Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog
1.
2.
3.
4.
Zwischenspiel
5.
6.
7.
Zwischenspiel
8.
9.
Zwischenspiel
10.
Zwischenspiel
11.
Epilog
Report
Leserkontaktseite
Kommentar
Glossar
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2752
Das Antlitz des Rebellen
Perry Rhodan an Bord des Hetosten-Raumers – gejagt von Laren und Onryonen
Hubert Haensel
Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt
Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.
Seit 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – bereits über zwei Jahre lang – steht die Milchstraße unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dies behauptet, im Rahmen der »Atopischen Ordo« für Frieden und Sicherheit zu sorgen und den Weltenbrand aufzuhalten, der anderenfalls der Galaxis drohe.
Wie sich herausstellt, beherrscht das Tribunal schon seit Jahrhunderten die Galaxis Larhatoon, die Heimat der Laren – dorthin hat es auch Perry Rhodan verschlagen. Während Reginald Bull der Fährte seines Freundes mit dem neuesten Raumschiff der Menschheit – der RAS TSCHUBAI – folgt, befindet Rhodan sich in einer prekären Situation:
Perry Rhodan verfügt mit dem Vektorion über ein larisches Relikt, das angeblich zur Ursprungswelt dieses Volkes weist. Dahinter ist allerdings auch die larische Widerstandsbewegung der Proto-Hetosten her – und hinter dieser die Truppen des Atopischen Tribunals. Als die Onryonen die Schiffe ihrer Gegner stellen, enthüllen diese DAS ANTLITZ DES REBELLEN ...
Perry Rhodan – Der Unsterbliche wird gefangen genommen und spielt ein riskantes Spiel.
Selthantar – Der Lajuure dient Avestry-Pasik ohne blinde Gefolgschaft.
Avestry-Pasik – Der Anführer der Proto-Hetosten ist auf die Hilfe seines Feindes angewiesen.
Guol Chennyr – Der Onryone weiß, dass zu helfen auch Opfer fordert.
Nur ein Schritt war nötig.
Er fand sich in einem Korridor wieder, der in sanfter Biegung tiefer in die Station führte. Fahle Helligkeit umfing ihn. Das trübe Licht, das gleichmäßig aus Wänden, Decke und Boden drang, warf keine Schatten.
Alles wie gewohnt.
Tief atmete er ein. Der Luft haftete ein Hauch von Zeitlosigkeit an, eine eigenartige Patina, die ihn zwang, die Lippen zu benetzen. Staub, schmeckte er. Offenbar war längere Zeit niemand an diesem Ort gewesen.
Sein Blick huschte über den Boden und schweifte sogar zurück. Es gab keine Spuren. Er selbst hinterließ ebenfalls keine Abdrücke.
Natürlich reagierte er übersensibel, seine Anspannung war einfach zu groß. Zwangsläufig. Denn der Weg, den er nun ging, war der einzig mögliche gewesen.
In der Tiefe der Station summten die Maschinen. Er wusste, dass dieses Geräusch da war, deshalb hörte er es; andere an seiner Stelle hätten es kaum wahrgenommen.
Zufrieden registrierte er, dass sich der Ton veränderte – immer dann, wenn die Anlage »umgeschaltet« wurde.
Kurz hielt er inne und lauschte. Er verstand die Sprache der Maschinen, erkannte an ihrem Raunen, dass alles in Ordnung war.
Also weiter ... An diesem Ort verweilen durfte er nicht. Ein andermal, vielleicht ...
Er hörte die Veränderung nicht, er sah sie nicht, er roch keinen Unterschied. Trotzdem wusste er, dass ihm etwas entgegenkam. Obwohl genau das unmöglich war.
Ich bin der Einzige in diesem Bereich. Niemand außer mir befindet sich in der Station.
Sein Atem stockte. Er stand da wie versteinert. Fragte sich, was ihn derart alarmierte, dass Eiseskälte seinen Nacken überzog.
Ein feines Sirren wurde deutlicher, je intensiver er sich darauf konzentrierte. Was immer diese eigenartige Schwingung hervorrief, es war bereits sehr nahe. Schon im nächsten Augenblick musste es zum Vorschein kommen.
Er blickte den Korridor entlang. Er hätte sehr viel dafür gegeben, sehen zu können, was ihn hinter der Biegung erwartete.
Nichts bewegte sich. Gar nichts. Aber das Sirren weckte einen Hauch von Erinnerung. Sein Entsetzen wuchs. Der Drang, sich herumzuwerfen und davonzulaufen, vor dem Unheimlichen zu fliehen, wurde übermächtig.
Er wartete trotzdem. Weil er nicht anders konnte.
Er riss die Augen weit auf, Panik ergriff ihn. Zugleich spürte er eine andere Empfindung – er mochte die Neugierde nicht, hasste sie sogar für das, was sie ihm antun konnte: Sie hinderte ihn an der Flucht.
Und nun?
Abwarten, etwas anderes blieb ihm kaum übrig. Perry Rhodan war vom Regen in die Traufe geraten, dessen war er sich bewusst. Er versuchte gar nicht erst, seine Situation zu beschönigen.
Wieder saß er fest, aber trotzdem meinte es das Schicksal noch gut mit ihm. Denn alles hätte schlimmer kommen können, wären die Onryonen schneller gewesen. So war er nur Gefangener der Proto-Hetosten.
Er zuckte mit den Achseln – eine ungewohnte Anstrengung. Trotz des Aktivatorchips fühlte er sich erschöpft; die hohe Schwerkraft an Bord des Antlitzschiffs lastete wie eine Zentnerlast auf ihm.
Zögernd lehnte er sich in dem Sessel zurück, in dem er sich niedergelassen hatte. So wuchtig das Möbelstück wirkte, so beengt und gestaucht fühlte er sich darin. Die Einrichtung der Kabine war für Laren geschaffen und ließ jedes flexible Element vermissen.
Eine Kabine, keine Zelle. Das musste Rhodan sich nicht einreden, es stimmte. Kein Gefängnisraum hätte eine komplette Kommunikationswand aufgewiesen, wie sie ihm hier zur Verfügung stand.
Andererseits waren seine Zugriffsmöglichkeiten begrenzt. Die Kontrollen in der Armlehne gestatteten ihm nur, auf die Außenbeobachtung zu schalten. Er sah den Weltraum: ihm unbekannte Konstellationen, Nebelflecken, einen Ausschnitt der galaktischen Hauptebene.
Die Welt der Vidriten war zur Sichel geschrumpft, nach der Rhodan schon suchen musste. Einer der anderen Planeten war leidlich zu erahnen, selbst die Sonne versank schnell in der Anonymität.
Von den beiden Begleitschiffen sah er nichts. Rhodan glaubte nicht, dass sie auf Vi zurückgeblieben waren, eher flogen sie unter Ortungsschutz.
Er war erst einmal weggesperrt und sich selbst überlassen, wurde wahrscheinlich permanent beobachtet. Avestry-Pasik glaubte, ihn weichkochen zu müssen. Dabei hätten sie Verbündete sein können, wäre nicht ziemlich alles zwischen ihnen schiefgelaufen. So waren sie Gegner.
»Wir werden erneut zusammenarbeiten müssen.« Rhodan seufzte. »Weil wir einen gemeinsamen Feind haben. Ich weiß jetzt, dass die Onryonen nicht einmal davor zurückschrecken, Wehrlose zu ermorden. Sie tun, was ihnen opportun erscheint.«
Niemand antwortete ihm, aber das hatte er ohnehin nicht erwartet.
Avestry-Pasik wollte etwas von ihm, das lag auf der Hand. Der Lare hatte es verstanden, ihn aufzuspüren, obwohl das Pethpar-System schlicht und einfach unbedeutend war. Avestry-Pasik war nicht der Vidriten wegen gekommen, sondern um den Hetork Tesser zu treffen, den Zerstörer von allem.
Um ihn vor den Onryonen zu retten? Wie das Schicksal spielen würde, hatte der Lare keinesfalls ahnen können.
Rhodan blickte zur Tür. Jeden Moment rechnete er damit, dass sie zur Seite gleiten und Avestry-Pasik hereinstürmen würde. Ihre Chance auf Gemeinsamkeit war von Anfang an vertan. Die Gefangenschaft auf der Gefängniswelt der Onryonen hatte sie zusammengeführt, aber bereits da hatten sie eigentlich gegeneinandergestanden.
Beide schwerer Verbrechen angeklagt, die sie erst in ferner Zukunft begehen würden ... Angeblich begehen.
Rhodan biss sich auf die Unterlippe – ein wenig zu heftig, denn er schmeckte Blut.
Verbrechen, die keiner von ihnen jemals ausführen würde, weil sie nach dem Urteil der Atopen schon im Voraus dafür büßen mussten.
Je öfter Rhodan darüber nachdachte, desto weniger glaubte er an die abschreckende Wirkung eines solchen Urteils. Jetzt erst recht! Warum sollte sich nicht der eine oder andere Büßer diese Einstellung zu eigen machen, wenn die Strafe ohnehin vollzogen war?
Irgendwo im Dschungel von Für und Wider hakte die ganze Geschichte. So einfach wie ein paar an der Oberfläche kratzende Überlegungen konnte es nicht sein. Weder für das Atopische Tribunal noch für die im Voraus bestraften vermeintlichen Verbrecher, die schlicht und einfach unschuldig waren, solange ihre angeblichen Taten in der Zukunft lagen.
Rhodan stemmte sich aus dem Sessel. Die Schwerkraft an Bord des Antlitzraumers betrug mehr als 1,6 Gravos, er schleppte also gut einen Zentner zu viel mit sich herum. Den mit einem Antigrav ausgerüsteten Einsatzanzug der Lucbarni hatten ihm die Hetosten abgenommen. Deshalb trug er nur mehr eine einfache Montur ohne die Möglichkeit der Schwerkraftveränderung.
Wie ein schwerfälliger Bär tappte er zur Tür. Die hohe Schwerkraft war lästig, behinderte ihn bislang aber nicht übermäßig. Durchtrainiert, wie er war, konnte er sehr wohl für einige Zeit einen Zentner Übergewicht mit sich herumschleppen.
Rhodan erwartete nicht, dass die Tür vor ihm aufgleiten würde. Trotzdem legte er die Hand auf den Öffnungsmechanismus.
Das leise Summen, mit dem sich der Durchgang öffnete, überraschte ihn. Ein schneller Schritt brachte ihn unter den Schottrahmen – ein heranschnellender Tentakel stoppte ihn. Drei Greifklauen bohrten sich zwischen seine Rippen.
Zwei weitere Tentakel folgten. Sie gehörten zu einem kugelförmigen Schweberoboter. Weitere Arme schoben sich aus dem Rumpf der Maschine; sie wirkten auf Rhodan wie Schlangen, die sich drohend aufrichteten, um bei seiner nächsten Bewegung jäh zuzupacken.
»Ich möchte mich ein wenig umsehen«, sagte er.
»Abgelehnt!«, beschied ihm der Roboter. »Die Kabine wurde dir zugewiesen. Du hast da zu bleiben, bis eine andere Anweisung ...«
»Wie lange?«
Der Roboter drängte ihn zurück. Rhodan hatte der Kraft der Tentakelarme nichts entgegenzusetzen.
»Wie lange?«, fragte er noch einmal. »Ich erwarte ...«
»Du wirst es rechtzeitig erfahren, Hetork Tesser.«
Summend glitt die Tür hinter ihm zu. Rhodan schürzte die Lippen. Mit beiden Händen massierte er seinen schmerzenden Brustkorb; der Roboter hatte nicht eben sanft zugegriffen.
Schließlich wandte er sich um und ließ sich wieder in den Sessel vor der Bildwand sinken. Die Planetensichel war mittlerweile aus der Erfassung verschwunden, auch die nahe Sonne entdeckte er nicht mehr auf Anhieb.
Er fragte sich, welches Ziel die Proto-Hetosten haben mochten.
*
Perry Rhodan schreckte aus leichtem Dämmerschlaf auf. Seine Lider waren schwer wie Blei, eine Folge der ungewohnt hohen Schwerkraft, die ihn schnell ermüden ließ. Dieser Art von Erschöpfung hatte nicht einmal der Aktivatorchip besonders viel entgegenzusetzen.
Er schwang mit dem Sessel herum. Forschend blickte er Avestry-Pasik entgegen, der soeben die Kabine betrat.
Ihre Blicke trafen sich. Es war nicht einfach, in der verschlossenen Miene des Laren eine Regung zu erkennen, Rhodan registrierte vor allem die Ablehnung, mit der ihn der Rebell musterte. In dieser Hinsicht hatte sich seit der Bruchlandung auf Volterhagen nichts verändert. Für Avestry-Pasik war es wohl zudem eine persönliche Niederlage gewesen, dass Rhodan ihn niedergeschlagen hatte und ihm entkommen war.
Der Lare blieb stehen. Suchend schaute er durch die Kabine. »Wo ist Neacue?«
»Der Benetah geht seine eigenen Wege.« Rhodan antwortete bedächtig. Vom Ungestüm des Rebellen wollte er sich keinesfalls anstecken lassen.
»Das hätte er schon auf Bootasha tun sollen, dort wäre es angebracht gewesen!«
Fürchtete Avestry-Pasik, dass der fadenförmige Abenteurer mit dem Hetork Tesser mittlerweile in jeder Hinsicht gemeinsame Sache machte? Er kannte Neacues überragende Fähigkeiten, denn letztlich hatten sie ihnen zur Flucht von der Gefängniswelt der Onryonen verholfen.
»Du hast den Benetah in deinen Körper aufgenommen, Terraner?! Reicht dir die Katastrophe nicht, die du in der Vergangenheit angerichtet hast? Der Zerstörer von allem ...« Der Vorwurf war heftig, Avestry-Pasik reagierte aggressiv.
»Unser gemeinsamer Freund hat sich verabschiedet«, sagte Rhodan.
»Wo?«
»Neacue ist auf Vi zurückgeblieben.«
Avestry-Pasik schaute zur Bildwand, als suche er den Planeten. Die Sehnen an seinem Hals traten deutlich hervor. »Ich glaube das nicht«, stellte er fest. »Neacue würde sich auf dieser Welt schrecklich langweilen.«
»Was willst du eigentlich von mir?«, fragte Rhodan. »Du hast nach mir gesucht, so viel ist mir klar. Weshalb? Den Onryonen wirst du mich nicht ausliefern, denn das würde dich selbst in die unangenehmste Situation bringen.«
»Die Onryonen könnten erfahren, dass deine Schiffe die OUKEVOY vernichtet haben.« Der Satz lag Rhodan auf der Zunge, nur sprach er ihn nicht aus. Die unterschwellige Drohung hätte Avestry-Pasik unnötig gereizt.
Der Lare machte zwei schnelle Schritte auf Rhodan zu. Bis eben hatte es den Anschein gehabt, als sei er allein gekommen, doch hinter ihm schwebte ein Roboter herein – ein kugelförmiges, gut einen Meter durchmessendes Gebilde, das zwei tentakelförmige Waffenarme ausgefahren hatte. Vermutlich handelte es sich um den Roboter, der Rhodan an der Tür zurückgewiesen hatte.
Zuletzt kam ein zweiter Lare. Rhodan stutzte, weil der Mann vergleichsweise kleinwüchsig war, erkannte jedoch schnell, dass er keinen Provconer vor sich hatte.
Die Tür schloss sich.
Kopfnickend deutete Rhodan auf die Kampfmaschine. »Ich habe nicht vor, dich noch einmal niederzuschlagen, Avestry-Pasik. Du solltest dein Misstrauen begraben – wir stehen auf derselben Seite.«
Die vier Nasenlöcher des Laren blähten sich, sein volllippiger breiter Mund verzog sich in einer verächtlichen Geste. »Auf welcher Seite stehst du?«, fragte er zornig. »Doch nur auf deiner eigenen.«
»Ich kämpfe gegen das Tribunal.«
»Natürlich. Einmal Hetork Tesser, immer Hetork Tesser. Ich frage mich, was du auf Axxallia-Annor verbrochen hast. Und wo ist Bostich?«
»Zu deiner ersten Frage: nichts«, antwortete Rhodan leichthin. »Und was meinen Begleiter anbelangt: Er ist bei den Lucbarni geblieben.«
»Oder vielleicht doch auf Axxallia-Annor?«
»Was willst du hören, Rebellenführer?«
Avestry-Pasik widersprach der Anrede nicht. Nach ihrer Flucht von der Gefängniswelt der Onryonen war zwar klar geworden, dass der Lare zu den Proto-Hetosten gehörte, auf Rhodans Frage nach seiner Stellung bei den Rebellen hatte er indes geschwiegen.
Angriffslustig neigte Avestry-Pasik sich nach vorn. »Auf den Ersten Hetran wurde ein Anschlag verübt«, sagte er schneidend.
»Ich weiß.«
»Koonepher-Trest ist tot. Seinen Nachfolger konnte er aber noch bestimmen: Aipanu-Cel, die Koordinatorin der vier Sub-Domänen. Was hast du damit zu tun, Hetork Tesser?«
»Ausnahmsweise nichts.« Rhodan schüttelte den Kopf.
»Zwei Shetorner gehörten zu den Letzten, die Koonepher-Trest lebend sahen!« Avestry-Pasiks Tonfall klang nun lauernd. Rhodan fragte sich, was der Mann tatsächlich von ihm wollte. Avestry-Pasik schien zwar gut informiert zu sein, doch was wusste er wirklich, was konnte er überhaupt wissen?
»Seltsam, dass sich der Hetork Tesser in einen Shetorner verwandelt hat. Auf die Maskerade mögen andere hereinfallen – ich will von dir hören, was geschehen ist!«, drängte der Rebell.
»Nichts, was du nicht ohnehin schon wüsstest«, stellte Rhodan fest.
Avestry-Pasik gab dem Roboter einen Wink. Lautlos schwebte die Maschine auf Rhodan zu. Weitere Tentakelarme schoben sich aus dem Kugelleib hervor.
»Es ist nicht angenehm, von einem Veltha gepackt zu werden, das löst jede verstockte Zunge. Also: Wo ist Bostich? Ich vermute, er hält sich in der Nähe von Aipanu-Cel auf; ihr beide wollt von der falschen Hetranin profitieren. Wie nennt sich dein Kumpan als Shetorner?« Avestry-Pasik stieß einen heiseren Laut aus, der seine Verärgerung verriet. »Du musst mir nichts sagen, wenn du nicht willst. Aber glaube mir, ich finde alles schnell heraus.«
»Daran zweifle ich nicht«, sagte Rhodan. »Dann wirst du hoffentlich auch erkennen, dass wir nicht gegen Koonepher-Trest intrigiert haben. Secla-Hiab befindet sich an Bord eines Schiffes der Lucbarni, weit von Axxallia-Annor entfernt. Er wartet auf meine Rückkehr. Falls du mir nicht glauben willst ...«
»Ich erkenne, ob du mir die Wahrheit sagst«, unterbrach Avestry-Pasik. »Rede einfach weiter, ich höre dir aufmerksam zu. Ihr habt das Kontrafaktische Museum besucht ...?«
*
Es gab immer zwei Wege, den der Konfrontation ebenso wie den Versuch, das Beste aus jeder Situation zu machen.
Natürlich hätte Rhodan sich sträuben können. Avestry-Pasiks Drohung mit dem Veltha-Roboter fruchtete bei ihm nicht. Er war sicher, dass sein Gegner in der Hinsicht bluffte. Der Lare hasste ihn, hatte ihm von Anfang an unversöhnlich gegenübergestanden – und hatte den Fluchtversuch von der Gefängniswelt trotzdem nicht an die Onryonen verraten. Weil sie letzten Endes auf der gleichen Seite kämpften.
Ebenso wie Perry Rhodan selbst und Gaumarol da Bostich war Avestry-Pasik vom Atopischen Tribunal eines Verbrechens angeklagt worden, das er noch gar nicht begangen hatte. Darüber zu grübeln, ob sie eines Tages die ihnen zur Last gelegten Taten tatsächlich begehen würden, empfand Rhodan zunehmend als unerträglich. Solche Gedanken schliffen sich ein, und im schlimmsten Fall würden sie eines Tages ihr Recht fordern.
»Unsere angeblichen Verbrechen könnten zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden«, sagte der Terraner, anstatt auf die Frage nach dem Kontrafaktischen Museum einzugehen.
Avestry-Pasiks breites Gesicht wirkte in dem Moment noch voller. Auf seiner Stirn gruben sich Querfalten ein, die vier Nasenlöcher blähten sich auf, was ein spontaner Ausdruck höchster Ablehnung sein mochte, und das Kinn wurde angehoben, weil der Lare die dicken gelben Lippen heftig zusammenpresste. Auch die weit auseinanderstehenden Augen verengten sich.
Es sah nicht so aus, als wolle Avestry-Pasik sich auf Rhodan stürzen, eher war er entsetzt. Ein schneller Seitenblick galt seinem gut einen Kopf kleineren Begleiter. Betont regungslos stand der Mann im Hintergrund, bislang hatte er sich nicht einmal geräuspert.
Verfügte der stille Beobachter über besondere Fähigkeiten? Rhodan konnte das nur vermuten. Auf gewisse Weise wirkte der Lare roboterhaft, sein Aussehen trug dazu bei. Gekleidet war er mit einer passgenau geschnittenen Uniform. Die holografischen Schriftzeichen auf dem linken Kragenstück traten markant hervor. Rhodan hatte die larische Schreibweise bereits in Gedanken phonetisch umgesetzt. Selthantar. Das war der Name des kleinwüchsigen, glatzköpfigen Laren. Aber nicht nur das Fehlen des roten Haarnestes verlieh dem Mann sein ungewöhnliches Aussehen.
»Was versuchst du mir einzureden, Rhodan?«, fragte Avestry-Pasik. »Willst du mein Selbstvertrauen zerstören? Der Hetork Tesser ist also wieder aktiv.«
»Ich wollte dir nur sagen, dass wir vorsichtig sein müssen ...«
»Natürlich.«
»... und dass wir weiterhin gemeinsam auf einer Seite stehen – die Onryonen und das Atopische Tribunal auf der anderen.«
»Was ist auf Axxallia-Annor geschehen?«, fragte Avestry-Pasik. »Ich erwarte eine klare Antwort!«
»Nichts, was den Proto-Hetosten oder dir schaden könnte.«
Rhodan saß noch im Sessel und war gezwungen, zu dem Proto-Hetosten aufzusehen. Mit einigem Kraftaufwand stemmte er sich hoch und kam auf die Beine. Zwar knickte er in den Knien ein, hatte sich aber sofort unter Kontrolle. Avestry-Pasik war die kurze Unsicherheit nicht entgangen, er grinste überheblich.
»Wir haben das Kontrafaktische Museum besucht«, sagte Rhodan. »Die Entwicklung Larhatoons bis zum bitteren Ende war eindrucksvoll.«
»Dass der Hetork Tesser genau das sagen würde, habe ich erwartet«, bemerkte Avestry-Pasik zynisch.
Rhodan ignorierte den Einwurf. »Bostich glaubt an eine Simulation. Ich denke eher, dass Atopen und Onryonen tatsächlich die Apokalypse verhindert haben.«
»Mich interessierten die wichtigen Vorkommnisse!«, drängte Avestry-Pasik.
Rhodan bedachte Selthantar mit einem forschenden Blick, dann wandte er sich wieder dem Proto-Hetosten zu. »Hat dein Begleiter dir geholfen, meine Spur zu finden? Welchem Zweigvolk gehört er eigentlich an?«
»Ich bin Lajuure.« Zum ersten Mal meldete sich Selthantar zu Wort. »Mein Volk stammt vom Planeten Laju, dem vierten des Silverat-Systems.«
»Die Lajuures regieren eine eigene Subdomäne«, ergänzte Avestry-Pasik.
»Wir Lajuures siedeln bevorzugt auf übergroßen Sauerstoffwelten mit einer Schwerkraft um zwei Gravos«, sagte Selthantar.
Im Gegensatz zu den meisten Laren war Selthantars Haut von tiefem Blau, doch das wurde erst aus der Nähe deutlich. Dicke Adernstränge im Gesicht und an den Armen, hervortretende Venen mit ihrem gelben Blut, sorgten für die goldgelbe Marmorierung der Haut.
Aber diese Auffälligkeiten allein hätten Perry Rhodan nicht dazu veranlasst, den Laren immer wieder verstohlen zu mustern. Die kahle Schädeldecke des Mannes zeigte ein bizarres Muster. Spontan hatte Rhodan eine Tätowierung vermutet, doch das war es nicht.
Ein unregelmäßiges Muster aus schwarzen Punkten auf zwölfeckigem, grünlich schimmerndem Grund überzog Selthantars Schädeldecke. Die Punkte waren durch ein goldfarbenes Linienmuster miteinander verbunden – ein Bild, das frappierend einer technischen Schaltung glich.
Setzten sich die aufgetragenen Schaltkreise durch die Schädeldecke hindurch in Selthantars Gehirn fort? Was konnte er? Stand der Lajuure mit den Schiffsaggregaten in permanenter Verbindung und empfing Funksprüche und Ortungsdaten ohne Umwege? Oder war er befähigt, Einfluss auf technische Geräte zu nehmen, weil seine miniaturisierten Implantate ähnliche Kontakte ermöglichten wie eine terranische SERT-Haube?
»Bitte entschuldige mein Nichtwissen.« Perry Rhodan wandte sich direkt an Selthantar. »Ich bin nie zuvor einem Lajuuren begegnet.«
»Mein Volk meidet Raumflüge«, erklärte der Lare. »Wir verfügen nicht einmal über eigene Raumschiffe. Sie sind ... unnötig und archaisch.«
»Ihr verlasst eure Heimatwelt also nicht?«, fragte Rhodan überrascht.
»Das schon, natürlich. Wie kommst du zu der Vermutung, wir könnten die Abgeschiedenheit suchen? Wir Lajuures sind nur nicht auf Raumschiffe angewiesen ...«
»Terraner!« Avestry-Pasik war mit zwei Schritten neben Rhodan, fasste ihn hart am Oberarm und zog ihn auf sich zu. Die andere Hand, zur Faust geballt, zuckte hoch. »Ich bin dir etwas schuldig, Hetork Tesser!«
Rhodan riss sich ebenso heftig los, wie er gepackt worden war. Er konnte den eigenen Schwung aber nicht mehr schnell genug stoppen und taumelte rückwärts gegen den Sessel. Die hohe Schwerkraft zerrte ihn zu Boden.
Avestry-Pasik baute sich vor ihm auf und funkelte ihn wütend an. »Du fühlst dich sicher? Aber mir liegt nicht an einer Plauderstunde. Du weißt, was ich von dir will!«
»Ich habe keine Ahnung!«
Während Rhodan sich in die Höhe stemmte, war er darauf gefasst, dass Avestry-Pasik zuschlagen würde. Der Zorn stand dem Proto-Hetosten jedenfalls ins Gesicht geschrieben.
Avestry-Pasik blickte ihn aber nur unbewegt an. »Was wolltest du auf Axxallia-Annor?«
»Es war ein Zufall, der uns dorthin verschlug«, antwortete Rhodan. »Ebenso hätten wir jede andere Welt erreichen können – und es wäre uns zu dem Zeitpunkt egal gewesen. Eine Gegenfrage, Avestry-Pasik: Wieso hast du mit deinen drei Schiffen die OVPASHIR angegriffen, einen Raumer der Lucbarni? Ein Angriff auf Unbeteiligte ...«
»Wurde das Schiff zerstört? Nein. Gab es Tote? Nein. Ich muss mir nichts vorwerfen, Hetork Tesser, im Gegensatz zu dir. Was wolltest du von den Lucbarni?«
»Nichts.«
»Und von den Vidriten? Ebenfalls nichts?«
»Ich hatte vor, sie um einen kleinen Gefallen zu bitten. Aber das ist kaum von Bedeutung.«