Cover

Nina Puri

Karriere im Eimerchen?

Warum Mütter nicht zum Arbeiten kommen

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Nina Puri

Nina Puri ist festangestellte Mutter und freischaffende Kreativdirektorin und Autorin, die sich im Lauf ihrer Berufstätigkeit schon des Öfteren mit leichtem Stirnrunzeln und mittelschwerem Kopfschütteln konfrontiert sah. (Sowie mit ungezählten außerplanmäßigen Überstunden, verschnupften Kindernasen und Wäschebergen.) Die Fertigstellung dieses Buchs war nur dank der abwechselnden Kinderbetreuung durch eine Tagesmutter, der deutschen Halbtagsschule und diverser Playstation-Games möglich.

Nina Puri sitzt entweder hinter dem Computer, wo sie sich vor ihren Kindern versteckt, oder im Kleiderschrank, wo sie versucht, in Ruhe mit ihren Geschäftspartnern zu telefonieren.

Ihre im Knaur Taschenbuch Verlag erschienenen Bücher Elternkrankheiten, Ü-30-Krankheiten und Tischlein leck mich haben sich über 100000 mal verkauft.

Impressum

eBook-Ausgabe 2014

Knaur eBook

© 2014 Knaur Taschenbuch

Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt

Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –
nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Das Zitat von Thomas Gsella haben wir mit freundlicher
Genehmigung des S.Fischer Verlages entnommen aus:
Thomas Gsella, Die Hausfrau. Aus: ders., Nennt mich Gott.
Schönste Gedichte aus 50 Jahren.
© S.Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2008

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: Dominik Monheim

ISBN 978-3-426-42135-2

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The German Mutti has it tough.
Roger Boyes

Für meine Söhne Bruno und Mika, die mich beizeiten die Wände
hoch- und in den Job zurücktrieben. Ihr wart so freundlich,
meistens am Wochenende krank zu werden. Ihr ließet mich an allen
Meilensteinen eures Lebens teilhaben – einschließlich der ersten Blaulichtfahrt in die Unfallambulanz und dem legendären
Trotzanfall beim
Waldspaziergang. Ihr gabt mir das Gefühl, alle Tagesmütter ein
bisschen weniger zu lieben als mich. Und ihr schenktet mir die
spannendsten Herausforderungen, die abenteuerlichsten
Arbeitszeiten und den schönsten Lohn.

Vorwort

In Deutschland verschwinden Jahr für Jahr Millionen Frauen in die Babypause und werden nie wieder gesehen. Oder kehren irgendwann mit IT-Kenntnissen von vorgestern in einen lausig bezahlten Teilzeitjob zurück. Wer mit Kind fröhlich ganztags weiterarbeitet, bekommt dafür etwa so viel öffentlichen Zuspruch wie der Kannibale von Rotenburg. »Why don’t German mothers work?«, fragt Google unschuldig, wenn man »German mothers« eingibt. Ja, why zum Teufel not?

In diesem Buch erfahren Sie alles über das Mysterium der mütterlichen Arbeitswelt. Es erklärt, warum Zuhausebleibmütter vor lauter Kind nicht mal mehr zum Duschen kommen. Warum Teilzeitjob-Mütter backsteingroße Terminkalender mit sich herumschleppen. Und warum Vollzeitjob-Mütter unter der sagenumwobenen gläsernen Decke Hochsprung üben können. Es erläutert, was es bedeutet, wenn Väter scherzhaft sagen: »Natürlich teilen wir uns den Haushalt.« Was Chefs mit »gleichwertige Arbeitsstelle« meinen. Was Politiker mit lustigen Einfällen wie Herdprämie und Ehegattensplitting bezwecken. Und warum Kindergärten immer zumachen, bevor Meetings zu Ende sind. Das Werk räumt zugleich mit ein paar mysteriösen Klischees, faszinierenden Widersprüchen und faulen Ausreden auf. Für mich als berufstätige Mutter bietet es eine wunderbare Gelegenheit, mit dem Finger auf die unsinnigen Dinge zu zeigen, die alle anderen Mütter veranstalten. Kurz: Dieses Buch liefert unschätzbar wertvolle Munition für erbitterte Diskussionen zwischen vollberufstätigen, halbberufstätigen und nichtberufstätigen Müttern. Und kann im Falle eines Handgemenges auch als Wurfgeschoss eingesetzt werden.

Der Krampf

Frauen, die für immer verschwinden,
Gretchenfragen statt Hänschenfragen,
große deutsche Sorgen und etliche Tretminen

Ständig finden Forscher neue Dinge über berufstätige Mütter heraus. Mal sind sie glücklicher, mal unglücklicher, mal schlauer, mal doofer, mal dünner, mal dicker, mal haben sie mehr Sex, mal mehr Migräne, nur eins sind sie garantiert nie: normal.

In Deutschland gehen zwei Drittel aller berufstätigen Frauen nach der Geburt ihres ersten Kindes in Elternzeit. Nicht mal die Hälfte davon kommt zurück. Und drei Viertel von dieser Hälfte arbeitet dann in Teilzeitjobs, Minijobs und mit dem bloßen Auge kaum zu erkennenden Jobs. Obwohl wir fast die wenigsten Kinder weltweit haben und bessere Ausbildungen als jeder Mann, sind erfolgreich und zufrieden arbeitende Mütter in Deutschland ungefähr so selten wie ein Wiedehopf, der, so viel sei Nicht-Ornithologen gesagt, hierzulande unter Artenschutz steht.

 

Dieses rätselhafte Missverhältnis hat viele Gründe. Zum einen reichen sich ein aberwitzig rückständiges Kinderbetreuungs-Angebot, ein bemerkenswert antiquiertes Schulsystem und eine widersprüchliche staatliche Unterstützung nirgends so schön die Hand wie hierzulande. Zum anderen sorgt ein Mutterbild von anno dazumal, dass alles so bleibt, wie es ist. Natürlich sind wir neidisch darauf, wie locker Mütter in manchen anderen Ländern das Muttersein nehmen. Und darauf, dass wir uns hier beim Spagat zwischen Job und Kind so verrenken, dass wir eigentlich permanente chiropraktische Behandlung brauchten, während französische, englische, schwedische, norwegische oder finnische Mütter anscheinend nicht mal einen kleinen Ausfallschritt machen müssen. Hat das zur Folge, dass wir uns was von denen abgucken? Pfft! Jeder weiß, dass deren Erziehungsmethoden zu nichts Rechtem führen. Muss man sich ja nur mal anschauen, wie gedrillt die fremd betreuten Nicks und Amelies sind! Wie blass und ungesund die armen Ganztagsschul-Tommys! Und die bedauernswerten kleinen Schweden, Norweger und Finnen, die mögen ja im Lesen und Schreiben Granaten sein, aber haben die je ein von Mutterhand zubereitetes Tofuschnitzel bekommen?

German Angst nennt man im Ausland die einzigartige deutsche Fähigkeit, Probleme zu finden, wo keine sind, und durchzudrehen, wenn irgendwas nicht perfekt sein könnte. Selbst an Tagen, an denen alles wie am Schnürchen läuft, schwant uns Furchtbares. Deutet das friedliche Nuckeln des Säuglings vielleicht auf ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom hin? Spricht die Eins in Mathe dafür, dass das Kind ein Autist ist? Ist der Zahnstein des Teenagers ein Hinweis auf Crystal-Meth-Konsum? Wer die elterliche Sorgepflicht hierzulande wörtlich nimmt, darf nichts, aber auch gar nichts auf die leichte Schulter nehmen!

Eine zweite unnachahmlich deutsche Eigenschaft ist die German Gründlichkeit – auch in Sachen Kind. Unter perfekter Kinderpflege mögen manche ausländischen Mütter schon den Umstand feiern, dass das Kind abends noch lebt. Wir wissen, dass Kinder rund um die Uhr pädagogisch wertvoll, lückenlos konsequent und biologisch einwandfrei bespielt, erzogen und ernährt werden müssen. Unter professioneller Aufsicht natürlich, was nur heißen kann: von uns aufopferungswilligen Müttern selbst.

Damit kommen wir flugs zur dritten Eigenschaft, die wenige so vorbildlich beherrschen wie Deutsche: Jammern. Um der öffentlichen Steinigung vorzubeugen: Viele berufstätige Mütter haben gute Gründe zu jammern. Dazu später. Das Dumme: Viele jammern lieber, als was zu ändern. Oder jammern an die falsche Adresse hin. Einmal bekam ich ein Telefonat mit, in dem eine Freiberuflerin einem Auftraggeber gegenüber aufzählte, zu welchen Zeiten sie keinesfalls arbeiten könne, und haarklein alle dem Auftrag im Weg stehenden mütterlichen Lasten erläuterte. Schon beim beiläufigen Zuhören hyperventilierte ich. Der Auftraggeber musste nach dem Telefonat vermutlich künstlich beatmet werden. Den Job bekam die Freiberuflerin jedenfalls nicht. Den nächsten wahrscheinlich auch nicht. Macht nichts, dafür wäre ja auch gar keine Zeit!

 

Die deutsche Mutti ist einfach die beste! Wir bringen unsere Männer dazu, zwei Monate Elternzeit zu nehmen, und stehen dann mit Türsteher-Blick hinter ihnen am Wickeltisch. Wir treffen Ex-Kollegen zum Lunch und plaudern mit ihnen über Einschlafrituale und grüngelben Stuhl. Wir fahnden nach der perfekten Tagesmutter und weinen bittere Tränen, wenn auch das Kind sie mag. Wir lästern über mütterliche Überfunktionen und backen nächtens designpreisverdächtige Schulfest-Muffins. Wir heuern eine Putzkraft an und fühlen uns deswegen so schlecht, dass wir die Wohnung vorputzen und nachputzen. Wir geben Gas, bremsen gleichzeitig und wundern uns, wenn außer viel Schall und Rauch nichts dabei herumkommt.

Natürlich darf man nicht alle berufstätigen Mütter in einen Topf werfen, wenn man nicht will, dass dieser einem mit Hochdruck um die Ohren fliegt. Manche Mütter müssen arbeiten, weil das Gehalt ihres Mannes nicht reicht oder sie keinen Mann haben oder einen, der kein Gehalt hat. Manche Mütter wollen arbeiten, obwohl das Gehalt ihres Mannes reicht. Manche Mütter müssen arbeiten, obwohl das Gehalt ihres Mannes reicht, weil sie selbst einen wichtigen Posten oder ein eigenes Unternehmen haben. Solche Feinheiten darf man in Deutschland keinesfalls unterbewerten. »Musst du arbeiten? Oder willst du?«, ist die Gretchenfrage, die jede deutsche Mutter gestellt bekommt, wenn sie arbeitet. Kein Mann muss Hänschenfragen beantworten. Und auch meine englische Schwägerin fiel neulich aus allen Wolken, als sie bei einem Deutschlandbesuch gefragt wurde, ob sie nach sechs Monaten Elternzeit aus freien Stücken in ihre eigene Anwaltskanzlei zurückkehrt.

Manche Mütter müssen oder wollen arbeiten, können aber nicht, weil der Kitaplatz so teuer ist, dass sie graue Haare bekommen. Oder erst frei wird, wenn ihre Kinder graue Haare bekommen. Manche Mütter arbeiten von neun bis fünf, um die Miete zusammenzukratzen, manche halbtags, um sich den neuen Cardigan von Marc Jacobs zu geben. Manche Mütter haben eine tolle oder wenigstens mitteltolle Oma vor Ort. Manche drei Montessori-Waldkindergärten mit Ganztagsbetreuung, manche eine Babysitterin, die zwischen 10 und 14 Uhr kann und nach kaltem Rauch und 4711 riecht. Manche haben zwei zickige Söhne, manche eine maulfaule Tochter. Oder umgekehrt. Manche leben in fröhlicher Scheidung, manche in wirrem Patchwork, manche in einer Ehe, die härter als eine sibirische Kleinstadt ist. Manche Mütter wuppen sieben Kinder, einen Ministerposten und zig Ehrenämter, andere gehen keuchend zu Boden, wenn sie ein Oberstufenkind, einen Achteltagsjob und die Fußnagelpflege vereinbaren sollen.

Alle diese unterschiedlichen Mütter vereint nicht nur ein zartes Band gegenseitiger Missgunst und Rivalität, sondern auch das Gefühl, sich ständig rechtfertigen zu müssen. Denn nirgendwo klingen die Worte Bei Muttern so süß wie in Deutschland. Und nirgendwo wiegen Erziehungs-Experten das Haupt gramvoller, wenn Muttern die Kinder, die Küche oder die Cupcakes im Stich lässt und an jemand Fremden delegiert.

Mütter und Arbeit ist ein Reizthema, über das Mütter hierzulande in etwa so locker reden wie strenggläubige Hindus über Kalbsschnitzel oder Islamisten über Karikaturen: Schon ein paar Arbeitsstunden mehr oder weniger führen zu erbitterten Glaubenskriegen. Ja, allein das Wort »Arbeit« kann mittelschwere Gefechte provozieren, wenn man nicht schleunigst hinterherschiebt, dass damit auch all die unbezahlten Tätigkeiten im Haushalt gemeint sind. Kein Wunder, dass viele Mütter die Frage »Job oder Kind?« so lange und gewissenhaft wälzen, bis sie sich nicht mehr stellt, weil die Jahre, schwupps, vergangen sind und sie zu Darmspiegelung, Anpassung der Lesebrille und Altersvorsorge-Beratung müssen und sowieso keine Zeit mehr für einen Job haben. Deshalb ist auch der Begriff Karriere-Knick so irreführend. Er klingt niedlich, als bekäme die Karriere von Frauen einen kleinen Knick, wenn sie Mutter werden. In den meisten Fällen bedeutet er aber schlicht, dass sie ihre Karriere komplett knicken können.

 

Als Mutter, die arbeiten muss und will und glücklicherweise auch kann (jedenfalls wenn mein älterer Sohn nicht gerade neben meinem Arbeitszimmer Dubstep übt oder mein jüngerer Sohn Funny Pizza auf meinem Rechner spielt), kenne ich nur wenige überzeugende Gründe, dem Berufsleben den Rücken zu kehren. Ein Sechser im Lotto wäre vielleicht einer. Oder ein reicher Onkel in Übersee, den es soeben überraschend dahingerafft hat. Auch wenn Sie bei Wer wird Millionär? den Hauptgewinn einsacken, wird jeder verstehen, wenn Sie Ihren Steuerfachgehilfinnen- oder Toilettenreinigungs-Job frohgemut in die Tonne treten. Sein Amt unter stinknormalen Umständen nur wegen eines Kindes niederzulegen ist jedoch so empfehlenswert wie russisches Roulette spielen. In Deutschland endet jede zweite Ehe vor dem Scheidungsrichter, die Chancen, dass man als Zuhausebleibmutter irgendwann nicht nur mann-, sondern auch mittellos dasteht, sind hoch. In Anbetracht der Tatsache, dass Kinder Kosten in Höhe des Bruttosozialprodukts von Liechtenstein mit sich bringen, ist das eine eher mittelgute Aussicht.

Diese Erkenntnis setzt sich sogar in Deutschland allmählich durch. Und auch in der Praxis hat sich in den letzten Jahrzehnten was getan. Es ist nicht mehr zwingend vorgeschrieben, dass berufstätige Mütter sich Zuhausebleibmüttern in gebückter Demutshaltung nähern. Ja, in größeren Städten genießen sie mittlerweile sogar einen gewissen Vorbildstatus und haben kaum mehr Probleme als in Kasachstan oder Weißrussland. Konnte man als Mutter früher nur zwischen wenigen lausig bezahlten, anspruchslosen Jobs auswählen, gibt es solche Jobs heute landesweit. Und brauchte man bis 1977 noch den Segen seines Ehemannes, um neben Kind und Haushalt zu arbeiten, braucht man heute nur noch eine perfekte Betreuung, eine perfekte Stelle, eine perfekte Organisation, einen perfekten Mann, perfekte Kinder, perfekte Nerven, zehn Hände und sehr viel Glück. Na bitte. Geht doch. Halten Sie sich einfach immer die weisen Worte aus Der Wixxer vor Augen: »Ich-kann-nicht wohnt in der Ich-will-nicht-Straße.«

Die berufstätige Mutter

Eine Koordination wie die Schweizer Bahn,
Nerven aus Titan, verpasste Abendflieger,
viel Gewurstel, und am Ende wird alles gut

Viele Zuhausebleibmütter stellen sich vor, wie schön das Leben wäre, wenn sie berufstätig wären. Da ist was dran. Im Arbeitsleben gibt es sogar Momente, an denen man sich regelrecht fühlt wie auf Müttergenesungs-Kur. Alleine schon auf dem Weg zur Arbeit können Sie James Blake oder Arcade Fire hören statt Anne Kaffeekanne und das Flummi-Lied. Sie können die Strecke vom Fahrstuhl ins Büro passieren, ohne über lehmverkrustete Fußballschuhe, Hockeyschläger und Äste zu stolpern. Die Kollegen essen ihre Reißzwecken und Heftklammern nicht auf, schmieren keinen Möhren-Apfel-Brei in die Tastatur, verkleben Ihre Schubladen nicht mit Pritt und Glitzersternchen und erbrechen sich während wichtiger Kundengespräche auch selten auf dem Konferenztisch. Und sie sprechen und verstehen Sätze, in denen mehr als zwei Wörter vorkommen. Nach Monaten, in denen »Da, da, da!« oder »Gmp-Pffpff« die einzige Form der Unterhaltung war, werden Sie staunen, wie schön Sätze wie »Wir müssen die Strategie noch mal überarbeiten« oder »Upsala, der Toner ist schon wieder alle« klingen können. Wenn der Toner tatsächlich alle ist, dürfen Sie statt »Upsala« übrigens auch »Scheiße« oder »Fuck« sagen, ist ja schließlich kein Kind in der Nähe, das seelischen Schaden nehmen könnte, sondern nur Ihr kinderloser Kollege auf der anderen Seite des Schreibtischs. Dem gegenüber müssen Sie auch nicht 78-mal in gleichbleibend fester Stimmlage »Gibst du mir bitte den Kugelschreiber, Horst?« repetieren, bevor er reagiert. Sie dürfen endlich mal wieder Dinge tun, die mehr Hirn beanspruchen als das eines Einzellers. Und Sie können diese Dinge tatsächlich zu Ende führen, ohne dass Horst sich besagten Kugelschreiber durch die Nase ins Hirn stößt, von seinem Schreibtischstuhl fällt oder sich beim Spielen unter dem Tisch die Tischecke ins Auge rammt. Es besteht auch eine Chance, dass jemand die Dinge, die Sie tun, wahrnimmt und sie gelegentlich lobt. Ja, vereinzelt könnte es Ihnen sogar passieren, dass Sie das Wort »danke« zu hören bekommen – und zwar ohne dass Sie mit strenger Stirn »Und wie heißt das Zauberwort?« mahnen mussten. Sie können, und alleine das ist schon ein Geschenk, das unbezahlbar ist, in Ruhe pinkeln, ohne dass Ihr Vorgesetzter an die Tür hämmert und Mamaaaa-Mamaaaa-Mamaaaaa!!! brüllt. Sie können mittags ohne Wagenburgen von Babytrinkfläschchen, Drogerieartikeln, Sandförmchen, Keksdosen, Kühlboxen und Kuscheltieren die Firma verlassen und Insalata Caprese essen statt Spaghetti ohne Soße, und einfach »Mahlzeit!« sagen, statt »Piep piep piep, wir haben uns alle lieb« aufzusagen.

Dass das allerdings nur die halbe Wahrheit ist, werden Sie merken, wenn Sie berufstätige Mutter sind. Einfache Werktage werden nämlich plötzlich Verrenkungen erfordern, von denen Sie gar nicht gedacht hätten, dass sie menschenmöglich sind. Plus eine Koordination, von der selbst die Schweizer Bahn was lernen könnte. Mittelschwierige Werktage erfordern Nerven aus Titan und einen Haufen origineller Ausreden, von denen wiederum die Deutsche Bahn was lernen könnte.

Schon deshalb, weil das Muttersein natürlich nicht einfach wegfällt, bloß weil man morgens in einigermaßen adretter Kleidung zur Arbeit fährt. Auch das Kind einer berufstätigen Mutter muss aufgeweckt, gekämmt, gewaschen und mit zwei halbwegs zusammenpassenden Socken in Kindergarten oder Schule erscheinen. Es muss Kostüme, Geschenke, gepresste Blätter, Kuchen und Laternenstäbe mitbringen sowie den Glitzer-Bleistift, den jetzt alle haben und den es nur im Geschäft am Ende der Stadt gibt. Es kriegt Fieber, Bauchweh oder komische Flecken hinter dem rechten Ohr, die nur auf der Odyssee durch sieben verschiedene Arztpraxen geheilt werden können. Mein persönliches Waterloo waren immer die Mails mit dem Betreff »Hoppla, die Läuse gehen wieder um!«. Oder die fröhlich an die Kitatür gekrakelte Mitteilung »Die Regenbogen-Gruppe hat Windpocken!«. Solche Nachrichten lassen den Puls einer berufstätigen Mutter schneller hochjagen als jede Kampfdogge auf dem Spielplatz.

Adrenalinschübe kann auch schon die harmlose Frage »Können Sie beim Meeting heute Abend dabei sein?« auslösen. Sie hat zur Folge, dass man in Windeseile seine fein ausgeklügelte Tagesplanung über den Haufen werfen muss, will man im Betrieb nicht ans untere Ende der Nahrungskette rutschen und die noch furchterregendere Feststellung hören: »Sie müssen beim Meeting heute Abend nicht dabei sein.« Aus manchen Meetings werden Sie als berufstätige Mutter herausschleichen, um Schulaufführungen zu besuchen, und aus manchen Schulaufführungen werden Sie herausschleichen, um in Meetings zurückzuschleichen. Sie werden 100-Meter-Sprints hinlegen, um den Abendflieger, die Bahn oder den Bus zu kriegen, und ins Handy weinen, wenn Flieger, Bahn oder Bus und damit auch das Sandmännchen-Mobil ohne Sie davonrauschen, gut Nacht, Marie!

Für immer davongerauscht sind nun auch Morgenstunden, in denen Sie gemütlich duschen, Kaffee kochen, Croissant essen, Musik hören und Zeitung lesen und dann, ohne dass auch nur ein einziges Wort gefallen wäre, zur Arbeit fahren durften. Sie werden allenfalls kurzzeitig wiederkehren, wenn Ihr Kind auf Kindergartenreise oder im Schullandheim ist – falls Sie bis dann nicht in aberwitzigem Übermut ein zweites Kind auf die Welt gebracht haben.

Als berufstätige Mutter beginnen Sie den offiziellen Arbeitstag schon mit fusseligem Mund. Nämlich nachdem Sie Kinderbücher vorgelesen, Lieder gesungen, in chronologischer Abfolge »Zieh dich an, Mäuschen!« geflötet, »Hose an, Maus!« gemahnt und »Mann, jetzt komm endlich in die Puschen, Carlo!« gebrüllt haben, Warum-Fragen beantwortet, Tobsuchtsanfälle moderiert und Streite geschlichtet haben. Während Sie nebenher Frühstück gemacht, Schulbrote geschmiert, Ranzen gepackt, Müsli von Tisch, Stühlen und Boden gewischt, Scherben aufgelesen und Schnittwunden verarztet haben. Versuchen Sie, nicht mit den Augen zu rollen, wenn Ihr Kollege gähnt, weil er um 8 Uhr die Katze füttern musste. Oder der neunzehnjährige Azubi schlaff in den Seilen hängt, weil er bis zum Morgengrauen im Golem getanzt hat (auch Ihre Kollegen verkneifen sich das Augenrollen, wenn Sie wieder mal als Einzige beim Abendmeeting fehlen und, bloß weil sie Mutter sind, Punkt Feierabend einen Stapel unerledigter Arbeit auf ihren Schreibtisch schieben dürfen). Als Kinderloser ahnt man eben nicht, welche Meisterleistungen andere vor dem offiziellen Arbeitsbeginn vollbringen.

Auch in der offiziellen Mittagspause kann man Unglaubliches leisten. Vergessen Sie den eingangs erwähnten Insalata Caprese und den ganzen Tüdelü. Sehr wahrscheinlich werden Sie die Mittagszeit im Schweinsgalopp zwischen Rossmann und der Kinderabteilung von H&M verbringen. Oder einfach durcharbeiten, damit Sie rechtzeitig Feierabend machen und Ihr Kind abholen können. Wobei ›Feierabend‹ natürlich scherzhaft gemeint ist. Während berufstätige kinderlose Frauen nach getaner Arbeit Pimm’s schlürfen und zu Popmusik tanzen und Zuhausebleibmütter in Hauspuschen vor Germany’s next Topmodel wegdösen, arbeiten viele berufstätige Mütter nach dem Zubettbringen Ihres Kinds all den Kram ab, zu dem sie tags nicht gekommen sind. Und liegen im Anschluss nicht nur die halbe Nacht wach, weil ihr Kind Alarm schlägt oder der Kuschelhase verlorengegangen ist, sondern starren auch noch die verbleibende Hälfte der Nacht mit offenen Augen an die Decke, weil das Job-Handy Alarm schlägt oder ein wichtiger Klient verlorengegangen ist. Oder weil sie im Geiste endlose Listen von noch zu erledigenden Aufgaben anfertigen. Sei’s drum. Schlaf ist für die Schwachen!

Wie man es hinkriegt, ohne jede Aufladephase rund um die Uhr unter Starkstrom zu stehen, ist ein Wunderwerk, für dessen Patent die Elektrotechnikbranche viel geben würde. Auch das verheißungsvolle Wort ›Wochenende‹ verliert an Zauber, wenn man, statt gemütlich auf dem Sofa, im Café oder in Kunstausstellungen herumzulungern, Vokabeln abfragt, schimmelige Brote aus Schulranzen klaubt, Kinder von Pontius zu Pilatus fährt, Wäscheberge einräumt, Essen vorkocht und all das zu-, vor- oder nachbereitet, was man an den Werktagen nicht schafft. Aber Arbeit war ursprünglich ja auch nicht als Spaziergang gedacht, sondern als Strafe für Evas Ausrutscher im Paradies – nicht umsonst heißt es in der Bibel »Im Schweiße deines Angesichts sollst du …« und so weiter und so fort.

Auch die glamourösen Momente im Berufsleben sind rarer gesät, als man angesichts vieler Fotos schauspielernder, singender und modelnder Celebrity-Mütter denken könnte. Natürlich gibt es gelegentlich Betriebsfeiern mit Schampus. (Eine Freundin von mir, deren Verdacht, dass ich als Medienschaffende quasi von Gala zu Gala tänzle, sich wohl niemals wird entkräften lassen, schreit in diesem Augenblick vermutlich: »Wusste ich’s doch!«) Manchmal winken Titel und Auszeichnungen. Und Erfolgserlebnisse. Und selbst als Hilfskraft im orthopädischen Fachgeschäft wird man beim Googeln seines Namens vermutlich bessere Treffer landen als Mütter, die den Tag am heimischen Herd verbringen. Vielleicht gibt es auch berufstätige Mütter, die es so weit bringen, dass Gebäude oder Straßen nach ihnen benannt werden. Der Alltag ist das nicht. Acht Stunden am Tag Schadensakten bearbeiteten, Wurst aufschneiden oder im Meetingraum sitzen ist kaum erhebender, als ein Kind beim Plattklopfen eines Sandhügels zu betrachten. Und einem begriffsstutzigen Kunden die zillionste Verschlimmbesserung eines Entwurfs zu präsentieren, kann sich sinnloser anfühlen als der Versuch, einem Kleinkind Möhrenbrei einzuflößen.

Lohnt sich das alles wenigstens finanziell? Natürlich nicht. Erst mal jedenfalls nicht. Was Sie verdienen, geht womöglich eins zu eins in die Kasse Ihrer Kinderbetreuung. Eine Kollegin von mir hatte bei jeder neuen Strickjacke ihrer Tagesmutter das Gefühl, diese höchstpersönlich finanziert zu haben. (Dass sie selbst bei H&M, ihre Tagesmutter aber bei Prada einkaufte, trug nicht dazu bei, ihren Groll zu mindern.)

Am Ende geht nichts im Berufsleben so ans Herz wie die Meilensteine im Leben Ihres Kindes. Ein paar davon werden Sie verpassen. Vielleicht das erste Wort, die ersten Schritte oder den ersten Tobsuchtsanfall im Supermarkt. Sie werden Rotz und Wasser heulen, wenn Ihr Kind die Tagesmutter oder den haarigen Erzieher toller und schöner findet als Sie. Sie werden sich an manchen Tagen wie eine Superfrau fühlen, die alles richtig macht. Und an den übrigen 350 Tagen im Jahr von Zweifeln, Ängsten und Schuldgefühlen geplagt sein.

Sehen Sie es als Investition in die Zukunft. Wenn Ihre Kinder aus dem Haus sind, haben Sie, rein statistisch gesehen, noch etwa vierzig Jahre Leben vor sich. Wollen Sie die damit verbringen, sich seufzend durch alte Kinderfotos zu klicken?

Als mittlerweile mit vielen Wassern gewaschene berufstätige Mutter kann ich nur sagen: Die Hürden werden kleiner, die Kinder werden größer, die hochgezogenen Augenbrauen anderer Mütter werden seltener, Windpocken, Läuse und Vokabeltests gehen vorbei. Das heillose Gewurstel wird irgendwann zur überschaubaren Routine – spätestens, wenn die Kinder aus dem Haus sind und man seine dritten Zähne bekommt. Und das kleine Kind, das Sie gestern noch mit wehem Mutterherz zurückließen, ist schon morgen ein wohlgeratener, nach Rauch riechender Teenager, der nicht nur froh über Ihre gelegentliche Abwesenheit ist, sondern ganz insgeheim auch stolz auf Sie.

Als mein großer Sohn noch in Zwei-Wort-Sätzen sprach (das macht er auch heute des Öfteren, aber eher aus Pubertätsgründen), stand er manchmal mit geschnalltem Rucksack an der Eingangstür und verkündete freudig: »Bruno Eierbaden!« Eierbaden hieß Arbeiten und ist meiner Meinung nach ein treffender Begriff für die Freude, die ein Beruf mit sich bringen kann. Zwischendurch jedenfalls. Wenn nicht gerade die Hütte brennt. Also mindestens einmal im Jahr. Zu Ihrem Entschluss, auch mit Kind berufstätig zu sein, kann ich also nur gratulieren.

Aber vielleicht greife ich hier vor? Vielleicht haben Sie noch gar kein Kind und planen nur, auch später mit Kind weiterzuarbeiten. Dann fangen wir doch am besten ganz von vorne an.

Die Schwangerschaft

Eine Hiobsbotschaft für den Chef,
Würfelhusten im Firmenklo, neun Monate Supersize
Ponchos und Ratschläge von allen Seiten

Vielleicht haben Sie sich als berufstätige Frau sehr gut überlegt, wann der perfekte Zeitpunkt für ein Kind ist. Manche meinen ja, möglichst früh, damit man beruflich noch mal voll durchstarten kann, wenn die Kinder das Haus verlassen. Andere schwören, der Trick bestünde darin, erst Karriere und dann Kinder zu machen. Erfahrene Mütter wissen, dass der perfekte Moment für Kinder nie kommt, oder allenfalls im Rentenalter.

Ganz egal, wie Ihre Familienplanung aussieht: Die Wahrscheinlichkeit, dass das Kind sich danach richtet, ist sowieso gleich null. Gehen Sie einfach davon aus, dass Sie in der ungünstigsten Phase Ihres Arbeitslebens schwanger werden. Herzlichen Glückwunsch! Jetzt können Sie sich auf die nächste schwierige Frage konzentrieren: Wie verkündigen Sie die frohe Botschaft am Arbeitsplatz? Sie sind wahrscheinlich glücklich, aufgekratzt, verwirrt und verstört (vielleicht auch andersherum oder nur eins von alledem), und naturgemäß möchten Sie jetzt die ganze Welt umarmen und die Nachricht des Tages lauthals hinausschreien. Das ist eine sehr schlechte Idee. Mag sein, dass Arbeitgeber in Finnland, Norwegen oder Frankreich ihren weiblichen Mitarbeitern bei der Verkündung einer Schwangerschaft vor Freude um den Hals fallen und eine Runde Schampus für die ganze Belegschaft bestellen. Jeder halbwegs normale deutsche Arbeitgeber wird Sie jedoch anschauen wie ein Pferd. Und zwar eines, das gerade einen fulminanten Tritt von einem anderen Pferd bekommen hat. Für Ihren Vorgesetzten wird die Nachricht, dass Sie schwanger sind, so erfreulich sein, als hätten Sie ihm offenbart, dass Sie bei Scientology eingetreten oder unheilbar an Krebs erkrankt sind, nur schlimmer. Verklickern Sie ihm die Botschaft also erst, wenn Sie ganz sicher sind, dass Sie auch wirklich schwanger sind. Sonst weiß Ihr Arbeitgeber, dass Sie planen, schwanger zu werden, nichts dagegen haben, schwanger zu werden, oder zumindest rein theoretisch in der Lage sind, schwanger zu werden, was an schlimmen Hiobsbotschaften direkt an zweiter Stelle nach dem tatsächlichen Schwangersein kommt. Warten Sie andererseits nicht zu lang. Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass niemand hört, wie Sie jeden Morgen das Frühstück im Firmenklo zurückgeben. Oder glauben Sie allen Ernstes, dass es keinem auffällt, wenn Sie vierunddreißig Wochen lang denselben Supersize Wollponcho tragen, in dem Sie von vorn wie von hinten aussehen wie ein wandelndes Ein-Mann-Zelt? Lalalalala. Schwanger? Ich? Spätestens, wenn Sie wie ein seekranker Wal durch die Firma eiern und sich dabei an der Wand abstützen müssen und Ihr Bauch vor Ihnen durch die Tür kommt, heißt es, die Karten auf den Tisch legen.

Aber wie? Viele Ankündigungen privater Natur werden mit riesigem Zinnober überbracht. Manche Menschen springen aus fliegenden Hubschraubern, stellen Flashmobs auf die Beine oder lassen sich auf den Grund des Ozeans versenken, um ihre frohe Botschaft zu überbringen. Oder man denke nur an Maria, die Mutter Jesu, die seinerzeit sogar einen Engel beauftragte, die Nachricht von ihrer Schwangerschaft in regelrechter Inception-Manier ins Unterbewusstsein ihres friedlich schlafenden Mannes einzupflanzen! So viel Aufwand ist ein bisschen zu viel des Guten, wenn der Vorgesetzte nicht zufällig auch der Vater des werdenden Kindes ist. Job-Coachs raten dazu, die Sachlage kurz, knapp und professionell zu erläutern. Manche interpretieren das dahingehend, dass sie mit Baby an Bord-T-Shirt im Kundentermin aufschlagen, den Bürokaffee vor versammelter Belegschaft mit dem B-Test-Stäbchen umrühren, die gerahmten Ultraschall-Fotos auf den Schreibtisch stellen oder die Nachricht quer durch die Kantine brüllen.

schwanger