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es war mir
ehrlich gesagt
völlig egal
frank meyer
erzählungen
© Bertuch Verlag GmbH, Weimar 2008
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Umschlaggestaltung: Andrè Waitz, Corax Color, Weimar
Umschlagfoto: Photocase.com
Gesamtherstellung: Corax Color, Weimar
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2013
ISBN 9783863970260
Ich ging zur Beerdigung. Denn immerhin war ich es ja, der ihn erschlagen hatte.
Das mit den Osterfeuern sei eigentlich ein heidnischer Brauch, hatte mir jemand gesagt. Ich konnte mir nicht genau vorstellen, was ein heidnischer Brauch ist. Aber ich wusste, dass wir, die wir zum ersten Mal mitmachen durften, so scharf darauf waren, dass wir uns doppelt auf die Ferien freuten. Obwohl sie nur halb so lang waren wie die Sommerferien.
Ich erinnere mich nicht mehr daran, wer überhaupt bestimmt hatte, dass wir mitmachen durften. Ob Eugen als Anführer diese Entscheidung in der Hand gehabt hatte oder ob wir durch eine Abstimmung der älteren Jungs richtig „reingewählt“ wurden oder ob einfach alle, die an diesem Berg wohnten und irgendwann alt genug waren, automatisch aufgenommen wurden. Obwohl: Rolf aus der unteren Haagstraße war nicht mit in der Truppe. Dabei war er genau so alt wie wir und wohnte auch in einer der „richtigen“ Straßen. Irgendeine Entscheidung musste es also gegeben haben, aber es war mir ehrlich gesagt völlig egal, wie und wo sie gefallen war. Hauptsache ich war einer der Jungs, die das Osterfeuer bauten. Das Osterfeuer auf unserem Berg!
Überraschenderweise gab es auch von Seiten meiner Eltern keine der üblichen Auflagen. Weder hieß es, „wenn’s dunkel wird, bist du aber zuhause“, noch musste ich – wie sonst in den Ferien – wenigstens ein oder zwei Stunden am Tag „was für die Schule tun.“ Vielleicht hatten sie einfach nur vergessen, mir auch für diese Ferien eine dieser Pflichten aufzuerlegen, die mir später noch einmal nützlich werden sollten, wenn der Ernst des Lebens anfing, irgendwann. Meine Mutter gab mir den kleinen Rucksack mit den Broten und der Limoflasche drin. Die Fältchen um die Augenwinkel meines Vaters bewegten sich lustig und seine Augen glänzen, als er mir von seinem ersten Osterfeuer erzählte, wie sie damals … aber ich hörte nicht zu, weil ich zu aufgeregt war und weil Matti und die anderen draußen schon pfiffen.
Auch sie hatten kleine Rucksäcke dabei und trugen Arbeitskleider: die ältesten Jeans, karierte Hemden und „Schaff-Jacken“ – alte Jacken eben, die vor nicht allzu langer Zeit noch gut genug für in die Schule gewesen waren, nun aber allmählich zu klein wurden und höchstens noch für in den Wald taugten. Wir wussten, dass die nächsten knapp drei Wochen wie richtige Arbeit sein würden, nur eben schöner, weil man dazu nicht in die Firma musste, wie Vater, sondern weil man die Arbeit im Freien machen konnte.
Matti wusste schon über einiges Bescheid, von seinem Bruder, der drei Jahre älter war und bereits dreimal mitgemacht hatte und jetzt zur Kerntruppe gehörte, die seit gut zwei Stunden oben auf dem Berg war. Wir vier Neulinge sollten an diesem ersten Morgen später kommen, weil die älteren Jungs schon mal mit dem Lagerbauen begonnen hatten und den Stamm vorbereiteten, und das war echte Männerarbeit. Am liebsten wären wir gerannt, aber wir durften nicht zu früh auftauchen, nicht bevor mindestens die Bude fertig war. Also zwangen wir uns, den Berg langsam hochzugehen und noch mal darüber zu reden, was wir schon wussten.
Das Spannendste war, dass es nicht nur das eine Osterfeuer gab, sondern auf jedem Berg eins. Wir nannten die Hügel rund um das Dorf Berge, weil wir damals noch nicht wussten, dass es Unterschiede gab. Die beiden Dörfer Mühlfeld und Mettnich, die zu einem Ort zusammengewachsen waren, lagen in dem Tal, das der Fluss geformt hatte, so erzählten sie es uns in der Schule, und unser Fluss floss in die Saar und die Saar in die Mosel und die Mosel in den Rhein und der Rhein ins Meer und das Wasser des Meeres verdunstete und wurde zu Wolken und die Wolken waren der Regen und so kamen die Tropfen wieder zurück in unser Tal, irgendwann. Das konnte allerdings eine ganze Weile dauern, wenn ich das richtig verstanden hatte.
Ringsum ist das Tal von Hügeln umschlossen, alle nur zwei- bis dreihundert Meter höher als das Tal, das selbst gut dreihundert Meter über dem weit entfernten Meer liegt, wo unsere ganzen Wassertropfen hin fließen, bevor sie irgendwann wieder zurückkommen. Weil die Hügel um das Tal herum recht steil ansteigen, wirkt das Dorf von den Anhöhen aus, als ob man in eine riesige, längliche Obstschüssel hineinschaut. Das sagten jedenfalls die Leute. Ich fand eher, dass es wie eine Insel aussah. Eine Insel, die nicht von Wasser, sondern von Bergen umgeben war, aber von der man genauso schwer wegkam, wie von einer Wasser-Insel. Die anderen Jungs sagten, ich würde mal wieder rumspinnen.
Auf halber Höhe schauten wir, ob man von den Arbeiten an den anderen Osterfeuern schon etwas sehen konnte. Aber die fingen natürlich auch alle gerade erst an. Von unserem Berg konnte man insgesamt noch fünf weitere Osterfeuer sehen – also in der Osternacht, wenn es dann soweit war. Es gab noch zwei bei uns in Mühlfeld und drei in Mettnich, die alle Konkurrenten waren. Vor allem die im anderen Ortsteil waren richtig feindliche Osterfeuer. Besonders das auf dem Peterberg. Der liegt genau gegenüber, am nördlichen Ende des Tals. Und die Jungs auf dem Peterberg hatten den riesigen Vorteil, dass dort kurz vor Abschluss der Arbeiten jedes Jahr unsere Feuerwehr noch mithalf und Brennmaterial hinfuhr. Das war selbstverständlich eine feige Wettbewerbsverzerrung. Angeblich soll das Peterberger Feuer irgendwann einmal das erste gewesen sein, und da die Feuerwehr nur bei einem mithelfen konnte, hielt sie sich an die Tradition, wie sie sagte. Wahrscheinlich war das eine Verdrehung der historischen Tatsachen, eine Finte dieser verlogenen Mettnicher, die die Mühlfelder wieder mal austricksen wollten. Aber obwohl wir uns jedes Jahr darüber aufregten, genossen wir auch die Rolle des Außenseiters und gleichzeitig des einzigen ernstzunehmenden Gegners der Peterberger, denn alle anderen bekamen sowieso nicht so große Feuer hin.
Mir gefielen ja schon die Martinsfeuer. Aber das war Kinderkram im Vergleich zu den Osterfeuern. Die waren viel größer und brannten die ganze Nacht. Wichtig war zunächst die Größe, die Höhe der Flammen. Da man von günstigen Stellen im Dorf mehrere Feuer gleichzeitig sehen konnte – manche Leute fuhren abends nach der Ostermesse sogar auf einen der Hügel, um einen besseren Überblick zu haben – gab es sonntags Kommentare wie: „Dieses Jahr hatten die auf dem Peterberg doch wieder das Größte, oder?“
Die eigentliche Kunst aber bestand darin, das Feuer so zu bauen, dass es nicht nur sehr schnell in seiner ganzen Höhe brannte, sondern diese Brandhöhe musste möglichst lange gehalten werden, da die Leute gemütlich herumstanden und Bier und Schnaps tranken und es bis mindestens halb zwölf aushielten – und da nützte es nichts, wenn man eine Stunde zuvor ein ordentliches Feuer hatte herunterbrennen lassen, um dann gegen Mitternacht das vernichtende Urteil zu bekommen: „Na, das war’s dann schon, aber schaut mal, das auf dem Peterberg brennt immer noch schön hoch.“
Es gab also sozusagen eine A- und eine B-Note, und in beiden musste man richtig gut sein: Man musste es hinbekommen, dass das eigene Feuer länger und höher brannte als die anderen. Und es gab nur zwei Möglichkeiten, am längsten und glorreichsten in den Auferstehungstag unseres Herrn hineinzuleuchten:
Erstens: Man musste das am besten konstruierte Feuer bauen.
Zweitens: Man musste es irgendwie hinbekommen, dass das eigene Feuer etwas später angezündet wurde als die anderen – oder eben die gegnerischen Feuer früher. Mit ‚früher‘ ist gar nicht mal viel früher gemeint. Nicht etwa am Tag vorher oder so, das wäre gemein. Schon eine gute halbe Stunde konnte da den entscheidenden Unterschied ausmachen.
Aber leider gab es kaum Spielraum, was die Zeit des Anzündens betraf. Wenn die Kirchenglocken unten im Tal das Ende der Messe und das Ende der Fastenzeit verkündeten, ging es los. Nicht früher und nicht später. Normalerweise.
Das Lager war eher enttäuschend. Ich hatte mir so etwas in der Art wie Fort William im Lederstrumpf vorgestellt und hätte mich dabei schon mit der Andeutung einer Palisade aus dünnen Holzstämmen begnügt. Aber das Lager bestand nur aus zwei Campingzelten – Modell Adria, mein Cousin hatte auch so eins – und dem großen Rot-Kreuz-Zelt, in dem beim Waldfest des Musikvereins immer die Sekt-Bar war. Außerdem hatten die Jungs aus frisch geschälten Fichtenstämmen und alten Brettern eine rechteckige Bude gebaut, deren Rückwand und Seitenwände mit dicker, durchsichtiger Plastikfolie verkleidet waren. Sie waren gerade dabei, die Folie auch auf das flache, leicht überstehende Dach zu nageln. Die Bude sah aus wie eine misslungene Bushaltestelle. Man sah ihr an, dass sie nichts anderem diente, als Baumaterial, Werkzeuge und den Grill unterzustellen, den Eugen, wie das dunkelgrüne Zelt, von seinem Onkel vom Roten Kreuz ausgeliehen hatte. Die anderen schien das dennoch zu beeindrucken. Ich hätte mir gewünscht, dass die Bude und die Zelte wenigstens so ungefähr im Kreis aufgestellt worden wären, mit einer Feuerstelle genau in der Mitte und mit einer wenigstens zwei oder einen Meter breiten Palisade. Es konnte doch nicht so schwer sein, wenigstens andeutungsweise ein Lager zu bauen, das den Eindruck machte, man würde sich darin vor feindlichen Indianern oder anderen Angreifern verschanzen. Vielleicht war ich aber auch nur wieder zu theatralisch, wie meine Großmutter oft behauptete.
Meine Stimmung besserte sich gleich, als uns die älteren Jungs zuriefen: „Na, da sind ja die Kleinen“, aber deutlich zeigten, dass sie es nicht böse meinten. Wir bekamen eines der lumpigen bunten Zelte, Modell Adria, in dem es muffig roch. Wir sollten ja sowieso noch nicht in den Zelten schlafen – das war frühestens für Karfreitag oder Ostersamstag geplant. Die Zelte waren nur als Unterschlupf gedacht, falls es mal einen Regenschauer gab oder wenn einer mal ein paar Comics lesen wollte. Deshalb war es mir dann auch egal, wie es drinnen roch. Die älteren Jungs benutzen das Rot-Kreuz-Zelt, weil man darin aufrecht stehen konnte.
Die Arbeiten begannen mit einem Ritual: dem Setzen des Mittelstamms, des Rückgrats des Feuers. Die älteren Jungs hatten das schon vorbereitet. Sie hatten ein Loch gegraben und wir Neuen erfuhren, dass alleine das schon eine Kunst für sich sei. Denn ein Loch sei nicht einfach ein Loch. Eugen, unser Anführer, war im Laufe seiner mehrjährigen Osterfeuerbauerkarriere ein Experte auf dem Gebiet des Stammsetzens geworden und zelebrierte diesen Akt mit der gebührenden Andacht. Das Loch war ein fachmännisch ausgehobenes Langloch, exakt um die Hälfte länger als breit. Es wurde zunächst noch einmal begutachtet und dabei zwar für lang und breit genug befunden, aber Eugen diagnostizierte „noch zwei Handbreit fehlende Tiefe“. Andi und Pitt hoben deshalb von den beiden schmalen Seiten her noch einige Schaufeln Erde aus, die Eugen vorher höchstpersönlich mit einer ungeheuer schweren Kreuzhacke gelockert hatte. Die so erreichte Tiefe hielt der letzten Prüfmethode unseres Anführers stand: Er befahl Steff, der der Kleinste von uns war, sich in das Loch hineinzustellen, und da der Lochrand Steff bis knapp über den Hosenbund reichte, war den Anforderungen Genüge getan. Ich weiß noch, dass ich kurz bezweifelte, ob Steffs Hosenbund eine zuverlässige Normgröße war, zog aber diesen Einwand nach einem strengen Blick unseres Anführers wieder zurück, nicht zuletzt auch aus unerschütterlichem Vertrauen in Eugens Erfahrung in solchen Dingen. Außerdem beschwichtigte ich mich mit der Tatsache, dass Steff zwar ziemlich kurze Beine hatte, die Hose aber extrem weit hochzog. Er musste – außer an Feiertagen und in die Kirche – die Hosen seines viel größeren Bruders auftragen, und nicht umsonst fragten wir ihn öfter mal: „Na, Steff, kratzt der Hosenbund nicht ein bisschen unter den Achseln?“
Während ich diese bedeutenden Fragen noch in mir abwog, wurde bereits der Stamm beigeschafft. Es war ein wunderschöner gerade gewachsener Fichtenstamm, unten etwa zwanzig Zentimeter Durchmesser und gut fünf, sechs Meter lang, noch mit der Rinde dran, und auch die Äste waren nicht alle ausgeputzt worden, sondern von einigen der oberen war knapp ein halber Meter stehen gelassen worden. Sie sollten als eine Art Haken für das später aufzuschichtende Brennmaterial am Stamm dienen. Bevor dieser ins Loch gestemmt wurde, kam einer der Spezialtricks, den nur die Feuerbauer unseres Berges kannten. Genauso, wie nur zwei Leute von Coca Cola das komplette Rezept kannten oder wie nur meine Oma wusste, was man alles in die Linsensuppe tun musste, damit sie richtig schmeckte.
Eugen ließ drei der alten Traktorreifen heranschaffen, die bis dahin hinter den Zelten gelegen hatten. Die drei Reifen wurden übereinander über das Loch gelegt. Nun hätte man nicht nur den kleinen Steff, sondern jeden von uns in diesem Loch-Reifen-Tunnel komplett verstecken können. Um den Stamm überhaupt noch da hinein zu kriegen, musste er erst auf einen Holzbock gelegt werden, der ein bisschen höher war als der Reifenstapel. Mit Stangen, an denen oben gebogene Eisenhaken dran waren, wurde dann das dünnere Ende des Stammes vorsichtig von mehreren Jungs hochgehoben, während die anderen am dicken Ende herumruckten, bis das Rückgrat unseres Osterfeuers durch die Reifen ins Loch rutschte. Dann durften wir Kleinen die ausgehobene Erde wieder zurück ins Loch schaufeln, wobei es sich als praktisch erwies, dass das Loch länger als breit, die Reifen aber rund waren, denn so konnten wir die Erde einigermaßen gut seitlich reinschaufeln. Ich hatte die größte Schaufel erwischt, die ich kaum heben konnte, wenn ich sie zu voll machte. Einmal musste ich sie sogar umkippen lassen, bevor ich über dem Loch war, weil ich sie nicht mehr halten konnte. Die anderen lachten, meinten es aber nicht böse. Von oben durch die Reifen hindurch wurde die Erde mit den langen Stangen festgestampft und dann wurden auch noch drei kleinere Stämme in dreieckiger Anordnung rund um unseren Hauptstamm schräg in den Boden gerammt. Pitt kletterte auf den Reifenstapel, um die angelehnten Stämme an dem Osterfeuer-Rückgrat festzunageln. Später sollten in die untersten Lagen aus Hecken, Holzknüppeln und anderem Brennmaterial noch einige weitere, kleinere Reifen eingebaut werden. Sie mussten flach gelegt und gut verkeilt werden. Angeblich war vor einigen Jahren einmal ein brennender Reifen aus dem Feuer herausgerollt und wäre beinah bis ins Dorf gekommen, wenn nicht der alte Robert, der zu spät zur eigentlichen Vorstellung kam und gerade zwischen den beiden letzen Häusern bergauf eilte, das rollende Inferno mit einem gezielten Tritt in den Garten vom alten Johann umgelenkt hätte. Dort durchschlug der brennende Reifen, so geht jedenfalls die Mär, dummerweise die viel zu dünne Bretterwand des Hühnerstalls – Johann baute nur Pfusch, das war dorfbekannt – und ruinierte drei der sowieso nur vier Hühner im Stall dermaßen, dass sie nicht mal mehr für eine ordentliche Suppe zu gebrauchen waren.
Trotz dieses damaligen Unfalls waren Reifen fürs Osterfeuer unverzichtbar, denn wie Eugen erklärte, waren sie der Grundbaustein dafür, dass unser Feuer länger brennen sollte als das auf dem Peterberg. Gummi war ein geniales Langzeit-Brennmaterial, nicht nur bei Straßenbarrikaden, wie man sie manchmal in der Tagesschau sah. Schließlich mussten wir alle noch in die umliegenden Hecken ausschwärmen und alles Mögliche an Gestrüpp heranschaffen, mit dem die Reifen verdeckt wurden. Sogar Ginsterbüsche sollten wir beischaffen. Die brannten zwar nicht so super, aber mit denen konnte man prima die Reifen tarnen. Erst als es so aussah, als ob aus einer besonders undurchdringlichen Hecke ein toter Baum herausragte – die Reifen konnte man auch aus wenigen Metern Entfernung nicht mehr erkennen – erklärte Eugen die erste Bauphase offiziell für abgeschlossen.
Nachdem dieses Ritual vollzogen war, ordnete Eugen erst einmal eine Arbeitspause an, die wir dann sehr lange ausdehnten. Genau gesagt, passierte an diesem Tag sonst gar nichts mehr, denn wir hatten etwas Beeindruckendes und Sinnvolles produziert und verbrachten deshalb den Rest des Tages damit, unsere Konstruktion zu bewundern und ausgiebig stolz auf uns zu sein. Und dieses Gefühl war so stark, dass es am nächsten Tag weiter anhielt und wir aus schierer Zufriedenheit beschlossen, als nächstes müsse erst mal ein kleines Lagerfeuer gemacht werden, um das wir dann einige Stunden herumsaßen und über die Kunst des Osterfeuerbauens redeten.
Als ich Eugen fragte, woher er denn die Reifen hatte, zögerte er kurz und antwortete dann: „Wir kriegen jedes Jahr ein paar alte Reifen vom Bauern Schweikert. Nicht weiterverraten; er beliefert nur uns, nur unser Osterfeuer.“ Dem Bauern Schweikert gehörte auch die Wiese, auf der das Osterfeuer und das Lager waren. Und man musste ihn jedes Jahr aufs Neue um Erlaubnis fragen, anstandshalber, ob das Feuer wieder auf seinem Land gebaut werden durfte. Er sagte immer ja, und wie Eugen versicherte, fragte Bauer Schweikert immer von sich aus: „Braucht ihr ein paar Traktorreifen?“ Er war als Junge selbst ein paar Jahre dabei gewesen und wollte, dass wir die Peterberger besiegten.
Und Eugen fügte noch hinzu, wobei er richtig ernst dreinblickte: „Merkt euch das alles, damit ihr wisst, wie das geht, wenn ich mal nicht mehr dabei bin.“ Er war damals gerade sechzehn geworden, aber er sagte es genau so wie alle, wirklich alle unsere Väter oder Großväter es schon mal zu uns gesagt hatten: „Damit du weißt wie das geht, wenn ich mal nicht mehr da bin.“ – „Wie meinst du das?“, hatte ich meinen Großvater daraufhin gefragt, und wie so oft, gab er mir einfach keine Antwort. Meine Oma erklärte mir später, dass er sich den Spruch schon früher angewöhnt hatte, als Bergmann und später als Soldat, weil Bergleute und Soldaten nie genau wissen, ob sie von der Arbeit oder aus dem Krieg wieder zurückkommen. Zum Glück war mein Großvater dann aber immer da, viele Jahre jedenfalls noch, und ich erinnere mich nicht daran, dass ich jemals irgendeinen der Ratschläge gebrauchen konnte, die er mir gab, oder irgendetwas Nutzbringendes gelernt hätte von dem, wozu er mich fast ein Vierteljahrhundert lang anhielt und ermahnte. Denn leider stelle ich bis auf den heutigen Tag weder Wildschweinfallen noch züchte ich Bienen, brenne auch keinen Obstschnaps und beschneide keine Apfelbäume, und nicht einmal meinen Kellerboden habe ich bis heute eigenhändig betoniert (ich habe nicht einmal einen Keller, aber deswegen wäre mein Großvater mir sicher nicht böse).
Die Tipps von Eugen waren da schon nützlicher, vor allem, weil ich bereits damals wusste, dass ich in einem der nächsten Jahre dringend selbst einmal der Anführer der Osterfeuer-Jungs sein wollte. Ich verstand sowieso nicht, wie Eugen an diesen Posten gekommen war. Hätte das nicht ein anderer genauso gut machen können? Ich zum Beispiel! Gut, er war der Älteste und der Stärkste und hatte ein Mofa. Aber ich verstand nicht so recht, inwiefern eine alte, röhrende Herkules M5, hellgrün lackiert, eine besondere Qualifikation für die Führung des Unternehmens Osterfeuer darstellte. Ich sah ja ein, dass mir noch ein, zwei Jahre Erfahrung nicht schaden würden, aber in den nächsten Tagen wurde selbst mir klar, dass bei etwas besserer Organisation und Planung der Rest des Osterfeuerbauens in drei Tagen hätte erledigt werden können – aber wir fuhrwerkten noch zweieinhalb Wochen herum.
Vielleicht machte allerdings genau das diese Aufgabe so wunderbar, nämlich dass sie überschaubar war und man sie trotzdem ohne schlechtes Gewissen über die kompletten Ferien strecken konnte. Jeder Tag war ausgefüllt. Ausgefüllt mit allen möglichen Unternehmungen, die nicht immer unbedingt direkt etwas mit dem Osterfeuerbauen zu tun hatten. Wir taten einfach so, als ob jegliches Handeln irgendwie der bedeutenden Aufgabe diente und rechtfertigten damit alles, was an diesen Tagen geschah.
Natürlich wäre diese Unbekümmertheit beinahe verlorengegangen, als wir Matti um ein Haar ein Auge ausgeworfen hätten. Die Hälfte der Jungs hatte das kleine Wiesbachtal durchquert, um auf der anderen Seite in einer Fichtenschonung die dürren Fichten herauszuschlagen und nach oben zu bringen. Während dessen hatten wir anderen in dem Mischwald gleich oberhalb des Lagers haufenweise Totholz gesammelt und einen Teil davon bereits auf dem Osterfeuer aufgeschichtet. Einen kleinen Stapel mit höchstens armdicken und morschen Ästen hatten wir jedoch oben auf dem Hang aufgebaut, den die anderen mit den geschulterten Fichtenstämmen hochkommen mussten. Als sie auf halber Höhe waren, griffen wir an. Und da wir von oben, also hügelabwärts, warfen, flogen die Knüppel wirklich gut. Ich war sowieso ein guter Werfer und hatte die höchste Trefferquote. Die Überfallenen lachten, drohten, fluchten und wurden manchmal an den Beinen getroffen oder an den Armen, die sie schützend vor die Körper hielten. Das gab sicher blaue Flecken, aber damit musste man rechnen, wenn man am Osterfeuer mitbaute. Die Angegriffenen reagierten übrigens sehr geschickt und legten in einer kurzen Feuerpause die langen Stämme, an denen die Äste noch dran waren, quer vor sich und hatten so ein wenig Schutz. Aber dann wurde doch ein Knüppel in einem so geschickten Bogen über diese improvisierte Palisade geworfen, dass Matti aufschrie, sich die Hand vors Gesicht hielt und Eugen, der uns Angreifer anführte, die Aktion sofort abbrach. Das Auge schwoll so schnell zu, dass wir die Frage gar nicht mehr klären konnten, wer diesen Treffer denn geworfen hatte. Wir mussten Matti runter ins Dorf bringen, und als er ein paar Tage später mit seiner Augenklappe aus dem Krankenhaus kam, berichtete er stolz, der Arzt habe ihm versichert, dass nur ein knapper Zentimeter gefehlt habe und das Auge wäre nicht mehr zu retten gewesen. Sogar völlige Blindheit habe angeblich gedroht, was ich allerdings nicht so recht glaubte, denn es hatte doch nur ein Auge richtig schlimm erwischt. Die Klappe durfte er eigentlich schon nach einer Woche wieder abnehmen, aber wir überzeugten ihn, sie doch wenigstens noch bis zum Samstag vor Ostern anzubehalten. Er wurde ansonsten großzügig geschont und durfte sich die restlichen Arbeiten in Ruhe ansehen, mit seinem einen gesunden Auge. Als er wissen wollte, wer denn nun der Werfer gewesen sei, sagte Eugen, das sei doch egal, wir alle seien Schuld, sowohl die Angreifer, die sich diesen verrückten Plan ausgedacht hatten, als auch die Angegriffenen, die sich nicht rechtzeitig ergeben hatten. Außer einer Narbe direkt über dem Auge blieb dann auch weiter nichts zurück.
Andere Späße waren harmloser, wie zum Beispiel das alljährliche Pimmelmessen. Wir Neuen durften dabei noch nicht mitmachen, denn automatisch qualifiziert war nur, wer schon Haare dran hatte, und dafür seien wir noch zu jung, entschieden Eugen und die anderen älteren Jungs. Jochen, der jüngste in der ganzen Truppe, wollte geltend machen, dass das bei ihm doch schon der Fall sei. Als eine kurze Begutachtung und deren Auswertung ergab, dass gerade mal viereinhalb Haare – eins wuchs gerade erst und zählte deshalb nur halb – noch keine ordentliche Sackbehaarung hergaben, wurde er aufs nächste Jahr vertröstet. Andi gewann knapp vor Eugen, wobei sie die einzigen waren, die die allgemein angenommene Normalgröße von 17 Zentimetern erreichten. Ich glaube, beide haben geschummelt, weil sie sich beim Messen mehr verrenkt hatten als die anderen und das Lineal viel fester ins Becken drückten und außerdem ein bisschen am Pimmel zogen, obwohl das verboten war. Die anderen machten sich nicht viel draus, dass sie unter den 17 Zentimetern blieben, ihre Werte waren immerhin schon ganz brauchbar, nur Herbie war der absolute Brüller mit seinen acht Zentimetern. Da half es auch nichts, dass er behauptete, im steifen Zustand sei seiner ein richtiges Wunder und würde sich auf mehr als das Doppelte vergrößern. Da er es nicht vormachen konnte, blieb er auf dem letzten Platz. Und wir Neuen hofften, dass ihm das nächstes Jahr wieder so erging, denn ich war bestimmt nicht der einzige, der sich fragte, wie da in den nächsten zwölf Monaten 17 Zentimeter zusammenkommen sollten. Und Haare ausreißen, um sich so selber zu disqualifizieren, war auch keine Lösung, denn im zweiten Osterfeuerjahr immer noch keine Sackhaare zu haben war nur unwesentlich weniger demütigend als Herbies acht Zentimeter.
Das Osterfeuer jedenfalls wuchs immer höher und war wenige Tage vor dem Karsamstag, den wir Ostersamstag nannten, obwohl das doch eigentlich nicht stimmte, auf eine beachtliche Höhe und Breite angewachsen. Was die Arbeit deutlich erleichterte war, dass etliche Leute aus unseren Straßen mit voll geladenen Anhängern den Berg hochgefahren kamen, bei uns anhielten und fragten, ob wir noch etwas Brennmaterial gebrauchen konnten. Offensichtlich schnitten alle im Dorf in der Woche vor Ostern sämtliche verfügbaren Hecken und Sträucher. Ein Blick in die Anhänger offenbarte aber häufig nicht nur gut getrockneten Schnittabfall, sondern da waren durchaus noch der ein oder andere Autoreifen und sogar zerlegte Polstermöbel oder alte, kaputte Schrankteile aus Sperrholz mit dabei, die kunstvoll in das Gesamtwerk eingebaut und mit Ginster überdeckt werden mussten. Eine umfangreiche Sammlung alter Fahrradschläuche und Rollerreifen holte Eugen bei einigen Nachbarn, die nicht mit dem Auto hochkommen wollten, höchstpersönlich ab und transportierte sie in einem kleinen Anhängerwägelchen, dessen speziell dafür geschweißte Deichsel er am Mofa unter dem Sitz befestigen konnte, zum Feuerplatz.
Am Gründonnerstag war das Osterfeuer soweit fertig, und es kam uns riesig vor und wir waren sicher, dass es das beste aller Zeiten werden würde.
Streng genommen waren wir zu früh fertig, und die einzige Aufgabe bestand jetzt darin, das Bauwerk die restlichen drei Tage zu beschützen. Eugen verbreitete das Gerücht, dass die Peterberger, die sicher von der enormen Größe und der Perfektion unseres Osterfeuers erfahren hatten, einen Sabotageplan schmiedeten. Ich glaube, er brauchte einen äußeren Feind, um die Moral im Lager hochzuhalten. Denn es war nicht gut, schon so früh fertig zu sein. Wir betrachteten fachmännisch unser Werk und sahen, dass es gut war; aber wie gut? Besser als die anderen Osterfeuer? Besser als alle anderen? Warum sollten die nicht auch irgendwelche Tricks draufhaben? Und wer weiß, was die Feuerwehr in den nächsten zwei Tagen noch alles auf den Peterberg schaffen konnte? Da es am eigenen Feuer nichts mehr zu bauen gab und weil Eugen außerdem Sabotage fürchtete, widmeten wir die letzten Tage vor dem Läuten der österlichen Glocken ganz den notwendigen Vorsichtsmaßnahmen.
Genau gesagt, schwebte Eugen wohl eine Art Präventivschlag vor. Rolf, der nicht dabei sein durfte, obwohl er alt genug war und in einer der richtigen Straßen wohnte, tauchte am Gründonnerstag plötzlich vor dem Lager auf. Eugen hatte ihn offensichtlich schon erwartet. Während unser Chef alleine mit ihm sprach, erzählten die anderen, dass er Rolf wohl als Spion anheuern wolle. Obwohl es eigentlich nicht üblich war, bei den Arbeiten der anderen Osterfeuergruppen herumzuschnüffeln – diese Blöße hatte sich zumindest in den letzten Jahren niemand gegeben – dachten wir, Rolf würde darauf eingehen, weil das sicher seine einzige und allerletzte Chance sei, dazu zu gehören. Aber wir konnten sehen, wie Rolf immer wieder energisch den Kopf schüttelte. Er machte beim Sprechen sogar abwehrende Handbewegungen. Man konnte irgendwie ahnen, dass Eugen ihm ein Angebot machte, dass Rolf unter keinen Umständen annehmen wollte. Jedenfalls zog er wieder ab, ohne mit sonst irgendjemandem gesprochen zu haben, und Eugen knurrte nur „Memme“, als er kopfschüttelnd ins Lager zurückkam. Während die anderen darüber zu diskutierten begannen, ob von den anderen Osterfeuern Spionageangriffe zu befürchten waren, nahm Eugen mich zur Seite, und wir schlenderten ein paar Schritte vom Lager weg bis hinter das Osterfeuer.
„Hör zu, du weißt, dass ich niemals unfaire Mittel anwenden würde.“ Er sah mich eindringlich an. „Aber die anderen sind gefährlich, wer weiß, was die gerade planen, und dabei könnten wir diesmal wirklich das größte Feuer haben, das auch noch am längsten brennt.“ Ich versuchte meine glaubwürdigste Was-willst-du-mir-eigentlich-sagen-Miene aufzusetzen und schwieg.
„Also“, erklärte er weiter, „du weißt, ich würde nie einen von uns dazu bestimmen, eines der anderen Feuer ein bisschen früher anzuzünden, und sei es auch nur eine halbe Stunde oder so …“
„Hast du Rolf diesen Vorschlag gemacht?“, unterbrach ich ihn.
„Nun vergiss doch mal Rolf, diese Memme!“ Er ließ sich nicht beirren. „Wir müssen es irgendwie hinkriegen, dass die anderen, sagen wir zum Beispiel die auf dem Peterberg, ihr Feuer früher anzünden, eine halbe Stunde nur, oder wenigstens zwanzig Minuten, dann wird unser Feuer nach hinten raus gut genug sein, um als letztes noch in seiner ganzen Größe zu brennen.“
„Und das soll ich jetzt erledigen?“, fragte ich ihn fast böse und wirklich überrascht.
Er sah mich erstaunt an und hob die Augenbrauen: „Quatsch, was redest du da? Ich will von dir keine Tat, ich will von dir eine Idee! Wozu haben wir dich denn sonst!“ Er sah einen Moment lang hilflos aus, so als würde er mir alles versprechen, mich sogar mal mit seiner Herkules M5 fahren lassen, wenn ich ihm irgendwie weiterhelfen konnte. Er nahm diese ganze Osterfeuersache offenbar ungeheuer ernst.
Ich überlegte kurz und dachte dann laut, damit er mitkam: „Der Denkfehler besteht darin, dass du … also dass wir immer davon ausgehen, die anderen Feuer müssten früher brennen als unseres. Aber den gleichen Effekt könnten wir ja auch damit erzielen, dass wir unser Feuer eine halbe Stunde später anzünden als die anderen.“
„Na toll, als ob ich daran nicht schon selbst gedacht hätte. Aber du weißt genau, dass das nicht geht. Um Punkt zehn steht hier ein Haufen Zuschauer rum. Die saufen Bier und Schnaps und nörgeln rum, wenn die anderen Feuer schon ´ne Viertelstunde lichterloh brennen und wir als einzige immer noch nicht angefangen haben. Und überhaupt ist der Trick auch zu billig. Keiner wird uns kurz vor Mitternacht für das beste Feuer bewundern, wenn vorher jeder sehen konnte, dass wir nicht pünktlich nach der Messe angefangen haben.“
Ich sah ihn eindringlich an und überlegte, wozu er bereit war. Ob er von den gewohnten Abläufen abweichen konnte?
„Wir haben doch noch drei Tage Zeit, oder?“, fragte ich.
„Zeit wozu?“
„Um ein zweites Feuer zu bauen.“ Ich versuchte, möglichst gleichgültig zu klingen, obwohl ich innerlich zitterte.
Er starrte mich verständnislos an: „Bist du jetzt übergeschnappt?“
„Nein, ich meine doch kein richtiges Feuer – sondern ein … Strohfeuer. Wir besorgen uns beim Bauern Schweikert einige Strohballen, da hinten liegen noch haufenweise dünne Äste von den Hecken rum, die wir für das Feuer, also das echte, nicht gebrauchen können … und einige dürre Fichtenstämme müssten wir natürlich noch aus dem Wald drüben beischaffen.“
„Und dann?“, fragte Eugen. Er verstand immer noch nicht, stand jetzt aber unter Hochspannung.
„Dann bauen wir ein Feuer, es kann ruhig ein ganz schlechtes sein, etwa dreißig, vierzig Meter unterhalb vom eigentlichen Osterfeuer, am besten so in einer Linie, dass man vom Peterberg gar nicht mal unbedingt sehen muss, dass da noch ein zweiter Haufen entsteht. Und wenn, dann werden sie wahrscheinlich sowieso denken, dass wir nur die unbrauchbaren Reste schon mal aufstapeln.
„Jaaa … und weiter“, spornte er mich an, war jetzt ganz nah bei mir.
„Und wenn ich das richtig verstanden habe, will doch jeder, wenn die Glocken das Ende der Messe ankündigen, das Anzünden noch irgendwie ein paar Minuten rauszögern. Hat nicht Andi erzählt, dass die Peterberger letztes Jahr noch fast zehn Minuten nach Ende der Messe mit den Fackeln und dem Benzin rumgefummelt und so getan hatten, als bekämen sie das Feuer nicht an, und dass es dann später am höchsten und längsten brannte?“
Er nickte.
„Gut“, erklärte ich weiter, „diesmal brauchen wir nach dem Glockenläuten nicht die üblichen dämlichen paar Minuten rauszuschinden, sondern wir zünden absolut pünktlich an. Sollen die auf den anderen Bergen ruhig hochschlagende Flammen sehen, und von mir aus danach noch ein paar Minuten warten. In zwanzig Minuten ist unser Strohfeuer niedergebrannt und dann machen wir das richtige an.“
Eugen ließ diesen Plan ein wenig in sich wirken. Dann hellte sich sein Gesicht auf: „Klar, keine Regel, keine Tradition verbietet es, zwei Feuer zu bauen, und man erwartet von uns nur, dass es mit dem Glockenschlag erst mal ordentlich brennt …“, ich konnte seinen Augen ansehen, dass es in ihm arbeitete, „und für so’n kleines Feuer haben wir tatsächlich noch genug Zeit, das kriegen wir noch hin, am Samstag wird ja eigentlich nicht mehr am Osterfeuer gearbeitet, da wird normalerweise schon gefeiert … also ich meine: nur aufgepasst, dass nichts mit dem Feuer passiert. Aber wer sollte uns verbieten, noch ein paar Hecken und dürre Fichten auf ein paar Strohballen zu stapeln?“
Es war entschieden. Ohne weiteres Überlegen trat Eugen ins Lager und verkündete, er habe mal in Ruhe einen Plan mit mir besprochen.
Und der Plan kam gut an bei den anderen. Zuerst waren sie natürlich skeptisch, aber Eugen verkaufte die Idee so gut, dass keiner sich beschwerte, weil die letzten Tage vor dem Ereignis nicht, wie erwartet, hauptsächlich mit Rumlungern, Grillen und Feuerbewachen verbracht werden konnten, sondern dass noch mal richtig rangeklotzt werden musste. In parallelen Arbeitsschritten, die gut koordiniert werden mussten, konnten beim Bauern Schweikert noch einige leicht angeschimmelte, aber einigermaßen trockene Strohballen organisiert werden, die aber gar nicht erst lange frei rumlagen, sondern sofort mit allen möglichen Hecken und Sträuchern verbaut wurden, die die andere Hälfte der Truppe parallel zum Strohorganisieren schon herangeschafft hatte. Als Bauer Schweikert nach Abschluss dieser ersten Arbeitsstufe überraschend noch mit weiteren Strohballen herantuckerte – am helllichten Tag und mitten durchs Dorf –, entschied ich kurz, die Strohquader erstmal im Lager kreisförmig um die Feuerstelle zu platzieren, damit es so aussah, als ob das ganze Stroh lediglich dazu diente, das Lager gemütlicher zu machen, was, nebenbei gesagt, auch ganz gut gelang. Ich verstaute die Idee für nächstes oder übernächstes Jahr schon mal im Hinterkopf, mit Stroh eine Sichtschutzwand am vorderen Lagerteil zu bauen. Aber für diesmal sollte nur verhindert werden, dass mögliche Passanten sich wunderten. Zu sehen war lediglich ein gemütlicher Sitzkreis. Und dem sah man nicht an, dass jeder von uns einen Ballen dann ein paar Minuten, bevor es am Samstag losging, schnell noch zu unserem Scheinangriffsfeuer, so nannten wir es inzwischen, bringen konnte.
Am Samstagmittag waren wir fertig. Das zweite Feuer war ein schäbiger, schiefer Haufen, ohne Mittelstamm natürlich, das wäre zu aufwändig gewesen, und als der alte Niklas am frühen Nachmittag mal vorbeischaute, und wir auf seine Frage hin erklärten, der andere Haufen seien Reste, die wir nicht brauchten und die wir ja nächste Woche sowieso wegschaffen müssten, schluckte er das sofort und warf einen anerkennenden Blick auf das große Osterfeuer, dessen Mittelstamm bis über die Spitze zugebaut war und ungefähr die Form des Zuckerhutes hatte, den Andi uns zum Vergleich in einem Heftchen gezeigt hatte und in dem es neben Rio und dem Zuckerhut auch noch Fotos von dunkelhäutigen Frauen mit höchstens einem Bikini-Teil zu sehen gab. „Sehr schön, sehr gut gebaut“, brummte Niklas mit rauer Stimme und meinte damit das Osterfeuer. Und als er sich verzog, lachten wir ihm hinterher, denn er schwankte beim Gehen immer, mal leichter, mal stärker, und streckte dabei beide Arme tastend nach rechts und links aus, als ob er im Dunkeln durch eine enge Gasse ging oder als ob um ihn herum unsichtbare Mauern wären, obwohl er sich doch mitten auf freiem Feld befand.