Barbara Wolflingseder

Dunkle
Geschichten

aus dem
Alten Österreich

Ludwig Rösch: Die Bachgasse in Weißenkirchen, 1920/25

Hinrichtungsart: Räderung, Kupferstich von Winzenz Kaßler 1868

ISBN: 9783990401804

© 2013 by Pichler Verlag

in der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG

Wien · Graz · Klagenfurt

Alle Rechte vorbehalten

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Lektorat und Herstellung:

Marion Mauthe

Cover- und Buchdesign:

Bruno Wegscheider

Covergestaltung unter Verwendung von:

Ludwig Rösch „Die Bachgasse in Weißenkirchen“,

1920/​25, sowie einer Szene aus dem Film

„Faust – eine deutsche Volkssage“ von

Friedrich Wilhelm Murnau, 1926

Reproduktion:

Pixelstorm, Wien

1. digitale Auflage:

Zeilenwert GmbH 2014

INHALT

Cover

Titel

Impressum

An Stelle eines Vorworts

Aus: Der Golem – von Gustav Meyrink

Der Holzknechtseppl und die Stradafüßler

Die Geschichte eines Räuberhauptmannes

Der Herzlfresser

Eine grausame Mordserie aus dem Mürztal

Tod auf dem Pfahl

Die schaurige Geschichte von einem Bäckersknecht zu Wien

Die Bestie von Krumau

Don Julius d’Austria und die Folgen der Habsburger Inzucht

Lynchjustiz hinter Prager Gefängnismauern

Der eiskalte Meuchelmord an einem „Häfenbruder“

Simon Abeles

Der Judenbub, der beinahe heiliggesprochen wurde

Ritualmordlegenden

Zum Antisemitismus in der katholischen Kirche

Menschenopfer in Ampflwang am Hausruckwald

Thomas Pöschl und seine Sekte

Die Täufer

Jakob Hutter, ein Märtyrer aus Südtirol

Die Täufer

Jakob Hutter, ein Märtyrer aus Südtirol

Das mysteriöse Verschwinden des Doktor Helbich

Faust im Waldviertel

Der mörderische Lebzelter

Die Arsenmorde von Werfen

Des Teufels Oberleutnant

Das Geheimnis der tödlichen Briefe

Quellen

Danke

Die Autorin

Bildnachweis

Weitere Bücher

Ferdinand Runk - Moldau beim Karlshaus, Gouache, um 1800

DER HOLZKNECHTSEPPL UND DIE STRADAFÜSSLER

Die Geschichte eines Räuberhauptmannes

Die organisierte Kriminalität ist ein einträgliches Geschäft, doch keineswegs eine Erfindung der Neuzeit. So war bis ins 18. Jahrhundert das Metier eines Räuberhauptmanns eine erstrebenswerte Karriere vor allem für jene, die außerhalb der Gesellschaft standen. Räuberbanden bestanden aus einem autoritären Anführer, der sich durch seine Taten oder sein Können besonders hervorhob, und dessen Gefolgsleuten, die durch einen Schwur auf den Tod aneinander gebunden waren. Einer jener Berufszweige, denen von Haus aus der Kontakt zur übrigen Bevölkerung untersagt blieb, war jener des Abdeckers oder Schinders, der für die Beseitigung von Tierkadavern, aber auch der Leichen von zum Tod verurteilten Delinquenten zuständig war und oftmals auch die Rolle des Henkers übernahm. Der Makel der Anrüchigkeit ihres Gewerbes ließ die Schinder untereinander heiraten, sodass Familienbande eine große Rolle spielten. Ihre Wohnorte, die Wasenmeistereien, waren wegen ihrer Abgeschiedenheit ideale Verstecke für kriminelle Subjekte. Zu ihnen zählten die bis heute berüchtigten Verbrecher Johann Georg Grasel, Sohn eines Schinders, und Johannes Bückler, genannt Schinderhannes. Immer noch erzählt man sich Schauergeschichten über ihre Taten, die sogar romantisch verklärt und mit Begriffen wie „Edler Räuber“ oder „Robin Hood“ bedacht werden.

Ein anderer Räuberhauptmann, der nur wenig später sein Unwesen trieb, kommt an den Bekanntheitsgrad seiner Berufskollegen nicht annähernd heran, übertrifft sie dafür deutlich an Grausamkeit und Brutalität: Der furchterregende Nikolaus Schmidhofer, alias „Holzknechtseppl“, vulgo „Schelmnickl“, war ein blutrünstiger Irrer, dessen verbrecherisches Treiben mit Sozialromantik rein gar nichts zu tun hat. Der Schelmnikl – Holzknechtseppl – ein Scheusal, ein Schurke, wie hier Jahrhunderte nicht vorgekommen, so charakterisiert ihn die Pfarrchronik seines Heimatortes.

Der Holzknechtseppl und seine Spießgesellen

Geboren wurde Schmidhofer am Nikolaustag 1794 in der Vorderen Tyrnau 55 im steirischen Fladnitz an der Teichalm. In anderen Quellen wird auch Edlitz in Niederösterreich genannt. Bereits in seiner Kindheit soll er großen Spaß am Quälen von Tieren gezeigt haben, wie die Pfarrchronik weiter berichtet. Er stammte ursprünglich aus desolaten Familienverhältnissen, wurde später aber von Pflegeeltern großgezogen, die versuchten, ihn zu einem integren, christlichen Menschen zu erziehen, was zum Großteil auch gelungen sein soll. Zumindest bis zum Tod seiner Ziehmutter. Danach ging es mit dem Holzknechtseppl rapide bergab. Als er eines Tages das gesamte Geld, das ihm zum Kauf einer Kuh anvertraut worden war, in einem Wirtshaus in Mönichkirchen verspielte, raubte er das Tier kurzerhand, um zu Hause keine Probleme zu bekommen. Dabei dürfte er auf den Geschmack gekommen sein, denn fortan streifte er durch die Wälder von Niederösterreich, der Steiermark oder des heutigen Burgenlands und verdiente sich als Wegelagerer sein täglich Brot. Sehr einfühlsam soll er dabei nicht vorgegangen sein.

Idealisierung des Bandenwesens: Robin Hood und seine Gefährten, Illustration, 1984

Jahrelang übte er sich in räuberischem Geschick, lernte Gleichgesinnte kennen und gründete im Februar 1822 die Räuberbande „Stradafüßler“: Wen die Arbeit nicht freut und wer den Galgen nicht scheut, der soll zum Holzknechtseppl gehn, der braucht auch seine Leut, so der Wahlspruch der räuberischen Bruderschaft, die für ihre Brutalität bald im weiten Umkreis gefürchtet war.

Die Bruderschaft bekam im Lauf der Jahre ordentlich Zuwachs. Bald bestand die Bande aus über 50 Mitgliedern, wobei sich folgende Personen als Drahtzieher besonders hervortaten:

Da war einmal der gebürtige Bayer Georg Richter, ein verhutzeltes Männlein, in Räuberkreisen besser bekannt unter dem Pseudonym „Guckkasten“, weil er mit einer Art „Betrachtungsgerät“ von Haus zu Haus ging, um die Örtlichkeiten auszukundschaften. Wahlweise gab man dem ehemaligen Soldaten auch den Beinamen „Goldhaube“.

Josef „Geheimrat“ Koller, ein Deserteur aus Althodis bei Rechnitz (Südburgenland), war die rechte Hand des Bandenoberhaupts. Johann Niesner aus Neufang bei Olmütz in Mähren, ein Mann mit dem Kosenamen „Fleischhacker Hans“, galt als besonders blutdürstig und soll seine Opfer fürchterlich zugerichtet haben. Weiters der nicht minder kaltblütige „gekrauste Seppl“, mit bürgerlichem Namen Joseph Michael Freiberger, ein Schwerverbrecher aus Pertlstein bei Fehring in der Steiermark, der das Amt des Vizehauptmannes innehatte. Und zu guter Letzt Nikolaus Schmidhofer, seines Zeichens Kommandant der niederträchtigen Truppe. Um sich ein Bild von ihm machen zu können, sei hier die Personenbeschreibung des Steckbriefs angegeben:

Dieser ist nach seiner Angabe 36 bis 38 Jahre alt, großer, untersetzter Statur, hat eine länglich runde, gutgefärbte Gesichtsbildung mit glattem Fell, breiter Stirn, lichtbraune Augen, dunkelbraune Augenwimpern, schöngeformte schmale Augenbrauen, längliche, gespitzte Nase, kleinen Mund, rundes Kinn, gesunde, weiße Zähne, kurz abgeschnittene dunkelbraune Haare und Bart. Spricht deutsch, nach obersteirischer Mundart und auch etwas jenisch1). Am Zeigefinger der linken Hand fehlt ihm das erste Glied.

Echte „Raubersg’schichten“

Die Schandtaten der Stradafüßler wurden von Generation zu Generation mündlich weitergegeben. Die Methoden, mit denen diese Rohlinge ihren Mitmenschen Schmerz und Leid zugefügt haben sollen, waren durchaus kreativ. Einfallslosigkeit kann man ihnen in diesem Zusammenhang beim besten Willen nicht nachsagen. Was die Bande, abgesehen von Plünderungen, alles in Hochstimmung versetzt haben soll, wird in einigen Episoden deutlich, die sich anekdotisch in ihrer Heimat erhalten haben. Wie hoch der Wahrheitsgehalt dabei ist, sei dahingestellt. Vieles wird wohl von fantasiebegabten Erzählern „ausgeschmückt“ worden sein. Dass sie etwa beim Kegeln anstatt der normalerweise gebräuchlichen Holzkugeln Totenschädel benützt haben sollen, ist nicht belegt.

So wurde etwa erzählt, die Stradafüßler hätten irgendwo in der Steiermark – der genaue Ort lässt sich heute nicht mehr verifizieren – ein Mädchen verkehrt an einem Ast aufgehängt und ihren Kopf in einen Ameisenhaufen gesteckt.

Im Raume Hochneukirchen lief dem Holzknechtseppl einmal eine Magd über den Weg, die vom Bauern um Schusternägel geschickt worden war. Mit selbigen nagelte er angeblich ihren Allerwertesten zusammen.

Ein Bauer aus Kirchschlagl wurde von Stradafüßlern in seinem Haus überfallen, wollte das Geldversteck aber nicht verraten. Da banden sie ihn kopfüber an einem Balken fest und zündeten ein Feuer unter seinem Kopf an. Der Bauer konnte sich von dieser Tortur nie wieder erholen und starb zwei Jahre später.

In allen Kulturen präsent als Symbol für Ausgegrenzte: die Zähmung des Wilden Mannes (Basler Bildteppich, um 1480, National Museum Copenhagen)

Ähnlich soll es einer Bäuerin ergangen sein, die beim Anfertigen von Schöberlteig2) überrascht wurde. Da auch sie nicht gewillt war, den Männern ihr Erspartes auszuhändigen, tauchten sie ihre Hände in den Teig und steckten dieses in siedendes Öl. Die Frau verstarb an den Folgen der Marter.

Es hieß, dass vor dem Holzknechtseppl kein Glaser sicher war, denn er liebte das Klirren berstenden Glases. Die Glaser zogen früher mit Tragekörben, in denen sie ihre Erzeugnisse transportierten, von Dorf zu Dorf. Begegnete dem verwegenen Schurken unterwegs ein Glaser, ließ er ihn samt seiner Ware auf einen Baum klettern und schoss ihn dann herunter. Das „Glaserschießen“ soll der Holzknechtseppl vorwiegend in Pinggau, in Kaltenberg und auf der heimatlichen Teichalm betrieben haben.

Der alte Haudegen schreckte angeblich auch nicht davor zurück, kleine Kinder zu ermorden. Er muss wohl ein recht abergläubischer Mann mit ausgeprägtem Hang zum Okkultismus gewesen sein, denn er glaubte, mit dem Teufel ein Bündnis eingehen zu können, wenn er neun Kinderherzen verspeisen würde. Bei der Gerichtsverhandlung gab er an, dass ihm nur noch eines gefehlt hätte.

Josef Karl Homma, der ehemalige Direktor des Burgenländischen Landesarchivs, notierte 1987 in seiner Niederschrift über die Pinkafelder Stadtgeschichte einen besonders grausigen Fund, bei dem es sich um ein Wickelkind mit zertrümmertem Schädel handelte.

Er konnte aber auch recht „großzügig“ sein, je nachdem wie es um seine Tagesverfassung bestellt war. In Riedlingsdorf zum Beispiel verbrachte er einmal eine Nacht bei der Familie des Johann Lang. Dessen Tochter war damals acht Jahre alt und soll sehr ungezogen gewesen sein. Ihr freches Benehmen dürfte dem Holzknechtseppl jedoch imponiert haben, denn er verschonte das Mädchen. Wäre sie artig gewesen, meinte er gegenüber den Bauersleuten, hätte er sie umgebracht.

Den Stradafüßlern wird ein Ende gesetzt

Nikolaus Schmidhofer und seine Helfer hatten mehrere Basisstationen, wie etwa die Wirtshäuser in Oberschützen, Rotenturm, Schäffern oder das Gasthaus in Mönichkirchen, wo der Holzknechtseppl seinerzeit die Kuh verspielt hatte. Aber nicht nur im Burgenland und der Steiermark waren die Stradafüßler auf Diebestour, auch in Ungarn hatten sie ihre Schlupfwinkel.

Wörterverzeichnis der Diebessprache aus Pinkafeld, Originalhandschrift (oberer Teil der zweiten Seite), 1783

Die Bande hinter Gitter zu bringen war kein einfaches Unterfangen. Nach seiner ersten Verhaftung wurde Schmidhofer ins Schloss Pernegg überstellt, wo ihm bei der Gerichtsverhandlung, ganz im Stile alter Mantel-und-Degen-Filme, die Flucht gelang. Er sprang aus dem offenen Fenster, landete auf einem Baum und suchte anschließend das Weite. Auch nach einer Inhaftierung in Oberkindberg konnte er, glaubt man dem Historiker Fritz Byloff, dem Gefängnispersonal entkommen.

Am 23. Jänner 1827 tagte auf Anordnung von Kaiser Franz I. im Schloss Batthyány in Pinkafeld eine Kommission, um eine Strategie zur endgültigen Überwältigung des Bandenchefs zu entwickeln. Die Kommission bestand aus dem Oberbannrichter von Gräfe aus Leoben, dem Grazer Magistratsrat von Pontner, einem Herrn von Szerdahely aus Ungarn und einem Vertreter des Militärs. Man kam überein, dass Soldaten das gesamte Gebiet einkreisen und dann konzentrisch auf Pinkafeld vorrücken sollten. Keine zwei Monate nachdem das Konzept verfasst worden war, konnten die Rädelsführer der Räuberbande und 14 weitere Spießgesellen festgenommen und in Pinkafeld verwahrt werden. Da sich die Verhandlung ziemlich in die Länge zog, hatte der Holzknechtseppl genügend Zeit, eine neuerliche Flucht zu planen. Diesmal versprach er einem „Zigeuner“, der für die Nahrungsmittelversorgung der Banditen zuständig war, 700 Gulden, wenn dieser ihm zwei Taschenfeiteln3) beschaffen würde.

Nachdem die bestellte Ware geliefert worden war, sägten die in Ketten gelegten Männer zwei Wochen lang an den Eisenringen, mit denen ihnen Hände und Füße festgebunden worden waren. Um die Sägegeräusche zu übertünchen, sangen sie fromm den Rosenkranz. In der letzten Mainacht gelang ihnen schließlich die Flucht: Sie töteten den wachhabenden Offizier und den Siebmachermeister Anton Hutter, der sich ihnen in den Weg zu stellen versuchte.

Wie groß die Angst der Pinkafelder Bewohner gewesen sein muss, als die Raubmörder wieder in Freiheit waren, vermerkte der Prediger und Autor Joseph Michael Weinhofer in seiner handschriftlichen Chronik der Jahre 1825  1829:

Die Sturmglocke verkündete ihre Flucht; allgemeiner Schrecken ergriff alle vom Schlaf geweckten Einwohner des Marktes; es war eine grause Nacht erinnernd an den schrecklichen jüngsten Tag, viel fürchterlicher als jede Feuersnoth.

Zeichen für die hohe Gerichtsbarkeit: Der Pranger in Pinkafeld, 17. Jahrhundert

Gleich am nächsten Tag wurden allerorts Steckbriefe angebracht:

Kundmachung

Nachdem von denen in der Nacht auf den 31ten Mai 1827 um halb 1 Uhr, sieben in dem Pinkafelder Gefängnisse eingekerkerten Räuber, den auf der Wache beordeten k. k. Korporalen und auf der Gasse einen Pinkafelder Bürger Tod geschossen und mehrere k. k. Soldaten, wie auch einen Pinkafelder Bewohner verwundet, und somit sich aus dem Gefängnisse befreiet hatten, die vier unten Beschriebenen, und von mehreren Mord und Raubtaten überwiesenen Bösewichter noch nicht eingebracht worden sind, so wird allen Stadt, Markt und Dorf Obrigkeiten hiemit aufgetragen, daß die Wälder, größere Bäume, Fruchten und Schluchten, wie auch einsame besonders verdächtige Gebäude, welche wenigstens 14 Tage durch 6 rüstige Männer zu bewachen sind, durch alle für ihre eigene Sicherheit aufzufordernde Inwohner durchsuchen und zu ihrer Entdeckung und Einbringung, alle möglichen Anstallten treffen sollen. Jeder der diese Räuber auffangen oder entdecken wird, erhaltet von Seiner Majestät 50 Dukaten für einen jeden Kopf; im Gegenteil wer diese großen Verbrecher nicht entdecket, wissentlich verhehlet oder durch Nahrungsmittel ihnen beisteht, wird der schwersten Strafe unterliegen.

Pinkafeld, den 1ten Juni 1827

Ignaz von Czerdahely Vice-Gespann

Die wiedergewonnene Freiheit war schließlich nur von kurzer Dauer. Schon nach einer Woche konnten die entflohenen Räuber wieder dingfest gemacht werden. Durch zweckmäßige und schnell getroffene Anstalten, wurden, ehe 8 Tag vergingen, die Flüchtigen alle wieder glücklich eingebracht.

Pinkafeld bekommt einen neuen Galgen

Diesmal beeilte man sich mit der Verhandlung. Zunächst kamen Josef Koller, Johann Niesner und Joseph Michael Freyberger, die als Deserteure behandelt wurden, in Güns4) vor ein Kriegsgericht. Reumütig sollen sie ihre Verbrechen gestanden haben. Alle drei wurden zum Tode durch den Strang verurteilt. Das Magistrat hatte schon Vorsorge getroffen und vom Maurermeister Lang einen neuen Galgen entwerfen lassen. Der Platz am Hochgericht wurde feinsäuberlich gekehrt; Pfarrer Weinhofer brachte den Delinquenten die letzte Wegzehrung, die Schuljugend begleitete ihn hingebungsvoll singend und betend. Nach dem Eintreffen der angeblich rund 8.000 „Gäste“ wurde die Hinrichtung schließlich vollzogen.

Am selben Tag, dem 1. August, wurden noch einige Komplizen für schuldig erklärt. Der Pottendorfer Lehrer Franz Eichleutner und der Wirt und Hehler Matthias Krodatsch wurden ebenfalls zum Tode durch den Strang verurteilt. Magdalena Witzelsberger, die Geliebte des „gekrausten Seppl“, sollte durch das Schwert getötet werden. Der Wirt Simon Laschober fasste drei Jahre Arrest aus, seine Geliebte Maria Drawenschak nur eineinhalb Jahre.

Der Holzknechtseppl überlebte seine drei Wegbegleiter um 16 Monate, die er im Gefängnis verbringen musste. Dann war es auch für ihn so weit – die Hinrichtung wurde für den 20. November 1828 angesetzt. Über die Jahre hatte sich ein beträchtliches Register an Straftaten angesammelt, was allein mit der Exekution des Schwerverbrechers gesühnt werden konnte:

Fast nach zweijähriger Kerkerhaft erfolgte 1828 die Hinrichtung des Holzknechtseppls. Seine Verurteilung war erfolgt auf Grund von 14 Raubmorden, 2 Brandlegungen, 54 Rauben, viermaliger Notzucht, 48 Diebstählen, 2 öffentlichen Gewalttätigkeiten, einer feuergefährlichen Handlung. Der Schaden, den er angerichtet, belief sich auf 23.844 Gulden. In den letzten Tagen kehrte er in sich, betete fast ununterbrochen und sah ruhig dem Ende entgegen. Auf dem Weg zur Richtstätte küßte er den wachehabenden Soldaten, dankte für die Mühe und fuhr mit niedergeschlagenen Augen, das Kreuz in den Händen, der Richtstätte zu. Noch im Hinaufziehen auf den Galgen bat er die Anwesenden um Vergebung und mahnte die Jugend, sich an ihm ein abschreckendes Beispiel zu nehmen.

Ohne im mindesten zu zittern oder seine Gesichtsfarbe verändert zu haben, ließ er sich die Hände zusammenbinden und soll einen tiefen Eindruck auf das häufig versammelte Volk hinterlassen haben – der Holzknechtseppl wurde drei Tage lang „ausgesetzt“, das heißt, er wurde zur Schau gestellt.

In Pfarrer Weinhofers Schulbericht ist weiters zu lesen, dass Nikolaus Schmidhofer in seiner Vorbereitung zum Tode wirklich auferbaulich und rührend gewesen sei. Er ließ sich von dem ihm geschenkten Gelde, weiße feine Leinwäsch machen, bethete während der 3 Tägen, als er ausgesetzt war, fast ununterbrochen fort, empfing die hl. Sakramente mit vieler Erbauung, und sah seinem gewaltsamen Ende mit vieler Ruhe entgegen.

Der Pinkafelder Friedhof musste in diesem Jahr um die Hälfte erweitert werden und es kehrte endlich wieder Ruhe ein. Pfarrer Joseph Michael Weinhofer schließt seinen Bericht mit folgenden Betrachtungen:

Lieber Leser!

Du schauderst vor den Greuelthaten, welcher sich diese Unglücklichen schuldig machten, allein, wenn du bedenkest das Wort der ewigen Wahrheit, daß der Sünder, wenn er einmal in die Tiefe seiner Versunkenheit gekommen, alles verachte, wenn du bedenkest, daß gewöhnlich mit dem ersten Schritte zum Laster, schon alle übrigen mitgethan sind, wenn du bedenkest, daß das Böse, das diese Unglücklichen gethan, ich und du eben so gut begehen könnten, wenn wir von den nähmlichen Versuchungen gereitzet, von den nähmlichen Gewohnheiten gefesselt, von den nähmlichen Täuschungen geteuschet würden, so wirst du statt zu schaudern über andere, vielmehr mißtrauisch über dein eigenes Herz werden, und dabey noch preisen die allmächtige Gnade Jesu Christi, die das versunkenste Sünderherz umändern, und in Reue das Felsenherz auflösen kann. Der Schnellgalgen, auf welchen diese Missethäter ihr Leben vor mehr als achttausend Zuschauer schaudervoll endeten, hatte ihnen zur Leiter dienen können, auf welcher sie hinaufstiegen zu dem Gott der Erbarmungen. – Die Welt nennet die unter den Galgen verscharrten, arme Sünder, und wie soll man denn diejenigen nennen, welche vielleicht als größere Verbrecher im Seidengewande, unangefochten auf Gottes Erdboden umher gehen, kein Gebot achten, keinen Gott fürchten, keine Ewigkeit glauben, Ehre und Wohllust nach Fülle genießen, und verschlossen gegen alles Gute und Göttliche am Rande des ewigen Verderbens herumtaumeln? O! dieser Zustand ist elender als der, der Hingerichteten, diese sind nicht nur arme, sondern auch blinde Sünder.


1)

Jenisch: eine Sondersprache der „fahrenden“ Bevölkerungsgruppen

2)

Schöberl: gebackene Suppeneinlage

3)

Volkstümlicher Ausdruck für Klappmesser

4)

Güns/​Köszeg: ungarische Kleinstadt

Darstellung des Mordes an Magdalena Angerer auf dem Herzlfresser-Marterl in Kindberg

DER HERZLFRESSER

Eine grausame Mordserie aus dem Mürztal

Als Joseph II. 1787 die Todesstrafe gänzlich abschaffen ließ, war die Habsburgermonarchie einer der ersten Staaten der Welt, in denen das der Fall war. Für Paul Reininger, den Serienmörder von Kindberg, kam diese Rechtsreform allerdings zu spät. Nicht nur die Folter, schönfärberisch als „peinliche Befragung“ tituliert, sondern auch der für seine ungemein grausamen Verbrechen verhängte Strafvollzug wären ein Jahr später Geschichte gewesen.

Die Taten Reiningers sind in Sagen erhalten geblieben, weshalb auch einer der Wege in der zum Wandern einladenden Landschaft rund um Kindberg noch an sie erinnert.

Wanderer kommst du nach Kindberg …

Für den Besucher der Gegend am eindrucksvollsten ist wohl der Herzogberg im Mürztal. Von Kindberg aus führt der Weg vorbei am Schloss Oberkindberg, ein um 1680 vom Grafen Inzaghi als zweigeschoßiger Dreiflügelbau mit vier Ecktürmen in Auftrag gegebener eindrucksvoller Barockbau. Danach geht man eine ansteigende Straße hinauf und gelangt nach ungefähr 20 Minuten auf einen Hohlweg, der oben auf der Kreutzerwiese rechts abzweigt. Der Weg wird nun immer steiler und führt hinauf bis zu einem aufgelassenen Bauernhof, dem ehemaligen Grüblbauern. Der Steig trägt einen ungewöhnlichen Namen, der nichts Gutes ahnen lässt und bei den Ausflüglern sofortiges Interesse erweckt: Es handelt sich um den „Herzlfresserweg“. Wo der Hohlweg dann wieder flacher wird, öffnet sich eine Lichtung, auf der die Kindberger ein Marterl aufgestellt haben, das an eine grauenhafte Begebenheit aus dem 18. Jahrhundert gemahnt. Auf dem „Herzlfressermarterl“ ist in alter Schrift zu lesen, dass sich in dieser Gegend einst ein Serienmörder herumtrieb, der auf unvorstellbar grausame Weise wütete. Eine wahre Geschichte, die dem Besucher heute noch kalte Schauer über den Rücken laufen lässt.

Aberglaube und Irrsinn

Nach dem österreichischen Wortschatz, der um 1900 zusammengestellt wurde, ist ein Herzenfresser ein Mensch, der Menschenherzen in abergläubischem Wahne isst, schreibt die Germanistin Christa Tuczay. Vor allem in Verbrecherkreisen glaubte man, dass jemand, der einem frisch getöteten Menschen sein noch zuckendes Herz entreißt und Teile davon verspeist, stets Glück im Spiel haben, von Frauen umschwärmt sein, auf der Folter keine Schmerzen spüren und sich vor allem unsichtbar machen können wird. Die Herzen von Jungfrauen würden sich zum Verzehr besonders eignen, wobei eines keineswegs genügen würde. Je nach okkultistischem Hintergrundwissen variierte die notwendige Anzahl zwischen drei und neun. Der finstere Auswuchs des Volksglaubens war auch in der Steiermark lange Zeit weit verbreitet und hat sich derart in das Hirn eines gewissen Paul Reininger eingeprägt, dass dieser regelrecht besessen war von dem Wahn, sieben noch warme Mädchenherzen verschlingen zu müssen, um glücklich im Spielen und Kegelscheiben zu seyn und unsichtbar sein zu können.

Auf dem Weg zum Herzlfressermarterl: Schloss Oberkindberg

Geschafft hat er es nicht ganz. Reininger, der sich in der steirischen Rechtsgeschichte als „Herzlfresser“ einen Namen gemacht hat, konnte nach dem sechsten Mord endlich das Handwerk gelegt werden.

Herangewachsen ist der Serienmörder in der Turnauer Gegend, am Fuße des Hochschwabs. Bereits im Alter von drei Jahren verlor er seinen Vater, einen Mürztaler Hirten, und wurde von der Mutter weggegeben. Er kam zu seinem Taufpaten, doch die Erziehung des Buben oblag den Dienstboten. Früh musste er schon für sich selbst sorgen. Seinen ersten Lebensunterhalt verdiente er als Hirte, mit 13 Jahren kam er in den Dienst eines anderen Bauern. Dann wechselte er laufend seine Arbeitsplätze, weil er es nirgends lange aushielt. Es mangelte ihm ständig an Geld, und er neigte besonders zur Trunksucht. Sein Alkoholismus war es auch, der die letzten Schranken der Moral durchbrach und die Bestie in ihm zu Tage förderte. So wie es auch am 15. Jänner 1786 geschehen ist. Als er nach Kindberg gieng, um dort seine Andacht zu verrichten, vorher aber mit einem Gespann im Wirtshause zwey halbe Wein getrunken, kehrte er nach vollendetem Gottesdienst wieder in das Wirtshaus zurück, wo er mit einem anderen Knechte vier halbe Wein verzehrte, dabey gespielet, und er ungefehr einen Taler verloren. Anschließend torkelte Reininger heimwärts, legte sich, rauschig wie er war, auf eine Wiese und gönnte sich ein Schläfchen. Bei Anbruch der Dämmerung kam ein Mädchen des Weges und weckte den Schlafenden. Es war eine Dienstmagd, die sich erbötig machte, ihn nach Hause zu begleiten, damit er nicht in der Kälte schlafen müsse.

Magdalena Angerer, so ihr Name, war zuvor in der Kindberger Kirche beim Gottesdienst gewesen. Nach der Messe war sie mit ihrem Bräutigam im Wirtshaus eingekehrt, dann hatte sie noch schnell eine Schachtel mit ihrem Brautkranz abgeholt und sich auf den Heimweg zur Möstlmühle gemacht. Das war das letzte Mal, dass die junge Frau gesehen wurde. Ihr Verschwinden konnte sich so kurz vor der Hochzeit niemand erklären.

Noch warme Herzen aus der Brust gerissen