Über dieses Buch:
Der Regen beginnt zu fallen: Die Rosen im Garten lassen die Köpfe hängen und Gustav und Gerlinde müssen sich fragen, was ihre Ehe eigentlich noch zusammenhält. Gustav wandert ziellos durch die Stadt, lässt sich treiben, verliert sich in den Tiefen der Aquarien im Schaufenster einer Zierfischhandlung. Als er nach Hause kommt, ist Gerlinde verschwunden. Der Regen fällt weiter und nimmt sintflutartige Züge an – was hat Gott bloß so erzürnt? Oder steckt vielleicht doch etwas ganz anderes dahinter?
„Der Meermacher, ein apokalyptischer Science-Fiction-Roman mit einer abgründigen Pointe.“ DIE ZEIT
Über den Autor:
Christoph Braendle wurde 1953 in der Schweiz geboren. Er studierte Jura in Zürich und unternahm ausgedehnte Reisen in Europa, Afrika und Asien, lebte in den USA und in Mexiko. Er verfasste Romane, Essays, Reportagen und Theaterwerke, gründete und leitet das Wiener Salon Theater. Christoph Braendle ist verheiratet, Vater zweier Töchter und lebt heute in Wien und Marokko.
Die Website des Autors: http://christophbraendle.net/
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Neuausgabe April 2014
Copyright © der Originalausgabe 2009 Verlag Bibliothek der Provinz, Weitra und Wien.
Copyright © der Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nicola Bernhart Feines Grafikdesign, München
Titelbildabbildung: © Cepn / veer.com
ISBN 978-3-95520-207-1
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Christoph Braendle
Der Meermacher
Roman
dotbooks.
Meinem Dreimäderlhaus zugeeignet; und denen zu Lindach.
1.
In diesem Moment fielen die ersten Tropfen vom Himmel. Das große Regnen begann. Schon prasselte Wasser gegen die Fensterscheibe, durch welche Gustav in den Garten starrte. Das Licht wurde stumpf und trüb und passte sich Gustavs Stimmung an. Sie war finster, seit Gerlinde die lang geplante Reise in die Südsee hatte stornieren müssen, weil es ihr nicht gelingen wollte, ihre Flugangst zu überwinden. Adieu, feiner Sand und hohe Palmen. Kein Tauchkurs, keine Korallenriffs, keine Fische. Stattdessen würden sie zu Hause Ferien machen. Gustav stöhnte. Der Tag war ihm gründlich verdorben. Jäh war er erwacht aus seinem Traum: Die Südsee, das schönste aller irdischen Paradiese. Hundertmal hatte er die Prospekte gelesen. Auswendig kannte er sie. Langusten, Schalen- und Stacheltiere, vielfarbig glitzernde Tropenfische, aber auch große seltene Arten wie Wale bevölkern Lagune und Meer. Darauf hatte er sich wie ein Kind gefreut. Und erst die Wärme. Die unvergleichliche Transparenz des Wassers. Es würgte ihn der Gedanke, was er nun alles verpassen würde. Nie die Farbe des Meeres sehen? Nie seinen Geruch riechen? Nie sein salziges Wasser mit den Lippen kosten?
Und wenn er sich gar den Spott der Arbeitskollegen vorstellte ... Wie oft hatte er doch mit seiner Reise in die Südsee geprahlt, die einmal etwas anderes sei als das ewige Wandern über Alpenweide und Fels. Und jetzt regnete es auch noch in Strömen. Gustavs Zorn wuchs. Er war gewiss kein böser Mensch, aber jetzt hatte er eine Stinkwut, und die musste sich entladen und zwar umso heftiger, je mehr er wähnte, Gerlinde habe ihre Flugangst einzig ihm zuleide entwickelt. Dabei musste sie doch wissen, wie wichtig ihm diese Reise war. Meer! Frische Luft!, schrie er. Ich brauche mehr frische Luft!
Gerlinde hingegen war erleichtert. Für sie bedeutete der Verzicht auf die Südsee vor allem, dass sie nicht in eine dieser Maschinen zu steigen brauchte, deren Fähigkeit, sich in die Luft zu werfen und dort zu bleiben, sie nie verstanden hatte. Der Verzicht bedeutete auch, dass sie zu Hause bleiben und ihre geliebten Rosenstöcke pflegen durfte, die sie vor zwanzig Jahren von ihren drei besten Freundinnen zur Hochzeit erhalten hatte und die inzwischen zu hohen Sträuchern herangewachsen waren.
Es regnete nun wirklich heftig. Die Rosen wurden vom herabpeitschenden Wasser fast ganz zu Boden gedrückt. Gustav nahm das mit einiger Befriedigung wahr. »Dich kann man rein gar nichts machen lassen!«, schrie er, während er die Tropfen zu zählen versuchte, die auf den Zweigen zerplatzten. »Was musstest du den Flug aber auch ausgerechnet bei dieser Unglückgesellschaft ... Das hast du mit Absicht getan!«
»Ja, Gustav«, sagte Gerlinde. Sie war nicht etwa devot, aber sie hatte sich zu Beginn ihrer Ehe darauf konzentriert, ihren Mann nicht nur zu lieben, sondern auch zu bewundern, und sie hatte sich sowohl an die Liebe als auch an die Bewunderung gewöhnt und sie zu ihrer zweiten Natur gemacht.
»Ich sage ja nicht, dass du bewusst absichtlich eine Fluglinie gewählt hast, die jetzt eine Panne nach der anderen produziert«, knurrte Gustav, »aber unbewusst absichtlich ...«
»Ja, Gustav«, sagte Gerlinde. Sie hatte so viele Tränen der Erleichterung vergossen, dass sie durch den Schleier nicht gesehen hatte, was sie kochte. Das Essen war ihr gründlich missraten. Sie war eben dabei, es in den Müll zu werfen und überlegte, was sie Gustav als Ersatz anbieten könnte.
Aber Gustav war im Moment überhaupt nicht am Essen interessiert. »Unbewusst absichtlich hast du es bestimmt getan!«, doppelte er nach und schlug mit der mageren Hand gegen die Fensterscheibe, vor der er noch immer stand.
»Ja, Gustav«, schluchzte Gerlinde. Am liebsten hätte sie ganz schnell die Koffer ausgeräumt und alles wieder an seinen Platz verstaut, um nur ja nicht mehr an die Südsee erinnert zu werden. Doch fürchtete sie, Gustav damit zu provozieren.
»Wir werden so lange zu Hause bleiben«, schwor dieser jetzt, »bis du weißt, was eine Absicht ist.«
Dies Zuhause war ein Einfamilienhaus namens »Zur Augenweide«, das sich in einer Siedlung in der Nähe des Nordrandes von W. befand. Es war eines jener Fertigteilhäuschen, wie man sie überall sieht, und die sich meistens zu Gruppen versammeln. Auch die »Augenweide« stand in einer Gruppe, an deren Ende vielmehr. Man hatte dieses Ende mit ein paar Silbertannen markiert, um es vom anschließenden, schier endlos sich ausbreitenden Brachland abzugrenzen. Dieses würde früher oder später wohl mit ähnlichen Siedlungen überzogen werden. Im Moment wirkte es nur trostlos und öd.
»Zur Augenweide« war in einer Art Voralpenchaletstil erbaut und umfasste zwei Stockwerke und einen Keller. Parterre gab es die Küche, den Salon und eine kleine Toilette, im ersten Stock das Schlafzimmer, das Bad und ein weiteres Zimmer, das auf den Plänen als Kinderzimmer bezeichnet gewesen, aber wegen der Kinderlosigkeit ihrer Ehe zum Näh- und Bügelzimmer geworden war, in dem Gerlinde auch ihre Bücher aufbewahrte, hauptsächlich Gartenbücher von exquisitem Geschmack.
Der Keller war Gustavs Reich. Er hatte während einer stürmischeren Phase ihrer ehelichen Verbindung eine Sauna samt Whirlpool einbauen lassen und einen Fernsehraum. Dort lagerte er eine schöne Filmsammlung zum Thema Südsee und Unterwasserwelten.
Gerlinde und Gustav hatten also ihr Haus aufgeteilt, wie das in vielen Ehen geschieht. Sie hatten Wege gelegt und Räume besetzt und achteten die Sphären des anderen.
Es war keine schlechte Ehe, auch wenn nicht alle Tage die Trompeten schmetterten.
Jetzt allerdings hing der Haussegen gründlich schief.
»Schau aus dem Fenster, Gerlinde!«, befahl Gustav. »Schau, was du uns eingebrockt hast, schau dir dieses Wetter an!«
Gerlinde stellte sich neben Gustav und schaute durch die verglasten Türen hinaus auf diese Winzigkeit, diese Kostprobe eines Gartens, den sie zwischen den Tannen und dem Haus angelegt und mittels eines englischen Rasens, der drei Rosenstöcke, einer Zwergbirke und eines Grillplatzes in ein Kleinod verwandelt hatte. Sie schaute hinaus und sah, wie es regnete.
»In einer Stunde würden wir landen, Gerlinde«, ätzte Gustav, »du hättest deine Flugangst ausgestanden und wüsstest, wie lächerlich sie gewesen ist.«
Gerlinde schwieg. Sie hatte den Eindruck, dass der Regen ein wenig nachließ. Bald würden sich die Büsche wieder aufrichten. Die Rosen habe ich noch, dachte sie, aber die Freundinnen sind mir abhanden gekommen. Sie wunderte sich, dass sie ausgerechnet jetzt an die Freundinnen dachte. »Aber du hast selber gesagt, Gustav ...«, meinte sie dann.
»Weil es stimmt«, entgegnete Gustav, »aber ich hätte es trotzdem gewagt. Wenn ich allein wäre, hätte ich es gewagt! Ich wäre das Risiko eingegangen und hätte keine Rücksicht nehmen müssen, auf dich nicht und auf deine Angst nicht und nicht auf deine nervöse Konstitution.«
»Ja, Gustav«, seufzte Gerlinde. Sie überlegte, ob sie nicht doch vielleicht einfach die Koffer auspacken könnte.
»Da will man einmal richtig Ferien machen«, fauchte Gustav.
Gerlinde schaute unverwandt hinaus. Ihr kamen die vielen Bergwanderungen in den Sinn, die sie miteinander gemacht hatten. Waren sie nicht glücklich gewesen? Glücklich, oft und oft?
»Aus dem Garten könnte man auch mehr machen«, sagte Gustav plötzlich. »Wenn man schon nicht ans Meer kommt, könnte man wenigstens aus dem Garten mehr machen, Gerlinde, immer nur Gleiches vom Gleichen ist nämlich nicht gut genug, man muss mehr machen, wenn man mehr haben will, Gerlinde, und es ist jetzt wirklich langsam an der Zeit, dass in unser Leben mehr hineinkommt, mehr frische Luft zum Beispiel, oder so. Wir könnten mit einer Palme beginnen, einer großen Palme natürlich, einer Kokospalme am besten oder einer Dattelpalme, was mich wenigstens ein bisschen an das erinnern könnte, was mir alles bedeutet, nicht wahr, Gerlinde. Allerdings müssten deine Rosenstöcke weg, die Rosenstöcke müssen Platz machen, sie müssen Platz machen für Palmen und für mehr ...«Gerlinde wurde blass. »Nein«, rief sie mit halb erstickter Stimme, »nein, das tust du nicht!« Und lief aus dem Salon.
Gustav stand still und schaute hinaus. Obwohl es noch lange nicht Abend war, kroch über den englischen Rasen schon die Dämmerung. »Sie kann sie ja umpflanzen«, murmelte Gustav, »ich verlange nicht, dass sie ihre Rosen wegwirft, sie kann sie bei den Tannen pflanzen oder beim Weg. Für Rosen ist das kein Problem. Rosen überleben das, Rosen sind zäh.«
Er hauchte die Scheibe an und malte in die Trübung einen großen Kreis und eine Linie, die diesen horizontal durchschnitt. »Ich nehme dir deine Rosen schon nicht weg!«, rief er ins
Haus. »Rosen überleben alles, Rosen sind zäh!« »Wenn du die Rosen auch nur anrührst!« Gerlinde stürzte wie
ein Racheengel in den Salon. Sie hatte wieder geweint, aber jetzt blitzten ihre Augen, so dass Gustav sich duckte. »Ich lasse mich scheiden«, zischte sie, »wenn du den Rosen auch nur eine Dorne brichst!«
Gustav zog den Kopf ein. Er kannte seine Frau gut genug, um zu wissen, wann es an der Zeit war, zurückzustecken. »Ich bringe deine Rosen schon nicht um, Gerlinde«, sagte er. »Du könntest sie vielleicht ein wenig umpflanzen, zu den Tannen oder an den Weg hin, Gerlinde, die Rosen überleben das, Rosen sind ...«
»Lass du bloß ...« Die Erinnerung an die Freundinnen gab den Ausschlag. Gustav hatte ihre Freundinnen nicht gemocht, und so hatte Gerlinde sie immer seltener gesehen. Sie hatten sich noch eine Weile geschrieben, schließlich noch Grußkarten zum Neuen Jahr geschickt, dann selbst das nicht mehr. Manchmal hatte Gerlinde vage das Gefühl eines Verlusts empfunden. Sie hatte das leicht beiseite schieben können, weil in ihrer Seele viel Licht war.
Jetzt allerdings ... »Lass du bloß deine Finger von meinen Rosen!«, schrie sie.
»Nicht so laut, Gerlinde, die Nachbarn ...«, mahnte Gustav.
»Ich schreie so laut ich will, Gustav«, zischte Gerlinde, »die Nachbarn kümmern mich nicht. Und weißt du, wieso mich die Nachbarn nicht kümmern? Weil es hier keine Nachbarn gibt, Gustav, diese ganze verfluchte Siedlung ist nämlich ein einziger Friedhof. Das Haus neben uns steht seit einem halben Jahr leer, und das Haus hinter uns steht seit einem halben Jahr leer, und das Haus dahinter hat überhaupt noch nie einen Mieter gefunden, weil nämlich niemand hier wohnen will, Gustav, und weißt du, weshalb hier niemand wohnen will? Weil das der Arsch der Welt ist, Gustav, du brauchst gar nicht so entsetzt zu schauen, der verfluchte Arsch der Welt ist das.« Sie begann wieder zu weinen. »Vielleicht ist es dir noch nicht aufgefallen, dass ich außer meinen Rosen nichts habe, Gustav, nichts und niemanden, keine Abwechslung zum Beispiel und vor allem keine Freundschaften, seit du mir meine Freundinnen vertrieben hast!« Gerlinde kämpfte die Tränen nieder und holte Luft. »Ich meine es bitterernst«, sagte sie dann. »Wenn du meine Rosen auch nur mit dem kleinen Finger berührst, lasse ich mich auf der Stelle scheiden!« Sie machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Salon.
Gustav stand wie erstarrt. So kannte er Gerlinde nicht. So hatte sie noch nie reagiert.
Er ging zur Bar neben dem elektrischen Kamin, um sich einen doppelten Cognac einzugießen. Wie lange will sie die Koffer noch herumstehen lassen, dachte er. Dann stand er da und wusste nicht recht, was er denken sollte. Er schaute die Postkarte an, die am Spiegel über der Bar hing. »Urlaubsgruß aus der sonnigen Südsee!«, hatten irgendwelche Bekannte gekritzelt, darunter zwei Namen, die Gustav längst nicht mehr entziffern konnte. Vorne war eine schokoladebraune Schönheit im Bikini abgebildet. Der Bikini leuchtete gelb.
Er betrachtete sich selber im Spiegel. Er sah ein rundliches Gesicht und sorglose Züge, er sah die Nickelbrille und das schüttere Haar. Man muss ihr ein wenig Zeit lassen, dachte er. Er schwenkte versonnen den kleinen Rest Cognac, bevor er ihn austrank. »Soll sie sich jetzt erst einmal beruhigen«, murmelte er, »wenn sie sich beruhigt hat, kann man bestimmt mit ihr reden, weil sie ja an sich vernünftig ist.« Er schenkte sich noch einen Cognac ein. Dann ging er in den Keller, legte einen Film ins Gerät und drehte den Fernsehapparat an.
Der Film hieß »Die besten Riffs der Südsee« – ein Geburtstagsgeschenk von Gerlinde. Auf dem Umschlag waren grüne und gelbe Fische abgebildet, die sich vor roten Korallen tummelten. Gustav mochte diesen Film von allen am besten. Den Farbenstrudel, die ferne, fremde Welt und ihre bizarren Formen, die märchenhaften Kreaturen. Er hatte den Film schon oft gesehen, und an bestimmten Stellen waren ihm immer Schauer über die Haut gelaufen. Jetzt aber musste er heulen. Er heulte, während gewaltige Thunfischschwärme über ein Wrack hinwegschwebten, und er schluchzte, während Langustenscharen im Gleichschritt über sandigen Grund marschierten. Er flennte, während ein Mörderwal einen Delphin zerfetzte, und er schniefte, bis er begriff, dass er nicht nur aus Rührung weinte, sondern vor allem, weil ein Traum zu begraben war.
Endlich trocknete sein Gesicht. Nichts war aus der Reise in die Südsee geworden, aber was hatte es für einen Sinn, sich tagelang zu kränken? Er nippte an seinem Cognac und begann sich mit dem Gedanken zu befreunden, dass er nicht eine Reise verloren, sondern Zeit gewonnen hatte, um sich zum Beispiel immer und immer wieder »Die besten Riffs der Südsee« anzuschauen, und nicht einmal Gerlinde würde ihn davon abhalten können.
Die Fische waren flach. Die Korallen waren flach. Das Meer gab her, was die zwei Dimensionen des Bildschirms erlaubten. Aber: Meer ist Meer, dachte Gustav, während er sich gemütlich betrank.
2.
Der Himmel war verhangen und es nieselte, als Gustav in der Früh das Haus verließ, um frische Luft zu schnappen, bevor er sich wieder in den Keller zurückziehen würde. Gerlinde hatte sich zwar beruhigt, aber die Stimmung zwischen den Eheleuten war frostig. Manchmal ist das Leben traurig, deprimierend oder gar niederschmetternd, dachte Gustav, aber schon am nächsten Tag kann man wieder guter Dinge sein und denken, die Welt sei wunderbar.
Er tat, als ginge er zur Arbeit und schritt flott aus unter seinem Regenschirm, während er die Siedlung durchquerte. Er schaute dabei weder nach links noch nach rechts, um nur ja niemanden grüßen zu müssen. In der Siedlung wusste man vielleicht, dass er und seine Frau eigentlich in der Südsee weilen müssten. Wenn man ihn sähe, würde man Fragen stellen. Er käme in Verlegenheit.
Als Gustav die Hauptstraße erreichte, wandte er sich nicht, wie an üblichen Werktagen, nach links zur Bushaltestelle, sondern nach rechts. Er ließ die Siedlung hinter sich, marschierte ein paar hundert Meter über freies Feld und stieß dann auf den Weiler Eichgraben, durch den er und seine Frau früher öfters spaziert waren.
Der Unterschied zwischen Gustavs Fertigteilsiedlung und Eichgraben hätte größer nicht sein können. Die Siedlung hatte man planlos hingeworfen, Eichgraben hingegen war über eine lange Zeit hinweg gewachsen und bestand aus alten Häusern, die niedlich einen kleinen Platz umkränzten. Das auffälligste Haus dort war der Gasthof zur Post, die Mitte des Platzes markierten ein Brunnen und eine Brunnenfigur aus Stein. Die Statue stellte einen jungen Burschen dar, der nackt war und auf dessen ausgestreckter Hand sich eine Steintaube niedergelassen hatte.
Gustav hielt beim Brunnen inne und musterte den Gasthof, einen mächtigen Riegelbau, neben dem links und rechts zwei schmale Gassen aus Eichgraben hinausführten. Gustav wäre damals zum Abschluss ihrer gemeinsamen Spaziergänge gerne in die »Post« eingekehrt, aber Gerlinde mochte Wirtshäuser nicht. Er hatte brav genickt und bei sich gedacht, eine Abwechslung müsse ja nicht immer schaden. Jetzt zögerte er nicht lange. Er trat ein und gelangte in einen Gastraum, der groß und hoch war und grünlich schimmerte. Gustav bemerkte sofort, dass alle Wände mit Aquarien, mit Dutzenden, nein Hunderten, förmlich gepflastert waren. Wenn das ein Zufall ist, dachte er. Die Aquarien waren, bis auf ein besonders großes, das gegenüber der Eingangstür den Blick einfing, alle von gleichem Ausmaß und gleichmäßig in die Wände eingelassen, die aus altem Holz bestanden.
Gustav verharrte mehrere Augenblicke lang fast ehrfürchtig, dann setzte er sich an einen Tisch in der Nähe der Tür. Er schaute sich neugierig um.
Unter dem zentralen Aquarium hockten zwei Männer am Stammtisch. Sie redeten leise miteinander, während sie Pläne studierten, die zwischen ihnen ausgebreitet waren. Sonst war die Gaststube leer.
Aus den Aquarien schillerte, glänzte und leuchtete es, dass man meinen mochte, es sei ein Regenbogen zerplatzt und habe seine Farbpartikel über alle Wände und in die grünen Gläser hinein verspritzt. Es waren berückend schöne Bilder, und Gustav merkte, dass ihm andächtig zumute wurde. Er schaute die Aquarien genauer an. Offenbar waren alle belegt. Ein paar Fische kamen ihm bekannt vor, der Clownfisch zum Beispiel und der Zebrabärbling und der kleine Katzenhai.
Unterdessen hatten die beiden Männer ungerührt weitergeredet. Endlich stand einer auf, der Wirt wohl, ein mächtiger Kerl jedenfalls mit kahlem Schädel und gewaltigem schwarzen Schnurrbart. Er stapfte auf Gustav zu und fragte, was er wolle.
Gustav bestellte ein Glas Wein. Er kostete den Wein. Der Wein schmeckte gut. Gustav hatte seit seiner Studentenzeit nie mehr an einem Vormittag in einem Gasthaus Alkohol getrunken. Schon nach dem ersten Schluck stieg ihm jener jugendliche Übermut in den Kopf, den er längst für erledigt gehalten hatte.
Die Studentenzeit, dachte Gustav, das waren noch Hoffnungen, das waren Entwürfe damals, zusammen mit – wie hat er nur geheißen ...
Aber sosehr er sich auch bemühte, an den Namen des Freundes, mit dem er unzählige Vormittage in Wirtshäusern vertrödelt hatte, konnte Gustav sich nicht mehr erinnern. Den Freund selbst hatte er klar vor Augen. Er sah die fast zwerghaft kleine, athletisch trainierte Gestalt, die prominente Nase, die scharfen Augen, den schmalen Mund. Aber der Name war weg. Er hatte sich aufgelöst oder war verschüttet worden, oder er hielt sich hinter den zahllosen anderen Namen verborgen, die seit jenen Tagen an Gustavs Leben vorbeigezogen waren. Zu viele Namen, dachte Gustav, zu viele Geschichten.
Er trank seinen Wein.
Verrückt war er gewesen, jener X, erinnerte sich Gustav. Eine Weile hatte er sogar Theologie studiert und mit dem Gedanken gespielt, Missionar zu werden. Nicht, weil er an Gott geglaubt hätte oder das Wort in die Welt tragen zu müssen meinte, sondern einzig und allein deshalb, weil damals der Beruf des Missionars dermaßen verachtet wurde, dass allein schon die Verkündung der Absicht einen Skandal provozierte, was wiederum den – Himmel, wie hieß er bloß ...
Gustav schaute an sich herab. Er sah den dunklen Anzug, das weiße Hemd, die blaue Krawatte und die schwarzen Schuhe. Um den Bauch herum war ich dünner damals, schmunzelte er.
Dann bestellte er noch ein Glas Wein.
Diesen XY – jedenfalls hat ihn immer das Wilde, das Verrückte, das Außergewöhnliche angezogen, dachte Gustav vor sich hin. Hat er nicht eine Weile lang sogar Piraterie in Betracht gezogen, weil diese ja letztlich nur eine Frage der Organisation sei: Informationen beschaffen, Opfer ausspähen, blitzschnell zuschlagen, im Mittelmeer zum Beispiel oder in der Karibik. Und hinterher einfach in der guten Gesellschaft untertauchen, in Cannes zum Beispiel oder auf den Bahamas, wo ohnehin alle Dreck am Stecken haben.
Gustav trank ein drittes Glas Wein. Er ließ den Blick über die Aquarien schweifen und grübelte weiter darüber nach, wie jener beste Freund geheißen hatte. »Hongkong, Hongkong«, sagte er ein paar Mal, wie um den Namen des Freundes herbeizuzwingen, weil dieser damals insistiert hatte, man müsse nach Hongkong fliegen, um dort die Piraterie des südchinesischen Meers zu studieren.
Die beiden Männer schauten auf. Sie musterten Gustav mit finsteren Blicken. Und schon erhob sich der Wirt, der ein wirklich großer Kerl war, ein Schrank von einem Mann. »Was gibt es zu lachen?«, dröhnte er.
»Nichts«, stammelte Gustav, im Gegenteil, er habe ... »Über Hongkong lacht hier keiner«, knurrte der Riese. Wenn Gustav einen Weg um den Unschlacht herum gewusst
hätte, wäre er gerannt. Ihm brach der Schweiß aus. Es tue ihm leid, stotterte er, es müsse sich um ein Missverständnis handeln, er habe nicht im Geringsten die Absicht, jemanden zu beleidigen, und schon gar nicht Hongkong, wo er sich leider noch nie aufgehalten habe, obwohl er überzeugt sei, dass es sich bei Hongkong um eine wunderbare Stadt handle, die wunderbarste vielleicht, ganz sicher jedenfalls die interessanteste, wenn man den Berichten glauben dürfe, die regelmäßig im Fernsehen und in den Zeitschriften auftauchten, jedenfalls bedaure er zutiefst, nie die Gelegenheit wahrgenommen zu haben, Hongkong zu besuchen, leider auch nicht in seiner Studentenzeit, als er und sein Freund ...
Das Gesicht des Riesen hatte sich während Gustavs Gestammel zuerst entspannt, dann war es in ein breites Grinsen geraten, aus dem schließlich ein schallendes Gelächter platzte. »Tut mir leid, Kumpel«, prustete er, »ich habe gedacht ... He, Oskar«, rief er dem Mann zu, mit dem er sich unterhalten hatte, »unser Freund hier ...«
So mächtig der Wirt war, so schmächtig war Oskar. Ein langes, mageres Gesicht balancierte auf einem dünnen Hals. Weißes Haar umkränzte eine Glatze, die im Licht der Gaststube grünlich glänzte. Oskar musste weit über siebzig sein. Der Körper hatte seine Spannkraft verloren, die Schultern hingen herab, die Brust wirkte wie eingedrückt. Er musterte Gustav durch eine Brille mit dicken Gläsern. »Ist wohl ein Spaßvogel, der Herr?«, fragte er.
Der Wirt hieb Gustav eine Pranke auf den Rücken. »Er ist in Ordnung. Ich habe geglaubt, er lacht über Hongkong, aber er lacht nicht über Hongkong, er lacht über etwas anderes.«
»Da haben Sie aber Glück gehabt«, sagte Oskar zu Gustav, »wenn es nämlich um Hongkong geht, versteht der Postwirt keinen Spaß.«
Gustavs Gesicht war ein weites Feld der Verständnislosigkeit. Das brachte den Wirt erneut zum Lachen, er schlug sich auf die Schenkel und wollte sich die längste Zeit nicht beruhigen.
Oskar hingegen meinte: »Kommen Sie, mein Herr, ich will Ihnen Hongkong vorstellen, bevor der Postwirt explodiert.« Er führte Gustav zum zentralen Aquarium. Es war in seinen Ausmaßen enorm. Aber es gab nur einen einzigen Fisch darin, einen unglaublich prächtigen Fisch allerdings. Stacheln standen ihm von allen Seiten ab, und ein rotbraunes und weißes Querstreifenmuster verlief bis in die weit ausladenden Strahlen der Brust- und Rückenflossen, die zart das Wasser fächelten. Sonst stand der Fisch still im Wasser und schaute Gustav an.
»Hongkong«, sagte der Wirt, »das ist ... wie heißen Sie eigentlich?«
»Gustav«, antwortete Gustav.
»Hongkong, das ist der Herr Gustav. Er wünscht dir einen guten Tag.«
»Guten Tag«, sagte Gustav.
»Sie müssen ihn mit seinem Namen anreden«, brummte der Wirt.
»Weil er Sie sonst nicht versteht«, ergänzte Oskar.
»Guten Tag, Hongkong«, sagte Gustav gehorsam. Er kam sich überaus lächerlich vor. Die beiden Männer hingegen blieben ernst. »Hongkong ist ein Rotfeuerfisch«, erklärte Oskar, »er ist extrem giftig, in seinen Stacheln steckt eines der stärksten bei Fischen bekannten Gifte. Wenn es Sie erwischt, dürfen Sie mit Wundschwellung, Nekrose, einem Kreislaufkollaps und Atemstillstand rechnen, dem Tod also, der ja bekanntlich das Ende ist.«
»Schauen Sie, wie er schwebt«, flüsterte fast unhörbar der Wirt.
Tatsächlich verharrte Hongkong so ruhig neben den langstieligen Tentakeln einer sich giftgrün vom rotweißen Fischabhebenden Seeanemone, dass es schien, als schwebe er und als bewegten sich die langen Schleier seiner Flossen leise im Wind.
»Wunderschön«, nickte Gustav. Er fügte hinzu, dass er Fische liebe und, wenn es nach ihm ginge, jetzt gar nicht hier, sondern weit weg am Tauchen wäre, bei welcher Beschäftigung man Fische ja sozusagen in der freien Wildbahn erlebe. Er schaute auf die Uhr. »In diesem Moment«, seufzte er, »könnte ich unter Wasser sein, ich hätte schon die Farbe des Meeres gesehen oder vielmehr die vielen verschiedenen Farben ...«
»Es gefällt Ihnen also nicht bei uns«, grollte der Wirt.
Gustav erschrak. Aber im Gegenteil, sagte er, er sei froh, hierher gefunden zu haben, er würde die beiden Herren gerne auf ein Gläschen einladen, wenn er es nämlich schon nicht in die Südsee geschafft habe, dann sei dieser Ort bestimmt das, was ihr am nächsten komme. Er habe so etwas Schönes wie diese Gaststube noch nie gesehen, und er sei überzeugt, dass eine Fügung und ein Schicksal und vielleicht sogar eine Notwendigkeit oder gar ein veritables Wunder ihn heute in die »Post« geführt habe. Er wohne seit vielen Jahren ganz in der Nähe, in der Nordrandsiedlung, und nun habe es ihn ausgerechnet heute nach Eichgraben verschlagen, obwohl gerade vom heutigen Tag am allerwenigsten zu erwarten gewesen sei.
Die Herren akzeptierten. Man beschloss, sich einen Halben vom besten Roten zu gönnen. Gustav erzählte von der Flugangst seiner Frau. Oskar meinte, dass er das verstehen könne, ihn brächten nämlich auch keine zehn Pferde in ein Flugzeug, weil er genau wisse, dass sein Herz das nicht aushalten würde. »Was brauchen Sie die Südsee«, meinte er, »so was bleibt doch besser ein Traum, die Südsee ist eine Illusion, eine Fiktion, das Abbild einer Sehnsucht, und soll es auch sein, nicht wahr, weil die Wirklichkeit mit Sicherheit enttäuschend ist. Für mich jedenfalls ist eine Woche Urlaub, wenn ich mich hier beim Postwirt eine Stunde lang zu den Fischen setze.«
Schon wurde es Mittag. Der Wirt sagte, er werde ein paar Schnitzel in die Pfanne hauen, und verschwand in der Küche.
Oskar räumte die Pläne vom Stammtisch weg.
Gustav fragte, ob er fragen dürfe, worum es sich bei diesen Plänen handle.
Oskar meinte, man sei dabei, ein Boot zu bauen. »Ein Segelschiff?« Nein, kein Segelschiff, aber es sei jetzt noch zu früh, darüber zu reden. Gustav betonte noch einmal, wie berückend schön ihn die Unterwasserwelt dieser Gaststube dünke, worauf Oskar meinte, ihn beeindrucke diese ungeheure Vielfalt schon lange nicht mehr, seit er sich auf Fadenfische spezialisiert habe. »Das Schöne an den Fadenfischen ist«, sagte er, »dass es immer wieder etwas zu lernen gibt und man ständig Überraschungen erlebt. Man glaubt, man weiß alles«, sagte er, »und schon unterläuft einem ein geradezu stümperhafter Fehler.« Kürzlich habe er ein rotes Zwergfadenfischpärchen in das Aquarium der blauen Fadenfische gegeben. Das Pärchen sei von den anderen sofort gefressen worden. Auf der Stelle! Er habe nicht den Hauch einer Chance gehabt, rettend einzugreifen. »Es ist ein hartes Leben als Fisch«, sagte Oskar. »Deshalb sorgt die ordnende Hand des Aquarianers im Allgemeinen dafür, dass in den Aquarien nicht gestritten wird. Die ordnende Hand, sage ich immer, sie schafft Frieden und Zufriedenheit.«
Gustav nickte. Ein paar Zierfische, sagte er, das könne er sich gut vorstellen, und schaute wieder zu Hongkong hinauf, der reglos neben der Anemone stand.
»Viele fühlen sich berufen, aber nur die wenigsten sind befugt«, entgegnete Oskar, »man denkt, ein Fisch ist stumm und dumm. Man kauft ihn, und damit ist’s getan. Aber natürlich ist es damit nicht getan. Glas trennt den Fisch rundherum von seiner Freiheit ab, also muss der Aquarianer alles tun, damit er die Freiheit nicht vermisst. Der Fisch braucht Beachtung. Er braucht Zuneigung. Er braucht Liebe. Und eine Ansprache braucht er; wenn Sie nicht bereit sind, jeden Tag viele Stunden mit Ihrem Fisch zu verbringen, dann müssen Sie es lassen. Sonst verkümmert der Fisch, und er schwimmt bald nur noch mit dem Bauch nach oben, weil er tot ist!«
Sie schauten beide Hongkong zu und sahen, wie er ganz zart seine Flossenstrahlen bewegte. Sie schauten, bis Gustav das Gefühl hatte, Hongkong versuche ihn zu hypnotisieren.
Da kam schon der Wirt mit drei Tellern, auf denen goldbraune Schnitzel lagen, und mit drei Gläsern Bier. Einen Teller stellte er vor Gustav ab. Neben dem Schnitzel lag zartgelb Kartoffelsalat.
»Fangen Sie mit einem Sechzigliterbecken an«, sagte der Wirt. Er schaufelte sich das Essen in den Schlund und kaute und redete weiter. »Der Anfänger beginnt mit dem Sechzigliterbecken.«
»Sechzig Liter mindestens«, bestätigte Oskar, »weil die Faustregel lautet: Je größer das Becken, umso einfacher die Arbeit.«
»Die Folienrückwand«, sagte der Wirt, »ist das Wichtigste.«
»Es gibt Aquarianer«, ergänzte Oskar, »die halten die Folienrückwand für noch wichtiger als den Fisch. Wenn Sie die falsche Folienrückwand verwenden, dann stößt Ihr Blick an. Er stößt an einem Gemälde an, das ein Korallenriff oder ein Schiffswrack darstellt. Das taugt nichts, mein Herr, und ist abscheulich.«
»Es ist primitiv!«, sekundierte der Wirt.
In diesem Moment fiel Gustav der Name des Freundes ein. André hieß er, natürlich – wie hatte er das nur vergessen können.
Aber Oskar redete weiter. »Fische im Allgemeinen sind«, sagte er, »eine mit etwa fünfundzwanzigtausend Arten in Süß- und Meeresgewässern weltweit verbreitete Überklasse nullkommanulleins bis fünfzehn Meter langer Wirbeltiere.« Aber die Aquarianer, erklärte er, teilten ihre Fische bloß in Salmler, Welse, Barschartige, Zahnkarpfen, Karpfenähnliche, Kletterfische und Knochenfische ein, zu welch Letzteren zum Beispiel der Kugelfisch gehöre, während etwa zu den Salmlern der rote Piranha zähle. Oskar deutete auf verschiedene Aquarien, um Verwandtschaften hervorzuheben und auf Differenzen hinzuweisen. Er hatte etwas Lehrerhaftes an sich, das sich noch verstärkte, wenn er den dürren Zeigefinger hob. Er meinte, dass es die verschiedensten Ansichten darüber gebe, ob und wie man die Arten und ihre vielen Unterarten mischen dürfe. Aber keine Philosophie sei radikaler als die des Postwirts. »Er ist ein Extremist«, sagte Oskar, »er hält in jedem Tank ein Paar.«
Gustav hatte das zwar gesehen, aber wirklich aufgefallen war es ihm nicht, weil die ungeheure Vielfalt der Arten seine ganze Aufmerksamkeit gefesselt hatte. Jetzt lernte er die Schmetterlingsfische und die Mosaikfadenfische und die Goldringelgrundeln kennen, und den Elefantenrüsselfisch, der von allen Fischen im Verhältnis zum Körper das größte Gehirn habe, und viele, viele andere, deren Namen er sich nicht merken konnte. Überall schwammen sie paarweise, manchmal nah beieinander und manchmal so, als hätten sie nichts miteinander zu tun.
Nur der Feuerfisch lebte allein. Er war ohne Zweifel der prächtigste.
»Warum ist er allein«, fragte Gustav, »ist sein Gefährte gestorben?«
Oskar lachte. »Nein, niemand ist gestorben«, sagte er, »Hongkong lebt allein, weil er eine Mahnung ist. Sehen Sie ihn als Parabel oder als eine Art Menetekel dafür, was passieren kann, wenn Eitelkeit triumphiert.«
Er zeigte Gustav die Landschaften der einzelnen Aquarien. Überall waren ganz offensichtlich Künstlerhände am Werk gewesen, um diese stillen und auf das Wesentliche reduzierten Unterwasserwelten zu schaffen, die so anmutig wirkten, dass Gustav unwillkürlich an japanische Gärten dachte.
»Japanisch?«, fragte er. »Die Folienrückwand«, entgegnete der Wirt. Oskar wies
Gustav darauf hin, dass jede Rückwand speziell für das Aquarium, an dem sie klebte, hergestellt worden war. Es handelte sich meist um Schattierungen, um äußerst feine Schattierungen, die so raffiniert angebracht waren, dass die Aquarien eine fast endlose Tiefe gewannen.
»Diese Aquarien sind keinem wirklichen Meer nachgestellt«, sagte Oskar, »sie ahmen Natur nicht nach, sie kopieren sie nicht, vielmehr gehen sie über sie hinaus, sie transzendieren das, was wir Wirklichkeit nennen, in einen Idealzustand, der jetzt nicht ist, aber vielleicht einmal werden wird.«
Das sei ja nun wirklich alles unfassbar schön, pflichtete Gustav Oskar bei. »Aber fühlen sich all diese Pärchen nicht ein wenig einsam?«, fragte er dann. Immerhin seien Fische in der Natur doch gesellige Wesen?
»Gesellig, gesellig!«, schnaubte der Wirt. »Wer braucht denn Geselligkeit? Sie vielleicht? Ich nicht! Man muss ja nur amüsieren, schockieren oder bewirten können, und schon ist man der geselligste Mensch. Darauf pfeife ich, mein Herr, und ich pfeife auf alle Geselligkeiten, auf die guten, die zwielichtigen und die verstörten, weil noch in jeder Geselligkeit zuerst der Anstand zugrunde geht und dann das Herz.«
Gustav fürchtete, dass der Wirt gleich explodieren werde, so dunkelrot war er während seiner Rede angelaufen.
Oskar beruhigte ihn. »Er meint es nicht bös«, flüsterte er, »er regt sich nur leicht auf.«
»Aber ich bitte Sie«, meinte Gustav. Trotzdem hielt er es für besser, sich nicht auf einen Streit einzulassen. Ihm sei, sagte er stattdessen, immerhin klar geworden, dass es einen großen Bogen um die Freizeitzierfischhalterei zu machen gelte. Tatsächlich gehe es ihm aber um etwas anderes, um mehr und ums Meer recht eigentlich, wenn man das kleine Sprachspiel erlaube, welches Meer ja ...
»Was redet er?«, fragte der Wirt, dem noch Zornesröte das Antlitz färbte.
»Lass ihn«, beruhigte Oskar, »er braucht seine Zeit.«
Knurrend räumte der Wirt die Teller weg. Dann servierte er Kaffee. Gustav erfuhr, dass Oskar tatsächlich Lehrer gewesen war, für Mathematik und Physik. Seit er sich im Ruhestand befinde, gebe es für ihn nur noch den Fadenfisch. »Ich halte sie natürlich nicht paarweise wie der Postwirt«, sagte er, »ich halte sie in Schulen, und da kann es schon passieren, dass ich ihnen die Namen meiner ehemaligen Schüler gebe.« Oskar schmunzelte. »Man wird älter«, sagte er, »aber klüger wird man nicht. Fische sind leichter zu bändigen. Man sucht das Umfeld, dem man gewachsen ist.«
Der Wirt lachte dröhnend.
Gustav fragte, wie die beiden zur Zierfischhalterei gekommen seien.
Er habe, erzählte Oskar, schon als Bub die Aquarien seines Vaters pflegen dürfen. Er habe sie selber eingerichtet und mit Fischen seiner Wahl besetzt, am liebsten mit verfeindeten Spezies. »Ich ergötzte mich daran«, sagte Oskar, »wie sie sich umlauerten, wie sie attackierten, wie sie einander zerfetzten. Es sind beileibe nicht immer die Großen, die auf die Kleinen losgehen, im Gegenteil. Es gibt unter den Kleinen ungeheuer aggressive Arten. Meistens kommen sie in Scharen, sie sind lästig, sie lutschen und knabbern und beißen an ihrem Opfer herum und fressen es langsam Stück um Stück bei lebendigem Leibe auf.«
Grausamkeit, sagte der Wirt, habe für Kinder keine moralische Qualität.
Gustav gab ihm recht. Dann bedankte er sich herzlich für die lehrreichen Stunden. Leider müsse er aufbrechen. Bestimmt erwarte ihn seine Frau.
Aber der Wirt wollte davon nichts hören. Er bestand darauf, dass Gustav der Fütterung des Rotfeuerfischs beiwohne.
Gustav wagte nicht, unhöflich zu sein.
Vor der Fütterung kredenzte der Wirt allerdings noch eine Flasche Wein. Während sie gemächlich tranken, wurde Gustav in die Grundlagen der Salzwasser-Aquaristik eingewiesen. »Wenn Sie Natur naturgetreu nachbilden wollen«, erklärte Oskar, »müssen Sie tief in die Tricktaschen des Künstlichen greifen.«
»Die Folienrückwand«, brummte der Wirt.
»Bauen Sie das Aquarium sorgfältig auf«, sagte Oskar. »Der Sand, das Wasser, die Bepflanzung – alles muss stimmen, weil Sie ein Biotop zu schaffen haben, das sich so gut wie möglich selber erhält. Die Bepflanzung zum Beispiel ist von enormer Bedeutung, weil die Pflanzen am Stoffwechsel beteiligt sind.«
»Und die Folienrückwand«, knurrte der Wirt. 24
»Die richtigen Fische«, insistierte Oskar. »Es gibt Arbeitsfische und Zierfische. Arbeitsfische helfen Ihnen, das Aquarium sauber zu halten. Zierfische sind schön.«
»Zum Beispiel Pinzettenfische.« »Kaufen Sie zuerst ein paar Pinzettenfische.« »Und Drückerfische.« »Putzerfische! Putzerfische sind für Anfänger das Beste«, dozierte Oskar, »kaufen Sie unter keinen Umständen zu viele Fische!«
»Ein Zentimeter Fisch benötigt zwei Liter Wasser.«
»Füttern Sie wenig, dafür öfter am Tag. Kontrollieren Sie Temperatur und Wasserstand mehrmals täglich.«
»Stutzen Sie die Pflanzen!«
»Kontrollieren Sie!« Oskar stach mit seinem dünnen Zeigefinger in die Luft. »Aber wir können Fische nicht nach unserem Sinne formen; so wie Gott sie uns gab, so muss man sie haben und lieben, sie erziehen aufs Beste und jeglichen gewähren lassen.«
»Kontrolle ist alles!«, posaunte der Wirt. »Wasserkontrolle, Säurekontrolle, Nitratkontrolle, und, und, und.«
»Kontrolle bedeutet Pflege«, ergänzte Oskar, »und zwar regelmäßige Pflege und nicht nur alle sechs Wochen. Man nehme sich also täglich mindestens eine Stunde Zeit.«
Gustav hatte das Gefühl, dass ihm der Schädel dröhnte, weil die beiden mit einer derartigen Heftigkeit auf ihn eingeredet hatten.
Jetzt hob der Wirt endlich den Deckel des Aquariums von Hongkong an und legte eine halbe Handvoll Würmer aufs Wasser. Der Fisch verharrte auf seinem Platz neben der Anemone und tat, als schaue er weg. Nach einer langen Weile durchdrangen die Würmer die Spannung der Oberfläche des Wassers und begannen abzusinken. Der Fisch rührte sich nicht. Die Würmer schwebten abwärts, sie sanken an ihm vorbei. Ein Wurm berührte gar seine Lippe, er überschlug sich, sank weiter sandwärts zum Grund. Hongkong brachte nichts aus der Fassung. Er verharrte still.
»Vielleicht ist er krank?«, fragte Gustav. 25
»Er ist nicht krank«, jammerte der Wirt, »er ist verwöhnt. Er will eine bestimmte Art von Würmern, die im Moment nicht zu kriegen ist. Also frisst er nicht, weil es ihm nicht schmeckt, und er frisst nicht, um mich zu bestrafen, weil er genau weiß, dass ich mich miserabel fühle, wenn er nicht kriegt, was er will.«
Hongkong bewegte seine Flossen ein bisschen heftiger, um zu zeigen, dass er mit den Worten des Wirts vollständig einverstanden sei.
»Ich habe in meiner Zeit als Lehrer gemerkt«, sagte Oskar, »dass es am besten ist, dieses Verhalten nicht einmal zu ignorieren.«
Der Wirt meinte, Oskar habe leicht reden, Hongkong sei ja schließlich nicht sein Fisch.
Inzwischen war es Abend geworden. Drei Burschen traten ein. Sie trugen blaue Monturen, setzten sich an einen Tisch und verlangten eine Runde Bier.
Gustav bat um die Rechnung. Er müsse jetzt schleunigst nach Hause, seine Frau erwarte ihn. Der Betrag, den der Wirt nannte, war lächerlich gering. Gustav zahlte und legte ein anständiges Trinkgeld darauf. Er schaute ein letztes Mal nach Hongkong. Der Fisch stand reglos noch immer an derselben Stelle. Die Würmer hatten sich offenbar im sandigen Grund verkrochen.
»Nun denn«, sagte Gustav. Er trat unschlüssig von einem Fuß auf den anderen. »Das war seit langem nicht nur der lehrreichste, sondern auch der netteste und ...«
»Ist schon gut, mein Herr«, knurrte der Wirt.
Oskar ergänzte: »Man muss nicht in die Welt reisen, um sie zu verstehen, verehrter Gustav. Beehren Sie uns also wieder einmal, wenn Sie Lust auf Meer bekommen.«
Das werde er bestimmt, antwortete Gustav. Er zog den Mantel an, nahm den Regenschirm und ging.
Das Wetter hatte sich inzwischen nicht gebessert. Gustav begegnete auf dem ganzen Weg von der »Post« bis zur »Augenweide« keinem einzigen Menschen. Es ist, dachte Gustav, als ob alle in der Südsee weilten.
3.
Gerlinde erwartete ihn mit einem Gugelhupf. »Es tut mir leid«, sagte sie, »ich habe die Koffer weggeräumt«, und nahm ihm den Mantel ab. Sie gab ihm einen Kuss. »Ich habe nachgedacht«, meinte sie dann, »ich bin durch meine alten Sachen gegangen, habe die Telefonnummern von Marie, Luise und Steffi gesucht, ich habe sie gefunden und der Reihe nach angerufen ...«
Jetzt erst bemerkte Gustav, wie hübsch sich Gerlinde gemacht hatte. Das Kleid betonte ihre Figur, sie hatte sich die Augen und die Lippen geschminkt und sie trug die Perlenkette, die ihr Gustav zum zehnten Hochzeitstag geschenkt hatte. Selbst die Fingernägel waren lackiert.
Vielleicht hat sie sogar Strümpfe angezogen, dachte Gustav.
Es habe ihr gut getan, mit den alten Freundinnen zu sprechen, berichtete Gerlinde. Mit Marie habe sie sich besonders prächtig verstanden, mit der warmen, herzlichen Marie. Aber auch mit Luise und Steffi sei es fast wie früher gewesen. »Ist es nicht erstaunlich«, schwärmte Gerlinde, »da sieht man sich jahrelang nicht und trotzdem ist es, als habe man erst gestern miteinander gesprochen.« Jedenfalls hätten sie beschlossen, sich schon am nächsten Abend zu treffen, in ihrem alten Stammlokal.
So hatte Gustav Gerlinde schon lange nicht mehr erlebt. Sie lachte. Sie funkelte. Sie sprühte. Er hätte gerne gefragt, ob sie für den Rest der Ferien Pläne habe, aber er schwieg lieber und hörte ihr zu.
»Du hattest natürlich recht, Gustav«, sprudelte Gerlinde weiter, »alle haben gesagt: ›So eine Riesendummheit, Gerlinde, ihr hättet auf jeden Fall fliegen müssen, diese Chance lässt man sich nicht entgehen.‹ Wir hätten es einfach wagen müssen, Gustav, es tut mir leid, es war dumm von mir.«
Gustav hob die Hand, um sie zu beschwichtigen, aber Gerlinde fuhr munter fort: »Die Freundinnen haben mich so richtig in den Hintern gezwickt, Gustav. ›So geht das nicht weiter mit euch‹, haben sie gesagt, und: ›Gerlinde, du musst etwas tun.‹ Luise meinte, die Flugangst sei meine Rache, weil du mich einsperrst, Gustav. Luise ist Psychologin, erinnerst du dich an sie? Ich habe natürlich widersprochen, aber das hat sie in ihrer Meinung nur bestärkt. Es sei schon eine Sache mit dem Beharrungsvermögen, meinte sie, mitten in der schrecklichsten Katastrophe und selbst noch im Angesicht des Todes klammere man sich an eine gewohnte Ordnung und sei lieber still und behaupte, alles sei gut, statt zu weinen und zu toben und die Angst oder die Wut hinauszuschreien in das Chaos rundum. Sie hat gefragt, wie es mit uns im Bett stehe, aber natürlich habe ich keine Vertraulichkeiten preisgegeben, Vertraulichkeit kommt von Vertrauen, Gustav, das ist mir vollständig klar. Selbstverständlich ist Vertrauen das Wichtigste. Das Problem ist nur: Vertrauen macht blind, Gustav, Vertrauen macht dumm. Wenn man vertraut, gibt man die Wachsamkeit auf und die Fähigkeit, zu beobachten, man gibt das Interesse auf, an Veränderungen zum Beispiel, weil man glaubt, es sei alles gut, so wie es ist. Man kann vertrauen und tun, als lebe man in einer heilen Welt. Aber manchmal vertraut man zu lange, und man verschließt die Augen vor einer Wahrheit, die bitter ist, Gustav, bis eines Tages jemand die Lider aufreißt und man merkt, dass nichts heil ist, sondern alles einer Veränderung bedarf, und zwar einer Veränderung, die bis in die Wurzeln reicht. Ja. Jedenfalls glaube ich, dass es mir den Deckel weggerissen hat, Gustav, ich habe die Augen aufgemacht, ich habe geschaut und ich habe etwas gesehen, was mir überhaupt nicht gefällt. Ich meine damit nicht nur den Garten und die Rosen, ich meine dieses Haus und diese Siedlung und dieses Leben, Gustav, welche ein lächerliches Haus und eine lächerliche Siedlung und ein jämmerliches Leben sind. Wären wir geflogen, hätten wir aus unseren Leben mehr gemacht, Gustav, wir hätten die Chance wahrgenommen und ...«
Gustav vermutete, dass der Umgang mit den Freundinnen ihr wieder nicht gut bekommen sei. »Sie haben dir Flausen in den Kopf gesetzt«, sagte er.
»Keine Flausen«, entgegnete Gerlinde, »aber es wird trotzdem höchste Zeit, Gustav, dass wir etwas tun, das wild und ungewöhnlich ist.«
Gustav meinte, ihn dünke ihr ganzes Verhalten schon ungewöhnlich wild genug.
Gerlinde lachte. »Als ich heute am Fenster gesessen bin und in den Garten geschaut habe, unseren Garten, Gustav, der mir doch immer das Liebste war, da habe ich gemerkt, wie oft ich schon an genau derselben Stelle im selben Sessel gesessen und durch dasselbe Fenster geschaut habe und damit zufrieden war und überzeugt, dass die Zufriedenheit das höchste Menschenglück bedeutet, Gustav, habe ich nicht oft und oft gesagt: ›Es gibt kein größeres Glück als die Zufriedenheit?‹ Habe ich das nicht wirklich und ehrlich gemeint? Heute Mittag allerdings, wie ich also heute Mittag in den Garten geschaut habe, der mir immer als Zeichen unserer Gemeinsamkeiten erschienen ist, Gustav, als Zeichen des Lebenswillens unserer Ehe, da habe ich geweint, Gustav. Weißt du noch, wie wir gesucht haben, bis wir endlich die Gartenmöbel hatten, die wir wollten, Gustav? Alle meinten, weiße Plastikmöbel müssten es sein, weil weiße Plastikmöbel so praktisch sind. Aber du hast gesagt: ›Nein, Holz! Damit ich in den Tisch zwei Herzen ritzen kann.‹ Mir sind die Tränen nur so geronnen heute Mittag. Draußen hat es geregnet, und ich habe geweint, weil unsere Ehe doch ganz offenbar zu einem Möbel geworden ist, und noch nicht einmal ein Holzmöbel, sondern ein weißes Plastikmöbel; und wenn dieses Möbel trotzdem zu diesem lächerlichen Gärtchen passt, Gustav, ich habe nämlich ein lächerliches Taschentuchgärtchen gesehen mit lächerlichem Gras und Rosenstöcken, von denen traurig der Regen getropft ist, dann ist das so deprimierend, Gustav, dass du dir gar nicht vorstellen kannst, wie deprimierend es ist. Ich habe mir einen Ruck geben müssen. Ich bin durch die alten Sachen gegangen und habe die Freundinnen angerufen, um wenigstens auf andere Gedanken zu kommen. Zum Glück, denn sie haben ...«
Aber sie solle sich doch nun endlich beruhigen, fiel ihr Gustav wieder ins Wort, »ich verspreche dir wirklich, deine Rosen rühr ich nicht an.«
Es gehe ihr doch schon lange nicht mehr nur um die Rosen, widersprach Gerlinde.
Er habe das schon verstanden, sagte Gustav, ihm gehe es nämlich auch nicht um eine Palme, sondern um mehr. Er sagte, wenn er es nicht zum Meer schaffe, dann müsse das Meer halt zu ihm kommen. Er sagte, die Idee sei ihm in den Kopf geraten und daraus nicht mehr verschwunden, und wie der Zufall es so wolle, habe er inzwischen nette Leute kennen gelernt, drüben in Eichgraben im Gasthof zur Post. Diese Leute seien bereit, ihm bei seinem Unternehmen zu helfen. Er werde ein Aquarium anlegen, im Keller, damit sie und ihre Rosen unbehelligt blieben.