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Die Hauptpersonen des Romans
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PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2761
Die Erben Lemurias
Angriff auf den Sonnentransmitter – mit dem Maghan beginnt eine neue Zeit
Hubert Haensel
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.
Seit 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung – bereits über zwei Jahre lang – steht die Milchstraße unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dies behauptet, im Rahmen der »Atopischen Ordo« für Frieden und Sicherheit zu sorgen und den Weltenbrand aufzuhalten, der anderenfalls der Galaxis drohe.
Nach wie vor gibt es Wesen und ganze Zivilisationen, die dem Tribunal skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen, doch dessen Macht ist groß genug, diese zu disziplinieren. Auf der anderen Seite haben sich etliche andere Völker bereits entschieden, sich auf die Seite der faktischen Machthaber zu stellen. Nicht zuletzt, weil diese offenbar sogar über die Möglichkeit verfügen, treuen Verbündeten Zellschwingungsaktivatoren zu verleihen, die das ewige Leben ermöglichen.
Insbesondere ein Volk, einst aus der Milchstraße vertrieben und nach dem Ende der Meister der Insel aus Andromeda zurückgekehrt, hat sich auf die Seite der Atopen gestellt: die Tefroder. Sie betrachten sich als DIE ERBEN LEMURIAS ...
Vertron Es-Solmaan – Der Akone stößt auf den Vierten.
Lan Meota – Der Vierte aus Vetris' Mutantenkorps geht in den Einsatz.
Pocor Ragnaar – Der Regierende Rat der Justierungswelt wittert unbestätigte Gefahren.
Kajane Paxo – Die Expeditionsleiterin muss mit Verlusten rechnen.
Vertron Es-Solmaan tastete mit den Fingerspitzen über die senkrecht vom Boden aufsteigende Rille, die er soeben freigekratzt hatte. Die Wand, die ihm den Weg versperrte, bildete also keineswegs den Abschluss des Korridors.
Im Schein seiner Handlampe versuchte er, den weiteren Verlauf der Fuge zu erkennen. Es war unmöglich. Der abgelagerte Staub, längst zur Patina verkrustet, überdeckte die feine Struktur.
Was erwartete ihn auf der anderen Seite?
Seine Finger waren für diese Arbeit nicht das beste Werkzeug. Es-Solmaan riss sich die Haut blutig, als er vergeblich versuchte, eine zweite Fuge zu finden. Offenbar kratzte er nun an der falschen Stelle, der Durchgang schien breiter zu sein als angenommen.
Es-Solmaan wich zwei Schritte zurück und leuchtete die Wand ab. Er befand sich auf der 442. Ebene Unter den Pyramiden. Erst seit Kurzem war ihre Existenz bekannt.
Diese Etage der weitläufigen Anlage unter dem Pyramidendreieck lag in Agonie. Die Luft hatte einen dumpfen Beigeschmack. Das war weder Moder noch Fäulnis. Es-Solmaan gewann eher den Eindruck eines Hauchs von Zeitlosigkeit – ein Flair, das vielen Hinterlassenschaften der Lemurer anhaftete.
Er ärgerte sich über sich selbst, dass er nicht wenigstens ein Messer als Vielzweckwerkzeug mitgenommen hatte. Den Entschluss, sich auf eigene Faust und ohne Begleitung umzusehen, vor allem, ohne Pocor Ragnaar in Kenntnis zu setzen, hatte er spontan gefasst und zu schnell umgesetzt.
Wie groß mochte der Durchgang sein?
Es-Solmaan fragte sich, ob er wirklich alles so genau wissen musste. Hartnäckig nach Details zu wühlen, war eine lästige Angewohnheit. Vor Jahren hatten ihn terranische Arbeitskollegen damit infiziert. Letztlich war es unerheblich, ob die Tür rund, wabenförmig oder einfach ein Rechteck war. Terranisches Hinterfragen komplizierte solche Dinge unnötig. Nicht der Weg zählte, wie die Menschen von Terra immer wieder behaupteten, sondern das Ergebnis.
Nur das Ergebnis war entscheidend!
Es-Solmaan presste die Lippen aufeinander. Er atmete flach. Die trockene Luft kratzte tief in seiner Kehle und verursachte einen lästigen Hustenreiz.
Erneut leuchtete er die Wand ab. Sie wies kaum Unebenheiten auf, nichts jedenfalls, was er als Öffnungsmechanismus identifizieren konnte. Er glaubte trotzdem zu spüren, dass er vor einer besonderen Entdeckung stand.
Auf den oberen der neu entdeckten Ebenen schwärmten mittlerweile die ersten Untersuchungsteams aus. Dort bot sich Wissenschaftlern und Militärs ein weites Betätigungsfeld. Die Möglichkeit, sich diesen Gruppen anzuschließen, hatte Es-Solmaan überhaupt nicht in Erwägung gezogen. Er wollte allein sein – aus demselben Grund, aus dem er sich auf Suaraan heimisch fühlte: Die vielfältigen lemurischen Hinterlassenschaften auf dem Justierungsplaneten übten auf ihn einen unwiderstehlichen Reiz aus.
Wir sind Wanderer zwischen den Sternen, nach der Vernichtung unserer Heimatwelt mehr als je zuvor, ging es ihm durch den Sinn.
Wanderer ... Weil Akonen und Transmitter einfach zusammengehörten.
Transmitterfunktionen bot das Vengil-Trio in spektakulärer Ausführung. Und der Sonnentransmitter war eine lemurische Hinterlassenschaft. Ein Erbe seiner Vorväter.
Mit einem ungeduldigen Ruck löste Es-Solmaan sein Multikom vom Schulteransatz der Kombination. Das Mehrzweckgerät war größer als die üblichen Ausführungen, weil es Zusatzfunktionen aufwies wie eine Nahbereichsortung und den Kodegeber.
Mit einer Fingerbreite Abstand führte er den Sensor über die verkrustete Wand. Fünfzigtausend Jahre, die diese Anlage bestand, waren eine lange Spanne. Planeten veränderten ihr Antlitz schon in kürzeren Perioden. Auch die Spuren untergegangener Zivilisationen wurden oft genug schneller vollständig ausgelöscht. Lemurische Technik bewies indes immer wieder, dass sie der Zeit standhielt.
Vertron Es-Solmaan bewegte den Multikom über die auf eine Armlänge freigekratzte Rille. Das Gerät reagierte nicht. Den Trupps auf den oberen Etagen standen schwere Desintegratoren zur Verfügung, mit denen sie Hindernisse leicht aus dem Weg räumen konnten. Er selbst zog keinesfalls in Erwägung, mit brachialer Gewalt uralte Artefakte zu beschädigen.
Doch! Es-Solmaan knirschte mit den Zähnen. Wenn ihm keine Wahl blieb, würde er sich den Weg freischießen – nicht sofort, aber später. Undenkbar, dass er sich von einer einfachen Tür aufhalten ließ. Das auf keinen Fall.
Das Holofeld des Sensors leuchtete plötzlich in einem fahlen Blauton, eine Sekunde danach war alles wie zuvor.
Es-Solmaan zog die Hand leicht zurück. Der Farbton veränderte sich erneut und verriet einen schwachen Ladungszustand in der Wand, in einem eng begrenzten Bereich, der nicht einmal der Größe einer Fingerkuppe entsprach. Für einen Berührungssensor war das zu wenig, außerdem lag die Position zu hoch.
Würde die Tür auf einen Sendeimpuls reagieren? Er war fast sicher, dass er auf der anderen Seite besondere Räumlichkeiten finden konnte. Nahezu zwei Kilometer tief unter der Planetenoberfläche, das war keineswegs gleichbedeutend mit Abgeschiedenheit. Womöglich hatten Transmitterstationen in der Tiefe einst die Anlage versorgt. Der Korridor war geräumig genug für kleine Lastenschweber.
Es-Solmaan justierte den Kodegeber des Multikoms und ließ die üblichen Frequenzen durchlaufen.
Der erhoffte schnelle Erfolg blieb aus. Beinahe feindselig starrte er die Wand an. Egal, wie groß der Durchgang sein mochte, Vertron Es-Solmaan erwartete, dass die Tür sich öffnete.
*
Erst einer der uralten lemurischen Kodes, die im Umfeld des Sonnentransmitters und der Justierungsanlagen kontinuierlich durch akonische Daten ersetzt worden waren, brachte die Veränderung. Als Leitender Transmitteringenieur konnte Es-Solmaan jederzeit auf solche Detailinformationen zugreifen, und er rief mit dem Multikom alle relevanten Werte von der Hauptpositronik ab.
Lächelnd sah er zu, wie die Wand sich nahezu lautlos teilte und die Torhälften zur Seite schwangen. Angespannt blickte Es-Solmaan in die Dunkelheit, die sich vor ihm öffnete.
Er trat durch das Tor.
Der Lichtkegel des Handscheinwerfers verlor sich in dem weiten Raum. Es-Solmaan achtete weniger auf den Boden als auf die bizarren Schattenrisse im Hintergrund. Ein Fehltritt ließ ihn stolpern. Der Untergrund war grob zerfurcht, als sei das Material zähflüssig geschmolzen und wieder erstarrt. Die Schäden wirkten wie nach einem Beschuss mit Thermo- oder Impulswaffen.
Helligkeit flackerte im Hintergrund der Halle.
Ein vielfach verzweigter Blitz zuckte unter der Decke heran – und erlosch. Weitere grelle Entladungen folgten, kamen aber nicht auf Es-Solmaan zu, sondern verloren sich seitwärts. Wie Wetterleuchten, das hinter dichten Wolkenbänken hervorschimmerte.
Vorsichtiger als eigentlich beabsichtigt ging er weiter. Gut zehn Meter hoch schätzte er die Decke. Das grelle Flackern verlor bereits an Intensität. Hin und wieder stabilisierte es sich zum diffusen Schimmer, in anderen Bereichen blieb ein unruhiger stroboskopischer Effekt.
Eine perfekt funktionierende Beleuchtung hatte Es-Solmaan ohnehin nicht erwartet. Die fahle Helligkeit reichte allerdings aus, damit er sich umsehen konnte. Seit fünfzigtausend Jahren mochte niemand diese Etagen unter den Pyramiden betreten haben.
Eine Maschinenhalle ...?
Zweifellos hatten große Aggregate an den Wänden gestanden und sich zudem quer durch die Halle erstreckt. Positronische Systeme? Energiespeicher? Möglich war alles. Ebenso konnte es sich um Fabrikationsanlagen gehandelt haben. Doch nur Schrott hatte die Zeit überdauert. Es-Solmaan schien es, als hätte ein Haluter in der Halle seine Drangwäsche ausgetobt.
Ob es sinnvoll war, solche Gedanken zu verfolgen, würde sich herausstellen. Bestien im Herzen des Vengil-Sonnentransmitters hätten schwerere Schäden angerichtet, als nur eine Maschinenhalle zu verwüsten. Zur Zeit ihres erbarmungslosen Krieges gegen Lemuria wäre die Justierungswelt im Feuersturm versunken.
Zerstörung, so weit der Blick reichte. Das Flackern der Deckenbeleuchtung machte es schwer, einen Überblick zu gewinnen. Es-Solmaan hielt mehrmals inne, während er weiter in die Halle eindrang, und ließ den Lichtkegel seines Handscheinwerfers wandern.
Der Boden war teils sogar löchrig. Strahlschüsse hatten diese Schäden kaum hinterlassen. Es-Solmaan ließ sich in die Hocke nieder und fuhr mit der Hand durch die Vertiefungen. Es fiel ihm leicht, überstehende Teile des Belags abzubrechen und zwischen den Fingern zu zerbröseln. Er roch an dem Material, hatte aber keineswegs den Eindruck, dass es irgendwann extrem erhitzt und nahezu verflüssigt worden war.
In seiner Vorstellung glaubte Es-Solmaan zu sehen, dass ein schwarzhäutiger Koloss, mindestens doppelt so groß wie er selbst, auf beide Armpaare niedersank und losrannte. Mit urwüchsiger Gewalt prallte der Haluter gegen wuchtige Aggregate; er hatte die Zellstruktur umgewandelt und seinen Körper härter und widerstandsfähiger als Stahl werden lassen. Dumpf dröhnend bohrten sich der halbkugelförmige Schädel und die massigen Schultern durch die lemurischen Maschinen und katapultierten mannsgroße Trümmer quer durch die Halle.
Der Lärm musste ohrenbetäubend gewesen sein.
Die Vision wirkte sehr real. Unvermittelt wirbelte der Haluter herum. Seine rot glühenden Augen schienen Es-Solmaan zu fixieren. Grollend richtete er sich aus der gebückten Laufhaltung auf, die Handlungsarme stießen vor, er packte mit beiden Pranken zu.
Krachend brach die Metallplatte, die der Haluter von einer Verkleidung abriss. Die Trümmerstücke schob er sich in den Rachen, seine Kegelzähne zerfetzten den Stahl vollends. Die Überreste schleuderte der Koloss mit aller Wucht von sich.
Fast hätte Es-Solmaan sich unter den heranfliegenden Trümmerstücken geduckt, da verblasste endlich seine eigene Vorstellung.
Es hätte so gewesen sein können. Davon überzeugt war er allerdings nicht.
Suchend schaute er um sich. Keine zwanzig Meter entfernt, ungefähr dort, wo er eben den Haluter zu sehen geglaubt hatte, ragten massive Fundamente auf. Zwei einigermaßen stabile Seitenwände einer Maschine reichten bis dicht unter die Hallendecke; Teile ihres einstigen Innenlebens hingen herab wie die Eingeweide eines aufgebrochenen Wildbrets. Herauszufinden, welche Funktion dieses Aggregat erfüllt hatte, war auf Anhieb unmöglich. Wahrscheinlich später, mit entsprechenden Hilfsmitteln ...
Fragmente der Maschine lagen weit verstreut. Im Flackern der defekten Deckenbeleuchtung entstand der Eindruck, dass der Schrott ein seltsames Eigenleben entwickelte. Der unregelmäßige Wechsel von Licht und Schatten ließ vermeintliche Bewegungen entstehen, wo eigentlich keine waren. Es-Solmaan schaltete seinen Scheinwerfer wieder ein; der Lichtkegel überdeckte das verwirrende Spiel von Licht und Dunkelheit.
Er griff nach einer breiten Metallverstrebung, die vor ihm aufragte. Die dünne Platte löste sich, als er daran rüttelte. Andere Teile, möglicherweise halb aufgelöste Elemente einer Positronik, rutschten nach.
Ein schriller Ton begleitete den Vorgang. Nur kam das Geräusch nicht von den zerstörten Schaltungen, sondern eher aus dem flachen Schrotthaufen einige Meter dahinter.
Es-Solmaan stutzte. Er leuchtete den Bereich mit dem Scheinwerfer aus.
Nichts bewegte sich.
Er ließ den Lichtkegel weiterwandern – und richtete ihn Sekunden später abrupt wieder auf den Haufen. Er hatte sich getäuscht. Immer noch war alles starr, und außer seinem eigenen schnellen Atmen gab es kein Geräusch, bis er endlich die Verstrebung zurückwarf.
Es-Solmaan ging weiter. Aufmerksamer als zuvor. Wohl nur deshalb bemerkte er aus dem Augenwinkel die vage Veränderung. Als er genauer hinsah, war da schon nichts mehr.
Ein kleines Tier? 442 Etagen tief unter der Oberfläche des Planeten, in einem Bereich, der bis vor wenigen Stunden hermetisch abgeriegelt gewesen war und den seit einer kleinen Ewigkeit niemand betreten hatte? Es-Solmaan fragte sich, ob hier irgendwo Pflanzen wuchsen, von denen Tiere leben konnten. Dann musste es auch Wasser geben. Eher, argwöhnte er, arbeiteten an diesem Ort Roboter, kleine spezialisierte Maschinen, die nicht größer als eine Handspanne waren.
»Ich erwarte deinen Rapport!«, sagte er laut und benutzte das alte Idiom, wie es auf Lemuria gesprochen worden war.
Vergeblich wartete er auf eine Antwort.
Er ging weiter.
Urplötzlich waren sie da.
*
Erst vernahm Es-Solmaan nur ein Rascheln. Fast gleichzeitig bemerkte er eine vage Bewegung wenige Meter entfernt. Was er sah, wurde ihm nicht klar. Nichts Großes jedenfalls, und wahrscheinlich bedeutete es keine Gefahr.
Trotzdem griff er an seinen Gürtel und tastete nach der Steuerung des Individualschirms. Das war sein Zugeständnis an die eigene Sicherheit. Uralte Sperren konnten sich gegen Eindringlinge richten, und defekte Systeme wurden schnell zur Falle. Eine Waffe trug Es-Solmaan hingegen nicht. Für ihn gab es in den Tiefetagen unter den Pyramiden keine Bedrohung, der er mit dem Strahler in der Hand entgegentreten musste. In dem weitläufigen Labyrinth aus Sälen, Hangarhallen, Wohnbereichen, Schächten und Korridoren war es so gut wie nie zu Problemen gekommen.
Mit gut zwölf Kilometern Durchmesser und bislang 435 zugänglichen Etagen wurde das Areal allerdings nur zu einem Bruchteil von der akonischen Besatzung genutzt. Dort existierten keine lästigen Hinterlassenschaften der einstigen Herren des Justierungsplaneten. Suaraan hatte auch kein eigenes intelligentes Leben hervorgebracht, und die Tierwelt beschränkte sich auf kleine Gliederfüßer. In den dichten Wäldern lebte nichts, was nennenswert größer war als eine Handspanne.
Aber da war wieder dieses kaum hörbare Rascheln und Schaben. Es schien nicht nur vor ihm zu sein, sondern mittlerweile auch an seiner rechten Seite.
Es-Solmaan zögerte, den Schutzschirm einzuschalten.
Ein Schemen tauchte zu seiner Linken auf, eigentlich nur ein flüchtiger Schattenwurf. Was immer sich da bewegte, war keinesfalls größer als eine Faust.
Kekkouriden?
Es-Solmaan war diesen Tieren schon hin und wieder begegnet. Sie muteten an wie eine Faust auf acht Beinen, wären allerdings kaum in der Lage gewesen, ihn zielstrebig zu attackieren. Kekkouriden waren unersättliche Fressmaschinen, die selbst Geröll und Metalle ...
Er aktivierte den Individualschirm, denn mindestens dreißig der kleinen Tiere kamen von allen Seiten und wie auf ein geheimes Kommando heran. Sie waren flink. Aus ihrer linken Seite wuchs ein zangenähnliches Greiforgan. Immer wieder tauchten einzelne Exemplare, manchmal gar kleinere Gruppen, bei den Pyramiden auf. Nie hatte Es-Solmaan jedoch bemerkt, dass sie ihre Zange in die Höhe richteten und winkten. Als würden die Tiere sich damit gegenseitig Zeichen geben.
Sie griffen ihn an.
Es-Solmaan verharrte abwartend, als die ersten Kekkouriden in den Wirkungsbereich seines körpernahen HÜ-Schirms gerieten und in der energetischen Überladung vergingen. Wie im Rausch verspritzen die Tiere ihre körpereigene Säure, die Aggregatteile und auch den Bodenbelag sehr schnell zu einer zähen Masse auflöste.
Ein Körperorgan auf der rechten Körperseite der Tiere – die Akonen von Suaraan nannten es Pistole – erzeugte die Säure. Nie zuvor hatte Es-Solmaan gesehen, dass Kekkouriden sich auf ihren acht Beinen geradezu aufbockten, die Pistole damit zielgenau ausrichteten und dann erst einen kräftigen Säurestrahl abschossen.
Sie hatten es auf seine Stiefel abgesehen, den Schutzschirm nahmen sie nicht wahr. Die Säure konnte Es-Solmaan nichts anhaben, er beschränkte sich deshalb darauf, die Tiere nur zu beobachten. Sie lebten vielleicht in dieser Halle, die ihnen sogar über die Jahrtausende hinweg ausreichende Lebensbedingungen geboten hatte. Nicht Haluter hatten demnach die umfassenden Zerstörungen hinterlassen, sondern Kekkouriden. Mit ihrer Säure zersetzten sie sogar Felsgestein und Metalle zu einem für sie verdaubaren Brei.
Nun stand ihnen die Tür offen, der Weg zu den anderen Etagen.
Trotzdem bedeuteten die Kekkouriden keine unkontrollierbare Gefahr. Es-Solmaan musste lediglich Pocor Ragnaar informieren, und er wusste bereits, dass der Regierende Rat ein Jagdkommando aufstellen würde, um Etage für Etage zu säubern. Selbst wenn die Tiere in dem Saal eingesperrt gewesen waren, irgendwann hatten sie sich bestimmt schon durch eine Wand hindurchgefressen.
Wie viele? Er zählte noch acht der kleinen Biester in seiner Nähe. Ihre Säure hatten sie verspritzt, nun griffen sie ihn nicht mehr an. Das eine oder andere Verkleidungsfragment aus Kunststoff verwandelte sich bereits in ein zäh abtropfendes Rinnsal, und wo Säure über den Boden geflossen war, verfärbte sich dessen Struktur.
Es-Solmaan sah die ersten beiden Kekkouriden ihre Greifzange in die angelöste Masse hineinstoßen. Keines der Tiere beachtete ihn noch.
Mit einem Desintegrator oder Thermostrahler hätte er den Spuk ausgelöscht. Dass er das nicht konnte, ärgerte ihn. Die Kekkouriden zerstörten das lemurische Erbe, sie hatten im Untergrund der Pyramiden nichts zu suchen. Grimmiger Zorn stieg in ihm auf. Es-Solmaan wandte sich den fressenden Tieren zu. Sie reagierten sofort und spritzten ihm kläglich dünne Säurestrahlen entgegen. In der nächsten Sekunde streifte sie der HÜ-Schirm und tötete sie. Nur drei entkamen, weil sie zwischen Maschinenfragmenten untertauchten.
Es-Solmaan ging zügig weiter. Er ließ den Schutzschirm eingeschaltet, wurde aber nicht wieder attackiert.
*
Hätten die Kekkouriden ideale Lebensbedingungen vorgefunden und sich hemmungslos vermehrt, wäre von den subplanetaren Anlagen der Lemurer wohl wenig geblieben. Zum Glück schien das Vorkommen der Tiere räumlich beschränkt geblieben zu sein.
Vertron Es-Solmaan hatte die Halle durchquert, das Bild der Verwüstung begleitete ihn. Niedrige Korridorbereiche wechselten nun ab mit kleinen Sälen, alles fließend und ineinander übergehend. Nicht zuletzt die Zerstörung erweckte diesen Eindruck, denn da und dort verrieten Schutthaufen eingestürzte Wände.
Es-Solmaan bemerkte einzelne Kekkouriden, einmal auch eine größere Gruppe, doch die Tiere reagierten nicht auf ihn.
Dann sah er die Statue.
Im mittlerweile fahlen, beständigen Deckenlicht schimmerte die Skulptur matt grau. Metallisch, so empfand Es-Solmaan den Anblick bereits aus der Distanz, und daran änderte sich nichts, als er der Figur näher kam.
Sie stellte ein lemuroides, aufrecht auf zwei Beinen stehendes Wesen dar. Beide Unterarme waren leicht angewinkelt, die Handflächen nach oben gedreht.
Aus gut zwanzig Metern Abstand sah es aus, als wolle die Statue jemanden begrüßen und in die Arme schließen.
Vertron Es-Solmaan verhielt seine Schritte. Er selbst konnte kaum gemeint sein, obwohl sich ihm genau dieser Eindruck aufdrängte.
Es war ein lebensgroßes Standbild. Nur der Kopf wirkte plump. Unstrukturiert und verglichen mit dem gut proportionierten Körper kantig und zu groß. Irgendwie unfertig, fand Es-Solmaan.
Der Eindruck relativierte sich, je näher er der Statue kam.