Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog
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11.
Report
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Kommentar
Glossar
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2760
Posbi-Paranoia
Einsatz auf der geheimen Dunkelwelt – ein historisches Bündnis beginnt zu zerbrechen
Leo Lukas
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.
Seit 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – bereits über zwei Jahre lang – steht die Milchstraße unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dies behauptet, im Rahmen der »Atopischen Ordo« für Frieden und Sicherheit zu sorgen und den Weltenbrand aufzuhalten, der anderenfalls der Galaxis drohe.
Nach wie vor gibt es Wesen und ganze Zivilisationen, die dem Tribunal skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen, doch dessen Macht ist groß genug, diese zu disziplinieren. Auf der anderen Seite haben sich etliche andere Völker bereits entschieden, sich auf die Seite der faktischen Machthaber zu stellen. Nicht zuletzt, weil diese offenbar sogar über die Möglichkeit verfügen, treuen Verbündeten Zellschwingungsaktivatoren zu verleihen, die das ewige Leben ermöglichen.
Während die Tefroder eindeutig auf der Seite der Atopen agieren, waren die Posbis seit Jahrtausenden die treuesten Verbündeten der Terraner. Doch nun geschieht etwas, das niemand für möglich gehalten hätte: POSBI-PARANOIA ...
Tetoon – Ein Philosoph und Blumenzüchter auf der Suche nach dem Reinen Land.
Jatin – Eine Leibärztin, die sich einen Sklaven hält.
Peo Tatsanor – Ein Sträfling, der sich irgendwann Begnadigung erhofft.
Viccor Bughassidow und Marian Yonder – Zwei Zivilisten, die ein potenzielles Kriegsschiff kommandieren.
Madame Ratgeber & Co. – Alteingesessene Bewohner der KRUSENSTERN.
»Im Jahr 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung wurde Perry Rhodan von den Richtern des Atopischen Tribunals wegen eines schwerwiegenden Verbrechens, das er in relativ naher Zukunft begehen würde, verurteilt und an unbekanntem Ort inhaftiert. Dies zog, zusammen mit anderen Eingriffen der überaus geschickt vorgehenden Usurpatoren, erhebliche Verschiebungen im Machtgefüge der Galaxis Milchstraße nach sich.
Das Imperium der Arkoniden erlitt einen Niedergang, während die lange unterschätzten Tefroder ernstlich auf eine Renaissance ihrer Hegemonie als ›Meister der Insel‹ hoffen durften. Manche Verbündete wandten sich in jenen Jahren von Rhodan und den Terranern ab, aus unterschiedlichen Gründen.
Ein Volk jedoch, eine der alteingesessenen und zugleich originellsten Zivilisationen der Lokalen Gruppe, hielt ihm ungebrochen die Treue. Bis ein verderblicher Einfluss einsickerte, und sich alles in fataler Weise umzukehren drohte ...«
(aus Hoschpians unautorisierter Chronik des 16. Jahrhunderts NGZ)
Prolog
Ebenmaß
Gab es Schöneres als die Art und Weise, wie Tetoon lebte?
Gab es perfekteren Einklang? Stabilere Harmonie von Psyche und Körper, Natur und Technik, Streben und Erfolg, von brennender Leidenschaft und deren kühler Befriedigung?
Wohl kaum.
Er hätte noch unzählige andere Gegensatzpaare aufzählen können, binnen Bruchteilen von Bruchteilen von Sekunden. Knallharte mathematische Logik und sanftflüssig-plasmatische Intuition. Stählerne, nahezu unzerstörbare Extremitäten und einen verletzlichen, aber gerade deshalb genialischen, individuellen Kern.
Das Potenzial einer äußerlich hochentwickelten, auf ewigen Bestand gebauten Kampfmaschine – verbunden mit einem fühlenden Herz, um nicht zu sagen: einer unsterblichen Seele.
Fast schon kitschig, diese Idylle ...
Innerlich schmunzelnd, weil er entgegen seiner Vorsätze wieder einmal in philosophische Betrachtungen abgeglitten war, klärte Tetoon seinen Geist und widmete sich bewusst dem Naheliegenden. Behutsam hob er winzige Wurzelstöcke aus dem Beet und bettete sie in einen großen Topf voller guter Muttererde um.
Dabei arrangierte er die Pflanzen nach den Maßgaben des Kadô. Tetoon folgte dem »Weg der Blumen« seit mehr als einem Jahrhundert; verglichen mit den Maßstäben seines Volkes und seines Heimatplaneten also erst seit recht kurzer Zeit.
Warum? Weil er darin Frieden fand; höheren Frieden sogar als zuvor.
Und gab es ein erstrebenswerteres Ziel als die ultimate Ruhe, das endgültige Verwehen im Nichts, im Nirwana? Die Erlösung von allen feststofflichen Behinderungen?
Wohl kaum.
Tetoon setzte das Rikka mit System und Bedacht. Er hatte Anlass dazu.
In wenigen Tagen würde ein neues, frisch geborenes und liebevoll zusammengefügtes Raumschiff den planetaren Komplex verlassen. Tetoon hatte dem Kommandanten ein Rikka versprochen, das ihm und den anderen Besatzungsmitgliedern ein Gruß aus der Heimat sein sollte, für allzeit und immerdar.
Kritisch betrachtete er seine Komposition, die auf den dreizehn traditionellen Hauptlinien der ursprünglich Tatehana genannten Kunstform beruhte und eine idealisierte Landschaft darstellte, als Abbild der kosmischen Ordnung. Sie schien rein und gediegen, beinahe makellos.
Aber würde sie Jahrzehnte, Jahrhunderte, Jahrtausende überdauern?
Vielleicht.
Jedes Schiff, das von der Welt »So-nah-am-Nichts« abging, flog hinaus in die Unendlichkeit. Idealerweise geriet es nie in einen Kampf, zumindest nicht in einen, dem es trotz der mächtigen offensiven und defensiven Waffensysteme nicht gewachsen war. Idealerweise gedieh es, wie ein starker Wurzelstock oder ein weit verzweigtes Myzel: anfällig gegen äußere Einflüsse, jedoch letztlich beständig.
Eine hochtechnologische Urgewalt, erneuerte sich ein solches Schiff immer wieder. Von sich aus, von innen, mitsamt seinem Kommandanten, dem Innersten; und dessen Organen, die eigenmächtig, eigenwillig agieren konnten und doch eins waren mit dem großen, zentralen Ganzen.
Das Rikka, das Tetoon setzte, würde denselben Kriterien genügen müssen. Mehr noch, in Zeiten der Krise, des eventuell drohenden Untergangs, sollte es allen Wesen an Bord jenes Schiffes Zuversicht spenden: als ein zarter Pfeiler gegen den Andrang des Chaos, der Unlogik, der weichteuflischen Irrationalität.
Tetoon, stets selbstkritisch, beschnitt korrigierend mit den Klingen seiner Finger den einen oder anderen Blattstand. In Wahrheit betrieb er bloß noch Kosmetik; das gestand er sich schließlich auch ein. Weitere Verfeinerungen waren nicht mehr nötig.
Er hatte ein subtiles Werk vollbracht, und er sah, dass es gut war.
*
Über dem Gewächshaus wölbte sich eine transparente Panzertroplonkuppel. Sie gab den Blick auf die Schwärze des intergalaktischen Leerraums frei.
Keine Sonne, kein Stern war in der Nähe. Allerdings stand, inmitten tiefster Finsternis, das Rad der Milchstraße am Himmel.
Rund vierzig Bogengrade betrug die scheinbare Größe der galaktischen Spirale. Sie nahm also einen beachtlichen Platz ein, obwohl sie mehr als 100.000 Lichtjahre entfernt war.
Ihre stille, erhabene Schönheit beeindruckte Tetoon nach wie vor wie beim ersten Mal. Ergriffen senkte er den Kopf.
Der Planet, auf dem er wohnte, kam der Reinheit schon recht nahe. Im Sinne des metaphysischen Modells, das er bevorzugte, trieb jedoch selbst hier die Welt ihrem Ruin entgegen, war der Dharma im stetigen, unaufhaltsamen Niedergang begriffen.
Zum Glück – denn auf Langlebigkeit, ja potenzielle Unsterblichkeit angelegte Wesen wie Tetoon liefen gerade deswegen Gefahr, dem Größenwahn anheimzufallen und die Bodenhaftung zu verlieren, die Verbindung zu Muttererde und Urplasma. Sich regelmäßig das trotz allem Tatendrang letztlich unausweichliche Ende ins Bewusstsein zu rufen, half sehr, die Demut zu bewahren.
Zwei, drei lange Sekunden betrachtete Tetoon das Rikka und verabschiedete sich wortlos vom jüngsten, zufriedenstellend gelungenen Werk. Dann überlegte er, ob er, quasi zur Belohnung, seinen Geist eine Weile still stehen lassen sollte.
Er entschied sich dafür.
Um diesen Zustand, der seiner Existenzform eigentlich verwehrt war, herbeizuführen, visualisierte er Wasser. Eine Meeresoberfläche, scheinbar endlos, nur leicht gekräuselt von schwachem Wind ... Die Einmündung, das Delta eines breiten Stroms. Dessen Verlauf folgte Tetoon, flussaufwärts, weiter und weiter, durch Seen und künstliche Aufstauungen, durch Auen mit Seiten- und Altarmen, bis er ein munteres Bächlein war, ein dünnes Rinnsal, schon ganz nahe der Quelle, dem Ursprung ...
Er stellte sich den Regen vor, der aufs Gebirge herniederging und die Quelle, den Fluss und das Meer speisen würde. Er sah einzelne Tropfen und sich selbst, sein Selbst darin, gespiegelt, umhüllt, eingeschlossen; behütet.
Geschützt, erlöst und frei.
Daheim.
Aber so wohlig die Empfindung war, sie genügte nicht. Der Regen fiel. Die Tropfen trafen auf technische Konstrukte, rannen daran herab, sickerten durch Grashalme und Erdreich.
Zwar verlangsamte sich die Bewegung, doch zu viele Fragen taten sich nebenbei auf. Hatten Wugod und Faukmanziss recht, deren Adsorptions- und Benetzungstheorie die Adhäsion thermodynamisch deutete? Oder war nicht eher der Ansatz von Sherkraf-6008'22 zielführender, dem zufolge ...
Ach was!
Verärgert, weil er sich so leicht ablenken ließ, blockierte Tetoon den Zugriff auf diesen speziellen, lästigen Wissensspeicher. Damit beging er ein Vergehen. Selbstabschaltung, wenngleich nur partiell und zeitlich beschränkt, galt unter seinesgleichen als verpönt.
Und zu Recht!
Einzig in Notfällen oder bei Eingriffen, die der wohlbedachten, persönlichen Optimierung dienten, durfte man sich physisch oder psychisch temporär verstümmeln. Fleischliche, wie beispielsweise die Terraner, deren Äußerem Tetoon nachgebildet war, säbelten sich ja auch nicht einen Unterschenkel ab, bloß weil die Fußsohle juckte.
Andererseits wollte er in der begonnenen Meditation weiterkommen; und die Strafe für seine durchaus lässliche Sünde würde ein geringe sein, selbst wenn die Gemeinsame Mitte es überhaupt der Mühe wert befinden sollte, ihm deshalb einen Prozess zu machen.
Tetoon desaktivierte – weil er gerade dabei war – noch einige andere Störfunktionen. Erneut konzentrierte er sich auf die Visualisierung diverser Aggregatzustände von Dihydrogenmonoxid.
Zu viel Bewegung ...
Er fügte »Kälte« hinzu, wobei er sich klammheimlich an der frevelhaften Unwissenschaftlichkeit dieses Begriffs ergötzte. Denn die Physik kannte nun einmal nur Wärme – oder deren Abwesenheit. Aber sei's drum, Tetoon war beschwingt, freiwillig verblödet und daher abenteuerlustig.
Der Regen in seiner Imagination gefror zu Schnee. Schnee, der sich auf das Quellgebirge legte, sich auftürmte und, von günstigem Wind befeuchtet, weiter – kälter, noch kälter! – vereiste.
Eine kristalline, bis ins Kleinste komplexe Landschaft entstand. Eine Welt aus Kristall: zersplittert und doch auf immer denselben metalogischen Grundprinzipien beruhend, fraktal, seltsam attraktiv ... Die Assoziation Abruse huschte durch Tetoons Bewusstsein, unangenehm; weshalb er flugs weitere Stränge seiner hypertoyktischen Verzahnungen stilllegte
Ob dies der Schritt, der Schnitt war, der den Ausschlag gab, oder nicht – in faszinierter Betrachtung der Kristalllandschaft öffnete, weitete sich Tetoons Geist, und zugleich verengte, verflachte er sich. Er gewann Einblick in ein Reines Land.
Die Welt, der Kosmos, das Leben an sich, alles stürzte schlagartig in eine fast schmerzhaft komprimierte, unendliche Singularität zusammen. Linien, Längen, Flächen, Körper. Materialkombinationen, Einsteckpunkte im Kenzan oder Komiwara, Abgangspositionen und -winkel von der Mitte – alle diese Regeln, und alle anderen, büßten jegliche Bedeutung ein.
Tetoon verharrte.
Er wusste es nicht, da er fast nichts mehr wusste, aber er war ... glücklich.
*
Jäh riss ein Anruf ihn aus seiner Versenkung.
»Tetoon! Bei den Hundertsonnen, melde dich!«
Der Anruf erfolgte in mehreren Sprachen. Und gleichzeitig auf mehreren Ebenen: Symbolfunk innerhalb sämtlicher gebräuchlicher sowie normalerweise gesperrter Frequenzbereiche; per Bodenvibration übermittelter Sensokode; sogar primitive Sprachausgabe, in Interkosmo, über die Umgebungslautsprecher.
»Tetoon! Himmel und Hölle, komm zu dir, dein Typ wird verlangt!«
Ungern löste er sich aus dem mathelogischen Traum, schaltete hastig die geblockten Bereiche zu und antwortete, unwillkürlich ebenso vielstimmig: »Ja? Was ist?«
Die Überfülle der Impulse reduzierte sich im selben Ausmaß, in dem Tetoon sich auf das momentan Wesentliche, nämlich die Kommunikation mit den beamteten Agenten der Gemeinsamen Mitte fokussierte. Gleichwohl sendeten sie immer noch mehrfach redundant. »Ein Schiff ist von weiter Reise zurückgekehrt.«
»Hurra. Herzlichen Glückwunsch!«
Derlei war in den letzten Jahrzehnten zwar recht selten vorgekommen, aber deswegen bestand keineswegs Grund zur Aufregung. »Falls es um die Ausgestaltung einer Zeremonie durch Shoka shimputais geht oder um das Verfertigen eines Nageire als Trophäe für die Besatzung – ich bin beschäftigt, tut mir leid, wendet euch bitte an einen meiner Schüler.«
»Es handelt sich um die BOX-20125«, insistierten die dringlichen Nachrichten, simultan, sinngemäß. »Ihr Plasmakommandant hat einige spannende, informative, erbauliche, die Weisheit befördernde, auch erotische Geschichten zu erzählen.«
»Warum sollte mich das interessieren?«
»Du scherzt, oder?«
Lieber wäre Tetoon noch länger in der Eisesstarre verweilt; der Drang, sich gleich wieder in die Landschaft aus Kristall zu versenken, war stark. Seit er sich auf die Suche nach dem Reinen Land gemacht hatte, reizten ihn Geschichten, wie sie von weiter Fahrt heimkehrende Schiffe mitbrachten, kaum mehr.
Aber die Gemeinsame Mitte, das Plasmahirn und somit die oberste Instanz des Planeten »So-nah-am-Nichts«, ließ keinen Zweifel daran, dass der persönliche Anruf nicht aus Jux und Tollerei erfolgt war. Sie bat Tetoon eindringlich um ein Gespräch, genauer: Sie bat um seinen Rat.
Er übermittelte das Äquivalent eines Seufzens und fragte: »Wohin soll ich mich begeben?«
»Zur Werftsenke 701. Dort ist BOX-20125 gelandet.«
»Ich eile.«
Ein kurzer Dankesimpuls, dann kehrte auf sämtlichen Kommunikationskanälen abrupt wieder Stille ein. In seinem mittlerweile vollständig aktiven Gedächtnisspeicher verankerte Tetoon den exakten Moment der Unterbrechung in der traditionellen Infiniten Chronologie, welche die Zeit vom errechneten Urknall aus maß.
Zugleich notierte er das Datum auch in der wesentlich jüngeren Zeitrechnung der wichtigsten Bundesgenossen seines Volkes. Diese schrieben den 10. Februar 1517 NGZ.
Horror vacui
Als die Alarmsirenen losheulten, operierte Jatin gerade einen Schäferhund.
Sie verfiel nicht in Panik. Gelassen erweiterte sie bloß die vielfach gestaffelte Holopalette, über die sie das Monofilament-Skalpell steuerte, um ein weiteres Fenster, eine allgemeine Statusanzeige.
In den letzten Tagen und Wochen hatte Jatin sich fast schon an Alarmmeldungen, auch höherer Stufe, gewöhnt. Sie waren an Bord der KRUSENSTERN mittlerweile zur Routine geworden.
Die Leiterin der medizinischen Abteilung las die Werte ab und bekam nun doch ein mulmiges Gefühl in der Bauchgegend. Aus sämtlichen untergeordneten Sektionen des Schiffes wurde rasant Energie abgezogen. Das deutete darauf hin, dass sie diesmal in ernstlichen Schwierigkeiten steckten.
Sogar die im Pirogow-Turm auf der »Kleinen Krim« untergebrachte Bordklinik war von den Umschichtungen betroffen, was durchaus zur Sorge Anlass gab. Zumal soeben über das Rechnernetzwerk eine Warnung eintraf: Mit weiteren energetischen Einbußen sei zu rechnen, bis hin zur Stilllegung der externen Versorgung.
Dann wäre die Medosektion auf ihre autarken Notfallaggregate angewiesen ...
Selbstverständlich würden nicht die Lichter ausgehen. Auch die Lebenserhaltungs- und Überwachungssysteme der stationären Patienten würden weiter gespeist werden.
Aber der Operationssaal, in dem Jatin arbeitete, drohte vom Netz genommen zu werden. Ein chirurgischer Eingriff an einem Tier stand nicht sehr weit oben auf der Liste der vom internen Regelwerk definierten Prioritäten; selbst, wenn es sich um kein gewöhnliches Tier handelte.
Der Hund hieß Samart. Er gehörte einem der Posbis aus der Alten Oblast und hatte sich um die KRUSENSTERN beträchtliche Verdienste erworben. Nicht zuletzt dank seiner hatten Viccor Bughassidow und Perry Rhodan auf Rhea den Plasmakommandanten gefunden, durch dessen Einbau das uralte Schiff erst wieder zu einem vollwertigen Fragmentraumer geworden war.
Ihre Hochrangkodes schamlos nutzend, schaltete Jatin direkten Kontakt zu ADAM, wie sich der Plasmakommandant seither nannte. »Was ist denn jetzt schon wieder los?«
Allein die Verzögerung von mehreren Sekunden, nach denen sie erst Antwort bekam, verursachte ihr eine Gänsehaut.
Sie waren kürzlich, teilte ADAM mit, einer Ballung mehrerer gewaltiger Hyperstürme ausgewichen; allerdings offenbar nicht großräumig genug. Ein plötzlicher, eruptiver Ausläufer hatte sie trotzdem erwischt, und zwar mit voller Wucht. Ihm standzuhalten forderte der KRUSENSTERN das Letzte ab.
»Verstehe.« Jatin trennte die Überrangverbindung sogleich wieder. Die Kapazitäten des Bordrechners wurden unverkennbar anderweitig benötigt.
»Tja, Hundchen«, sagte sie zu dem Tier, das sie natürlich nicht hören konnte, weil es narkotisiert war, »ich werde sicherheitshalber auf Handbetrieb umwechseln müssen. Bevor das virtuelle OP-System einfriert ... Dein Karzinom schnipple ich dir schon raus, kein Problem, das habe ich allemal drauf. Die Narben werden hinterher halt nicht ganz so zierlich aussehen.«
Ein Schauder durchlief sie, während ihr Sehzentrum an die Realsicht adaptierte. Alles viel schwammiger und viel mehr klebriges Blut ...
Jatin konzentrierte sich vehement auf die unmittelbare Aufgabe. Dennoch konnte sie nicht verhindern, dass ein Teil ihrer Gedanken abglitt.
Nach draußen ... Denn draußen, außerhalb der massiven und doch so zerbrechlichen Schiffshülle, war Trillionen von Kilometern weit nichts: mörderisch gefährliches Nichts.
*
Die KRUSENSTERN befand sich so tief im intergalaktischen Leerraum wie nie zuvor, seit Viccor Bughassidow das ausgemusterte Posbischiff erworben und, über viele Jahre hinweg, mit den neuesten, teuersten Technologien aufgerüstet hatte.
Er kontrollierte seinen Atem, gab sich nach außen hin ruhig und souverän, versuchte Zuversicht zu verbreiten. Es bedurfte keiner übermäßig ausgeprägten Sensibilität, um die Anspannung zu spüren, die auf der gesamten Besatzung lag. In der Zentrale stand die Luft, so dick, dass man sie fast schon sehen konnte.
Vor mehr als drei Wochen waren sie vom Planeten Phanwaner aufgebrochen. Nun trennten sie bereits über 125.000 Lichtjahre von den Randbereichen der heimatlichen Milchstraße.
Unterwegs war der jeweils aktive Linearkonverter zweimal ersetzt worden. Ursprünglich hatte die KRUSENSTERN fünfzig solcher Maschinensätze für den Flug durch den Halbraum an Bord gehabt. Einige waren bereits vor Beginn dieser Reise nach Unbekannt ausgebrannt gewesen. Die verbliebene Reserve reichte theoretisch aus, um insgesamt rund zwei Millionen Lichtjahre zu bewältigen.
Der Austausch eines Kompensationskonverters stellte im Prinzip keine große Schwierigkeit dar. Die Konverter waren im Schiffszentrum zu einem Verbundblock zusammengeschaltet, der 800 Meter durchmaß, bei einer Höhe von 280 Metern. Er nahm also ein Gesamtvolumen von knapp 141 Millionen Kubikmetern ein. Jeweils bis zu acht Aggregate ergänzten einander in der Wirkung. Was als »Austausch« bezeichnet wurde, bestand genau genommen »nur« im Anschluss eines neuen Konverters an die Energieversorgung und Steuerung.