Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Vor der ersten Disziplin: Plane!
Die erste Disziplin: Kommuniziere!
Die zweite Disziplin: Kämpfe!
Die dritte Disziplin: Opfere!
Die vierte Disziplin: Suche!
Die fünfte Disziplin: Vernichte!
Die sechste Disziplin: Stirb!
Nach der letzten Disziplin: Lebe!
Leserkontaktseite
Kommentar
Glossar
Risszeichnung Veltha-Kampfroboter der Laren
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2759
Die Messingspiele
Willkommen auf Phanwaner – der Tamaron und die Posbis
Christian Montillon
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.
Seit 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – bereits über zwei Jahre lang – steht die Milchstraße unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dies behauptet, im Rahmen der »Atopischen Ordo« für Frieden und Sicherheit zu sorgen und den Weltenbrand aufzuhalten, der anderenfalls der Galaxis drohe.
Nach wie vor gibt es Wesen und ganze Zivilisationen, die dem Tribunal skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen, doch dessen Macht ist groß genug, diese zu disziplinieren. Auf der anderen Seite haben sich etliche andere Völker bereits entschieden, sich auf die Seite der faktischen Machthaber zu stellen. Nicht zuletzt, weil diese offenbar sogar über die Möglichkeit verfügen, treuen Verbündeten Zellschwingungsaktivatoren zu verleihen, die das ewige Leben ermöglichen.
Unbeschadet dessen geht das Leben in der Milchstraße weiter. Im Einflussgebiet Arkons hat sich seit Jahren ein neuer Trend ausgebreitet, für den sich nun auch andere interessieren. Dabei handelt es sich um DIE MESSINGSPIELE ...
Vetris-Molaud – Der Maghan liebt die Politik und die Posbis.
Viccor Bughassidow – Der Milliardär liebt die KRUSENSTERN und Medusa.
Satafar – Der Eroberer liebt die eigene Stärke und den Kampf.
Jatin – Die Ärztin liebt nichts und niemanden – oder?
Vor der ersten Disziplin:
Plane!
Über dem perfekten Arkoniden erscheint ein Koloss aus Stahl.
Der Mann sieht aus wie die Verkörperung eines Sternengottes; seine Augen sind ewig und weise, seine Muskeln kraftvoll. Das kantige Etwas über ihm ist Dutzende Meter breit und tief und hoch. Das Gebilde zerplatzt, und Monster strömen heraus, mit schnappenden Mäulern und Klauen, die darauf warten, Beute zu reißen.
Die Ungeheuer fallen über die Menge der Zuhörer her. Schreie werden laut, voller Angst und Panik. Das erste Untier reißt das Maul auf, weiter, immer weiter, bis ...
... bis der Kopf zerreißt. Die Kiefer platzen, die obere Hälfte des Schädels kippt zur Seite. Eine wimmelnde, gewundene Zunge schwebt davon. Kein Tropfen Blut strömt aus der bizarren Wunde.
Der Angriff stockt, und die Monster zerfallen, verpuffen, lösen sich auf. Für einen Moment treibt noch ein Auge durch die Luft. Es gibt kein Lid, das sich darüber schließen könnte.
Bald ist jedes Detail verschwunden. Um die Zuhörer und den Sternengott gibt es nur noch weißen Raum, eine konturlose Ebene, ewig weit und doch gar nicht vorhanden; wie alles in der Messingwelt.
»Wir können ohne Vorbereitung zwar träumen, aber nicht messingträumen!«, sagt der perfekte Arkonide. Er hebt einen Arm, deutet auf jeden einzelnen Zuhörer gleichzeitig. »Nicht einmal ich kann in der Messingwelt etwas erschaffen, das stabil und in sich logisch ist, wenn ich vorher nicht ausreichend Zeit dafür opfere.«
»Wie meinst du das?«
»An der Oberfläche schienen die Bestien real zu sein, so real wie alles hier, aber ich habe sie nicht gut genug durchdacht. Sie waren bloße Hüllen ohne echte Substanz. Also funktionierten sie nicht und zerfielen. Bereitet euch vor, wenn ihr gute Messingarchitekten werden wollt, das ist die wichtigste Lektion für heute. Sonst seid ihr schwache Götter!«
An Bord der KRUSENSTERN
»Das ist ...«
»... das Raumschiff SOL, ja!«
Viccor Bughassidow, der Milliardär und Besitzer des ehemaligen Posbiraumers KRUSENSTERN, starrte auf das unglaubliche Bild vor sich. Neben ihm stand die Ara Jatin, seine Leibärztin, die ihm kaum jemals von der Seite wich – was aus medizinischen Gründen sicher nicht nötig gewesen wäre.
Die SOL, jenes wohl legendärste Schiff der Terraner, stand über Terrania. Der gigantische Hantelraumer warf einen Schatten, der die halbe Stadt bedeckte. Eine Reihe von Explosionen erschütterte den Raumer, bis er zwischen den Kugeln entzweiriss. Die Wrackteile trudelten, ein kilometergroßes Bruchstück raste auf die Stadt zu und begrub den Residenzpark unter sich. Stahlteile gruben sich in den Boden, Gebäude wurden zerfetzt, die Fluten des großen Sees schwappten über die Ufer. Menschen flohen in wilder Panik, in der Holoaufnahme kaum größer als Ameisen.
»Interessant«, meinte Jatin.
Bughassidows Arm lag um ihre Schultern. Ihr langes, leicht gelocktes Haar hing über seinen Händen – bis heute wusste er nicht, ob es sich um eine perfekt sitzende Perücke handelte, um einen kleinen genkosmetischen Trick oder um eingepflanztes Kunsthaar. Jedenfalls sah es wesentlich attraktiver aus als die bei den Aras sonst übliche Kahlköpfigkeit.
»Interessant? Findest du? Nicht gerade das Wort, das mir bei diesem Anblick in den Sinn kommt. Meiner Ansicht nach ist das eine erschreckende Vision. Wer denkt sich so was aus?«
»Frag das die Messingträumer, die diese Illusion gebastelt haben.«
Wer eine arkonidische Messinghaube aufsetzte, träumte mit derartiger Intensität, dass es dem Träumenden wie ein echtes, reales Leben erschien. Die Wirklichkeit hingegen rückte den Messingträumern immer weiter weg; sie wirkte von Mal zu Mal fader und lebloser. Kein Wunder, denn die Messingwelt konnte nach den irrealen Gesetzen eines Traums gestaltet werden. Je besser der Träumer dies beherrschte, umso phantastischer wurde das Leben dort, zumal die Zeit außerhalb der Messingwelt dem Empfinden nach subjektiv langsamer verging – es wurde während des Träumens ein Vielfaches an Sinneseindrücken verarbeitet als in der Realität.
»Mich fasziniert etwas ganz anderes«, sagte Viccor Bughassidow. »Arkoniden, die sich mit einer lange verschollenen terranischen Raumschiffslegende beschäftigen und halb Terrania in Schutt und Asche legen, woraus sie ein offizielles Propagandaholo für die Messingspiele basteln.« Er grinste. »Das ist interessant, wenn du mich fragst. Lässt das psychologisch nicht tief blicken?«
»Es hat für Aufmerksamkeit gesorgt, also funktioniert es«, gab Jatin zu bedenken.
»Trotzdem spielen diese Leute mit Katastrophen und Leid.«
Jatin wandte sich ihm zu; ihr Haar strich über Viccors Oberarm, kitzelte ihn am Hals. »Na und? Tun das nicht viele?«
»Berührt dich das nicht? Die Vorstellung, wie Tausende in Terrania sterben?«
Sie sah aus, als würde sie darüber nachdenken und sich selbst fragen, warum sie keine Antwort fand. »Nein«, sagte sie schließlich. »Ich finde es eher faszinierend. Leid ist ... interessant. Aber das sagte ich ja schon.«
»Und das sagst ausgerechnet du als Ärztin?«
»In meinem Beruf mildere ich Leid. Versteht sich das nicht von selbst?«
Bughassidow trat einen Schritt zurück, musterte Jatin, die einen legeren, sackartigen Pullover trug, was nicht verbergen konnte, dass ihre Figur jedes Topmodel neidisch gemacht hätte. »Welches Leid milderst du am liebsten?«
Sie lachte. »Deines?«
»Stimmt wohl«, sagte er. Mit einem Sprachbefehl löste er das Holo auf. Die Vision von vielen Bruchstücken der SOL, die mittlerweile wie Kometen in die Häusermassen Terranias einschlugen, verpuffte.
»Viccor?«
»Hm?«
»Was bedeutet das alles?«
Bughassidow ließ sich in einen Sessel fallen, der neben seinem Bett stand. Das Echtleder war angenehm kühl auf der Haut. »Was meinst du?«
Sie zögerte. »Das Leben. Die Illusionen, denen wir uns hingeben.«
Er zögerte ebenfalls. »Darauf kann ich dir nicht antworten. Ich wünschte, ich könnte es.«
»Verstehst du die Arkoniden, die sich unter die Messinghaube flüchten? Kannst du nachvollziehen, warum sie der Realität den Rücken kehren und sich ihre eigene Welt bauen?«
»Vielleicht ist es keine Flucht. Zumindest nicht für alle. Möglicherweise suchen sie eher nach ...« Er fand nicht das richtige Wort.
»Bedeutung?«, fragte Jatin.
Er nickte.
»Wollen sie Götter sein, die sich ihre eigenen Naturgesetze bauen? Ihre eigene Schöpfung zusammenbasteln?« Die Ärztin setzte sich auf die Lehne des Sessels. Bughassidow spürte die Wärme ihres Körpers. »Und wenn ja, wieso? Was bringt es ihnen? Es ist nicht echt, sondern eine bloße Spielerei.«
»Die Messingträumer behaupten, es sei viel mehr als das.«
»Dennoch ... wie können sie glauben, in einer Illusion das zu finden, was sie in der Realität vermissen?«
»Vermisst du es auch?«, fragte er.
»Was?«
»Bedeutung. Etwas zu haben, für das es sich zu leben lohnt.«
Sie blinzelte. Ihre Augen waren so rot wie die einer Arkonidin. »Bedeutung«, wiederholte sie schließlich und überließ es ihm zu interpretieren, was sie damit meinte.
So war sie eben. Keiner wusste wirklich, was in ihr vorging, nicht einmal er.
»Ich vermisse nichts, denn ich verfolgte ein Ziel«, sagte er. »Das verschafft meiner Existenz Bedeutung, zumindest momentan. Diese ganze Geschichte mit Perry Rhodan hat mich ein wenig davon abgebracht, hat meine Suche verzögert ... aber aus den Augen habe ich mein Ziel nie verloren.«
Jatin zupfte an ihrem Pullover, als wolle sie den Ausschnitt bewusst etwas vergrößern. »Medusa«, sagte sie. »Manche glauben ja, du wärest von dieser Vorstellung besessen.«
»Ich habe alles«, erwiderte er. »Mehr Geld, als ich je ausgeben könnte ... ein Schiff, das wunderbarer ist, als ich es mir je wünschte ... ich habe einige Zeit auf der großen kosmischen Bühne mitgespielt und Perry Rhodan wohl das Leben gerettet ... außerdem kümmert sich die beste Leibärztin dieser Galaxis um meine Gesundheit.«
Sie blieb ungerührt. »Schmeichler.«
»Erträgst du die Wahrheit nicht?«, konterte er. »Eben noch hast du über Realitätsflucht unter die Messinghaube gelästert.«
»Ich habe nicht gelästert«, widersprach sie.
»Ich habe alles, Jatin, aber da ist dieses Geheimnis«, setzte er neu an. »Ein Planet, der vor Ewigkeiten zum Solsystem gehört hat und aus unbekannten Gründen daraus entfernt worden ist. Eine Welt, die ohne Sonne in völliger Dunkelheit irgendwo in der Galaxis treibt.
Medusa ist ein Rätsel, das danach schreit, endlich gelöst zu werden! Die arkonidischen Messingspiele können mir helfen – ich wäre ein Narr, wenn ich diese Möglichkeit nicht nutzen würde. Ein guter Plan ist nötig, um Medusa nach all den Jahren der Suche zu finden. Ich kann jeden brauchen, der mich dabei unterstützen kann.«
»Und dann?«, fragte Jatin. »Was, wenn du eines Tages auf Medusa landest? Wenn du entdeckst, dass es nur ein völlig bedeutungsloser Gesteinsklumpen ist?«
»Bedeutung liegt im Auge des Betrachters«, sagte Viccor Bughassidow. »Vielleicht ist das auch die Antwort auf deine Frage, Jatin, die dir offenbar keine Ruhe lässt. Für mich bedeutest du etwas. Lass dir das doch genug sein.«
Eine Weile schwiegen sie beide.
Schließlich beendete die Ara das Schweigen. »Das sagst du so einfach. Ja, ich bedeute dir etwas ... aber warum genügt das nicht?« Ehe er antworten konnte, befahl sie der Kabinenpositronik: »Holo aktivieren! Spiele die Sequenz SOL erneut ab.«
Und noch einmal brach das gigantische Hantelschiff über Terrania entzwei und säte Tod und Verderben.
Viele Milliarden Kilometer entfernt.
An Bord der VOHRATA
Maghan Vetris-Molaud genoss es.
Er genoss sein Leben, seine Macht, seine Vision.
Und er genoss es zu träumen.
Nur selten gönnte er sich den Luxus sich auszumalen, was kommen könnte. Das Schicksal, wenn man daran glauben wollte, schlug stets Kapriolen, die den Lauf der Dinge unerwartet veränderten. Seine eigene Geschichte war das beste Beispiel dafür. Aber an einem Tag wie diesem, während der wenigen kostbaren Ruhemomente, ließ er seine Gedanken treiben.
Sie sprangen mal dahin, mal dorthin.
So sah er die Gesichter seiner drei Gefährtinnen vor sich, am längsten Amyon Kial mit ihren samtbraunen Augen und den blassroten Haaren. Eine Träne lief ihr über die Wange, rann über das Kinn und fiel hinab.
Vetris folgte ihr mit seinen Blicken, und mit der Logik, wie sie nur Träumen zu eigen ist, sah er den gewölbten Bauch. Amyon war wieder schwanger, wie damals – vor dem Attentat auf der Schwebeplattform. Fast zweieinhalb Jahre lag es zurück, dass der Fötus im Leib der Mutter gestorben war.
Vetris, formten Amyon Kials Lippen unhörbare Worte, die er mit seinem Herzen verstand. Bald ist es so weit, und wir halten das, was deine Feinde uns genommen haben, in Armen.
Nach dem Attentat hatte sie von den mechanischen Skorpionen nur durch mehrere Notoperationen gerettet werden können. Danach war sie stark gewesen, wie immer, und hatte sich ihre Gesundheit zurückerkämpft. Aber das Kind war und blieb tot und verloren und ...
Der Gedanke zerbrach, als sich wegen dieser Erinnerung weitere Bilder aus weitaus fernerer Vergangenheit nach vorn schoben. Aus der Zeit, als Vetris noch das Sorgenkind gewesen war, krank, zerschlagen ... als er nicht im Entferntesten daran gedacht hatte, sich eines Tages zum Maghan, zum Erben der Meister der Insel ausrufen zu lassen.
In seiner Erinnerung blitzte wieder die Welle aus Hyperenergie aus dem minderwertigen Drogenkristall, und die Welt versank in greller, verätzender, zerstörender Energie, die seinen Körper malträtierte und seinen Leib zerfraß. Er spürte den Schmerz, wie er sich durch seine Haut grub, in die Gelenke hinein; wie er seine Knochen sprengte und die Muskeln in Flammen setzte.
Ruckartig erhob sich Vetris-Molaud.
»Mehr Licht!«, rief er in die Stille seiner Wohnräume an Bord der VOHRATA. Er brauchte echte Helligkeit, die die elende Vergangenheit aus seinem Kopf und seinen Gedanken vertrieb. Und als der Raum bereits bis in den letzten Winkel erleuchtet war, wiederholte er noch einmal tonlos: »Mehr Licht!«
Dabei war sein ganzes Leben Licht geworden. Mehr noch, er war das Licht für die Tefroder, der Glanz, der sein Volk in die Zukunft führte. Längst waren sie in eine bessere Zeit aufgebrochen; mit ihm als dem unsterblichen, einen Zellaktivator tragenden Anführer, der mehr war als bloß der Herrscher seines Volkes. Er war der Maghan, der neue, erste Meister der Insel, der den vergangenen Glanz zum Leben erweckte.
Mochten andere Machthaber in der Galaxis ihn getrost verfluchen – Vetris-Molaud wusste, dass er den richtigen Weg beschritt, indem er sich mit den Onryonen und dem Atopischen Tribunal verbündete.
Der Weg zur Macht war ebenso wie der Weg zu den Sternen mit manch schwieriger Entscheidung verknüpft. Nur Narren wählten immer die einfachen Alternativen. Stärke hieß, sich über andere zu erheben und sie zurückzulassen.
In der grellen Helligkeit verflüchtigten sich die irrealen Bilder seiner Vorstellungswelt endgültig. Was blieb, war die weitaus nüchternere Wirklichkeit: seine aktuelle Kabine an Bord seines Flaggschiffs, der VOHRATA. Sie wies einigen Luxus auf, aber nur wenig davon war verschwenderisch. Gewiss, die Trockenduschen-Zirkulationsmassage war nicht unbedingt notwendig, aber sie half ihm, seine Gedanken zu sortieren und seine Aufmerksamkeit zu bündeln.
Mit einem kaum merklichen Wink der linken Hand befahl er einen Servoroboter herbei.
»Was wünschst du?« Die Maschine klang weiblich, wenngleich der Metallkörper völlig androgyn aussah. Vetris-Molaud hatte die Sprachausgabe als eine Mixtur der Stimmen seiner Gefährtinnen moduliert. Kein Außenstehender hätte eine der drei erkannt, doch er hörte sie alle heraus, und jedes Wort weckte ihm liebe Assoziationen.
»Eine Rasur.« Der Maghan liebte die altmodische Variante mit echten Klingen, und obwohl die Maschine mit makelloser Präzision vorging, bevorzugte er es doch, von Amyon Kial rasiert zu werden. Sie ging weniger ... steril vor. Einmal hatte sie ihn sogar geschnitten. Noch so eine liebe Erinnerung.
»Und bring mir etwas Neumondwein!«, befahl er kurz darauf. Das Getränk war sündhaft teuer, da es nur an einem einzigen Hang ganz in der Nähe des Sterns von Apsuma wuchs. Nur dort bündelten die Außenwände des Regierungsgebäudes das Neumondlicht so intensiv, dass es ausreichte, die Trauben binnen vier Nächten reifen zu lassen. Doch ob teuer oder nicht, spielte keine Rolle – um Kleinigkeiten wie Geld scherte sich Vetris-Molaud schon lange nicht mehr.
Kaum fuhr die Klinge zum letzten Mal über seine Wange und kappte die winzigen Härchen, reichte ihm die Maschine ein perfekt temperiertes Glas Wein. Er kostete, und wie immer war es eine wahre Freude. Seine Geschmacksknospen jubilierten.
Genau wie er, wenn er daran dachte, was auf ihn wartete: eine wichtige Erweiterung seines Sternenreiches. Das Tamanium stand vor seinem nächsten Schritt: Das erste nicht-tefrodische Reich wollte und sollte sich seiner Herrschaft unterordnen. Nach all den Vorbereitungen war die Sternenbaronie Phan reif.
Er musste sie nur pflücken, und etwas Großes würde seinen Anfang nehmen. Denn Phan bildete nur den ersten Schritt seines Planes.
*
Wenige Minuten später, als gerade der 2. Januar 1517 NGZ anbrach, bat Vetris-Molaud höchstpersönlich via Hyperfunk um Einflugerlaubnis in das Phan-System, das Zentrum der jungen Sternenbaronie Phan.
Dieses kleine Reich umfasste 29 Sonnensysteme und war damit einerseits tatsächlich klein, andererseits fast zu groß, um eine bloße Baronie zu sein, die sich selbstständig regierte.
Phan gehörte zum arkonidischen Imperium – das es allerdings Vetris' Meinung nach nicht mehr gab, seit Richter Chuv und die Onryonen das Arkonsystem kontrollierten.
Ungeachtet dessen war die Baronie ohnehin stets eigenständig geblieben, ob es also ein Arkonreich gab oder nicht, spielte im Grunde keine Rolle. Der Luxus der Autonomie neigte sich nun seinem Ende zu: Nach der Aufnahme des 29. Systems hatte damals Imperator Bostich der Baronie jede darüber hinausgehende Erweiterung untersagt; in dieser Verkündung wurzelte seitdem ein dauerhafter Groll, der jedoch unter der Oberfläche schwelte und nie zu einem offenen Konflikt geführt hatte.
Diesen Umstand gedachte Vetris-Molaud auszunutzen. Dass die Bewohner dieses Sternenreiches unzufrieden waren, kam ihm zugute. Ein bestens vorbereiteter Boden für seinen Plan, der ihm die Sternenbaronie direkt in die Arme treiben würde. Und dass er die Phanarkonidin Niaben da Thoctar – mit ihrem asymmetrischen Gesicht alles andere als eine Schönheit, aber eine gute Verbündete – auf seiner Seite wusste, machte es viel leichter.
Politik war etwas Wunderbares.
Welch eine Freude, mit den Mächtigen zu jonglieren und den Weg für sich selbst zu ebnen!
»Deiner Bitte um Einflugerlaubnis wird stattgegeben«, hörte er eine markant tiefe Stimme, bevor sich das Holo eines weißhaarigen Mannes aufbaute, dessen hagere Gesichtszüge wirkten, als wäre er dem Tod näher, als man es selbst seinen Feinden wünschte. Und in der Tat war er das gewesen, für mehr als ein Jahr, während er in einem Koma gelegen hatte und die Shand'tra-Viren ihn eigentlich innerlich hätten auffressen müssen. Doch er hatte überlebt, wie immer ihm das gelungen sein mochte.
»Toshtor da Asdhall«, begrüßte Vetris den Heimatflottenchef der Sternenbaronie. Er kannte ihn und seinen Lebenslauf ebenso wie jene aller wichtigen Entscheidungsträger der Phanarkoniden. »Welche Freude, dich zu sehen.«