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Nicole C. Karafyllis
Putzen als Passion

Nicole Christine Karafyllis (geb. 1970) studierte Biologie und Philosophie und ist Professorin für Philosophie an der Technischen Universität Braunschweig. Ihre Schwerpunkte sind Wissenschafts- und Technikphilosophie. Sie veröffentlichte zahlreiche Bücher und Aufsätze.

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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Inhalt

I.Putzen als Passion

Warum selber putzen? Ideologiekritik mit einem Wisch
Die Putzfrau als Ausrede
Schmutz wohlwollend betrachtet
Warum überhaupt putzen?
Was Sie tun können, wenn Sie wirklich gerne putzen (oder wenn nicht)
Für Einsteiger: Die Grundausstattung

II.Philosophische Problemstellungen

Das Universalismusproblem: Es ist nie alles sauber oder Schmutzen als Menschenrecht
Das Reduktionismusproblem: Schmierseife oder Essig?
Das Individualismusproblem: Ich mische mir mein Putzmittel selbst!
Das Partikularismusproblem: Erst mal mit einem Zimmer anfangen
Das Interdependenzproblem: Wo gibt es überall Fliesen in der Wohnung?
Der infinite Regress: Das Putzen der Putzgeräte (Meta-Putzen)

III.Putztypen und ihre Nebeneffekte

Der Hygieniker: Keimfreiheit als problematisches Ziel
Der Ästhet: Nur die Oberflächen müssen glänzen
Der Funktionalist: Geputzt wird, was gebraucht wird
Der Psychoanalytiker: Der verborgene Schmutz muss ans Tageslicht

IV.Die Utopie: Nie wieder putzen!

Index

Für Melitta, Kuno und den Philosophen, der in P. die Kinder in Piraterie unterrichtet

I.
Putzen als Passion

Warum selber putzen? Ideologiekritik mit einem Wisch

Ja, ich putze selber. Und ich putze gerne. Nicht immer, aber wenn es an der Zeit ist. Damit meine ich nicht, dass es dann an der Zeit ist, wenn es schmutzig ist. Sondern das Putzen ist dann an der Zeit, wenn ich denke, dass die Tätigkeit des Putzens mir persönlich etwas bringt: Entspannung, Sortierung meiner Gedanken, Klarheit, Kontemplation, Fitnesserhöhung, Erbauung. Selber zu putzen ist Teil der Selbstbestimmung und gehört zu meiner ganz persönlichen Lebensweise. Deshalb ist das Putzen meiner Wohnung auch nicht delegierbar. Seit Jahren muss ich mich aber gegenüber Freund(inn)en und Kolleg(inn)en dafür rechtfertigen, dass ich gerne selber putzen und keine Putzfrau beschäftigen möchte. Dabei bewundere ich gute Putzfrauen und -männer. Und so entstand die Idee zu diesem Buch, das gleich mit einem Bekenntnis eröffnet.

Dass ich gerne putze ist die Wahrheit, worunter ich als Philosophin eine gerechtfertigte Meinung verstehe. Ich bekenne mich hiermit öffentlich dazu, selber putzen zu wollen und zu können. Und ich bestreite, dass jede(r) putzen kann. Theoretisch vielleicht schon, aber praktisch erlangen die wenigsten Leute derartige Kenntnisse, dass man bei ihren Putzversuchen von einer »Fertigkeit« sprechen könnte. Oder sie verbergen es geschickt, damit jemand anderes putzt. Dabei haben sie immer weniger die Wahl. Fast alles muss geputzt werden und das wird immer schwieriger. Putzen gehört zwingend zum Konsum. Eine Konsumgesellschaft ist de facto eine Putzgesellschaft, worüber Gesellschaftstheoretiker bislang geschwiegen haben. Wenn Sie ein neu gekauftes Artefakt auspacken, finden Sie heutzutage der Bedienungsanleitung eine mehrseitige ›Pflegeanleitung‹ beigelegt, damit Sie das Ding auch richtig putzen. Wenn der Schmutz haftet, haftet niemand mehr für die Produktgarantie. Die Vernachlässigung des Putzens hat Gründe, die es zu entstauben gilt. Mangelnde Zeit ist ein häufig genannter Grund, aber bei weitem nicht so wichtig, wie er scheint. Wichtiger ist die Vielzahl an Mitteln und Materialien, die beim Putzen zum Einsatz kommen und über die man sich informieren müsste, bevor man putzt. Das tun die wenigsten. Putzen ist mittlerweile alles Andere als eine unterfordernde, wenngleich immer noch eine wenig anerkannte Tätigkeit, mit der viele Menschen ihre Zeit verbringen. Aber diejenigen, die sich gerne selbst verwirklichen möchten, können dies mit dem Putzen offenbar nicht tun. Die Do it yourself-Bewegung ignoriert das Putzen konsequent, anders als das Kochen, Stricken, Heimwerken etc. Das Saubermachen hat scheinbar nichts Individuelles und hinterlässt vor allem nichts Besonderes. Deshalb ist der wichtigste Grund, der gegen das individuelle Putzen spricht, die Sinnlosigkeit, die allenthalben über das Putzen verbreitet wird; obwohl jede(r) es doch gerne sauber hat – zumindest, wenn Gäste kommen.

Sie könnten sich durch Ihre Ablehnungshaltung dem Putzen gegenüber in eine tiefe psychische Krise manövrieren. Beginnen wir deshalb mit einem kleinen Test. Beantworten Sie dazu bitte gedanklich folgende Fragen jeweils mit Ja oder Nein:

1.Ich überlege häufiger, morgens im Hallenbad schwimmen zu gehen, damit ich dort duschen kann und nicht mit dem Glasabzieher meine Duschkabine vor Kalkflecken schützen muss. Ich rede mir aber ein, ich gehe wegen der Fitnesserhöhung schwimmen!

2.Ich werfe die Hälfte aller Dinge, die ich von Freunden zum Geburtstag bekommen habe, weg, weil es sich in meinen Augen um Staubfänger handelt.

3.Ich habe meinen Hund ins Tierheim gegeben, weil er so haart. Ich sage mir aber, es ist das Beste für ihn, weil ich so wenig Zeit für ihn habe.

4.Bekannte, die Kinder im Alter unter 10 Jahren haben, lade ich nicht zu mir nach Hause ein. Eigentlich lade ich sowieso immer weniger Leute zu mir ein.

5.Ich wünsche mir nichts sehnlicher als eine Putzfrau, kann mir aber finanziell keine leisten. Gegenüber anderen behaupte ich, aus gesellschaftspolitischen Gründen niemanden beschäftigen zu wollen, der meinen Dreck wegmacht.

6.Ich gönne mir manchmal Kurzurlaube in Hotels, weil ich da bedient werde und jemand anderes putzt. Gleichzeitig habe ich Angst davor, dass es dort nicht richtig sauber ist.

Wenn Sie mindestens einmal innerlich JA gesagt haben, sollten Sie womöglich dieses Buch lesen, denn Sie haben bereits begonnen, sich – nicht nur – vom Putzen beherrschen zu lassen. Wenn nicht, können Sie es trotzdem lesen und sich darin bestätigt fühlen, dass es Sinn macht, gerne oder zumindest bewusst zu putzen. Es bleibt einem auch nicht viel anderes übrig.

Philosoph(inn)en haben mit Putzenden viel gemein: Sie ordnen und sortieren erst, betrachten dann alles von allen Seiten und bearbeiten es, um die Lage dadurch komplizierter zu machen, als sie vorher war. Manchmal betrachten und bearbeiten sie etwas auch erst und sortieren dann. Wer wirklich putzt, räumt immer auch auf und wirft etwas weg, der Putzende den vollen Staubsaugerbeutel, der Philosophierende die Vorurteile (manchmal ist der Mülleimer aber schon voll). Trotzdem ist es nicht das Ziel, Ordnung zu schaffen, das den Putzenden wie den Philosophen antreibt. Das wäre ja langweilig. Ein gemeinsames Ziel ist vielmehr die Klarheit über das vorliegende Problem, nicht etwa der Durchblick bzw. die Transparenz. Vorbild für die gedankliche Reflexion ist also der geputzte Spiegel und nicht das saubere Fenster. Durch das kann man nur sehen, was die anderen von Gegenüber machen. In der Klarheit sieht man hingegen Dinge und deren Aspekte, die man vorher nicht gesehen hat und gelangt zu einer höheren Einsicht. Beim Putzen wie Philosophieren geht es erstens darum, dem schönen Schein der Oberfläche auf den tieferen Grund zu gehen. Zweitens gilt es zu lernen, dass eine angebliche Lösung für ein Problem nicht bedeutet, dass das Problem weg ist, sondern, dass es genügend hoch verdünnt (»gelöst«) und damit vorerst unsichtbar ist. Wer das versteht, weiß, dass Reinheit eine Illusion bleiben muss, Sauberkeit aber wirklich werden kann. Zumindest zeitweise.

Es braucht Kenntnisse, um zu Erkenntnissen zu gelangen. Das Wichtigste beim Putzen sind Kenntnisse über den Schmutz und den Untergrund, auf dem er haftet, das Material. Daraus, d. h. dem Zweck der Reinigung eines spezifischen Materials, erschließen sich die Mittel, wie man den Schmutz entfernt. So entstanden moderne, industriell genutzte Spezialreiniger wie Kunststoffreiniger und Edelstahlreiniger, die auch in kleinen Gebinden für den Haushalt angeboten werden. Sie sind ein Kennzeichen der Alltagsindustrialisierung. Der Name des Reinigers und das Etikett geben – wenn sie gelesen werden – Hinweise zum Verwendungszweck. Denn Putzen ist eine Kulturtechnik wie Schreiben und Kochen. Ihre Besonderheit liegt darin, dass sich die Putzenden stets mit einfachsten Mitteln und Werkzeugen begnügten und die Vorliebe für Einfachheit hat sich in den Mentalitäten bis heute gehalten. Paradigmatisch stehen dafür Eimer, Seife und Lappen.

Erste Spannungen deuten sich an. Denn die zur industriellen umgekehrte Herangehensweise ist die traditionelle des Privathaushalts, die das Putzmittel als Hausmittel sieht, dessen Name über Generationen so laut weiter geflüstert wurde, bis das Raunen auch im virtuellen Raum wiederhallt (z. B. unter www.fragmutti.de). Hier werden vom Mittel aus die Zwecke erst erschlossen. Das Problem formuliert sich dann etwa so: »Ich habe Essigessenz, was bekomme ich damit alles sauber?« Das ist nicht ganz ungefährlich. Vielen weit verbreiteten Putztipps sollte man misstrauen, etwa dass man Rotweinflecken am besten mit WC-Reiniger aus dem Teppich bekommt. Es bleibt dennoch richtig, dass man braune Ablagerungen in Teetassen gut mit Zitronensäure entfernen kann. Aber um Flecken soll es hier nicht gehen, denn es interessieren nicht vereinzelte Verschmutzungen, sondern der Schmutz an und für sich und wie man ihm begegnen kann.

Die Mittel sind nicht immer nur flüssig in Flaschen zuhanden, sondern schmutzlösende Mittel können ihrerseits durch Maschinen im Haushalt vermittelt werden, was nicht selten dazu führt, dass die Maschine von einfallsreichen Personen zweckentfremdet wird. Dann entfaltet sich das Problem in zwei Hauptfragen: »Ich habe einen Kärcher Hochdruckreiniger, was kann ich damit alles kärchern?« oder »Was kann man alles in die Geschirrspülmaschine packen?« Das Universalismusproblem und das Reduktionismusproblem (s. Kap. II) durchziehen das Putzen wie keine andere Kulturtechnik, so als würde man behaupten, mit einem Schraubenzieher jedes handwerkliche Problem lösen zu können. Für die Natur des Schmutzes interessiert man sich heutzutage nicht, deshalb fällt er auch besonders häufig an. Das ist symptomatisch und u. a. deshalb habe ich dieses Büchlein geschrieben. Schmutz ist nichts Heiliges, zu dem man Abstand zu halten hat. Man sollte ihn von seinem modernen Podest herunterholen. Deshalb gilt die alte Regel: Putze immer von oben nach unten! Podeste werden auch mal schmutzig und müssen gewischt werden. Danach können sie wenigstens Scheinheiligkeit fundieren.

Denn eines ist offenkundig: Moderne Gesellschaften versuchen systematisch und mit einiger Unterstützung der Putzmittelindustrie, einen vom wirklichen Putzen – und wirklich heißt: mit der Hand – abzuhalten, fordern aber ständige Sauberkeit und Hygiene ein. Das ist eine klassische double-bind-Situation (»Mache sauber, aber ich zeige Dir nicht wie es geht und wenn Du es trotzdem machst, schätze ich es gering.«). Sie wird dadurch verstärkt, dass man im öffentlichen Raum kaum mehr Menschen putzen sieht. Putzen ist real, aber nicht wirklich. Putzkolonnen arbeiten morgens sehr früh oder abends sehr spät, man sieht sie meist nicht arbeiten. Man sieht, dass sie da waren, man findet sein Büro bei Arbeitsbeginn wenn auch meist nicht sauber, dann doch wenigstens sauberer vor. Putzen artikuliert sich zunehmend im Modus der Vergangenheit und der Zukunft, aber nicht in dem der Gegenwart – völlig anders als der Schmutz, der immer da zu sein scheint.

Problematisch ist ferner, dass auf der Ebene der Maschinen die Alltagsindustrialisierung des Putzens wenig fortgeschritten ist. Die Innovationen bei den Putzmaschinen für den Haushalt haben sich in den letzten Jahrzehnten in Grenzen gehalten, im Vergleich etwa zu den Innovationen in der Küchentechnik. Sie beschränken sich im Wesentlichen auf Waschmaschine, Geschirrspülmaschine, Staubsauger. Besen und Kehrblech sind aber durch den Staubsauger nicht überflüssig geworden. Schuhputzmaschinen, bekannt aus Hotels, gibt es zwar mittlerweile für den Privathaushalt, aber sie putzen vor allem die hinteren Teile der Schuhe lange nicht so gut wie die Hand es kann. Außerdem helfen sie nicht bei Wildlederschuhen oder Sandalen. Auch die kleinen runden Staubsaugroboter, die jüngst für circa 200 Euro im Handel angeboten werden, sind bezüglich ihrer Effektivität unvollkommen. Strenggenommen sind sie, weil sie meist keinen Staubsaugerbeutel haben, Krümelauffangkisten. Gewisse Fortschritte gibt es bei Fensterputzmaschinen, aber die lohnen sich für den Privathaushalt kaum. Das alles ist eigentlich ein Grund zum Wahnsinnigwerden. Aber auch ein Grund zu erkennen, wie komplex die Aufgabe des Putzens ist.

Im Jahr 1988 interviewte Nicole Yorkin von der Los Angeles Times dreißig Futurologen zu der Frage, wie die Welt in 25 Jahren aussehen würde. 2013 zieht Paul Owen vom britischen The Guardian Bilanz: Eingetroffen sei zwar u. a. die Materialisierung von Satellitennavigationssystemen und auch das Internet wurde Wirklichkeit, aber maßlos überschätzt habe man 1988 die Entwicklungen der Robotik für den Privatbereich. Denn die Futurologen sahen für 2013 Haushalte voraus, die mit mehreren Convenience-Robotern ausgestattet sind und autonom kochen, putzen, waschen und die Wäsche sogar falten können. Scheinbar so einfach und in Wirklichkeit doch so schwer – das ist die technische Sachlage. Womöglich waren andere Aufgaben für Roboter aber auch dringlicher finanziell zu fördern, z. B. militärische. Haben sich die damaligen Futurologen etwa vom Ablenkungsdiskurs leiten lassen, dass die Entwicklung von Haushalts- und Pflegerobotern Hauptziele der Robotik seien? Offenbar ging und geht es nicht wirklich um die Entlastung von Frauen im Bereich der reproduktiven Arbeit, sondern um die Aufrüstung von Männern und Produktionsstandorten. Nach dem Krieg räumten bislang vorwiegend die Frauen auf.

Bei der Entwicklung der sogenannten maid robots (Hausmädchen-Roboter) ist man aber ein gutes Stück weiter gekommen, wie der 2010 vom Korean Institute of Science and Technology entwickelte Roboter Mahru-Z zeigt. Aktuell konzentriert man sich noch nicht auf die schwierigere Aufgabe des Putzens, sondern erst einmal aufs Aufräumen. Denn zunächst gilt es die technische Problematik zu lösen, wie ein Roboter einen dreidimensionalen Raum überhaupt als solchen kognitiv erkennt. Dann muss er verschiedene Objekte im Raum erkennen, die nicht am richtigen Platz stehen – er muss also ein Konzept für Ordnung haben. Dies funktioniert dank der Fortschritte bei der Entwicklung von Droid-Robotern im militärischen Bereich. Hat der Roboter nun erkannt, was fehl am Platz ist, muss er dorthin laufen oder fahren, dasjenige aufheben und dann an den richtigen Ort bringen. Philosophisch bedeutet dies, der Roboter muss fähig werden, Kategorien zu bilden und Dinge nach Ähnlichkeit zu sortieren, z. B. ein auf dem Boden liegendes Buch als Buch zu erkennen, aufzuheben und in das Bücherregal zu stellen; wohin in der Bücherreihe, ist ein später zu lösendes Problem, man hat eher nicht an einen Philosophenhaushalt gedacht. Wer also nicht mehr selbst, sondern in Zukunft einen Roboter aufräumen und putzen lassen will, muss sich darauf einstellen, dass er bzw. sie die Wohnung nach Roboterkriterien einzurichten hat, und das bedeutet eine weitgehende Standardisierung der Wohnwelt. Denn um Ordnung schaffen zu können, müssen die Ordnungsstrukturen extern vorgegeben sein. Bei Büchern gelingt das Aufräumen dem Roboter-Prototypen mittlerweile halbwegs, aber bei schmutzigen Gläsern auf dem Tisch wird es schon schwieriger. Der Roboter vermag das Glas zu greifen, aber nicht unbedingt auf sanfte Weise wieder abzustellen, so dass es auch intakt bleibt. Noch schwieriger wird es bei Bierflaschen auf dem Couchtisch, denn Roboter können bislang schlecht erkennen, ob die Bierflasche etwa noch halb voll ist.

Oder halb leer. Die Lage ist ein Grund zur Demotivation, denn die hohen Ansprüche an Sauberkeit und Hygiene können bis heute nur mit einfachsten Mitteln erfüllt werden und das kostet Zeit. Hinzu kommt ein pädagogisches Problem, das sich moralisch bemerkbar machen kann: das der mangelnden Gratifikation und Rückkopplung. Weil jeder überall Sauberkeit erwartet, wissen Sie als Putzender nie, ob die Qualität Ihrer Arbeit wirklich anerkannt wird oder nur auf dem Toleranzverhalten des Gegenübers beruht. Man sagt eben nicht: »Hier ist es heute aber schön sauber!«, weil das impliziert, dass es anderswo oder neulich nicht so sauber war, was aber zu erwarten gewesen wäre. Das Nicht-zur-Sprache-Bringen des Schmutzes und seiner Beseitigung hat eine demoralisierende Komponente. Viele Leute können erzielte Sauberkeit nicht anerkennen, weil sie nicht wissen wollen, dass es Schmutz gibt. Zu »dem Schmutz« gibt es auch keinen Gegenbegriff; vieles wäre anders, wenn es als Substantiv »den Sauber« geben würde, der wäre dann wenigstens nominell fassbar. Sauberkeit zeigt sich also in einer Abwesenheit und das ist verdammt wenig. Wäre es nicht wunderbar, sagen zu können: »In meiner Duschkabine sitzt heute wieder der Sauber?«

Man könnte bereits hier philosophieren, ob der Schmutz überhaupt etwas Abgrenzbares ist, wie ein Schmutzfleck, oder eher eine nicht begrenzbare Atmosphäre der Unsauberkeit, die durch das Zusammenspiel von Seh- und Geruchssinn entsteht und deshalb auch getäuscht werden kann. Oder ist der Schmutz nur ein Konstrukt und es gibt ihn gar nicht? Wer das behauptet, hat das Gesetz der Entropie nicht verstanden und kennt auch seinen Körper nicht. Außerdem stammt einiges an Schmutz im Badezimmer von Körperreinigungs- und -pflegemitteln. Aber es ist in der Tat fraglich, was überhaupt als Schmutz gelten kann. Ist Hausstaub z. B. Schmutz? Ich würde sagen »Nein«, aber er kann zu Schmutz werden. Wer das versteht, versteht auch Hegels Philosophie, die das Werden noch vor dem Da-Sein ansetzt. Schmutz wird traditionell dadurch gekennzeichnet, dass er haftet oder klebt. Deshalb braucht Schmutz immer einen Untergrund oder ein Gewebe, an oder in dem er haften kann; also etwa Staub in einem Fettfilm auf einem Schrank wie die sogenannte Küchenschmiere. Dann ist der Schmutz wirklich Schmutz und nur mit Wischen, Schrubben, Scheuern und Rubbeln zu entfernen. Erst dann macht Putzen auch richtig Spaß. Putzen bedeutet, etwas zu lösen. Staubwischen markiert also eine definitorische Grenze des Putzens. Leute, die Staubwischen, putzen zwar im eigentlichen Sinne nicht, aber sie tun präventiv etwas dagegen, dass sich Schmutz in der Wohnung bildet. Das ist schon mal was!

Weil Schmutz nicht zählbar ist, ist er auch nicht teilbar. Das Wort »Schmutzpartikel« führt in die Irre. Ein Partikel von was genau soll das sein? Hier hat ein Atomist gedacht, der glaubt, dass alles aus Teilchen besteht. Ihre Wohnung hat nicht 20 oder 138 Schmutze und die haben auch keine Partikel, sondern die Wohnung ist entweder schmutzig oder nicht. Das klingt einfacher, als es in Wahrheit ist, denn »schmutzig« und seine Negation »nicht schmutzig« (vulgo: sauber) sind nicht zwei absolute Zustände und bilden keine abgeschlossenen Kategorien, sondern beinhalten eine Vielzahl von Relationen: die zwischen Flächen und Räumen, zwischen Innen und Außen (Schmutz im Schrank und außen am Schrank), zwischen Oben (Gardinen) und Unten (Teppich), zwischen Organischem (Fett) und Anorganischem (Kalk), zwischen Lebendem (Pilze, Insekten) und Totem bzw. Untotem (Biomüll).

Schmutz in der Wohnung hat eine Infrastruktur mit Knotenpunkten, aber kein System und kennt somit auch keine Grenzen. Man kann sich dem Schmutz deshalb nicht kategorisch, sondern nur topisch nähern. Aristoteles muss das gewusst haben, denn bei ihm heißt (griech.) topos sowohl Ort wie auch Raum. Er bestritt, dass es je ein Vakuum geben könne, also einen luftleeren Raum und das bedeutet immer auch: einen staubfreien Raum. Für ihn hat alles einen natürlichen Ort, der eingenommen werden will, und dabei hatte Aristoteles noch gar keine Einbauküche. Einige Menschen, und gerade die, die sich für Physik interessieren, staubsaugen deshalb besonders gerne (im Englischen: to vacuum), weil sie sich insgeheim wünschen, dass man auch im Haushalt einen partikelfreien Raum erzeugen kann. Zumindest kann man beim Staubsaugen gut über das Universum nachdenken, das ja wörtlich meint, dass sich das Eine in der Vielheit zeigt und sich damit gegen die Zahl Eins richtet. Und so ist es auch beim Schmutz. Schmutz ist nicht dinglich und hat keine Anzahl, sondern er ist so unteilbar wie Glück. Schmutz zeigt sich nur an den Dingen und man kriegt ihn nie ganz zu fassen. Wenn also jemand sagt: »Hier ist es unfassbar schmutzig!«, dann hat er wahrscheinlich Recht, weil man den Schmutz dann sieht, ohne genau benennen zu können, was man alles Schmutziges sieht. Der Schmutz ist eine nur theoretisch teilbare Mischung, aber praktisch unteilbar und beim Putzen nur durch Emulgieren mit Seifenlauge in Lösung zu bringen. Und hier kommt auch ein Hinweis auf die philosophische Lösung ohne Wasser und Seife: Das Unteilbare wird im Lateinischen durch einen Begriff ausgedrückt, mit dem die Neuzeit ihren Anfang markiert – Individuum! Schmutz wie auch Putzen ist wegen der Unteilbarkeit etwas Individuelles.

Das heißt weiter, Putzen wird nur dann zum Thema, wenn sich jemand an einem Zustand stört, und oft aus Peinlichkeit nicht mal dann. Es ist wie mit Mundgeruch. In der Tat berührt Putzen die Grenze der Intimität und Leiblichkeit. Trotzdem versuche ich hier, das Putzen der Wohnung vom Reinigen des Körpers theoretisch so weit als möglich zu trennen, denn meist wird es in eins gesetzt und dann religionswissenschaftlich oder psychoanalytisch gedeutet, nicht selten im Zusammenhang mit Schuld. Aber bereits bei den Zwangsstörungen kann man beobachten, dass Menschen, die unter einem Waschzwang leiden, nicht unbedingt ihre Wohnung penibel putzen. Die Gleichsetzung ist ein Vorurteil. Ebenso entspringt es einem Vorurteil zu behaupten, zu putzen sei dasselbe wie Ordnung zu schaffen, woraus oft rückgeschlossen wird, dass unordentliche Menschen auch nicht gerne putzen. Oft ist aber das Gegenteil der Fall, denn wer gerne putzt, hat in einem unordentlichen Haushalt, in dem die Dinge keine festen Plätze haben, viel mehr Spaß beim Putzen. Außerdem sieht man die Dinge meist besser schmutzig werden, weil sie nicht im Verborgenen einschmutzen, schön sortiert und abgelegt. Ja, es ist wunderbar, zwanzig Teelichthalter herum stehen zu haben! Ich versuche diese theoretische Trennung von Körper/Wohnung schon aus dem Grund, weil nach meiner Beobachtung immer weniger Menschen verstehen, dass der Schmutz in der Wohnung von ihnen selbst stammt. Sie glauben, Staub kommt aus dem Weltall oder von der Straße, aber nicht von ihren Hautschuppen. Es gibt also eine gewisse Entkörperlichung des privaten Schmutzes, die es noch schwieriger macht, in der Tätigkeit des Putzens einen Sinn zu entdecken. Im Badezimmer, dem Ort der Körperhygiene, ist diese Trennung allerdings nicht mehr ohne Weiteres aufrecht zu erhalten, denn hier entsteht Schmutz, der vom Reinigen des Körpers stammt. Will man diesen Schmutz – z. B. in der Duschkabine – erkennen, muss man vorher anerkennen, auch mal selbst ›schmutzig‹ gewesen zu sein und das immer wieder. Man kann natürlich auch behaupten, Schmutz im Bad bestehe nur aus Kalk und Seifenresten...

Für gutes Putzen gibt es also aus den genannten Gründen – Ignorieren des Schmutzes, Nicht-zur-Sprache-Bringen des Sauberkeitszustandes, gleichzeitig ständiges Erwarten von personalisierter Sauberkeit – keine gesellschaftliche und persönliche Gratifikation, außer, man findet sie in sich selbst. Weil das aber die wenigsten tun, hat die Putzmittelindustrie den Glanzreiniger und die Möbel- und Sanitärindustrie die hochglänzende Oberfläche erfunden. In der kann man sich spiegeln, wenn sie sauber ist bzw. zu sein scheint. Und die Selbstbespiegelung ist dann die Gratifikation für das Putzen. Genaugenommen: für das oberflächliche Putzen, das, wie wir sehen werden, die schlimmste Form des Putzens ist, weil sie Sauberkeit suggeriert, wo keine ist. Hier geht es nur darum, sich nicht zu schämen.

Gerade Akademikern bringt das Putzen niemand bei, weil das Schulfach Hauswirtschaftslehre am Gymnasium nicht unterrichtet wird. Dieses Buch ist deshalb in erster Linie für zwei Gruppen von Leser(inne)n gedacht: für seiende und werdende Putzfrauen und -männer, zur Erheiterung und zum Trost, und für Leute, die Putzfrauen beschäftigen, denn die haben beim Putzen die größte Bildungslücke. Außerdem verbringen sie ihre Studentenzeit meist in Wohngemeinschaften, in denen es kein größeres Problem gibt, als wer wann wo putzt bzw. eher nicht geputzt hat. Geplante Revolutionen sind daran gescheitert und das Kommunenleben sowieso. Deshalb, aber nicht nur deshalb, ist das Putzen für viele Akademiker bis heute mit negativen Gefühlen verbunden, egal welchen Geschlechts, ganz anders als das Kochen. Was nicht bedeutet, dass alle anderen wirklich gerne putzen, aber sie haben eine gelassenere Haltung dazu. Meist bleibt es allerdings bei einer lustlos und unvollkommen vollzogenen Tätigkeit, mit der man nie fertig zu werden scheint. Das muss nicht sein. Auch wenn dies kein Ratgeber-Büchlein ist und ich keine Putz-Expertin bin, so möchte ich Ihnen doch heitere und auch ein paar ernste Einblicke in die Vielfalt des Putzuniversums geben, um Sie zu motivieren – vielleicht nicht dazu, unbedingt mehr zu putzen, aber begeisterter zu putzen. Oder Sie sehen ein, dass Sie das putzen wirklich lassen sollten, aber Ihre Putzfrau auch mal in ein Drei-Sterne-Restaurant einladen könnten. Es geht nicht nur um Arbeitsteilung, sondern auch um die Anerkennung der Arbeit des Anderen.

Denn Putzen ist eine Passion, wenn man es mit einer bestimmten Haltung tut. Aber diese Haltung gegenüber Freunden und Kollegen zu begründen ist nicht einfach. Man glaubt mir nicht – anders, als wenn die Leute sagen: »Ich koche gerne« oder »Ich heimwerke gerne« oder »Ich stricke gerne« oder »Ich habe einen Schrebergarten«. Das ist ok, wenn auch nicht sehr originell. Aber: »Ich putze gerne« – Nein, kann nicht sein! Das ist merkwürdig, handelt es sich doch bei all den genannten Tätigkeiten um solche der Subsistenz: Man bereitet sich Nahrung, Möbel, Kleidung. All das könnten auch andere Leute für einen tun, schließlich leben wir in einer arbeitsteiligen Gesellschaft. Hannah Arendts Unterscheidung zwischen Dingen, die gebraucht werden (z. B. Möbel) und Dingen, die verbraucht werden (Nahrungsmittel), hilft uns hier vorerst nicht weiter. Beim Putzen wird kein Ding hergestellt, sondern ein Zustand der Sauberkeit an den Dingen, die schon da sind. Verbraucht wird nur das Putzmittel. Das philosophische Problem beim Putzen ist also, dass hier weder ein Werk mit Bestand noch ein Mittel zum Verbrauch erzeugt wird. Vielmehr wird beim Putzen eine Tätigkeit vollzogen, die, als Dienstleistung tituliert, dem ArbeitenHandeln