich durch ihre Eifersucht auf seine Ehefrauen Sophie von Sachsen (1845–1867) und Marie José von Portugal (1857–1943) getrübt schien.
Während die trotz mancher Differenzen offenbar lebenslang enge Beziehung Elisabeths zu ihrer Mutter, «Mimi», relativ gut dokumentiert ist, kann man die zu ihrem Vater nach der vorhandenen Quellenlage nur schwer deuten. Dass ihr Verhältnis in den letzten Lebensjahren des Herzogs nicht besonders herzlich gewesen sein mag, lässt ein Tagebucheintrag von Elisabeths Tochter Marie Valerie vom Juni 1888 vermuten. Sie schildert Sisi als über den Schlaganfall ihres Vaters ebenso wenig bewegt wie sich selbst, und beim bald darauf stattfindenden Begräbnis war Elisabeth nicht einmal anwesend. Ob der Grund dafür in späteren Ereignissen oder schon in der Kindheit liegt, ist nicht bekannt.
Einerseits scheint Herzog Max, der ja zahlreichen Aktivitäten nachging, wenig zu Hause gewesen zu sein, sodass die elterliche Bezugsperson der Kinder wohl weitgehend Ludovika war, andererseits wird gerade seine Person mit einer glücklichen Kindheit Elisabeths assoziiert, da er sie möglichst frei von Zwängen aufwachsen ließ und ihr ermöglichte, ihren Vorlieben nachzugehen. So wird etwa berichtet, dass der Vater, der bekanntlich keine Berührungsängste mit dem Volk hatte und oft inkognito öffentlich musizierte, dazu auch die kleine Sisi mitnahm, die auf dem Jahrmarkt der Umgebung tanzte und mit ihrer Schürze das Geld auffing, das ihr die Bauernburschen zuwarfen. Später in Wien soll sie dieses ihren Hofdamen gezeigt und dazu bemerkt haben: «Das ist mein einziges je ehrlich verdientes Geld.»
In Anschauungen und Lebensstil kann man gewisse Ähnlichkeiten zwischen Herzog Max und seiner Tochter Elisabeth feststellen. Die Vorliebe für Dichten, Reisen und Reiten, die Liebe zum Zirkus und die schwärmerische Beziehung zu Heinrich Heine und zu Griechenland sind ebenso wie manch andere Eigenschaften evident. Doch hatten viele der bayrischen Wittelsbacher eine sehr enge Bindung an Griechenland, die meisten von ihnen waren philhellenisch wie König Ludwig I., dessen Sohn Otto (1815–1867) nach dem griechischen Unabhängigkeitskrieg 1832 der erste König von Griechenland wurde. Herzog Max galt aber selbst für bayrische Verhältnisse als unkonventionell, nicht nur wegen seiner vom Republikanismus beeinflussten politischen Haltung. Er war bekannt für seine Kuriositäten, wie etwa fünf getaufte «Mohrenknaben», die er am Sklavenmarkt in Ägypten erworben und nach Bayern mitgebracht hatte. Diese sind einerseits in eine längere Tradition der Freude am Exotischen einzuordnen, andererseits in die Mode der im 19. Jahrhundert immer beliebter werdenden «Völkerschauen», die zunehmend rassistische Elemente enthielten. Sowohl die demokratisch-republikanische Grundhaltung als auch die Freude an exotischen Menschen – sie bot ihrer Tochter Marie Valerie einen zwergenhaften, verkrüppelten Schwarzen namens Rudolph Rustimo (ca. 1861–1892) als Spielgefährten – erinnern bei Elisabeth an Wesenszüge ihres Vaters.
Sucht man nach Gemeinsamkeiten unter den Geschwistern, die entweder ererbt oder anerzogen waren, so findet man einige wenige Übereinstimmungen. Mehrere der Schwestern werden als exzentrisch beschrieben, und man sah eine gemeinsame Veranlagung zur Neurasthenie (Nervenschwäche) – im 19. Jahrhundert ein allerdings häufig gebrauchter Begriff –, die erblich gewesen sein könnte. Alle Mitglieder der Herzogsfamilie litten unter einer Empfindlichkeit der Augen gegen Licht. Marie von Redwitz erklärt damit den Fächer, den Elisabeth immer vor das Gesicht hielt. Die Schüchternheit und das Meiden großer Menschenmengen werden ebenfalls nicht nur Sisi, sondern auch den meisten Familienmitgliedern zugeschrieben. Inwieweit hier wirklich von ererbten oder eher von nur durch Sozialisierung weitergegebenen Eigenschaften gesprochen werden kann, bleibt allerdings sehr fraglich.
Das Leben Elisabeths, der jungen Herzogin in Bayern, sollte sich schlagartig im Jahre 1853 ändern, als sie gerade 15 Jahre alt war. Schon davor gab es – nicht zuletzt durch die Verwandtschaft mit Erzherzogin Sophie – Beziehungen zum Wiener Hof. Als im Jahre 1848 ein großer Teil Europas von revolutionären Ereignissen betroffen war, kommunizierten Ludovika und Sophie sowie deren beide Schwestern, die mit dem König von Preußen bzw. dem Thronfolger von Sachsen verheiratet waren, brieflich miteinander und versuchten, politischen Einfluss zu nehmen.