Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
Epilog
Glossar
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2492
KOLTOROC
Geboren in der Lichtstadt – ein Potenzialfeld pervertiert
Uwe Anton
Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt
Die Lage für Perry Rhodan und die Menschheit ist verzweifelt: Eine gigantische Raumflotte, die Terminale Kolonne TRAITOR, hat die Milchstraße besetzt. Sie wirkt im Auftrag der Chaotarchen, und ihr Ziel ist kompromisslose Ausbeutung.
Die Milchstraße mit all ihren Sonnen und Planeten soll als Ressource genutzt werden, um die Existenz einer Negasphäre abzusichern. Dieses kosmische Gebilde entsteht in der nahen Galaxis Hangay – ein Ort, an dem gewöhnliche Lebewesen nicht existieren können und herkömmliche Naturgesetze enden.
Mit verzweifelten Aktionen gelingt es den Menschen auf Terra und den Planeten des Sonnensystems, dem Zugriff der Terminalen Kolonne standzuhalten. Sie verschanzen sich hinter dem TERRANOVA-Schirm und versuchen, die Terminale Kolonne zu stören.
Um die Milchstraße zu retten, muss zuerst Hangay in eine normale Galaxis zurückverwandelt werden: In der Kernzone Hangays angekommen, führt Perry Rhodan seine Truppen gegen die »Nadel des Chaos«, die zentral für die Retroversion ist. Aber sein Hauptgegner ist der Chaopressor des gesamten Feldzuges: KOLTOROC …
Atlan – Der Arkonide hört die Geschichte KOLTOROCS.
Inkadye – Die Sorgorin ist gegen ihren Willen eine der drei Mütter einer Superintelligenz.
KOLTOROC – Ein Potenzialfeld entartet und übernimmt die Herrschaft über die Truppen des Chaos.
Trim Marath – Der Kosmospürer entwickelt einen Plan, um das Leben einer Kosmokratendienerin zu retten.
25. Oktober 1347 NGZ
»Inkadye liegt im Sterben«, sagte Hery-Ann Taeg. »Es geht mit ihr zu Ende. Ich kann nichts mehr für sie tun. Tut mir leid.«
Atlan sah die Leiterin der Medizinischen Abteilung an. Als sie ihn über SOL-Bordfunk gebeten hatte, sofort auf die Medostation zu kommen, hatte er mit dem Schlimmsten gerechnet.
»Ich verstehe«, sagte er schließlich. »Kann ich zu ihr?«
»Natürlich.« Die Medikerin trat zu dem Schott vor ihnen. Es öffnete sich geräuschlos, und der Arkonide folgte ihr in das Behandlungszimmer.
Inkadye lag auf einem Medobett. Die Sorgorin kam dem Arkoniden trotz ihrer Größe von einem Meter und achtzig und der ausladenden Schultergelenke klein und zerbrechlich vor. Die achteckigen, strohfarbenen Hautplättchen, die ihr Gesicht bildeten, wirkten spröde. An einigen Stellen hatten sie sich so stark zusammengezogen, dass sich dort kleine Risse gebildet hatten. Zwei Medoroboter schwebten über ihr und besprühten die Wunden mit einem aseptischen Heilfilm, der eigens für die Patientin generiert worden war.
Atlan ließ den Blick über die schlanke, humanoide Gestalt schweifen, deren Körper und Gliedmaßen von einer leichten Thermodecke verborgen wurden, und verharrte dann wieder auf ihrem Gesicht. Der lippenlose Mund inmitten des breiten Kinns war leicht geöffnet; ein dünner Speichelfaden floss auf den Rand der beigen Decke.
Genau wie vor drei Tagen, als Hajmo Siderip sie gefunden hat, dachte Atlan. Nur, dass sie da ein zerschlissen wirkendes, blassgelbes Gewand trug.
Schon Siderip hatte erkannt, welch wertvollen Fund sie mit Inkadye gemacht hatten, und SENECA hatte ihren ersten Verdacht bestätigt. Eine Sorgorin! Bislang waren die Terraner nur einem einzigen Vertreter dieser Spezies begegnet, doch dessen Bedeutung war für Perry Rhodans und Atlans Schicksal kaum zu unterschätzen.
Carfesch, dachte der Arkonide. Ein Diener und Bote der Hohen Mächte der Ordnung, ein Gesandter des Kosmokraten. Sie wussten nicht viel über ihn und sein Volk, doch was ihnen bekannt war, sprach Bände.
Vor vielen Millionen Jahren war Carfesch als Bote des Kosmokraten Tiryk aus dem Bereich jenseits der Materiequellen in den Niederungen, dem Standarduniversum, eingetroffen und hatte die damals junge Superintelligenz ES auf Ambur aufgesucht, der Welt des ewigen Lebens. Carfesch hatte einen Memo-Ring mitgebracht, mit dessen Hilfe er zwei eiförmige Zellaktivatoren auf die Individualdaten ihrer künftigen Träger abstimmte. Der Superintelligenz wurde verkündet, dass die noch unbekannten Träger der beiden Geräte in ferner Zukunft zur Stabilisierung ihrer Mächtigkeitsballung beitragen sollten. ES nahm den Boten in ihr Bewusstseinskollektiv auf.
Damals war nicht einmal bekannt, ob diese Träger überhaupt schon geboren waren. Die Superintelligenz hatte Hilfsvölker mit der Suche nach ihnen beauftragt und irgendwann, viel, viel später, den ersten Träger entdeckt. Es handelte sich um einen Admiral der Arkoniden, die gerade einen verzweifelten Kampf gegen Wasserstoffatmer führten.
Einen Admiral namens Atlan.
Ihn.
Rund 10.000 Jahre später wurde mit Perry Rhodan der zweite Träger der beiden speziell justierten Zellaktivatoren entdeckt.
Ohne Carfesch hätten also weder er noch Perry die Rolle spielen können, die sie in den letzten 3000 Jahren gespielt hatten.
Das Verhältnis der beiden Zellaktivatorträger zu Carfesch war allerdings manchmal nicht gut gewesen. Zwar war der Sorgore immer wieder als Beauftragter der Kosmokraten aufgetreten, hatte unter anderem im Jahr 426 NGZ Atlan in die Galaxis Cor gebracht und von dort aus ins Tiefenland. Zehn Jahre später hatte er die aus der Milchstraße verbannten Ritter der Tiefe Atlan, Perry Rhodan und Jen Salik zur weiteren Tätigkeit für die Kosmokraten zu überreden versucht. Der Sorgore hatte den Dritten Weg als Irrlehre dargestellt und ihnen angeboten, erneut in die Dienste der Kosmokraten zu treten.
Die ehemaligen Ritter hatten dieses Angebot in aller Deutlichkeit zurückgewiesen. Damit war das Verhältnis zwischen ihnen und den Kosmokraten endgültig zerrüttet gewesen.
Später hatte Carfesch Rhodans Tochter Eirene, die durch ihre Mutter Gesil eine Halbkosmokratin war, mehrfach besucht, sich ihr als Diener angeboten und versucht, sie zu beeinflussen. Wie gut ihm dies gelungen war, zeigte sich darin, dass Eirene zusehends als Idinyphe von sich dachte, ihrem kosmokratischen Namen, und irgendwann hinter die Materiequellen verschwand.
Rhodan hatte seine Tochter verloren und seit Jahrhunderten nicht mehr gesehen.
Das ist Vergangenheit, dachte Atlan. Perry hat sich mit den Gegebenheiten längst abgefunden, sosehr sie auch schmerzen mögen.
Doch allein die Tatsache, dass sie in der Kernzone Hangays, in der Stadt Koltogor, eine Sorgorin entdeckt hatten, bewies, dass sie eine wichtige Spur aufgenommen hatten. Atlan konnte es buchstäblich in den Brustplatten spüren. Die Ereignisse strebten einem Höhepunkt entgegen.
Seit dem Coup mit Inkadyes Befreiung und der Zerstörung Koltogors war das Mittelteil der SOL konsequent auf Tauchstation gegangen, um nicht durch einen Zufall wieder aufgespürt zu werden. Atlan hatte das Schiff so weit wie möglich von Athaniyyon fortmanövrieren lassen, um ihren großen Fang in Sicherheit zu bringen, an den Innenrand der Kernzone Hangays, weit entfernt von jeglicher Aktivität der Terminalen Kolonne TRAITOR, die sich orten ließ. An den Rand einer gewaltigen, vermutlich unregelmäßigen Linse mit einem größten Durchmesser von 900 und einer größten Dicke von 300 Lichtjahren.
Natürlich hatten sie versucht, die avisierten Treffpunkte mit ESCHER anzufliegen, um von dort Verbindung zu der Parapositronik aufzunehmen. Doch an keinem der Treffpunkte hatte sich das Geringste getan, sodass Atlan das Mittelteil schließlich wieder untertauchen ließ. Sie hatten zahlreiche Sonden ausgeschleust, um die Kernzone zu erkunden, doch Atlan hatte darauf verzichtet, Beiboote auszuschicken. Noch bestand Aussicht auf die Hoffnung, dass die Terminale Kolonne TRAITOR nicht wusste, wem es gelungen war, sich in die Kernzone einzuschleichen, und diesen Erfolg wollte der Arkonide nicht durch eine zufällige Entdeckung gefährden.
Darüber hinaus war das SOL-Mittelteil nach diesem ersten gelungenen Coup nicht vom Glück begünstigt gewesen. Fast hatte es den Anschein, als hätten sie sich in der Kernzone Hangays selbst in die Sackgasse manövriert. Das SOL-Mittelteil allein schien jedenfalls bei Weitem zu schwach, um in diesem Kernland der Kolonne TRAITOR ernsthaft angreifen zu können. Mehrfach hatten Einheiten der Kolonne sie aufgespürt, einmal hatten Dunkle Ermittler sie regelrecht gehetzt. Nur mit knapper Mühe war es ihnen schließlich gelungen, sämtliche Verfolger abzuschütteln.
Atlan räusperte sich und konzentrierte sich wieder auf die Sorgorin. Er sah, wie sich weitere Risse in ihrer Gesichtshaut bildeten. Bislang hatten sie von dieser Spezies lediglich gewusst, dass die achteckigen Hautplättchen sich abhängig von der Umgebungstemperatur zusammenzogen oder ausdehnten. Die Temperatur in der Medostation war freilich konstant; sie hatte keinen Einfluss auf den Zustand der Humanoiden.
Das konnte nicht der Grund für diesen Vorgang sein.
Vor ein paar Tagen waren sie noch voller Hoffnung gewesen. Als Hajmo die Sorgorin entdeckt hatte, war sie bei Bewusstsein und ansprechbar gewesen.
»Du bist ein … Ihr seid KOLTOROCS Feinde?«, hatte sie gefragt, um dann fortzufahren: »Ich … besitze keinen Zugang zu jenen Teilen meines Gedächtnisses, die meine Vorgeschichte betreffen. Gleiches gilt für die direkte Begegnung mit KOLTOROC.«
Knisternd hatte sie Luft geholt. »Doch ich bin zuversichtlich, dass ich diese Erinnerungen nun, da ich der Kontrolle des Chaopressors entzogen bin, wieder erschließen kann.«
Dazu war es allerdings nicht mehr gekommen. Inkadye hatte noch ein wenig über die Umstände ihrer Gefangenschaft berichtet, doch von diesem Augenblick an hatte sich ihr Zustand von Stunde zu Stunde verschlechtert, ohne dass Hery-Ann Taeg einen konkreten Grund dafür hätte nennen können. Kurz darauf war die Sorgorin in eine Art Wachkoma gefallen. Sie hatte nicht mehr reagiert, wenn man sie ansprach, und ihre Lebensfunktionen waren langsam, aber stetig schwächer geworden.
Natürlich, dachte Atlan sarkastisch. Boten der Hohen Mächte zeichnen sich generell durch ihre Verschwiegenheit aus. Und wenn es uns einmal gelingt, jemanden zu finden, der sprechen will, hat er praktischerweise Gedächtnislücken.
Die Medikerin hatte alle denkbaren Untersuchungen durchgeführt. Im Vordergrund stand zwar der Vorsatz, einem leidenden Wesen zu helfen, doch Atlan war Pragmatiker genug, um sich die Wahrheit einzugestehen: Er wollte unbedingt herausfinden, worauf er sich mit dieser Befreiung eingelassen hatte. Vielleicht hatte er ja in ein Wespennest gestochen. Er konnte nicht einmal eine direkte Gefährdung für die SOL ausschließen. Natürlich hatte er umfangreiche Schutzmaßnahmen rund um die Medostation angeordnet.
Fest stand, dass Inkadye KOLTOROC begegnet war, der negativen Superintelligenz, die den Hangay-Feldzug der Terminalen Kolonne TRAITOR lenkte und führte. Doch der Arkonide konnte nicht einmal ahnen, in welcher Beziehung die Sorgorin zu KOLTOROC stand, wusste nur, dass sie sein Gefangener gewesen war. Vielleicht konnte sie von der Superintelligenz aufgespürt oder sonst wie mit einem Scan lokalisiert werden. Vielleicht hatten sie Inkadye entführen sollen, um sich ein Trojanisches Pferd an Bord zu holen.
Vielleicht, vielleicht, vielleicht …
Atlan verdrängte die unnützen Gedanken. Keine einzige Untersuchung hatte einen konkreten Hinweis auf dieses Verdachtsmoment geliefert. Sie hatten auch keine Kralle des Laboraten in ihrem Nacken gefunden.
»Was genau ist mit ihr?«, fragte er die Leiterin der Medizinischen Abteilung. »Welche neuen Erkenntnisse führen dich zu der Aussage, ihr nicht mehr helfen zu können?«
Hery-Ann Taeg seufzte schwer. »Sie ist alt«, sagte sie. »Sehr alt. Mindestens zwei Millionen Jahre, vielleicht zwanzig oder hundert Millionen Jahre – wir können es nicht sagen. Wir haben keine Möglichkeit, ihr genaues Alter festzustellen.«
Hundert Millionen Jahre, dachte Atlan. Oder auch nur siebzig oder fünfzig oder zwanzig. In welche Bereiche stoßen wir hier vor?
»Du willst damit sagen, dass ihre Lebenskraft einfach erschöpft ist?«
»Wir haben keinen … Vitalenergiespender gefunden«, antwortete Hery-Ann. »Keinen Zellaktivator oder so etwas. Sie hat einfach Millionen von Jahren überlebt, doch infolge einer rätselhaften Erschöpfung – als sei ihre Lebenskraft an die Stadt Koltogor gebunden gewesen, aus der wir sie befreit haben – weicht dieses Leben nun aus ihr.«
»Was wiederum eine Perfidie sein könnte, wie man sie KOLTOROC, Inkadyes Kerkermeister über Ewigkeiten, durchaus zutrauen könnte.«
Die Medikerin zuckte die Achseln. »Vielleicht. Aber wir haben keinerlei konkrete Hinweise darauf. Inkadye hat mir von Beginn an sehr viel mehr Sorgen bereitet, als ich zugeben mochte. Schon kurz nach dem Abschied von Koltogor war sie nur noch ein Schatten ihrer selbst. Ein Geschöpf, das dringend Hilfe brauchte, die ich und die Exo-Mediker ihr trotz aller Anstrengungen nicht liefern konnten. Wir stoßen hier an Grenzen, Atlan. Wir können nicht erkennen, geschweige denn aufheben oder umkehren, was Superintelligenzen oder Hohe Mächte initiiert haben.«
Atlan nickte knapp. »Wenn ich mich recht entsinne, hat Carfesch sich damals als Projektion bezeichnet. Wir wissen nicht genau, wie wir das verstehen müssen.«
»Inkadye ist körperlich, so viel steht fest. Aber viel mehr auch nicht. All unsere Untersuchungen haben nicht ergeben, ob sie nun von den Kosmokraten als sehr langlebiges Wesen geschaffen wurde oder KOLTOROC ihr Leben verlängert hat. Ob sie nun zu sterben droht, weil ihre Lebensspanne einfach erschöpft ist oder sie von KOLTOROC getrennt wurde.«
»Ich verstehe«, sagte Atlan. Vielleicht gab es nur eine Rettung für Inkadye – sie mussten sie zu dem Chaopressor zurückbringen.
Doch das war unmöglich. Nicht nur, weil sie die Stadt Koltogor zerstört hatten. Die eigentlich relevante Frage war natürlich, ob die Sorgorin den Tod nicht der weiteren Existenz als Gefangene der Superintelligenz vorziehen würde.
»Kann ich näher zu ihr?«, fragte Atlan.
»Natürlich«, sagte die Medikerin.
Der Arkonide zögerte kurz. Inkadye war nicht allein. Aus den Schatten des Medoraums traten einige Gestalten zum Bett der Sorgorin. Atlan erkannte Darla Markus, die Chefpsychologin der SOL. Eine logische Wahl; vielleicht handelte es sich bei Inkadyes Problem ja um kein rein körperliches. Aber die Herrin der kunstvollen Frisuren hatte offensichtlich genauso wenig zu der Sorgorin vordringen können wie alle anderen.
Neben ihr stand Hajmo Siderip, der Xeno-Psychologe. Er hatte sie gefunden.
Atlan lächelte schwach. Der Arkonide vermutete, dass Hajmo nur von der BURTON auf den SOL-Mittelteil gewechselt war, weil er unglücklich in Dr. Indica verliebt gewesen war, die zurzeit allerdings mit ihm, Atlan, liiert war. Mittlerweile schien Hajmo die Sinnlosigkeit seiner Schwärmerei eingesehen und einen Ersatz gefunden zu haben. Atlan spekulierte auf Darla Markus als neues Objekt für Hajmos Hohe Minne und gestand sich ein, dass er diesen Umstand durchaus begrüßte.
Und dann stand da noch neben dem Krankenbett die Posbi Jawna Togoya, die als Koko-Interpreterin und Verbindungsoffizier zwischen Posbis und Terranern ebenfalls psychologisch bewandert war. Atlan mochte sie nicht; sie war ihm zu exzentrisch. Ihr Plasmateil musste entweder krankhaft oder genial sein, und er war in dieser Hinsicht noch zu keiner Schlussfolgerung gelangt.
Er nickte den Betreuern zu. Sie musterten ihn verstohlen, fast ein wenig vorwurfsvoll. Ronald Tekener hatte viel Zeit in der Medostation verbracht, bei Inkadye gewacht, er hingegen hatte sich seltener hier blicken lassen. Er hatte ein Schiff zu führen, zumindest ein Drittel davon.
Auch in dieser Hinsicht war er ehrlich zu sich. Er war als ehemaliger arkonidischer General Pragmatiker. Natürlich hoffte er, dass es den Spezialisten gelingen würde, Inkadye zu retten. Aber er gestand sich ein, dass es ihm auch um Informationen ging, während die Mediker in erster Linie um Inkadyes Leben besorgt waren.
»Die Lebenszeichen werden immer schwächer«, flüsterte Hery-Ann Taeg ihm ins Ohr. »Es ist nur noch eine Frage von Stunden, wenn nicht sogar Minuten.«
Atlan setzte sich schweigend neben das Medobett und tastete über der Thermodecke nach Inkadyes Hand darunter – und zuckte zurück, als die Sorgorin die Augen aufriss.
*
Der Arkonide glaubte, auf zwei große, tiefblaue, strahlende Murmeln zu schauen, deren Blick sich auf ihn fixierte und bis tief in sein Innerstes zu dringen schien. Die weit hervorstehenden Augen waren starr, standen aber weit genug seitlich vom Kopf, dass die Sorgorin gut den halben Raum überblicken konnte. Dennoch hatte er den Eindruck, sie würde nur ihn wahrnehmen.
»Je näher dem Ende«, flüsterte Inkadye mit schwacher Stimme, »desto klarer werden meine Erinnerungen an KOLTOROC. Gerade waren sie noch blockiert, doch jetzt …«
Atlan drückte Inkadyes Hand unter der Decke. Ungehalten verlagerte er sein Gewicht, als Hery-Ann Taeg ihn zur Seite zu schieben versuchte, um besser an ihre Patientin heranzukommen. »Ich verstehe das nicht«, hörte er die Medikerin leise flüstern, bevor sie sich dann mit voller Konzentration ihren Instrumenten widmete.
Atlan hingegen glaubte es durchaus zu verstehen. Er hatte in seinem langen Leben schon oft beobachtet, dass ein Sterbender unmittelbar vor seinem Tod noch einmal alle verbliebenen Kräfte zusammennahm und sein Zustand sich zu bessern schien.
Aber immer nur kurzfristig, vorübergehend und unmittelbar vor dem Ende …
Er spürte, dass die Sorgorin den Druck seiner Hand erwiderte. Aber die Bewegung war schwach.
»Wir … tun für dich, was wir können«, sagte er. »Kannst du uns helfen? Kannst du uns sagen, was dir fehlt, damit wir …«
Die Sorgorin lachte heiser auf. »In solch einem Augenblick kann niemand einem helfen. Das muss jeder allein für sich durchstehen. Mach dir nichts vor und vor allem mir nicht.«
Atlan schwieg, drückte nur die Hand etwas fester.
»Ich spüre es. Je näher ich dem Tod komme, desto mehr Informationen fließen in mein Gehirn. Über meine Vergangenheit als Ewige Gefangene und Dienerin KOLTOROCS … Ich bin dir unwichtig«, fuhr sie dann fort. »Du willst nur erfahren, was ich weiß.«
Verdammt, dachte der Arkonide. Bin ich so leicht zu durchschauen?