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Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
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PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2764
Rendezvous in Larhatoon
Auf Perry Rhodans Spuren – unterwegs mit der RAS TSCHUBAI
Christian Montillon
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.
Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1517 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Milchstraße steht weitgehend unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dessen Richter behaupten, nur sie könnten den Weltenbrand aufhalten, der sonst unweigerlich die Galaxis zerstören würde.
Eine andere Galaxis wird längst von den Atopen beherrscht: Larhatoon, die Heimat der Laren, die einst selbst Usurpatoren waren und nun Unterworfene sind. Dorthin hat es Perry Rhodan verschlagen, dort sucht er Hinweise darauf, was die Atopen wirklich umtreibt und wo ihre Schwächen liegen. Bisher ist Rhodan allein in Larhatoon, nur begleitet vom ehemaligen arkonidischen Imperator Bostich.
Nun erreicht die RAS TSCHUBAI Larhatoon – Reginald Bull und Gucky haben sich auf die Suche nach dem Terraner gemacht und bedienen sich dazu des modernsten Schiffes der Menschheit.
Schon bald kommt es zu einem RENDEZVOUS IN LARHATOON ...
Reginald Bull – Der Terraner sucht seinen ältesten Freund.
Gucky – Der Mausbiber gerät in Versuchung.
Toio Zindher – Die tefrodische Mutantin muss den Paradieb berühren.
Tullcor Stoynneri – Der onryonische Kommandant ahnt ein Geheimnis.
»Die Mausbiber sind ein einzigartiges Volk im Universum.«
– Gucky am 27. Februar 2587 alter Zeitrechnung –
»Sind die Mausbiber ein einzigartiges Volk im Universum?«
– Gucky am 11. Januar 1517 NGZ –
1.
Es kriecht in deinen Kopf
Das Schiff explodierte, und Gucky fühlte sich elend.
Weitere Schüsse jagten durchs All. Schutzschirme flackerten. Der Mausbiber wandte den Blick ab.
In der Zentrale der RAS TSCHUBAI blieb es völlig still. Von Gucky abgesehen schauten alle auf das obere Drittel der Wände – und damit auf die Holoprojektion der unmittelbaren kosmischen Umgebung des Schiffes. Es war, als blickten sie durch ein Fenster hinaus ins All.
Noch acht Raumer lieferten sich dort ein erbittertes Gefecht. Torpedos detonierten, Schutzschirme flackerten. Tosende Energien wurden in den Hyperraum abgeleitet.
Zwanzig Besatzungsmitglieder starrten wie gebannt auf das Geschehen, nur flüchtig behielten sie die eigenen Arbeitsstationen im Auge. Es war vertretbar; die RAS TSCHUBAI schwebte perfekt getarnt im Ortungsschatten einer Sonne. Und Jawna Togoya, die Posbi-Kommandantin, beobachtete die Funktionen des Schiffes.
Sie ließ sich nicht von einem Schauspiel, wie sie es nannte, ablenken, so bedrückend es auch sein mochte. Ihr Kommandantensockel bildete das Herz des Schiffes – in der Zentrale liefen ohnehin alle Daten zusammen und sämtlich auch über die Station vor ihrem Platz.
»Seid ihr sicher?« Gucky erschrak selbst darüber, wie matt und tonlos seine Stimme klang.
»Ja«, sagten Reginald Bull und Jawna Togoya wie aus einem Mund. Bully stand neben dem Mausbiber auf der Treppe zum COMMAND-Podest; zwei Stufen unter ihm, sodass sie fast gleich groß wirkten.
Gucky versuchte sich an einem verwegenen Grinsen, aber er bemerkte, dass es kläglich misslang. »Na, wenn sich der Herr Einsatzleiter und die hochgeschätzte Kommandantin eines Riesenpottes wie der RAS TSCHUBAI derart einig sind, wird's wohl stimmen.«
Bull legte Gucky eine Hand auf den Kopf und streichelte sein Fell. »Es stimmt, Kleiner. Auch wenn es ...« Er stockte.
»... ein verdammter Mistkram ist«, half der Mausbiber aus, »zuzuschauen, wie da draußen Leute sterben, und wir nichts tun, um ihnen zu helfen?«
»So könnte man es wohl ausdrücken, ja«, sagte Bully.
»Und wem bitte schön sollten wir helfen?«, fragte Jawna Togoya. »Wir sind mit der RAS TSCHUBAI frisch in der Larengalaxis angekommen, legen einen Orientierungsstopp ein und orten ein kleines Gefecht in unserer Nähe. Wir wissen nichts über die Hintergründe. Wenn wir uns einmischen, helfen wir möglicherweise den Falschen.
Wobei überhaupt die Frage ist, wer die Falschen sind. Den Schiffstypen nach sind es Onryonen und Laren. Wer sind dabei die Guten? Könnte doch sein, dass es sich bei den Laren um Proto-Hetosten handelt, die als Terroristen eine Großstadt ausradiert haben? Oder sind die Onryonen Überläufer, die der Atopischen Ordo den Rücken gekehrt haben und sich für die Freiheit der Galaxis einsetzen? Wir wissen nichts, aber auch nichts über die Hintergründe!«
»Du hast recht«, sagte Gucky. »Der Schein kann trügen. Trotzdem gefällt es mir nicht, tatenlos zuzusehen, wie sie einander vernichten.«
Die Kommandantin schaute nicht zu ihm herüber, sondern hielt ihre Instrumente genau im Blick. »Außerdem müssten wir unseren Ortungsschutz aufgeben, wenn wir eingriffen.«
»Schon gut!«, rief Gucky. »Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen, weder vor dir selbst noch vor mir oder irgendjemandem sonst. Du hast ja recht.«
»Ich rechtfertige mich nicht«, sagte Jawna Togoya verwundert. »Wieso sollte ich? Ich erkläre die Situation, das ist alles.«
»Ja«, kommentierte Gucky, »das ist alles.«
Gleichzeitig zeigte das Holo, wie ein weiteres Schiff explodierte. Trümmer schwirrten im All. Eine einzelne Rettungskapsel zischte aus dem Todesfeld, wurde unter Beschuss genommen und verging. Nichts blieb von ihr.
»Das ist alles«, wiederholte der Mausbiber traurig.
*
»Mit vollem Bauch schläft es sich gut.« Die Aussprache des Cheborparners klang hart, er dehnte das E, und das T schmetterte wie eine kleine Explosion.
»Das ist eine alte terranische Spruchweisheit«, sagte Gucky. Er saß mittlerweile in einer stillen Ecke eines Bordrestaurants auf Hauptdeck 20, am Rand eines Würfelmoduls für die Unterkünfte der Besatzung. Er selbst wohnte keine fünfzig Meter entfernt. Trotzdem hatte er das Restaurant des Cheborparners noch nie besucht, das sich MaiTre nannte, nach seinem Besitzer Mairrianoro Trelanganlan.
Zu dieser späten Zeit herrschte kaum Betrieb; ein Wunder, dass überhaupt geöffnet war. Es war laut Bordzeit etwas später als ein Uhr nachts, etwa zwei Stunden nach der Schlacht der Fremden und der Flucht der Überlebenden. Eine Episode, um die sich niemand in der Galaxis sonst scherte.
Als einziger Gast außer dem Mausbiber saß der dritte Pilot Cascard Holonder an einem Tisch und rührte den gebackenen, mit Gemüse gefüllten Fladen vor ihm nicht an. Stattdessen trommelte er mit den Fingerspitzen der Rechten auf seinem Kahlkopf und zeichnete mit der Linken völlig gedankenverloren Kritzeleien auf ein großes Blatt. Gucky hatte ihn wohl wahrgenommen, aber kein Wort mit ihm gewechselt.
»Ein alter Spruch der Terraner, ja!« Mairrianoro Trelanganlan, genannt MaiTre, lachte rau. Er rieb sich über die kleinen Stirnhörner. »Ich mag sie, die Terraner, habe lange bei ihnen gewohnt und sie bekocht, im Schatten der Solaren Residenz übrigens. Mein Restaurant war eins der zehn besten, wenn man den Medien glauben darf. Abgesehen von diesem Schmierfink, der es Zum meckernden Ziegenbock nannte, weil ich ...«
»Wegen deines Aussehens?«, fragte Gucky empört.
»Ich bin eben Cheborparner, und ich bin stolz darauf! Wenn irgendwelche Idioten meinen, sie müssten mich mit einem terranischen Tier vergleichen, nur weil ich Fell und Hörner habe, sollen sie es eben tun. Dummheit stirbt nie aus.«
»Mach dir nichts draus. Mich vergleichen sie mit einer Mischung aus zwei ihrer Tiere, und keiner meint es böse. Ich habe mich daran gewöhnt.«
MaiTre gab einen unwilligen Laut von sich. »Hör zu, ich kann dir ein Geheimnis verraten, mein kleiner Gast – wenn ich sage, mit vollem Bauch schläft es sich gut, ist das mehr als ein Spruch! Es stimmt auch.«
Gucky lachte. Er fand Gefallen an dem Gespräch. Es lenkte ihn ab von bösen Erinnerungen. »Was wiederum bei Weitem nicht selbstverständlich ist. Ich kenne eine Unzahl völlig unsinniger Sprichwörter von Dutzenden Völkern. Aber in diesem Fall gebe ich dir recht.«
Fast hätte er noch ergänzt: Besonders gut schläft es sich mit vollem Bauch, wenn es vorher eine ganze Menge Aufregung gab. Aber er sprach es nicht aus; die meisten an Bord der RAS TSCHUBAI hatten nicht einmal mitbekommen, dass sie fast in einen Kampf verstrickt worden wären.
MaiTre zwirbelte das Fell über seinen Wangen, als ein Servoroboter heranschwebte und die Terrine Karottensuppe abstellte, die Gucky vor einigen Minuten bestellt hatte. »Sehr gut! Wenn du Hunger hast, schau dir das hier an! Dieses Gericht habe ich extra für dich auf die Speisekarte genommen und lange warten müssen, bis du es geordert hast.«
»Tatsächlich?«
»Das Zeug ist nicht gerade eine Spezialität meiner Heimat. Oder hast du schon mal einen Cheborparner Karotten zubereiten sehen?«
»Du bist sowieso der einzige cheborparnische Koch, den ich kenne.«
MaiTre beugte sich herab. Sein Gesichtsfell berührte fast das von Gucky. »Fein, denn in diesem Fall bin ich auch der beste. Nun koste!«
Gucky tat es.
Es war köstlich, und es verstärkte seine Müdigkeit noch weiter. Er aß bis auf den letzten Tropfen auf, verabschiedete sich mit überschwänglichem Lob. Er versprach mit einem breiten Grinsen, das seinen Nagezahn aufblitzen ließ, der cheborparnischen Küche treu zu bleiben.
MaiTre nahm es sichtbar stolz entgegen, komplimentierte Cascard Holonder hinaus und schloss sein Restaurant für diese Nacht ab.
Gucky ging, erfüllt mit viel zu vielen Gedanken, durch die Korridore von Hauptdeck 20, vorbei an den Abfall-Recycling-Schächten. Vereinzelt waren Leute unterwegs, eine Ara, ein terranisches Pärchen. Niemand sprach ihn an, und so hing er seinen Überlegungen nach.
Die Karottensuppe, die ihm den Abend des 3. Februar 1517 NGZ versüßt hatte, verschaffte ihm ein wohliges Gefühl. Er fühlte sich matt und angenehm müde.
Langsam ging er in Richtung seines Quartiers. Er konnte sich ein wenig Schlaf gönnen, denn es war nicht unbedingt damit zu rechnen, dass in den nächsten Stunden etwas Aufsehenerregendes geschehen würde. Gewiss, die RAS TSCHUBAI hatte Larhatoon erreicht ... aber was hieß das schon?
Irgendwo in dieser Galaxis hielt sich Perry Rhodan auf; eines von Billiarden Intelligenzwesen. Allerdings eines, das eine Spur hinterließ, damit seine Freunde ihm folgen könnten. Eines, das gefunden werden wollte. Eines, das darüber hinaus mit allen Wassern gewaschen war.
Dennoch würde es so schnell nicht gehen. Die Besatzung ortete unablässig und fing Funksprüche auf. Positronisch unterstützt werteten Hunderte Leute Tausende, Millionen Nachrichten aus und verglich sie mit den Daten, die das Außenteam im Sternenportal AIKKAUD gesammelt hatte.
Ein Team aus Analysten versuchte einen Weg durch den Dschungel an Informationen zu finden und das Relevante herauszufiltern. Etwa, dass in der ganzen Galaxis eine gewisse Ratlosigkeit darüber herrschte, dass eine Larin namens Aipanu-Cel, die ehemalige Koordinatorin der vier Subdomänen, zur neuen Ersten Hetranin ernannt worden war. So war es eben in der großen Politik – stets für eine Überraschung gut.
Irgendwo würde es inmitten der Informationsschwemme eine Auffälligkeit geben, etwas Bemerkenswertes, ein ... unwirkliches Detail, das eine Manipulation vermuten ließ, die wiederum möglicherweise auf Perry Rhodan hinwies. Ein Geschehen, das nicht mit den grundlegenden Daten übereinstimmte, die das Einsatzteam der RAS TSCHUBAI von AIKKAUD mitgebracht hatte.
Also hieß es: Daten sammeln, abwarten, analysieren, nach der einen Spur suchen, die kosmisch genug war, um auf Perry Rhodan zurückzugehen. Denn wo dieser Terraner hinkam, hinterließ er Spuren. Das war stets so gewesen und würde immer so bleiben.
Aber nicht heute, dachte Gucky. Nicht mehr in dieser Nacht. Er war müde.
Wie meistens, wenn ihn Müdigkeit übermannte und er seine Gedanken nicht mehr völlig unter Kontrolle halten konnte, kreisten seine Überlegungen um das eine Thema, das ihn in AIKKAUD bis ins Mark getroffen hatte. Etwas, das noch ungeheuerlicher war als Perry Rhodans Nachricht, die die Freunde in die Larengalaxis führte. Zumindest war es für Gucky noch ungeheuerlicher gewesen.
Er dachte an den Aiunkko Manzaber, der von einem Volk aus seiner Heimatgalaxis gesprochen hatte, aus NGC 3185 oder auch Lajaspyanda. Nicht nur die Greikos kamen von dort, nicht nur die Aiunkko, sondern angeblich auch eine Gruppe geheimnisvoller Geiststreiter ... Yllit genannt.
Wesen mit erstaunlichen Geisteskräften.
Multimutanten.
»Yllit.«
Gucky flüsterte den Namen, zum ersten Mal an diesem noch jungen Tag, aber zum tausendsten Mal, seit seinem Aufenthalt in AIKKAUD. Und wie alle neunhundertundneunundneunzig Mal vorher klang er vertraut. Ja, fremd einerseits, aber auch hinreichend ähnlich zu ...
... Ilt.
Ping.
»Was jetzt?«, herrschte der Mausbiber die Positronik seines Armbandkommunikators an, teils müde, teils gereizt, teils, weil er einfach seine Ruhe wollte.
»Entschuldigung die Störung«, antwortete die Computerstimme mit programmierter Höflichkeit. Wer immer diese Floskel ursprünglich eingegeben hatte, verstand wohl nicht sonderlich viel von Grammatik. Verwunderlicher als das war allerdings die Tatsache, dass die Korrekturprogramme es danach nie automatisch verbessert hatten. Gucky nahm es als eine der kleinen Merkwürdigkeiten des Alltags hin.
»Toio Zindher hat eine Nachricht an dich geschickt«, informierte ihn die Positronik.
Das weckte zwar Guckys Interesse, aber nicht genug, um seinen Plan ins Wanken zu bringen, endlich schlafen zu gehen. »Schick eine automatische Antwort, dass ich verhindert bin und mich morgen Vormittag melden werde. Zehn Uhr. Sie soll sich bereithalten.«
»Erledigt.«
»Sie hat doch sowieso nichts Besseres zu tun«, murmelte Gucky vor sich hin. Zwar genoss die tefrodische Mutantin und Gefangene an Bord der RAS TSCHUBAI einige Freiheiten, aber sie konnte ganz sicher nicht über allzu großen Stress klagen.
»Habe ich in der Tat nicht, Mausbiber«, tönte eine Stimme hinter ihm.
Gucky drehte sich um und legte den Kopf in den Nacken. Die Tefroderin Toio Zindher schaute ihn an und lächelte.
Ihr Haar war kastanienrot, das Gesicht blass kupferfarben. Man sah dieser Frau ihre absolute Tödlichkeit nicht an, die sie zu einem der besten Werkzeuge des tefrodischen Diktators – oder Maghan, wie er sich nennen ließ – Vetris-Molaud hatte werden lassen. Zu einer derjenigen, die an Ronald Tekeners Tod beteiligt gewesen waren, vor mittlerweile zweieinhalb Jahren. Seitdem war sie eine Gefangene und wurde von ihrem Volk für tot gehalten.
»Eins zu null für dich«, sagte Gucky.
Toios Lächeln wurde noch breiter. »Bis morgen.«
Sie drehte sich um und ging.
*
Gucky rettet das Universum, wieder einmal.
Terra zu retten, ist eines ... eine Negasphäre zu verhindern, ist auch nicht übel ... aber das Universum retten, das ist doch eine ganz andere Hausnummer. Eine Last, die sich nicht jeder aufbürden kann.
Gucky schon.
Zumindest im Traum, denkt Gucky, und es ist seltsam, zu wissen, dass er gerade träumt. In der Realität sieht es etwas anders aus, seit meinem Koma, seit ich meine Gaben verloren und dafür irgendwelche neuen bekommen habe. Die mögen ja auch ganz nett sein, aber es sind nicht ... meine.
Doch im Traum spielt das keine große Rolle. Im Traum kann er ganze Heerscharen von Beibooten in den Orkus lenken, während er derbe Späße mit Bully treibt. Und nebenbei das Universum rettet, wie es dem Mausbiber Gucky geziemt, dem letzten der Ilts.
Aber als er sich nach getaner Arbeit einen Möhrensaft gönnt, huscht eine Gestalt vor seinen Augen vorüber, so schnell, dass er sie gar nicht richtig erkennt. Dann – plopp! – materialisiert sie direkt vor ihm.
Es ist tatsächlich eine Sie, eine Frau. Eine Ilt. Unverkennbar. Und doch anders. Irgendwie verschwimmt sie, immer wenn er sie anschauen will. Nur wenn er neben sie blickt, kann er sie recht gut im Augenwinkel sehen, unscharf, aber zweifellos vorhanden.
Typisch Traum, eben.
»Du bist eine Mausbiberin«, sagt Gucky. Das Gefühl ist so schön, dass es wehtut.
»Lächerlich!«, sagt sie. Ihre Stimme ist herrisch und launenhaft. »Ich bin kein putziges Ding! Ich bin eine Geiststreiterin von Lajaspyanda!«
»Und ich bin der Retter des Universums, der Überall-zugleich-Töter!«, ruft Gucky mit nicht geringem Stolz.
Ihre Antwort lautet: »Pah!« Aber so völlig kühl und abweisend, wie sie sich gibt, ist sie gar nicht. Dazu schlägt ihr Puls zu unregelmäßig und aufgeregt. Gucky kann ihn hören und fühlen wie seinen eigenen, mit einer Logik, wie sie nur einem Traum gegeben ist.
Ihr Herz galoppiert: Rasch-rasch-rasch, dann ruhig ... ruhig ... ruhig, dann rasch-rasch-rasch, und Pause und rasch ... ruhig ... ruhig, und rasch und Pause, rasch ... ruhig ... rasch.
Als Gucky wieder hinsieht, ist sie verschwunden, und er fragt sich, ob sie nur ein Traum gewesen war.
Lächerlich! Natürlich war sie nur ein Traum, schließlich ...
*
... schließlich hatte er geschlafen und geträumt. Was sollte das alles also sonst gewesen sein als ein Traum?
Er lag im Bett. Das Laken war zerwühlt. »Uhrzeit«, rief er in den Halbdämmer seiner Kabine, und der Servo projizierte die Leuchtanzeige an die Decke über Gucky: 3.47 Uhr.
Er hatte also gerade einmal eine Stunde oder etwas länger geschlafen. Er schloss die Augen, kam aber nicht mehr zur Ruhe.
Stattdessen summte er, eine Melodie, die er nicht kannte. Nein, keine Melodie, eher eine Art Rhythmus.
Als er erkannte, welchen Rhythmus, ärgerte er sich über sich selbst. Ihm ging der Herzschlag einer irrealen Traumfigur nicht aus dem Sinn? So weit war es mit ihm also gekommen?
Diese elenden Flausen kamen nur daher, dass dieser Aiunkko auf AIKKAUD ihm längst verloren geglaubte Hoffnung in den Kopf gepflanzt hatte, dass irgendwo dort draußen doch noch Ilts existierten. Oder zumindest ein Volk, das den Ilts ähnelte oder von ihnen abstammte.
Er wischte die Gedanken hinweg.
Oder versuchte es.
Mit den Fingern trommelte er unbewusst auf der Matratze: Kurz-kurz-kurz und lang – lang – lang und ...
»Ups«, sagte Gucky.
Da war nicht nur der Herzschlag, der gar keiner gewesen war. Da gab es auch einen Ruf, fern und kaum wahrnehmbar, so leise, dass er ihn nur im Traum gehört hatte, weil im echten Leben jedes Geräusch und jeder bewusste Gedanke ihn übertönt hatte. Ein Pulsschlag, durchaus, aber nicht derjenige einer Traumgestalt.
Es ging gar nicht um Ilts oder Yllit, der Puls oder Ruf hatte sich nur einen Weg gesucht, um sich in Guckys Verstand zu schleichen, um in seinen Kopf zu kriechen.
Der Mausbiber stand auf und tappte durch den dunklen Raum, in dem er sich traumwandlerisch sicher zurechtfand. »Positronik! Stell eine Funkverbindung zum stellvertretenden Chefmediker her. Weck Essien Zahng auf! Sag ihm, der Retter des Universums braucht seine Unterstützung.«
Die Antwort kam, noch während sich Gucky fertig machte, um den Raum zu verlassen. »Wobei brauchst du meine Hilfe?«, fragte ein verschlafen klingender Essien Zahng per Funk.
»Beim Schlafen«, erklärte der Mausbiber. »Und beim Träumen ...«
Bitter wie die Erinnerung
Der Onryone Tullcor Stoynneri sah sich die Zerstörung der OUKEVOY nicht zum ersten Mal an, auch nicht zum zehnten oder zum hundertsten Mal. Dank seines verfluchten überexakten Gedächtnisses wusste er, dass er die Bilder zum exakt dreihundertundsiebenunddreißigsten Mal betrachtete.
Er fand auch diesmal nichts Neues.
Natürlich nicht.
Dennoch versuchte er es erneut.
Und noch einmal.
Aber die Aufnahme blieb so verschwommen und detailarm wie immer; es war eben nur das, was eines der beschädigten Beiboote noch hatte funken können, ehe es selbst zerstört worden war.
Das Onryonenschiff OUKEVOY schoss in die Höhe, ließ die würfelförmigen Gebäude der Stadt Thej Bego auf dem Planeten Vi hinter sich und jagte der blauen Sonne des Systems entgegen. Allerdings kam es nicht weit, ehe es unter Beschuss genommen wurde und explodierte. Nur ein verheerender Lichtblitz blieb, ein grelles Aufflackern, das zuckende Schatten auf die Planetenoberfläche warf. Endlich schwirrten Trümmer davon, die Aufnahme wackelte, die Bilder überschlugen sich – und nichts mehr.
»Wieso?«, fragte Xonira Warnarollu, seine Stellvertreterin an Bord des Raumvaters CUZPUYR.
»Wieso – was?«, hielt Stoynneri entgegen.
Sie schob sich zwischen ihn und das Holo. Die Ohren an ihrem Hinterkopf schienen sich in die OUKEVOY zu bohren, als sich die Aufnahme automatisch erneut aktivierte.
Eine kleine Anuupi-Gruppe schwebte träge über ihr und beleuchtete die bis auf die beiden Onryonen unbesetzte Zentrale des Raumvaters als Mini-Kunstsonne. Die biolumineszenten Kreaturen wirkten müde – ohne dass Stoynneri das an einem konkreten Merkmal festmachen konnte. Es war eher ein Gefühl. Jeder Biologe hätte ihn für diese Mutmaßung ausgelacht.
»Was versprichst du dir davon, wenn du die Aufnahme immer wieder ansiehst?«, fragte die Onryonin. »Du hast alles so oft gesehen, und dank deines fotografischen Gedächtnisses kannst du dir ohnehin jedes Detail vorstellen und dich exakt daran erinnern.«
Er spürte, wie das Emot an seiner Stirn vor Erregung leuchten wollte; er unterdrückte es, indem er seine Emotionen unter Kontrolle zwang. Ruhig. Nur ruhig.
»Selbstverständlich könnte ich das. Aber wieso sollte ich, wenn ich es ebenso mit einem einfachen Sprachbefehl projizieren kann?«
»Weil du ...« Xonira Warnarollu stockte, und sie wirkte frustriert. »Es spielt keine Rolle. Eigentlich will ich etwas ganz anderes von dir wissen. Warum bist du so besessen von diesem Vorfall auf Xi?«
»Vi«, verbesserte Stoynneri. »Der Planet heißt Vi.«
»Und wenn er Yi hieße«, sie lachte rau, »so bliebe er doch unwichtig!«
Yi ... die alt-onryonische Bezeichnung für die Mission – für das, was Stoynneris Vorfahren und mit ihnen Millionen anderer Onryonen überhaupt erst in diese Galaxis geführt hatte.
Yi ... die große kosmische Bedeutung, der Allzweck ihres Daseins.
Ein Frevel, damit schale Witze zu reißen. Aber so war sie eben, seine Stellvertreterin. Sie mochte etwas von militärischen Aktionen verstehen, sie mochte darüber hinaus die schönste Onryonin sein, die ihm je begegnet war; aber sie war auch das unsympathischste Wesen dieser Sterneninsel. Ein Ausbund an Respektlosigkeit und Garstigkeit und eine Ketzerin, fürwahr.
»Unwichtig, ja?«, fragte er.
–