Impressum
Übersetzung: Katrin Fahnert
ISBN: 978-3-943408-53-9
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Acht
Das Krankenhaus. Die Quarantäne-Station – nun ein Schlachthaus.
Wade musste zugeben, dass er eine primitive Befriedigung empfand, als er die Leute umlegte, die von den Soldaten der Bravo-Kompanie Klowns genannt wurden. Eine Abkürzung für Killer-Clowns. Die Verrückten waren so furchterregend, dass ihn bei jeder Tötung eine warme, reinigende Erleichterung durchströmte. Dann aber kamen die Gewissensbisse. Schnell und mit voller Wucht.
Er kämpfte in einem wahnsinnigen Krieg gegen unbewaffnete, verrückte Menschen. Jedes Mal, wenn er einen Kampf überlebt hatte, fühlte er sich so, als ob er ein bisschen sterben würde. Bald würde nichts mehr von ihm übrig sein als ein Geist.
Eine Killermaschine.
Ramos klopfte ihm auf die Schulter. »Aufstehen, Wade.«
Wie gewöhnlich war keine Zeit, um zu denken, zu fühlen … Noch immer bewegte sich niemand. Sie begutachteten ihr grässliches Werk und es dämmerte ihnen: Innerhalb von Sekunden hatten sie die Kontrolle verloren und die Operation war zu einem Massaker ausgeartet.
Das war erschreckender als alles andere. Sie hatten nicht einfach nur Befehle befolgt, nein, sie waren komplett ausgerastet, und sie wussten es.
Sie waren Soldaten. Soldaten konnten keine Fehler machen. Männer schon.
Von Tag zu Tag ging es weniger um den Job und die Mission, sondern ums Überleben.
Wade stand auf und schob seine taktische Brille nach oben. Sie war vor Feuchtigkeit beschlagen. Er nahm das Magazin heraus. Leer. Er schob ein neues Magazin in seinen Karabiner und legte eine Patrone in den Lauf. Gesichert und geladen; bereit, um wieder zu töten.
»Nun, mit diesem Raum sind wir fertig«, bemerkte Eraserhead mit einem Grinsen, das seine fehlenden Zähne zeigte.
»Hurra«, erwiderte Williams mit deutlichem Sarkasmus. »Nur noch hundert.«
»Sie erwarten nicht von uns, dass wir alle Räume säubern, oder?«, fragte Ford.
Ramos’ Squad bestand aus zwei Fireteams: Alpha, dieses hier, und Team Bravo, welches bei den Humvees auf dem Parkplatz geblieben war. Sie sorgten draußen für die Sicherheit der Operation. Wade sah seine Kameraden von Alpha manchmal durch die soziale Linse, die er in seiner Highschoolzeit entwickelt hatte. Williams, groß und drahtig, war der Nerd des Squads, der einzig dunkelhäutige Mann im Platoon. Ein aufgewecktes Kind, das in Armut in Detroit aufgewachsen und der Army beigetreten war, um zumindest eine vernünftige Ausbildung zu bekommen. Die Jungs zogen ihn auf, weil er die Artikel im Playboy las und nannten ihn Doctor Mist; genau wie den schwarzen Superhelden aus der Dark Justice Serie von DC Comics.
Ford war der Sportler. Er sah gut genug aus, um Schauspieler zu sein, aber die Frauen stellten ihn vor ein Rätsel. Er las dauernd Bücher darüber, wie man sie verführen konnte. Er hielt Wade für einen Casanova, weil der eine feste Freundin auf der Highschool gehabt hatte.
Billy Cook, das riesige Kind, den die Jungs Eraserhead nannten, weil seine Frisur ihm das Aussehen dieser Filmfigur verlieh, war der Exzentriker unter ihnen. Er hatte irre Augen und sagte aus heiterem Himmel seltsame Dinge. Sogar bei einem Feuergefecht. Er war gebaut wie ein Kühlschrank und war neben Ramos der einzige Mann im Trupp, der keine Psychopharmaka oder Schlaftabletten nahm. So wollte er verhindern, dass er mitten in der Nacht von dem Gelächter aufschreckte, das er sich zu hören einbildete.
Wade sah Ramos an: »Was ist mit dem Personal?«
»Was ist damit?«
»Wir sollten die Leute evakuieren. Sie hier rausholen.«
»Die Operation läuft jetzt«, sagte Ramos. »Wenn wir jemandem begegnen, werden wir ihm sagen, dass er selbst zusehen muss, wie er hier rauskommt. Das Personal ist nicht unser Problem.«
Wade fragte sich manchmal, ob sie nicht alle die Krankheit ein Stück weit in sich trugen. Das würde aber auch bedeuten, dass sie alle zu einem gewissen Grad geisteskrank waren. Vielleicht war der Offizier, der den Befehl gegeben hatte, die Infizierten im Krankenhaus auszulöschen, selbst vollkommen bekloppt.
»Ist eigentlich irgendjemand heutzutage noch bei Sinnen?«, fragte er.
Ramos schüttelte den Kopf. »Diese Frage geht über meine Gehaltsklasse.«
Das Land nahm sich selbst auseinander, und er war mittendrin. Wade würde sein Gewehr nur allzu gern zu Boden schmeißen und verschwinden. Die Situation verschlechterte sich von Minute zu Minute. Würde es etwas ausmachen, wenn er die Party verpasste?
Er blickte seine Kameraden an und wusste, dass er es niemals tun könnte.
»Es ist nicht zu spät, um hier zu verduften«, sagte Williams. »Das ist eine Scheißmission.«
»Es wird schon schiefgehen«, sagte Ford. »Wir werden …«
»Haltet die Fresse«, knurrte Ramos. »Kontrolliert eure Waffen.«
Eraserhead grinste über sein SAW Maschinengewehr hinweg. »Ich habe gehört, dass Kate Upton sich die Krankheit eingefangen hat.«
»Schwachsinn«, sagte Williams.
»Kannst du dir vorstellen, dass sie mit einem Baseballschläger auf dich losgeht?«, fragte Ford.
»Nackt?«, ergänzte Williams.
»Das wäre es wert«, erwiderte Eraserhead. »So oder so.«
Die Jungs kicherten und achteten darauf, nicht zu laut zu lachen. Sie reichten eine Dose Kautabak herum.
Wade schüttelte den Kopf. »Wie geht es weiter, Sergeant?«
»Wir räumen die nächste …«
Sie hörten eine Lachsalve draußen im Flur.
Das Fireteam reagierte sofort. Sie blickten zur Tür, dann richteten sie ihre Augen auf den massigen Ramos und seine Sledgehammer, die vernichtende AA-12 Kampfschrotflinte. Der Sergeant gab ihnen ein Handzeichen: Auf den Einsatz vorbereiten.
Wade musterte die anderen Mitglieder seines Teams. Keiner tat etwas, ohne es die anderen wissen zu lassen. Niemand rückte vor, ohne sicher zu stellen, dass ihm jemand Rückendeckung gab.
Vom Flur erklang weiteres Gelächter, gefolgt vom elektrisierenden Schrei einer Frau.
Wade vermutete, dass das Personal die Schießerei gehört hatte und nun versuchte, die Patienten zu retten. Genau, wie der Doktor es getan hatte. Sie zu retten, bedeutete, sie von dem Barbiturat Cocktail zu trennen, der durch ihre Venen floss.
Die Klowns wachten auf.
»Macht euch bereit. Wir rücken vor«, sagte Ramos. »Wenn es lacht, tötet es.«
Die Jungs brachten sich hastig in Position. Sie hatten nun keine Zweifel mehr daran, was sie zu tun hatten: Sie alle töten oder selbst zu sterben.
Neun
Lt. Colonel Joseph Prince nutzte einen umgebauten Trailer als Hauptquartier. Er stand vor einer riesigen elektronischen Karte. Kopfschmerzen quälten ihn. Er nahm eine Advil aus der Plastikdose und schluckte die Tablette trocken herunter.
Prince beobachtete die blauen Symbole auf der Karte. Diese stellten den Aufmarsch des Ersten Bataillons im Großraum Boston dar. Nordöstlich symbolisierte ein großer und ebenfalls blauer Kreis den Hanscom Luftwaffenstützpunkt. Dies war das Zuhause der 66zigsten Air Base Group und somit Prince’ Hauptquartier. Jedenfalls war es das gewesen, bevor es verlegt wurde.
Die Karte zeigte auch gelbe Symbole an. Diese waren aktive Gefechte zwischen dem Feind und seinen Einheiten. Es gab viele von den gelben Symbolen, und Tag für Tag kamen mehr dazu.
Normalerweise zeigte die Karte durch rote Zeichen die Stellungen der Feinde an. Prince hatte darauf verzichtet. Es gab keine feindlichen Stellungen, denn sie waren überall.
Wir haben den Feind getroffen, und er ist wir. Lt. Colonel Joseph Prince dachte an die unsterblichen Worte des Serienkillers John Wayne Gacy, der als Pogo der Clown in die Geschichte eingegangen war. Der Feind. Das schloss Prince’ Frau und Sohn mit ein. Beide waren infiziert in den Straßen Amok gelaufen, bis jemand sie wie räudige Hunde abgeknallt hatte.
Er warf eine zweite Advil ein und versuchte, nicht daran zu denken.
Der Colonel benötigte die große Karte nicht, um zu erkennen, dass er dabei war, den Krieg gegen sein eigenes Land zu verlieren. Seinen Rang hatte er verdient, weil er widerspruchslos jeden Befehl ausführte. Niemals war eine Klage über seine Lippen gekommen, als er den Krieg in das Land der Feinde getragen hatte. Konventionelle Kriegsführung, aggressives Handeln, kompromisslose Abwicklung. Das war sein Motto. Prince war nicht besonders einfallsreich, aber er war zuverlässig und für gewöhnlich erzielte er die gewünschten Resultate. Normalerweise hatte er auch genügend Feuerkraft, um alles platt zu machen, was sich ihm in den Weg stellte.
Das hier war anders. Definitiv anders.
Der Feind war nicht irgendwer, sondern amerikanische Bürger.
Die Ziele seiner Mission waren ihm völlig unklar. Schlimmer noch, es gab widersprüchliche Befehle. Prince hatte sich mit zivilen Anwälten treffen müssen. Während er diesen Heinis über jede Entscheidung im Kampf Rechenschaft ablegen musste, weil sie das Leben und das Eigentum von Amerikanern betrafen, verlor er 20 Prozent seiner Infanteristen. Prince sah noch immer die Gesichter der Anwälte vor sich, als er ihnen mitteilte, dass der Befehl, die Infizierten in den Quarantänekrankenhäusern abzuschlachten, direkt aus dem Regimentshauptquartier gekommen war.
Er hatte viel dafür getan, in eine Position zu gelangen, in der er frei handeln konnte. Er war daran gewöhnt. Doch nun fühlte er sich wie eine Spinne, gefangen im eigenen Netz.
Die Videomonitore neben der großen Karte zeigten schreckliche Bilder. Übertragen wurden sie von Drohnen, Luftschiffen und Überwachungskameras. Erschöpfte Mitarbeiter saßen vor Flachbildschirmen und sammelten alles, was im Radio verbreitet wurde. Außerdem hatten sie dauerhaften Funkkontakt mit den Einheiten an der Front. Plastikbecher, Wasserflaschen und Einsatzhefter stapelten sich auf den Schreibtischen. Leere Red Bull Dosen füllten die Mülleimer. Der Raum roch nach Angstschweiß und abgestandenem Kaffee.
CNN zeigte die Bilder zuerst. Gebannt starrten Prince und seine Mitarbeiter auf die Bildschirme. Man sah ein Bürohochhaus. Dann einen gewaltigen Feuerball an der Seite des Hauses. Ein weiterer. Glas und Schutt regneten auf die Straße.
Prince erkannte die Straßenschluchten. Es war das Bostoner Finanzviertel.
Zehn
Schüsse peitschten durch die Luft. Wade konnte die gedämpften Erschütterungen der Einschläge in seinen Füßen spüren. Draußen im Flur verstummten die Schreie. Dann fingen sie wieder an.
»Bajonette aufsetzen«, befahl Ramos ruhig.
In Afghanistan hatte Wade sein Bajonett nicht einmal benutzt. Aber sie waren nicht in Afghanistan. Dies war ein anderer Feind. Dieser Feind gab nicht auf, bis er einem an die Gurgel gehen konnte oder starb.
Er griff seinen Karabiner. Alle im Fireteam funkelten Ramos wild an. Sie warteten auf den Angriffsbefehl. Sie wollten sich bewegen, etwas erschießen. Sie wollten es hinter sich bringen. Tausende Infizierte schliefen in diesem Krankenhaus. Wenn sie alle aufwachten, gab es nur eine Hoffnung auf Überleben: Der Trupp müsste fliehen und sich den Weg zu den Humvees freischießen.
Dann müssten sie einen Luftangriff organisieren.
Ramos nutze das Mikrofon seines Headsets, um Lieutenant Harris zu kontaktieren. Harris leitete das Team in der Etage über ihnen.
»Gegengift Sechs, hier ist Gegengift Zwei-Zwei. Verstanden? Over.«
»Gegengift Zwei-Zwei, hier ist Gegengift Sechs. Wir haben Feindkontakt. Das Krankenhaus ist gefährdet. Ich wiederhole. Das Krankenhaus ist …«
Eine langanhaltende Schussfolge übertönte den Rest. Die Soldaten blickten nach oben. Scheinbar waren die Klowns auf jeder Etage.
»Schlechter Empfang, Gegengift Sechs. ›Krankenhaus gefährdet‹ ist verstanden. Erbitte weitere Befehle. Over.«
Ramos wartete auf eine Antwort von Harris und hörte stattdessen noch mehr Schüsse.
»Gegengift Sechs, Gegengift Sechs, hier ist Gegengift Zwei-Eins. Over.« Der leitende Sergeant des ersten Trupps versuchte sich einzuschalten. Seine Stimme war professionell, aber Panik schwang mit. »Gegengift Sechs, verstanden?«
»Los, los«, sagte Williams.
Das wird verdammt schlecht enden, dachte Wade. »Wir müssen hier weg, Sergeant.«
»Und ich muss in Erfahrung bringen, ob wir uns zurückziehen oder den ursprünglichen Operationsbefehl folgen. Also Klappe halten.« Ramos wiederholte seine Bitte um weitere Befehle über sein Headset.
Wade tauschte einen Blick mit Ford aus. Denkt der Lieutenant, dass diese Scheißmission noch was bringt? Ein dezimiertes Platoon gegen tausende gemeingefährlicher Wahnsinniger? Sie mussten hier raus. Jede Sekunde, die sie zögerten, besiegelte ihr Schicksal. Wo zur Hölle ist der Rest der Bravo-Kompanie?
»Wir werden im Handumdrehen hier raus sein«, sagte Ford. »Zurück in der vorgeschobenen Operationsbasis. Dort haben wir dann etwas Warmes und ein Feldbett.«
Wade nickte, obwohl er kein Wort davon glaubte.
Plötzlich erschütterte ein gewaltiges Dröhnen das Gebäude. Deckenplatten fielen herunter. Jemand im oberen Stockwerk hatte eine Granate gezündet. Die Schreie im Flur erstarben und wurden durch heulendes Gelächter ersetzt.
Wade atmete tief ein und eine plötzliche Ruhe überkam ihn. Sein Pulsschlag verlangsamte sich und er wurde sich intensiv seiner Umgebung bewusst.
Ramos war ein erfahrener Unteroffizier, ein Zenturio der Army. Er wusste, was er tat. Wade vertraute darauf, dass er sie rausholte. Andernfalls lag es auch in Wades Händen. Er würde für sich und seine Kameraden kämpfen – und auch sterben.
Ramos schüttelte seinen Kopf. »In Ordnung, wir werden …«
»Alle Gegengift-Operationen zu den Humvees zurückziehen. Operation abbrechen. Gegengift Sechs, Ende der Durchsage.«
»Gegengift Sechs, Gegengift Zwei-Zwei. Verstanden. Ende der Durchsage.« Der Sergeant lud seine Schrotflinte nach und steckte eine Patrone in den Lauf. »Jetzt hört mal zu. Wir kommen hier raus. Das steht fest.«
»Ich sollte schon vor zwei Tagen in Urlaub gehen«, murmelte Eraserhead.
»Wissen wir, wissen wir«, sagte Williams.
»Ich sollte irgendwo in einer Bar sitzen und so betrunken sein, dass ich mich einpisse.«
»Wissen wir«, wiederholte Williams.
Eine weitere Granate explodierte in der oberen Etage. Das Licht flackerte.
»Wenigstens hast du immer noch die Möglichkeit dich einzupissen«, fügte Williams hinzu.
Im unteren Stockwerk hörten die Schüsse auf. Die fehlenden Geräusche waren alarmierender als die Granatenexplosionen.
»Vorrücken in drei, zwei, eins«, sagte Ramos.
»Wir sehen uns auf der anderen Seite«, flüsterte Eraserhead.
Wade war angespannt, bereit zu töten.
Es war kein Morden mehr. Jetzt ging es ums Überleben.
Ford öffnete die Tür.
Elf
Lt. Colonel Prince sah zu, wie das markante Bürogebäude live im Fernsehen bombardiert wurde. Es war faszinierend. Nicht die Gewalt, aber die Tatsache, dass niemand etwas verdammt nochmal dagegen tat.
Das allein sagte ihm alles, was er über die gegenwärtige Situation wissen musste.
Ein weiteres Gebäude ging in Feuer und Rauch auf. Prince erkannte es als die Federal Reserve Bank. Das Bild wackelte. Drei Liveticker liefen unten über den Bildschirm und auch oben rechts stand: LIVE.
Die Army hatte für alle Tätigkeiten eine Dienstvorschrift. Prince sagte gern: »Dafür gibt es einen Arbeitsablauf.«
Für das, was er gerade sah, gab es keinen Arbeitsablauf. Aber wer auch immer diese Schießerei angezettelt hatte, musste vom Militär sein.
»Major Walker«, bellte er.
Der Major unterzeichnete gerade ein Papier auf einem Klemmbrett und gab es dem Staff Sergeant zurück, der an den Radios saß. Er näherte sich mit einem leichten Lächeln, das Prince ihm gern aus dem Gesicht schlagen wollte.
»Colonel?«
»Amüsiert Sie etwas, Major?«
»Nein, Sir. Ich versuche nur vor den Männern positiv zu sein, Sir.«
Walker verbarg etwas. Prince hatte seinen Executive Officer nie gemocht. Der Mann war ein Politiker, eine kalte Schlange, und er war ein schlechter Soldat. Walker war nichts weiter als ein Schreibtischkrieger. Aber er war ein Zauberer darin, Dinge voranzutreiben.
Der Colonel ließ es durchgehen. Er fand, dass es ihm egal sein konnte, was Walker hinter seinem gruseligen, kleinen Lächeln verbarg.
»Wie kommt die Operation voran?«
»Welche Operation, Sir?«
»Gnade.«
Das war der Name, den die hohen Tiere der Operation gegeben hatten, bei der es darum ging, die Infizierten in den größten Quarantänekrankenhäusern zu eliminieren. Drei Kompanien waren der Operation zugeteilt. Das war der größte Teil ihrer Kampfkraft.
»Die Streitkräfte sind unterwegs.«
»Hervorragend. Was ist mit dem Gouverneur?«
»Wir sprechen immer noch mit seinen Leuten.«
Colonel Armstrong war Kommandant des 55zigsten Infanterieregiments – das intern »55 Meilen pro Stunde« genannt wurde – und Vorgesetzter von Prince. Er hatte einen anderen entscheidenden Operationsbefehl erteilt. Die Jungs sollten den Gouverneur von Massachusetts und weitere hochrangige Beamte zusammentrommeln und an einen sicheren Ort bringen. In dem Plan ging es um den Fortbestand der Bundesregierung.
»Sprecht schneller. Erledigt es. Verstanden?«
Der große, schlanke Körper des Majors versteifte sich in respektvoller Haltung. »Ja, Sir.«
Auf CNN traf ein weiterer Schuss die Federal Reserve Bank. Das Gebäude brannte an dutzenden Stellen und pumpte schwarzen Rauch in die Luft.
Der Army zufolge brauchte man nach zwei bis vier Tagen, an denen man nur kleine Ruhepausen bekam, einen ausgiebigen Schlaf von zwölf bis vierzehn Stunden. Der Colonel hatte seit über einem Monat kaum geschlafen. Bei solch einer Erschöpfung fühlte man sich, als wäre man betrunken. Befehlshaber machten Fehler, wenn sie so müde waren. Er musste seinen scharfen Verstand behalten. Prince schluckte eine weitere Advil trocken herunter und versuchte nicht darüber nachzudenken. Die Muskeln in seinem Gesicht waren taub. Sein Kopf hämmerte im Takt seines Herzschlags, eine Migräne drohte.
Er war oft erstaunt, wie viel Macht er innehatte, wenn er ein Infanteriebataillon befehligte. Achthundert Männer. Zehnte Gebirgsdivision. Aufstieg zum Ruhm.
Sie waren das erste Bataillon und Teil des 55zigsten Infanterieregiments, der fünften Kampfbrigade, der zehnten Gebirgsdivision und dem XVIII Airborne Corps. Sechs Kompanien – Alpha, Bravo, Charlie, Delta, Echo (eine angegliederte Versorgungskompanie) und das Hauptquartier (Rufname ‚Wizard‘). Diese Truppen wurden von den Tomcats ergänzt, ein Luftangriffsbataillon; den Trailblazers, ein Spähtrupp; Thunder, ein Mörser-Platoon; und Nightingale, ein Platoon Sanitäter.
Als Colonel Armstrong (Rufnahme ‚Big Brother‘) sich an Prince wendete und erklärte, dass die Army ausrücken musste, hatte Prince reagiert wie ein Hund, den man von der Leine gelassen hatte.
Er dachte, dass der Einsatz nur wenige Tage dauern würde. Doch Wochen zogen ins Land. Die Division hatte sich schon bald überall in Neuengland ausgebreitet und wurde von Immobilienmaklern und Hausfrauen zerfetzt, die sich in lachende Sadisten und Selbstmordattentäter verwandelt hatten.
Sie hatten die Sauerei nicht aufgeräumt. Sie wurden ein Teil davon.
Als Big Brother ihn ansprach, hatte er keine andere Wahl. Er hätte nach Hause gehen können, um Susan und Frankie zu beschützen. Wenn er es getan hätte, hätten sie sich nicht die Krankheit eingefangen und wären nicht wie tollwütige Hunde auf der Straße erschossen worden. Prince dachte, dass er, dort wo er war, mehr für sie tun konnte. Er wollte dabei helfen, die Ordnung aufrechtzuerhalten und verhindern, dass sich die Infektion weiter ausbreitete.
Im Laufe der letzten Wochen hatte er kaum mehr erreicht als die Flut zu verlangsamen. Und selbst das war fragwürdig.
Die starken, andauernden Kopfschmerzen, unter denen er früher ab und zu litt, waren nun zum ständigen Begleiter geworden.
Walker schaute ihn kritisch an. »Gibt es sonst noch etwas, Sir?«
»Jawohl.« Prince zeigte auf das Videobild des lodernden Bürohochhauses, das noch immer bombardiert wurde. »Das ist Boston. Und das ist schweres Geschütz. Live im Fernsehen. Wer zur Hölle schießt da und warum gebietet dem niemand Einhalt?«
Walker sagte nichts.
»Bringen Sie mir Antworten.«
»Sofort, Sir.«
Walkers rätselhaftes Lächeln war wieder da, als er dem Videomonitor einen letzten, zögernden Blick zuwarf. »Die Apokalypse wird live im Fernsehen übertragen.«
Zwölf
Ramos hob seine Sledgehammer, als er durch die Tür trat. Wade folgte ihm und zeigte mit dem Karabiner in die entgegengesetzte Richtung. Eraserhead war mit seinem SAW-Maschinengewehr der nächste, gefolgt von Williams mit seinem M4/203.
Grinsende Klowns füllten den Korridor. Einige trampelten über den zerfleischten Körper einer Krankenschwester, der auf dem Boden lag. Andere sahen uns an und lachten lauthals. Sie stemmten dabei die Hände in die Hüften oder hielten sich den Bauch. Die Krankenschwester lachte mit.
Als die Infizierten bemerkten, dass die Soldaten Waffen auf sie richteten, jubelten sie und kreischten vor Freude. Als ob die geladenen Gäste endlich zu ihrer Überraschungsparty angekommen wären. Wieder einmal war Wade von ihren Gesichtern beunruhigt. Mit den großen, glasigen Augen und ihrem verrückten, anzüglichen Blick sahen sie tatsächlich wie Clowns aus.
Einer stolperte auf Ramos zu und kicherte. Ramos riss ihn mit einer Ladung Schrot in zwei Hälften. Die Verrückten stürmten los, als hätten sie auf ein solches Signal gewartet.
Wade sichtete eine Frau inmitten der Menge und feuerte. Der Rückstoß prallte gegen seine Schulter. Die Frau brach zusammen. Ein anderer Klown nahm ihren Platz ein. Noch einer. Und noch einer.
Verbrauchte Patronenhülsen flogen aus der Ausstoßöffnung des Karabiners und klimperten auf den Boden. Das metallische Knacken der Karabiner und das Dröhnen der Schrotflinte des Sergeants hämmerten in Wades Ohren.
Eraserhead brachte die SAW in Position und feuerte kontrollierte Salven ab. Die Horde löste sich auf. Körper wurden in dem vernichtenden Feuer auseinandergesprengt. Ein Feuerstoß nach dem anderen strömte den Flur hinunter.
Wade keuchte. Die Szene wirkte wie aus einem Film.
Es kamen immer mehr.
»Nachladen!«
Wade ließ das leere Magazin zu Boden poltern und schob eine neues in seinen Karabiner. Er zog den Ladebolzen, zielte und schoss.
Hinter ihm dröhnte die Sledgehammer. Die Infizierten gingen nun auch vom anderen Ende des Korridors auf sie los.
Ein Gefecht war üblicherweise unvorhersehbar, aber Wade wusste, dass ihr Überleben hier eine Frage einfacher Mathematik war: Entweder hatten sie genug Kugeln oder nicht. Selbst wenn sie genug Munition hätten, würden ihre Waffen irgendwann überhitzen und blockieren, wenn es zu viele Infizierte gab, auf die sie schießen mussten.
Auf diese Art und Weise wurden die Militäreinheiten von den Infizierten überrannt: Die Angriffe erfolgten in Wellen und eine kleine Gruppe von Soldaten hatte schnell keine Munition mehr oder unbrauchbare Waffen. Klowns nahmen keine Gefangenen. Entweder töteten sie dich oder machten dich zu einem von ihnen.
Wade schoss. Der Kopf eines glatzköpfigen Mannes explodierte in einem Geysir aus Gehirn und Blut.
»Guter Schuss«, sagte Eraserhead. »Hab doch gewusst, dass du es in dir hast.«
»Fahr zur Hölle«, entgegnete Wade.
Die SAW schüttelte sich jetzt, feuerte neunhundert Schuss in der Minute. Bei jedem fünften Schuss kam eine nebelhafte Leuchtspur aus dem Lauf. Ein pulsierendes, rotes Stroboskoplicht.
Eraserhead grinste: »Zeit, es ihnen heimzuzahlen.«
Eine abgetrennte Hand, an der ein langer Fleischlappen und Gewebe hingen, klatschte gegen Wades Brust und plumpste auf den Boden. Die Klowns warfen Körperteile nach ihnen.
Williams ließ das leere Magazin seines Karabiners fallen: »Nachladen!«
Wade blickte auf die am Boden liegende Hand und lachte. Er konnte es nicht lassen. Es platzte einfach aus ihm heraus. Er war nicht infiziert. Die ganze Situation war verrückt. Er hatte den Kampf gegen die Taliban ein ganzes Jahr durchgestanden und würde nun sterben, während er gegen eine Horde blutrünstiger Wahnsinniger kämpfte, die Arme und Beine nach ihm warfen. Es war irrwitzig, einfach zum totlachen.
Niemand protestierte.Keinen Mann zurücklassen.Es war nicht nur ein nobler Gedanke. Es motivierte sie, der Gefahr ins Auge zu sehen, weil sie wussten, dass auch ihre Kameraden sie abholen würden.