1701–1713/14
Verlag C.H.Beck
Am Allerheiligentag des Jahres 1700 verstarb im Alcázar von Madrid im Alter von nur 38 Jahren und kinderlos ein König, auf dessen Ableben die europäischen Regierungen schon seit Jahrzehnten hoffnungs- oder sorgenvoll gewartet hatten. Zwar hatten sich Karl II. und seine Minister redlich bemüht, eine Nachfolgeregelung zu treffen, die dem spanischen Reich die Einheit sichern und Europa einen Krieg ersparen sollte. Doch bereits im folgenden Jahr begannen die Kämpfe um das riesige Erbe und weiteten sich rasch zu einem Krieg von europäischen, ja globalen Dimensionen aus.
Matthias Schnettger beschreibt in diesem Band die Vorgeschichte, den Verlauf und die Folgen dieses langen und dramatischen Konflikts: Als der Spanische Erbfolgekrieg mit den Friedensschlüssen von Utrecht (1713), Rastatt und Baden (1714) endete, hatte er Schlachten wie jene von Malplaquet (1709) gesehen, die mit ihren 36.000 Toten und Verwundeten zu den blutigsten des gesamten 18. Jahrhunderts gehörte. Die politischen Gewichte in Europa hatten sich kräftig verschoben. Manche Ergebnisse dieses Krieges wirken sogar bis heute fort.
Matthias Schnettger lehrt Neuere Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Die Geschichte des Alten Reiches und Italiens sowie die internationalen und transnationalen Beziehungen im frühneuzeitlichen Europa bilden Schwerpunkte seiner Forschung.
Mit einer Karte (gezeichnet von Peter Palm, Berlin)
und einer Stammtafel
1. Auflage. 2014
© Verlag C.H.Beck oHG, München 2014
Umschlaggestaltung: Uwe Göbel, München
Umschlagabbildung: Schlacht von Almansa. © Album/Oronoz/akg-images
ISBN Buch 978 3 406 66173 0
ISBN eBook 978 3 406 66174 7
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Einleitung
I. Das Erbe und die Erbanwärter
1. Spanien und die spanischen Habsburger im 17. Jahrhundert
2. Erbansprüche und Erbfolgeregelungen
3. Die Teilungsverträge von 1698 und 1700
II. Der Weg in den Krieg
1. Das letzte Testament Karls II.
2. Die Formierung der Haager Großen Allianz
III. Der Krieg und seine Schauplätze
1. Militär und Krieg im frühen 18. Jahrhundert
2. Der Kriegsausbruch
3. Das Alte Reich und der Spanische Erbfolgekrieg
4. Der Krieg in Italien
5. Die Kämpfe in den Niederlanden
6. Die Ereignisse auf der Iberischen Halbinsel
7. Maritime, kolonial- und handelspolitische Dimensionen
IV. Der lange Weg zum Frieden
1. Die gescheiterten Friedensverhandlungen von 1709/10
2. Die Wende des Jahres 1711
3. Die Friedensverträge von Utrecht 1713
4. Nachspiel: Die Friedensverträge von Rastatt und Baden (1714)
V. Ergebnisse und Folgen des Krieges
VI. Der Spanische Erbfolgekrieg als Erinnerungsort
Zeittafel
Auswahlbibliographie
Personenregister
Am Allerheiligentag des Jahres 1700 verstarb im Alcázar von Madrid erst 38-jährig und kinderlos ein König, auf dessen Ableben die europäischen Regierungen schon seit Jahrzehnten hoffnungs- oder sorgenvoll gewartet hatten. Zwar hatten sich Karl II. und seine Minister redlich bemüht, eine Nachfolgeregelung zu treffen, die dem spanischen Reich die Einheit sichern und Europa einen Krieg ersparen sollte. Doch im folgenden Jahr begannen die Kämpfe um das riesige Erbe. Diese weiteten sich rasch zu einem Krieg von europäischen, ja globalen Dimensionen aus, der bis zu den Friedensschlüssen von Utrecht (1713), Rastatt und Baden (1714) andauerte und die Karten im Spiel der europäischen Mächte ganz neu verteilte.
Beim Spanischen Erbfolgekrieg handelte es sich um einen klassischen Sukzessionskonflikt, wie er im Zeitalter des dynastischen Fürstenstaats geradezu systemisch war. Denn die Kinderlosigkeit eines Fürsten oder eine nur im Entferntesten zweifelhafte Thronfolge riefen allzu rasch Prätendenten auf den Plan, die mit mehr oder weniger guten Argumenten Ansprüche auf das Erbe oder Teile davon erhoben – und möglicherweise bereit waren, darum zu kämpfen. Besonders am Spanischen Erbfolgekrieg war hingegen die Ausdehnung des zur Disposition stehenden Erbes, das neben dem heutigen Spanien umfangreiche Besitzungen in Italien und im heutigen Belgien, aber auch ein gewaltiges Kolonialreich in Mittel- und Südamerika sowie in Asien umfasste. Der Größe dieses Erbes wiederum entsprachen die Zahl der Prätendenten bzw. derjenigen, die den Sukzessionskonflikt zur Verfolgung eigener Ziele zu nutzen gedachten, die geographische Ausdehnung der Kämpfe und der militärische Aufwand, mit dem die Beteiligten ihre Absichten verfolgten. Truppenstärken wie im Spanischen Erbfolgekrieg wurden erst wieder im Siebenjährigen Krieg (1756–1763) und in den Revolutionskriegen der 1790er Jahre erreicht; die Schlacht von Malplaquet (1709) mit ihren 36.000 Toten und Verwundeten gilt als eine der blutigsten des gesamten 18. Jahrhunderts.
Auch wegen seiner bedeutenden Folgen für das europäische Staatensystem kann der Spanische Erbfolgekrieg große Aufmerksamkeit beanspruchen: In seinem letzten und längsten Krieg konnte sich der französische «Sonnenkönig» Ludwig XIV. zwar erneut gegen eine große Koalition europäischer Mächte behaupten und seinem Enkel Philipp den spanischen Thron sichern. Frankreich stand aber zeitweise am Abgrund und musste, wie schon im Frieden von Rijswijk 1697, auch 1713/14 Federn lassen und alle Träume von einer hegemonialen Stellung fürs Erste aufgeben. Die deutschen Habsburger konnten zwar ihre spanischen Thronfolgeansprüche nicht durchsetzen, aber doch einen ansehnlichen Teil des Erbes gewinnen und somit den Aufstieg Österreichs zur Großmacht absichern. Der eigentliche Gewinner aber war England, das sich in eine Position brachte, die es ihm gestattete, in dem sich etablierenden Gleichgewichtssystem der europäischen Mächte die Rolle des Züngleins an der Waage zu spielen. Maßgeblich verantwortlich hierfür waren neben dem Gewinn einiger Stützpunkte im Mittelmeerraum und in Übersee vor allem die Handelsvorteile in den Kolonien, die sich London in den Utrechter Verträgen von 1713 verschaffte.
Das verweist darauf, dass der Spanische Erbfolgekrieg nicht nur eine diplomatische und eine militärische Dimension hatte, sondern dass es auch um massive wirtschaftliche Interessen ging, die – besonders deutlich im englischen Fall – auf die Politik der Kriegführenden einwirkten. Schließlich sei als ein weiterer Aspekt die mediale Seite des Krieges angesprochen: Mit erheblichem Aufwand versuchten die verschiedenen Akteure, die öffentliche Meinung zu steuern. Dabei wurden nicht nur die eigenen Positionen argumentativ untermauert und die des Gegners verworfen, sondern auch Feindbilder und identitätsstiftende Eigenbilder konstruiert. Wie sehr die Haltung der Bevölkerung den Kriegsverlauf beeinflusste, lässt nicht zuletzt der spanische Kampfschauplatz erkennen, wo der habsburgische Thronanwärter Karl sich die Aversionen der Katalanen gegen seinen Konkurrenten zunutze machen konnte, um in Barcelona Fuß zu fassen, aber eben dadurch zugleich alle Sympathien in den kastilischen Zentralregionen verspielte. Und am Beginn des Weges hin zum Frieden von Utrecht standen die englischen Unterhauswahlen von 1710, die die kriegsmüden Tories an die Regierung brachten.
Der Spanische Erbfolgekrieg und die ihn beendenden Friedensschlüsse hatten beträchtliche mittel- und langfristige Auswirkungen nicht nur in Europa, sondern auch global und markieren eine wichtige Etappe auf dem Weg Großbritanniens zur weltweit führenden See- und Handelsmacht. Selbst im 21. Jahrhundert sind seine Folgen noch spür- und sichtbar, namentlich in dem 1704 eroberten britischen Überseeterritorium Gibraltar.
Die folgende Darstellung zielt nicht auf eine bloße Nacherzählung der Kriegsereignisse ab, sondern wird den Spanischen Erbfolgekrieg in seine unterschiedlichen historischen Kontexte einbetten. Soweit dies in einer knappen Überblicksdarstellung möglich ist, sollen gerade auch Aspekte der inter- und transnationalen Beziehungen jenseits der Haupt- und Staatsaktionen Berücksichtigung finden, wie die Netzwerke der Akteure, das Zeremoniell und die Propaganda. Abgerundet wird die Darstellung durch einige Überlegungen zum Stellenwert des Spanischen Erbfolgekriegs als europäischem Erinnerungsort.
Auch eine Monographie ist nicht das Werk nur eines Autors, sondern dieser ist auf vielfältige Unterstützung angewiesen, die ich von den Mainzer Kolleginnen und Kollegen in reichem Maße erfahren habe. Sebastian Becker, Bettina Braun, Wolfgang Elz, Lisa Klewitz und Josef J. Schmid vom Historischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität sowie Thomas Weller vom Leibniz-Institut für Europäische Geschichte haben das Manuskript ganz oder teilweise kritisch gelesen, manchen Flüchtigkeitsfehler beseitigt und mit ihren Hinweisen wesentlich zur Lesbarkeit des Textes beigetragen. Stefan von der Lahr vom Verlag C.H.Beck hat letzte Unebenheiten beseitigt. Ihnen allen sei hiermit herzlich gedankt. Sollten dennoch Fehler und Ungenauigkeiten stehengeblieben sein, so habe ich diese selbst zu verantworten.
Schon am Beginn der Herrschaft des Hauses Habsburg in Spanien stand ein König mit Namen Karl (I.), besser bekannt als Kaiser Karl V. (*1500, reg. 1515/16/19–1556, †1558), jener Monarch, in dessen Reich sprichwörtlich die Sonne nicht unterging. Dank einer planvollen dynastischen Heiratspolitik, aber auch aufgrund einiger überraschender familiärer Todesfälle erbte er zum einen über seinen Vater Philipp den Schönen die österreichischen Besitzungen seines kaiserlichen Großvaters Maximilian I. und die burgundisch-niederländischen Gebiete, die seine Großmutter väterlicherseits, Maria von Burgund, in die Ehe eingebracht hatte. Hinzu kamen über seine Mutter, die spanische Infantin Johanna, die Kronen von deren Eltern, den Katholischen Königen Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragón. Die aragonesische Herrschaft schloss umfangreiche Territorien im Mittelmeerraum bis nach Süditalien ein, und jenseits des Atlantiks befand sich das spanische Kolonialimperium im Aufbau.
Diese Zusammenfassung von ganz unterschiedlichen Herrschaftskomplexen, die ihrerseits Territorien mit ganz spezifischen Traditionen und Rechten einschlossen, machte aus dem Reich der Habsburger den Prototyp einer zusammengesetzten Monarchie – so bezeichnet die heutige Geschichtswissenschaft derartige Gebilde, die man sich keineswegs als zentralistisch und einheitlich regierten modernen Nationalstaat vorstellen darf. Karl V. verzichtete 1521 auf das österreichische Erbe zugunsten seines Bruders Ferdinand (*1503, reg. als Kaiser 1558–1564), der den deutschen Zweig der Habsburger begründete, während die Iberische Halbinsel zu seinem eigenen Herrschaftsschwerpunkt avancierte. Damit wurde Karl zum Begründer der spanischen Linie der Casa de Austria. Sein Sohn Philipp II. (reg. 1556–1598) trug zwar nicht mehr die Kaiserkrone, konnte aber insbesondere durch die Nachfolge in Portugal (1580) die Stellung seines Hauses noch einmal beträchtlich ausbauen. Allerdings gab es schon während seiner Regierung erste Anzeichen für eine Krise oder doch für die Grenzen der spanisch-habsburgischen Macht, wie der nicht unter Kontrolle zu bringende Aufstand der niederländischen Nordprovinzen, der Untergang der Großen Armada (1588) und vier Staatsbankrotte (1557, 1560, 1575, 1596). Außerdem deutete sich bereits bei Philipp II. eine dynastische Krise an, nachdem sein ältester Sohn Don Carlos 1568 im Arrest gestorben war. Denn erst aus der vierten Ehe des Königs mit seiner Nichte Anna von Österreich ging der Thronerbe Philipp III. (reg. 1598–1621) hervor. Mit ihm beginnt die Reihe der sogenannten Austrias Menores, also derjenigen Habsburger, die sich als weniger ausgeprägte Herrscherpersönlichkeiten erwiesen, sich oftmals auf Günstlingsminister (Validos) stützten und unter deren Regierung Spaniens Machtposition allmählich verfiel.
Bis zum Ende der Regierung Philipps IV. (reg. 1621–1665) verschärfte sich die Krise der spanischen Monarchie massiv. Während er in den ersten Jahren seiner Herrschaft noch einige beachtliche außenpolitische Erfolge feiern konnte, häuften sich die Katastrophen seit dem Jahr 1640, als sich neben Portugal auch Katalonien gegen ihn erhob und sich von der spanischen Herrschaft lossagte. Die Schlacht bei Rocroi (1643) zerstörte den Unbesiegbarkeitsnimbus der spanischen Infanterie, der berühmten Tercios, und im Frieden von Münster (1648) musste die Unabhängigkeit der Republik der Vereinigten Niederlande endgültig anerkannt werden. Der Pyrenäenfrieden von 1659, der den seit 1635 andauernden Krieg mit Frankreich beendete, bescherte Spanien lediglich überschaubare territoriale Verluste. Dennoch signalisierte er, dass die Führungsrolle unter den großen katholischen Monarchien von Spanien auf Frankreich übergegangen war, zumal Philipp IV. genötigt wurde, seine ältere Tochter Maria Theresia (1638–1683) mit dem jungen französischen König Ludwig XIV. zu verheiraten. Auch die politische Einheit der Iberischen Halbinsel war endgültig zerfallen, da es der Madrider Regierung zwar gelungen war, Katalonien zu unterwerfen, nicht aber Portugal, dessen Unabhängigkeit im Frieden von Lissabon (1668) anerkannt wurde. Trotz allem war das Reich gewaltig, das Philipp IV. seinem vierjährigen Sohn Karl II. (reg. 1665–1700) hinterließ: Neben dem eigentlichen Spanien umfasste es in Italien das Königreich Neapel und das Herzogtum Mailand, strategisch wichtige Plätze an der ligurischen und der toskanischen Küste (Markgrafschaft Finale und Stato dei Presidii), dazu die Inselkönigreiche Sizilien und Sardinien, ferner die im Wesentlichen das heutige Belgien und Luxemburg umfassenden Spanischen Niederlande, die Freigrafschaft Burgund und die Grafschaft Charolais und nicht zuletzt den riesigen Kolonialbesitz in Süd- und Mittelamerika sowie auf den Philippinen. Im Großen und Ganzen blieb dieser Territorialbestand der spanischen Krone während der Regierung Karls II. erhalten; verloren gingen in Europa nur Teile der Niederlande, die Freigrafschaft und das Charolais, die an Frankreich bzw. die Condé fielen.
Trotz der also immer noch beeindruckenden Ausdehnung seiner Besitzungen befand sich Spanien in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erkennbar in einer Krise. Auch wenn deren Ursachen und Tragweite im Einzelnen umstritten sind, lässt sich festhalten, dass es sich keineswegs nur um eine Regierungskrise handelte, die Teile der älteren Forschung nicht zuletzt mit einer «Weiberherrschaft» am Madrider Hof begründeten. Neben der bereits angesprochenen außenpolitischen Schwäche waren die Probleme auch in Wirtschaft und Gesellschaft unübersehbar. Im 17. Jahrhundert gab es gravierende demographische Einbrüche. Der Bevölkerungsschwund hatte vielfältige Ursachen: Die spanischen Königreiche verloren 300.000 Einwohner aufgrund der Vertreibung der zum Christentum zwangskonvertierten Mauren, der sogenannten Morisken, ferner 100.000 durch Auswanderung in die Kolonien. Wegen einer Krise der Landwirtschaft war die Ernährungssituation der Menschen auf der Iberischen Halbinsel prekär. Missernten und ausbleibende Getreideeinfuhren konnten leicht zu Hungersnöten führen. Die zu erheblichen Teilen verelendete Bevölkerung erwies sich als besonders anfällig für Epidemien. Allein zwischen 1647 und 1652 soll die Pest knapp 600.000 Menschenleben gefordert haben, und von 1676 bis 1685 erlagen ca. 250.000 Menschen weiteren Seuchen. Besonders hart betroffen waren die Kriegsgebiete in der Extremadura an der Grenze zu Portugal sowie die an Frankreich grenzenden Provinzen im Nordosten. Andererseits gehörte Katalonien zugleich zu denjenigen Gebieten, in denen sich in der zweiten Jahrhunderthälfte Anzeichen einer wirtschaftlichen und demographischen Erholung zeigten. Um 1700 soll in etwa wieder der Bevölkerungsstand vom Beginn des Jahrhunderts (ca. 7,4 Mio. Einwohner) erreicht worden sein.
Zugleich lassen sich, wenngleich noch recht punktuell, Hinweise auf eine vorsichtige Öffnung Spaniens für neue geistige Strömungen ausmachen: Es wurden erste Zeitungen gegründet, in einigen Städten (z.B. Sevilla, Valencia) fand in den adligen Salons das Gedankengut der frühen Aufklärung Eingang, und unmittelbar vor dem Erbfolgekrieg wurde in Sevilla die Königliche Gesellschaft für Medizin und andere Wissenschaften gegründet (1700).
Die noch recht zaghaften und fragilen Ansätze einer Besserung der Gesamtsituation gingen zumindest zum Teil auf Reforminitiativen der Madrider Regierung zurück. Vom merkantilistischen Geist geprägte Maßnahmen wie die Einrichtung eines Handelsrats (Junta de Comercio)1679 und eines Rats für monetäre Fragen (Junta de Moneda) im selben Jahr zielten auf eine Belebung von Handel und Gewerbe ab. Zugleich sollte eine Steuerreform für eine gerechtere Lastenverteilung sorgen. Eine durchgreifende Sanierung der Staatsfinanzen gelang allerdings nicht, auch wenn dank der Silberflotten immer noch große Edelmetallmengen aus Amerika nach Spanien strömten. Der profitable Handel mit den Kolonien blieb allerdings großenteils in den Händen ausländischer Kaufleute und Bankiers, zum Teil auf der Basis königlicher Privilegien (Asientos), zum Teil aber auch durch Schmuggel bzw. Schleichhandel, den die kolonialen Behörden nicht unterbinden konnten oder wollten.
Damit ist angesprochen, dass die Krise des 17. Jahrhunderts auch einen massiven Autoritätsverlust der spanischen Krone einschloss. Längst hat die Forschung mit dem Bild eines monarchischen Absolutismus aufgeräumt, der den Willen des Königs bis in die letzten Winkel des Reiches hätte zur Geltung bringen können. Schon aufgrund der begrenzten Kommunikationsmöglichkeiten und der schwach ausgebildeten Verwaltung wäre das kaum möglich gewesen. Die Krise der spanischen Krone ging aber über solche strukturellen Grenzen der monarchischen Machtvollkommenheit hinaus. Für das 17. Jahrhundert ist ein Verfall der öffentlichen Ordnung in Spanien und seinen Nebenlanden feststellbar, wobei spektakuläre Aufstände, wie in Messina 1674–78 oder in Katalonien 1687–89, nur die Spitze des Eisbergs markierten. Mit dem königlichen Autoritätsverlust ging ein wachsendes Selbstbewusstsein des Adels einher, das sich gerade angesichts der Degenerationserscheinungen im Königshaus offenbarte.
Denn nicht zuletzt und völlig unverkennbar war die Krise Spaniens im 17. Jahrhundert dynastischer Natur. Schon bei Philipp IV. war es lange Jahre zweifelhaft gewesen, ob er sein Reich einem überlebensfähigen Nachfolger würde hinterlassen können, nachdem sein ältester Sohn Balthasar Carlos 1646 verstorben war. Ab 1657 wurden ihm zwar von seiner zweiten Gemahlin Maria Anna von Österreich (1634–1696) in rascher Folge drei weitere Söhne geboren, von denen allerdings nur der jüngste, Karl, überlebte. Doch auch dieser war erkennbar durch die Folgen der habsburgischen Verwandtenheiraten gezeichnet: Karls Mutter Maria Anna war nicht nur die Gemahlin Philipps IV., sondern als Tochter seiner gleichnamigen Schwester zugleich seine Nichte. Bei den Vorfahren Karls finden sich weitere Beispiele solcher innerfamiliären Ehen, sodass sein Stammbaum in extremer Weise von einem «Ahnenschwund» oder «Ahnenverlust» geprägt war: Karl II. hatte in der fünften Ahnengeneration nur 10 verschiedene Vorfahren – normalerweise sind es 32!
Die Folgen dieser reduzierten genetischen Varietät waren bei Karl II. unübersehbar: Physiognomische Besonderheiten wie die berühmte habsburgische Unterlippe waren bei ihm bis zur Karikatur ausgeprägt. Seine Körper- und Geisteskräfte waren gering. 1685 beschrieb ihn der päpstliche Nuntius Marcello Durazzo wie folgt: «Der König ist eher klein als groß, hager, schlecht gewachsen, bietet einen unerfreulichen Anblick, er hat einen langen Hals, ein langes, nach oben gebogenes Kinn, den typischen Mund des Hauses Österreich und eine zarte, empfindliche Haut. Das Haar ist blond und lang und wird nach hinten getragen, sodass die Augen betont werden. Er kann seinen Körper nicht gerade aufrichten, sondern, wenn er geht, stützt er sich auf einen Tisch oder eine Mauer oder etwas anderes. Sein Körper ist schwach wie sein Verstand. Zuzeiten zeigt er Zeichen von Intelligenz, Erinnerung und Lebhaftigkeit, gegenwärtig jedoch nicht. Er erscheint schwerfällig und antwortet nicht, ungeschickt, träge, mit dummem Gesichtsausdruck. Man kann tun, was man will, er hat keinen eigenen Willen.» Eine nationalspanische Historiographie hat hierfür eine unzureichende Erziehung mitverantwortlich gemacht, die wesentlich seiner Mutter Maria Anna von Österreich angelastet wurde. Viele Zeitgenossen sahen übernatürliche, böse Kräfte am Werk – eine Auffassung, die von Karl selbst geteilt wurde, der nicht umsonst den Beinamen «der Behexte» (el Hechizado) trug.
Eine Konsequenz aus der Schwäche des Monarchen war der große Einfluss, den seine Umgebung auf ihn nehmen konnte. In den ersten Jahren des Königtums Karls II. spielte die Königinmutter Maria Anna eine zentrale Rolle, die für ihren Sohn bis 1677 die Regentschaft führte. Dies war eine im frühneuzeitlichen Europa weitverbreitete Lösung, um die Zeit der Minderjährigkeit eines regierenden Fürsten zu überbrücken. Die Regentschaft Maria Annas, die zum Ärger vieler Spanier ihrem österreichischen Beichtvater Johann Eberhard Nithard einen beherrschenden Einfluss einräumte, blieb jedoch nicht unangefochten. Ein gefährlicher Gegenspieler erwuchs ihr in der Person des unehelichen Sohnes Philipps IV., Don Juan José de Austria (1629–1679), der sich in den Kriegen gegen Frankreich und Portugal einige Verdienste erworben hatte und eine beachtliche Popularität im Land genoss, jedoch vom verstorbenen König ausdrücklich aus dem Regentschaftsrat ausgeschlossen worden war. 1669 gelangte Don Juan José durch einen unblutigen Staatsstreich erstmals an die Regierung. Pater Nithard wurde als Gesandter nach Rom geschickt, doch im selben Jahr wurde auch Juan José wieder kaltgestellt, indem er auf Betreiben kastilischer Granden, die seine Reformpläne fürchteten, als Generalstatthalter der Krone Aragón vom Hof entfernt wurde. Von nun an dominierte wieder der Einfluss der Königinmutter, die sich erneut auf einen Außenseiter stützte, den aus andalusischem Landadel aufgestiegenen Fernando de Valenzuela. Doch an der Jahreswende 1676/77 erzwangen einige Granden die Entlassung Valenzuelas und die Berufung Don Juan Josés zum faktischen Ersten Minister. Die oben genannten Reformansätze waren großenteils sein Werk. Viel Zeit blieb ihm aber nicht, da er bereits 1679 verstarb; insofern fällt es auch schwer, seine staatsmännischen Qualitäten und Erfolge abschließend zu beurteilen.
Auch in den 1680er und 1690er Jahren kam die spanische Regierung nicht in ein ruhigeres Fahrwasser. Es gab zwar einige durchaus fähige Minister, die sich, wie der Herzog von Medinaceli oder der Graf von Oropesa, über mehrere Jahre an der Macht behaupten konnten, insgesamt war die Kontinuität in den Regierungsinstitutionen jedoch gering. Dies war wesentlich durch die Rivalitäten unterschiedlicher Adelsfraktionen und Hofparteien bedingt, von denen es keine vermochte, einen ausschließlichen und dauerhaften Einfluss auf den hinfälligen König zu behaupten.
Eine wichtige außenpolitische Weichenstellung während der Amtszeit Don Juan Josés war eine Annäherung an Frankreich, die in der 1679 erfolgten Vermählung Karls II. mit der französischen Prinzessin Marie Louise von Orléans (1662–1689) ihren sichtbarsten Ausdruck fand. Diese Verbindung blieb aber ebenso kinderlos wie die 1690 geschlossene zweite Ehe mit Maria Anna von Pfalz-Neuburg (1667–1740). Das Fehlen von Nachkommen, dem man bis zum Ende mit den unterschiedlichsten Mitteln, von ärztlichen Kuren bis hin zu Fürbitten und Exorzismen, beizukommen suchte, war die eigentliche Katastrophe der «Regierung» Karls II.: Im Zeitalter des dynastischen Fürstenstaats konnte eine ungeklärte Nachfolge auf dem Thron eine Staatskrise hervorrufen, ja sogar die Aufteilung des zur Disposition stehenden Landes oder seine Inkorporation in eine andere Monarchie bedeuten. Das Ziel, ein solches Schicksal von Spanien abzuwenden, war der Dreh- und Angelpunkt der Madrider Politik zumal in den späten Jahren Karls II., als die Hoffnung auf königliche Nachkommenschaft immer unrealistischer geworden war. In den Bemühungen um eine reibungslose Sukzession waren die regierende Königin und bis zu ihrem Tod 1696 auch die Königinmutter Maria Anna wichtige Akteurinnen, aber auch verschiedene einflussreiche weltliche und geistliche Würdenträger engagierten sich, wie der Kardinalerzbischof von Toledo, Luis Manuel Portocarrero Guzmán, der in der Endphase des Ringens um die Erbfolge eine Schlüsselrolle spielen sollte.
Eine grundlegende Bedeutung für die Suche nach einem Nachfolger Karls II. besaß das dynastische Erbrecht. Da der König selbst keine Kinder hatte, richtete sich der Blick auf seine Verwandten, in erster Linie auf seine Schwestern, denn in Spanien galt wie in vielen europäischen Ländern ein subsidiäres weibliches Erbrecht, das beim Fehlen männlicher Nachkommen zum Zuge kam. Von den zahlreichen ehelichen Kindern Philipps IV. hatten außer Karl nur seine Halbschwester Maria Theresia und seine Schwester Margarethe Theresia (1651–1673)überlebt und Kinder hinterlassen. Deren Erbansprüche auf die spanische Krone waren allerdings mit einigen Unwägbarkeiten belastet.
In erster Linie auf die Infantin Maria Theresia stützten sich die Ansprüche des französischen Königshauses: Sie war das einzige überlebende Kind Philipps IV. und seiner ersten Gemahlin, der französischen Prinzessin Elisabeth. Infolge des Pyrenäenfriedens von 1659 heiratete sie 1660 Ludwig XIV. von Frankreich. Auf den ersten Blick handelte es sich dabei um eine der sogenannten Rekonziliationsheiraten, die – meist vergeblich – auf einen dauerhaften Frieden zwischen den beiden Hauptmächten des katholischen Europa abzielten. Das war in diesem Fall allerdings höchstens die halbe Wahrheit, denn von französischer Seite war diese Ehe bereits mit Blick auf eine etwaige spanische Erbfolge forciert worden. Spanischerseits hatte man bourbonischen Thronansprüchen durch feierliche Verzichtserklärungen