Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
Leserkontaktseite
Kommentar
Glossar
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Nr. 2766
Ein Rhodan zu viel
Verschwörung an Bord der RAS TSCHUBAI – und der Angriff auf das Richterschiff
Hubert Haensel
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.
Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1517 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Milchstraße steht weitgehend unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dessen Richter behaupten, nur sie könnten den Weltenbrand aufhalten, der sonst unweigerlich die Galaxis zerstören würde.
Eine andere Galaxis wird längst von den Atopen beherrscht: Larhatoon, die Heimat der Laren, die einst selbst Usurpatoren waren und nun Unterworfene sind. Dorthin hat es Perry Rhodan verschlagen, dort sucht er Hinweise darauf, was die Atopen wirklich umtreibt und wo ihre Schwächen liegen.
Mittlerweile ist aus der Milchstraße die RAS TSCHUBAI als Unterstützung des Unsterblichen nach Larhatoon gelangt – und hat das Meisterstück fertiggebracht, den ehemaligen arkonidischen Imperator Bostich sowie Perry Rhodan aufzuspüren und an Bord zu nehmen. Doch Reginald Bull beschleicht ein seltsames Gefühl, als sei derzeit EIN RHODAN ZU VIEL ...
Reginald Bull – Perry Rhodans alter Freund zeigt sich misstrauisch.
Icho Tolot – Der Haluter berät über Perry Rhodan.
Farye Sepheroa – Perry Rhodans Enkelin lernt Perry Rhodan besser kennen.
Than-Deneec – Die Larin erkennt in Perry Rhodan einen Bekannten.
Perry Rhodan – Der Unsterbliche versucht sich mit der neuen Situation zu arrangieren.
»Das soll alles sein? Eine abseits liegende Kammer und veraltete Gerätschaften ...?«
»Seit Generationen hat niemand diesen Bereich betreten.« Takir-Hassa spürte die Enttäuschung seines Begleiters und ahnte, dass sie bald in Ärger umschlagen würde. Geduld zählte nicht zu Fem-Mokrefs Stärken.
Die Anspannung der beiden Laren war einer ersten Ernüchterung gewichen. Sie hatten einen bedeutungsvollen Fund erwartet – etwas Unbegreifliches, offenbar Unbesiegbares. Davon sprach jedenfalls die alte Tonaufzeichnung, die dem Biochemiker Fem-Mokref in einem Archiv in die Hände gefallen war.
Unbesiegbar, hatte die gespeicherte Stimme eines Unbekannten behauptet. Ebenso hatte jener Lare von einem schwer begreifbaren Wesen geredet und davon, dass diese Kreatur tot sei.
Es gab kein Speicherdatum. Auf deutlich mehr als tausend Jahre schätzte Takir-Hassa das Alter der Aufzeichnung, wenngleich er das als zweitrangig ansah.
Unbesiegbar, aber tot ... Das war für den Mediker ein Widerspruch in sich. Von Anfang an fragte er sich, was jenes Wesen dann getötet haben konnte.
Oder war der Satz anders gemeint und nur eine Metapher? Hatte jene Kreatur erst sterben müssen, um fortan als unbesiegbar zu gelten?
Takir-Hassas Zweifel waren wieder da. Außerdem erschien es ihm als hochtrabend, den kleinen Raum als Labor zu bezeichnen. Laren hatten dort bestenfalls einfache Forschungsarbeiten vorgenommen und ausgewertet.
An den Wänden waren einige standardisierte positronische Elemente aufgereiht. Ihre Formgebung unterschied sich nur wenig vom aktuellen Design.
Das war bei den offensichtlich nachgerüsteten medizinischen Geräten schon anders. Takir-Hassa identifizierte einen Zellanalysator, der keineswegs zur ursprünglichen Ausstattung der Kammer gehört haben konnte. Wer immer das wuchtige Gerät aufgebaut hatte, war dilettantisch vorgegangen und hatte schon aus Platzgründen auf sämtliche Peripherieaggregate verzichtet. Der Analysator war jedenfalls nie intern mit Energie versorgt worden, sondern über eine armdicke Kabelverbindung.
Ein Desintegratorschuss hatte das massige Kabel gekappt und ein gut zwei Handspannen messendes Stück aufgelöst. Überhaupt: Nicht nur das Kabel und der Bodenbelag in diesem Bereich wiesen entsprechende Schäden auf, sondern auch der Analysator. Einige Desintegratorschüsse waren abgegeben worden.
Hatte jemand die analysierten Zellproben auf diese Weise vernichtet?
Takir-Hassa hob den Blick. Nachdenklich schaute er den Gefährten an. Fem-Mokrefs tiefschwarzes Gesicht war schweißüberströmt. Die Luft war stickig, das wurde dem Mediker gerade erst bewusst. Es roch nach Fäulnis und Moder.
»Banale Forschungen verlegt niemand so tief unter die Oberfläche«, sagte der Biochemiker auffordernd. »Hier ist mehr, als wir uns vorstellen können ...«
*
... mehr, als wir uns vorstellen können ...
Der Gedanke verhallte nicht wie alles andere in ihr. Er hatte Bestand, schwoll an und schien nach einer Weile als vielstimmiger Ruf zu erklingen – ein Echo, das mit der Wucht eines Orkans über sie hereinbrach und ihre Lethargie aufriss.
Banale Forschungen ...
Sie wand sich im Limbus zwischen Koma und Erwachen, gequält von dem entsetzlichen Gefühl, innerlich zu verbrennen.
Etwas Unbegreifliches ...
Die Hitze wurde nahezu unerträglich. Schweißüberströmt wälzte sie sich von einer Seite auf die andere und rang nach Atem.
Dann wachte sie auf.
Erst da wurde Than-Deneec sich ihrer selbst bewusst.
Sie schaffte es nicht, einen ihrer Erinnerungsfetzen festzuhalten. Gedanken zudem, die nicht ihre eigenen waren.
Jähe Helligkeit blendete sie. Jemand stand dicht neben ihr. Than-Deneec schreckte zusammen und versteifte sich. Neue Erinnerungen quollen in ihr empor.
Sie hörte ihre Yazads toben, dazwischen fremde Stimmen Befehle rufen. Unbefugte waren in ihren Trakt eingedrungen. Dass die Yazads verstummten, machte ihr Angst. Augenblicke später kamen die Onryonen, um sie mitzunehmen. Nach Stozer.
Than-Deneec lag nun ruhig. Sie befand sich nicht länger in der Gewalt der Spitzohrigen, womöglich nicht einmal auf Volterhagen.
Eine sanfte Stimme redete auf sie ein.
Sie war zu aufgewühlt, hörte nicht einmal, ob diese Stimme Larion sprach oder ein fremdes Idiom. Ihr wurde nur bewusst, dass sie inzwischen mehrmals aus der tiefen Bewusstlosigkeit aufgewacht war – doch fehlte ihr dazu jegliches Zeitgefühl.
Die Stimme klang beruhigend. Ein großer humanoider Körper schwebte neben ihr. Wahrscheinlich ein Roboter. Auf seine gefühlvoll und überaus vorsichtig zupackenden Finger wartete Than-Deneec beinahe schon. Sie zogen ihr rechts die Augenlider auseinander.
Die jähe Helligkeit blendete. Trotzdem war sie erträglicher als beide Male zuvor.
Than-Deneec sah ein ebenmäßig helles Gesicht. Die Nase war kantig, schmal, mit nur zwei Atemlöchern. Und die Ohren erschienen ihr viel zu klein, geradezu unbedeutend. Von den rötlich gefärbten schmalen Lippen ganz zu schweigen. Wenn dieser Roboter ein Ebenbild seiner Erbauer war ... Than-Deneec brachte die Überlegung nicht zu Ende.
»Die neurologischen Werte verraten mir, dass du endlich bei Bewusstsein bist«, sagte eine andere, nicht weniger markante Stimme. Mühsam wandte sie den Kopf, konnte den Sprecher aber nicht sehen. Wahrscheinlich stand er hinter ihr.
Egal – er sprach Larion, wenn auch mit einer holprigen Ausdrucksweise. Antiquiert, ging es ihr durch den Sinn.
»Wir haben dich aus der Gewalt der Onryonen befreit. Du bist in Sicherheit.«
»Und wo ... bin ... ich?« Es fiel ihr schwer, sich zu artikulieren. Ihre Zunge klebte wie ein Fremdkörper am Gaumen.
»Bitte, bleib ruhig, Than-Deneec!« Der Sprecher trat in ihr Blickfeld. »Der Medoroboter hat dir vor wenigen Minuten die letzte von mehreren aufbauenden Injektionen gegeben. Keine Sorge, wir kennen den larischen Organismus.«
Tief atmete sie durch und schloss vorübergehend die Augen. Obwohl die Hitze nachließ, fühlte sie sich matt und ausgelaugt.
»Falls du Ruhe haben möchtest ...«
Das klang angenehm. Aber es lief ihrer erwachenden Neugierde zuwider. Ihr fehlten Stunden, wahrscheinlich Tage, an die sie keinerlei Erinnerung hatte.
»Die Onryonen ...?«
»Sie wollten alles über dich herausfinden«, sagte der Fremde. »Vor allem über das fremde Genom.«
Mit einer knappen Handbewegung schickte er den Roboter weg und ließ sich neben ihr in die Hocke nieder, die Ellbogen auf der Bettkante und das Kinn auf die übereinandergelegten Hände gestützt. Er schaute sie aufmerksam an. Ihre Gesichter befanden sich fast auf der gleichen Höhe. Than-Deneec war dem Mann dankbar dafür, dass sie nicht zu ihm aufsehen musste.
Auch wenn sie keine Ahnung hatte, wer er war, fand sie ihn sympathisch. Seine Augen lachten ihr entgegen. Außerdem glaubte sie, so etwas wie Mitgefühl in seinem Blick zu erkennen. Und sein stachliges, rot schimmerndes Haar hatte durchaus etwas Larisches.
»Woher ...?«, fing sie schwerfällig an.
»Ich weiß es von Perry Rhodan.« Er stutzte, fasste sich mit zwei Fingern an die kantige Nase und rieb daran. »Entschuldige«, sagte er. »Ich habe mich gar nicht vorgestellt. Ich bin Reginald Bull.«
Sie verzog die Mundwinkel.
»Mein Name sagt dir nichts?«, redete der Mann weiter, ohne innezuhalten. »Der von Perry Rhodan ebenso wenig. Aber du erinnerst dich an den Shetorner Da-Zoltral?«
»Ja ... Natürlich ...«, antwortete Than-Deneec nach einer Weile, als Reginald Bull hartnäckig schwieg.
»Da-Zoltral war die Maske, unter der Perry Rhodan in Larhatoon auftrat. Wir sind Terraner. Unsere Heimat leidet wie Larhatoon unter dem Atopischen Tribunal und den Onryonen. Wie fühlst du dich, Than-Deneec?«
Die Frage verwirrte sie ein wenig, deshalb reagierte sie mit einer unschlüssigen Geste.
»Terraner«, murmelte sie und lauschte der eigenen Stimme, die ihr nicht mehr ganz so unsicher und kratzig vorkam. Die Bezeichnung hatte sie irgendwann schon gehört oder gelesen, nur entsann sie sich nicht, in welchem Zusammenhang.
Terraner.
Tief in ihr schien sich etwas dagegen zu sperren.
»Der Hetork Tesser!«, stieß sie gleich darauf hervor. Ihren hastigen Versuch, sich auf den Unterarmen hochzustemmen, verhinderte Reginald Bull.
»Keine Sorge, du bist in Sicherheit!«, wiederholte er. »Und wenn du mir zuhörst, wirst du bald das Wichtigste wissen.«
*
Seit er an Bord der RAS TSCHUBAI gekommen war, beherrschte Langeweile seinen Tagesablauf. Perry Rhodan ärgerte sich darüber, vor allem fühlte er sich abgeschoben. Der Einsatz auf Volterhagen war nur ein Zwischenspiel gewesen, eine kurze Abwechslung in der ihm aufgezwungenen Monotonie.
Rhodan wartete in seinem Quartier. Er saß im Sessel, hatte die Rückenlehne leicht nach hinten geneigt und die Unterarme seitlich aufgelegt. Eine bequeme, fast zeitlose Position, fand er. Passend zum schläfrig machenden matten Grau der ausgeschalteten Bildwand. Bislang hoffte er vergeblich darauf, dass einer der Freunde sich meldete. Nicht einmal Farye dachte momentan daran, sich nach dem Befinden ihres Großvaters zu erkundigen.
Farye Sepheroa ... Er hatte lange nichts von seiner Enkelin gewusst und wohl schon deshalb angenommen, dass sie ihm freudestrahlend um den Hals fallen würde. Doch das war die Hoffnung eines alten Mannes gewesen, mehr nicht. Farye hatte ihre Blutsverwandtschaft zunächst sehr nüchtern und sachlich aufgenommen. Wenn er darüber nachdachte, kam er zu dem Schluss, dass sie den Namen Rhodan in ihrem Stammbaum sogar als Handicap empfunden haben musste.
Wie auch immer, es war ihr unangenehm gewesen.
Ruckartig richtete er sich auf. Für kurze Zeit saß er steif da und konzentrierte sich auf die Impulse des Aktivatorchips unter dem linken Schlüsselbein.
Er spürte nichts.
Und wenn schon.
Die eigene Gleichgültigkeit erschreckte ihn. Allerdings wurde sie ihm erst bewusst, als er die Narbe an seinem Nasenflügel massierte – eine Reaktion, die er wohl nie loswurde.
Er nahm die unterbrochenen Gedanken wieder auf. Sein Verhältnis zu Farye war mittlerweile sehr viel besser. Sie hatten sich gewissermaßen nachträglich angefreundet, wenngleich seine Enkelin bis zur letzten Sekunde gebraucht hatte, bis zu seiner Verurteilung durch das Atopische Tribunal.
Rhodan stemmte sich aus dem Sessel hoch. Er hasste es, untätig herumzusitzen. Im Quartier auf und ab zu laufen wie ein gefangenes Tier, behagte ihm aber noch weniger. Er tat es trotzdem, obwohl er dabei unweigerlich an den Schuldmeister Tontosd dachte. Neun Schritte vor, Kehrtwendung, neun Schritte zurück. Auf den Boden. Fünf Kniebeugen. Neun Schritte vor ...
Wenigstens der Einsatz auf Volterhagen war ein Lichtblick gewesen. Bully war gar keine andere Wahl geblieben, als ihm diese Mission anzuvertrauen, alles andere wäre unlogisch gewesen. Sicher, der Dicke hatte nicht immer logisch gehandelt, vor allem in der Frühzeit des Solaren Imperiums nicht ...
Rhodan hielt in seiner Wanderung inne. Kurz zögerte er, dann öffnete er das Wandfach, griff nach einem Glas und dem synthetischen Whiskey und schenkte sich ein.
Wann hatte er den letzten Whiskey getrunken? Auf dem Gefängnisplaneten Bootasha? Nein. Was immer ihm dort zur Verfügung gestanden hatte, angefangen mit Campbell-Dosensuppen über Kellog's Cornflakes bis hin zu den Schokoladenriegeln aus seiner Jugend, Whiskey hatten ihm die Atopen nicht gegönnt.
Und wenn schon, er hatte die 500 Jahre in ihrem Verlies auch nicht abgesessen.
Rhodan hob das Glas und drehte es leicht im Handgelenk. Auf Wasser verzichtete er, weil der Tropfen nur synthetisch war. Einen richtig gebrannten alten Whiskey hätte er anders genossen.
»Auf dich, Bully! Obwohl du mich behandelst, als hätte ich einen Vormund nötig.«
Der Freund machte sich jedenfalls erneut rar. Rhodan ertappte sich dabei, dass er auf die leere Bildwand starrte. Verlangte er Unmögliches, wenn er wenigstens ein freundliches Wort erwartete? Hatte überhaupt jemand seinen Einsatz auf Volterhagen gewürdigt? Bislang nicht.
Als wäre ich ein Aussätziger, den alle dulden müssen, obwohl sie ihn eigentlich nicht in der Nähe haben wollen.
Nie hätte er geglaubt, dass ihn eines Tages solche Gedanken quälen würden. Rhodan überlegte, ob die Schuld dafür bei ihm lag. Was hatte er getan, das offensichtlich falsch gewesen sein musste? Oder was hatte er unterlassen und damit die Freunde gegen sich aufgebracht?
»Was ist los, Bully?«, rief er der leeren Bildwand entgegen. »Früher konnten wir immer über alles reden.«
Nun ja, fast immer. Als die Strahlung der Sonne Medaillon die Menschen verändert und ihnen die Aphilie gebracht hatte, war Reden keine Lösung gewesen. Bully hatte eiskalt reagiert und seine besten Freunde von der Erde verbannt. Auch damals hatte alles mit den Laren begonnen. Eine zufällige Ähnlichkeit der Ereignisse? Das Schicksal wiederholte sich nicht. Oder doch?
Er stellte das leere Glas und die Flasche ins Wandfach zurück. Um das benützte Glas würde sich ein Servoroboter kümmern.
Dann nahm er seine unterbrochene Wanderung durch den Wohnraum wieder auf.
Neun Schritte vor. Kehrtwendung. Neun Schritte zurück ...
Er stutzte. War ihm diese Bewegung so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass er gar nicht mehr anders konnte?
Kehrtwendung. Neun Schritte vor ...
Mit beiden Händen griff er nach der Rückenlehne des Sessels und vergrub die Finger in der Polsterung. Wann hatte er jemals die Gleichgültigkeit anderer mit Lethargie beantwortet? Es wurde Zeit, dass er die Initiative übernahm.
»Interkomverbindung zu Reginald Bull herstellen!«, sagte Rhodan.
Er nahm an, dass er den Einsatzleiter der RAS-TSCHUBAI-Mission in der Hauptzentrale erreichte. Entweder Jawna Togoya oder ihr Stellvertreter Oberstleutnant Kakulkan würden ebenfalls dort sein. Falls Bully störrisch blieb wie ein altes Muli, würde er mit Jawna reden. Er hatte die Posbi-Frau beobachtet. Emotionen faszinierten sie. Jawna nahm alle Regungen in sich auf. Nicht, um menschlicher zu wirken – sie wollte menschlicher sein. Rhodan kaute auf seiner Unterlippe.
»Reginald Bull ist nicht erreichbar«, meldete der Servo.
Die Automatik hatte lange für diese Feststellung gebraucht. Einige Sekunden zu lange, fand Rhodan. Sein Verdacht, dass Bully ihn bewusst ignorierte, bekam neue Nahrung.
»Hat der Expeditionsleiter das Gespräch verweigert?«
»Nein.«
»Genauer!«, drängte Rhodan. »Wo hält er sich ...?«
»Ich bin nicht befugt, über den Aufenthalt des Expeditionsleiters Auskunft zu geben.«
»Aber du kannst mir sagen, ob Reginald Bull gerade an einer Besprechung teilnimmt.«
»Bull hat über Multikom jeglichen Kontakt gesperrt.«
Unwillig verzog Rhodan die Mundwinkel. Eine Vielzahl von Personen, mit denen er reden musste, stand auf seiner gedanklichen Liste. »Gib mir Jawna Togoya!«, entschied er spontan.
Augenblicke später wusste er, dass auch die Kommandantin nicht erreichbar war. Ob er wollte oder nicht, er wurde den Verdacht nicht los, dass es sich um eine Schutzbehauptung handelte.
Gucky!, dachte er intensiv. Ich nehme an, Kleiner, dass du mich hören kannst. Oder spionierst du nicht mehr? Egal. Ich möchte dich sehen und mit dir reden.
Rhodan wartete. Früher wäre der Ilt innerhalb weniger Sekunden in der Kabine materialisiert, mit einem frechen Grinsen im Gesicht und der Bemerkung, er habe den Gedanken rein zufällig aufgefangen.
Die Fähigkeit zu teleportieren hatte der Mausbiber verloren.
Wie lange brauchte Gucky, um im schlimmsten Fall vom entferntesten Sektor der RAS TSCHUBAI zu ihm zu gelangen?
Rhodan stieß sich vom Sessel ab.
Eine Kehrtwende. Neun Schritte vorwärts. Ein kurzes Zögern, dann wieder umdrehen. Neun Schritte zurück ...
Erwartungsvoll schaute er zur Tür.
Die RAS TSCHUBAI hatte annähernd 35.000 Besatzungsmitglieder an Bord – aber Rhodan fühlte sich einsam.
*
»Lass sehen, was da ist!«, drängte der Mediker. »Mach wenigstens etwas Platz, damit ich mich an dir vorbeizwängen kann!«
Fem-Mokref reagierte nicht. Er atmete nur heftiger. Als der Biochemiker sich gleich darauf würgend vornüber krümmte, packte Takir-Hassa zu und zerrte den Gefährten schroff zur Seite. Fem-Mokref übergab sich.
Sie hatten einige Zeit gebraucht, bis sie fündig geworden waren. Es gab in der Kammer eine schmale Nische, und die Wand am Ende dieser Nische war eben vor ihnen zur Seite gewichen.
Ein beklemmender Geruch breitete sich aus. Der Mediker glaubte, einen starken Hauch von Fäulnis wahrzunehmen. Sogar er schluckte krampfhaft, um seine rebellierenden Magennerven zu beruhigen.
Vor ihm stand eine Konservierungseinheit mittlerer Größe. Diese standardisierten Boxen wurden seit Jahrhunderten vorwiegend in noch unerschlossenen Siedlungsbereichen eingesetzt. Sie arbeiteten mit einem kleinen internen Energiespeicher und galten als zuverlässig. Takir-Hassa war kein Fall bekannt, dass ein konserviertes Objekt trotzdem Schaden genommen hätte.
Hinter ihm verschaffte Fem-Mokref seinem Magen zum zweiten Mal Erleichterung. Takir-Hassa ignorierte den peinlichen Vorfall. Er verstand, dass dem Biochemiker der Gestank und der Anblick des blutigen Fundes zu schaffen machten. Er selbst kam damit bedeutend besser zurecht.
Das Wesen in der womöglich unregelmäßig arbeitenden Konservierungseinheit reichte ihm knapp bis zu den Rippen. Takir-Hassa hatte nie zuvor eine solche Gestalt gesehen.
Der Körper war mehrfach fixiert, andernfalls wäre er längst in sich zusammengesunken. Die Halterungen erweckten den Eindruck, als hätte jemand ein seltenes Insekt für seine Sammlung aufgespießt.
Ein Tier? Ein intelligentes Wesen? Takir-Hassa war nur bewusst, dass es sich um kein ihm bekanntes Geschöpf handelte.
Der halbkugelförmige haarlose Schädel saß übergangslos auf den breiten Schultern auf. Die Kopfhaut schimmerte fleckig grau, sie schien ursprünglich tiefschwarz gewesen zu sein. Falls es sich um Haut handelte und nicht um ein unzerreißbares Kunstmaterial, das sich in großflächigen, teils verbrannt wirkenden Fladen abgelöst hatte. Unter dieser Haut lag blutiges Fleisch.
Hart wie Stein, stellte Takir-Hassa fest, als er interessiert zugriff. An anderen Stellen war das Gewebe zwar weicher, aber trotzdem sehr druckfest. Von Verwesung konnte nur marginal die Rede sein. Der intensive Geruch schien von dem massigen Körper an sich auszugehen, womöglich von den deutlich erkennbaren Spuren mehrerer Strahlschüsse.
Takir-Hassa fröstelte beim Anblick des leicht geöffneten Rachens. Die vertrockneten Lippen ließen ein Raubtiergebiss erkennen. Was die spitzen Reißzähne einmal gepackt hatten, hatten sie bestimmt nicht wieder freigegeben.
Das Fremdartigste an diesem Wesen waren die großen runden Augen. Zwei saßen weit außen, ein drittes mittig und sehr hoch auf der Schädelkuppe. Dieses obere Auge war zudem aus der Höhle hervorgerutscht; es hing an einem kurzen Muskelstrang, war offenbar sehr beweglich gewesen.