Innsbrucker Jahre
Mit Leseempfehlungen von
Univ.-Prof. Dr. Roman A. Siebenrock
und Interviews mit
Univ.-Prof. Dr. Günther Wassilowsky
und Em. Univ.-Prof. Dr. Otto Muck SJ.
© 2014 by Universitätsverlag Wagner Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck
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ISBN 978-3-7030-0906-8
Satz: Studienverlag/Georg Toll
Umschlag: Studienverlag/Maria Strobl
Umschlagbild: Karl Rahner im Büro, © Karl-Rahner-Archiv, München
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Vorwort
1.Lebens- und Persönlichkeitsbeschreibung Karl Rahners
2.Die frühen Jahre: Kindheit, Jugend und Studium
2.1Innsbrucker Jahre (1936 bis 1939)
3.Jahre des Um- und Aufbruchs
3.1Innsbrucker Jahre (1948 bis 1964)
3.2„Eine heilig-schreckliche Verantwortung“: Karl Rahner und das Zweite Vatikanische Konzil
3.2.1„Man ist in einen Topf geworfen“: Interview mit Günther Wassilowsky über die Rolle Karl Rahners als Konzilstheologe
4.Jahre der persönlichen Vollendung
4.1Innsbrucker Jahre (1981 bis 1984)
5.„Ein Mann für übermorgen“: Zur Frage der Aktualität Karl Rahners
5.1Erinnerungen an methodische Impulse: Interview mit Otto Muck über die Bedeutung Karl Rahners
Anhang
6.Quellen
6.1Bücher
6.2Zeitschriften
7.Karl Rahner: Bibliographie und Leseempfehlungen (Roman Siebenrock)
7.1Literatur von Karl Rahner
7.2Die ursprünglichen Buchausgaben
7.2.1Schriften zur Theologie
7.2.2Quaestiones disputatae
7.2.3Weitere ausgewählte Buchveröffentlichungen
8.Karl Rahner: Lesevorschläge für Einsteiger (Roman Siebenrock)
8.1Textsammlungen
8.2Interviews, Gespräche und Aufzeichnungen
8.3Theologisches für Reservierte
8.4Grundtexte der theologischen Reflexion
8.5Einführungen zu Karl Rahner
9.Übersicht der Lebens- und Werkdaten Karl Rahners
Über den Autor
„Im letzten sind wir dabei nicht die, die sich ein Leben nach eigenen Idealen konstruieren, sondern die, die sich im Alltag das wahre Leben der Gnade und der Freiheit von Gott schenken lassen müssen.“1
Noch bevor ich begonnen habe, diese Biographie zu schreiben, musste ich mich fragen, für wen ich sie schreibe; immerhin wurden über Karl Rahner bereits zahllose und kluge Bücher verfasst, von intimen Kennern und ausgewiesenen Wissenschaftlern, die Karl Rahners immenses Gesamtwerk aus dem Effeff beherrschten, während ich weder ein Historiker, noch ein Theologe bin, sondern lediglich ein „studierter Laie“, der eine Bewunderung für diesen vielleicht „größten Theologen des zwanzigsten Jahrhunderts“ hat.
In Innsbruck ist der Jesuitenpater jedenfalls ein Begriff, dort, wo Karl Rahner die entscheidenden, wenn nicht sogar die wichtigsten Jahre seines Lebens verbracht hat, auf der Theologischen Fakultät der Leopold-Franzens-Universität. Hier bin ich ihm, beziehungsweise seinem Geist, auch mehrmals als Student der Christlichen Philosophie begegnet; in den Vorlesungen und Seminaren wurde oft Bezug auf seine Lehren genommen, seine Schriften wurden leidenschaftlich diskutiert. Und so gewann ich alsbald den Eindruck, dass dieser philosophierende Theologe, dieser Theologie betreibende Philosoph noch einiges mehr zu bieten hatte, als mir bis dahin bekannt war; und davon besaß das meiste massig Zündstoff für die Gegenwart, wenn nicht sogar für die Zukunft.
Erst später hatte ich jedoch ausreichenden Mut gesammelt, mich stärker mit Karl Rahner auseinanderzusetzen; wieder und wieder las ich in seinen „Sämtlichen Werken“, meditierte über seinen Gebeten und versuchte einfach zu verstehen, was sein Erbe war, sein „spirituelles Testament“, und lernte dadurch einen Menschen kennen, der mir nahe stand, auch in dem Widersprüchlichen, das unser beider Leben trennte.
Ich meine, diese Erfahrung teilen zu wollen ist der eigentliche Grund für mich gewesen, dieses Buch zu schreiben. Es ist der Versuch, „meinen Karl Rahner“ auch anderen interessierten Laien näherzubringen, indem ich eine Einführung in sein Leben und die mir als wichtig erscheinenden Teile seines Werkes vorlege, welche allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, jedoch von dem innigen Wunsch getragen ist, das Bild eines Menschen und dessen Wirken zu zeichnen, das mehr als nur einen auf äußere Zäsuren begrenzten Ausschnitt seiner Lebens- und Geisteswelt zeigt, das die Zusammenhänge erklärt, die Hintergründe erhellt usw.
Das Ergebnis dieser „persönlichen“ Auseinandersetzung mit Karl Rahner liegt nun mit dieser Biographie vor, für deren Zustandekommen ich dem Verlag und seinen MitarbeiterInnen danken möchte; für die fachliche Betreuung und vieles darüber hinaus danke ich besonders Univ.-Prof. Dr. Roman Siebenrock (Universität Innsbruck), der mir von Anfang an den guten Rat geben hat, ich solle Karl Rahner „mehr glauben“; dem Em. Univ.-Prof. Dr. Otto Muck SJ (Universität Innsbruck) und Univ.-Prof. Dr. Günther Wassilowsky (Katholisch-Theologische Privatuniversität Linz) danke ich für ihre Bereitschaft zum Interview; und Dr. Andreas R. Batlogg SJ (Chefredakteur „Stimmen der Zeit“ bzw. Leiter des Karl-Rahner-Archivs München), Mag. Roland Sila (Kustos der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum) sowie dem Collegium Canisianum Innsbruck danke ich für die Unterstützung bei der Recherche.
Für das Verständnis, mich monatelang in dieser Arbeit vergraben zu haben, danke ich Carina und widme ihr daher dieses Buch.
1K. Rahner, Mein Problem, 1982, S. 61
„Das Christentum ist immer noch eine höchst unmoderne Sache; auch in dem, worüber ich nun so lang zu schreiben versuchte. Gott sei Dank, dass es so ist. Gott gebe mir und Ihnen die Gnade, das zu begreifen.“2
Nach seinem eigenen Dafürhalten war Karl Rahners Leben geradezu unspektakulär, vor allem was dessen äußere Ereignisse betraf. So meinte er etwa über seine Prägung in der Kindheit und Jugend: „Ich bin natürlich in einer normal-christlichen, nicht bigotten Familie katholischen Bekenntnisses aufgewachsen, zusammen mit sechs anderen Geschwistern. Ich bin auf einer normalen Mittelschule gewesen, habe dort mein Abitur gemacht, und dann bin ich in den Jesuitenorden eingetreten. […] In solch einer Familie wuchs man eigentlich relativ problemlos auf. Die Dinge, die man zu tun und zu lassen hatte, waren irgendwie von vornherein klar. Da war nicht so furchtbar viel zu überlegen. Fürchterliche Problematiken erlebten wir eigentlich nicht. Ich habe keinen Streit zwischen meinen Eltern erlebt. Von einer Ehescheidung war in der damaligen Zeit, in dem Milieu, in dem ich groß wurde, bei meinen Verwandten und im Bekanntenkreis nie die Rede. Alle diese Dinge, die heute problematisch sind, die sozialkritische Haltung gegenüber der Gesellschaft und dem Staat, die Eheprobleme, die Probleme der Sexualmoral und so weiter, die ganze Bildungskrise gab es noch nicht.“3 Und dennoch wurzelte vieles, das Karl Rahner später im Leben zu seinem nonkonformen Denken und Handeln machte, gerade in dieser Frühzeit, als „alles unproblematischer und bis zu einem gewissen Grade nüchterner [war]“4. Denn unabhängig von Rahners Art, bescheiden und auch recht verhalten bei Fragen zu seiner Person aufzutreten, lassen sich wenigstens drei Einflüsse in seiner Biographie ausmachen, welche zwar verschieden stark, aber allesamt nachhaltig auf ihn gewirkt haben dürften. Zum einem war er im Jugendalter Mitglied der Quickborn, „das war eine mehr freie, von der Basis herkommende, nicht so ausdrücklich kirchlich gesteuerte Jugendbewegung, aber doch katholisch und religiös, durchaus lebendig und intensiv sich betätigend. Und insbesondere habe ich da schon auch einige Eindrücke positiver Art für mein künftiges Leben bekommen.“5 Zum Beispiel traf er dort erstmals auf den Philosophentheologen Romano Guardini, dem Rahner Jahrzehnte danach auf dessen Lehrstuhl für Christliche Weltanschauung und Philosophiegeschichte in München folgen sollte.
Zweitens trat 1919 sein um vier Jahre älterer Bruder Hugo, „der am Schluss des ersten Weltkriegs noch Soldat war, wenn er es auch nur bis Belgien gebracht hat und nicht mehr in den eigentlichen Kampf kam“6, in die Gesellschaft Jesu ein, was Karl Rahners eigenen Entschluss, drei Jahre später dem Orden beizutreten, zwar nicht sonderlich begünstigt hat7, aber dennoch eine wahrscheinlich ähnlich wirksame Atmosphäre geschaffen haben könnte, wie es sein familiäres Umfeld schon tat: „Die Familie war irgendwie selbstverständlich katholisch und christlich – praktizierend christlich. […] Kurz und gut, wenn man in einer solchen Familie aufwächst und vielleicht – ohne von irgendwo anders her stark beeinflusst zu sein – sich zu einem Beruf entschließt, dann war der Entschluss, Priester, Jesuit, zu werden, eigentlich nicht so ferne liegend.“8
Einen ganz bestimmenden Eindruck auf Karl Rahner hat wohl dessen Begegnung mit dem jungen Pier Giorgio Frassati gemacht. Noch in seinem letzten großen Fernsehinterview mit dem ZDF erinnerte er sich an den – 1990 von Papst Johannes Paul II. selig gesprochenen – Jugendfreund voll der dankbaren Freude: „Ungefähr 1920/21 gab es einen italienischen Gesandten in Berlin, der Frascati [sic!] hieß. Er war Senator des Königreichs Italien. Er war Besitzer und Leiter einer großen Turiner italienischen Zeitung, ‚Stampa‘, und er schickte seinen Sohn, der damals schon Bergbauingenieur-Student war, in unsere Familie, um Deutsch zu lernen. Dieser junge Mann lebte vergnügt und munter und nett und bescheiden in unserer Familie. Nicht lange, aber immerhin so, dass von da an eine gewisse bleibende Beziehung zum mindesten einmal mit meiner älteren Schwester bestehen blieb, und dieser junge Mann war ein intensiver – können wir sagen – Caritas-Apostel in Turin und ist 1924 durch Kinderlähmung, die er sich bei dieser seiner Arbeit zugezogen hatte, gestorben. Und er wird in Italien verehrt als ein heroisches Vorbild eines jungen Christen, und es scheint, dass er Aussicht hat, in Rom einmal selig gesprochen zu werden. […] Wenn ich das noch erlebe, hätte ich also einen beatifizierten Menschen in meinem Leben kennen gelernt, mit dem ich im Wald Ringkämpfe veranstaltete.“9
Nach dem Abitur (1922) und dem Beginn seines Noviziats studierte Karl Rahner Philosophie an den Ordenshochschulen im Vorarlberger Feldkirch-Tisis und in Pullach bei München. In diesen ersten Jahren seiner Ausbildung begegnete er einem weiteren Menschen, dessen unbeugsame Glaubensstärke einerseits und dessen sozialer Mut andererseits eine nicht zu unterschätzende, psychologische Kraft hatten, die für Rahner wohl ein lebenslanges Vorbild abgaben: „Ich glaube, dass ich – hoffentlich nicht unbescheiden und – mit einem gewissen Stolz sagen kann, dass [Alfred] Delp ein guter Freund von mir war. […] Er war ein lebendiger, selbstverständlich in der geistigen Atmosphäre der damaligen Zeit lebender Mensch, ein tapferer Mensch. Ein Mensch von einer gewissen starken Vitalität, die auch nicht immer von seinen Oberen so hundertprozentig leicht ertragen werden konnte, obwohl er mit absoluter Treue bis zu seinem Tod an seinem Orden festhielt und absolut sich weigerte, sich in dieser Beziehung von den Nazirichtern da in Berlin etwas sagen zu lassen. Er war philosophisch, gesellschaftspolitisch […], politisch, höchst interessiert. […] er war seinen Idealen getreu und hat das mit seinem Leben, mit seinem Lebensopfer, besiegelt. Er gehört, glaube ich, wirklich zu den großen Gestalten aus dem sogenannten Kreisauer Kreis – das war ein Widerstandskreis. Er ist ja dort hineingekommen durch seinen damaligen Provinzial Augustin Rösch. In diesem Kreis wurde kein Attentat auf Hitler geplant, aber überlegt, wie soll Deutschland werden, wenn diese fürchterliche Periode des Nazismus endlich zu Ende gegangen sein wird. Deshalb wurde er verhaftet und in Berlin hingerichtet. Ich glaube, dass er wirklich zu den Zeugen des christlich-motivierten Widerstands gegen das Unwesen des Nationalsozialismus in erster Reihe gehört.“10
Rund zehn Jahre später, als Karl Rahner bereits in Innsbruck als Privatdozent für Dogmatik tätig war, hat er sich mit ziemlicher Sicherheit an diesen unbeirrbaren Zeugen des Glaubens erinnert, als er selbst mit der Willkür der Nationalsozialisten konfrontiert war und als Jesuit mit dem Gauverbot belegt wurde.
Alle diese frühen Erfahrungen zusammengenommen formten Karl Rahners Charakter nachhaltig – die Vermutung lässt sich zwar nicht gänzlich bestätigen, es liegt allerdings nahe, dass der Großteil seiner Persönlichkeit diesen ersten Eindrücken durch Umstände und Personen geschuldet ist; dies betrifft sowohl sein Leben als Jesuit, als auch als Gelehrter und zeitlebens kritischer Geist. „Bei ihm waren Werk und Person, Leben und Theologie in einer nahtlosen Weise eins: Alles war Werk, und das Werk war eine einzige Gestikulation christlicher Existenz in unserer spätmodernen Zeit.“11
Anschließend an sein Theologiestudium in Valkenburg (Holland) und seine Priesterweihe (1932) sowie das Tertiat in St. Andrä im Lavanttal (Kärnten) beginnt Karl Rahner an der Universität Freiburg im Breisgau zu studieren. Hier hört er u. a. den schon damals berühmten wie viel diskutierten Philosophen Martin Heidegger, an dessen persönlichen akademischen Einfluss sich Rahner folgendermaßen erinnert: „Ich glaube, es gibt kein einzelnes, konkretes theologisches Thema, zu dem Heidegger jemals ein Wort gesagt hätte. Aber natürlich habe ich einiges von ihm gelernt: einen Text zu interpretieren, Zusammenhänge zu sehen, die nicht unmittelbar auf der Hand liegen, moderne Probleme an die traditionelle Theologie heranzutragen usw. In diesem mehr – sagen wir einmal – formalen Sinn bin ich Martin Heidegger noch immer dankbar.“12
Aus verschiedenen Bemerkungen wird offenkundig, dass im Grunde Joseph Maréchal den entscheidenden Einfluss auf Karl Rahner ausübte. Hinzu kommt die Wirkung Erich Przywaras, den Rahner bis zu dessen Tod achtete. Karl Rahner hat nicht verleugnet, dass seine Philosophie und, wenn auch mit einem größeren Abstand, seine Theologie thomistisch geprägt sind. Schließlich meinte Rahner 1981, dass man zwar in der Theologie nüchtern mit einem Pluralismus verschiedener Philosophien zu rechnen habe, dennoch aber auch bestimmte Bedingungen bestehen: „Ich fühle mich bei Thomas von Aquin durchaus zu Hause. Und damit […] auch bei Aristoteles. Und auf der anderen Seite habe ich gar keine Hemmungen, in mancher Beziehung mit Heidegger zu denken. Ich weigere mich also, als Theologe dazu verurteilt zu sein, einem ganz bestimmten philosophischen System allein untertan zu sein.“13
Seine philosophische Promotionsschrift „Geist in Welt“ reichte Rahner 1934 allerdings nicht wie zu erwarten gewesen wäre bei Heidegger, sondern bei dessen Fachkollegen Martin Honecker ein14, der diese jedoch nach über einem Jahr der Beurteilung als ungenügend ablehnte. Die konkreten Gründe für diese negative Beurteilung blieben bislang im Ungewissen, wenngleich es als naheliegend erachtet werden kann, dass diese Arbeit nicht zuletzt wegen ihres überwiegend systematischen, zu wenig historischen Charakters der Thomas-Interpretation und auch wohl wegen der Nähe zu Heideggers Denken nicht angenommen wurde.15
Rahners kurz darauf folgende Schrift „E latere Christi. Der Ursprung der Kirche als zweiter Eva aus der Seite Christi des zweiten Adam. Eine Untersuchung über den typologischen Sinn von Joh 19,34“ wurde dann nach kleineren Umschreibungen bereits 1936 in Innsbruck zur Promotion in Theologie angenommen, woraufhin Karl Rahner 1937 sich habilitierte und danach als Privatdozent für Katholische Dogmatik an der Universität in Innsbruck blieb, von wo er aber bereits ein Jahr später vertrieben wurde: „[…] ich meine, für den damaligen Nationalsozialismus des Gauleiters [Franz] Hofer war eine Jesuitenfakultät in der Theologie eine absolut unerträgliche Sache. Diese Theologische Fakultät wurde sehr bald aufgelöst. Das Internat für Weltpriestertheologen, das Canisianum, das wir geleitet haben, wurde enteignet.“16
Karl Rahner ging nach Wien und engagierte sich während des Krieges beherzt am Wiener Seelsorgeinstitut unter Prälat Karl Rudolf. In dieser Zeit wurde auch Kardinal Theodor Innitzer auf den jungen, besonders geistreichen Dozenten aufmerksam und beauftragte ihn mit dem Verfassen einer damals brisanten Streitschrift: „[…] der gute Erzbischof von Freiburg, Konrad [sic!] Gröber, hatte die komische Idee, gegen gewisse Tendenzen, nicht in politischer Hinsicht, sondern in kirchlicher Hinsicht zu protestieren. […] und hat also da ein Memorandum von Befürchtungen und Bedenken in einem Schreiben an den großdeutschen Episkopat, wie er es nannte, geäußert. Und ich bekam dann also von Kardinal Innitzer, beziehungsweise von dem Wiener Seelsorge-Institut unter Karl Rudolph [sic!] den Auftrag, ein Gegenmemorandum zu verfassen. Das habe ich dann getan. Hintendrein hat man dann weder vom einen noch vom anderen viel gehört. Der deutsche Episkopat hatte andere Sorgen, als sie Konrad [sic!] Gröber da geäußert hatte, und nach dem Krieg, als Österreich und Deutschland getrennt waren, war dann von dieser ganzen Sache überhaupt nicht mehr die Rede.“17 Obgleich das Schreiben wohl keine größere wissenschaftliche Bedeutung erfahren hat, so sollte es später einen weit persönlicheren Nutzen für seinen Verfasser haben – kurz vor Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils.
Das Ende des Zweiten Weltkrieges verbrachte Karl Rahner in Niederbayern, von wo er aufgrund der politischen Lage aus einem Ferienaufenthalt nicht mehr nach Wien zurückkehren konnte. Von 1945 bis 1948 unterrichtete er dann Katholische Dogmatik in Pullach bei München, bevor er 1948 wieder nach Innsbruck wechselte und dort über 15 Jahre lang blieb. Die Zeit bis dahin, ihre Einflüsse und Weichenstellungen im privaten und gesellschaftlichen wie kirchlichen Leben, skizzierte Rahner mit den folgenden Worten: „Man kann vielleicht sagen, ich erlebte in meinem Leben, so zwischen 1925 und dem Konzil, jene Zeit, in der ein sich möglichst abgrenzendes Kirchentum neuscholastischer Prägung sich in die Weise Kirche zu sein verwandelte, die wir jetzt vom Konzil sanktioniert leben. Da waren natürlich sehr viele fließende Übergänge. Die Übergänge waren in den verschiedenen Fragen nicht synchronisiert. Da ging das eine schneller, das andere langsamer. Aber ich würde sagen, wenn ich mich geistesgeschichtlich einordnen wollte, so gehöre ich in diese Zeit hinein. Da waren am Anfang ein Karl Adam, ein Erich Przywara, ein Peter Lippert, und solche Leute, die die Mentalität des deutschen Katholizismus doch ziemlich umgeprägt haben. Meine Jesuitenlehrer, die noch aus den früheren Jahrzehnten stammten, die werden Kant und Hegel und die ganze mit deren Namen vielleicht bezeichnete Mentalität als das zu Bekämpfende, als das betrachtet haben, demgegenüber man sich absetzen musste. Später dann, in den zwanziger, dreißiger Jahren, unterbrochen von der Nazizeit, war der offene Dialog, das gegenseitige Voneinander-Lernen, das gemeinsame Arbeiten an Problemen doch deutlicher gegeben. Natürlich hat das auch wieder seine Gefahren. Auch so etwas kann in Straßengräben landen, die man vermeiden muss. Aber in diese Zeit des Übergangs gehöre ich hinein.“18
Als am 25. Januar 1959 – diesem symbolträchtigen Fest der Bekehrung des Hl. Apostels Paul – Papst Johannes XXIII. überraschend die Ankündigung eines Konzils machte, war Karl Rahner bereits ein international anerkannter wie bekannter Theologe und Autor zahlreicher Bücher und Artikel zu den unterschiedlichsten Fragestellungen – vor allem denen des Lebens. Seine Theologie unterwarf sich zuerst dem Kanon der Lebensfragen, nicht den vorsichtig ausgewählten, sondern den unbequemen aufgedrängten, oft schrecklich profanen Fragen, von denen er sich bis zur Erschöpfung beanspruchen ließ.19 Unstrittig angesichts der Fülle und Vielfalt Rahner’scher Beiträge lässt sich sagen, dass Rahner Zeit seines Lebens immer den Menschen und dessen Gemeinschaft in und mit der Mutter Kirche im Blickfeld hatte – und sein Blick war gestochen scharf, wie er auch kritisch sein konnte: „Ich kann als katholischer Theologe in keinem Punkt meines Überlegens, Denkens, Arbeitens absehen von der Frage: ‚Was lehrt das kirchliche Lehramt über diese und jene Frage?‘ Aber auf der anderen Seite kann ich das auch nicht einfach nur beinahe papageienartig repetieren, sondern muss darüber nachdenken, was bedeutet dann das, was soll denn das, in welchen Zusammenhang stelle ich das, um das wirklich existentiell echt rezipieren zu können? Und bei einer solchen notwendigen, der Theologie aufgegebenen Frage ist natürlich die geistige Situation der eigenen Zeit ein unerlässlicher Rahmen, innerhalb dessen die Theologie betrieben werden muss.“20 Oder anschaulicher in den Worten Johann Baptist Metz’: „Rahner erlebte die Kirche in seinen Eingeweiden, ihr Versagen deshalb freilich auch wie Koliken. Und wer schriee da nicht?“21
Dieser Unzufriedenheit vieler Katholiken, Mitte der zwanzigsten Jahrhunderts, begegnete Papst Johannes XXIII. mit seiner Forderung zum „Aggiornamento“; der unbedingte Reformwillen der römisch-katholischen Kirche im Sinne einer „Vergegenwärtigung“: „Der letzte geringe Nachfolger des Apostelfürsten, der zu Euch spricht, wollte bei der Einberufung dieser hochansehnlichen Versammlung wiederum, dass das kirchliche Lehramt, das niemals fehlte und das bis ans Ende der Tage bestehen wird, befestigt wird; es soll, indem es den Irrtümern, den Notwendigkeiten und Chancen unserer Zeit Rechnung trägt, durch dieses Konzil allen Menschen auf Erden in außerordentlicher Weise vorgestellt werden. […] Die schwersten Sorgen und Fragen, die der Menschheit zur Lösung aufgegeben sind, haben sich nach fast zweitausend Jahren nicht verändert. Denn Christus Jesus ist immer noch die Mitte der Geschichte, und des Lebens. Und die Menschen hängen entweder Ihm und seiner Kirche an, dann haben sie Licht, Güte und die Früchte rechter Ordnung und des Friedens, oder sie leben ohne Ihn, ja handeln Ihm entgegen und verweilen bewusst außerhalb der Kirche, dann herrscht bei ihnen Verwirrung, sie verbittern die Beziehungen untereinander und beschwören mörderische Kriege herauf. Jedes Mal, wenn Ökumenische Konzilien begangen werden, bezeugen sie diese Vereinigung zwischen Christus und seiner Kirche in feierlicher Weise und verbreiten weithin das Licht der Wahrheit. Sie lenken das Leben der einzelnen Menschen wie der Familien und der Gesellschaft auf rechten Pfaden. Sie erwecken und stärken geistliche Kräfte und richten die Herzen beständig auf die wahren und ewigen Güter. […] Erleuchtet vom Licht des Konzils, so vertrauen Wir fest, wird die Kirche an geistlichen Gütern zunehmen und, mit neuen Kräften von daher gestärkt, unerschrocken in die Zukunft schauen. Denn durch eine angemessene Erneuerung und durch eine weise Organisation wechselseitiger Zusammenarbeit wird die Kirche erreichen, dass die Menschen, Familien und Völker sich mehr um die himmlischen Dinge sorgen.“22
Um die Hauptaufgabe des Konzils, das heilige Überlieferungsgut (depositum) der christlichen Lehre mit wirksameren Methoden zu bewahren und zu erklären23, wurden sowohl in der fast dreijährigen Vorbereitungsphase wie später beim Konzil Wissenschaftler aus aller Welt hinzugezogen. Karl Rahner sollte nach kleineren Stolpersteinen, die man ihm in den Weg gelegt hatte, zu einem der maßgeblichen Berater des Zweiten Vatikanums werden: „Ich weiß, oder mindestens weiß ich hintendrein, dass ein einflussreicher Berater Pius’ XII., ein Moraltheologe der Gregoriana, der päpstlichen Universität, es ablehnte, eine Berufung von mir als Berater zum Konzil zu befürworten. Ich war also bei manchen Leuten in Rom nicht gerade geschätzt. Aber es kam dann doch, veranlasst offenbar von Johannes XXIII., eine Berufung in eine vorkonziliarische Kommission. […] ich wurde dann von vornherein Peritus, also theologischer Berater des Zweiten Vatikanischen Konzils.“24 Noch in seiner Eröffnungsrede zum Konzil sprach der Papst auf ähnliche Fälle einer quasi Vorverurteilung verschlüsselt an und warnte die „Unglückspropheten“ vor zu schnell gefällten Urteilen und einer Panikmache zu Ungunsten des Kurswechsels in der Kirche: „In der täglichen Ausübung Unseres apostolischen Hirtenamtes geschieht es oft, dass bisweilen Stimmen solcher Personen unser Ohr betrüben, die zwar von religiösem Eifer brennen, aber nicht genügend Sinn für die rechte Beurteilung der Dinge noch ein kluges Urteil walten lassen. Sie meinen nämlich, in den heutigen Verhältnissen der menschlichen Gesellschaft nur Untergang und Unheil zu erkennen. Sie reden unablässig davon, dass unsere Zeit im Vergleich zur Vergangenheit dauernd zum Schlechteren abgeglitten sei. Sie benehmen sich so, als hätten sie nichts aus der Geschichte gelernt, die eine Lehrmeisterin des Lebens ist, und als sei in den Zeiten früherer Konzilien, was die christliche Lehre, die Sitten und die Freiheit der Kirche betrifft, alles sauber und recht zugegangen. Wir aber sind völlig anderer Meinung als diese Unglückspropheten, die immer das Unheil voraussagen, als ob die Welt vor dem Untergange stünde. In der gegenwärtigen Entwicklung der menschlichen Ereignisse, durch welche die Menschheit in eine neue Ordnung einzutreten scheint, muss man viel eher einen verborgenen Plan der göttlichen Vorsehung anerkennen. Dieser verfolgt mit dem Ablauf der Zeiten, durch die Werke der Menschen und meist über ihre Erwartungen hinaus sein eigenes Ziel, und alles, auch die entgegen gesetzten menschlichen Interessen, lenkt er weise zum Heil der Kirche.“25
Mit diesen wie ähnlichen hoffnungsvollen Wortmeldungen ging laut Rahner die so pianische Epoche zu Ende – benannt nach den vier einflussreichen Pius-Päpsten zwischen 1846 (Pius IX.) und 1958 (Pius XII.) –, die von der Mentalität einer gewissen Defensive, einer gewissen Einigelung der Kirche gegenüber der Welt von heute gekennzeichnet war. „Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil [fing] die Kirche wirklich an, ausdrücklich und bewusst eine Kirche der Welt zu werden. Es entstand in der Zeit des Konzils oder in der Vorbereitung des Konzils eine in ihrer Methode und Mentalität andere Theologie.“26
Schon in der vorkonziliaren Orientierungsphase war Karl Rahner nach den schon genannten anfänglichen Schwierigkeiten maßgeblich tätig. Der Wiener Erzbischof, Kardinal Franz König, hat den damals in Innsbruck lehrenden Rahner als Berater an seine Seite geholt: „[…] bereits in der Vorbereitung auf das Konzil war ich entschlossen von meinem Recht Gebrauch zu machen, einen theologischen Berater, einen Peritus zur Kirchenversammlung mitzunehmen. Ich überlegte damals nicht lange, sondern bat den mir bereits bekannten Dogmatikprofessor an der Innsbrucker Theologischen Fakultät aus dem Jesuitenorden, mein theologischer Berater beim Konzil zu sein. Ich hatte Professor Rahner näher kennengelernt in den Jahren der Kriegszeit, als er im Wiener Seelsorgeinstitut des Prälaten Rudolf ein bekannter Mitarbeiter wurde. Ich griff damals kurz entschlossen zum Telefon und teilte dies Professor Rahner in Innsbruck mit. In seiner manchmal etwas mürrischen, aber trotzdem herzlichen Art meinte er am anderen Ende des Telefons: ‚Ja, wie stellen Sie sich das denn vor? Ich war noch nie in meinem Leben in Rom. Es scheint, dass man gegen meine Lehr- und Schreibweise bereits Bedenken habe. Was werden also die Römer sagen, wenn ich da plötzlich als Konzilstheologe auftauche?‘ Rahner wusste, dass er auch in seinem Orden in Rom Gegner hatte angesichts seiner neuen Art, Theologie zu betreiben. Trotz der Bedenken und Einwände hat er dann auf mein Zureden hin meine Einladung doch angenommen.“27
In den folgenden drei Jahren war Karl Rahners Einfluss auf das Zweite Vatikanum unschätzbar, auch wenn er selbst seine Rolle, in gewohnt bescheidener und für ihn charakteristischen Art immer herunterspielte: „Natürlich habe ich mitgearbeitet. Man könnte vielleicht sagen, dass, wenn – nicht nur ich – aber wenn gewisse Theologen am Anfang des Konzils nicht ein gutes Envernehmen mit den Bischöfen gehabt hätten, wären vielleicht die Weichen nach menschlichem Ermessen ganz anders gestellt worden, als es de facto dann geschehen ist. […] Da waren natürlich – jetzt nicht von den Theologen, sondern – von Suenens und Döpfner und anderen Kardinälen die Weichen sehr umgestellt worden, und das dann für diese Mentalität, die das bewirkte, die Theologen auch eine gewisse Bedeutung hatten, die man natürlich nicht mehr konkret detaillieren und im Einzelnen nachweisen kann. Das ist richtig. Und wenn Sie wollen, gehörte damals ein Ratzinger28, ein Schillebeeckx, ein Semmelroth, ein Grillmeier und so weiter zu den Theologen, die für diese ursprüngliche, anfängliche Atmosphäre des Konzils eine gewisse Bedeutung hatten. Nachdem die Sache dann einmal in diesen Bahnen lief, haben wir Theologen, nicht nur ich, sondern viele, viele andere, ehrlich und nüchtern im Detail mitgearbeitet. Aber da spielte ich keine besonders aufregende Rolle.“29
Unzweifelhaft und richtiger ist, dass das Zweite Vatikanische Konzil Karl Rahner viele sehr wertvolle und wichtige Impulse zu verdanken hat, die bis in die Gegenwart herein wirken, deren gänzliche theologische Entfaltung jedoch noch in der Zukunft liegt. In diesem Wissen hat Rahner selbst „in der allgemeinen nachkonziliaren Euphorie gleichwohl nicht den Blick verloren für die drohende Engführung durch dieses Konzil. […] So macht Rahner […][etwa] ausdrücklich darauf aufmerksam, dass das jüngste Konzil, dass also das Zweite Vatikanische Konzil, nicht mehr von Gott spricht, wie das noch im Ersten Vatikanum der Fall ist, sondern nur noch von dem in der Kirche und durch die Kirche verkündeten Gott. Rahner sieht darin eine bedenkliche Immunisierungstendenz am Werk, gewissermaßen eine ekklesiologische Verschlüsselung der Gottesrede, um sie von vornherein einer lautlos herrschenden Gotteskrise zu entziehen. Gott aber ist für Rahner ein universales Thema, ein Menschheitsthema – oder überhaupt kein Thema. […] So sieht Rahner in dieser ekklesiologischen Verschlüsselung der Gottesrede im jüngsten Konzil eine fragwürdige Prozedur: Ist sie nicht symptomatisch für den Weg der Kirche in die Sekte und für die wachsende kognitive Vereinsamung der Theologie in unserer Gesellschaft?“30
In den Folgejahren versuchte Karl Rahner, darauf und auf ähnliche Fragen klare Antworten zu geben: „[…] so gut ich das konnte, wollte ich diese Gefahr eines in sich abgekapselten getto-katholischen Theologisierens vermeiden. Wie ich das fertig gebracht habe, ist natürlich eine andere Frage.“31 Um diese zu beantworten, bedarf es nur eines kurzen Blickes auf Karl Rahners weiteren akademischen Werdegang und die breite Akzeptanz und Sympathie, welche dem ungemein fleißigen Theologen auch unter den katholischen Laien sicher war.
Noch während des Konzils, das am 8. Dezember 1965 unter Papst Paul VI. endete, folgte Rahner dem Ruf an die Universität München, wohin er 1964 von Innsbruck aus wechselte, und beerbte dort als Professor für Christliche Weltanschauung und Philosophiegeschichte den von ihm so hoch geschätzten Romano Guardini. Schon relativ kurze Zeit später, 1967, wird er nach Münster berufen, was Rahner, trotz einiger Unstimmigkeiten, jedoch annahm: „Ich bekam einen Ruf nach Münster, und ich erklärte mit Zustimmung des damaligen Unterrichtsministeriums und auch mit Zustimmung von Kardinal Döpfner: ‚Ich bleibe in München, wenn ich auch in Theologie promovieren kann.‘ Weil ich einen Assistenten und Mitarbeiter wollte, die in Theologie promovierten und dann in dieser Laufbahn akademisch weiterkommen sollten. […] Die Theologische Fakultät hat mir, praktisch der Sache nach, diese an und für sich harmlose, auch sonst praktizierte und selbstverständliche Bitte abgeschlagen, und dann blieb mir eigentlich nichts anderes übrig, als zu sagen: ‚Gut, dann nehme ich eben den Ruf nach Münster an.‘ Guardini war sehr enttäuscht über mich und gekränkt darüber, aber es blieb mir eigentlich nichts anderes übrig.“32
Karl Rahner blieb bis zum Ende seiner universitären Laufbahn in Münster, wo er 1971 emeritierte und sich nachher verstärkt und vor allem kritisch gegenüber der Entwicklung auf Ebene der Weltkirche äußerte: „[…] wenn die Kirche wirklich eine aktuelle Weltkirche, nicht nur in der Theorie, sondern im konkreten Leben und in der Praxis ist oder werden muss, wird es natürlich auch Theologien in aller Welt geben müssen, die sich von der spezifisch europäischen Theologie unterscheiden. Es muss mit der Zeit eine afrikanische Theologie geben. Es muss eine asiatische Theologie geben. Es muss eine südamerikanische Theologie geben. Diese werden Theologien des einen und selben Glaubens sein. Sie werden sich auch immer unter dem römischen Lehramt stehend wissen. Aber sie werden anders sein als die westeuropäische Theologie, die bisher mehr oder weniger – trotz Nordamerika – die Einzige in der Kirche war. Es muss einen gewissen Pluralismus in der Theologie geben, einfach deswegen, weil wir plural verfasste Menschen sind, und weil die geschichtlichen und kulturellen Situationen in den einzelnen Ländern nicht dieselben sind; die Theologie aber diesen verschiedenen Situationen kultureller, geschichtlicher, sogar ethnologischer Art entsprechen muss.“33
Entsprechend aktiv war Karl Rahner zwischen 1971 und 1975 in der Würzburger Synode, die unter der Leitung von Kardinal Julius Döpfner zur Förderung der Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils [und zur Versöhnung der Kirche in Deutschland] beitragen sollte.34 Ab 1969 war er zudem Mitglied der Päpstlichen Internationalen Theologenkommission im ersten Quinquennium (bis 1974), in der er unter anderem auf Joseph Ratzinger35 und Hans Urs von Balthaser traf.
Auch in seinen letzten Lebensjahren war Karl Rahner unablässig produktiv. So erschien 1976 sein quasi theologisches Testament „Grundkurs des Glaubens“ und noch 1983, zusammen mit dem ökumenischen Theologen Heinrich Fries, das Spätwerk „Einigung der Kirchen – reale Möglichkeit“.
Aber Rahners Gesundheitszustand litt mittlerweile unter dem Riesenarbeitspensum, und er zog sich 1981 ganz nach Innsbruck zurück: „[…] es gibt eben auch ganz nüchtern das Alter, das immer näher dem Tod entgegengeht. Ein Alter in dem man abgebaut wird. […] Ich kann damit nur fertig werden, dass ich das in Geduld akzeptiere. Wenn ich den Eindruck habe, ich kann nicht mehr auf einen Fünftausender hinaufsteigen, dann bleibe ich eben unten. Und wenn ich den realen Eindruck habe, ich kann keine sechs Stunden im Tag geistig wirklich produktiv arbeiten, dann arbeite ich eben nur noch zwei oder drei Stunden und ich finde mich mit dieser Tatsache nüchtern ab. […] Ich warte ab! Wenn ich Angst vor dem Tod habe, werde ich mich mit meiner Angst in Gottes Gnade geben, und wenn ich diese Angst nicht habe, dann ist es auch gut, nicht wahr.“36
Karl Rahner starb am 30. März 1984, wenige Wochen nach seinem achtzigsten Geburtstag, und wurde fünf Tage später in der Krypta der Jesuitenkirche in Innsbruck beigesetzt.
2K. Rahner, Knechte Christi, 1967, S. 207
3K. Rahner, Erinnerungen, im Gespräch mit Meinold Krauss, 2001, S. 15 f. und 19 f.
4Ebd., S. 26 f.
5Ebd., S. 24
6Ebd., S. 32 f.
7Vgl. ebd., S. 32 f.
8Ebd., S. 21
9Ebd., S. 29 f.
10Ebd., S. 37 f.
11J. B. Metz, Fehlt uns Karl Rahner? – In: A. Raffelt (Hg.), Karl Rahner in Erinnerung, 1994, S. 85
12Vgl. (1) K. Lehmann, Philosophisches Denken im Werk Karl Rahners – In: A. Raffelt (Hg.), Karl Rahner in Erinnerung, 1994, S. 20. (2) Karl Rahner, Martin Heidegger zum 75. Geburtstag, 1964, Tonband: „Wenn ich sagen soll, warum ich ihm immer dankbar war und sein werde, was ich von ihm gelernt zu haben hoffe, dann kann und darf ich hier nicht seine unvergängliche Bedeutung für die Geschichte des Geistes im Abendland und in der Welt rühmen, nicht einmal alles zu sagen versuchen, was ich ihm zu danken habe. Nur ein Kostbares will ich versuchen, verständlich zu machen, dass ich von ihm mehr als von allen anderen Lehrern mit auf den Weg meines Lebens erhielt.“
13Vgl. ebd., S. 22
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