NORA ROBERTS
WEGE
DER LIEBE
Roman
Aus dem Amerikanischen von Katrin Marburger
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Zum Buch
Branna O’Dwyer und Fin Burke wünschen sich nichts sehnlicher, als ihren Gefühlen zueinander nachzugeben. Allerdings verhindert ein jahrhundertealter Fluch ihre Liebe: Weil Fin der letzte Nachkomme des dunklen Magiers Cabhan, des unversöhnlichen Feindes der Familie O’Dwyer, ist, trägt er sein Mal. Dadurch können die beiden Liebenden nicht vereint sein, ohne den Kreis der Freunde in Gefahr zu bringen. Denn die Nächte werden länger im mystischen County Mayo, und immer häufiger mischt sich der Schatten von Cabhan in die Dunkelheit. Er lauert den Mitgliedern des Zirkels auf und wartet nur auf eine Gelegenheit, um sich für die erlittenen Qualen ihres letzten Kampfes zu rächen.
Branna und Fin wissen, dass sie ihn endgültig besiegen müssen, wenn ihre Liebe jemals eine Chance haben soll. Gemeinsam mit ihren Freunden erwecken sie ihre Fähigkeiten und suchen nach der richtigen Formel, um Cabhans Macht zu brechen. Noch wissen sie nicht, aus welcher Quelle er seine Kraft und seine Magie bezieht. Doch der Tag des Entscheidungskampfs rückt näher.
Zur Autorin
Nora Roberts wurde 1950 in Maryland geboren. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie 1981. Inzwischen zählt sie zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt. Ihre Bücher haben eine weltweite Gesamtauflage von 400 Millionen Exemplaren überschritten. Mehr als 190 Titel waren auf der New-York-Times-Bestsellerliste, und ihre Bücher erobern auch in Deutschland immer wieder die Bestsellerlisten. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Maryland.
Mehr Informationen über die Autorin und ihr Werk finden Sie hier.
Besuchen Sie die Autorin auf www.noraroberts.com
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Die Originalausgabe BLOOD MAGICK, BOOK THREE OF THE COUSINS O’DWYER TRILOGY erschien 2014 bei The Berkeley Publishing Group, Penguin Group (USA) LLC, New York
Zu den Eingangszitaten:
Aus dem Gedicht »Kurzlebigkeiten« (engl. »Ephemera«), in: William Butler Yeats: Die Gedichte. Deutsch von Mirko Bonné. Luchterhand Verlag, München 2005, Seite 20
William Shakespeare: Macbeth. Zweisprachige Ausgabe. Neu übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Frank Günther. dtv, München 1995, III. Akt, 4. Szene, Seite 109
Vollständige deutsche Erstausgabe 05/2015
Copyright © 2014 by Nora Roberts
Published by Arrangement with Eleanor Wilder
Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Copyright © 2015 dieses E-Books by Wilhelm Heyne Verlag, München
Covergestaltung: t. mutzenbach design
Covermotiv: Gayvoronskaya_Yana, Sara Winter, Mike Pellinni, Foto Para Ti, shutterupeire, ANP / shutterstock.com
Satz: Christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich
ISBN: 978-3-641-13935-3
V002
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Für Kat,
eines der hellsten Lichter in meinem Leben
Wie weit die Sterne weg sind, wie lang her
Dein erster Kuss und ach! wie alt mein Herz.
William Butler Yeats
Das lechzt nach Blut, sagt man: Blut lechzt nach Blut.
William Shakespeare
1
Sommer 1276
An einem strahlenden Tag gegen Ende des Sommers sammelte Brannaugh Kräuter, Blumen, Blätter für Salben, Elixiere und Tees. Nachbarn und Reisende kamen in der Hoffnung auf Heilung zu ihr, der Dunklen Hexe, wie sie einst zu ihrer Mutter gekommen waren, mit Schmerzen an Leib, Herz und Seele, und zahlten mit Münzen, Diensten oder Waren.
So hatten sie und ihre Geschwister sich ein neues Leben in Clare aufgebaut, fern von ihrem Zuhause in Mayo. Fern von der Hütte im Wald, wo sie gelebt hatten und wo ihre Mutter gestorben war.
Sie waren zufriedener und fröhlicher, als Brannaugh es für möglich gehalten hatte nach jenem schrecklichen Tag, an dem ihre Mutter ihnen bis auf einen kleinen Rest ihre ganze Macht gegeben und sie fortgeschickt hatte, damit sie in Sicherheit waren, während sie selbst sich opferte.
Voller Kummer, dachte sie, voller Gehorsam und Furcht hatte sie getan, was von ihr verlangt worden war, hatte ihren jüngeren Bruder und die kleine Schwester von zu Hause fortgeführt.
Sie hatten die Liebe, die Kindheit und ihre Unschuld zurückgelassen.
Viele Jahre war das nun her. Die ersten davon hatten sie auf Geheiß ihrer Mutter bei ihrer Verwandten und deren Mann verbracht – sicher, umsorgt, willkommen. Doch dann war die Zeit gekommen, dieses Nest zu verlassen und das anzunehmen, was sie waren und immer sein würden …
Die drei Dunklen Hexen.
Ihre Pflicht, ihre Bestimmung vor allem anderen. Cabhan auszulöschen, den finsteren Zauberer, der ihren Vater umgebracht hatte, Daithi den Tapferen, und ihre Mutter, Sorcha. Cabhan, dem es irgendwie gelungen war, den Fluch zu überleben, mit dem Sorcha ihn belegt hatte.
An einem strahlenden Spätsommertag wie diesem schien das alles weit weg zu sein – die Schrecken jenes letzten Winters, Blut und Tod jenes letzten Frühlings.
Hier in der Heimat, die sie sich geschaffen hatten, duftete es nach dem Rosmarin in ihrem Korb, nach den Rosen, die ihr Mann zur Geburt ihres ersten Kindes gepflanzt hatte. Die Wolken bauschten sich wie kleine Schäfchen auf der blauen Himmelsweide, und der Wald, die kleinen Felder, die sie angelegt hatten, leuchteten grün wie Smaragde.
Brannaughs Sohn, noch keine drei Jahre alt, saß auf einem sonnigen Fleck und schlug auf die kleine Trommel, die sein Vater ihm gebaut hatte. Er sang und johlte und trommelte voll fröhlicher Unschuld, sodass ihre Augen vor Liebe brannten.
Ihre Tochter, kaum ein Jahr alt, schlief mit ihrer liebsten Flickenpuppe im Arm, bewacht von Kathel, dem treuen Hund der Familie.
Und ein weiterer Sohn strampelte und trat sie in ihrem Leib.
Von dort, wo sie stand, konnte sie die Lichtung sehen und die kleine Hütte, die sie, Eamon und Teagan vor beinahe acht Jahren gebaut hatten. Kinder, dachte sie, die ihre Kindheit nicht hatten genießen können.
Die Geschwister lebten immer noch ganz in der Nähe. Der treue Eamon, stark und wahrhaftig. Und Teagan, so freundlich und heiter. Sie waren glücklich, dachte Brannaugh, und Teagan war sehr verliebt in den Mann, den sie im Frühjahr geheiratet hatte.
Alles war friedlich, trotz Brins Trommeln und Johlen. Die Hütte, die Bäume, die grünen, mit Schafen gepunkteten Hügel, der Garten, der strahlend blaue Himmel.
All das musste zu Ende gehen, und zwar bald schon.
Die Zeit nahte – sie spürte es so deutlich wie die Tritte ihres Babys in ihrem Bauch.
Die strahlenden Tage würden dem Dunkel weichen. Der Frieden würde in Blut und Kampf enden.
Sie fasste an das Amulett mit dem Abbild eines Hundes. Ihr Schutz, den ihre Mutter mit Blutmagie beschworen hatte. Bald, dachte sie, würde sie diesen Schutz wieder brauchen.
Sie legte eine Hand an den Rücken, wo es ein wenig schmerzte, und erblickte im selben Moment ihren Mann, der nach Hause geritten kam. Der schöne Eoghan, mit dem sie so verbunden war. Augen grün wie die Hügel, rabenschwarzes Haar, das sich bis auf seine Schultern ringelte. Er ritt aufrecht und mühelos auf der stämmigen kastanienbraunen Stute, und seine Stimme erhob sich wie so oft zu einem Lied.
Der Anblick entlockte ihr ein Lächeln, und ihr Herz wurde leicht wie ein Vogel, der sich in die Lüfte schwang. Sie, die so sicher gewesen war, dass es für sie keine Liebe geben konnte, keine Familie außer den Blutsverwandten, kein Leben jenseits ihrer Bestimmung, hatte sich rettungslos in Eoghan aus Clare verliebt.
Brin sprang auf und rannte los, so schnell ihn seine kleinen Beinchen trugen. Dabei rief er wieder und wieder: »Da, Da, Da!«
Eoghan beugte sich herab und hob den Jungen in den Sattel. Das gemeinsame Lachen von Mann und Kind flog zu ihr herüber. Wieder brannten ihr die Augen. In diesem Moment hätte sie ihre ganze Macht gegeben, jeden Tropfen davon, um ihnen zu ersparen, was da kommen würde.
Die Kleine, der sie den Namen ihrer Mutter gegeben hatte, quengelte, und Kathel regte seine alten Knochen, um ein leises Wuff von sich zu geben.
»Ich höre sie.« Brannaugh stellte den Korb ab und ging zu ihrer erwachenden Tochter, nahm sie auf den Arm, herzte und küsste sie zärtlich, während Eoghan neben sie ritt.
»Schau mal, was ich auf der Straße gefunden habe. Einen kleinen Streuner.«
»Ich finde, den sollten wir behalten. Vielleicht sieht er ganz nett aus, wenn man ihn sauber macht, dann können wir ihn auf dem Markt verkaufen.«
»Er könnte uns ein hübsches Sümmchen einbringen.« Eoghan küsste seinen kichernden Sohn aufs Haar. »Runter mit dir, Junge.«
»Reiten, Da!« Brin wandte den Kopf und sah Eoghan aus großen, dunklen Augen bettelnd an. »Bitte! Reiten!«
»Aber nur ganz kurz, dann will ich meinen Tee.« Eoghan zwinkerte Brannaugh zu, bevor er im Galopp davonsprengte, sodass der Junge aufjauchzte.
Brannaugh griff wieder zu ihrem Korb und schob sich die kleine Sorcha auf die Hüfte. »Komm, alter Freund«, sagte sie zu Kathel. »Es ist Zeit für dein Stärkungsmittel.«
Sie ging zu dem hübschen Häuschen hinüber, das Eoghan mit seinen geschickten, starken Händen gebaut hatte. Drinnen schürte sie das Feuer, setzte ihre Tochter hin und bereitete den Kräutertee vor.
Während sie Kathel streichelte, massierte sie ihn zugleich mit dem Tonikum, das sie für ihn gemischt hatte, damit er gesund und scharfsichtig blieb. Ihr Schutztier, ihr Herz, dachte sie. Ein paar Jahre lang würde sie sein Leben noch strecken können. Sie würde es wissen, wenn die Zeit kam, ihn gehen zu lassen. Aber noch war es nicht so weit.
Sie stellte Honigkuchen und Marmelade auf den Tisch und hatte den Tee fertig, als Eoghan und Brin Hand in Hand hereinkamen.
»Mhm, das ist gut.«
Eoghan strubbelte Brin über den Kopf, beugte sich zu Brannaugh hinab und küsste sie. Das dehnte er ein wenig aus, wie immer.
»Du bist früh zu Hause«, begann sie, als ihr Mutterblick sah, wie Brin nach dem Honigkuchen griff. »Wasch dir erst die Hände, mein Junge, und dann setzt du dich wie ein feiner Herr zu deinem Tee.«
»Sie sind gar nicht dreckig, Ma.« Brin streckte die Hände aus.
Brannaugh zog nur die Augenbrauen hoch, als sie die schmutzigen kleinen Finger sah. »Waschen. Ihr beide.«
»Mit Frauen kann man nicht diskutieren«, erklärte Eoghan seinem Sohn. »Das wirst du noch lernen. Ich habe den Schuppen für die Witwe O’Brian fertiggebaut. Bei Gott, ihr Junge ist wirklich nutzlos wie Zitzen an einem Geißbock, er hat sich einfach verdrückt. Aber ohne ihn ging es schneller voran.«
Eoghan berichtete von der Arbeit, während er seinem Sohn half, sich die Hände abzutrocknen, und als er kurz darauf seine Tochter in die Luft schwang, sodass sie vor Freude quiekte, erzählte er, was er demnächst tun würde.
»Du bist die Freude in diesem Haus«, murmelte Brannaugh. »Du bist sein Licht.«
Er sah sie ruhig an und setzte die Kleine ab. »Und du bist sein Herz. Setz dich, ruh deine Füße ein wenig aus. Trink deinen Tee.«
Er wartete. Oh, sie wusste, dass er eine Engelsgeduld hatte. Oder den größten Dickschädel – was allerdings oft auf dasselbe herauskam, zumindest bei einem Mann wie Eoghan.
Als die Hausarbeit getan, das Abendessen vorüber war und die Kinder im Bett lagen, nahm er ihre Hand. »Gehst du ein Stück mit mir, holde Brannaugh, es ist so ein schöner Abend?«
Wie oft hatte er diese Worte zu ihr gesagt, als er noch um sie warb – als sie noch versuchte, ihn zu verscheuchen wie eine Mücke …
Jetzt holte sie ihr Umschlagtuch – ein Lieblingsstück, das Teagan ihr gemacht hatte – und legte es sich um die Schultern. Sie warf einen Blick zu Kathel hinüber, der am Feuer lag.
Pass für mich auf die Kinder auf, trug sie ihm auf und ließ sich von Eoghan in den kühlen, feuchten Abend hinausziehen.
»Es gibt Regen«, sagte sie. »Noch vor dem Morgen.«
»Dann haben wir ja Glück, dass wir diesen Abend haben.« Eoghan legte ihr eine Hand auf den Bauch. »Alles gut?«
»O ja. Der junge Mann ist sehr lebhaft, immer in Bewegung. Ganz wie sein Vater.«
»Wir stehen gut da, Brannaugh. Wir könnten uns eine Hilfe leisten.«
Brannaugh warf ihm einen Seitenblick zu. »Hast du etwas auszusetzen? Am Zustand des Hauses, der Kinder, am Essen, das auf den Tisch kommt?«
»Überhaupt nicht, in keiner Weise. Aber ich habe gesehen, wie meine Mutter sich kaputt geschuftet hat.« Während Eoghan sprach, massierte er ihren Rücken, als wüsste er von dem kleinen, bohrenden Schmerz, der dort saß. »Ich will nicht, dass es dir genauso geht, a ghrá.«
»Es geht mir gut, wirklich.«
»Warum bist du traurig?«
»Das bin ich nicht.« Eine Lüge, dachte Brannaugh, und sie log Eoghan niemals an. »Ein wenig. Wenn Frauen ein Kind erwarten, sind sie manchmal ein bisschen seltsam, wie du wissen müsstest. Habe ich nicht eimerweise Tränen vergossen, als ich mit Brin schwanger war und du die Wiege hereinbrachtest, die du gebaut hattest? Ich habe geheult, als würde die Welt untergehen.«
»Vor Freude. Aber jetzt bist du nicht froh.«
»Doch, ich bin froh. Gerade heute stand ich hier und schaute unsere Kinder an, spürte, wie das nächste sich in mir bewegte, dachte an dich und das Leben, das wir haben. Solche Freude, Eoghan. Wie oft habe ich Nein gesagt, als du mich batest, die Deine zu werden?«
»Einmal war schon zu viel.«
Brannaugh lachte, auch wenn ihr Tränen in der Kehle aufstiegen. »Aber du hast wieder und wieder gefragt. Mit Liedern und Geschichten hast du um mich geworben und mit Wildblumen. Und immer noch habe ich dir gesagt, ich würde nie irgendjemandes Frau sein.«
»Niemandes außer meine.«
»Niemandes außer deine.«
Sie atmete die Nachtluft ein, den Duft des Gartens, des Waldes, der Hügel. Sie atmete ein, was ihr Zuhause geworden war, und wusste doch, sie würde es verlassen für das Zuhause ihrer Kindheit, für ihre Bestimmung. »Du wusstest, was ich war, was ich bin. Und dennoch wolltest du mich – nicht die Macht, sondern mich.«
Das zu wissen bedeutete ihr alles, und es hatte das Herz geöffnet, das sie so fest verschlossen halten wollte.
»Und als ich nichts mehr dagegen tun konnte, dass ich dich liebte, habe ich dir alles erzählt, alles, und habe wieder Nein gesagt. Aber du hast noch einmal gefragt. Weißt du noch, was du zu mir gesagt hast?«
»Ich sage es abermals.« Eoghan wandte sich zu ihr und nahm ihre Hände, genau wie an dem Tag vor vielen Jahren. »Du bist mein und ich bin dein. Alles, was du bist, nehme ich. Alles, was ich bin, gebe ich. Ich bleibe bei dir, Brannaugh, Dunkle Hexe aus Mayo, in Feuer und Wasserfluten, in Freud und Leid, in Frieden und Streit. Sieh in mein Herz, denn du hast die Macht dazu. Sieh in mich hinein, und du findest Liebe.«
»Und das habe ich getan. Das tue ich, Eoghan.« Sie drängte sich an ihn, wühlte sich in ihn hinein. »Das macht mich so froh.«
Doch sie weinte.
Er streichelte sie, beruhigte sie, dann schob er sie sanft von sich, um ihr im bleichen Mondlicht ins Gesicht zu sehen. »Wir müssen zurück. Zurück nach Mayo.«
»Bald. Es tut mir leid …«
»Nein.« Er berührte ihre Lippen mit seinen, brachte sie so zum Schweigen. »So sprichst du nicht zu mir. Hast du meine Worte nicht gehört?«
»Wie konnte ich es wissen? Selbst als du die Worte gesagt hast und ich spürte, wie sie mein Herz ergriffen, wie konnte ich wissen, dass ich so empfinden würde? Alles in mir wünscht sich hierzubleiben. Hier bei dir zu sein, all das andere beiseitezulassen. Aber ich kann nicht. Das kann ich nicht für uns tun. Eoghan, unsere Kinder.«
»Nichts wird ihnen geschehen.« Wieder legte er eine Hand auf ihren Bauch. »Nichts und niemand wird ihnen etwas tun. Das schwöre ich.«
»Ja, das musst du schwören, denn wenn die Zeit gekommen ist, muss ich sie verlassen und mit meinen Geschwistern Cabhan gegenübertreten.«
»Und mit mir.« Er fasste sie an den Schultern, und seine Augen funkelten hitzig und wild. »Was oder wem auch immer du dich stellst, ich stehe dir zur Seite.«
»Das musst du schwören.« Sanft zog sie seine Hände wieder auf ihren Bauch, in dem ihr Sohn strampelte. »Unsere Kinder, Eoghan, du musst schwören, sie zu beschützen, vor allem anderen. Du und Teagans Mann, ihr müsst sie vor Cabhan behüten. Was ich tun muss, könnte ich nie tun, wenn ich nicht wüsste, dass ihr Vater und ihr Onkel sie beschützen. Bei deiner Liebe, Eoghan, schwöre es.«
»Ich würde mein Leben für dich geben.« Er lehnte die Stirn an ihre, und sie spürte seinen Kampf – Mann, Ehemann, Vater. »Ich schwöre dir, ich würde mein Leben für unsere Kinder geben. Ich schwöre, dass ich sie beschützen werde.«
»Ich bin gesegnet mit dir.« Sie führte seine Hände von ihrem Bauch an ihre Lippen. »Gesegnet. Und du würdest mich nicht bitten zu bleiben?«
»Alles, was du bist«, erinnerte er sie. »Du hast etwas gelobt, und dieses Gelöbnis ist auch meins. Ich bin bei dir, mo chroi.«
»Du bist das Licht in mir.« Seufzend lehnte sie den Kopf an seine Schulter. »Das Licht, das in unseren Kindern scheint.«
Alles, was sie war, würde sie dazu verwenden, dieses Licht und das, was daraus kam, zu hüten und endlich, endlich das Dunkel zu besiegen.
Sie blieb noch, kostete jeden Tag aus, bewahrte ihn im Herzen. Wenn ihre Kinder sich ausruhten, wenn das Kind in ihrem Leib darauf bestand, dass auch sie sich Ruhe gönnte, saß sie mit dem Zauberbuch ihrer Mutter am Feuer. Studierte es, fügte ihre eigenen Zaubersprüche, Worte und Gedanken hinzu. Dies, so wusste sie, würde sie zusammen mit ihrem Amulett weitergeben. An ihre Kinder, an jenes ihrer Kinder, das die Bestimmung der Dunklen Hexe fortführen würde, sollten sie, Eamon und Teagan scheitern.
Ihre Mutter hatte geschworen, sie – oder die von ihrem Blut – würden Cabhan vernichten. Mit ihren eigenen Augen hatte sie einen von ihrem Blut gesehen, aus einer anderen Zeit, und sie hatte mit ihm gesprochen.
Von einer anderen hatte sie geträumt, einer Frau mit dem Amulett, das sie nun trug und das eines von dreien war – genau wie sie selbst.
Sorchas drei würden Kinder haben, und auch diese würden Kinder bekommen. So würde das Vermächtnis weitergetragen und mit ihm die Bestimmung, bis sie erfüllt war.
Sie würde sich nicht davon abkehren, konnte es nicht. Sie spürte die Regungen in ihrem Blut, während der Sommer dahinging, und würde, konnte sich ihnen nicht verschließen.
Doch sie hatte ihre Kinder zu versorgen, musste sich um ihr Zuhause kümmern, die Tiere füttern, im Garten ernten, die kleine Ziege melken. Musste Nachbarn und Reisende heilen.
Und sie musste ihre Hexenkraft bewahren, ihre helle, starke Hexenkraft.
Als die Kinder schliefen – auch Brin, der sich mit aller Kraft dagegen gewehrt hatte, die Augen zu schließen –, trat sie vors Haus, um frische Luft zu schnappen. Und erblickte ihre Schwester, die mit einem Korb den Weg heraufkam, das blonde Haar zu einem langen Zopf geflochten.
»Du musst gehört haben, dass ich dich bei mir haben wollte. Mir ist danach, mich mit jemandem zu unterhalten, der älter als drei Jahre ist.«
»Ich habe Graubrot dabei, weil ich mehr als genug gebacken habe. Und ich wollte auch unbedingt zu dir.«
»Dann esse ich sofort welches, ich habe nämlich ständig Hunger.« Lachend breitete Brannaugh für ihre Schwester die Arme aus. Teagan, wunderhübsch mit ihrem sonnenhellen Haar und den Augen von der Farbe der Hasenglöckchen, die ihre Mutter so gern gemocht hatte. Brannaugh zog sie an sich – und schob sie gleich wieder weg. »Du bekommst ein Kind!«
»Konntest du mir nicht die Gelegenheit lassen, es dir selbst zu sagen?« Glühend, strahlend fiel Teagan der Schwester erneut um den Hals und drückte sie fest. »Ich bin mir erst seit heute Morgen sicher. Ich wurde wach und wusste, da ist ein Leben in mir. Ich habe es Gealbhan noch nicht gesagt, weil ich es erst dir erzählen musste. Und um mir sicher zu sein. Jetzt bin ich es. Ich plappere wie ein Wasserfall. Ich kann gar nicht aufhören.«
»Teagan.« Brannaugh stiegen die Tränen in die Augen, als sie die Schwester auf die Wangen küsste und sich an das kleine Mädchen erinnerte, das an jenem dunklen Morgen vor so langer Zeit geweint hatte. »Sei gesegnet, deirfiúr bheag. Komm rein. Ich mache dir einen Tee, etwas, das gut für dich und das Leben in dir ist.«
»Ich will es Gealbhan erzählen«, sagte Teagan, während sie mit Brannaugh hineinging und ihr Tuch abnahm. »An dem kleinen Fluss, wo er mich zum ersten Mal geküsst hat. Und dann sage ich Eamon, dass er schon wieder Onkel wird. Ich will Musik und fröhliche Stimmen. Kommst du heute Abend mit Eoghan und den Kindern?«
»Natürlich. Dann bekommst du deine Musik und die fröhlichen Stimmen.«
»Ich vermisse Ma. Ach, es ist albern, ich weiß, aber ich will es ihr erzählen. Ich will es Da sagen. Ich trage ein Leben in mir, eines, das von ihnen kam. Ging dir das auch so?«
»Ja, jedes Mal. Als Brin kam und auch bei meiner eigenen Sorcha. Ich habe Ma für einen Augenblick gesehen, nur ganz kurz. Ich habe sie gespürt, und Da auch. Ich habe gespürt, dass sie da waren, als meine Babys den ersten Schrei ausstießen. Das war wunderschön, Teagan, und traurig zugleich. Und dann …«
»Erzähl weiter.«
Aus Brannaughs Augen schienen diese Freude und dieses Leid, als sie die Hände über dem Kind in ihrem Leib faltete. »Die Liebe ist so heftig, so stark. Wenn du dieses Leben trägst, nicht in deinem Bauch, sondern auf den Armen. Die Liebe, die dann über dich kommt. Du denkst, du kennst das, aber dann spürst du es, und was du zu kennen glaubtest, ist blass und schwach gegen dieses Gefühl. Jetzt weiß ich, was Ma für uns empfunden hat. Und Da. Auch du wirst es wissen.«
»Kann es überhaupt noch mehr werden?« Teagan legte fest die Hand auf ihren Bauch. »Es fühlt sich schon so riesig an.«
»Doch, das kann es. Das wird es.« Brannaugh schaute zu den Bäumen hinaus, zu den üppig wuchernden Gärten. Und ihr Blick verschleierte sich.
»Dieser Sohn in dir, er wird nicht der Eine sein, selbst wenn er stark sein und die Hexenkraft ihm zufallen wird. Auch der Sohn, den du nach diesem bekommst, ist nicht der Eine. Deine Tochter, dein drittes Kind, ist die Nächste. Sie wird deine Eine sein, die eine der drei. Blond wie du, mit gütigem Herzen und wachem Verstand. Du wirst sie Ciara nennen. Eines Tages wird sie das Zeichen tragen, das unsere Mutter für dich gemacht hat.«
Brannaugh setzte sich, da ihr plötzlich schwindlig wurde. Teagan stürzte zu ihr.
»Alles in Ordnung, es geht mir gut. Das kam nur so schnell, dass ich nicht darauf vorbereitet war. Ich bin dieser Tage ein bisschen langsamer.« Sie tätschelte Teagans Hand.
»Ich habe nicht aufgepasst. Ich habe nicht daran gedacht.«
»Warum solltest du auch? Es ist dein gutes Recht, glücklich zu sein. Das wollte ich dir wahrhaftig nicht verderben.«
»Hast du auch nicht. Wie könntest du irgendetwas verderben, wenn du mir sagst, ich bekomme einen Sohn, dann noch einen und eine Tochter? Nein, bleib da sitzen. Ich mache den Tee fertig.«
Beide schauten zur Tür, die sich öffnete.
»Er hat wirklich ein Näschen für frisches Brot, unser Eamon«, sagte Teagan, als ihr Bruder hereinkam, das braune Haar um das unverschämt hübsche Gesicht zerzaust wie immer.
Grinsend schnüffelte er in der Luft wie ein Hund. »Gewiss habe ich ein Näschen, aber das brauchte ich gar nicht, um herzufinden. Ihr beiden lasst hier ein Licht aufscheinen, das dem Mond Beine macht. Wenn ihr vorhabt, einen so hellen Zauber zu wirken, hättet ihr mir das auch sagen können.«
»Wir haben nicht gehext. Nur geredet. Heute Abend machen wir in der Hütte ein kleines Céilí. Und du kannst Brannaugh Gesellschaft leisten, wenn ich gehe, damit ich Zeit habe, Gealbhan zu erzählen, dass er Vater wird.«
»Da es frisches Brot gibt … Was, Vater?« Eamons leuchtend blaue Augen strahlten vor Freude. »Das ist ja fantastisch!« Er hob Teagan hoch und wirbelte sie herum, dann noch einmal, als sie lachte. Er setzte sie auf einen Stuhl, küsste sie und sah Brannaugh grinsend an. »Das würde ich mit dir ja auch machen, aber wahrscheinlich würde ich mir das Rückgrat brechen, wenn ich diesen Berg hochhieve.«
»Ich glaube, meine Marmelade bekommst du nicht zu diesem Brot.«
»Es ist ein sehr schöner Berg. Einer, der mir schon einen hübschen Neffen und eine allerliebste Nichte geschenkt hat.«
»Also gut, vielleicht bekommst du einen Klecks.«
»Gealbhan wird ganz aus dem Häuschen sein.« Sanft – denn mit Teagan war er immer sanft – strich Eamon seiner kleinen Schwester über die Wange. »Und es geht dir gut, Teagan, ja?«
»Ich fühle mich bestens. Wahrscheinlich koche ich ein Festessen, das wäre dir doch recht, oder?«
»Aber ja, und wie.«
»Und du musst die Frau finden, die zu dir passt«, fügte Teagan hinzu, »denn du wärst ein wunderbarer Vater.«
»Mir ist es mehr als recht, dass ihr beiden die Kinder liefert, sodass ich der fröhliche Onkel sein kann.«
»Ihr Haar ist wie Feuer, ihre Augen sind wie das Meer im Sturm, und sie hat einen Schimmer eigener Hexenkraft.« Brannaugh lehnte sich zurück und legte die Hand auf ihren gewölbten Bauch. »Es kommt in den letzten Tagen in Wellen. Manche von ihm, denke ich – er ist ungeduldig.« Dann lächelte sie. »Es ist gut, die Frau zu sehen, die dich einmal nimmt, Eamon. Nicht nur für einen Taumel, sondern fürs Leben.«
»Ich bin nicht auf eine Frau aus. Jedenfalls auf keine bestimmte.«
Teagan streckte die Hand aus, legte sie auf seine. »Du denkst und hast schon immer gedacht, du darfst keine Frau haben, weil du deine Schwestern beschützen musst. Aber das stimmt nicht, es hat noch nie gestimmt. Wir sind drei, Eamon, und wir beide sind so stark wie du. Wenn du liebst, kannst du ohnehin nichts dagegen tun.«
»Leg dich nicht mit einer Frau an, die ein Kind erwartet, schon gar nicht mit einer Hexe«, scherzte Brannaugh. »Ich habe auch nie die Liebe gesucht, aber sie hat mich gefunden. Teagan hat auf sie gewartet, und sie hat sie gefunden. Du kannst vor ihr davonlaufen, mo dearthair. Aber finden wird sie dich. Wenn wir nach Hause gehen.« Wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen. »Ach, verflucht. Ich heule scheinbar bei jedem Atemzug. Darauf musst du gefasst sein, Teagan. Die Stimmungen kommen und gehen, wie sie wollen.«
»Du hast es auch gespürt.« Nun legte Eamon seine Hand auf Brannaughs, sodass alle drei verbunden waren. »Wir gehen nach Hause, und zwar bald.«
»Beim nächsten Mond. Beim nächsten Vollmond müssen wir aufbrechen.«
»Ich hatte gehofft, es würde noch dauern«, murmelte Teagan. »Ich hatte gehofft, es würde warten, bis du dein Kind zur Welt gebracht hast, obwohl ich in Kopf und Herz wusste, dass es nicht so sein würde.«
»Ich werde diesen Sohn in Mayo zur Welt bringen. Dieses Kind wird zu Hause geboren. Und doch … Das hier ist auch zu Hause. Nicht für dich«, sagte sie zu Eamon. »Du hast abgewartet, du bist geblieben, aber im Herzen und im Geiste bist du immer dort.«
»Es wurde uns gesagt, wir würden nach Hause zurückkehren. Daher habe ich gewartet. Die drei, jene drei, die unsere Nachkommen sind. Sie warten ebenfalls.« Eamon strich über den blauen Stein, den er um den Hals trug. »Wir werden sie wiedersehen.«
»Ich träume von ihnen«, sagte Brannaugh. »Von der, die meinen Namen trägt, und auch von den anderen. Sie haben gekämpft und haben verloren.«
»Sie werden wieder kämpfen«, sagte Teagan.
»Sie haben Cabhan Schmerzen zugefügt.« Eamons Augen funkelten grimmig. »Sein Blut ist geflossen, ebenso wie es floss, als die Frau, die Meara heißt und die mit Connor von den dreien zusammen kam, ihn mit dem Schwert getroffen hat.«
»Sein Blut ist geflossen«, bestätigte Brannaugh. »Und seine Wunden sind geheilt. Er sammelt wieder seine Kräfte. Er zieht sie aus dem Dunkel heran. Ich kann nicht sehen, woher und wie, ich kann es nur spüren. Ich kann nicht sehen, ob wir verändern können, was da kommen soll, oder ob wir Cabhan ein Ende machen können. Aber ich sehe jene drei, und ich weiß, wenn wir es nicht schaffen, werden sie erneut kämpfen.«
»Also gehen wir nach Hause und finden den Weg. Damit die drei, die von uns stammen, nicht allein kämpfen.«
Brannaugh dachte an ihre Kinder, die oben schliefen. In Sicherheit und noch voller Unschuld. Und an die Kinder ihrer Kindeskinder, in einer anderen Zeit, in Mayo. Weder in Sicherheit, dachte sie, noch voller Unschuld.
»Wir finden den Weg. Wir gehen nach Hause. Aber nicht heute, denn heute Abend feiern wir. Mit Musik. Und dann danken wir drei allen, die vor uns kamen, für das Licht. Für die neuen Leben«, sagte sie, eine Hand auf dem Bauch ihrer Schwester, die andere auf ihrem eigenen.
»Aber morgen.« Eamon stand auf. »Morgen fangen wir an, dem ein Ende zu machen, was unserem Vater, unserer Mutter das Leben genommen hat.«
»Bleibst du bei Brannaugh? Ich würde jetzt gerne mit Gealbhan sprechen.«
»Sag ihm heute nur das Schöne.« Brannaugh erhob sich mit ihrer Schwester. »Morgen ist früh genug für das andere. Lass heute nur Freude herrschen, denn die Zeit ist so kurz.«
»Das mache ich.« Teagan küsste die Geschwister. »Eoghan muss seine Harfe mitbringen.«
»Darauf kannst du dich verlassen. Wir erfüllen den Wald mit Musik und lassen sie über die Hügel schallen.«
Als Teagan gegangen war, setzte Brannaugh sich wieder, und Eamon schob ihr ihren Tee hin. »Trink den. Du bist blass.«
»Ein bisschen müde. Eoghan weiß es. Ich habe mit ihm gesprochen, und er ist bereit zu gehen – alles zu verlassen, was er hier aufgebaut hat. Ich hätte nie gedacht, dass es schwer sein würde, zurückzugehen. Dass ich so hin und her gerissen sein würde.«
»Gealbhans Brüder werden die Felder hier bestellen, für dich und Teagan.«
»Ja, und das ist ein Trost. Nicht für dich – das Land hier ist nie deins geworden.« Wieder empfand sie Freude und Leid zugleich. »Du wirst in Mayo bleiben, was auch geschieht. Ich kann nicht sehen, was wir tun werden, Eoghan und ich und die Kinder. Aber Teagan kommt hierher zurück, das sehe ich deutlich. Dies ist jetzt ihr Zuhause.«
»Das ist es«, stimmte Eamon zu. »Sie wird immer eine Dunkle Hexe aus Mayo sein, aber ihr Herz und ihr Zuhause sind in Clare.«
»Wie wird es für uns sein, Eamon, nicht mehr zusammen zu sein wie unser Leben lang?«
Seine Augen, flammend blau wie die des Vaters, blickten tief in die ihren. »Eine räumliche Entfernung bedeutet gar nichts. Wir sind immer zusammen.«
»Ich bin eine dumme Heulsuse, und das mag ich überhaupt nicht. Ich hoffe, diese Laune geht bald vorüber, sonst verfluche ich mich noch.«
»Kurz bevor die kleine Sorcha zur Welt kam, warst du andauernd gereizt und bissig. Ich glaube, da ist mir die Heulsuse lieber.«
»Mir nicht, so viel steht fest.« Brannaugh trank den Tee, da sie wusste, dass er sie beruhigen würde. »Ich füge dem Stärkungsmittel, das ich Kathel und Alastar gebe, noch etwas hinzu, für die Reise. Roibeard kommt bisher gut ohne zurecht. Er ist stark.«
»Er ist gerade auf der Jagd«, erzählte Eamon von seinem Habicht. »Dabei entfernt er sich jedes Mal weiter. Er fliegt jetzt gen Norden, immer gen Norden. Er weiß genau wie wir, dass wir bald aufbrechen.«
»Wir lassen unsere Ankunft ankündigen. Auf Ashford Castle wird man uns willkommen heißen. Die Kinder von Sorcha und Daithi. Die Dunklen Hexen werden willkommen sein.«
»Ich kümmere mich darum.« Eamon lehnte sich mit seinem Tee zurück und lächelte Brannaugh zu. »Haar wie Feuer, sagst du?«
Wie er es gewollt hatte, lachte Brannaugh. »Oh, und du wirst sprachlos und wie geblendet sein, wenn ihr euch begegnet, das verspreche ich dir.«
»Nicht ich, Schätzchen. Nicht ich.«
2
Für die Kinder war es ein Abenteuer. Bei der Vorstellung, auf eine lange Reise an einen unbekannten Ort zu gehen, mit einem Schloss zur Krönung, konnte vor allem Brin es kaum erwarten aufzubrechen.
Während Brannaugh zusammenpackte, was sie benötigten, dachte sie noch einmal an jenen Morgen vor so langer Zeit, an dem sie eilig die Anweisungen ihrer Mutter befolgt und alles eingepackt hatte, was diese ihr auftrug. So dringlich, dachte sie nun, so endgültig. Und jener letzte Blick auf ihre Mutter, in der die letzten Reste der Macht brannten, draußen vor der Hütte im Wald.
Nun packte sie, um zurückzukehren – ein Schicksal, das sie stets akzeptiert hatte. Ja, das sie sehnlichst herbeigewünscht hatte, bis zur Geburt ihres ersten Kindes, zu jener Welle der Liebe zu dem Jungen, der da gerade zappelig vor Aufregung herumrannte.
Doch sie hatte hier noch eine Aufgabe zu erledigen.
Sie suchte zusammen, was sie dazu benötigte – Schüssel, Kerze, Buch, Kräuter und Steine. Und empfand beim Blick auf ihren kleinen Jungen sowohl Stolz als auch Schwermut.
»Es ist Zeit für ihn, für das«, sagte sie zu Eoghan.
Voller Verständnis küsste er sie auf die Stirn. »Ich bringe Sorcha nach oben. Sie sollte ins Bett.«
Mit einem Nicken wandte sie sich Brin zu, rief ihn zu sich.
»Ich bin nicht müde. Warum können wir nicht jetzt losgehen und unter den Sternen schlafen?«
»Wir gehen morgen früh, aber zuerst müssen wir noch etwas erledigen, du und ich.«
Sie setzte sich, breitete die Arme aus. »Komm, setz dich erst mal zu mir, mein Junge«, murmelte sie, als er auf ihren Schoß krabbelte. »Mein Herz. Du weißt, was ich bin.«
»Meine Ma«, sagte er und kuschelte sich an sie.
»Das bin ich, aber du weißt auch, was ich sonst noch bin, denn ich habe es dir nie verheimlicht. Dunkle Hexe, Hüterin der Hexenkraft, Tochter von Sorcha und Daithi. Das ist mein Blut, und es ist auch deins. Siehst du die Kerze?«
»Die hast du gemacht. Ma macht die Kerzen und die Kuchen, und Da reitet die Pferde.«
»Ist das so?« Brannaugh lachte und beschloss, ihm diese Illusion noch ein wenig zu lassen. »Na ja, die Kerze habe ich jedenfalls gemacht. Siehst du den Docht, Brin? Der Docht ist kalt und ohne Flamme. Schau auf die Kerze, Brin, schau auf den Docht. Sieh das Licht und die Flamme, die winzige Flamme, und die Wärme, das kommende Licht. Du hast das Licht in dir und die Flamme. Schau auf den Docht, Brin.«
Wieder und wieder summte sie ihm die Worte vor, spürte, wie seine Energie sich sammelte, wie seine Gedanken mit ihren verschmolzen.
»Das Licht ist Macht. Die Macht ist Licht. In dir, aus dir, durch dich. Dein Blut, mein Blut, unser Blut, dein Licht, mein Licht, unser Licht. Spüre, was in dir lebt, was in dir wartet. Schau auf den Docht, er wartet auf dein Licht. Auf deine Macht. Bring sie her. Lass sie aufsteigen, langsam, ganz sanft und rein. Bring das Licht.«
Der Docht sprühte Funken, erlosch, sprühte erneut Funken und brannte dann stetig.
Brannaugh drückte Brin einen Kuss aufs Haar.
Sieh an, dachte sie, das Erste, was er gelernt hat. Nun würde ihr Junge nie mehr nur ein Kind sein.
Freude und Leid, für immer miteinander verwoben.
»Gut gemacht.«
Er hob das Gesicht zu ihr, lächelte. »Kann ich noch eine anmachen?«
»Ja«, erwiderte sie und küsste ihn noch einmal. »Aber hör mir zu, hör gut zu, denn es gibt noch mehr zu lernen und zu erfahren. Das Erste, was du wissen und beachten musst, ist, dass du mit dem, was du bist und hast, niemandem Schaden zufügst. Mit deiner Gabe, Brin. Und schade niemandem … Schwöre mir das, schwöre es dir, allen, die vor uns waren, und allen, die nach uns kommen.«
Sie hob ihr Athame, ihr Ritualmesser, ritzte damit ihre Handfläche. »Wir machen einen Blutschwur. Wir schwören einander – Mutter und Sohn, Sohn und Mutter, Hexe und Hexe.«
Mit feierlichem Blick streckte er ihr die Hand hin, blinzelte, als Brannaugh sie ritzte und es kurz wehtat.
»Und schade niemand«, sagte er, als sie seine Hand nahm und ihr Blut mit seinem mischte.
»Und schade niemand«, wiederholte sie, dann zog sie ihn fest an sich, küsste die kleine Wunde, heilte sie. »Jetzt darfst du noch eine Kerze anzünden. Und danach machen wir zusammen Amulette, zum Schutz. Für dich, für deine Schwester, für deinen Vater.«
»Und was ist mit dir, Ma?«
Brannaugh fasste an ihren Anhänger. »Ich habe, was ich brauche.«
Im Morgennebel kletterte sie auf den Wagen, die kleine Tochter in einem Tuch an ihre Seite gebunden. Sie schaute ihren Jungen an, der freudestrahlend vor seinem Vater im Sattel saß. Sie blickte zu ihrer Schwester, schön und still auf Alastar, dann zu ihrem Bruder mit dem Schwert ihres Großvaters an der Seite, groß und aufrecht auf dem Pferd, das er Mithra nannte. Und zu Gealbhan, der ruhig abwartend auf der hübschen Stute saß, die Alastar drei Sommer zuvor gezeugt hatte.
Sie schnalzte Gealbhans altem Ackergaul zu, und unter Brins Freudengeheul fuhr sie los. Nur einmal drehte sie sich um und schaute zu dem Haus zurück, das sie lieb gewonnen hatte, und sie fragte sich, ob sie es jemals wiedersehen würde.
Dann sah sie nach vorn.
Eine Heilerin wurde willkommen geheißen, wo immer sie auch hinkam, ebenso wie ein Harfenspieler. Auch wenn das Baby in ihrem Bauch oft unruhig war, fanden sie und ihre Familie auf der ganzen unwegsamen Reise Unterschlupf und Gastfreundschaft. Eoghan machte Musik, sie oder Teagan oder Eamon versorgten die Kranken und Verletzten mit Salben und Elixieren. Gealbhan bot die Hilfe seines starken Rückens und der schwieligen Hände an.
In einer schönen Nacht schliefen sie unter freiem Himmel, wie Brin es sich so sehr gewünscht hatte. Es war beruhigend zu wissen, dass Hund, Habicht und Hengst die Ihren bewachten.
Unterwegs begegneten ihnen keine Schwierigkeiten, doch Brannaugh wusste, dass die Nachricht sich herumgesprochen hatte. Die Dunklen Hexen, alle drei, zogen durch Clare und weiter nach Galway.
»Cabhan wird auch davon gehört haben«, sagte Eamon, als sie eine Rast einlegten, damit die Pferde sich ausruhen und die Kinder eine Weile herumrennen konnten.
Brannaugh saß zwischen ihm und Teagan, während Gealbhan und Eoghan die Pferde tränkten und Eamon eine Angelschnur ins Wasser hielt.
»Wir sind stärker, als wir waren«, erinnerte Teagan ihn. »Als wir in den Süden gezogen sind, waren wir noch Kinder. Auf dem Weg nach Norden sind wir keine Kinder mehr.«
»Eamon sorgt sich.« Brannaugh streichelte ihren Bauch. »Weil du und ich mehr in uns tragen als damals.«
»Ich zweifle nicht an eurer Macht oder eurem Willen.«
»Trotzdem sorgst du dich.«
»Ich frage mich, ob es gerade jetzt sein muss«, gestand Eamon, »obwohl ich weiß, dass es so ist. Ich spüre es genau wie ihr, und doch wäre mir wohler, wenn ihr beide noch Zeit hättet für ein anständiges Kindbett, bevor wir tun, was wir tun müssen.«
»Bestimmung ist Bestimmung, aber ich bin, ehrlich gesagt, froh, dass wir unseren Weg für einen Tag bei unseren Verwandten unterbrechen. Und bei allen Göttern, ich werde es genießen, einen Tag lang nicht auf diesem elenden Wagen sitzen zu müssen.«
»Ich träume schon von Ailishs Honigkuchen, denn die macht niemand so gut wie sie.«
»Er träumt mit dem Bauch«, stellte Teagan fest.
»Ein Mann muss schließlich essen. Ha!« Eamon zog die Angelschnur heraus und den zappelnden Fisch, der angebissen hatte. »Und genau das tun wir auch.«
»Du brauchst mehr als einen«, sagte Brannaugh und erinnerte die Geschwister damit an ebendiese Worte, die ihre Mutter an einem schönen, glücklichen Tag am Fluss zu Hause gesprochen hatte.
Sie verließen das raue, schroffe Clare, getrieben von schneidendem Wind und plötzlich peitschendem Regen. Sie ritten durch die grünen Hügel von Galway, vorbei an Wiesen mit blökenden Schafen, an Cottages, aus deren Schornstein Rauchwölkchen stiegen. Roibeard flog voraus, unter und durch Wolkenschichten, die den Himmel in ein sanftgraues Meer verwandelten.
Die Kinder schlummerten im Wagen, gemütlich zwischen den Bündeln, sodass Kathel – immer wachsam – neben Brannaugh saß.
»Hier sind mehr Häuser, als ich in Erinnerung habe.« Teagan ritt auf dem unermüdlichen Alastar neben ihr.
»Die Jahre vergehen.«
»Das Land hier ist gut. Ich kann geradezu hören, wie Gealbhan das denkt.«
»Würdet ihr euch denn hier niederlassen? Spricht es zu dir?«
»Ja, durchaus. Aber das tut auch unsere Hütte im Wald in Clare. Und doch, je näher wir unserem Zuhause kommen, desto mehr sehne ich mich danach. Wir mussten das so lange verdrängen, wir alle, aber jetzt … Spürst du das, Brannaugh? Diesen Ruf nach Hause?«
»Ja.«
»Fürchtest du dich?«
»Ja. Vor dem Kommenden, aber mehr noch davor zu scheitern.«
»Das werden wir nicht.«
Auf Brannaughs scharfen Blick schüttelte Teagan den Kopf. »Nein, ich hatte keine Vision, es ist nur eine Gewissheit – die immer stärker wird, je näher wir unserem Zuhause kommen. Wir werden nicht scheitern, denn das Licht siegt immer über das Dunkel, und wenn es tausend Jahre dauert.«
»Du klingst wie sie«, murmelte Brannaugh. »Wie unsere Mutter.«
»Sie ist in uns allen, daher werden wir nicht scheitern. Oh, schau nur, Brannaugh! Der Baum dort mit den verdrehten Ästen. Das ist der Baum, von dem Eamon unserer Cousine Mabh erzählt hat, er würde bei jedem Vollmond lebendig – um ihr Angst einzujagen. Wir sind beinahe bei Ailishs Hof. Wir sind fast da.«
»Na los, reite voraus.«
Teagans Gesicht leuchtete so strahlend auf, als wäre sie wieder ein Kind, und sie warf lachend den Kopf zurück. »Mache ich.«
Sie ritt zu ihrem Mann, lachte hell auf und sprengte im Galopp davon.
Neben Brannaugh begann Kathel zu winseln und zu zittern.
»Na, lauf schon.« Brannaugh streichelte ihn kurz. Kathel sprang aus dem Wagen und stürmte hinter dem Hengst her, während der Habicht über ihnen flog.
Es war ein Heimkommen, denn sie hatten fünf Jahre lang auf dem Hof gelebt. Brannaugh stellte fest, dass er proper wie immer war, mit neuen Wirtschaftsgebäuden und einer neuen Koppel, auf der junge Pferde herumsprangen.
Sie sah einen Jungen mit blondem Haar, der Kathel regelrecht umschlungen hielt. Und als der Junge sie anlächelte, wusste sie, dass es Lughaidh war, der Jüngste und Letzte von Ailishs Kinderschar.
Ailish selbst stürzte auf den Wagen zu. Sie war ein bisschen rundlicher geworden, und in ihrem blonden Haar zeigten sich graue Strähnchen. Doch ihre Augen waren lebhaft und jung wie immer.
»Brannaugh! Oh, seht euch unsere Brannaugh an! Seamus, komm her und hilf ihr vom Wagen.«
»Es geht mir gut.« Brannaugh kletterte allein hinunter und umarmte Ailish. »Ach, es tut meinem Herzen wohl, dich wiederzusehen.«
»Mir geht es ebenso. Oh, du bist eine Schönheit, wie immer. Ganz deine Mutter. Und hier ist unser Eamon und sieht so gut aus. Meine Kinder kommen zurück, alle drei, genau wie ihr gesagt habt. Ich habe die Zwillinge losgeschickt, um Bardan vom Feld zu holen, und du, Seamus, lauf rüber und sag Mabh, wer gekommen ist.«
Mit Tränen in den Augen umarmte sie Brannaugh noch einmal. »Mabh und ihr Mann haben ihr eigenes Häuschen, gerade gegenüber. Sie bekommt bald ihr Erstes. Ich werde Großmama! Oh, ich kann gar nicht aufhören zu plappern. Du bist Eoghan, ja? Und Teagans Gealbhan. Willkommen, willkommen euch allen. Aber wo sind eure Kinder?«
»Sie schlafen im Wagen.«
Für Ailish gab es nur eins: Sie musste die Kinder um sich versammeln und mit dem Honigkuchen verwöhnen, an den Eamon so gute Erinnerungen hatte. Dann nahm Conall, der noch ein Baby gewesen war, als Brannaugh ihn zuletzt gesehen hatte, die Kinder mit, um ihnen einen neuen Wurf Welpen zu zeigen.
»Er passt gut auf sie auf, mein Wort darauf«, sagte Ailish, während sie Tee einschenkte. »Er ist ein guter Junge, unser Conall – und du hast damals mitgeholfen, ihn auf die Welt zu bringen. Die Männer können sich um die Pferde und alles kümmern, und ihr beiden macht es euch eine Weile bequem.«
»Dem Himmel sei Dank.« Brannaugh trank einen Schluck Tee, ließ sich davon und von dem Feuer aufwärmen und beruhigen. »Ich sitze auf einem Stuhl, der sich nicht bewegt.«
»Greif zu. Du hast noch jemanden im Bauch, der auch etwas zu essen braucht.«
»Den ganzen Tag und die halbe Nacht komme ich um vor Hunger. Teagan ist nicht so hungrig – noch nicht. Aber das kommt noch.«
»Oh, erwartest du ein Kind?« Ailishs Gesicht glühte vor Freude, als sie den Tee Tee sein ließ und sich die Hände aufs Herz legte. »Meine süße kleine Teagan wird Mutter. Wo sind nur die Jahre geblieben? Du warst doch eben selbst noch ein Baby. Bleibt ihr hier? Bleibst du hier, bis deine Zeit gekommen ist?«, fragte sie Brannaugh. »Bis Mayo ist es noch weit, und bei dir dauert es nicht mehr lange. Das sehe ich.«
»Nur noch ein, zwei Tage, und dafür bin ich so dankbar. Das Baby wird in Mayo geboren. So ist es bestimmt. So muss es sein.«
»Muss es?« Ailish ergriff Brannaughs Hand, dann Teagans. »Muss es? Ihr habt euch in Clare ein neues Leben aufgebaut. Ihr seid Frauen, Mütter. Müsst ihr zurückkehren zu dem Dunkel, das euch erwartet?«