
Mark Jischinski
ironisch
Short Stories
adakia Verlag
adakia Verlag UG (haftungsbeschränkt)
Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek:
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliographie;
detailierte Daten sind im Internet über
http://dnp.db.de abrufbar
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberechtlich geschützt.
Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts ohne Zustimmung des Verlags ist unzulässig.
Gesamtherstellung: adakia Verlag, Gera
1. Auflage März 2014
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014
ISBN 978 - 3-941935 - 16-7 (Paperback)
ISBN 978 - 3-941935 - 24-2 (EBook)
Cover
Titel
Impressum
Shoppingqueen
Für Granatsplitter könnte ich töten
Auf der Suche nach dem Bestseller
Schatz, wir müssen reden!
Graphologin im Supermarkt
Gute Vorsätze
Feng-Shui in Vollendung
Samstag ist Fußballtag
Beschneidung
Das Methusalem-Kompott
Der Kunde ist König!
Vor den Heiligen
Blaues Wunder
Der Standard der Armen oder von Standard & Poors
Stille Nacht, Heilige Nacht
35 Minuten Glück
Die Erschaffung der Welt
Das Wort zum Sonntag
Glauben ist alles
15 Minuten
Ein Schwesterle im Paradies
Im Fremdkörper zum Fahrverbot
Der Roman IHRES Lebens
Bailey ist für alle da
Rollentausch
Bürgernähe
Partner-TÜV
Der Rost einer alten Liebe
Magische Momente
Mitfahrgelegenheit
Frohes Fest
Irischer Regen
Neues aus Witzwort
Die verbotene Frucht
Apokalypse
Der Frauenversteher
Traumfrau
Die Krankheit zum Tode
Der Suppenkasper
Männer im Büro
Senfglas in Lübbenau
Weitere Bücher
Karla will shoppen gehen. Am Samstagnachmittag. Zur Entspannung, wie sie immer sagt. Den merkantilen Aspekt dieser Art der Beruhigung der Sinne scheint sie immer wieder gern zu verdrängen. Die Notwendigkeit von textilen Neuanschaffungen offenbart sich bereits, als sie vor ihrem überquellenden Kleiderschrank steht und nicht einmal weiß, was sie für den Einkaufsbummel anziehen soll.
»Soll ich mich schon mal umziehen oder brauchst du noch etwas Zeit?«, frage ich vorsichtig, um nicht wieder in voller Montur im überheizten Flur vor mich hin zu schwitzen.
»Ich bin gleich soweit. Zieh’ dich ruhig schon einmal um«, bescheidet sie mir, ohne mich eines Blickes zu würdigen, obwohl ich splitterfasernackt hinter ihr stehe und den Samstagnachmittag durchaus auch mit partnerschaftlicher Zuwendung verbringen könnte. Ebenfalls zur Entspannung. Trotz aller Paarungsbereitschaft, die ich signalisiere, nimmt Karla keine Notiz von mir. Also kann ich mich auch anziehen. Unterwäsche, Socken, T-Shirt, Jeans und ein Kapuzenshirt, schon stehe ich gestriegelt und gespornt hinter ihr.
»Wegen mir können wir los«, sage ich, wohlbedacht darauf, keinen Vorwurf in meine fünf Worte zu legen.
»Nun hetz’ mich mal nicht so!«, faucht sie mich an. Sie ist keinen Deut weitergekommen und steht noch immer halbnackt und verführerisch vor dem Schrank, der offenkundig keine tragbare Wäsche enthält. Um nicht schon vor unserem Entspannungseinkauf eine deeskalationswürdige Situation heraufzubeschwören, gehe ich in den Flur und setze mich auf unseren bequemen Sessel.
Ich nicke kurz weg und bemerke beim Augenöffnen, dass es bereits dunkel und mir sehr warm ist. Plötzlich aber wird Licht, denn Karla hat selbiges eingeschaltet und steht vor mir, gekleidet wie die unerreichbare Göttin eines herrschaftlichen Balles. Noch bevor ich ihr sagen kann, dass ihre Kleidung vielleicht etwas zu viel des Guten für einen netten Einkaufsspaziergang ist, scharrt sie mich an: »SO kannst du natürlich nicht mitkommen!«
Es ist einer dieser kostbaren Momente, in denen ich geneigt bin, mich im Geiste mit Dr. Paul Julius Möbius zu verbünden, der in seinem Werk »Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes« in etwa ausführte:
»Der Instinkt nun macht das Weib tierähnlich, unselbständig, sicher und heiter. In ihm ruht ihre eigentümliche Kraft, er macht sie bewundernswert und anziehend. Mit dieser Tierähnlichkeit hängen sehr viele weibliche Eigentümlichkeiten zusammen. Zunächst der Mangel eigenen Urteils. Was wahr und gut ist, das ist den Weibern wahr und gut.«
Soll ich dieses Zitat anbringen? Wird die Freude über meine Belesenheit überwiegen oder aber der Instinkt über sie siegen? Es ist mir als modernen Mann selbstredend bewusst, dass wir Männer schon bei Kleinigkeiten nicht auf uns achten. Die Frau kleidet sich selbst für einen Besuch bei Freunden wie zu einem Staatsempfang und wir Kerle schlumpfen daneben rum, als ginge es zum Saufen mit den Kumpels. SO kann ich natürlich nicht mitkommen. Meint Karla also. Wir Menschen haben so viele Erfindungen gemacht, aber der Beziehungsschiedsrichter war noch nicht dabei. So ein androgynes Wesen, das aus dem Schrank geschnellt kommt, und ganz und gar unparteiisch sagt: »Karla, hast du sie noch alle? Ihr wollt shoppen gehen und nicht zum Theaterball! Und Mark, du gehst nicht ins Fitnessstudio, also nimm’ wenigstens ein Hemd!«
Dann könnte es so etwas wie ein Unentschieden in der Beziehung geben. Doch ein Remis ist bei dieser Institution wahrscheinlich nicht vorgesehen. Ich bin noch ganz in Gedanken, als ich es in meinen Ohren schalmeien höre: »Ziehst du dich bitte um? Wenigstens ein Hemd und Jackett wirst du ja anziehen können, oder?«
Ich bündele meine Gedanken der letzten Sekunden in einem allumfassenden »Hm«.
»Und jetzt schau mich nicht so mürrisch an! Du wusstest die ganze Zeit, dass wir einen entspannten Einkaufsbummel machen wollten, und hattest genügend Zeit. Ich kann auch nichts dafür, dass du dich SO gehen lassen musst. Was sollen denn die Leute denken, wenn sie uns SO miteinander sehen?«
Ich schaue sie an und habe urplötzlich ein unglaublich großes Schlafbedürfnis. Ich könnte sofort wegpennen. Aber das würde den Nachmittag völlig verhageln und die mögliche Belohnungszweisamkeit, die ich als Preis für meine Aufopferungsbereitschaft mindestens verdient habe, ins Reich der Phantasie befördern. Ich bin gedanklich schon dabei, mich zu erheben und gleichzeitig möglichst kein genervtes Gesicht zu machen, als die Sirenen in Fahrt kommen.
»Wie lange brauchst du denn nun? Wenn du so lange zum Umziehen brauchst, wie für das Erheben aus dem Sessel, haben die Geschäfte geschlossen und dann brauchen wir gar nicht erst los. Und du weißt genau, wie ich mich auf das Shoppen gefreut habe! Außerdem gibt es bei Taylor diese todschicke Winterjacke, die ich unbedingt anprobieren möchte. Und Jana hat mir gesagt, dass … «
Am Anfang ihres Monologs habe ich versucht, die Worte zu zählen, doch ich gebe auf. In meiner Erinnerung suche ich nach einer Erklärung Möbius’ und finde sie gleich: »Die Zunge ist das Schwert der Weiber, denn ihre körperliche Schwäche hindert sie, mit der Faust zu fechten, ihre geistige Schwäche lässt sie auf Beweise verzichten, also bleibt nur die Fülle der Wörter.«
Ich schlendere ins Schlafzimmer und nehme ein Hemd aus meinem Schrank, dazu ein Jackett. Möbius nannte studierte und emanzipierte Weibsleute noch spöttisch »Gehirndamen«. Nun haben die »Gehirndamen« uns Kerle fest im Griff. Beim Umziehen denke ich darüber nach, was für eine Witzfigur ich bin. Statt Karla zu sagen, dass sie gelinde gesagt einen Schatten hat, kusche ich vor ihr, wie ein gut apportierender Hund. Ein Schoßhund. So einer mit einem Wollpullover für den Winter und mit einer Schleife im Haar. Einer, der bellt wie ein Babyspielzeug, auf das man drückt. Ich bin fertig umgezogen und schaue in den Spiegel. Dabei versuche ich, den Mann in mir zu sehen. Den, der rausgehen würde, Karla ein paar Takte sagt und sie einfach in die Höhle zieht. Oder an den Herd. Stattdessen sehe ich dieses resignierende Etwas. Was haben wir eigentlich mit dieser gesamten Mann- und Fraugeschichte, mit Gendermainstreaming und der übertriebenen Gleichstellungsmache erreicht? Es kommt mir im Moment so vor, als würde mit aller Macht versucht, die Ungleichheit der Geschlechter zu kaschieren. Konsequent zu Ende gedacht, müsste es bereits in Schule und Kindergarten neben der Mädchen- und Jungentoilette eine Tür mit der Aufschrift »Ich weiß es nicht!« geben. Ich glaube, die ganze Sache liegt an uns Männern. Wir müssen uns endlich rückbesinnen. Nicht auf Möbius, um Gottes willen. Ganz einfach nur auf uns. Im Gegensatz zu einem Mann weiß eine Frau, was sie will. Sie plant, sie agiert. Wir reagieren.
Ich gehe jetzt einfach raus und sage ihr meine Meinung. Sage ihr, dass sie keine neuen Klamotten braucht, dass ich ihr die, die sie jetzt anhat, vom Leib reißen und sie dann vernaschen werde. Danach werde ich sie zum Italiener ausführen. Mein Spiegelbild sieht gleich deutlich besser aus. Ich fühle mich wie ein Mann! Derart gestärkt schwinge ich die Tür zum Flur auf, bereit, mich auf meine Beute zu stürzen. Karla sitzt auf dem Sessel und aus ihren Augen treffen mich Laserblitze.
»Wie lange hat das denn gedauert? Jetzt brauchen wir auch nicht mehr los!«
Termin beim Verleger. Er sitzt majestätisch in einem Ledersessel, zwischen uns ein überdimensionierter Schreibtisch aus Echtholz in Kolonialoptik. Hinter ihm stehen in wandhohen weißen Regalen Bücher, bei deren Zahl ich mich frage, ob er die alle gelesen hat, oder ob sie bei einem Verlagsmenschen bloße Dekoration sind. Aber der Herr Verleger hat sie wahrscheinlich alle gelesen. Manche zweimal. Bestimmt. Vielleicht kommt er endlich einmal darauf zu sprechen, dass sich meine Titel super entwickeln und er die Tantiemezahlung noch vor Weihnachten anweisen wird. Ich schaue deshalb gebannt zu ihm.
»Jischinski, Jischinski«, lässt er meinen gedoppelten Namen klangvoll im Raum verhallten. Ich habe sofort das ungute Gefühl, dass ich gleich einen Doppelten brauchen werde. Nun legt er die Hände vor sich auf den Tisch und faltet sie wie ein Gläubiger zum Gebet.
»Jischinski! Mit Ihrem Frauen- und Männerzeuch; alles gut und schön. Aber das kauft keine Sau. Die Leute haben schon genug Ärger zu Hause, einen Drachen als Frau, einen Säufer als Mann, sie sind frigide oder impotent oder beides, da braucht niemand dieses Gewäsch, das Sie auch noch mit einer pseudopsychologischen Mixtur anrühren.«
Meine Vorfreude verebbt wie die Erektion eines Impotenten. Er blättert in ein paar Seiten Papier.
»Die Verkaufszahlen unserer Bücher sind schlecht. Ach, was sage ich. Sie sind unterirdisch. Wenn wir Glück haben, können wir alles verramschen und haben wenigstens keinen Totalverlust.«
So war das nicht geplant. Gedanklich hatte ich bereits alle Weihnachtsgeschenke zusammengekauft und es blieb sogar noch etwas für mich übrig. So aber scheint die zehnprozentige Beteiligung am Verkaufspreis meiner Bücher nicht einmal für ein Marzipanbrot zu reichen.
»Und was machen wir nun?«, höre ich mich verzweifelt fragen.
Der Herr Verleger schaut aus dem Fenster, dann zu mir, danach in eine Zeitschrift, die er vor sich aufgeschlagen hat. »Haben Sie sich schon einmal die Bestsellerlisten angeschaut, Jischinski?«
»Nein. Das mache ich ganz bewusst nicht, um mich nicht unter einen kommerziellen Druck setzen zu lassen und dem Mainstream will ich auch nicht blind folgen. Ich will mit meinem Herzen schreiben.«
Er mustert mich wie etwas, das er nach einem carnivorischen Festmahl aus seinen Zahnzwischenräumen pult.
»Jischinski, sind Sie wirklich so naiv? Mit dem Herzen schreiben! Nun hören Sie doch auf! Schauen Sie sich einmal an, was wirklich gelesen wird! Erotik, Kochbücher, Krimis, phantastische Bücher und Tiere. Tiere gehen auch immer. Sie könnten mit Ihrem Psychogedöns was über die Psyche der Hunde schreiben. Oder machen Sie was im Ratgeberbereich. Sport und so. Die Leute werden immer fetter. Was aber kein Wunder ist. Erst kaufen sie sich die Kochbücher und fressen wie blöde, dann geht es in die Lifestyle- und Sportabteilung und als letzte Hoffnung bleibt die Erotik in Gedanken, die sie in einem Heim unter Fetten nicht mehr haben.«
Ich sehe durch ihn hindurch.
»Jischinski? Was ist nun mit Sport und Tieren? Haben Sie da was?«
»Ich könnte mir auch einen Hund zulegen und mit ihm Synchronschwanzwedeln üben. Wenn ich dann noch schreibe, dass mir das dabei hilft, meine Komplexe zu verarbeiten, mit Frauen zu kommunizieren, könnte das was werden.«
Der Verleger schaut nachdenklich an die Decke. »Hört sich interessant an. Können Sie auch Krimis?«
»Ich habe da schon länger eine Idee. Ein Gera-Krimi.«
»Ach du heilige Scheiße! Hören Sie bitte damit auf. Das liest kein Mensch. Ich habe mal ein Bild von der Oberbürgermeisterin gesehen, da kam mir der Jugendweihekaffee hoch. Wie heißt die gleich? Kapaun?«
»Hahn.«
»Hm. Ist ja auch egal, irgendwas ohne Eier halt. Aber die musst du in einem politischen Amt haben! Und als Schriftsteller übrigens auch, Jischinski! Und da wir gerade bei Eiern sind. Wie steht es mit Erotik oder Kochbüchern?«
»Ich glaube, dass Erotik nicht so mein Ding ist.« Während ich das sage, überlege ich, mir ein Pseudonym zuzulegen und dann richtig vom Leder zu ziehen. »Angus Cock« schreibt den Bestseller »Die Sakrale Pforte« über den schwulen Geistlichen Helmut Wimmerl, der sein Comingout während einer Trauung erfährt und sich unsterblich in den Bräutigam verliebt. Der Messdiener Fred Sauerbier wird eifersüchtig, verliebt sich auch in den Bräutigam, der aussieht wie Westerwelle und zu dritt treten sie in die FDP ein. Den Schluss sollte ich vielleicht noch überdenken, aber der Plot steht. Der Verleger inzwischen auch. Er stützt sich auf den Schreibtisch und kommt mit seinem Gesicht ganz nah zu mir. Ich kann seinen widerlichen Raucheratem riechen, während er flötet:
»Krimi geht nicht und Erotik auch nicht. Können Sie mit einem Kochbuch dienen? Macht heute eigentlich jeder Idiot. Für eine Autobiographie sind Sie noch zu jung. Außerdem haben Sie nichts zu erzählen. Also, was kochen Sie so? Oder backen Sie? Weihnachten ist ja bald.«
»Meine Mutter ist Bäckerin!«, entfährt es mir hoffnungsvoll.
»Jetzt lassen Sie aber mal Ihren Mutterkomplex beiseite und beantworten Sie mir meine Fragen.«
»Ja, ich kann backen und kochen.«
»Dann schreiben Sie was darüber. Handwerklich sauber und nachvollziehbar. Dann schauen wir mal, ob es was taugt. Mögen Sie etwas ganz besonders?«
»Ja! Für Granatsplitter könnte ich töten!«
Der Verleger sitzt nun wieder, hat sich einen Stift aus einem Köcher geangelt und kaut darauf herum.
»Jischinski, ich habe da eine Idee. Den Titel haben Sie gerade gesagt und dann machen Sie sich an ein politisches Kochbuch. Ganz aktuell, die NSA unter den Kochbüchern gewissermaßen. Rezepte für Amerikaner, die Sie auf einen Kameruner legen und schließlich backen Sie einen Granatsplitter, damit es kracht. Und wenn Sie den Granatsplitter noch im Teigmantel kreieren, haben Sie einen muslimischen Schläfer. Der Schiite sozusagen. Die Leipziger Lerche können Sie mit einem Berliner unterbuttern und so weiter.«
Er schaut mich streng an. »Sagen Sie mal, sind Sie eigentlich der Schriftsteller oder ich? Ich liefere Ihnen hier Ideen für echte Bestseller und Sie schweigen. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Ich mache dann doch das mit dem Hund«, höre ich mich sagen, während ich mich erhebe.
»Wie auch immer«, sagt mein Verleger, »die Abrechnung für das erste Halbjahr der gedruckten Bücher kommt nächste Woche per Post und die E-Book-Abrechnung habe ich hier … Moment … «
Er wühlt in seinen Papieren. »Ein Euro Sechsundsechzig! Was sagen Sie nun?«
»Ich nehme den Granatsplitter.«
Der Herr Verleger ruft an.
»Na, Jischinski, wie geht es mit dem neuen Projekt voran?«
Ich, noch erschrocken über das Klingeln des Telefons und mich langsam auf dem Sofa aufsetzend: »Geht so. Bin gerade bei der genauen Figurenentwicklung. Aber der Plot steht, und die ersten Seiten sind auch schon fertig.«
Auf dem Rechner schaue ich auf das Blinken eines schmalen schwarzen Striches auf einem weißen Blatt Papier ganz oben links.
»Ich habe nochmal nachgedacht über das kundenorientierte Schreiben!«, brüllt der Verleger durch den Hörer.
«Und?«, frage ich, weil ich das Gefühl habe, dass ich in dieser Pause etwas sagen muss.
»Wir müssen uns mehr auf die Zielgruppen einstimmen. Also, wer liest eigentlich unsere Bücher?«
»Frauen!«, entfährt es mir in der Hoffnung, fünfzig Prozent aller Konsumenten auf einen Streich zu erschlagen. Ich kann das Stirnrunzeln des Verlegers durch das Telefon hören.
»Jischinski, so platt geht das nicht. Wir müssen schauen, ob wir die multioptionale, effizienzorientierte Leistungselite, das adaptiv-pragmatische Milieu, die liberal-intellektuelle Bildungselite mit postmateriellen Wurzeln oder doch eher die spaß- und erlebnisorientierte untere Mittelschicht erreichen wollen.«
Ich starre auf den Bildschirm und finde nun auch durch meinen Mund keine Worte mehr.
»Jischinski, wir müssen die Zielgruppe so segmentieren, dass sie möglichst gleichartige Reaktionen auf unsere Marketingmaßnahmen zeigen, denn nur so ist erfolgreiches Produzieren, Publizieren und Vermarkten möglich!«
»Manchmal glaube ich, dass Sie der Einzige sind, der meine Bücher liest. Und sie auch noch mag«, entfährt es mir schon leicht bedrückt.
»Papperlapapp, Jischinski, ich habe in den letzten drei Monaten eins von Ihren Büchern verkauft. Es gibt da schon noch welche, die solche Bücher lesen, da draußen in der Milieuwelt.«
»Hmm, nur wissen wir nicht, wer. Sollte ich nicht für möglichst alle lesenden Zielgruppen schreiben? Also im Grunde für Frauen?«
»Sie immer mit den Frauen, Jischinski! Glauben Sie denn, dass Männer nicht lesen?«
»Ich habe neulich mit einer Freundin gesprochen, die mir erzählt hat, dass ihr Freund, wenn er überhaupt mal Zeit hat, Sport macht, sie befummelt oder Fernsehen schaut. Zeit der Komplentation verbringt er damit, dass er isst oder aber auf dem Sofa liegt und einen fahren lässt. Für das Lesen ist da kaum Raum und Zeit.«
»Aber Jischinski, wir reden doch hier über die Bildungsbürger, nicht über die um Orientierung und Teilhabe bemühte Unterschicht!«
Nun runzle ich die Stirn. »Sie sollten bedenken, dass wir Männer aus Frauensicht ALLE zu dieser Schicht gehören!«
»Da könnten Sie Recht haben, Jischinski. Schreiben Sie halt was für das klassische Establishment und den leistungs- und anpassungsbereiten Mainstream.«
»Rosamunde Pilcher fährt mit Harry Potter in 80 Days nach Panem, durchquert dabei die Shades-of-Grey-Feuchtgebiete, trifft auf einen Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwindet dann mit ihm ein ganzes halbes Jahr, um schließlich vegan for fit auf der Insel Amazon zu leben?«
»So doof sind Sie doch gar nicht, Jischinski! Dann fangen Sie mal an!«
Es trifft mich völlig unvorbereitet. So, wie jedes Mal. Sie sitzt vor mir und sagt die schweren Worte. »Ich muss mit dir reden.«
Was so leicht daherkommt wie eine sanfte Eröffnung, ja ein verbales Vorspiel sein könnte, ist in Wahrheit das Tor zur Hölle. Denn wenn sie mit mir reden will, ist sie in ihrer Welt bereits am Ende. Dann hat sie »ES« schon einige Male durchdacht, mir subtile Hinweise gegeben, ES auf verschiedene Art und Weise deutlich gemacht. »Ich muss mit dir reden« ist die Fortsetzung der partnerschaftlichen Demokratie mit kriegerischen Mitteln. Besonders gern nimmt sie sich für ihren Verbalangriff die Momente, in denen ich schutzlos bin. Bei der Nahrungsaufnahme, nach dem Sex oder aber kurz vorm Einschlafen. Anfangs dachte ich noch, das sei Zufall, doch inzwischen weiß ich, dass sie diesbezüglich eine Schlange ist. Karla sitzt also vor mir, scheinbar unschuldig, ihr freundlichstes Lächeln umspielt genau die Lippen, die ich am liebsten nur küsse und herausfordernd schaut sie auf mich. Wie immer wird sie dieses Gespräch ausführlich vorbereitet und gedanklich bereits in allen mäandernden Verästelungen durchdacht haben. Ich dagegen kaue auf meinem Frühstücksbrötchen herum und habe maximal die gedankliche Hürde zu bewältigen, ob als Nächstes der Nuss-Nougat-Aufstrich dran ist oder die Orangenmarmelade.
»Worüber?«, entfährt es mir zwischen zwei Bissen.
Nun ist der Kampf eröffnet und Karla schiebt ihre Geschütze aufs Schlachtfeld. Dame auf D7 – Schach!
»Mir ist in letzter Zeit vermehrt etwas aufgefallen, was mir Sorge bereitet. Möglicherweise irre ich mich ja und es ist alles nur zufällig, aber ich will dich und uns vor Schaden bewahren.«
Was mir auffällt, sind gleich mehrere Dinge. Zum einen drückt sich Karla immer so gewählt aus, wenn sie mit mir reden will. Ganz anders, als in den Momenten, in denen ich meine Hände und andere Körperteile an und in ihr habe. Zum anderen weiß ich genau wie sie, dass es keine Zufälle gibt. Vor allem aber ist mir bewusst, dass wir Alarmstufe rot haben, weil nicht nur ich vor Schaden bewahrt werden muss, sondern dieses ominöse »WIR«. Das ist eine andere Liga. Die Champions League unserer Zweisamkeit.
Meine Gedanken und Sorgen zusammenfassend, sage ich männlich korrekt: »Was?«
»Fällt dir etwas auf?«, fragt sie, während sie aufsteht, zu meinem Whiskeyregal geht, ihm die Flasche Bruichladdich Islay Single Malt entnimmt und sie vor mich hinstellt. Dazu schiebt sie die Jameson-Marmelade vom Frühstückstisch. Schließlich geht sie zum Schrank und holt aus diesem den Irish Fruit Cake, den ich gern zum Kaffee habe, weil diese Whiskey-Note gar formidabel ist.
Ich entscheide mich nun für die Nuss-Nougat-Creme und schneide das nächste Brötchen auf. Dabei antworte ich: »Was soll mir auffallen?«
Karla setzt ihr Lehrerinnengesicht auf. Das, von dem ich ihr schon ein paar Mal gesagt habe, dass ich mir immer vorkomme, wie ein kleines Kind, und es »UNS« nicht gut tut, wenn sie das macht. Mein »UNS« übergeht sie immer galant mit dem Hinweis, dass dies nicht nötig wäre, wenn ich mich nicht wie ein Kind verhielte. Dann kommt wieder der Stich ins Herz, den sie freudig wie eine Figur aus einem Stephen-King-Roman ansetzt: »Und solange du dich wie ein Kind verhältst, brauchen wir kein Zweites«. In solchen Momenten würde ich ihr gern den Mann in mir zeigen. Meine Keule auspacken, wofür auch immer.
Sie spitzt derweil ihre Lippen und verfällt auch noch in diesen Dozententonfall, den ich schon immer hasste: »Du isst zum Frühstück Jameson-Marmelade, gestern gab es zum Mittag eine Rotweinsauce und zum Kaffee hast du dir zwei Stück Irish Fruit Cake gegönnt. Schließlich hast du, bevor wir gestern ausgegangen sind, einen Doppelten von diesem unaussprechlichen Whiskey getrunken.«
»Bruichladdich«, sage ich perfekt, wenn das Brötchen die Aussprache nicht etwas verzerren würde.
»Wie auch immer«, doziert Karla weiter, »und dann hast du am Abend noch zwei Lynchburg Lemonade und zwei Jacky-Cola getrunken.«
»Weil DU gesagt hast, trink ruhig, ich fahre«, insistiere ich nun etwas bestimmter. Halbe Keule gewissermaßen.
»Was??«, entfährt es ihr und ihr Gesicht rötet sich. »Das bedeutet doch nicht, dass du dich volllaufen lassen sollst! Und außerdem erkennst du das Problem wieder einmal nicht und das wiederum zeigt eindeutig, dass meine Befürchtung richtig ist und du eins hast!«
Ich schiele zur Jameson-Marmelade und komme blitzartig zu der Erkenntnis, dass es Wasser auf Karlas Mühlen wäre, wenn ich jetzt die letzte Hälfte Brötchen genau damit beschmiere. Und ich glaube, dass Karla ein Problem hat. Immer dieser detektivische Irrsinn! Sie kann sich genau an meine Speisefolge von gestern erinnern und hat meine Drinks gezählt. Partnerschaft ist scheinbar so etwas wie NSA für die heimische Spielkonsole. Das Blöde ist nur, dass die Rollen immer verteilt sind. Sie weiß jederzeit alles und vor allem: Sie erinnert sich immer daran! Alles, was mir gnädigerweise bereits wenige Stunden später wieder entfällt, ist auf ihrer Festplatte fest eingebrannt, vor allem, wenn es um mich geht. Für uns Männer dagegen ist Vergessen eine echte Schutzfunktion des Gehirns, weshalb wir aufgrund von mehr Freiraum klarer denken können und seltener Kopfschmerzen haben. Um das Gespräch schnellstmöglich zu beenden, und die Jameson-Marmelade wieder freizugeben, sage ich: »Ich habe kein Alkoholproblem.«
Sie mustert mich und ich bin mir sicher, dass sie mir irgendwann einmal im Schlaf einen Chip in mein Gehirn eingebaut hat und meine Gedanken lesen kann. Deshalb versuche ich ganz schnell an Versöhnungs-Sex zu denken. Vielleicht klappt es ja. Dazu setze ich meinen Ich-bin-wieder-trocken-Dackelblick auf. Um ihre Argumente zu entkräften, schiebe ich nach: »In der Marmelade sind gerade einmal 0,4 Prozent Jameson, Alkohol in Saucen und Kuchen verfliegt beim Kochen und Backen und gestern Abend war eine Ausnahme. Das weißt du doch, oder?«
Sie wiegt den Kopf, als wolle sie mit den schweren Gedankenkugeln in ihrem Kopf Pingpong spielen. Sie mustert mich. Hinterfragt ihre Entscheidung. Immer wieder dasselbe. Muss wirklich schwer sein für eine Frau. Sagt er die Wahrheit? Kann ich ihm trauen? Ist er ein Säufer? Ist er der richtige Vater für meine Kinder? Kann er uns versorgen oder säuft er in der Schwangerschaft? Wird er später Hustensaft trinken, um wenigstens etwas zu haben? Ich will nicht mit ihr tauschen. Es muss die Hölle sein.
Neulich habe ich in einem Ratgeber gelesen, dass es wichtig ist, dass jeder Mensch seine inneren männlichen und weiblichen Teile austariert. Und genau in diesem Moment spüre ich dieses Schlangenhafte, merke, wie es ist, wenn man am Ende immer Recht hat. Meine weibliche Seite reibt sich die Hände, während ich sage: »Mir ist übrigens aufgefallen, dass du drei Mal am Tag dieses homöopathische Mittel nimmst. Auch ziemlich unaussprechlich. Solidago H, wenn ich mich nicht irre. Das Zeug hat 59,5 Prozent Alkohol. Aber ich habe nichts gesagt. Weil ich weiß, dass ich dir vertrauen kann.«
Mit einem Lächeln greife ich zur Jameson-Marmelade und bestreiche mein Brötchen extra dick.
Ich habe mich dabei erwischt, totalen Unsinn zu denken. So etwas, von dem ich früher dachte, dass es mir nie in den Sinn kommen würde. Während ich meinen Einkaufskorb durch einen Supermarkt schiebe, treffe ich auf eine Bekannte mit ihrem Kind, das neulich eingeschult wurde. Ich schaue mir den Kleinen an und da kommt dieser furchtbare Gedanke hoch. ›Dann beginnt jetzt also der Ernst des Lebens!‹ Ich habe es nicht einmal gesagt, aber gedacht! Und schon allein der Gedanke ist, wenn nicht strafbar, dann zumindest in meinem Werteuniversum ein Ordnungsgeld wert! Und außerdem würde mir der Kleine wahrscheinlich am Liebsten entgegnen: »Hey Alter, ich habe eine Geburt hinter mir, die Qual des Kindergartens noch dazu und du redest vom Ernst des Lebens!« Worauf ich ihm sagen würde: »Warte erst einmal auf den Tag, an dem du herausfindest, dass deine erste große Liebe auch nur eine Zicke ist und der Weg zum Glück länger als 30 Zentimeter.«
Ich lasse sie also stehen und verfluche mich für mein konservatives Gedankengut gut gemeinter Sprüche scheinbar Erwachsener. Der wahre Ernst des Lebens begegnet mir allerdings wenig später an der Kasse. Ich lege meine Einkäufe auf das Band, und nachdem mich der Blick der hinter mir wartenden Rentnerin lange genug gestraft hat, teile ich meine Waren von den ihrigen mit so einem Teil ab, für das es nicht einmal einen anständigen Namen gibt. Auf jeden Fall ist Zigarettenwerbung drauf. Also möglicherweise handelt es sich um ein Kippenkantholz oder einen Tabakriegel.
Dann komme ich an die Reihe. Die Kassiererin schiebt alles brav über den Laser und Piep um Piep wird die Rechnung länger.
Sie teilt mir den Zahlbetrag in einer Lautstärke mit, die auch jemand vernehmen kann, der sich am anderen Ende des Marktes mit dem Kopf voran in der Tiefkühltruhe nach einer Pizza reckt.
Ich gebe ihr meine EC-Karte, die sie flink durch ihr Gerät zieht und sie legt mir einen Zettel zum Unterschreiben hin. Ich unterschreibe, packe meine Sachen zusammen, in Gedanken schon gar nicht mehr im Laden.
Sie aber schaut auf meine Karte und vergleicht die beiden Unterschriften. Wieder und wieder. Dann sieht sie mich missbilligend an. »Die ähneln sich aber nicht sehr!«
»Na und? Sind Sie Graphologin und verdienen sich hier nur was dazu?«
»Jetzt werden Sie mal nicht frech! Die beiden Unterschriften gleichen sich nicht annähernd. Schauen Sie doch mal!«
Und schon hält sie der Alten den Zettel vor die brillenbewachten Augen. Ich denke noch, dass diese Gläser definitiv durchschusssicher sind, da erkenne ich ganz weit hin-Ter den Gläsern zwei winzige, auf mich gerichtete Augen.
»Stimmt!«, krächzt die Alte.
Wo bin ich denn bitteschön gelandet? Eine Discountfachkassiererin und eine Rentnerin bezweifeln die Richtigkeit meiner Unterschrift! Wahrscheinlich werden sie noch die übrigen im Markt zu findenden Passanten befragen, und wenn sie sich zu einem endgültigen Urteil durchgerungen haben, wird weißer Rauch über dem Discounter aufsteigen! Vielleicht doch nicht mehr zum Billigladen? Sollten es mir die paar Cent in Zukunft wert sein?
»Was machen wir denn nun?«, frage ich die Kassiererin, die meine Karte noch immer wie Beweisstück Nummer eins im Prozess Penny gegen Jischinski in ihrer Hand hält.
Derweil krame ich in meinem Bargeld herum, stelle aber fest, dass ich sie leider auch auf diese Art nicht glücklich machen kann.
»Ich frage mal den Filialleiter«, entfährt es meiner Sherlocke Holmes. Die Rentnerin schaut mich inzwischen wie etwas an, was sie sonst nur bei »Aktenzeichen XY ungelöst« sieht.
Vielleicht ist alles nur die gerechte Strafe für diesen blöden Gedanken. ›Hey, Kleiner, nun fängt der Ernst des Lebens an!‹ Dieser doofe Ernst holt dich schneller ein, als du denkst. Und vor allem ist er gänzlich humorlos. Meine Sherlocke kommt wieder zurück. Für einen winzigen Moment habe ich das Gefühl, als sei ihr eine Erleuchtung gekommen. Als hätte sich der böse Gedanke an einen Trickbetrüger wie ein Sandkorn in ihrem Hirn eingenistet und in den wenigen Minuten des Weges bis zum Filialleiter hat das Perlmutt ihres Hirns daraus eine wahre gedankliche Perle entstehen lassen. Doch das, was aus ihrem Mund perlt, ist reichlich schal.
»Sie sollen die Sachen hier lassen und Sie können sich später alles gegen Bargeld abholen.«
Ich schaue böse in Richtung dieses Spiegelglases. Sitzt dahinter der Messias? Der Hausmeister vom Landgericht? Oder doch Barbara Salesch?
Es gibt Verschwörungstheorien zum 11. September, zur Mondlandung und zum Mord an Kennedy. Aber an den kleinen Mann im Supermarkt denkt keiner. Ich verlasse das Geschäft, steige in mein Auto und fahre in den nächsten Laden. Dort angekommen, suche ich die gleichen Sachen wie vorher zusammen, lege sie aufs Band, bezahle mit meiner Karte, unterschreibe und nichts passiert. Es kann sich eben nicht jede Kette eine Graphologin als Kassiererin leisten, denke ich noch, während mich meine Bekannte anspricht: »Na, hast du vorhin auch nicht alles bekommen?«
»Im Grunde schon! Die Kassiererin hat meine Karte aber leider nicht akzeptiert. Ist ’ne längere Geschichte. Aber jetzt habe ich ja alles.« Ich schaue auf den Kleinen, der an einem Lutscher schleckt. »Wie gefällt es dir denn in der Schule?«, frage ich höflich. »Geht so«, nuschelt er mir entgegen.
»Tja, jetzt beginnt der Ernst des Lebens!«, flötet seine Mutter und haut ihm eine Hand auf die Schulter. Im Weggehen schaue ich traurig auf den Kleinen. Er lächelt noch und seine Augen leuchten. Wenn die alle wüssten, wie ernst es wirklich wird, sie würden sich mit Freude totlachen.
Ich laufe durch diese Bar und die Blicke der Frauen treffen mich wie etwas, das mich streichelt und zu sich zieht. Es ist bloß der Rückweg von der Toilette, aber ich laufe wie auf dem Catwalk. Es fühlt sich gut an, wie sich das Training der letzten Wochen auswirkt. Ich muss den Bauch kein bisschen einziehen, sondern laufe einfach so durch die Gegend. Ja, regelmäßiges Training, weniger Stress, mehr Schlaf, so einfach ist das. Ich komme zurück zu meinem Barhocker und setze mich. Die Hose spannt nirgends und ich kann auf einen wundervollen Tag zurückblicken. Alle Arbeit ist getan, noch dazu mit Freude, und morgen werde ich wieder aufstehen und wissen, dass alles möglich ist. Der Gemüsecocktail vor mir schmeckt zwar wie eine alte Biosandalette, aber er wirkt, als würde ich ein Serum für Männlichkeit und Wohlbefinden in mich aufnehmen. Durch das Menschengetümmel hindurch kann ich sie sehen. Sie hört sich das Gelaber von irgend so einem Typen an, wirkt dabei furchtbar gelangweilt, ist aber trotzdem so höflich, alles über sich ergehen zu lassen. Als er endlich weg ist, gehe ich zu ihr.
»Hallo«, sage ich, ohne meine Stimme zu verstellen, »das mag jetzt überraschend sein, aber ich sehe keine Möglichkeit, es dir schonend beizubringen. Also, ganz direkt. Ich stehe hier vor dir, weil ich dich interessant finde und dich kennenlernen will. Ich bin den weiten Weg von meinem Platz dort drüben zu dir gekommen, um dich anzubaggern.«
Sie lacht mich an: »Und wann geht es los?«
»Jetzt gleich.«
Wir unterhalten uns lange und sie lacht über das was ich sage und lustig meine. Ihr Lachen verzaubert mich und ich hänge an ihren Lippen. Sie interessiert sich für mich und mein Leben. So, wie ich etwas über sie wissen will. Längst habe ich ihren Körper als eine Landkarte voller Versprechungen vermessen, wohl wissend, dass es Berge und Täler an ihr gibt, die himmlische Vergnügungen garantieren.
Natürlich bringe ich sie nach Hause bis vor ihre Tür. Aber ich zerstöre diesen wundervollen Abend nicht mit so etwas Banalem wie einem One-Night-Stand. Ich küsse sie zum Abschied in dem Wissen, dass wir uns wiedersehen werden, schon bald. Auch meine enttäuschte Erektion sieht das an diesem Abend noch ein.
Am nächsten Tag stehe ich kurz nach Arbeitsbeginn im Büro meines Chefs. Er gießt uns beiden viel zu trockenen Sekt ein, aber zu Ehren meiner Beförderung einschließlich Gehaltserhöhung lasse ich auch das über mich ergehen. Nach meinem Tagwerk sitze ich in einem Café und lese ganz in Ruhe die FAZ. Doch meine Konzentration ist getrübt, denn immer wieder sehe ich sie vor mir. Ich träume ein wenig von ihr und male mir aus, wie unser Rendezvous am Abend aussehen wird. Auf dem Weg nach Hause kaufe ich ihr einen Strauß roter Rosen. Sie wird mich lieben dafür, bin ich mir sicher.