Lori Nelson Spielman
Morgen kommt ein neuer Himmel
Roman
Aus dem Amerikanischen von Andrea Fischer
FISCHER E-Books
Lori Nelson Spielman gehört zu den erfolgreichsten Romanautorinnen weltweit. Der internationale Durchbruch gelang ihr mit ihrem ersten Roman, ›Morgen kommt ein neuer Himmel‹, der in 30 Ländern erschienen ist und in Deutschland der Jahresbestseller Belletristik 2014 war. Bevor sich Lori Nelson Spielman ganz dem Schreiben widmete, war sie Lehrerin. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer verwöhnten Katze in East Lansing, Michigan, U.S.A..
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Können Träume glücklich machen? Eine Mutter zeigt ihrer Tochter den Weg, ihre wahren Träume zu verwirklichen. Ein berührender Roman über die eine Liebe, die uns ein Leben lang nicht verlässt.
Wer verscheucht die Monster aus unseren Albträumen? Wer tröstet uns bei Liebeskummer? Und wer kennt uns besser, als wir uns selber kennen?
Als Brett 14 Jahre alt war, hatte sie noch große Pläne für ihr Leben, festgehalten auf einer Liste mit Lebenszielen. Heute, mit 34 Jahren, ist die Liste vergessen und Brett mit dem zufrieden, was sie hat: einen Freund, einen Job, eine schicke Wohnung. Doch als ihre Mutter Elizabeth stirbt, taucht die Liste wieder auf: Aus dem Mülleimer gefischt, hat ihre Mutter die Liste aufgehoben, und deren Erfüllung zur Bedingung gemacht, damit Brett ihr Erbe erhält – und zwar innerhalb von 12 Monaten.
Aber Brett ist nicht mehr das Mädchen von damals. Ein Baby bekommen? Das hat sie schon lange ad acta gelegt. Ein Pferd kaufen? In ihrer Wohnung sind nicht mal Haustiere erlaubt. Eine gute Beziehung zu ihrem Vater aufbauen? Ha – der ist seit sieben Jahren tot. Sich verlieben? Die einzig wahre, große Liebe gibt es doch nur im Film.
Um sie bei der Erfüllung ihrer Ziele zu unterstützen, hat ihre Mutter Brett mehrere Briefe hinterlassen. Wütend, enttäuscht und verletzt liest Brett den ersten Brief – und ist überwältigt von der liebevollen und fürsorglichen Nachricht ihrer Mutter, die gespürt hat, dass Brett in ihrem Leben nicht glücklich ist. Die Briefe ihrer Mutter rufen Brett dazu auf, ihre Träume nicht aufzugeben und ihr Leben in die Hand zu nehmen – denn nur sie selbst kann es ändern … Kann Elizabeth ihrer Tochter dabei helfen, sich selbst wiederzufinden?
Erschienen bei FISCHER E-Book
Die Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel
›The Life List‹ bei Bantam Books, Random House, Inc., New York.
© 2013 by Lori Nelson Spielman
Published by Arrangement with Lori Nelson Spielman.
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.
Für die deutschsprachige Ausgabe:
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2014
Covergestaltung und -abbildung: bürosüd°, München
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-402479-0
Für meine Eltern, Frank und Joan Nelson
»Wer nach außen schaut, träumt;
wer nach innen schaut, erwacht.«
Carl Gustav Jung
Stimmengemurmel dringt durch das Treppenhaus hinauf, undeutlich, irritierend, fern. Mit zitternden Händen schließe ich die Tür hinter mir. Die Welt verstummt. Ich lehne den Kopf gegen die Tür und atme tief ein. Das Zimmer riecht noch immer nach ihr – nach Eau d’Hadrien und Ziegenmilchseife. Das Eisenbett quietscht leise, als ich mich darauf lege. Ein Geräusch, so beruhigend wie das Klirren ihres Windspiels im Garten oder der Klang ihrer sanften Stimme, wenn sie mir sagte, wie lieb sie mich hat. An dieses Bett bin ich schon gekommen, als sie es noch mit meinem Vater teilte, habe über Bauchschmerzen geklagt oder über Gespenster unter meinem Bett. Jedes Mal holte Mama mich zu sich unter die Decke, hielt mich ganz fest, strich mir übers Haar und flüsterte: »Morgen kommt ein neuer Himmel, mein Schatz, wart’s nur ab.« Und wie durch ein Wunder erwachte ich am nächsten Morgen und sah bernsteingelbe Strahlen durch die Spitzengardine fallen.
Ich streife meine neuen schwarzen Pumps ab und reibe mir erleichtert die Füße. Rutsche nach hinten und lehne mich gegen die gelben Kopfkissen mit dem Paisleymuster. Dieses Bett werde ich behalten, beschließe ich. Egal, wer es haben will – es gehört mir. Auch dieses edle, alte Brownstone-Haus wird mir fehlen. »Das ist so robust wie Großmama«, hat meine Mutter gerne über ihr Heim gesagt. Doch für mich war kein Haus, kein Mensch jemals so zuverlässig wie Großmamas Tochter, meine Mutter Elizabeth Bohlinger.
Plötzlich habe ich eine Idee. Ich blinzle die Tränen weg und springe aus dem Bett. Sie hat die Flasche doch irgendwo hier oben versteckt, das weiß ich genau. Aber wo? Ich ziehe die Tür des Wandschranks auf. Blind tasten meine Hände zwischen der Designerkleidung umher. Ich zerre an den Seidenblusen, die sich wie ein Theatervorhang teilen. Da liegt sie im Schuhregal, wie ein Baby in der Wiege: eine Flasche Krug Champagner, die die letzten vier Monate im Kleiderschrank verbracht hat.
Kaum halte ich sie in den Händen, überfallen mich Schuldgefühle. Dieser Champagner gehört meiner Mutter, nicht mir. Sie hat sich die unverschämt teure Flasche geleistet, als wir von ihrem ersten Arzttermin nach Hause kamen, und sie umgehend versteckt, damit sie nicht mit den anderen Flaschen im Keller verwechselt würde. Sie sei ein Symbol der Hoffnung, hat meine Mutter erklärt. Wenn man ihr am Ende der Behandlung bescheinigte, dass sie gesund wäre, würde sie den teuren Champagner zusammen mit mir öffnen, um das Wunder des Lebens zu feiern.
Ich knibbele an der Alufolie und beiße mir auf die Lippe. Ich kann ihn nicht trinken. Die Flasche war für einen feierlichen Anlass gedacht, nicht für eine trauernde Tochter, die zu labil ist, um das Beerdigungsessen durchzustehen.
Ich entdecke einen anderen Gegenstand, er muss hinter der Champagnerflasche versteckt gewesen sein. Ich hole ihn heraus. Es ist ein schmales rotes Büchlein – ein Tagebuch, vermute ich –, zugebunden mit einem verblichenen, gelben Bändchen. Der Ledereinband ist rissig und abgegriffen. Für Brett, hat Mama auf den herzförmigen Geschenkanhänger geschrieben. Bewahr es auf für einen Tag, an dem Du Dich stärker fühlst. Heute trinke ein Glas auf uns, mein Liebling. Was waren wir zwei für ein gutes Team! In Liebe, Mama
Ich fahre mit dem Finger über ihre Handschrift, die nicht so regelmäßig war, wie man es von einem so schönen Menschen erwartet hätte. Es brennt mir in der Kehle. Auch wenn meine Mutter mir ein glückliches Ende versprochen hatte, wusste sie, dass der Tag kommen würde, an dem ich Hilfe bräuchte. Sie hat mir für heute Champagner und für die Zukunft einen kleinen Teil ihres Lebens, ihrer persönlichen Gedanken und Grübeleien in Form eines Tagebuchs hinterlassen.
Ich kann nicht bis morgen warten. Ich betrachte das Büchlein, will lesen, was sie geschrieben hat. Am liebsten sofort. Nur ein kurzer Blick, mehr nicht. Doch als ich an dem gelben Band nestele, sehe ich sie plötzlich vor mir. Sie schüttelt tadelnd den Kopf. Ich schiele auf die Karte und bin hin- und hergerissen zwischen ihren Wünschen und meinen. Schließlich lege ich das Büchlein beiseite. »Dir zuliebe warte ich«, flüstere ich und hauche einen Kuss auf den Deckel.
Ein Schluchzen steigt in mir auf und durchbricht die Stille. Ich versuche noch, es aufzuhalten, aber es ist zu spät. Ich fange an zu zittern, schlinge die Arme um meinen Körper und vergehe fast vor Sehnsucht nach meiner Mutter. Wie soll ich bloß ohne sie weiterleben? Ich bin doch ihr kleines Mädchen.
Ich greife nach dem Champagner, klemme die Flasche zwischen die Knie und lasse den Korken knallen. Er schießt quer durchs Zimmer und trifft das offene Fläschchen Kytril, ihr Mittel gegen die Übelkeit, das auf dem Nachttisch steht. Klirrend kippt es um, die kleinen Tabletten kullern heraus. Ich sammle sie schnell wieder ein und denke daran, wie ich meine Mutter das erste Mal darum bat, sie zu nehmen. Sie hatte gerade ihre erste Chemotherapie hinter sich und gab sich mir zuliebe zuversichtlich. »Mir geht’s gut, wirklich. Ich hatte schon schlimmere Schmerzen.«
Aber in der Nacht überrollte sie die Übelkeit wie ein Tsunami. Mama nahm die weiße Tablette und bat später um eine zweite. Ich blieb neben ihr liegen, bis das Medikament Wirkung zeigte und sie einschlafen konnte. Ich schmiegte mich an sie, in diesem Bett, strich ihr übers Haar und drückte sie eng an mich, genau wie sie es so oft mit mir gemacht hatte. Dann schloss ich voller Verzweiflung die Augen und flehte Gott an, meine Mutter gesund zu machen.
Er erhörte mich nicht.
Ich lasse die Tabletten in das Plastikfläschchen fallen, drehe den Deckel aber nicht zu, sondern stelle sie an den Rand des Nachttischs, nah ans Bett, damit sie gut drankommt. Aber … meine Mutter ist ja nicht mehr da. Sie wird keine Tablette mehr brauchen.
Ich aber brauche den Champagner. »Auf dich, Mama«, flüstere ich, und meine Stimme bricht. »Ich war so stolz darauf, deine Tochter zu sein. Das wusstest du doch, oder?«
Es dauert nicht lange, da dreht sich das Zimmer, aber immerhin lässt der Schmerz nach. Ich stelle die Flasche auf den Boden und schlage die Daunendecke zurück. Der kühle Baumwollsatinstoff riecht schwach nach Lavendel. Es fühlt sich dekadent an, hier zu liegen, abseits der Menschen, die sich im Erdgeschoss tummeln. Ich wühle mich tiefer in die Kissen, um noch einen kurzen Moment der Stille zu genießen, bevor ich wieder nach unten gehe. Nur noch eine Minute …
Ein lautes Klopfen schreckt mich auf. Ich fahre hoch. Es dauert ein wenig, bevor mir klarwird, wo ich bin … Verdammt, das Essen! Ich schieße aus dem Bett, will zur Tür und stolpere dabei über die Champagnerflasche.
»Autsch! Ah, so’n Mist!«
»Alles in Ordnung, Brett?«, fragt meine Schwägerin Catherine in der offenen Tür. Bevor ich etwas erwidern kann, kommt sie mit einem spitzen Schrei herein. Sie hockt sich vor den nassen Fleck und hebt die Flasche auf. »Mein Gott! Du hast einen Clos du Mesnil von 1995 umgekippt?«
»Zuerst habe ich das meiste davon getrunken.« Ich lasse mich neben sie sinken und betupfe den Perserteppich mit dem Saum meines Kleides.
»Du meine Güte, Brett. Diese Flasche hat mindestens siebenhundert Dollar gekostet.«
»Tja.« Ich rappele mich auf und schiele auf meine Uhr, aber die Ziffern sind verschwommen. »Wie spät ist es?«
Catherine streicht ihr schwarzes Leinenkleid glatt. »Gleich zwei. Das Essen wird gerade serviert.« Sie schiebt sich eine Strähne hinters Ohr. Obwohl ich sie um gut zehn Zentimeter überrage, fühle ich mich in ihrer Gegenwart immer wie ein ungestümes Kleinkind. Fast rechne ich damit, dass sie an ihrem Finger leckt und meinen Haarwirbel glättet. »Du siehst wirklich schlecht aus, Brett«, sagt sie und zupft an meiner Perlenkette. »Deine Mutter wäre die Erste, die dir sagen würde, dass du dich trotz deiner Trauer nicht vernachlässigen darfst.«
Das stimmt nicht. Meine Mutter würde sagen, ich sähe hübsch aus, selbst wenn mein Make-up verlaufen wäre. Sie würde nicht sagen, ich hätte ein Vogelnest auf dem Kopf, sondern würde behaupten, dass meine langen kastanienbraunen Locken durch die Luftfeuchtigkeit krauser würden, dass meine aufgedunsenen, rotgeränderten Augen immer noch den seelenvollen braunen Augen eines Poeten glichen.
Ich spüre, wie mir die Tränen kommen, und wende mich ab. Wer soll jetzt mein Selbstbewusstsein stärken, da meine Mutter nicht mehr ist? Ich bücke mich nach der leeren Flasche, aber der Boden kippt und dreht sich. O Gott! Ich bin auf einem Segelboot, mitten in einem Wirbelsturm. Ich halte mich an der Bettkante fest, als wäre sie meine Rettungsleine, und warte, dass sich der Sturm legt.
Catherine neigt den Kopf zur Seite, betrachtet mich, klopft sich mit ihrem perfekt manikürten Finger auf die Unterlippe. »Hör zu, Süße, warum bleibst du nicht einfach hier? Ich bringe dir einen Teller hoch.«
Hier bleiben? Von wegen! Das ist das Essen zu Ehren meiner Mutter. Ich muss nach unten. Aber ich kann alles nur ganz verschwommen sehen und meine Schuhe nicht finden. Ich drehe mich um meine eigene Achse. Was suche ich noch mal? Barfuß stolpere ich zur Tür, dann fällt es mir wieder ein. »Ach ja, die Schuhe. Kommt raus, egal wo ihr euch versteckt!« Ich gehe in die Hocke und spähe unters Bett.
Catherine packt mich am Arm und zieht mich hoch. »Hör auf, Brett! Du bist betrunken. Ich stecke dich jetzt ins Bett, dann kannst du deinen Rausch ausschlafen.«
»Nein!« Ich wehre sie ab. »Ich muss nach unten.«
»Musst du nicht. Deine Mutter würde nicht wollen, dass du …«
»Ah, da sind sie ja.« Ich finde meine neuen schwarzen Pumps und versuche, die Füße hineinzuschieben. Mann, in der letzten Stunde müssen sie um zwei Nummern gewachsen sein.
So gut ich kann, torkele ich durch den Flur, die Füße nur halb in den Schuhen. Die Hände ausgestreckt, um das Gleichgewicht zu halten, taumle ich wie eine Flipperkugel von einer Wand zur anderen. Hinter mir höre ich Catherine. Ihre Stimme ist streng, aber leise, als spreche sie durch zusammengebissene Zähne. »Brett! Bleib sofort stehen!«
Sie ist bescheuert, wenn sie glaubt, dass ich das Beerdigungsessen ausfallen lasse. Es findet zu Ehren meiner Mutter statt. Meiner wunderbaren, liebevollen Mutter …
Ich stehe oben auf der Treppe, versuche noch immer, meine geschwollenen Füße in die Barbie-Schühchen zu quetschen. Auf halber Höhe knicke ich plötzlich mit dem Knöchel um.
»Aua!«
Alle Gäste, die gekommen sind, um meiner Mutter die letzte Ehre zu erweisen, drehen sich zu mir um. Ich sehe entsetzte Frauen, die die Hand vor den Mund schlagen, und Männer, die mir erschrocken entgegenstürzen, um mich aufzufangen.
Wie ein Häufchen Elend lande ich unten in der Eingangshalle, das schwarze Kleid bis zum Oberschenkel hochgeschoben, ein Schuh fehlt.
Das Geräusch klappernden Geschirrs weckt mich. Ich wische mir den Speichel aus dem Mundwinkel und setze mich auf. Mein Kopf dröhnt und fühlt sich schwer an. Ich blinzele mehrmals und sehe mich um. Ich bin im Haus meiner Mutter. Gut. Sie hat bestimmt ein Aspirin für mich. Ich merke, dass es im Wohnzimmer dunkel ist, Menschen huschen umher, stapeln Teller und Gläser in braune Plastikwannen. Was ist hier los? Dann trifft es mich wie mit einem Baseballschläger. Mein Hals zieht sich zu, ich lege die Hand auf den Mund. Der große Schmerz, das Leid und die Traurigkeit stürzen von neuem auf mich ein.
Ich habe gehört, ein langer Kampf gegen den Krebs sei schlimmer als ein kurzer, aber ich bin nicht überzeugt, ob das auch für die Hinterbliebenen gilt. Die Diagnose und der Tod meiner Mutter folgten so schnell aufeinander, dass es fast surreal wirkte, wie ein Albtraum, aus dem ich mit einem Schrei der Erleichterung erwache. Aber stattdessen wache ich viel zu oft auf, habe im Schlaf die Tragödie vergessen und bin gezwungen, den Verlust immer wieder aufs Neue zu durchleben, wie Bill Murray in Und täglich grüßt das Murmeltier. Werde ich je damit leben können, den Menschen in meinem Leben zu vermissen, der mich bedingungslos geliebt hat? Werde ich je an meine Mutter denken können, ohne dass sich meine Brust vor Kummer zusammenzieht?
Ich reibe mir die pochenden Schläfen, und verschwommene Szenen erscheinen vor meinem inneren Auge, erinnern mich an das demütigende Fiasko auf der Treppe. Am liebsten würde ich im Boden versinken.
»Hey, du Schlafmütze!« Shelley, meine andere Schwägerin, kommt mit der dreimonatigen Emma auf dem Arm zu mir herüber.
»O Gott!«, stöhne ich und schlage die Hände vors Gesicht. »Ich bin so was von dämlich.«
»Warum? Meinst du, du bist die Einzige, die jemals zu viel getrunken hat? Wie geht’s deinem Knöchel?«
Ich hebe eine Tüte mit größtenteils geschmolzenen Eiswürfeln von meinem Fuß und drehe ihn im Kreis. »Geht schon wieder.« Ich schüttele den Kopf. »Der wird schneller wieder fit als mein Ego. Wie konnte ich meiner Mutter so was antun?« Ich lege die Tüte mit Eiswasser auf den Boden und erhebe mich vom Sofa. »Auf einer Skala von eins bis zehn, Shel, wie schlimm war ich?«
Sie winkt ab. »Ich hab allen erzählt, dass du unter Erschöpfung leidest. Haben sie mir abgekauft. War auch nicht besonders schwer, denn du sahst aus, als hättest du seit Wochen nicht geschlafen.« Sie wirft einen Blick auf die Uhr. »Hör zu, Jay und ich machen uns gleich auf den Weg, es ist schon nach sieben.«
In der Eingangshalle sehe ich Jay, der vor seinem dreijährigen Sohn kniet und die Arme von Trevor in eine grellgelbe Regenjacke schiebt, in der der Kleine aussieht wie ein Feuerwehrmann in Miniatur. Als seine kristallblauen Augen mich entdecken, quietscht er: »Tante Bwett!«
Mein Herz tut einen Hüpfer, und ich hoffe im Stillen, dass mein Neffe niemals lernt, das R auszusprechen. Ich gehe zu ihm und wuschele durch seine Haare. »Wie geht’s meinem großen Jungen?«
Jay hakt den Metallverschluss an Trevors Kragen ein und richtet sich auf. »Da ist sie ja.« Wenn mein Bruder nicht die verräterischen Krähenfüße über seinen Lachgrübchen hätte, sähe er eher aus wie sechsundzwanzig als wie sechsunddreißig. Er legt den Arm um mich. »Ausgeschlafen?«
»Tut mir wirklich leid«, sagte ich und wische die verschmierte Wimperntusche unter meinem Auge weg.
Er drückt mir einen Kuss auf die Stirn. »Kein Problem. Uns ist allen klar, dass es für dich am schwersten ist.«
Damit meint er, dass ich von den drei Bohlinger-Kindern als Einzige noch keine eigene Familie habe. Mama hat mir am meisten bedeutet. Mein Bruder hat Mitleid mit mir.
»Wir trauern doch alle«, sage ich und löse mich von ihm.
»Aber du warst ihre Tochter«, sagt mein ältester Bruder Joad, der gerade um die Ecke in die Eingangshalle kommt. Sein drahtiger Körper verschwindet fast hinter einem gewaltigen Blumenstrauß. Anders als Jay, der seine schütteren Strähnen streng nach hinten kämmt, rasiert Joad sich den Schädel glatt wie ein Ei, was ihm zusammen mit seiner randlosen Brille das Aussehen eines hippen Künstlers verleiht. Er gibt mir einen Kuss auf die Wange. »Ihr beide hattet eine besondere Beziehung. Jay und ich hätten es ohne dich nicht geschafft, besonders zum Ende hin.«
Das stimmt. Als bei Mama im vergangenen Frühjahr Eierstockkrebs diagnostiziert wurde, überzeugte ich sie, mit meiner Unterstützung dagegen zu kämpfen. Ich war diejenige, die sie nach der Operation pflegte, die bei jeder Chemo neben ihr saß, die auf eine zweite, dann eine dritte Meinung bestand. Und als sich alle Experten einig waren, dass Mama kaum Chancen hatte, war ich bei ihr, als sie beschloss, die strapaziöse Behandlung zu beenden.
Jay drückt mir die Hand, seine blauen Augen glänzen vor Tränen. »Wir sind für dich da. Das weißt du doch, oder?«
Ich nicke und ziehe ein Taschentuch heraus.
Shelley kommt in die Eingangshalle, Emmas Kindersitz in der Hand, und unterbricht unsere stille Trauer. »Schatz, könntest du den Elefantenbaum mitnehmen, den meine Eltern geschenkt haben?«, fragt sie ihren Mann und wirft erst Joad, dann mir einen kurzen Blick zu. »Ihr wollt ihn doch nicht haben, oder?«
Joad weist mit dem Kinn auf den Blumenstrauß in seinen Armen, falls sie ihn übersehen haben sollte. »Hab selbst die Hände voll.«
»Ihr könnt ihn haben«, sage ich und staune, dass sich jemand Gedanken um eine Pflanze macht, wo unsere Mutter doch gerade erst gestorben ist.
Meine Geschwister verlassen mit ihren Angetrauten das Brownstone-Haus und treten in den nebligen Septemberabend, während ich in der Palisandertür stehe, wie Mama es immer tat. Catherine geht als Letzte. Sie schiebt ein Hermès-Tuch in ihre Wildlederjacke.
»Bis morgen«, sagt sie und drückt mir einen rosafarbenen Kuss auf die Wange.
Ich stöhne. Als ob es nicht schon genug Spaß macht zu entscheiden, wer welche Pflanze bekommt, wird am nächsten Morgen um halb elf das gesamte Vermögen unserer Mutter an ihre Kinder verteilt, wie auf einer Feier zur Verleihung des Bohlinger-Preises. In wenigen Stunden werde ich Geschäftsführerin von Bohlinger Cosmetics und damit Catherines Chefin sein – und ich bin alles andere als überzeugt, ob ich damit umgehen kann.
Die stürmische Nacht findet irgendwann ein Ende und weicht einem wolkenlosen blauen Morgen. Ein gutes Omen, finde ich. Auf dem Rücksitz eines Lincoln Town Car blicke ich durch die Scheibe auf das aufgewühlte Ufer des Lake Michigan und gehe im Kopf durch, was ich sagen werde: Oh, ich bin überwältigt! Was für eine Ehre! Ich werde unsere Mutter niemals ersetzen können, aber ich werde mein Bestes tun, um die Firma weiter voranzubringen.
Mein Kopf dröhnt, und ich schimpfe wieder mit mir, den verfluchten Champagner getrunken zu haben. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Mir geht es nicht gut – nicht nur körperlich. Wie konnte ich das meiner Mutter bloß antun? Und wie soll ich erwarten, dass meine Geschwister mich noch ernst nehmen? Ich hole den Kompaktpuder aus der Handtasche und betupfe meine Wangen. Heute muss ich gefasst und tüchtig wirken – wie eine Geschäftsführerin eben. Meine Brüder müssen spüren, dass ich mit der Verantwortung umgehen kann, auch wenn ich nicht immer in der Lage bin, mit Alkohol umzugehen. Werden sie stolz auf ihre kleine Schwester sein, die mit vierunddreißig von der Werbefachfrau zur Direktorin eines großen Unternehmens wird? Ich glaube schon, trotz des Debakels vom Vortag. Sie sind selbst in ihren Berufen erfolgreich, und abgesehen von ihren Aktien, haben sie nur wenig mit dem Familienbetrieb zu tun. Shelley ist Logopädin und als Mama voll beschäftigt. Es ist ihr piepegal, wer die Firma ihrer Schwiegermutter führt.
Es ist Catherine, vor der ich Angst habe.
Meine Schwägerin, Absolventin der angesehenen Wharton School of Business und Mitglied der amerikanischen Synchronschwimmermannschaft bei den Olympischen Spielen 1992, hat den Grips, die Beharrlichkeit und den Ehrgeiz, drei Firmen gleichzeitig zu leiten.
In den vergangenen zwölf Jahren war sie stellvertretende Geschäftsführerin von Bohlinger Cosmetics und Mamas rechte Hand. Ohne Catherine wäre das Unternehmen ein kleines, wenn auch florierendes Heimgewerbe geblieben. Doch als Catherine an Bord kam, überzeugte sie Mama, das Angebot zu vergrößern. Anfang 2002 erfuhr Catherine von einer neuen Kategorie der Oprah Winfrey Show, die »Meine Empfehlungen« heißen sollte. Einundzwanzig Wochen nacheinander schickte sie exklusiv verpackte Pakete mit Bohlingers organischen Seifen und Cremes ins Fernsehstudio, zusammen mit Fotos und Zeitungsartikeln über die Firma, die umweltfreundlich nur mit Naturprodukten arbeitet. Als Catherine gerade die zweiundzwanzigste Lieferung vorbereitete, rief Oprah Winfreys Produktionsfirma an. Die Talkmasterin hätte Bohlingers organische Gesichtsmaske mit Schwarztee und Traubenkernen ausgewählt und wolle sie in der Show empfehlen.
Die Folge wurde gesendet, und die Verkaufszahlen explodierten. Plötzlich wollte jedes Schönheitsstudio und jedes hochwertige Kaufhaus die Bohlinger-Linie haben. Innerhalb von sechs Monaten wurde die Produktion vervierfacht. Drei große Firmen boten fast unanständige Summen, um Bohlinger Cosmetics vom Fleck weg zu kaufen, doch Catherine überzeugte meine Mutter, das Unternehmen zu behalten. Stattdessen eröffnete sie Läden in New York, L. A., Dallas und Miami; zwei Jahre später expandierte sie auf die Märkte in Übersee. Auch wenn ich mir gerne einbilden würde, dass mein Marketingtalent zum Erfolg beitrug, wurde die Firma in erster Linie durch Catherine Humphries-Bohlinger zu einem millionenschweren Konzern.
Das ist unbestritten. Catherine ist die Bienenkönigin, und als Leiterin der Marketingabteilung bin ich bis jetzt eine ihrer loyalen Arbeiterinnen gewesen. Aber in wenigen Minuten werden wir die Rollen tauschen. Ich werde Catherines Chefin werden – eine Vorstellung, die mir eine Heidenangst einjagt.
Als meine Mutter im vergangenen Juni mit ihrer Chemotherapie kämpfte und nur noch selten bei Bohlinger Cosmetics auftauchte, rief mich Catherine in ihr Büro.
»Es ist wichtig, dass du einen Überblick über das Unternehmen bekommst, Brett«, sagte sie, die Hände vor sich gefaltet auf ihrem Kirschbaumschreibtisch. »So gerne wir auch die Augen davor verschließen möchten, aber unser Leben wird sich ändern. Du musst auf deine Rolle vorbereitet sein.«
Sie glaubte, meine Mutter würde sterben! Wie konnte sie bloß vom Schlimmsten ausgehen? Aber Catherine war realistisch, sie irrte sich nur selten. Ich erschauderte.
»Die Firmenanteile deiner Mutter werden in deinen Besitz übergehen, wenn sie verstirbt. Schließlich bist du ihre einzige Tochter und das einzige Kind, das in der Firma arbeitet. Und du bist hier länger angestellt als jeder andere.«
Ich hatte einen Kloß im Hals. Meine Mutter prahlte immer, dass ich noch Windeln trug, als ich zur Firma stieß. Sie stopfte mich in die Babytrage, hievte mich auf den Rücken, und dann zog sie los, um in den ortsansässigen Läden und auf Bauernmärkten ihre Seifen und Cremes anzupreisen.
»Und als Mehrheitsaktionärin«, fuhr Catherine fort, »hast du Anrecht auf die Position der Geschäftsführerin.«
Irgendetwas in ihrem kühlen, gefassten Tonfall brachte mich auf die Frage, ob sie das störte. Aber wer wollte es ihr verübeln? Die Frau war hervorragend. Und ich – ich war zufällig Elizabeths Tochter.
»Ich werde dich darauf vorbereiten – nicht dass du nicht schon so weit wärst, aber ein bisschen mehr Einblick tut immer gut.« Sie öffnete ihren Kalender im Computer. »Wir können morgen früh anfangen, Punkt acht.« Das war keine Frage, das war ein Befehl.
Also setzte ich mich jeden Morgen auf einen Stuhl neben Catherine und hörte zu, wie sie mir die Geschäftskontakte in Übersee, die internationale Steuergesetzgebung und die täglichen Abläufe in der Firma erklärte. Sie schickte mich zu einem einwöchigen Seminar an der Harvard Business School, damit ich die neuesten Managementkniffe lernte, und schrieb mich in Internet-Workshops zu Themen wie Budgetstraffung oder Mitarbeiterführung ein. Auch wenn ich mich oft überrumpelt fühlte, erwog ich nie auszusteigen. Ich würde mich geehrt fühlen, die Krone zu tragen, die bisher meiner Mutter gehört hatte. Ich hoffte bloß, dass meine Schwägerin nicht bedauern würde, mir beim Polieren geholfen zu haben.
Der Fahrer meiner Mutter setzt mich an der Randolph Street 200 ab, und ich schaue an dem Gebäude aus Granit und Stahl hinauf, dem Aon Center von Chicago. Büroräume in diesem Wolkenkratzer müssen ein Vermögen kosten. Mamas Anwalt ist offenbar kein Versager. Ich fahre hinauf in den 32. Stock, und um Punkt zehn Uhr dreißig führt mich Claire, eine attraktive Rothaarige, in Mr Midars Büro, wo meine Brüder und ihre Frauen bereits an einem rechteckigen Mahagonitisch sitzen.
»Darf ich Ihnen einen Kaffee bringen, Ms Bohlinger?«, fragt Claire. »Oder vielleicht einen Tee? Wasser?«
»Nein danke.« Ich nehme den Stuhl neben Shelley und schaue mich um. Mr Midars Büro ist eine eindrucksvolle Mischung aus Alt und Neu. Die Einrichtung selbst ist kühl-modern, Granit und Glas, jedoch aufgelockert durch Orientteppiche und einige antike Möbelstücke. Der Raum wirkt übersichtlich und beruhigend.
»Nett hier«, bemerke ich.
»Ja, oder?«, sagt Catherine auf der anderen Seite des Tisches. »Ich liebe Stone-Architektur.«
»Ich auch. Hier wurde ja genug Granit für einen ganzen Steinbruch verbraucht.«
Catherine schmunzelt, als sei ich ein Dreikäsehoch, der gerade einen Witz gemacht hat. »Ich meinte Edward Durell Stone«, sagt sie. »Den Architekten.«
»Ah, ja.« Gibt es denn nichts, was diese Frau nicht weiß? Statt mich zu beeindrucken, gibt mir Catherines Intelligenz immer das Gefühl, dumm zu sein, ihre Stärke vermittelt mir das Gefühl, schwach zu sein, und durch ihr Können fühle ich mich so überflüssig wie Shapewear am Körper von Victoria Beckham. Ich habe Catherine wirklich gern, aber meine Minderwertigkeitskomplexe beeinträchtigen diese Zuneigung – ob aufgrund meiner Unsicherheit oder wegen Catherines Arroganz, weiß ich nicht genau. Meine Mutter sagte mal zu mir, ich besäße Catherines Verstand, aber nur einen Bruchteil ihres Selbstbewusstseins. Dann flüsterte sie: »Gott sei Dank.« Es war das einzige Mal, dass ich sie schlecht über die ach so kluge Katharina die Große reden hörte, aber diese kleine unzensierte Bemerkung spendet mir unglaublichen Trost.
»Ursprünglich wurde das Gebäude für die Standard Oil Company errichtet«, fährt sie fort, als würde es mich interessieren. »1973, wenn ich mich nicht irre.«
Jay rollt auf seinem Stuhl zurück, aus Catherines Gesichtsfeld heraus, und gähnt demonstrativ. Joad hingegen ist ganz gefesselt vom Wissen seiner Frau.
»Sehr gut, Schatz. Das dritthöchste Gebäude in Chicago«, sagt er und sieht Catherine an, als warte er auf Bestätigung. Auch wenn mein großer Bruder einer der angesehensten jungen Architekten dieser Stadt ist, spüre ich doch, dass auch er ein wenig eingeschüchtert ist von den Talenten der Frau, die er geheiratet hat. »Größer sind nur der Trump Tower und der Willis Tower.«
Catherine sieht mich an. »Der Willis Tower, weißt du? Der ehemalige Sears Tower.«
»Der Sears Tower?«, frage ich und reibe mir mit gespielter Verwunderung das Kinn. »Wofür braucht ein Kaufhaus wie Sears so einen riesigen Turm?«
Jay auf der anderen Seite des Tisches grinst. Aber Catherine beäugt mich, als sei sie nicht ganz sicher, ob ich scherze. Dann fährt sie mit ihrer Lektion fort. »Dieses Gebäude hat dreiundachtzig Stockwerke und …«
Der Vortrag zum Thema Architektur findet ein abruptes Ende, als die Tür aufgeht und ein großer Mann mit zerzaustem Haar leicht atemlos hereinkommt. Er muss um die vierzig sein. Er fährt sich mit der Hand durchs dunkle Haar und rückt seine Krawatte zurecht. »Hallo, alle zusammen«, grüßt er und begibt sich an den Tisch. »Ich bin Brad Midar. Tut mir leid, dass Sie warten mussten.« Er geht um den Tisch herum und reicht jedem von uns die Hand, während wir uns mit Namen vorstellen. Sein eindringlicher Blick wird von einem leichten Überbiss gemildert, der ihm einen jungenhaften Charme verleiht. Ich frage mich, ob meine Brüder dasselbe denken wie ich. Warum hat unsere Mutter diesen jungen Hüpfer engagiert, einen völlig Fremden, statt Mr Goldblatt zu nehmen, der seit Jahren der Anwalt unserer Familie ist?
»Ich komme gerade von einem Termin auf der anderen Seite der Stadt«, erklärt Midar und setzt sich auf den Stuhl am Kopfende, mir schräg gegenüber. »Ich habe nicht damit gerechnet, dass es so lange dauert.«
Er legt eine Aktenmappe auf den Tisch. Ich schiele zu Catherine hinüber, die mit Stift und Block dasitzt, um sich Notizen zu machen. Ich zucke zusammen. Warum habe ich nicht daran gedacht, mir Notizen zu machen? Wie will ich ein großes Unternehmen leiten, wenn ich noch nicht mal an einen Schreibblock denken kann?
Mr Midar räuspert sich. »Zuerst einmal möchte ich Ihnen sagen, wie leid mir Ihr Verlust tut. Ich habe Elizabeth sehr gemocht. Wir haben uns erst im Mai kennengelernt, direkt nach ihrer Diagnose, aber irgendwie habe ich das Gefühl, als hätte ich sie sehr lange gekannt. Ich konnte gestern nach der Beerdigung leider nicht lange beim Essen bleiben. Aber ich möchte gerne sagen, dass ich als ihr Freund da war, nicht nur als Anwalt.«
Auf der Stelle mag ich diesen Mann, der sich Zeit genommen hat, zur Beerdigung meiner Mutter zu gehen – einer Frau, die er höchstens sechzehn Wochen lang gekannt hat. Ich denke an den Anwalt in meinem Leben, meinen Freund Andrew, der meine Mutter seit vier Jahren kannte, aber sich keine Zeit freischaufeln konnte, um an dem Essen gestern teilzunehmen. Ich verdränge den Kummer. Immerhin steckt Andrew mitten in einem Prozess. Und er hatte sich ja für die Beerdigung freigenommen.
»Gleichwohl«, fährt Mr Midar fort, »fühle ich mich geehrt, als ihr Nachlassverwalter zu fungieren. Sollen wir beginnen?«
Eine Stunde später verfügen die von meiner Mutter bevorzugten Wohltätigkeitsorganisationen über deutlich mehr Kapital, und Jay und Joad Bohlinger sind so reich, dass sie für den Rest des Lebens die Hände in den Schoß legen könnten. Wie hat Mama nur so viel Geld anhäufen können?
»Brett Bohlinger wird ihr Erbe zu einem späteren Zeitpunkt antreten.« Mr Midar nimmt die Lesebrille ab und schaut mich an. »Hier ist ein Sternchen. Das erkläre ich später genauer.«
»Gut«, sage ich und kratze mich am Kopf. Warum wollte Mama mir mein Erbe nicht direkt geben? Vielleicht hat sie das in dem kleinen roten Tagebuch erklärt, das sie mir hinterlassen hat. Doch dann dämmert es mir. Ich soll die ganze Firma bekommen, die inzwischen Millionen wert ist. Gott allein weiß, wie sie sich unter meiner Führung machen wird. Ein dumpfer Schmerz sticht mir in den Schläfen.
»Als Nächstes geht es um das Haus Ihrer Mutter.« Mr Midar setzt seine Lesebrille wieder auf, sucht die betreffende Stelle in seinen Unterlagen und liest vor: »North Astor Street 113 und der gesamte Hausrat werden zwölf Monate lang unangetastet bleiben. Weder das Gebäude noch das Mobiliar dürfen in dieser Zeit verkauft oder vermietet werden. Meine Kinder dürfen das Haus höchstens dreißig Tage in Folge bewohnen, aber gerne Gegenstände für ihren persönlichen Bedarf verwenden.«
»Im Ernst?« Joad sieht Mr Midar fragend an. »Wir haben doch alle selbst ein Haus. Wir müssen ihres nicht behalten.«
Ich spüre, dass ich rot anlaufe, und senke den Blick auf meine Fingernägel. Mein Bruder ist offensichtlich der Meinung, ich sei Miteigentümerin der Wohnung, in der ich mit Andrew lebe. Auch wenn ich dort wohne und mehr Geld hineingesteckt habe als er, seit Andrew sie vor drei Jahren gekauft hat, stehe ich nicht mit im Grundbuch. Technisch gesehen gehört sie ihm. Das stört mich auch nicht, meistens jedenfalls nicht. Geld ist mir nie wichtig gewesen, anders als für Andrew.
»Bruderherz, das ist Mamas Testament«, sagt Jay in seinem gutmütigen Ton. »Wir müssen ihren Wunsch respektieren.«
Joad schüttelt den Kopf. »Ach, das ist doch verrückt! Zwölf Monate lang exorbitante Steuern zahlen. Ganz zu schweigen von dem Unterhalt des alten Dinosauriers.«
Jetzt schüttele ich den Kopf. Joad hat das Temperament unseres Vaters geerbt: entscheidungsfreudig, pragmatisch, frei von Sentimentalitäten. Seine ungerührte Art kann von Vorteil sein, beispielsweise in der vergangenen Woche, als es darum ging, die Beerdigung vorzubereiten. Aber jetzt wirkt er respektlos. Würde man es Joad überlassen, hätte er wahrscheinlich bis zum Abend ein Schild mit der Aufschrift ZU VERKAUFEN im Vorgarten und einen Container in die Einfahrt gestellt. Stattdessen werden wir nun Zeit haben, Mamas Habseligkeiten zu sichten und uns nachdenklich von einem Teil nach dem anderen zu verabschieden. Für Andrews Geschmack ist das Haus zu altbacken, aber es ist möglich, dass einer meiner Brüder sich doch noch entschließt, Mamas geliebten Besitz zu übernehmen.
In dem Jahr, als ich an die Northwestern University wechselte, erwarb Mama das heruntergekommene Brownstone, das gerade zwangsversteigert werden sollte. Mein Vater schimpfte, sie sei verrückt, sich so ein gewaltiges Projekt aufzuhalsen. Aber da war er schon nicht mehr ihr Ehemann. Mama war frei, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Sie sah etwas Besonderes in dem Haus, trotz morscher Decken und schäbiger Bodenbeläge. Es brauchte Jahre des Verzichts und harter Arbeit, aber schließlich setzten sich Mamas Beharrlichkeit und ihr Weitblick durch. Heute ist das Haus aus dem neunzehnten Jahrhundert im heiß begehrten Gold-Coast-Viertel von Chicago ein Vorzeigeobjekt. Meine Mutter, Tochter eines Stahlarbeiters, machte immer gerne Witze, sie sei wie Louise Jefferson von ihrer Heimatstadt Gary in Indiana »aufgestiegen«. Es ist schade, dass mein Vater nicht lange genug lebte, um die spektakuläre Umwandlung des Hauses – und der Frau – zu sehen, die er meiner Meinung nach immer unterschätzt hatte.
»Sind Sie sicher, dass unsere Mutter vollkommen zurechnungsfähig war, als sie das Testament aufsetzte?«, unterbricht Joad meine Gedanken.
Das Lächeln des Anwalts hat etwas Verschwörerisches. »Oh, sie war völlig zurechnungsfähig, und wie. Ich darf Ihnen versichern, dass Ihre Mutter sehr genau wusste, was sie tat. Ganz im Gegenteil, ich habe noch nie eine so ausführliche Planung erlebt.«
»Machen wir weiter«, sagt Catherine, ganz die Managerin. »Um das Haus kümmern wir uns, wenn es so weit ist.«
Mr Midar räuspert sich. »Gut, kommen wir jetzt zu Bohlinger Cosmetics?«
Mein Kopf dröhnt, ich spüre vier Augenpaare auf mir. Wieder erinnere ich mich an den Zwischenfall vom Vortag und werde starr vor Panik. Welche Geschäftsführerin betrinkt sich auf dem Beerdigungsessen ihrer Mutter? Ich habe diese Ehre nicht verdient. Aber jetzt ist es zu spät. Wie eine für einen Oscar nominierte Schauspielerin bemühe ich mich, ein neutrales Gesicht zu machen. Catherine sitzt mit gezücktem Stift neben mir, um auch noch das letzte Detail der Testamentsregelung festzuhalten. Ich gewöhne mich besser schon mal daran. Untergebene oder nicht, diese Frau wird mich den Rest meines Berufslebens im Auge haben.
»Meine Anteile an Bohlinger Cosmetics sowie der Titel der Geschäftsführerin gehen an meine …«
Ganz locker bleiben. Nicht Catherine ansehen.
»… Schwiegertochter«, höre ich wie im Traum. »Catherine Humphries-Bohlinger.«
»Wie bitte?«, stoße ich hervor. Schlagartig wird mir klar, dass ich den verfluchten Oscar nicht gewonnen habe, und zu meinem Entsetzen benehme ich mich alles andere als huldvoll. Ganz im Gegenteil, ich bin unverhohlen angepisst.
Mr Midar sieht mich über seine Schildpattbrille hinweg an. »Entschuldigung? Soll ich das noch mal wiederholen?«
»J…ja«, stammele ich, und meine Augen wandern in der Hoffnung auf demonstrative Gesten der Unterstützung von einem Familienmitglied zum anderen. Jays Blick ist voller Mitleid, aber Joad gelingt es nicht, mich anzusehen. Er kritzelt auf seinem Block herum, sein Kiefer zuckt unkontrolliert. Und Catherine, nun ja, die hätte wirklich Schauspielerin werden können, denn ihr ungläubiger Gesichtsausdruck wirkt völlig überzeugend.
Mr Midar beugt sich zu mir herüber und sagt langsam, als wäre ich eine kranke alte Frau: »Die Firmenanteile Ihrer Mutter gehen an Ihre Schwägerin Catherine.« Er hält mir das offizielle Dokument hin. »Sie bekommen alle eine Kopie des Schriftstücks, aber Sie dürfen gerne hier Einblick nehmen.«
Empört winke ich ab und bemühe mich, erst mal ruhig zu atmen. »Nein danke«, bringe ich hervor. »Machen Sie bitte weiter. Tut mir leid.« Ich lasse mich nach hinten sinken und beiße mir auf die Lippe, um nicht zu zittern. Da muss irgendwo ein Fehler vorliegen. Ich … ich habe mich so angestrengt. Ich wollte, dass sie stolz auf mich ist. Hat Catherine mir eine Falle gestellt? Nein, so gemein wäre sie nicht.
»Das wäre es im Großen und Ganzen zu diesem Teil der Testamentsverkündung. Ich muss mit Brett noch etwas unter vier Augen besprechen.« Midar sieht mich an. »Haben Sie jetzt Zeit, oder sollen wir einen gesonderten Termin vereinbaren?«
Ich habe mich im Nebel verloren, suche einen Weg nach draußen. »Heute geht schon«, sagt eine Stimme, die annähernd wie meine klingt.
»Also gut.« Er sieht alle am Tisch an. »Noch Fragen, bevor wir Schluss machen?«
»Bei uns ist alles geklärt«, sagt Joad. Er erhebt sich vom Stuhl und begibt sich zur Tür wie ein Gefangener zum Hofgang.
Catherine prüft auf ihrem Handy, ob sie Nachrichten bekommen hat, und Jay schüttelt Midar überschwänglich die Hand. Mich streift er mit einem kurzen Blick, schaut aber schnell beiseite. Zweifellos ist es meinem Bruder peinlich. Und mir ist schlecht. Die Einzige, die mir nicht ausweicht, ist Shelley mit ihren ungezähmten braunen Locken und den liebevollen grauen Augen. Sie breitet die Arme aus und zieht mich an sich. Nicht einmal sie weiß, was sie sagen soll.
Nacheinander geben auch Shelley und Joad dem Anwalt die Hand, derweil hocke ich schweigend daneben wie ein aufmüpfiger Schüler, der nachsitzen muss. Kaum sind die anderen weg, schließt Mr Midar die Tür. Es ist so leise, dass ich das Blut in meinen Schläfen rauschen höre. Midar nimmt wieder seinen Platz am Kopfende ein, so dass wir im rechten Winkel zueinander sitzen. Sein Gesicht ist glatt und gebräunt, die braunen Augen passen nicht so recht zu seinen kantigen Zügen.
»Ist alles in Ordnung?«, fragt er, als erwarte er tatsächlich eine Antwort. Er lässt sich bestimmt stundenweise bezahlen.
»Mir geht’s gut«, erwidere ich. Arm, verwaist und gedemütigt, aber mir geht’s gut. Wirklich.
»Ihre Mutter machte sich Sorgen, dass der heutige Tag für Sie besonders schwer werden würde.«
»Ach ja?«, sage ich mit einem verbitterten Lachen. »Sie hat wirklich gedacht, es würde mich verletzen, aus ihrem Testament gestrichen zu werden?«
Er tätschelt mir die Hand. »Das stimmt so nicht ganz.«
»Ich bin ihre einzige Tochter und bekomme nichts. Nada. Nicht mal ein symbolisches Möbelstück. Ich bin ihre Tochter, verdammt nochmal.«
Ich entziehe ihm meine Hand und vergrabe sie in meinem Schoß. Mein Blick fällt auf meinen Smaragdring, schweift ab zu meiner Rolex und bleibt schließlich an dem Armband von Cartier hängen. Ich schaue auf und sehe so etwas wie Abscheu über Mr Midars hübsches Gesicht huschen.
»Ich weiß, was Sie denken«, sage ich. »Sie denken, ich bin egoistisch und verwöhnt. Sie meinen, es ginge mir nur um Geld oder Macht.« Mir schnürt sich die Kehle zu. »Aber die Sache ist so: Gestern wollte ich nur eines haben, nämlich Mamas Bett. Mehr nicht. Ich wollte einfach nur ihr antikes, altes …« Ich reibe mir den Hals. »… Bett, um mich hineinzulegen und sie zu spüren …«
Zu meinem Entsetzen fange ich an zu weinen. Anfangs zaghaft, dann wird mein Wimmern zu einem hässlichen Schluchzen. Midar stürzt zu seinem Schreibtisch, sucht nach Taschentüchern. Er reicht mir eins und tätschelt mir den Rücken, während ich mich bemühe, mich zusammenzureißen. »Entschuldigung«, bringe ich hervor. »Das ist alles … sehr schwer für mich.«
»Das verstehe ich.« Der traurige Schatten, der über sein Gesicht gleitet, macht mir Hoffnung, dass er es ehrlich meint.
Ich tupfe meine Augen trocken. Tief durchatmen. »Gut«, sage ich. Jeden Moment kann ich erneut die Fassung verlieren. »Sie sagten, Sie müssten noch etwas mit mir besprechen.«
Der Anwalt zieht einen zweiten Aktenordner aus einer Ledermappe und legt ihn vor mich auf den Tisch. »Für Sie hat Elizabeth sich etwas anderes überlegt.«
Er schlägt den Ordner auf und reicht mir einen vergilbten Zettel. Ich betrachte ihn. Er ist glattgestrichen, man sieht, dass er einmal zerknüllt gewesen sein muss. »Was ist das?«
»Eine Liste mit Lebenszielen«, erwidert er. »Ihre Liste.«
Es dauert eine Weile, bevor mir klarwird, dass es tatsächlich meine Handschrift ist. Die geschwungene Handschrift einer Vierzehnjährigen. Offenbar hatte ich eine Liste mit Lebenszielen verfasst, auch wenn ich mich nicht daran erinnern kann. Neben einigen Punkten entdecke ich Kommentare meiner Mutter.
Meine Lebensziele
1.* Ein Kind bekommen, vielleicht zwei
2. Nick Nicol küssen
3. Bei den Cheerleadern aufgenommen werden Glückwunsch! War das wirklich so wichtig?
4. Beste Noten bekommen Perfektion wird überschätzt
5. Skifahren in den Alpen Was hatten wir für einen Spaß!
6.* Einen Hund anschaffen
7. Die Antwort wissen, wenn Schwester Rose mich drannimmt, weil ich mit Carrie getuschelt habe
8. Nach Paris fliegen Ach, diese wunderschönen Erinnerungen!
9.* Für immer die Freundin von Carrie Newsome sein!
10. An die Northwestern University gehen Ich bin so stolz auf meine Tochter!
11. Immer freundlich und höflich sein Weiter so!
12.* Armen Menschen helfen
13.* Ein richtig schönes Haus kaufen
14.* Ein Pferd kaufen
15. Bei einem Stierrennen mitlaufen Das lässt du schön bleiben!
16. Französisch lernen Très bien!
17.* Mich in den Richtigen verlieben
18.* Live auftreten, auf einer richtig großen Bühne
19.* Eine gute Beziehung zu meinem Vater haben
20.* Eine tolle Lehrerin werden!
»Hm«, mache ich und überfliege die Liste. »Nick Nicol küssen. Cheerleader werden …« Lächelnd schiebe ich sie zu Mr Midar zurück. »Niedlich. Wo haben Sie die her?«
»Von Elizabeth. Sie hat sie all die Jahre aufbewahrt.«
Ich lege den Kopf schräg. »Ähm … was? Sie hat mir meine alte Liste mit Lebenszielen hinterlassen? Die bekomme ich?«
Mr Midar lächelt nicht. »So ungefähr.«
»Was soll das?«
Er rückt mit seinem Stuhl näher an mich heran. »Also, es geht um Folgendes: Elizabeth fand diese Liste vor vielen Jahren im Mülleimer bei Ihnen zu Hause. Nach und nach hakte sie Ziele ab, wann immer Sie eins erreicht hatten.« Er weist auf Französisch lernen. »Sehen Sie?«
Meine Mutter hatte die Worte durchgestrichen und Très bien dahinter geschrieben.
»Aber zehn Punkte auf der Liste sind noch offen.«
»Das ist doch albern. Das sind ganz andere Ziele, als ich heute habe.«
Mr Midar schüttelt den Kopf. »Ihre Mutter fand, dass sie auch heute noch gültig sind.«
Ich verziehe das Gesicht, beleidigt, dass sie mich nicht besser kannte. »Tja, da hat sie sich aber geirrt.«
»Sie möchte gerne, dass Sie die Liste vervollständigen.«
Mir fällt die Kinnlade runter. »Das soll ja wohl ein Witz sein!« Ich halte ihm den Zettel vors Gesicht. »Die habe ich vor zwanzig Jahren geschrieben! Gerne füge ich mich dem Willen meiner Mutter, aber ganz bestimmt nicht bei diesen Lebenszielen!«
Er streckt die Hand aus wie ein Verkehrspolizist. »Hoho, ich bin bloß der Überbringer der Nachricht.«
Ich atme tief durch und nicke. »Tut mir leid.« Ich lasse mich zurück auf den Stuhl fallen und reibe mir die Stirn. »Was hat sie sich nur dabei gedacht?«
Mr Midar blättert in der Akte und zieht einen blassrosa Umschlag hervor. Ich erkenne ihn sofort. Mamas Lieblingsschreibpapier von Crane. »Elizabeth hat Ihnen einen Brief geschrieben und mich gebeten, ihn laut vorzulesen. Fragen Sie mich nicht, warum ich Ihnen den nicht einfach geben darf. Sie hat darauf bestanden, dass er vorgelesen wird.« Er grinst mich verschmitzt an. »Sie können doch lesen, oder?«
Ich verkneife mir ein Lächeln. »Hören Sie, ich habe keine Ahnung, was sich meine Mutter dabei gedacht hat. Bis heute hätte ich gesagt, wenn sie Sie gebeten hat, ihn laut vorzulesen, dann hatte sie ihre Gründe dafür. Aber seit heute halte ich mich mit solchen Aussagen lieber zurück.«
»Ich vermute, es stimmt trotzdem. Sie hatte ihre Gründe.«
Als der Anwalt den Umschlag aufschlitzt, bekomme ich Herzklopfen. Ich zwinge mich, aufrecht zu sitzen, und falte die Hände im Schoß.
Midar rückt seine Lesebrille zurecht und räuspert sich.
»Liebe Brett, zuerst einmal möchte ich Dir sagen, wie unglaublich leid mir alles tut, was Du in den vergangenen vier Monaten durchmachen musstest. Du warst mein Rückgrat, meine Seele, und ich danke Dir dafür. Ich wollte Dich noch nicht verlassen. Wir hatten noch so viel vor, nicht wahr? Aber Du bist stark, Du wirst das überstehen, Du wirst sogar aufblühen, auch wenn Du mir das jetzt nicht glaubst. Ich weiß, dass Du heute traurig bist. Lass die Traurigkeit eine Zeitlang bei Dir verweilen.
Ich wäre so gerne bei Dir, um Dich in dieser Zeit der Trauer zu begleiten. Ich würde Dich in die Arme nehmen und Dich fest drücken, bis Du keine Luft mehr bekommst, so wie früher, als Du klein warst. Oder ich würde Dich zum Essen einladen. Wir würden uns einen gemütlichen Tisch im The Drake suchen, und ich würde mir Deine Ängste und Sorgen anhören, würde Dir über den Arm streicheln, damit Du spürst, dass mich Deine Sorgen berühren.«
Midars Stimme klingt leicht belegt. Er sieht mich an. »Alles in Ordnung?«
Ich nicke, unfähig zu sprechen. Er drückt mir den Arm, bevor er weiterliest.