Die Vermessung der Liebe
Vertrauen und Betrug in Paarbeziehungen
Aus dem Amerikanischen
von Cathrine Hornung
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Klett-Cotta
www.klett-cotta.de
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »What Makes Love Last? How to Build Trust and Avoid Betrayal«
bei Simon & Schuster, New York
© 2012 by John M. Gottman and Nan Silver
Für die deutsche Ausgabe
© 2014, 2019 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung
Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Schutzumschlag: Rothfos & Gabler, Hamburg
Unter Verwendung eines Entwurfs von © Kathleen DiGrado
Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Printausgabe: ISBN 978-3-608-96406-6
E-Book: ISBN 978-3-608-10679-4
Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Für meine Frau Julie,
die wirklich etwas von Vertrauen versteht.
− John
Für meine Kinder
Will und Elisabeth.
− Nan
Hinweis der Autoren
Die Geschichten und Dialoge in diesem Buch beruhen auf den jahrzehntelangen Erfahrungen, die Dr. Gottman bei der Beobachtung, Analyse und Beratung von Paaren gesammelt hat. Alle Namen und Informationen, die Hinweise auf die Identität der Personen geben könnten, wurden geändert. Einige Transkripte wurden gekürzt oder der Deutlichkeit halber überarbeitet. In manchen Anekdoten werden fiktive Paare verwendet oder die Eigenschaften mehrerer Paare miteinander kombiniert, um die Theorien des Autors zu veranschaulichen.
Hinweis der Übersetzerin
Bei geschlechtsunspezifischen Personenbezeichnungen wird in der deutschen Ausgabe das generische Maskulinum (zum Beispiel »der Partner«) beziehungsweise eine neutrale Sprachform (zum Beispiel »die Person«) verwendet, welche sowohl Frauen als auch Männer einschließt.
Einführung
1.Bestimmen Sie Ihr Vertrauensniveau
2.Die drei Zonen
3.»Ich wollte nicht, dass das passiert.« – Warum Partner fremdgehen
4.Männer, Pornografie und sexuelles Verlangen
5.Zehn weitere Arten, den Partner zu betrügen
6.Vertrauen und Abstimmung zwischen den Partnern
7.Abstimmung oder Aneinander-vorbei-Reden? Die Kunst des intimen Gesprächs
8.Sich einander zuwenden
9.Große und kleine Konflikte bewältigen
10.Seitensprung – was nun?
11.Durch intimen Sex Verbundenheit schaffen
12.Wann eine Beziehung keine Zukunft mehr hat
13.Wieder Vertrauen lernen: eine lebensrettende Fähigkeit
14.Was ist wahre Liebe?
Anhang 1:
Formulierungsvorschläge für das intime Gespräch (Kapitel 7)
Anhang 2:
Gottmans Werkzeugkasten für schwelende Konflikte: Wie Sie Kränkungen und verletzte Gefühle reparieren können (Kapitel 9)
Anhang 3:
Warum manche Paare keinen Sex mehr haben – und wie sie ihr Sexleben wieder in Schwung bringen können: eine spieltheoretische Analyse
Anmerkungen
Dank
Angela: Ich will dazu etwas sagen −
George: Warte. Ich bin noch nicht fertig.
Angela: Was ich sagen will −
George: Siehst du, genau darüber spreche ich die ganze Zeit −
Angela: Ja, ich weiß, aber ich −
George: Du lässt mich nicht ausreden −
Angela: Ich muss jetzt etwas sagen −
George: Nein. Weil, wenn du mir ins Wort fällst −
Angela: Ich habe hier auch etwas zu sagen.
George: HALT DEN MUND!
Angela und George waren frisch verheiratet, arbeiteten beide sehr viel und zogen außerdem noch zwei Kinder groß. Das alleine genügt, um eine Ehe zu belasten − und auch ohne psychologische Forschungserfahrung erkennt man sofort, dass dieses Paar in Schwierigkeiten steckte. Der obige Dialog ist nur ein Ausschnitt aus dem langen Wortgefecht, das in meinem Forschungslabor stattfand. Angela und George stritten endlos darüber, wer von beiden härter arbeitete, wer mehr im Haushalt machte und wer was wann sagte. Wie so viele zerstrittene Paare gaben sie ihre Ehe schließlich auf und ließen sich scheiden. Dieser Ausgang kam nicht überraschend, wenn man bedenkt, wie beschädigt ihre Beziehung bereits war. Als ich die beiden kennenlernte, konnten sie einander kaum ansehen, ohne böse dreinzublicken und die Augen zu verdrehen.
Seit Jahrzehnten lade ich Paare wie Angela und George zu Experimenten in mein »Love Lab« ein − so lautet der Spitzname, den die Medien der Forschungseinrichtung an der University of Washington in Seattle gegeben haben. Hier werden langjährige Liebesbeziehungen einer wissenschaftlichen Prüfung unterzogen. In der Regel läuft eine Studie so ab, dass ich die Paare analysiere, während sie über Alltagsthemen sprechen, oder aber wenn sie streiten. Ich befrage sie gemeinsam und einzeln. Ich habe Paare schon einen ganzen Tag oder sogar ein ganzes Wochenende im Love Lab beobachtet. Das Einzimmerapartment mit Seeblick ist mit allem ausgestattet, was man braucht: Es gibt eine Schlafcouch, ein kleines Sofa, einen Fernseher, eine Küchenzeile − und Videokameras an den Wänden, die jeden Moment der Paarinteraktionen aufzeichnen. (Das Bad ist natürlich tabu.) Im Rahmen der Studien, die hier durchgeführt wurden, habe ich über 40 Jahre hinweg ganze Berge von Daten zusammengetragen. Die Sammlung gibt darüber Aufschluss, wie Partner miteinander umgehen, was sie zueinander und übereinander sagen und welche körperlichen Reaktionen dadurch hervorgerufen werden. Neuerdings führe ich auch Untersuchungen mit Paaren durch, die an keiner Studie teilnehmen, sich aber eine wissenschaftliche Beurteilung ihrer Beziehung und deren Stärken und Schwächen wünschen.
Wenn Paare wie Angela und George in das Love Lab kommen, verkabeln wir sie mit so vielen Sensoren und Drähten, dass sie oft lachen müssen, weil sie unwillkürlich an Dr. Frankenstein denken. Während sie sich mit den Geräten und der Umgebung vertraut machen, liefern die Sensoren bereits Informationen über ihre Blutflussgeschwindigkeit, ihre Herz- und Pulsfrequenz, die Schweißmenge an den Handinnenflächen und sogar darüber, wie sehr sie sich auf ihrem Stuhl winden. Eine Videokamera zeichnet alles auf, was sie sagen und tun. Auf der anderen Seite eines Einwegspiegels sitzen meine Mitarbeiter, umgeben von Anzeigegeräten und leeren Cola-Dosen, und studieren das subtile Wechselspiel von biologischen Reaktionen, Körpersprache, Mimik und Worten.
Das Experiment, das wir am häufigsten durchführen, ist das sogenannte Konfliktgespräch, bei dem wir das Paar auffordern, 15 Minuten lang über ein Streitthema zu sprechen. Um die Gesichtsausdrücke der beiden Partner während der Diskussion besser analysieren zu können, richte ich jeweils eine Videokamera auf ihre Gesichter, sodass ich sie gleichzeitig auf einem Split Screen beobachten kann. Manche Paare stören sich überhaupt nicht an den Kameras und legen ungehemmt los. Die meisten halten sich aber im Zaum und streiten im Labor anders als zu Hause. Doch selbst wenn sie sich »kameragerecht« verhalten: unsere Sensoren können sie nicht täuschen, denn denen entgeht nichts.
Auf der Grundlage meiner eingehenden Analysen von über 3000 Paarbeziehungen habe ich im Laufe der Jahre sieben Schlüsselprinzipien formuliert, die dazu beitragen können, eine Partnerschaft lebendig und stabil zu erhalten. In meinem Buch Die sieben Geheimnisse der glücklichen Ehe1 habe ich diese eingehend beschrieben. Ich zeige darin, wie wichtig eine tiefe freundschaftliche Verbundenheit zwischen den Partnern ist.
Außerdem zeige ich, wie wir uns vom jeweiligen Partner beeinflussen lassen, und erläutere, warum wir in Auseinandersetzungen respektvoll miteinander umgehen sollten. Diese beiden Dinge prägen grundlegend das Miteinander in Beziehungen. Traurige Schicksale von Paaren wie Angela und George verdeutlichen allerdings, dass es nicht ausreicht, diese beiden Punkte in der Behandlung anzugehen. Ich wollte einfach nicht hinnehmen, dass solche Paare unausweichlich in ihrer Liebesbeziehung scheitern. Wollte ich solchen verzweifelten Paaren helfen, so musste ich in Erfahrung bringen, was genau zwischen ihnen schiefläuft.
Was mich bei den unglücklichen Paaren, die ich beobachtet und beraten habe, am meisten erstaunt hat, war ihr fester Glaube, einander aufrichtig zu lieben und alles für die Beziehung zu tun − selbst dann, wenn sie einander im Love Lab befahlen, den »Mund zu halten«. Warum bekriegten sie sich ständig, obwohl sie sich selbst als liebendes Paar bezeichneten? Das ergab einfach keinen Sinn. Ihre Beziehung profitierte in keiner Form von ihren Streitereien. Der negative Stress, der grundsätzlich mit Auseinandersetzungen einhergeht, war bei ihnen viel größer als bei glücklichen Paaren − und dennoch stritten sie viel öfter.
Warum unglückliche Paare öfter miteinander streiten als andere, ließe sich am einfachsten damit erklären, dass sie häufiger verschiedener Meinung sind. Klingt eigentlich logisch, oder? Als Wissenschaftler weiß ich aber, dass »offensichtliche« Schlussfolgerungen nicht immer korrekt sind. Die Computerwissenschaftlerin Tara Madyhastha hat mir in meinem Labor geholfen, die Antwort zu finden. Um die Interaktionen zwischen unglücklichen Partnern zu verstehen, verwendete sie sogenannte Hidden-Markov-Modelle. Diese Form der Computeranalyse wird oft eingesetzt, um Sprach- oder DNA-Sequenzen zu entschlüsseln und herauszufinden, welche Muster ihnen zugrunde liegen. Madyhasthas Ergebnisse zeigten, dass Paare, die sich nicht wie Liebende, sondern wie Feinde verhalten, in einem Zustand gefangen sind, der im Fachjargon als absorbierender Zustand der Negativität bezeichnet wird. Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, in diesen Zustand zu geraten, größer ist als die, ihn wieder zu verlassen. Die unglücklichen Partner sind in einer Art »Mausefalle für Liebende« gefangen, in die man leicht hineingerät, aus der es aber kein Entrinnen mehr gibt. Ihre negative Einstellung sorgt dafür, dass die Beziehung zugrunde geht.
Warum manche Paare in dieser schrecklichen Falle landen, während es anderen gelingt, sie zu umgehen − dieser Frage bin ich in meinen jüngsten Forschungen nachgegangen. Dabei habe ich ein neues Verständnis von der Paardynamik entwickelt und meinen Ansatz erweitert: alle Liebesbeziehungen profitieren davon, nicht nur diejenigen, die bereits angeschlagen sind.
Wenn man die »Mausefallen«-Paare in meinem Labor beim Streiten beobachtet, bekommt man eine wahre Litanei an Vorwürfen zu hören, die auf den ersten Blick nicht viel gemein haben. Tim beschwert sich darüber, dass Jane mehr auf die Meinung ihrer Mutter gibt als auf seine. Alexandra schiebt die Familiengründung hinaus, sehr zur Frustration ihres Mannes. Jimmy hat etwas dagegen, dass Pat ab sofort in eine andere Kirche gehen will. Aber wenn ich mich dann mit diesen unglücklichen Partnern unterhalte, fällt mir eine verblüffende Übereinstimmung auf: Sie alle sprechen (oder schreien) aneinander vorbei oder versuchen gar nicht erst, miteinander zu kommunizieren.
Obwohl die Partner bereit sind, die Krise durchzustehen, haben sie etwas verloren, das für Liebende grundlegend ist − eine Eigenschaft, die oft als »Magie« oder »Leidenschaft« auf einer »primitiven«, »animalischen« Ebene bezeichnet wird. Das ist der Grund, weshalb sie in der Mausefalle enden.
Meiner Überzeugung nach wird dieses kostbare »Etwas« durch ein heimtückisches Gift zerstört, das die Liebenden unerbittlich ins Unglück treibt. Es schleicht sich in die scheinbar stabile Liebesbeziehung ein und untergräbt sie so lange, bis es zu spät ist. Vielleicht halten Sie es für eine Binsenweisheit, wenn ich Ihnen sage, dass der Name dieses giftigen Eindringlings Untreue lautet. Welchen Schaden Untreue anrichten kann, ist allgemein bekannt. Schließlich bombardiert uns die Klatschpresse pausenlos mit irgendwelchen Geschichten über Prominente und Politiker, die beim Fremdgehen ertappt wurden oder angeblich sogar sexsüchtig sind. Diese moralischen Lehrstücke über Betrug und Treulosigkeit machen deutlich, wie verbreitet und verheerend Untreue ist. Es gibt aber einen guten Grund, weshalb ich Untreue als »heimlichen« Beziehungskiller bezeichne. Untreue äußert sich nicht nur in Form eines Seitensprungs oder einer sexuellen Affäre. Viel häufiger nimmt sie Formen an, welche die Partner gar nicht als Untreue erkennen. Die Paare in meinem Labor beteuern, dass sie einander immer treu gewesen seien. Da täuschen sie sich aber. Jeder scheiternden Beziehung liegt insgeheim eine Form von Treulosigkeit zugrunde, selbst wenn das Paar sich dessen gar nicht bewusst ist. Wenn ein Ehemann seine Karriere grundsätzlich über die Beziehung stellt, ist das Untreue. Wenn eine Ehefrau allen Versprechungen zum Trotz die Familiengründung hinauszögert, ist das ebenfalls Untreue. Ausgeprägte Gefühlskälte, Egoismus, Ungerechtigkeit und andere destruktive Verhaltensweisen sind ebenfalls ein Ausdruck von Untreue und können Konsequenzen nach sich ziehen, die genauso zerstörerisch sind wie ein Ehebruch.
So gefährlich und verbreitet Untreue auch ist − ich kann allen Paaren Hoffnung machen. Ich habe die Zusammensetzung des Giftes analysiert und dabei herausgefunden, wie man es bekämpfen kann. Es gibt ein grundlegendes Prinzip, ein Gegenmittel, das für eine funktionierende Beziehung sorgt. Dieses Prinzip heißt Vertrauen. Das mag sich wieder nach einer Selbstverständlichkeit anhören. Aber glückliche Paare versichern mir immer wieder aufs Neue, dass gegenseitiges Vertrauen ihnen Sicherheit gibt, ihre Liebe vertieft und ihre Freundschaft und sexuelle Intimität bewahrt. Unglückliche Paare hingegen vermissen dieses Element in ihrer Beziehung. Leider denken die meisten Paare, dass Vertrauen nicht greifbar sei und sich nicht genau definieren oder messen lasse. Dabei ist es heute durchaus möglich, das Vertrauens- und Treulosigkeitsniveau eines Paares mathematisch zu berechnen und wissenschaftlich zu untersuchen. Dieser neue analytische Ansatz gestattet es mir, die Stärken und Schwachstellen von Paaren zu identifizieren und Strategien aufzuzeigen, die unglückliche Beziehungen vor der Mausefalle retten und vermeintlich stabile Beziehungen gar nicht erst dorthin gelangen lassen.
Dieses neue Verständnis von Vertrauen und Untreue kommt nicht nur Paaren zugute, sondern hat auch tiefgreifende kulturelle Implikationen. Heutzutage verkomplizieren wir das Leben so lange, bis die Schmerzgrenze erreicht ist − und oft auch darüber hinaus. Mit unseren E-Mails, Smartphones und den zahlreichen Verpflichtungen, denen wir nachkommen wollen oder müssen, leben wir permanent am Rande einer katastrophalen Stressreaktion. Jeder von uns hat eine andere Belastbarkeitsgrenze, aber wir neigen dazu, uns immer noch mehr Stress aufzuladen, bis wir fast darunter zusammenbrechen. Im Internet, am Zeitungsstand und in Buchläden werden »Antistressmittel« angepriesen. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass es keine bessere Waffe gegen Stress gibt als Vertrauen.
In Beziehungen mit einem hohen Potential für Untreue verschwenden Paare Zeit und emotionale Energie. Ob sie nun einen Ehebruch oder andere Formen von Treulosigkeit vermuten − misstrauische Menschen verhalten sich wie Detektive oder Staatsanwälte, die ihren Partner verhören und nach Beweisen suchen, die ihr Misstrauen und ihre Unsicherheit rechtfertigen. Das kann sehr zeitraubend und anstrengend sein: Wenn ich auf Geschäftsreise gehe, lässt er die Kinder dann bei der Babysitterin, der ich nicht traue? Wenn ich ihren Schrank kontrolliere, finde ich dann neue Kleider, obwohl wir vereinbart haben, zu sparen? Soll ich seine Geschichte nachprüfen und eine Auseinandersetzung riskieren? Ein Mann hatte beispielsweise den Verdacht, dass seine Frau ihn betrog. Eines Morgens, bevor er zur Arbeit ging, markierte er die Hinterreifen ihres Autos mit Kreide. Bei seiner Rückkehr stellte er fest, dass die Kreidestriche verschwunden waren, was darauf hindeutete, dass sie mit dem Auto gefahren war. Also fragte er seine Frau, ob sie das Haus verlassen habe. Da sie in dem Moment nicht daran dachte, dass sie am Morgen kurz zur Post gefahren war, sagte sie Nein. Das führte zu einem wütenden Eifersuchtsanfall, der das Stressniveau beider Ehepartner auf Hochtouren brachte.
Vertrauen wirkt hingegen stressreduzierend, weil es uns gestattet, selbst mit unvollständigen Informationen gelassen umzugehen. Wenn Sie Ihren Körper und Geist nicht ständig mit irgendwelchen Befürchtungen belasten, wird Ihr Leben einfacher. Sie müssen keine Reifen mit Kreide markieren oder Ihren Partner anderweitig kontrollieren. Vorbehaltloses Vertrauen spart Ihnen viel Zeit, die Sie darauf verwenden können, sich mit anderen, weniger stürmischen Angelegenheiten auseinanderzusetzen.
Mein Ziel ist es, Langzeitbeziehungen besser zu verstehen und Paaren dabei zu helfen, eine glücklichere und gesündere Liebesbeziehung anzusteuern. Dennoch bin ich mir darüber im Klaren, dass nicht alle Beziehungen einen Vertrauensbruch überleben können oder sollten. Und selbst wenn eine langjährige Partnerschaft aus guten Gründen endet, kann verloren gegangenes Vertrauen in die Liebe verheerend sein. Der Verlust muss zur Kenntnis genommen und verarbeitet werden, bevor man sich auf eine neue Beziehung einlässt. Wenn Sie gerade eine Trennung hinter sich haben, können Ihnen die Erkenntnisse und Übungen in diesem Buch helfen, besser zu verstehen, was schiefgelaufen ist, und Sie darauf vorbereiten, es mit jemand Neuem zu probieren.
Nach einer tiefen Kränkung wieder nach vorne zu blicken ist wichtig. Aber ebenso wichtig ist es zu lernen, wie man eine funktionierende Beziehung führt. Wenn Ihre letzte Beziehung in die Brüche gegangen ist, haben Sie möglicherweise Angst davor, einem anderen Menschen wieder zu vertrauen. Diese Skepsis kann jedoch zu einer lebenslangen, tiefen Einsamkeit führen. Eine solche Isolation hat nicht nur schwere psychische, sondern auch körperliche Auswirkungen. Indem Sie aber ein besseres Gespür für Täuschung entwickeln, können Sie den Mut, die Kraft und die Weisheit gewinnen, einen vertrauenswürdigen Partner zu finden.
In meiner wissenschaftlichen Laufbahn ist mir so mancher Skeptiker begegnet, der nicht glaubt, dass Sensoren, Computer, Videokameras und andere Laborgeräte etwas so Geheimnisvolles und scheinbar Undefinierbares beurteilen können wie die Liebe. Natürlich können Wissenschaftler keinen Zaubertrank für die Liebe kredenzen oder eine Lösung für alle Beziehungsprobleme finden. Was ich Ihnen jedoch anbieten kann, sind Ratschläge, die auf objektiven Daten beruhen − und nicht auf unbewiesenen Theorien oder den subjektiven Erfahrungswerten eines Therapeuten.
Dieses Buch enthält die Früchte meiner Forschungen. Es erklärt, warum Liebesbeziehungen oft aus Gründen scheitern, die ebenso schwer fassbar erscheinen wie die Liebe selbst. Ich hoffe, dass Sie meine Erkenntnisse nutzen, um eine erfolgreiche Beziehung zu schützen oder eine gefährdete zu retten.
1
Bestimmen Sie Ihr Vertrauensniveau
Manchmal überkommt einen ganz unverhofft eine wissenschaftliche Erleuchtung. Mit einem solchen »Aha!«-Erlebnis hatte ich allerdings nicht gerechnet, als ich mir eines Abends einen Krimi im Fernsehen anschaute. In einer Folge der Serie Numbers – Die Logik des Verbrechens konnten die Guten einen Terroranschlag verhindern, weil einer von ihnen, ein Mathematikgenie, eine Vertrauensmetrik erstellte, mit der sich der Loyalitätsgrad der verdächtigen Terroristen ermitteln ließ. Die Vorstellung, dass man den Vertrauensgrad zwischen potentiellen Terroristen exakt berechnen kann, gab der Geschichte eine spannende Wendung. Allerdings handelte es sich dabei um eine reine Fiktion, die sich wahrscheinlich ein kreativer Drehbuchautor zusammen mit einem Mathematiker ausgedacht hatte.
Die Sendung brachte mich jedoch auf den Gedanken, dass meine eigenen Daten der Schlüssel sein könnten, um eine echte Vertrauensmetrik zu entwickeln – natürlich nicht für gewaltbereite Terroristen, sondern für Paare in einer festen Beziehung. Mithilfe einer mathematischen Definition, so meine Überlegung, könnte ich nicht nur meine Theorie bestätigen, dass Vertrauen die Grundlage von Liebe ist, sondern auch das Vertrauensniveau von Paaren in meinem Labor untersuchen. Ich könnte herausfinden, ob eine Beziehung an einem Vertrauensmangel leidet, noch bevor sich die Partner dessen bewusst sind. Ich wäre in der Lage, eine Art »Liebes-GPS« zu entwickeln, damit glückliche Paare nicht vom Weg abkommen und unglückliche wieder zusammenfinden.
In der Wissenschaft machen wir häufig neue Entdeckungen, indem wir die Arbeiten anderer weiterführen. Was meine Forschungen über das Vertrauen betraf, konnte ich jedoch nicht auf solche Vorarbeiten zurückgreifen. Denn meines Wissens war bisher noch kein Versuch unternommen worden, eine mathematische Vertrauensmetrik für Beziehungen zu entwickeln. Offenbar galt das Loyalitätsniveau von Paaren nicht als wichtig genug, um es einer derart intensiven Zahlenverarbeitung zu unterziehen. Für die meisten Psychologen und Vertreter der Sozialwissenschaften ist das Vertrauen lediglich einer von vielen Faktoren, die eine starke Beziehung ausmachen, nicht aber deren Grundlage. Manche Experten sehen im Vertrauen sogar ein Persönlichkeitsmerkmal – entweder man hat es, oder man hat es nicht. Das sehe ich anders. Ich bin davon überzeugt, dass die meisten Paare in der Lage sind, ihr Loyalitätsniveau zu maximieren, sich so vor Untreue zu schützen und die Chancen auf eine glückliche gemeinsame Zukunft zu erhöhen.
Bei der Ausarbeitung meiner Vertrauensmetrik habe ich mich an der Spieltheorie orientiert. Dieser mathematische Ansatz hat viel mit Vertrauen zu tun, obwohl er ursprünglich nicht darauf abzielte, Beziehungen zu retten. Bevor Ökonomen die Spieltheorie für sich entdeckten, wurde sie während des Kalten Krieges von politischen Beobachtern und Militärexperten verwendet. Diese hofften, das Verhalten verfeindeter Gruppen oder Nationen in Konfliktsituationen besser vorhersagen zu können, indem sie Modelle der Entscheidungsfindung untersuchten. Die Theorie basiert auf dem Buch Spieltheorie und ökonomisches Verhalten, das der Mathematiker John von Neumann und der Wirtschaftswissenschaftler Oskar Morgenstern 1944 veröffentlicht haben.1 Aus mathematischer Sicht ist sie heute teilweise überholt, aber ihre Weiterentwicklung wurde mit Nobelpreisen gekürt. Sie inspirierte die Generation des Kalten Krieges dazu, eine Zukunft vorherzusehen, in der Computer die Vor- und Nachteile diplomatischer Taktiken beurteilen können. Ich bezweifle jedoch, dass die Vertreter der Spieltheorie ahnten, wie nützlich diese für Paare sein würde, die nicht im Krieg, sondern in der Liebe siegen wollen!
Shakespeare hat behauptet, die ganze Welt sei eine Bühne, aber für die Spieltheoretiker ist sie ein Stadion, und wir alle sind lediglich Spieler. Egal ob beim Fußball, im Krieg oder beim Ehekrach ums Geschirrspülen – wenn wir mit anderen rivalisieren, folgen wir bestimmten Regeln, von denen manche genau festgelegt, andere nicht näher bezeichnet sind. Diese Regeln gründen sich auf der Annahme, dass wir alle rational denken und folglich danach streben, den größtmöglichen Nutzen für uns selbst zu erzielen. Die Spieltheoretiker bezeichnen das, was unterm Strich für einen »Spieler« herausspringt, als Payoff.
Das wahrscheinlich bekannteste Konzept der Spieltheorie ist das Nullsummenspiel. In einem solchen Wettstreit will jede Seite ihren eigenen Payoff maximieren und den Gegner gleichzeitig daran hindern, irgendetwas zu gewinnen. Fußball ist ein Nullsummenspiel, weil nur eine der beiden Mannschaften gewinnen kann. Wenn der AC Mailand gewinnt, verliert Manchester United, und umgekehrt. Aber Rivalen sind nicht immer an einem Alles-oder-nichts-Ergebnis interessiert. Wenn man zum Beispiel in einem Unternehmen Karriere machen will, ist ein Nullsummen-Ansatz eher hinderlich. Zwei Büroangestellte, die beide befördert werden wollen und um denselben Posten wetteifern, müssen im Interesse der Firma trotzdem kooperieren, denn der Erfolg des Unternehmens ist auch für ihren eigenen entscheidend. Bei solchen Konflikten verfolgen die Spieler entweder eine Strategie, die beiden Parteien einen größtmöglichen Payoff verschafft, oder sie versuchen, ihre Verluste zumindest so gering wie möglich zu halten.
Die meisten Szenarien der Spieltheorie gehen davon aus, dass die eine Seite das Verhalten der anderen beeinflussen muss, um den eigenen Payoff zu maximieren. Lassen Sie uns das einmal am Beispiel eines Paares durchspielen, das noch nicht lange zusammen ist und beschlossen hat, einen gemeinsamen Haushalt zu gründen. Jenny und Alwin sind gerade in eine Wohnung in der Stadt gezogen und versuchen nun die unliebsame Hausarbeit aufzuteilen. Die Spieltheorie setzt voraus, dass Jenny und Alwin einander ebenso wenig trauen wie die USA und die UdSSR im Kalten Krieg. Ganz unrealistisch ist diese Annahme übrigens nicht, im Gegenteil: Gerade bei frisch vermählten Paaren und bei solchen, die zum zweiten Mal verheiratet sind, ist häufig ein gewisses Maß an Misstrauen anzutreffen. Da diese Beziehungen noch keine Erfolgs- und Erfahrungsgeschichte aufweisen, sind die Partner trotz ihrer gegenseitigen Zuneigung noch etwas zurückhaltend, was das Vertrauen angeht.
Als rationale »Spieler« wissen Jenny und Alwin, dass es nur vier Möglichkeiten gibt, um die Hausarbeit – zum Beispiel das Putzen – aufzuteilen: Entweder putzt keiner von beiden, oder es putzen alle beide, oder je einer putzt und der andere nicht. Beide wollen das bestmögliche Ergebnis für sich selbst erreichen – die Interessen des anderen sind nachrangig. Beide wissen, dass sie ihren Payoff maximieren, wenn sie den anderen dazu bringen, zu putzen.
Die folgende Payoff-Matrix zeigt, wie Jenny die vier Optionen, die ihr zur Verfügung stehen, auf einer Skala von 0 bis 10 bewertet: 0 bedeutet »kein Payoff«, und 10 »maximaler Payoff«.
Jennys Payoff | |||
Jenny putzt | Jenny putzt nicht | Zeilensumme | |
Alwin putzt | 10 | 4 | 14 |
Alwin putzt nicht | 2 | 0 | 2 |
Spaltensumme | 12 | 4 | 16 |
Da Jenny nicht in einem Schweinestall leben möchte, profitiert sie nicht davon, wenn keiner von beiden putzt. Folglich bewertet sie diese Option mit »0«. Wenn nur sie putzt, muss sie zwar mehr Zeit für eine Tätigkeit aufbringen, die sie nicht mag – dafür bekommt sie aber auch einen gewissen Payoff, nämlich eine saubere Wohnung. Diese Option bewertet sie mit »2«. Die Möglichkeit, dass nur Alwin putzt, und sie nicht, stuft sie bei »4« ein. Sie weiß, dass Alwin beim Putzen nicht besonders gründlich ist und häufig Staub in den Ecken übersieht, der ihr ins Auge springt. Dennoch wäre es ihr lieber, wenn er wenigstens die Küche putzen würde. Die letzte Option, bei der beide putzen, bietet Jenny das Ergebnis, das am ehesten ihren Sauberkeitsansprüchen entspricht, ohne dass sie dafür die gesamte Arbeitslast allein tragen muss. Diese Option bekommt daher die höchste Punktzahl »10«.
Aus spieltheoretischer Sicht lassen sich anhand dieser Matrix viele interessante Berechnungen anstellen. Grundsätzlich macht die Matrix jedoch eines deutlich: Ganz gleich, welche rationale Entscheidung Jenny für sich trifft (»Putzen oder nicht putzen«), ihr größtmöglicher Payoff setzt voraus, dass Alwin zumindest einen Teil der Arbeit übernimmt. Schauen Sie sich die Zeilensummen ganz rechts in Jennys Payoff-Matrix an: Wenn Alwin putzt, liegt ihr Payoff bei »14«, unabhängig davon, ob sie ebenfalls putzt. Wenn Alwin dagegen nicht bereit ist, einen Besen in die Hand zu nehmen, stürzt Jennys Payoff auf »2« ab, ganz gleich, was sie selbst macht. Mit anderen Worten, wenn es Jenny gelingt, Alwins Verhalten zu kontrollieren, springen für sie am Ende 12 Punkte mehr heraus. Das ist ein enormer Unterschied. Die Spaltensummen in der letzten Zeile der Matrix zeigen, dass Jenny Alwin zum Putzen bringen muss, um das bestmögliche Ergebnis für sich selbst zu erzielen.
Hier kommt Alwins Payoff-Matrix:
Alwins Payoff | |||
Jenny putzt | Jenny putzt nicht | Zeilensumme | |
Alwin putzt | 8 | 2 | 10 |
Alwin putzt nicht | 7 | 2 | 9 |
Spaltensumme | 15 | 4 | 19 |
Alwins Payoff ähnelt dem seiner Frau, ist aber nicht identisch. Ebenso wie Jenny möchte er nicht, dass die Wohnung unaufgeräumt und schmutzig ist – aber er möchte auf keinen Fall selbst putzen. Die Option, dass keiner putzt, bewertet er also mit »2«. Eine höhere Punktzahl, »7«, erhält die Variante, bei der Jenny die ganze Arbeit macht. Allerdings gibt Alwin dieser Option nicht den höchsten Skalenwert, weil er genau weiß, dass Jenny wütend wäre, wenn sie die Wohnung allein putzen müsste. Für ihn würde das einen geringeren Payoff bedeuten, da Jenny dann schlecht gelaunt wäre – und bestimmt weniger Interesse an Sex hätte. Wenn wir uns Alwins Payoff anschauen, wird deutlich, dass seine beiden besten Ergebnisse ebenfalls von Jennys Bereitschaft zu putzen abhängen. Die Spaltensummen in der untersten Zeile der Matrix lassen allerdings einen Unterschied erkennen: Wenn Jenny putzt, liegt Alwins Punktwert bei »15«, wenn sie nicht putzt, bei »4«. Wenn Alwin sein Verhalten ändert und selbst zum Besen greift, gewinnt er dadurch lediglich einen Punkt (10 statt 9). Verändert er Jennys Verhalten, gewinnt er dagegen 11 Punkte (15 statt 4). Um seinen Payoff zu maximieren, muss Alwin seine Frau davon überzeugen, zu putzen.
Jenny und Alwin könnten genauso gut Abgesandte zweier verfeindeter Nationen sein, die Abrüstungsverhandlungen führen: Beide sind der festen Überzeugung, dass ihre Seite am besten dasteht, wenn sie den anderen dazu bringen, dessen Mittelstreckenraketen zu vernichten. Eine solche unkooperative Einstellung führt zu einem endlosen Konflikt, bei dem jeder versucht, den anderen dahingehend zu beeinflussen, dass er die Handtücher zusammenlegt oder den Müll runterbringt. Am Ende räumt entweder keiner die Wohnung auf oder nur einer von beiden – in jedem Fall ist Streit vorprogrammiert.
Die verzwickte Geschichte von Jennys und Alwins unaufgeräumter Wohnung mag Ihnen etwas überzogen erscheinen, aber sie macht deutlich, wohin Misstrauen führt. Wenn Sie Ihrem Partner nicht vertrauen, nehmen Sie die kompromisslose Haltung ein, dass der andere sein Verhalten ändern muss, damit Sie selbst den größtmöglichen Payoff erzielen. Umgekehrt verfolgt Ihr Partner dieselben egoistischen Ziele und will Ihr Verhalten zu seinen Gunsten ändern. Nimmt das Misstrauen überhand, bezieht keiner von beiden mehr das Wohl des anderen in seine Überlegungen mit ein.
Dreht man das Ganze um, erhält man meine Definition von Vertrauen: Vertrauen ist nicht irgendein undefinierbares Etwas, das zwischen zwei Menschen wächst. Es ist ein ganz bestimmter Zustand, bei dem beide Seiten bereit sind, zum Wohl des Partners das eigene Verhalten zu ändern. Je mehr Vertrauen in einer Beziehung vorhanden ist, umso mehr achtet man aufeinander und findet Rückhalt im Partner. In einer vertrauensvollen Beziehung freut man sich über den Erfolg des anderen und macht sich Sorgen, wenn er in Schwierigkeiten steckt. Wenn der eigene größtmögliche Payoff den anderen unglücklich macht, kann man darüber nicht glücklich sein.
Sobald Jenny und Alwin einander mehr Vertrauen entgegenbringen, werden sie aufhören, sich gegenseitig die heiße Kartoffel zuzuwerfen. Sie werden kooperieren und die Wohnung gemeinsam in Ordnung bringen, denn auf diese Weise erreichen sie den größtmöglichen Payoff für den Partner und für sich selbst. Alwins vorherrschender Gedanke wird nicht sein: »Wenn ich jetzt ein bisschen staubsauge, ist Jenny nachher bereit, mit mir ins Bett zu gehen.« Stattdessen wird er denken: »Ich putze jetzt das Bad, weil Jenny Angst davor hat, das Mädchen für alles zu werden, so wie ihre Mutter. Ich möchte nicht, dass sie sich meinetwegen so fühlt.« Ebenso wird Jenny bei ihren Entscheidungen die Bedürfnisse und Wünsche ihres Mannes berücksichtigen. Gegenseitiges Vertrauen bedeutet nicht, dass Jenny und Alwin grundsätzlich die Bedürfnisse des anderen über ihre eigenen stellen – das wäre bestimmt nicht gesund. Es bedeutet, dass die Zufriedenheit des einen mit der des anderen verknüpft ist. Beide werden das eigene Verhalten ändern, um den Payoff des anderen zu erhöhen.
Aus spieltheoretischer Sicht ist die Entscheidung des Paares, die Hausarbeit gemeinsam zu erledigen, eine Form des sogenannten »Nash-Gleichgewichts«. Dieses Konzept geht auf den Mathematiker und Nobelpreisträger John Nash zurück, dessen Lebensgeschichte Gegenstand des Oskar-prämierten Films A Beautiful Mind – Genie und Wahnsinn (2001) ist. Beim Nash-Gleichgewicht erhalten beide Spieler am Ende den maximalen Payoff, und keiner von beiden kann sich durch eine einseitige Änderung der Situation noch verbessern. Anders als typische Spieler haben Jenny und Alwin diese Strategie jedoch nicht nur gewählt, um ihren eigenen Payoff zu erhöhen, sondern auch, um den Payoff des Partners zu maximieren. Die Voraussetzung dafür ist, dass sie einander vertrauen.
Vertrauen im spieltheoretischen Sinne zu definieren, ist das eine. Wesentlich schwieriger ist jedoch, eine mathematische Formel zu entwickeln, mit der man die Stärke des Vertrauens in einer Beziehung berechnen kann. Diese Möglichkeit verdanke ich meiner riesigen Datenbank, die zahllose Aufzeichnungen von Paarinteraktionen in meinem Love Lab enthält. Von meinen bisherigen Studien waren fünf für mein Unterfangen besonders geeignet. Gegenstand dieser Untersuchungen waren Paare verschiedener Altersgruppen mit unterschiedlichem ethnischen und sozioökonomischen Hintergrund. Bei einer dieser Studien begleiteten wir sechs Jahre lang 131 Paare, die wenige Monate zuvor geheiratet hatten. Außerdem beobachteten meine langjährigen Mitarbeiter Robert Levenson, Laura Carstensen und ich 20 Jahre lang 160 Paare in den Vierzigern und Sechzigern. In einer dritten Studie untersuchte ich die Interaktionen von 100 Paaren unterschiedlichen Alters, die ein breites Spektrum an Beziehungszufriedenheit repräsentierten. An alle diese Untersuchungen schlossen sich Folgestudien an, das heißt, ich konnte die Ergebnisse aus dem Labor mit dem vergleichen, was später aus den einzelnen Beziehungen wurde.
Im Rahmen der Studien zeichnete ich die Aussagen und die Körpersprache der Paare auf, während sie ein Konfliktgespräch führten. Auf diese Weise konnte ich mir ein klares Bild davon machen, wie sich die Paare verhielten, wenn sie nicht einer Meinung waren. Außerdem sammelte ich Daten darüber, wie sie aufeinander reagierten, und zwar mithilfe eines einfachen Gerätes namens Video-Recall-Skala. Die Skala ähnelt den Stimmungsbarometern, die Nachrichtensender während der Rededuelle von Präsidentschaftskandidaten einsetzen, damit die zugeschalteten Wähler direkt ihr Feedback abgeben können. Obgleich das Gerät zu simpel erscheinen mag, um komplexen Untersuchungen gerecht zu werden, haben Studien ergeben, dass es recht präzise feststellen kann, was Menschen empfinden. Die Video-Recall-Skala war bei der Entwicklung meiner Vertrauensmetrik entscheidend, weil sie wie ein kleines Vertrauensbarometer funktioniert. Angenommen, ich verfügte über eine Videoaufzeichnung von John, der Mary versprach, endlich das Auto zu waschen. Ich konnte nicht davon ausgehen, dass Johns Versprechen automatisch Marys Vertrauen in ihn erhöhte. Vielleicht glaubte sie ihm nicht. Vielleicht war das ja nur eines von vielen leeren Versprechen. Während der Aufzeichnung konnte ich die beiden Partner aber schlecht unterbrechen, Mary ein Mikrofon vors Gesicht halten und sie fragen, was sie von Johns Versprechen hielt. Stattdessen setzte ich das Video-Recall-Verfahren ein.
Kurz nachdem die Diskussion aufgezeichnet worden war, schauten sich beide Partner einzeln das Video an und gaben ihr unmittelbares Feedback über ihre Gefühle ab, indem sie den Zeiger in die positive oder negative Richtung der Skala drehten. Meine anschließende Analyse der Ergebnisse zeigte, dass Mary tatsächlich erfreut war, als John ihr versprach, das Auto zu waschen, denn als sie das Video anschaute, fuhr sie mit dem Zeiger scharf nach rechts, in Richtung »extrem positiv«.
Was die Untersuchung von Beziehungen in dieser Form erschwert, ist der Umstand, dass die Stimmung der Testpersonen während einer Diskussion umschlagen kann und möglicherweise verschiedene Abstufungen von positiv und negativ durchläuft. Selbst Videos von äußerst glücklichen Paaren zeigen Momente, in denen die Partner nicht aufeinander abgestimmt sind, etwa wenn einer von ihnen während der Aufzeichnung aufgebracht war, der andere beim Video-Recall aber nicht darauf reagiert. Ebenso kann es bei unglücklichen Paaren Momente geben, in denen die Partner Empathie und gegenseitige Unterstützung bekunden. Um eine universelle Vertrauensmetrik zu entwickeln, musste ich diese Abweichungen erkennen und dann präzise bestimmen, welche Interaktionen für eine vertrauensvolle Beziehung kennzeichnend sind und welche in vertrauensarmen Beziehungen vorherrschen. Derartige Informationen sind auch für andere Paare, die ihre Beziehung mithilfe einer Fachperson beurteilen wollen, extrem nützlich.
Um die enormen Datenmengen zu organisieren, konzipierte ich drei »Zonen«, denen ich die Reaktionen der Paare zuordnete: feindlich, neutral und freundlich. Zur »feindlichen Zone« gehörten negative Verhaltensweisen wie Wut, Kritik, Streitlust, Mobbing, Abwehrhaltung, Traurigkeit, Enttäuschung, Angst, Anspannung, Weinen, Abscheu, Blockadehaltung und Verachtung. In die »freundliche Zone« fielen positive Emotionen und Verhaltensweisen wie Interesse, Vergnügen, Humor, Lachen, Erregung, Freude, Wertschätzung und Empathie. Den Rest – die Blabla-Reaktionen, die weder negativ noch positiv waren – ordnete ich der »neutralen Zone« zu.
Möglicherweise wären manche Paare nicht mit allen Zuordnungen einverstanden gewesen, aber ihre Einwände hätten mich nicht beeinflusst. Ich habe ihre Aussagen und ihre Körpersprache nach einem speziellen System kategorisiert, mit dem sich Beobachtungsdaten kodieren lassen. Solche »Regelwerke« gehören zum Kanon der psychologischen Forschung und wurden über viele Jahrzehnte hinweg mehrfach auf ihre Validität geprüft.2 Ein Stirnrunzeln oder heruntergezogene Mundwinkel werden immer negativ kodiert, ein »echtes« Lächeln dagegen positiv, und so weiter. Wenn ich die Reaktionen eines Paares während eines Konfliktgesprächs aufnehme, bekomme ich eine visuelle Darstellung des Beziehungszustands. Das Auf und Ab der Daten zeigt, wie die Partner aufeinander reagieren und in welche der drei »Zonen« ihre Reaktionen fallen (Punktwerte über null kennzeichnen die »freundliche Zone«, Punktwerte unter null die »feindliche Zone«). Außerdem lässt sich aus der Aufzeichnung der Daten ablesen, ob in der Interaktion eines Paares beim Konfliktgespräch der Trend insgesamt negativ oder positiv ist.
Ein letzter wichtiger Punkt bei der Entwicklung einer Vertrauensmetrik waren die Reaktionen der Paare, während sie die Videoaufzeichnung ihres Konfliktgesprächs anschauten. Ihre Bewertungen mittels Vertrauensbarometer gaben Aufschluss darüber, wie stark das Wohlbefinden des Partners jeweils den eigenen Payoff beeinflusste.
Janet und Philip nahmen an meiner Studie mit frisch verheirateten Paaren teil. Obgleich sich später herausstellen sollte, dass ihre Beziehung von Dauer und glücklich war, bewegten sie sich während ihres Konfliktgesprächs nicht immer in derselben Zone. Janet verhielt sich mitunter »freundlich«, während Philip »feindlich« war, oder sie war »feindlich«, während Philip sich »neutral« verhielt. An einem bestimmten Punkt ließen Janets Äußerungen und Körpersprache klar erkennen, dass sie gerade in der »freundlichen Zone« war: Sie lehnte sich nach vorn und hörte ihrem Mann aufmerksam zu. Aber Philips Worte und Verhalten machten ebenso deutlich, dass er unzufrieden war. Als Jane diesen Teil der Interaktion später im Video anschaute, drehte sie den Zeiger weit in Richtung »extrem negativ«. Dass sie in dem Moment selbst in der »freundlichen Zone« war, verschaffte ihr keinen Payoff, weil ihr Mann offensichtlich unzufrieden war. Philip bewertete einen Moment, in dem Jane voller Stolz und Zufriedenheit über ihren beruflichen Erfolg sprach, später als positiv, obwohl seine Äußerungen und seine Körpersprache im Video eher einen »neutralen« Eindruck machten. Diese Reaktionen zeigten, dass Janet und Philip eine Beziehung mit einer hohen Übereinstimmung und einem hohen Vertrauensniveau führten. Der Payoff der beiden Partner hing davon ab, was der andere empfand. Momente, in denen der andere traurig, unzufrieden oder aufgebracht wirkte, bewerteten sie als negativ – ungeachtet dessen, wie sie sich selbst fühlten.
Wenn es Paaren in meinen Studien schwerfällt, einander zu vertrauen, sehen die Ergebnisse ganz anders aus. Es kommt häufig vor, dass ein Partner beim Video-Recall eine positive Bewertung abgibt, obwohl der andere während der Interaktion offensichtlich verärgert war, oder dass der eine neutral bleibt, obwohl der andere glücklich wirkte. Abgesehen davon dass diese Paare viel gemeinsame Zeit in der »feindlichen Zone« verbringen, herrscht zwischen ihren Reaktionen wenig Übereinstimmung.
Unterm Strich macht diese Analyse deutlich, dass die glücklichen Paare in meinen Studien häufiger Kombinationen von Verhaltensweisen zeigten (»freundlich«/»neutral«), die ihnen den größtmöglichen Payoff verschafften, und seltener Kombinationen (»feindlich«/»feindlich«, »feindlich«/»neutral«), die ihren Payoff minimierten. Außerdem hing der Payoff des einen Partners von dem des anderen ab – beide profitierten also von einem größtmöglichen Payoff des anderen. Mit anderen Worten, beide Partner bewerteten jene Momente am positivsten, in denen die Äußerungen und die Körpersprache des anderen positive Emotionen erkennen ließen.
Ich fand heraus, wie häufig stabile Ehen in eine der drei Zonen fielen, und verglich diese Ergebnisse mit denen gescheiterter Ehen. So konnte ich schließlich eine Gleichung entwickeln, mit der sich das Vertrauensniveau einer jeden Beziehung berechnen lässt. Mithilfe dieser Vertrauensmetrik kann ich jetzt jedem Paar einen Vertrauenswert zwischen 0 und 100 Prozent zuordnen, nachdem ich es in meinem Love Lab analysiert habe.
Um von meinen Ergebnissen zu profitieren, müssen Sie aber weder ein Rechengenie sein, noch in mein Labor kommen. Am Ende dieses Kapitels finden Sie einen Selbsttest, der auf meiner Vertrauensmetrik basiert und mit dem Sie das aktuelle Vertrauensniveau Ihrer Beziehung ermitteln können. Wie auch immer Ihre Testergebnisse ausfallen, in den folgenden Kapiteln finden Sie zahlreiche forschungsbasierte Ratschläge, wie Sie Ihre Beziehung stärken können.
Nachdem ich die Vertrauensmetrik ausgearbeitet hatte, entwickelte ich zwei weitere Verfahren, um Vertrauensvarianten zu messen und das Glücksniveau einer Beziehung vorherzusagen. Das erste Verfahren ermittelt die Vertrauenswürdigkeit des Partners. Das mag sich nach Haarspalterei anhören, aber Vertrauenswürdigkeit und Vertrauen sind zwei unterschiedliche Dinge. Das Vertrauensniveau eines Paares zeigt, wie stark die Partner miteinander verbunden sind und sich gegenseitig unterstützen. Dagegen gibt die Vertrauenswürdigkeit darüber Auskunft, inwieweit jeder der beiden Partner bereit ist, für die Beziehung Opfer zu bringen und die eigenen Bedürfnisse – hin und wieder – zugunsten der Beziehung zurückzustellen. Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit gehen meist Hand in Hand. Wenn ein Paar ein hohes Vertrauensniveau hat, ist normalerweise auch die Vertrauenswürdigkeit hoch. Ebenso geht ein niedriges Vertrauensniveau in der Regel mit einer geringen Vertrauenswürdigkeit einher. Allerdings ist das nicht immer so. Gerade bei Paaren, die frisch verheiratet sind oder gerade zum zweiten Mal geheiratet haben, kann es vorkommen, dass sie ein hohes Vertrauensniveau aufweisen, aber nur niedrige Werte bei der Vertrauenswürdigkeit erreichen. Wenn solche Paare ins Love Lab kommen, drehen sich ihre Konfliktgespräche fast immer um Themen wie: »Wenn ich dich brauche, kümmerst du dich dann um mich, oder sind dir deine Freunde wichtiger?«; »Bist du für mich da, wenn ich traurig/verärgert/durcheinander bin?«; »Wirst du mir sexuell immer treu sein?« Im Laufe der Zeit steigt die Vertrauenswürdigkeit der Partner, allerdings nur, wenn die Beziehung stabil ist.3
Vertrauenswürdige Partner geben einander zu verstehen, dass sie und die Beziehung einzigartig und unersetzbar sind. Bei Paarberatungen spreche ich in diesem Zusammenhang davon, etwas »Heiliges« zu erschaffen, weil heilig (»sacred«) und Opfer bringen (»sacrifice«) dieselben etymologischen Wurzeln haben. Beide Begriffe gehen auf frühe religiöse Riten zurück, bei denen das Opfer eine Form der Verehrung darstellte. In dauerhaften, festen Beziehungen erbringen die Partner ebenfalls Opfer, indem sie die Liebe über andere Ziele und Träume stellen. Für Paare, die keine emotionale Verbundenheit mehr empfinden, mag es schwierig sein, das zu lernen. Diese »Partner« haben sich möglicherweise schon jahrelang mit ihrer Unzufriedenheit abgefunden und nebeneinanderher gelebt. Diese Gewohnheit zu durchbrechen ist keineswegs einfach, aber dennoch möglich.
Neben der Vertrauens- und Vertrauenswürdigkeitsmetrik habe ich noch ein drittes Messsystem entwickelt, mit dem ich berechnen kann, wie groß der Widerwille der beiden Partner ist, für den anderen und die Beziehung Opfer zu bringen. Wenn diese Messwerte bei einem Paar über längere Zeit erhöht sind, besteht ein hohes Risiko für Seitensprünge oder andere schwere Formen von Untreue. Treulosigkeit äußert sich immer dann, wenn die Partner den Zeiger der Bewertungsskala in die entgegengesetzte Richtung drehen. Wenn der eine verliert, gewinnt der andere, und umgekehrt. Oft geht es diesen Partnern gut, wenn sich der andere schlecht fühlt. Es ist, als würden diese Paare pausenlos eine riskante Partie Schach spielen.
Ich möchte klarstellen, was ich meine, wenn ich sage, dass meine Forschungen eine Scheidung vorhersagen können. Die Medien haben meine Ergebnisse des Öfteren mit anderen Arten von Erkenntnissen durcheinandergebracht. Den Statistiken zufolge liegt die Scheidungsrate in den USA irgendwo zwischen 43 und 67 Prozent, je nachdem, welche Studie man heranzieht. Diese Zahlen beruhen auf Prognosen darüber, wie viele Paare sich im Laufe von 40 Ehejahren trennen. Meine Studien haben mit solchen Berechnungen überhaupt nichts zu tun. Mir geht es nicht darum, langfristige Scheidungsraten zu messen oder vorherzusagen, sondern Verhaltensweisen und Einstellungen zu identifizieren, die dazu führen, dass Paare sich trennen. In meinen Studien untersuche ich, ob das Vorhandensein bestimmter Faktoren (zum Beispiel eines niedrigen Vertrauensniveaus) eine Trennung ankündigen kann – und wenn ja, mit welcher Genauigkeit.
Wie präzise meine Vorhersagen sind, stelle ich folgendermaßen fest: Nehmen wir an, in einem großen Gefäß befinden sich 130 Glückskekse (stellvertretend für die 130 frisch vermählten Paare in meiner Studie). Nach sechs Jahren wäre uns bekannt, dass auf 113 der kleinen Zettel im Innern der Glückskekse steht: »Diese Ehe wird halten.« 17 Zettel lauten dagegen: »Diese Ehe ist zum Scheitern verurteilt.« Wenn man die 17 Glückskekse mit der schlechten Botschaft vorzeitig identifizieren möchte, ohne die Kekse zu »knacken«, empfiehlt es sich nicht, einfach nur zu raten – die Trefferquote läge nur bei ungefähr 0,00000000000000000003 Prozent. Aber mit meiner Vorgehensweise im Labor kann ich die 17 »schlechten« Kekse in den allermeisten Fällen erkennen. Meine neuen Gleichungen sind valide, denn die Wahrscheinlichkeit, dass sie das Schicksal eines Paares korrekt vorhersagen, liegt bei 85 Prozent.