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DAS LEXIKON

DER AUSGESTORBENEN
SPORTARTEN

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Das Lexikon der ausgestorbenen Sportarten

© Der gesunde Menschenversand GmbH

1. Auflage, 2008

eISBN: 978-3-905825-63-3

Abdruck, auch in Auszügen, nur mit ausdrücklicher

Genehmigung des Verlags

Alle Rechte vorbehalten

Konzept und Redaktion: Matthias Burki

Gestaltung: starfish and coffee, Matthias Hofmann

Plakat und Illustration: Luca Schenardi

Korrektorat: Carmen Affolter

Herzlichen Dank für die finanzielle Unterstützung an:

FUKA-Fonds Stadt Luzern, Kulturförderung Kanton Luzern.

Matto Kämpf dankt für Rat und Tat: Franziska Geiser/Francesca Pettenati

Der gesunde Menschenversand GmbH

www.menschenversand.ch

PROLOG; der

«Sport ist Mord»: Das Sprichwort hat sich längst gegen den Sport selber gewendet, und so verlassen uns weltweit jede Woche 15–20 Sportarten. Im Gegensatz zum Aussterben in Flora und Fauna wird dem Verschwinden so wertvoller Kulturpraktiken wie → Hundsohrenreißen, → Kampfjodeln oder → Ökumenischer Zehnkampf kaum Aufmerksamkeit zuteil. Dabei ist der «Sportmord» genauso von Menschenhand gemacht wie das Aussterben so kuscheliger Tiere wie der Langschwanz-Hüpfmaus (Notomys longi­caudatus) oder prickelnden Pflanzen wie dem wilden Knoblauch (Allium sativum). Schuld an dieser Misere sind die Globalisierung und die Gleichschaltung jeglicher Lebensumstände – notabene von kapitalistischen, kommunistischen und terroristischen Systemen gleichermaßen verschuldet. In diesem Sinne leistet das vorliegende Lexikon einen kleinen Beitrag gegen das Vergessen und für die Vielfalt, sei die Sportart noch so absonderlich.

Es gibt zwei Möglichkeiten, das Lexikon zu nutzen: Wer seine humanistische Bildung erweitern möchte, Gesprächsstoff für Gala-Diners und Rangverkündigungen sucht, und wer dort im richtigen Moment mit einem Plädoyer für die Artenvielfalt im Sport auftrumpfen will, dem bietet das Lexikon reichlich fachkundiges Wissen. Wem dies zu bildungsbürgerlich ist, dem sei die «Trialand-Error»-Lesart ans Sportlerherz gelegt: Was hindert Sie daran, → Ausdrucks-Klippenspringen, → Bergbauernweitwurf oder → Extremschach auszuprobieren? Gut Glück wünscht Ihr

Dr. Wolf Q. Hornschläger (Olympia, Feb. 2008)

Die beste und fast einzige Übersicht zu den ausgestorbenen Sportarten bietet ironischerweise ein Anti-Sport-Pamphlet des Autorenkollektivs Pistolenschuss: Tod dem Sport. Strategien und Bekenntnisse (Berlin 1955).

Die Quellenlage ist überdies sehr schlecht. Viele der Chronisten und ihre Werke wurden mit dem Sport zusammen unsanft beseitigt.

A

A-SCHREIEN; das

*ca. 1863 †1908

Ab ca. 1863 bis 1908 fanden in allen europäischen Staaten sowie in Australien Meisterschaften im A- Schreien statt. Ursprünglich war diese Sportart für alle Buchstaben des Alphabets gedacht, nach bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen blieb es aber in allen Ländern beim A. Auf einer Strecke von 5270 Metern (Achtelmarathon) wurde alle zehn Meter ein Horcher platziert. Auf diese Weise konnte festgestellt werden, wie weit der Schall des gerufenen A’s erklang. Gute A-Schreier brachten es auf 4300 bis 4500 Meter. Absoluter Meister war am 8. April 1908 Albert Anker (nicht der Maler) mit 5180 Metern, bei den Frauen siegte die Isländerin Aanti Aldisröff mit 5001 Metern. Leider waren die Meisterschaften zu personalintensiv und wurden deshalb nach Ankers Rekord fallen gelassen. hg

AUSDRUCKS-KLIPPENSPRINGEN; das

(High Diving)
*1973 †1998

Nur wenige wissen, dass das heute bekannte Klippenspringen auf eine freie Form dieser Extremsportart zurückgeht, die in den frühen Siebzigerjahren von kalifornischen Hippies in Mexiko entwickelt wurde. In Acapulco hatten sie beobachtet, wie sich einheimische Perlentaucher von den 26 Meter hohen Quebrada-Felsen ins Meer stürzten, um von den Touristen ein paar Pesos zu ergattern. Die Hippies übernahmen die Idee, ersetzten die konventionellen Kopf- oder Embryosprünge der Mexikaner indes durch eine frei gestaltete Abfolge von «Paintures», wie sie die einzelnen Figuren nannten.

Nachdem sich das Ausdrucks-Klippenspringen – oder «High Diving», wie das Klippenspringen zum Teil bis heute genannt wird – unter den kalifornischen Hippies schnell verbreitet hatte, fand im Sommer 1973 bei den Quebrada-Felsen der erste informelle Wettbewerb unter dem Leitmotiv statt: «Turn on your mind. Tune in with the sea. Drop out to the waters.» Dem Aufruf folgten, heißt es, gegen 180 Hippies, wobei vor allem die bekannte Band The Grateful Dead mit ihrem Kollektivsprung «Through the Transitive Nightfall of Diamonds» für Aufsehen gesorgt haben soll. Sieger wurde ein gewisser Stan Archibald Myers mit seinem Einzelsprung «In Touch with the Tides of the Orgasm», den er in späteren Jahren mit wechselnden Partnerinnen als Doppelsprung perfektionierte. Der «Annual Acapulco High Diving Splash – Three Days of Love, Freedom and Celebrating the Powers of the Ocean» entwickelte sich bis in die Achtzigerjahre zu einem beliebten, zuletzt von über 2500 Hippies besuchten Sommerfestival mit Musik, freiem Sex und immer ausgefalleneren Sprüngen.

Der Niedergang trat nach 1985 ein, als eine Kommune, die sich The Piggies nannte, in ihrem Sprung «Surfin’ USA» die Manson-Morde nachsprang und mit diesem virtuosen, aber höchst provokativen Taucher den Gruppenwettbewerb für sich entschied. Mit freiem Körperausdruck habe das nichts mehr zu tun, fanden vor allem Springerinnen, und es kam zur folgenschweren Spaltung des organisierenden Verbandes. Während die eine Hälfte der High Divers nun begann, den Sport zu professionalisieren und zum heute bekannten Klippenspringen (Cliff Diving) weiterzuentwickeln, verloren sich die Spuren der so genannten High oder Free Divers nach und nach. Der letzte «Splash» in Acapulco fand im Sommer 1998 statt. Besonders tragisch: Sein erster Sieger Stan Archibald Myers kam bei seinem Sprung «Two Suns in the Sunset» zusammen mit seiner Sprungpartnerin Rainbow ums Leben. cf

John John: Fast Photography. Lesson 2: The Challenge of High Diving, Top Sport Publishers, Niagara Falls 1994

B

BALDEGGER HOSTIENLAUF; der

*1943 †1962

Der Baldegger Hostienlauf geht auf eine Begebenheit im Oktober 1943 zurück. In den Kriegszeiten war das Hostienmehl knapp, und immer wieder kam es vor, dass vor allem in ländlichen Gegenden am Sonntag vor der Frühmesse in den Kirchen zu wenig Hostien (lat. hostia = Opfertier, Schlacht­opfer)