Warte bis die Nacht anbricht
von Robert Klement
1. digitale Auflage, 2014
www.ggverlag.at
ISBN E-Book 978-3-7074-1705-0
ISBN Print 978-3-7074-1493-6
In der aktuell gültigen Rechtschreibung.
Umschlagillustration und -gestaltung: Claudia Engelen
©2013 G&G Verlagsgesellschaft mbH, Wien
Alle Rechte vorbehalten.
Das Schicksal von Kitty Jay ist nicht erfunden.
Der Autor hat sich in Südengland auf Spurensuche begeben
und ihr Grab im Dorf Manaton entdeckt.
Ihr kurzes Leben in Dartmoor sollte nicht vergessen werden.
Die Tote im Moor
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
70 Jahre zuvor
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
SARAHS Blicke schweiften über die Heidelandschaft. „Wir sollten hier zu graben beginnen“, meinte sie zu ihrem Bruder.
Gemeinsam mit Charles arbeitete sie in der Nähe ihres Heimatdorfes Oakhampton. Die beiden stachen Torfstücke mit dem Spaten aus dem Boden. Es war Zeit, Vorkehrungen für den kommenden Winter zu treffen. Zum Glück gab es hier ausgezeichnetes Brennmaterial in Hülle und Fülle: den bröckeligen, weichen Torf. Die beiden Jugendlichen konnten sicher sein, dass das Haus ihrer Eltern den ganzen Winter über angenehm warm bleiben würde …
Einsam war es hier, in einiger Entfernung konnten sie zwei hohe Granithügel und einige Ponys erkennen, die im Moor grasten. Dieser Nachmittag im Oktober war windig, aber sonnig warm. Charles kam beim Graben gut voran – plötzlich stieß sein Spaten auf Widerstand.
„Komm schnell her, da ist etwas, ich kann nicht sehen, was es ist!“, rief er aufgeregt nach seiner Schwester.
Sie räumten den dunkelbraunen Torf vorsichtig mit den Händen beiseite – da sahen sie einen Fuß und eine Schulter. Kein Zweifel, sie hatten eine Moorleiche gefunden. Hier lag die verkrümmte Gestalt eines Menschen.
Die beiden Jugendlichen erschraken. Hatte sich hier ein Wanderer im Moor verirrt? Oder handelte es sich um ein Mordopfer?
„Am besten, wir rühren hier nichts mehr an und gehen zur Polizei“, meinte Sarah. Doch ihr Bruder grub weiter. Die Neugierde trieb ihn an, die Leiche faszinierte ihn auf merkwürdige Weise. Fuß und Schulter waren unversehrt, aber dunkelbraun wie der Torfboden ringsum, der die Haut gefärbt hatte. Als Charles behutsam noch mehr Torf entfernte, kam ein gebeugtes Haupt zum Vorschein.
Gegen Abend, im schwächer werdenden Licht, konnten sie die Gestalt einer jungen Frau erkennen. Sie hatte langes Haar und leichte Stirnfurchen über den Augenbrauen. Zusammengekauert, die Beine unterm Leib, die Arme angewinkelt, lag sie wie schlafend auf der Seite, die Finger in einer Haltung, als hielten sie einen unsichtbaren Stab. Die Augen waren geschlossen, der Mund ein wenig verzerrt, als ärgerte sie sich über die unvermittelte Störung ihrer Ruhe. Chemische Substanzen im Moorboden hatten ihre Haut buchstäblich gegerbt und so sah man jede Pore, jedes Fältchen.
Dieses Gesicht faszinierte durch seine Lebendigkeit. Man hatte sogar den Eindruck, das Blut pulsierte noch in den Adern. Es schien, als brauchte sie nur die Augen zu öffnen und zu erzählen!
Wenig später kamen mit der Polizei auch die Eltern, Nachbarn und Freunde der beiden Geschwister. Der Anblick des Gesichts rührte viele zu Tränen. Der Wind trieb das Laub der nahen Obstgärten über das Moor und ein Blatt blieb auf dem Mund der Toten liegen. Es war wie ein zarter Kuss vom Himmel. Alle bewegte allein die eine Frage: Wie und warum musste dieses Mädchen sterben?
AM späten Nachmittag schien sich plötzlich ein Schleier über die Welt zu legen. Eben noch hatte die Sonne Heidekraut, Ginsterbüsche und Gras in rötlichen Glanz getaucht, da zogen unvermittelt Schwaden von Nebel auf. Sie krochen über das Moor und hüllten alles wie von Geisterhand in fahles Grau.
Simon spähte durch den Dunst. Wo waren die anderen? Gerade noch hatte er ihre bunten Jacken und Rucksäcke gesehen. Sie konnten ihn doch hier nicht einfach zurücklassen. Sicher, er hatte etwas gebummelt, war mehrmals aufgefordert worden, schneller zu gehen.
Immer wieder merkte er, dass seine Füße in die weiche Decke des Sumpfgrases einzusinken drohten. Simon wusste, dass das Moor schon vielen Wanderern zum Verhängnis geworden war. Er tastete nach seinem Handy, doch gleichzeitig fiel ihm ein, dass der Pfadfinderführer am Morgen alle Mobiltelefone seiner Gruppe eingesammelt hatte. Nichts sollte das Naturerlebnis im Moor stören …
Bald war klar, dass er in dem wirbelnden Grau, in dem die Sonne bloß noch als milchige Scheibe zu erkennen war, jede Orientierung verloren hatte. Simon fühlte, wie die Angst in ihm hochkroch. Da war es plötzlich, dieses heiße Kribbeln, das aus der Magengrube kommt und Panik ankündigt. Fast wäre er Hals über Kopf davongerannt, ganz gleich, wohin. Doch im letzten Moment riss er sich zusammen. Hastig griff er zur Taschenlampe, vielleicht konnte jemand seine Blinksignale erkennen.
Dann wartete er, bis sich der Wind einen Moment gelegt hatte und stieß einen Schrei aus. Er hallte gespenstisch durch den Dunst und verstärkte nur sein Gefühl der Verlorenheit. Sofort holte er keuchend Luft für einen neuen Hilferuf. Es war ein lang gezogener Schrei voller Verzweiflung und Todesangst. Dann horchte er angespannt in das wirbelnde Weiß.
Er spürte Regentropfen, die wie kleine Nadeln in die Haut stachen. Die Kälte schüttelte ihn, seine Zähne klapperten. Er stolperte durch eine unheimliche Landschaft, in der Himmel und Erde miteinander verschmolzen. Seine Beine waren weich und kraftlos, die Knie zitterten so heftig, dass er kaum das Gleichgewicht halten konnte.
War dort nicht ein schwacher Lichtschein? Er war ganz sicher, dass ihm da jemand zu Hilfe kam. Doch das Licht, auf das er zutaumelte, wurde nicht etwa heller, sondern immer matter und verschwand schließlich ganz.
Plötzlich drang von irgendwoher ein leises Murmeln an sein Ohr. Es war ein gurgelnder Ton, so schwach, dass er sich nicht sicher war, ob er ihn tatsächlich hörte, oder er nur in seinem Gedächtnis existierte. Irgendwo rieselte Wasser. Als er näher kam, hörte er Geräusche eines plätschernden Baches. Der Gedanke fraß sich in sein Hirn: Die Moraste speisen kleine Rinnsale, die Rinnsale verwandeln sich in rauschende Bäche, die Bäche münden in Flüsse! Wer sich verirrt, so hatte er es bei den Pfadfindern gelernt, musste dem Wasserlauf folgen. Irgendwann würde er den Wanderer zu einer Ansiedlung geleiten, zu Häusern, vielleicht zu einem Dorf.
Simon vertraute dem rettenden Wegweiser, es ging stetig leicht bergab. Schon wenige Minuten später entdeckte er ein Steinkreuz, ein sicherer Hinweis, dass er sich auf einem uralten Pfad durchs Moor befand. Nun konnte er auch wieder festen Boden unter den Füßen spüren.
Ab und zu blieb er stehen, lauschte angestrengt in die aufkommende Dunkelheit. Vielleicht waren da schon Geräusche einer Straße, das Brummen eines Motors.
Dann sah er ein sonderbares gelbliches Licht, das in einiger Entfernung glomm. Weiter draußen hätte man es für ein Irrlicht halten können. Aber es wurde rasch größer. Er erkannte ein Gebäude, umgeben von einer hohen Mauer, im oberen Stockwerk waren mehrere Fenster erleuchtet.
Es musste sich hier um eine ehemalige Burg handeln. Die hohen Mauern ließen aber auch auf ein Gefängnis oder einen Militärstützpunkt schließen. In Tavistock hatte ein Nationalpark-Ranger seiner Gruppe erklärt, britische Soldaten würden in Dartmoor Manöver durchführen, um im schwierigen Gelände für Kampfeinsätze zu trainieren. Auf jeden Fall würde er hier auf Menschen treffen, er hatte den Lichtschein deutlich gesehen.
Die Mauer wollte kein Ende nehmen, immer wieder stützte er sich mit der Rechten an den feuchten Wänden ab. Wo war hier ein Eingang? Simon glaubte bereits, das Bauwerk umrundet zu haben, als er auf ein massives Portal aus Eichenholz mit einem vergitterten Guckloch stieß.
Seine gefühllosen Finger zogen an der Glocke, die in einer Natursteinmauer verschwand. Behäbige Schritte hinter dem Tor. Ein Riegel wurde zurückgeschoben. Die Tür begann zu ächzen.
„Helfen Sie mir, bitte helfen Sie mir!“
Der alte Mann musterte ihn besorgt. Simons Körper wurde von Schluchzern geschüttelt. Der Blick aus aufgerissenen Augen signalisierte Angst.
„Dieser Ort wurde durch die Güte unseres Herrn geschaffen, komm herein!“
„Bitte verständigen Sie die Jugendherberge in Ashburton. Ich bin hier auf einem Auslandscamp und habe mich verirrt. Die anderen suchen mich!“
Doch der dunkel gekleidete Mann schüttelte nur den Kopf und blickte ihn verständnislos an. „Warte, ich bringe dich zum hochwürdigen Abt.“
„Abt?“, krächzte Simon. „Wieso denn Abt? Ist das etwa eine Kirche?“
„Du befindest dich in einem Kloster. Hier ist Buckfast Abbey am Rande des Moors.“
„Auch gut“, dachte Simon. Der Fluss hatte ihn zu Menschen geführt. Menschen, die ihm helfen würden. Und gerade in einem Kloster konnte man Hilfsbereitschaft erwarten. Wenig später näherte sich der Abt, ein Mann von hünenhafter Statur.
„Du hast dich also verirrt“, sprach er langsam und bedächtig. „Leider können wir dir nicht helfen. Es gibt in diesem Kloster kein Telefon, keinen Strom. Selbstverständlich auch kein Auto, mit dem wir dich nach Ashburton zu deinen Kameraden bringen könnten.“
„Aber können Sie nicht wenigstens von außerhalb des Klosters anrufen?“
„Den Mönchen ist es untersagt, das Kloster zu verlassen. Nur in schweren Krankheitsfällen gibt es Ausnahmen.“
Der Abt sah nach der Zeit und schüttelte den Kopf. „Leider ist auch der letzte Bus nach Ashburton bereits abgefahren.“
Plötzlich packte Simon die Angst, dieser Mann in der schwarzen Soutane würde ihn wieder wegschicken, hinaus ins Moor, in die Dunkelheit, in den Tod. Doch der Abt blickte nun gütig zu ihm herab und meinte: „Unser Herr verlässt keinen, Gott weist keinen ab. Du bist ja vollkommen durchfroren. Da wollen wir erst einmal Feuer machen. Ich bringe dich in die Wärmestube.“
Der Pförtner entzündete in dem kleinen Raum Kerzen auf dem Tisch und in dem schweren Kerzenhalter, der von der Decke hing. Der Stuhl, auf dem Simon Platz nahm, war aus schwarzem Holz geschnitzt. An den Wänden hingen ein paar vergilbte Heiligenbilder und ein Gemälde, das den Klostergründer zeigte.
Den Mittelpunkt des Raumes bildete ein hoher und sehr tiefer Kamin. Daneben lagen auf einem Stapel Zedern- und Ulmenholz. Simon beobachtete, wie der Pförtner Papier zusammenknüllte und dünne Kienspäne sorgfältig verteilte. Er zündete ein Streichholz an und sofort züngelten orangegelbe Flammen empor. Vorsichtig legte er die Zedernscheite obenauf. Der reine Geruch brennenden Holzes breitete sich aus und die trockene Wärme drang bald bis in den letzten Winkel.
Simon mochte es, wenn das Feuer prasselte, und er stellte sich vor, wie sich die blaue Rauchfahne aus dem Schornstein auf die Hügel des Moors zubewegte. Der Gedanke gefiel ihm, dass das Feuer in diesem Kamin ihn mit all denen verband, die vor ihm an diesem Platz gewesen waren.
Die Wärmestube war der einzige Raum des Klosters, der beheizt wurde. Simon zog seine wetterfeste Jacke aus. Der Abt sah, dass er völlig durchschwitzt war, verschwand in einem Nebenraum und kam mit einem Hemd zurück.
„Die Größe müsste passen. Du gibst es mir einfach morgen zurück.“
Simon erzählte von seiner Pfadfindergruppe, von der Wanderung durchs Moor.
Über den blauen Augen seines Gesprächspartners, die ihn stetig und durchdringend anblickten, wölbten sich buschige Brauen. „Dartmoor birgt vielerlei Gefahren. Man darf diese Gegend nicht unterschätzen. Immer wieder verirren sich Touristen im Nebel der Moore. Auch mich hat es einmal böse erwischt, da war ich etwa in deinem Alter. Der Nebel war plötzlich so dicht wie Schafswolle und berührte mich mit seinen nassen, kalten Fingern.“
Er hatte eine tiefe, angenehme Stimme. Der Pförtner trat ein und stellte einen Topf Kartoffelsuppe auf den Tisch, über die sich Simon gierig hermachte. Er versuchte, seine abgekauten Fingernägel zu verstecken. Das Holz im Kamin krachte munter. Das Feuer zauberte zitternde Schatten in das Gesicht des Abts. Seine Züge waren gefurcht, ein Leben voller Entbehrungen und Verzicht hatte viele Falten in dieses Antlitz gezogen.
„Jedenfalls darfst du heute Nacht bleiben. Du bist unser Gast.“
Plötzlich sprang eine dürre schwarze Katze auf den Tisch. Simon erschrak, er hatte sie nicht kommen sehen. Der Abt griff nach dem Tier mit den gelb leuchtenden Augen und dem weißen Fleck auf der Stirn und drückte es an sich. Dann erzählte er vom Klosterleben. Die Mönche von Buckfast Abbey hatten sich für ein Leben in Beten, Schweigen und Gehorsam entschieden. Wer hier Einlass begehrte, der war gekommen, um die moderne Welt und ihre lasterhaften Auswüchse für immer hinter sich zu lassen.
„Unser Leben ruht in Gottes Hand. Es gehört uns nicht mehr.“
Für die Dauer eines Atemzugs herrschte Schweigen. Man hörte bloß das Tropfen eines schlecht zugedrehten Wasserhahns im Nebenraum. Als ein heller Glockenschlag ertönte, ließ der Abt die Katze unvermittelt zu Boden fallen und sprang auf.
„Gleich beginnt die Vesper. Die Brüder erwarten mich.“
„Vesper?“
„Das ist die abendliche Gebetsstunde der Mönche. Bruder Raphael, unser Pförtner, wird dich zum Pilgerhaus bringen.“ Er stülpte sich hastig die Kapuze über den Kopf und strebte mit zügigen Schritten dem Kreuzgang zu.
Als Simon beim Brunnen, der mit Holzschindeln überdacht war, auf den Pförtner wartete, sah er von überall her die Mönche zur Kirche eilen. Merkwürdig still war es hier, kein Telefonklingeln, kein Verkehrslärm, kein Gerede. Als ob man die Welt einfach so wegklicken könnte.
„Du darfst also bei uns im Kloster übernachten“, brummte der Pförtner. Simon entging nicht, dass er ihn mit einem Anflug von Besorgnis musterte. Es gehörte zu seiner Aufgabe als Pförtner, Fremden mit Misstrauen zu begegnen.
„Verlasse auf keinen Fall dein Zimmer bis zum Morgen. Einige Treppen führen in ein dunkles Labyrinth von Gängen, in denen sich ein Fremder leicht verirren kann.
Ich gebe dir das Zimmer, das einen direkten Zugang zur Gangtoilette hat.“
Er trug einen dreiarmigen Leuchter aus massivem Silber mit dicken Kerzen. Es ging treppauf, treppab, als sie um eine Ecke bogen, zeichnete sich Simons Schatten riesenhaft an der Wand ab.
„Ich hoffe nur, du wirst keine Angst haben.“
„Angst? Wirklich nicht, wovor denn?“
„Möglicherweise vor der Stille. Du wirst in diesem Gästehaus ganz allein sein. Erst am Wochenende erwarten wir hier einige Pilger.“
„An einem so heiligen Ort wird es wohl kaum Gespenster geben“, meinte Simon übermütig. Es war allgemein bekannt, dass Gespenster die Macht des Kreuzes fürchteten, eine tiefe Abscheu vor Weihwasser und frommen Mönchen hatten.
„Nein, Gespenster gibt es in diesem Kloster nicht“, entgegnete der Pförtner amüsiert. „Aber wer weiß, vielleicht treffe ich sie irgendwann einmal.“
Er ging, nach allen Seiten spähend und leicht schlurfend, den Gang zurück und kicherte. Dann war er so plötzlich in der Finsternis verschwunden, dass man fast glauben konnte, er wäre selbst ein Geist.
ZÖGERND betrat Simon den Raum. Er war muffig und feucht und es lag ein Geruch nach Schimmel in der Luft. Simon tropfte heißes Wachs auf den Tisch und befestigte die Kerzen, die ihm der Pförtner überlassen hatte. Bei der spärlichen Beleuchtung konnte er die Einzelheiten des Zimmers nur undeutlich erkennen.
Hastig entriegelte er ein Fenster und stieß es auf.
Ein nasskalter Wind fegte herein. Der Boden unter seinen Füßen knarrte scheußlich. Alles wirkte, als sei es seit Jahren nicht beachtet oder benutzt worden. Auf dem Tisch stand eine Vase mit vertrockneten Blumen, die Blüten sahen aus, als würde die leichteste Berührung sie zu Staub zerfallen lassen. Von der Decke flimmerten zarte Spinnweben, silbern im Schein des Lichts, eine Maus huschte davon im Kegel seiner Taschenlampe. An der Wand hingen ein einfaches Kruzifix und ein Heiligenbild, das eine Frau in tiefer Andacht zeigte. Auf dem Nachtkästchen lagen eine Bibel und eine Broschüre über Buckfast Abbey.
Unablässig bohrte in Simon dieser Gedanke, er war wie ein schmerzender, schriller Ton im Kopf: Sie werden noch immer suchen, immer wieder nach mir rufen. Möglicherweise die ganze Nacht. Sicher war auch bereits die Polizei alarmiert, die mit Hunden durch die Gegend streifte.
Hatten sie auch schon seine Mutter benachrichtigt? Vielleicht werden sie die Suche in den Morgenstunden beenden, ihn für vermisst erklären – oder für tot? Ein Opfer des Moors …
Unruhig ging er im Zimmer auf und ab, blickte immer wieder durchs Fenster. Waren sie schon in seiner Nähe? Sollte er nicht doch wieder von hier verschwinden?
Simon fröstelte, rasch schloss er das Fenster. Eine heftige Bö drückte gegen die Scheiben. Die Kerzen brannten so ruhig, als herrschte nicht die geringste Zugluft.
Irgendetwas Unheimliches schien diese Mauern zu umgeben wie ein unsichtbarer Schatten, eine fast spürbare Aura von Gefahr und Bedrohung. Es war mehr eine Ahnung, ein Instinkt, der alles in ihm zur Abwehr erweckte. Doch er verdankte diesem Kloster sein Leben. Es war ein Gefühl tiefster Dankbarkeit, das ihn durchflutete. Er freute sich, dass er lebte. Er hatte erfahren müssen, dass das Leben zerbrechlich war und ungewiss wie der nächste Atemzug.