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  Brigitte Schorr– Hochsensibilität– SCM Hänssler

SCM | Stiftung Christliche Medien

Inhalt

Kurz und bündig

Vorwort des Herausgebers

Einleitung und Dank

I. Basiswissen

1. Hochsensibilität – ein unpopulärer Wesenszug

2. Hochsensibilität – sinnvolle Erbanlage?

3. Geschichtliche Entwicklung der Forschung

4. Unterschiede zwischen Hochsensiblen und Nicht-Hochsensiblen

5. Ein Fragebogen zur Selbsteinschätzung

6. Hochsensible Typologie

7. Biologische Grundlagen und Erkenntnisse

8. Verletzlich stark oder stark verletzlich?

II. Hochsensibilität im Alltag

1. Soziale Beziehungen

2. Hochsensible und ihre Berufung

3. Hochsensibel kommunizieren

III. Strategien, Methoden, Tipps

1. Langfristige und kurzfristige Strategien

2. Hochsensibles Christsein

3. Ein Wort an normalsensible Menschen

Literatur

Empfehlenswerte Links

Anmerkungen

Kurz und bündig

Geht es Ihnen nicht auch so? Über manch einen Themenbereich würde man gerne als Normalbürger Bescheid wissen (oder muss es vielleicht sogar). Doch was die Fachleute schreiben, ist im Normalfall zu kompliziert und zu umfangreich. Wer hat schon Zeit, sich in jedes Thema wochenlang einzuarbeiten!?

Hier wollen wir Hilfestellung leisten. In Hänssler kurz und bündig geben Fachleute, die sich mit einem Thema schon seit Jahren intensiv beschäftigen, kurz und verständlich einen Überblick über das, was man wissen muss, wenn man Bescheid wissen will und mitreden können möchte.

Dabei enthält jeder Band der Reihe Hänssler kurz und bündig die folgenden Elemente:

• Fakten und Basisinformationen

• die Diskussion kontroverser Fragen

• praktische Hilfen und Hinweise zum Weiterarbeiten

All das ist so angelegt, dass der Leser sich in zwei bis drei Stunden (also etwa statt des Abendkrimis oder auf einer Zugfahrt) ein Thema in seinen Grundlagen aneignen kann. Die Anwendung im Leben oder das anschließende Gespräch mit anderen wird dann aber sicher etwas länger dauern …

Ich würde mir wünschen, dass dieser kleine Band Ihren Horizont erweitern kann und die Informationen liefert, die Sie suchen.

Thomas Schirrmacher

Vorwort des Herausgebers

Was ist ein »normaler« Mensch? Obwohl das psychologische Wissen ständig zunimmt, ist der Gedanke, es gäbe diesen »normalen« Menschen, an dem alle anderen zu messen sind, nicht auszurotten. Dazu ein kleines Beispiel aus meiner Familie: Als meine Kinder klein waren, haben ich ihnen das Anderssein vorgeführt, indem wir im Hochsommer in Wintermützen einkaufen gingen. Da hagelte es zum Teil entwürdigende Bemerkungen. Und das schon bei einer solchen Nebensächlichkeit!

In der Reihe »kurz und bündig« haben wir mehrfach Verständnis für Andersartigkeit ermöglicht. Der Band »Depression« zeigt etwa, dass wir alle schon morgen betroffen sein können und Parolen wie »Reiß’ dich zusammen« keinem helfen.

Zum Thema »Hochsensibilität« gibt es im Deutschen nur wenig Literatur. Dabei ist dieser Wesenszug keine Seltenheit; hochsensible Menschen waren und sind in Geschichte und Gegenwart eine Bereicherung unserer Welt. Statt »Mimose« oder »Weichei«, so zeigt es der vorliegende Band, gilt es, die besonderen Gaben Hochsensibler schätzen zu lernen.

Die Autorin, Brigitte Schorr, hat das erste schweizerische Institut für Hochsensibilität gegründet (www.ifhs.ch). Seit Jahren hat sie eine Beratungspraxis, in der sie gezielt hochsensible Menschen coacht. Aufgrund ihrer langjährigen Praxiserfahrung und ihres profunden wissenschaftlichen Hintergrunds hat Frau Schorr mittlerweile eine Vielzahl geeigneter Angebote für Hochsensible entwickelt.

So ist ein großartiger Ratgeber entstanden, der hochsensiblen Menschen, ihren Familien und Freunden, aber auch allen anderen die Augen öffnet für die besondere Lebenswelt der Hochsensiblen. Möge dieses Buch vielen helfen zu verstehen, warum der eine oder andere Mitmensch um uns her so »anders« und doch so liebenswert ist.

Thomas Schirrmacher

Einleitung und Dank

Man soll niemandes Sensibilität verachten.

Eines jeden Sensibilität ist sein Genie.

Charles Baudelaire

In diesem Buch geht es um hochsensible Menschen. Und zwar nicht, das möchte ich gleich vorwegnehmen, um eine neue »Schublade« einzurichten mit der Aufschrift »Achtung hochsensibel!« oder gar eine bestimmte Spezies Mensch »abzustempeln«. Ganz im Gegenteil soll es darum gehen, Verständnis und vielleicht sogar Sympathie zu wecken für die etwas sensiblere Art, im Leben zu stehen. Um dies zu erreichen, habe ich mich bemüht, einen Überblick über die Veranlagung der Hochsensibilität zu geben, angefangen von neurobiologischen Erkenntnissen über Auswirkungen im Alltag bis hin zu sinnvollen Strategien und Tipps für einen gelingenden Umgang mit dieser Gabe. »Eine Gabe ist, was dir gegeben ist – du kannst ein Geschenk oder eine Bürde daraus machen«; von diesem Grundgedanken ist dieses Buch inspiriert. Ich habe mich vor ein paar Jahren spezialisiert auf Beratungen und Seminare für Hochsensible. Als Institutsleiterin des schweizerischen Institutes für Hochsensibilität begegnen mir täglich Menschen, die sich mit Fragen rund um ihre Hochsensibilität beschäftigen. Es ist an der Zeit, die mittlerweile recht umfangreiche Literatur zum Thema um ein weiteres Buch, welches das Basiswissen in kurzer und bündiger Form zusammenfasst, zu bereichern. Eingeflossen sind neuere wissenschaftliche Studien sowie sehr praxisnahe Beispiele aus meiner Beratungs- und Seminartätigkeit. Obwohl ich in diesem Buch an manchen Stellen explizit auf christliche Bezüge Bezug nehme, ist meine Arbeit überkonfessionell ausgerichtet und steht jedem Glauben offen gegenüber. Ich danke an dieser Stelle allen hochsensiblen Menschen, die mir in meiner Praxis und in meinen Seminaren begegnet sind und deren Erfahrungen in dieses Buch Eingang gefunden haben … Besonderer Dank gilt Michael Seiss für die Idee dieses Buches, seine Gabe der Vernetzung und seine Sorgfalt und Zuverlässigkeit beim Redigieren des Manuskripts. Dem Team von SCM Hänssler, insbesondere Beate Tumat und Uta Müller, danke ich für ihre sanfte und sorgfältige, aber trotzdem klare Art, das Buch in seiner Entstehung zu begleiten. Stephan Schwager und Judith Buchter danke ich für das wertvolle und ermutigende Feedback. Außerdem danke ich meinem Partner Asger Jürgensen dafür, dass er immer an mich glaubt, auch wenn ich es nicht kann. Ein besonderer Dank gilt meinen beiden hochsensiblen Kindern, Raphael und Stella, die mir so oft den Spiegel vorhalten.

I. Basiswissen

1. Hochsensibilität – ein unpopulärer Wesenszug

»Mimose«, »Sei nicht immer so empfindlich«, »Wie willst du draußen in der (harten) Welt bestehen, wenn du immer gleich beleidigt bist?«, »Du bist vielleicht kompliziert«, »Weichei« – die Bezeichnungen und Redewendungen, mit denen sensible Menschen in unserer Gesellschaft belegt werden, sind nicht gerade schmeichelhaft. Zu fest verankert sind Vorstellungen von Kraft und Stärke, von »Machertum« und »Powerfrauen«, von tatkräftigen Energiebündeln, die ihr Leben und sich selbst jederzeit im Griff haben. Da wird eine weichere Gangart, ein feines, verletzliches, eben sensibles Wesen schnell mit Schwäche gleichgesetzt – und wer möchte schon schwach erscheinen?

Sensibilität als solche steht also nicht hoch im Kurs – obwohl sie in unserer heutigen Gesellschaft sehr notwendig ist und manche Berufe ohne sie gar nicht existieren könnten wie z. B. Psychologen, Berater, Therapeuten, Pflegende in Seniorenheimen und Krankenhäusern, Mitarbeitende in der Hospizbewegung, Hebammen in Geburtshäusern, IT-Spezialisten, Schauspieler, Tänzer, Fotografen, Designer und viele andere mehr.

Wer nun aber mit einer hochsensiblen Veranlagung geboren wird, gerät von frühester Kindheit an in ein Dilemma zwischen gesellschaftlich erwünschter Feinfühligkeit und den angeblichen Realitäten des (westlichen) Lebens, welche Sensibilität nur in sehr eingeschränktem Maße gelten lassen. Besonders Jungen bekommen das zu spüren. Während es bei Mädchen immer noch toleriert oder sogar erwünscht ist, feinfühlig und sensibel zu sein, wird versucht, diese Eigenschaften bei Jungen »wegzuerziehen« oder zu verleugnen.

In diesem Zusammenhang ist folgende Studie interessant: Wissenschaftler von der Waterloo Universität im kanadischen Ontario und Forscher von der Pädagogischen Hochschule in Shanghai verglichen 480 Schulkinder aus Shanghai mit 296 Kindern aus Kanada, um festzustellen, aufgrund welcher Wesensmerkmale die Kinder am beliebtesten waren. In China gehörten Schüchternheit und Sensibilität zu den häufigsten Eigenschaften, die genannt wurden. In Kanada dagegen gehörten schüchterne und sensible Kinder zu denjenigen, die am seltensten als beliebt bezeichnet wurden.1

Wenn Sie also irgendwann genug von der hiesigen Intoleranz für Sensible haben sollten und am liebsten auswandern möchten, dann überlegen Sie sich gut, wohin.

Es liegt auf der Hand, dass es einen Einfluss auf die Psyche hat, ob man in seiner Kultur als Vorbild gilt oder nicht.2

Der im deutschen Sprachgebrauch eingeführte Begriff »Hochsensibilität« ist im Grunde eine ungenaue Übersetzung. Im englischen Original lautet der Begriff »highly sensitive person« (Elaine Aron), was korrekt übersetzt »Hochsensitive Person« bedeutet (im alltäglichen Sprachgebrauch hat sich die Abkürzung HSP eingebürgert, die ich auch mitunter im weiteren Verlauf des Buches verwende, um eine leichtere Lesbarkeit zu gewährleisten). Aron spricht aber auch von »sensory-processing sensitivity«. Dieser Begriff verdeutlicht den Zusammenhang zwischen Sensibilität und sensorischen Steuerungsbegriffen, die im Nervensystem geschehen und die unter Punkt I.7 dieses Buches dargestellt werden. Die Unterscheidung zwischen hochsensitiv und hochsensibel ist deshalb wichtig, weil im Deutschen mit Hochsensibilität oft Empathie und Einfühlungsvermögen, eben sensibles Verhalten, assoziiert wird. Das englische Wort dafür heißt »sensibility«. Das ist aber nur ein kleiner Teil der Hochsensitivität, und nicht alle Hochsensiblen sind empathisch. Spricht man dagegen von einer hochsensitiven Person, dann ist auch das starke Empfinden über alle Sinnesorgane mit eingeschlossen. Im Folgenden wird trotzdem der Begriff Hochsensibilität verwendet, weil er sich im Deutschen eingebürgert hat und auch, um eine falsche Assoziation mit esoterischem Gedankengut auszuschließen. Den Lesenden bleibt aber natürlich vorbehalten, den Begriff »Hochsensibilität« durch »Hochsensitivität« zu ersetzen, wenn Sie sich damit wohler fühlen. Hier ist beides gemeint.

Jeder Mensch ist in einem gewissen Grad sensibel. Wenn jemand nicht hochsensibel ist, bedeutet das nicht, er oder sie sei unsensibel. Hochsensible Menschen scheinen jedoch nicht über einen Filter zwischen sich und der Umwelt zu verfügen, sodass sie viel weniger Reize ausblenden oder ignorieren können.

2. Hochsensibilität – sinnvolle Erbanlage?

Dabei ist der Prozentsatz von hochsensiblen Menschen nicht gerade klein: Forschungen belegen, dass ca. 15–20 % aller Menschen hochsensibel sind. Bei dieser Verteilung ist kein Unterschied zwischen den Geschlechtern feststellbar. Es gibt genauso viele weibliche Hochsensible wie männliche. Sie werden mit einem Nervensystem geboren, welches sie innere und äußere Reize wie durch einen Verstärker wahrnehmen lässt. Dass die Veranlagung zur Hochsensibilität in den meisten Fällen angeboren ist, belegen vor allem Studien von eineiigen Zwillingen, die getrennt aufwuchsen, aber ähnliche Verhaltensmuster zeigten.3 Sensibilität gehört aber wie alle anderen Wesenszüge auch zu den veränderlichen Persönlichkeitsmerkmalen eines Menschen. Im Laufe des Lebens kann man sensibler werden, oder eben auch nicht, aber die Disposition dazu ist angelegt.

Studien an Säuglingen haben gezeigt, dass es unter den Neugeborenen eine Gruppe gibt (eben 15–20 %), die stärker auf Reize reagiert, schwerer zu beruhigen ist und insgesamt weniger »belastbar« zu sein scheint. Es ist aber im Erwachsenenalter oft schwer zu sagen, ob »man immer schon so war«, weil sich aufgrund der gemachten Bindungserfahrungen und der Art und Weise, wie die Umwelt auf diese Eigenschaft reagiert hat, Muster herausbilden, die entweder verstärkend oder abwehrend sein können. Hochsensibilität lässt sich grundsätzlich jedoch nicht abtrainieren oder »wegtherapieren«. Es gibt leider nur zu viele Hochsensible, die alles daransetzen, ihre Sensibilität nicht sichtbar werden zu lassen.

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