Dadalus Uggla
IM ENDEKREIS
DES JASAGERS
GESCHICHTEN UND GEDICHTE
AUS TEUTANIEN
Ein symphonisches Pamphlet
Über das Buch
'Im Wendekreis des Jasagers' ist ein flammendes Plädoyer für eine humanistische Lebensanschauung und den Sieg der Vernunft über die Gier des Menschen.
Im fiktiven, uns aber allen sehr wohl bekannten Land Teutanien, erleben Ugglas Figuren, unfassbare Geschichten auf der Zeitreise durch die letzten drei Jahrzehnte und die Gegenwart des (lange geteilten) Staates.
In dadaistisch-philosophischer Manier werden die gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen im heutigen Teutanien in einem pan- optikumartigen Kaleidoskop aus Kurzgeschichten, fiktiven Spielszenen, albtraumhaften Märchen, satirischen Gedichten und realen Begebenheiten messerscharf seziert und auf fast filmische Art und Weise analysiert.
Thematisiert werden dabei nicht nur der Mauerfall oder der 11. September, sondern auch die hochaktuellen politischen Entwicklungen der jüngsten teutanischen Gegenwart.
Die Botschaft ist unmissverständlich: Wenn die Menschheit, insbesondere die politische Kaste, weiterhin alle ihre Aktivitäten dem Streben nach noch mehr Wachstum und Profit der Wirtschaft unterordnet und die Ressourcen der Erde so ungezügelt weiter wie bisher ausbeutet, steuert die Bevölkerung Teutaniens und Europas auf eine ökonomische, gesellschaftliche und kulturelle Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes zu.
Dadalus Uggla hat die 'Geschichten aus Teutanien' in der strengen Form einer klassischen Symphonie in fünf Sätzen mit einem vorangestellten Präludium aufgebaut. Sie basieren auf dem kabarettistischen Blog http://www.dadalus.tv/, den der Autor seit 2010 betreibt und auf dem er jeden Tag aktuelle Geschichten, Bilder, Musik und Filme zu den Themen der Zeit präsentiert.
Copyright by Dadalus Uggla, 2014
All lyrics, stories and pictures by Dadalus Uggla
http://www.dadalus.tv/
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-943-645-07-1 Paperback
ISBN 978-3-943-645-08-8 E-Book
ISBN 978-3-943-645-09-5 E-Book Kindle
Dadalus Uggla
Für Anna
Für Liselotte und Kurt
Für unsere Enkel,
auf dass sie irgendwann in einem Land leben können,
das aus seiner Geschichte etwas gelernt hat.
Der Wahnsinn hat Methode. Die Vernunft leider nicht.
Les Préludes
Indianisches Wissen
orakelte schon lange vor unserer Zeit
den Untergang menschlichen Seins.
Man irrte sich nicht nur im Datum,
man irrte sich auch in der Form.
Nicht die Gestirne, nicht wütende Götter,
nicht brennende Berge oder flutendes Meer,
nur die Dämonen der Gier
bedrohen die Welt, die zivilisiert sich heut’ nennt.
Im Kampf um seltene Erden,
um Öl und um Gas,
werden erbitterte Kriege geführt,
auf der Perlenkette globaler Gestalt,
von Timbuktu bis nach Islamabad.
Als Terrorismus verteufelte Religionen
liefern den fadenscheinigen Grund und
im Namen der Wirtschaft,
genannt nationale Interessen,
ist sogar Völkermord wieder erlaubt.
In Europa hungert das Volk,
um als Sklave der Währung
unendlichem Wachstum zu dienen,
dessen Bedeutung alleine das Wörtchen
‘Profit’ suggeriert.
Korrupte Regierungen jeder Couleur
hecheln hilflos den Hasardeuren,
des Mammons hinterher,
fürstlich entlohnt,
um den Blick zu verschließen,
vor den Folgen der unstillbaren Gier.
Moral ist nicht mehr gefragt,
wenn Armut als Staatsdoktrin
kontinental sich als Seuche beweist.
Wer ohne zu Denken
dem Konsum noch frönt,
dem droht bald das Omen
von Kriegen um Wasser und Brot,
von Gewalt auf der Straße,
und von Seuchen und Tod.
Der Glaube an billige Ware,
wie die Werbung verheisst,
ist ein trügender Götze!
Auf der Waage des Reichtums
sind die Gewichte der menschlichen Würde
nicht mehr gerecht austariert.
Und die Kaste die heute regiert,
hat nicht mehr die Kraft,
das Orakel vom Ende der Welt abzuwenden,
zu groß ist die Angst,
vor dem Verlust von Reichtum und Macht.
(Capriccio für Heiner Müller)
Szene im hier und heute,
in einem Land ohne Morgen,
aber mit entsetzlicher Vergangenheit.
Der Jasager im komatösen Zustand
des morgendlichen Überlebenskampfes mit
den Exzessen der letzten Nacht,
ruht auf dem vollgekotzten Laken
misslungener Bedürfniserfüllungen.
An der Wand eine vergilbte Maske der Vernunft,
die noch niemals jemand benutzte.
Das Flachbild-Fenster der
bewegten Bilder
schreit zusammenhanglose Scheiße
in den halb abgedunkelten Raum:
YES WE CAN
Weil Geiz ist Geil
THE NEW FRAGRANT
Mit Drei-Wetter-Anti-Spliss im
Messie-Haushalt
Selbstverständlich alles BIO!
By the way:
In Kunduz wird wieder gestorben.
Im Nachhall der Schuhlando-Schreie
wurden im Frühstücksfernsehen schon drei
Ziegen gefickt.
Nur einfach so,
wegen der Quote
und ein Lamm geschlachtet.
Sein vergiftetes Fleisch über dem Feuer gegart,
danach auf einem Kräuterbett serviert;
warmes Essen als Illusion.
Prometheus, Du wurdest umsonst an den Felsen gekettet!
Deine Leber hätte dich heute retten können,
als einziges warmes Mahl.
Nun aber sind die Flügel der Krähen vom
Dreck der Geschichte
so verkrustet, dass die Vögel nicht einmal
Dich noch peinigen können.
Und es gibt fast nichts mehr, dass man guten Gewissens
hungerstillend ins Feuer werfen könnte.
Das goldene Drahtseil zwischen
Walhall und Olymp
wurde gekappt,
sagte der Mann in den Nachrichten.
Die Götter verstecken sich
hinter Bergen aus Geld und vermeiden den Kontakt
zu ihren Untertanen,
unwissend über den Zustand des Feuers und
seiner leeren Nutzlosigkeit in
den Zeiten pestilenzartig grassierender Armut.
Sisyphos rollt weinend den Stein hinab, weil
es keinen Sinn mehr machen würde,
sich den Berg hinauf zu quälen.
Ohne Lohn wird jeder Hügel sinnlos.
Watend durch die Überreste vorabendlicher Illusionen
und den klebrigen Schlamm verworfener Gedanken,
durch schlechten Alkohol und noch schlechteren
Sex auf irgend einem Straßenstrich,
rüstet sich der Jasager zum ersten
befreienden Scheißen am Morgen danach.
Der Tag beginnt so, wie er mit
vorgegaukelter Hoffnung versucht hat zu enden:
Mit dem Herunterspülen von Unrat.
THE SHOW MUST GO ON
Das Karussell dreht sich weiter,
immer in dieselbe Richtung.
Der Wendekreis des Jasagers ist
ein PERPETUUM MOBILE
abzüglich der Bewegung.
Liegen bleiben ohne
aufzustehen,
nur nicht auffallen,
DENKEN VERBOTEN.
Wer sich bewegt
kann sterben oder
IST SCHON TOT.
Nur im Flachbild-Fenster der
bewegten Bilder
sind alle wieder
GLÜCKLICH.
Diese Woche habe ich jeden Tag eine neue,
interessante Meldung gelesen:
Wohnen wird für den Bürger unbezahlbar!
Heizen wird für den Bürger unbezahlbar!
Mobilität wird für den Bürger unbezahlbar!
Energie wird für den Bürger unbezahlbar!
Gesunde Ernährung wird für den Bürger unbezahlbar!
Bildung wird für den Bürger unbezahlbar!
Gesundheit wird für den Bürger unbezahlbar!
Am achten Tag weinte ich, denn ich wusste:
Ich bin der Bürger.
In kaum etwas investiert der Mensch so viel,
wie in die Planung der Zukunft.
Dabei würde es die Gegenwart so viel erträglicher machen,
wenn er etwas aus der Vergangenheit gelernt hätte.
Sinfonia I
Intermezzo dramatique
Sinfonia II
Sinfonia III
Bilder aus Teutanien
Bolero pamphletissimo
Sinfonia I
Es war einmal ein Land. Das war groß und mächtig und führte zwei verheerende Kriege, die mehrere Kontinente in Schutt und Asche verwandelten. Danach waren die Siegermächte sich einig, dass dieses Land niemals wieder so viel Macht bekommen dürfe, dass es eine Gefahr für den internationalen Frieden darstellen würde. So teilten sie das Land in einen Ost- und einen Westteil. Fortan sollte eine mit Stacheldraht und Selbstschussanlagen bewehrte Grenze mit dem euphemistischen Namen ‘Antifaschistischer Schutzwall’ die Ostbürger des Landes vor den kapitalistischen Verlockungen des westlichen, gleichsprachigen und ehemals vereinten Nachbarn schützen. Und natürlich vor der Absicht, aus dem von einem totalitären Regime geführten Land in die Freiheit zu flüchten.
Im zu dieser Zeit größten bewohnten Gefängnis der Welt wurde ein Junge geboren. Er spielte schon eher Klavier nach Noten, als er lesen konnte und schrieb seine ersten Musikstücke bevor er wusste, was ein Rechenschieber ist. Als ihn seine Klassenlehrerin am ersten Schultag fragte, was er einmal werden wollte, antwortete der Knirps: ‘Ich bin Musikant.’ Das ist er dann auch geblieben. Bis heute. Aber alles der Reihe nach.
Der kleine Junge hatte Vater und Mutter. (Was jetzt tatsächlich noch nicht nach einer Sensation klingt.) Sein Vater war ein Berufsmusikant an einem weltberühmten Orchester einer großen Stadt in der Ostzone. Dieses Orchester durfte (und musste) oft für lange Konzerttourneen in den Westen reisen. Als Botschafter der ostzonalen Kulturszene sozusagen. Und um Devisen zu erwirtschaften, die das arme Land im Kommunismus dringend brauchte.
Er war ein kränkliches Geschöpf, der kleine Sohn des Ostorchestermusikantenvaters. Über lange Jahre seiner Kindheit fesselten ihn chronische Krankheiten, die erst in seiner frühen Jugendzeit kuriert werden konnten, immer wieder für längere Zeiten ans Bett. Um die bettlägerigen Phasen zu überwinden, las er den Bücherschrank des elterlichen Wohnzimmers leer. Alles was an Literatur darin stand: Scholochow, Hesse, Dostojewsky, Diderot, die Manns, Stefan Heym, Karl May. Nicht alles verstand er, aber vieles gefiel ihm. Besonders die Geschichte des klassenfeindlichen Schriftstellers Johannes M. Simmel, um den Geheimagenten wider Willen Thomas Lieven, der in der französischen Stadt Marseille eine ‘Hochschule’ für Gangster gründete, las er gleich mehrmals hintereinander. Und unser Knirps begriff: Es gab nur einen Weg, jemals seinen Fuß in die Stadt am Mittelmeer zu setzen, er musste, genau wie sein Vater, ein Musikinstrument zu seiner beruflichen Profession machen, um irgendwann einmal die Ostzone in Richtung Süden verlassen zu können.
Schnitt. Knirpse wachsen aus dem Schulalter heraus, lernen Instrumente, studieren Musik und werden Musikant. Gut, nicht alle, aber zumindest der kleine Sohn des Ostorchestermusikantenvaters. Der kleine Sohn wurde ein großer Sohn und ebenfalls Mitglied eines großen Orchesters, das ins benachbarte sowie auch ins ferne kapitalistische Ausland reisen durfte. Aber, der Sohn trat nun auch solistisch auf und erlangte, durch die Kunstfertigkeit ein Blechblasinstrument zu bedienen, eine gewisse Länder übergreifende Bekanntheit.
Dem Werben eines berüchtigten Geheimdienstes namens Staatssicherheit konnte der Sohn immer wieder erfolgreich widerstehen, obwohl man ihm innerhalb ‘persönlicher Gespräche’ ständig klar machte, dass ‘eine Verpflichtung’ Voraussetzung für weiteren Reisen ins kapitalistische Ausland seien. Trotz seiner standhaften Verweigerung, ein informeller Mitarbeiter des Geheimdienstes zu werden, lies man ihn zwar drohend, aber immer noch ungehindert die Grenze ins kapitalistische Ausland überqueren, in der Vorfreude auf die so dringend benötigten Devisen, die der angemahnte Sohn des Arbeiter-und Bauernstaates von seinen Tourneen wieder mit nach Hause bringen würde.
Der junge Künstler bereiste weiterhin ganz Europa und spielte viele Konzerte beim ärgsten Klassenfeind, im für Normalbürger unerreichbaren Nachbarland hinter dem eisernen Vorhang.
Aber manche Söhne haben dunkle Geheimnisse. So pflegte er schon in den Anfängen seiner Karriere geheime Kontakte zu zwielichtigen Subjekten, die dem kommunistischen Heimatland nicht sehr wohlgesonnen gegenüber standen. Künstler wie er, die aber ihre Werke nicht verlegen oder auftreten durften, weil sie Kritik an einem Regime übten, das ein ganzes Land geistig kontrollieren wollte.
Es waren nicht nur Steine.
Es war nicht nur Stacheldraht.
Es war nicht nur eine Mauer.
Es war nicht nur die Kontrolle der Gedanken.
Es war nicht nur die Unfreiheit des Einzelnen.
Es war nicht nur die Angst.
Es waren nicht nur die Toten.
Es war nicht nur ein Verbrechen.
Es war das jahrelange Versagen der Vernunft.
Der Musikant befand sich gerade auf einer Tournee durch die alpinen Länder des Kontinents. Bei seiner Ausreise hatte er das Manuskript eines bekannten Autors, der in der Ostzone des geteilten Landes nicht mehr verlegt werden durfte, in seinem Ostmusikantengepäck über die Grenze geschmuggelt und einem Mittelsmann auf einer Autobahnraststätte im bayerischen Teil des Landes übergeben. Was ihm beim Auffliegen des Unternehmens mindestens eine langjährige Haftstrafe in einem der berüchtigtsten Gefängnisse in einer kleinen Stadt nahe der polnischen Grenze eingehandelt hätte. Zuchthaus, russisches Arbeitslager oder ein plötzlicher Unfalltod wären als durchaus wahrscheinliche Alternativen vorstellbar gewesen.