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  Dante Andrea Franzetti– Roger Rightwing köppelt das feingeistige Tischgespräch– Lenos Verlag

Der Autor

Dante Andrea Franzetti, geboren 1959 in Zürich, ist Autor, Publizist und Dozent. 1985 wurde er durch den Roman Der Grossvater bekannt und veröffentlichte danach weitere Romane und Erzählbände. Er wurde u.a. mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis (1994) ausgezeichnet. Franzetti war zeitweilig Reporter und Italienkorrespondent verschiedener Zeitungen und lebt heute in Zürich und Rom. Im Lenos Verlag veröffentlichte er 2011, zusammen mit Pic, Das Bein ohne Mann; 2012 erschien Zurück nach Rom.

Coverfoto: studio mm

www.lenos.ch

Roger Rightwing hat zehn Gründe

Ein Meteorit stürzte auf die Stadt Basel und legte sie in Schutt und Asche. Roger Rightwing überlegte nicht lange und setzte den Titel.

ZEHN GRÜNDE, WARUM UNS SCHWEIZERN DER METEORIT NÜTZT.

Das Atomkraftwerk Gösgen flog in die Luft und verseuchte weite Teile des Mittellandes. Roger Rightwing zögerte nicht lange und setzte den Titel.

ZEHN GRÜNDE, WARUM ZÜRICH EIN ATOMKRAFTWERK IN SEENÄHE BAUEN MUSS.

Die Schweizer Fussballer verloren ein Spiel gegen Costa Rica sechs zu null. Roger Rightwing rätselte nicht lange und schrieb.

4:2 FÜR DIE SCHWEIZ! ZEHN GRÜNDE, WARUM UNS VIER EIGENTORE ZUM SIEG VERHALFEN.

Ich wäre gern Titelchef. Ich kann es! Ich hätte Roger Rightwing helfen können, als er zum ersten Mal in Zweifel geriet. Und das geschah, als eines Morgens das Statistische Amt vermeldete: In der Schweiz leben mehr Deutsche als Schweizer. Es steht 3512000 für Deutschland zu 3496000 für die Einheimischen.

Roger Rightwing grübelte. Wenn es eine gute Nachricht war, wie konnte er eine schlechte daraus machen? Wenn es eine schlechte Nachricht war, wie konnte er eine gute daraus machen?

Die Albaner zu den Schweizern zählen? Die Bündner doppelt zählen? Die Deutschen als halbe Schweizer zählen? Die Schweizer Kühe mitzählen? Überhaupt nachzählen lassen?

Roger grübelte.

DEUTSCHE REIN!?

SCHWEIZER RAUS!?

GERMANISTIK WIRD HAUPTFACH FÜR ALLE!?

Never change a winning title, falls du nicht zehn gute Gründe hast!

Man muss nur Rogers Rezept folgen.

ZEHN GRÜNDE, WARUM WIR JETZT ALLE DIE DEUTSCHE STAATSBÜRGERSCHAFT BEANTRAGEN.

ZEHN GRÜNDE, WARUM DIE BUNDESVERSAMMLUNG JETZT ANGELA MERKEL ZUR BUNDESPRÄSIDENTIN WÄHLT.

ZEHN GRÜNDE, WARUM SCHON CHRISTOPH BLOCHERS URGROSSVATER DEUTSCHER WAR.

Dabei steht es als Leitspruch auf allen Plakaten, die Roger Rightwing hat drucken lassen und höchstpersönlich an die Wände der Redaktionsräume genagelt hat.

»Etwas begründen kann jeder Schwachkopf. Etwas behaupten können nur die Souffleure des feingeistigen Tischgesprächs.«

Christoph Sünneli schreibt aus der Klinik

Die Sonne blendete. Etwas Metallisches leitete das grelle Licht direkt in seine Augen. Christoph Sünneli hielt sich den Handrücken vors Gesicht, der Wagen knallte gegen ein Verkehrsschild.

Sünneli war ein bekannter Politiker, und so erreichte die Nachricht vom Unfall Roger Rightwing auf der Redaktion sehr schnell.

Sünnelis Kolumne musste ausfallen.

Inzwischen waren etliche Tage vergangen, Sünneli klimperte schon wieder auf seinem Computer. Als Kommentar zur neuen Kolumne stand nur in Grossbuchstaben: ROGER, DAS WIRD EINE SENSATION. ICH BIN SOZIALIST.

Tatsächlich trug der Text den seltsamen Titel »Wie ich sehend wurde, als ich blind war«. Das bezog sich wohl auf Sünnelis Koma.

Roger überflog.

Roger überflog.

Der Typ war übergeschnappt.

Ignorieren? Nicht abdrucken? Das ging nicht. An der nächsten Fernsehdebatte würde Sünneli ihn zerfleischen. Liberales Blatt, haha. Rechtsradikale Kampfpostille! Hetzschrift!

Roger las nochmals.

Sünneli berichtete, wie er nach dem Unfall aus dem Koma erwacht war und nicht mehr wusste, wer oder was er ist. Sein Diener aus der Abteilung Skelettkunst des Medizinhistorischen Instituts brachte ihm darauf mehrere Ausgaben von Roger Rightwings Zeitschrift, für die Sünneli seit Jahren Kolumnen geschrieben hatte.

Die neueste hörte sich anders an: »Ich sah mich um und blickte in die Augen der fürsorglichen Krankenschwestern, oft Tamilinnen oder Inderinnen, die mich liebevoll umsorgten …«, schrieb er aus der Klinik.

Der reinste Kitsch! Xenophilie! Verliebtheit in die Fremden.

Roger raufte sich die Haare.

»Ich verachtete, was ich von diesem Sünneli, der ich gewesen sein soll, in der Zeitschrift las. Ich verachtete überhaupt die ganze Zeitschrift mit ihrer Häme über Sozialfälle, falsche oder richtige Invaliden oder andere Menschen am Rande (zu denen, nebenbei, auch die Kranken gehören). Diese Wortwahl! Diese Überheblichkeit! Wer bringt mir hier im Spital die Pfanne, damit ich scheissen kann? Die Philippinerin! Wer kleidet mich an, duscht mich, rollt mich herum? Die Frau aus Nigeria. Und wer schnauzt mich an? Die einzige Schweizerin auf der Abteilung. Ich erkenne mich in meinen verächtlichen Kommentaren nicht wieder. Ich schäme mich. Ich entschuldige mich.«

Der Text schloss mit einem Dank an die Gutmenschen, die er als Schwester Soundso und Hilfspflegerin Sowieso alle namentlich erwähnte. »Wir werden nicht länger bestehen, wenn wir nicht sozialistisch zu denken lernen, wie es meine Pflegerinnen auf ganz natürliche Weise tun. Nur ein solcher Sozialismus mit Herz kann in unsere profitkalte Welt etwas Wärme bringen.«

Es war kein Scherz! Sünneli hatte Roger den Text am Telefon bestätigt, war aber zu müde (»in schwesterlicher Wärme versunken«), um zu diskutieren. Nun gut, Titel und Lead sind das Filetstück, und dafür ist Roger zuständig. Er überlegte nicht lange und schrieb.

»HEUCHLERISCHE HELFER. Christoph Sünneli meldet sich aus der Klinik. Er tut es mit einer ätzenden Parodie auf unsere esoterischen Sozialisten im Spitaldienst, die schlimmsten Kostentreiber im Gesundheitswesen. Wenn so entlarvende Texte entstehen, kann ich nur gratulieren. Dein Unfall, lieber Christoph, war ein Glücksfall.«

Gut!

Sehr gut!

Wie wir den Irren loswerden, sehen wir später.

Roger Rightwing taut auf

Als Roger auf den Sitzungsraum zuschritt, noch immer etwas steif in den Beinen, standen alle. Es ist nicht so, dass er dann sagt: Setzen! Die Schreiber stehen entweder nur so herum (lockerer Betrieb), oder sie stehen im Sonderfall. Sie wirken dann etwas ungelenk, doch ein Fremder sieht den Unterschied nicht.

Der Sonderfall ist, wenn sie annehmen/vermuten/aufgeschnappt haben, dass Dark Vader von der Höhe des Berges Sinai zu seinem Sohn spricht. Und das wiederum ist der Fall, wenn die Belegschaft sieht, wie Roger Rightwing

(1) bei Abnehmen des Hörers vom Stuhl in die Höhe schnellt wie der Springteufel aus der Scherzpackung;

(2) den Hörer mit dem Oberarm festklemmt, den Hemdkragen zuknöpft und die Krawatte festzurrt;

(3) seine Gesichtszüge sich ebenfalls festzurren, wobei sich zuvor die Mundwinkel so weit spreizen, dass sie zeitweilig knacken wie brechende Grissini. Und wenn er, statt zu reden,

(4) nur Ein- und Zweisilber ausstösst, die aufgrund des zu einem Gefrierfach erstarrten Lächelns einen nölenden, kasperliartigen Tonfall annehmen: Ja/Genau/Sofort/Natürlich/Hehe/Sicher/Sauber. Am Ende der einzige Viersilber: Gott-schütze-dich.

Es ging der Witz, dass Dark Vader sich mit den Worten verabschiede: Der-Sache-treu. Just jener Bänz Ödeli, der gerade im Türrahmen stand, soll das einmal abgehört haben.

Es dauert immer eine Weile, bis Roger Rightwing nach einem solchen Telefonat auftaut, wobei noch Minuten später der Anzug raucht. In diesem Moment wäre er die ideale Werbefigur für die Erfrischungspastille Fisherman’s Friend.

Bänz Ödelis Anzug wäre hingegen gute Werbung für Lebertran, so schmierig ist er. Als nun Roger Rightwing über die Schwelle zum Sitzungsraum schreitet, gibt Ödeli einen seiner enthusiastischen Jauchzer von sich und klopft Roger mehrmals ziemlich stark auf die Schulter (er will nicht, dass seine Hand dort festfriert wie an einer Metallstange bei dreissig Grad unter null).

– Hehe, haha, Chef.

Er klopft. Er klopft.

– Der Sünneli, haha. Pfanne-unter-dem-Arsch-Sozialismus. Hihi. Pfannenfertiger Sozialismus. Wie Hundescheisse auf dem Trottoir und Cäsium im Trinkwasser. Sünneli: unsere radioaktive Ratte!

Auf Ödelis strähnigen, von hinten nach vorn über die Stirnglatze gezogenen Haaren glitzerten Schweisströpfchen. Roger wartete, bis er selbst einigermassen aufgetaut war, wobei kleine Eisplättchen von seinen Mundwinkeln auf den Sitzungstisch fielen, und brüllte: – Halt Er die Klappe, Bänz. Und setz Er sich. Überhaupt: Setzen, alle! (Jetzt hatte er es doch gesagt.)

Im Raum explodierte die Stille, man hörte nur das leise Aufsetzen von Rogers letzten heruntersegelnden Eisplättchen und den etwas härteren Aufprall von Ödelis Schweissperlen auf dem Sitzungstisch.

Niemand lachte.

Roger Rightwing schrie: – Es gibt nichts zu lachen.

– Was hat Dark Vader denn gesagt? Ist er nicht zufrieden?

Das war Stomp, der Korrektor.

Roger Rightwing putzte mit der Krawatte seine Brille und verkratzte die Gläser, weil die Krawatte noch Eisreste enthielt.

– Wieso Dark Vader?

– Na, das Telefonat.

Roger sah durch die Brille lauter verkratzte Gesichter.

– Telefonat? Das war meine Frau. Ich muss einkaufen gehen. Bei all dem Scheiss, den ich am Hals habe. So, und jetzt beginnt die Sitzung. Alle aufstehen! Hymne!

Roger Rightwing erteilt eine Lektion

Ödeli äugte hinüber und bemerkte Roger Rightwings besonderen Blick. Nicht das Rachefunkeln; auch nicht das Funkeln des Fallenstellers beim Zuschnappen des Tellereisens; und nicht das Ich-habe-eine-Idee-Blitzen. Rogers Augen blickten beinahe verträumt auf den Bildschirm, es lag darin zwar ein Licht, doch es leuchtete aus weiter Entfernung. Ein Licht aus der Tiefe.

Roger Rightwing beschäftigte sich mit sich selbst.

Das heisst: Er las den Eintrag über sich auf Wikipedia.

Ödeli hatte keinen Eintrag auf Wikipedia. Ödeli war niemand, und deshalb schrieb auch niemand Blödsinn über ihn hinein.

Roger Rightwing hingegen korrigierte die Angaben zu seiner Person regelmässig. Zuerst machte er die Boshaftigkeiten rückgängig. Dann schrieb er alle seine eigenen Einträge um, die ihm nicht mehr passend schienen. Roger Rightwing ging mit der Zeit.

Sein Kopf war jetzt abgetaucht, Ödeli sah ihn nicht mehr, doch nach etwa fünf Minuten lugte er neben dem Bildschirm hervor.

Ödeli hörte einen Singsang: – Ich sehe dich, du siehst mich nicht! Ich sehe dich, du siehst mich nicht!

Ödeli duckte sich bei jedem Wort.

– Komm Er her, Bänz. Er soll mir helfen.

– Oh, das würde ich niemals wagen. Mit meiner schlechten Schreibe.

– Du sollst mir nur zusehen. Du kannst dabei lernen, wie man einen Text redigiert. Siehst du, in meinem Wikipedia-Eintrag steht: »Aufgewachsen in Baar …« Ich mache daraus: »Mit zwei Jahren erster Auslandaufenthalt in Paris.« Ist doch wurscht, wo ich aufgewachsen bin.

Ödeli schwitzte. Seine Stimme verriet Unsicherheit. – Darf man das?

– Freilich! Es ist aufwendig, nachzuweisen, dass ich die Einträge selbst gemacht habe. Was mich am meisten stört, ist diese »rechtsgerichtete politische Position«, auch »rechtsliberal« gefällt mir nicht. Jetzt schau mal, ich schreibe da hinein, hm, ich schreibe: »ultranationalistisch«.

Ödeli schwitzte. Sein Atem war warm. War das ein Test?