Fernando Pessoa
Baron von Teive
Die Erziehung zum Stoiker
Herausgegeben von Richard Zenith
Aus dem Portugiesischen übersetzt von Inés Koebel
FISCHER E-Books
Fernando Pessoa (1888–1935), der wohl bedeutendste moderne Dichter Portugals, ist auch bei uns mit dem ›Buch der Unruhe‹ bekannt geworden. Er gehört zu den großen literarischen Erneuerern, ist nicht nur der Begründer der modernen Dichtung seines Landes, sondern eine der Schlüsselfiguren in der Entwicklung der zeitgenössischen Dichtung überhaupt. Er schuf nicht nur Gedichte und poetische Prosatexte verschiedenster, ja widersprüchlichster Art, sondern Verkörperungen der Gegenstände seines Denkens und Dichtens: seine Heteronyme. Er gab seinem vielfältig gespaltenen Ich die Namen Alberto Caeiro, Ricardo Reis, Álvaro de Campos und eben Pessoa, das im Portugiesischen so viel wie »Person, Maske, Fiktion, Niemand« bedeutet.
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Coverabbildung: Ammann Verlag, Zürich
Die Herausgabe des Werkes wurde durch einen Beitrag des Instituto Portoguês do Livro e das Bibliotecas, Lissabon, gefördert.
Der Band erscheint in Fortführung der Fernando-Pessoa-Ausgabe,
die im Ammann Verlag begonnen wurde.
Herausgegeben von Egon Ammann
Erschienen bei FISCHER E-Books
Frankfurt am Main, Juni 2014
© FISCHER Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2008
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403212-2
Variante: letzte
A.d.Ü.: Richard Zenith ist auch Herausgeber der erweiterten und vollständigen Ausgabe des Livro do Desassossego, Lissabon 1998 (Buch der Unruhe, Ammann, Zürich 2003).
A.d.Ü.: Damals wie heute eine der wichtigsten portugiesischen Tageszeitungen
Variante: vernichtet/verkümmern lassen
A.d.Ü.: Held aus dem gleichnamigen Roman von Chateaubriand, auf den sich Pessoa wiederholt in seinem Werk bezieht.
A.d.Ü.: Siehe auch Buch der Unruhe, Texte 49; 149; 249; 464.
A.d.Ü.: Siehe auch Buch der Unruhe, Texte 55; 71; 235; 249; 259; 278; 464; 475.
A.d.Ü.: Siehe auch Buch der Unruhe, Texte 1; 249; 278; 475.
A.d.Ü.: Antero de Quental (1842–1891) gehörte mit seiner formschönen philosophischen, politischen und sozialkritischen Lyrik zu den führenden Geistesgrößen Portugals. Siehe auch Buch der Unruhe, Text 278.
A.d.Ü.: Siehe auch Buch der Unruhe, Text 278.
Variante: sprach Griechisch
A.d.Ü.: Das Wort Feder heißt auf Portugiesisch pena und bedeutet auch Schmerz, Kummer.
A.v.R. Zenith: Protagoras
A.v.R. Zenith: Jenyns (1704–1786), Abgeordneter des englischen Parlaments, Dichter, Kritiker, Essayist. Pessoa bezieht sich sowohl hier als auch in einem 1934 verfaßten und Campos zuzuschreibenden Gedicht auf Jenyns’ Essay A Free Enquiry into Nature of Origin of Evil.
A.d.Ü.: Pessoa selbst studierte nur ein Jahr. Zu dem hier erwähnten Zeitpunkt aber befand er sich durch die schwere Krankheit seiner Mutter und den Selbstmord seines engen Freundes, des Dichters Sá-Carneiro, in einer tiefen Lebenskrise.
Variante: mir zu geben
A.d.Ü.: Buridan, Johannes (ca. 1295–ca. 1366), französischer scholastischer Philosoph. Buridans Esel: moralphilosophisches Gleichnis, nach dem ein Mensch nicht zwischen zwei gleich großen Gütern wählen kann, ähnlich einem Esel, der sich für keinen von zwei gleich großen Heuhaufen entscheiden kann und deshalb verhungert.
A.v.R. Zenith: Das einzig datierte Textfragment dieser Sammlung, und zwar mit dem 27. 3. 1930.
A.v.R. Zenith: Das Wort in eckigen Klammern weist auf eine Lücke im Original hin; möglicherweise handelt es sich hierbei um das Wort »unziemlich«, wie es die letzte Zeile dieses Fragments auf Seite 35 nahelegt.
Varianten: a) Ich habe selbst eine Lokalanästhesie abgelehnt. b) Einer Lokalanästhesie hingegen hätte ich zugestimmt, sofern man diese damals schon praktiziert hätte.
Variante: gewöhnlichen
Variante: weder zum realen Kuß noch zur imaginären Zärtlichkeit/noch zum imaginären Blick
A.d.Ü.: Amiel (1821–1881), Schweizer Schriftsteller und Philosoph, seine postum veröffentlichten Tagebücher zeichnen sich durch eine schonungslose Seelenanalyse aus. Er wurde viel im Portugal der zwanziger Jahre gelesen. Siehe auch Buch der Unruhe, Text 75; 119; 340; 475 und S. 473.
Variante: m’appellent. A.v.R. Zenith: Pessoa plante eine Übersetzung der Texte des Barons von Teive ins Französische und Englische.
Variante: meinem Ehrgeiz
A.d.Ü.: Thomas Carlyle (1795–1881), schottischer Essayist und Historiker. Stark beeinflußt von der deutschen Literatur und der deutschen Philosophie des Idealismus. In seiner autobiographischen Schrift Sartor Resatus entwickelt er eine Weltanschauung der Entsagung und des moralischen Wertes der Arbeit. Siehe auch Buch der Unruhe, Text 138.
Variante: und
A.d.Ü.: maillot = Badeanzug, Trikot
A.v.R. Zenith: Besagtes Gedicht wird in einem mit dem 9. 7. 1930 datierten Gedicht von Pessoas Heteronym Campos zitiert.
A.d.Ü.: Émile Faguet (1841–1916), franz. Literaturhistoriker. Hauptwerke: Études littéraires und Histoire de la poésie française de la Rennaissance au Romantisme.
Variante: die Wirklichkeit
A.d.Ü.: Hier ein unübersetzbares Wortspiel mit dem Wort »Tod«, das im Portugiesischen weiblich ist. Pessoa schreibt: »… ich eile ihr (Tod) entgegen – ihr, die nicht einmal eine ›Sie‹ ist.« Er spielt damit auf die zuvor erwähnten Problematiken Leopardis, Anteros und Vignys mit dem weiblichen Geschlecht an.
A.v.R. Zenith: zwanzigster laut Todesanzeige
Variante: muß ich mich töten
A.v.R. Zenith: Dieses Fragment trägt keinen Titel und ist im Autograph mit einem vorangehenden Fragezeichen versehen.
A.d.Ü.: Wort in Klammern von der Übersetzerin hinzugefügt
A.d.Ü.: souteneur = Zuhälter
A.d.Ü.: Siehe Buch der Unruhe unter Éducation Sentimentale, S. 468.
A.d.Ü.: Pessoa starb 1935.
A.d.Ü.: Siehe: Fernando Pessoa, Dokumente zur Person und ausgewählte Briefe, S. 151, Ammann Verlag, Zürich 1988.
A.d.Ü.: R. Zenith spielt hier auf Autopsychografia, eines der berühmtesten und von Pessoa unter seinem Orthonym veröffentlichten Gedichte an, in dem es heißt: »O poeta é um fingidor« (»Der Dichter ist ein Täuschender«).
A.v.R. Zenith: 1928 verfaßt, aber erst 1933 veröffentlicht. A.d.Ü.: Siehe: Fernando Pessoa, Álvaro de Campos, Gedichte, S. 149, Ammann Verlag, Zürich 1987.
A.d.Ü.: Siehe: Fernando Pessoa, Briefe an die Braut. Ammann Verlag, Zürich 1995.
A.d.Ü.: Siehe in: Fernando Pesso, Álvaro de Campos, Gedichte: Stundenzug, S. 99, Ammann Verlag, Zürich 1987.
Epiktet, Handbüchlein der Moral, hg. von W. Kraus, Zürich 1987, S. 15f.
Die Erziehung zum Stoiker, in der Baron von Teive sich anschickte, »unumwunden zu sagen, aus welchen Gründen« er die von ihm angestrebten literarischen Werke nicht verwirklichte, gehört zu den zahlreichen Schriften innerhalb von Pessoas Gesamtwerk, die weder überarbeitet noch abgeschlossen wurden. Pessoa hat nicht eines jener Teive zugeschriebenen Textfragmente veröffentlicht. Er erwähnt den Baron lediglich in einem seiner zahlreichen (hier im Nachwort zitierten), ihn selbst deutenden Texte. Ungeachtet der seltenen Erwähnung Teives, hat Pessoa nachdrücklich im Namen des Edelmanns geschrieben, eines seiner Heteronyme, das laut eines an Gaspar Simões gerichteten Briefes vom 27. 5. 1932 »demnächst in Erscheinung treten« sollte.
Maria Aliete Galhoz hat durch die Aufnahme einiger mit dem Namen Teives gezeichneter Fragmente in ihren Pessoa-Band Obra Poética (Rio de Janeiro, 1960) den Baron als erste der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Teresa Rita Lopes wiederum hat in ihrem 1990 in Lissabon erschienenen Band Pessoa por Conhecer (Pessoa zum Kennenlernen) weiteres, bisher unveröffentlichtes Material aus der Feder Teives publiziert. Hier nun liegt die erste vollständige Ausgabe des ihm zugeschriebenen Werks vor. Es umfaßt neben einigen hand- und maschinenschriftlichen auch zahlreiche in einem kleinen, schwarzen Heft enthaltene und erst vor kurzem transkribierte Texte: in der Mehrzahl Notizen und Entwürfe, schwer zu entziffern und zu ordnen, »plötzliche Einfälle, trefflich, (…) doch unzusammenhängend, noch zu verknüpfen«, wie wir durch Teive erfahren – ein Werk, das er seinen Worten nach im Ofen verbrannte.
Die Fragmente des schwarzen Heftes in ihrer ursprünglichen Anordnung vorzustellen wäre eine durchaus zu rechtfertigende editorische (und für eine kritische Ausgabe zwingende) Entscheidung, zudem hätte sie den Vorteil, den schöpferischen Weg von Gedanken zu Gedanken, von Thema zu Thema sichtbar zu machen und aufzuzeigen, wie dieser bald zum Ausgangspunkt zurückkehrt, bald eine neue Richtung einschlägt. Dann aber stünden viele Aufzeichnungen so vereinzelt da, daß sie in diesem Labyrinth verlorengingen oder aber der Leser sich darin verlieren würde.
Aus diesem Grund habe ich mich entschieden, den Inhalt des schwarzen Heftes zusammen mit anderen Fragmenten aus der Feder des Barons zu veröffentlichen und bestimmte »biographische« Details ebenso miteinander zu verknüpfen (darunter zwei Anmerkungen zu Teives Kindheit) wie vereinzelte Gedankenfragmente zu einem Thema. Es handelt sich hierbei weder um einen editorischen Eingriff, zumal die Authentizität jedes Fragments gewahrt wird, noch um die »Wiederherstellung« eines Textkörpers, den es niemals gegeben hat. Ich versuche lediglich, die –behauenen und unbehauenen– Steine eines Monuments deutlicher hervorzuheben, das niemals errichtet wurde.
Für diesen Band stehen mehrere Titel zur Auswahl, alle aus der Feder Pessoas: Das einzige[1] Manuskript des Barons von Teive, Die Erziehung zum Stoiker, Beruf eines Unproduktiven und Manuskript, in einer Schublade gefunden. Einige Texte der bereits zitierten Obra Poética sind nicht in dieser Ausgabe enthalten, so auch das Fragment, das ich unter der Nummer 207 in das Buch der Unruhe aufgenommen habe[2], desgleichen ein Fragment aus der Erzählung Daphnis und Chloe, das jedoch weder einen Bezug zur Erzählung selbst noch zu Teive hat. Statt dessen aber finden Sie im Anhang drei Texte, deren Thematik mir von besonderem Interesse scheint. Zum einen Das Duell, es dürfte lange vor der eigentlichen Existenz des Barons von Teive geschrieben worden sein, zum anderen Three Pessimists und Leopardi, beide in Englisch verfaßt und offenbar aus derselben Zeit, in der Teive sich schriftstellerisch betätigte, nämlich ab 1928. Teives Englisch ist im allgemeinen stark portugiesisch gefärbt, ein Phänomen, das sich mit Pessoas wachsender Distanzierung von seiner südafrikanischen Kindheit noch verstärkte.
Richard Zenith
Das einzige Manuskript des Barons von Teive
Über die Unmöglichkeit, hohe Kunst zu schaffen
Um dieses Buch nicht auf dem Tisch meines Zimmers zu lassen und somit den neugierigen und fragwürdig sauberen Händen des Hotelpersonals auszusetzen, habe ich mit einem gewissen Kraftaufwand die Schublade geöffnet, es hineingelegt und bis ganz nach hinten geschoben. Es stieß gegen irgend etwas, denn die Schublade selbst war von nicht geringer Tiefe.
Die tiefste und tödlichste aller Dürren seit Menschengedenken ist über uns gekommen – die der inneren Erfahrung von der Vergeblichkeit aller Anstrengung und der Nichtigkeit aller Vorsätze.
Ich habe die Sättigung des Nichts erreicht, die Fülle des Garnichts. Der gleiche Impuls, der uns früh in den Schlaf treibt, wird mich in den Selbstmord treiben. Ich bin aller Absichten überaus müde.