Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe
bloomoon Verlag, München 2014
Text Copyright © Simon Scarrow 2014
Titel der Originalausgabe: Gladiator. Vengeance
First published in Great Britain
in the English Language by Penguin Books Ltd.
© 2014 bloomoon, ein Imprint der arsEdition GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten
Text: Simon Scarrow
Übersetzung: Ulrike Seeberger
Coverillustration: Helge Vogt
ISBN eBook 978-3-8458-0373-9
ISBN Printausgabe 978-3-8458-0336-4
www.bloomoon-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden
Aus dem Englischen von Ulrike Seeberger
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Kapitel VII
Kapitel VIII
Kapitel IX
Kapitel X
Kapitel XI
Kapitel XII
Kapitel XIII
Kapitel XIV
Kapitel XV
Kapitel XVI
Kapitel XVII
Kapitel XVIII
Kapitel XIX
Kapitel XX
Kapitel XXI
Kapitel XXII
Kapitel XXIII
DER AUTOR
»Bist du so weit?«, fragte Festus.
Marcus nickte und schaute sich dann auf dem Marktplatz von Chalkeia, einer kleinen Hafenstadt an der Küste des Golfs von Korinth, ein wenig um. Unterhalb des Marktplatzes fiel das Gelände zum Meer hin ab, das sich strahlend blau unter dem klaren Himmel und der gleißenden Sonne des frühen Nachmittags erstreckte. Sie hatten die Stadt nach einer Morgenwanderung über die Küstenstraße erreicht und dann Rast gemacht und in einem Gasthaus am Markt ein schlichtes Mittagessen, einen Eintopf, zu sich genommen. Zwischen den Ständen spazierten immer noch ziemlich viele Menschen herum und um den Brunnen hatte sich die übliche Meute von Jugendlichen versammelt. Leichte Beute, stellte Marcus mit erfahrenem Blick fest.
»Müssen wir das wieder machen?«, fragte Lupus, der Junge, der neben Marcus saß. Er war siebzehn, vier Jahre älter als Marcus, aber man hielt sie oft für gleichaltrig. Denn Lupus war klein und dünn, Marcus jedoch groß für sein Alter. Die harte Ausbildung, die er an einer Gladiatorenschule und später in Rom unter Festus’ Anleitung durchlitten hatte, wo sie beide im Dienst von Julius Caesar gestanden waren, all das hatte ihm sein muskulöses Aussehen beschert.
Festus seufzte resigniert und wandte sich an Lupus. »Das weißt du ganz genau. Das Geld, das uns Caesar mitgegeben hat, wird nicht ewig reichen. Besser, wir verdienen uns ab und zu etwas dazu. Wer weiß, wie lange wir brauchen, um herauszufinden, wo Marcus’ Mutter gefangen gehalten wird.«
Marcus verspürte einen schmerzhaften Stich im Herzen. Seit über zwei Jahren hatte er seine Mutter nicht mehr gesehen. Sie waren auseinandergerissen worden, nachdem Schurken Titus, den Mann, den Marcus für seinen Vater gehalten hatte, ermordet hatten. Die Familie hatte glücklich und zufrieden auf einem Bauernhof auf der Insel Lefkada gelebt, bis zu dem Tag, an dem Titus einem Geldverleiher seine Schulden nicht zurückzahlen konnte. Daraufhin war eine skrupellose Bande aufgetaucht, um Titus’ Schuld zu tilgen, indem sie die Familie ergriffen und in die Sklaverei verkauften. Aber Titus war früher Soldat gewesen und hatte Widerstand geleistet. Beim Versuch, seine Familie zu schützen, war er ermordet worden und Marcus und seine Mutter waren zur Sklaverei verdammt. Marcus war zwar erst entkommen, aber später an eine Gladiatorenschule verkauft worden, und er hatte sich geschworen, seine Mutter wiederzufinden und zu befreien.
Zunächst war ihm diese Aufgabe unmöglich erschienen. Doch dann hatte Marcus Caesar das Leben gerettet und der große Staatsmann hatte ihn mit einer kleinen Summe Silbergeld und einem Empfehlungsschreiben dafür belohnt. Außerdem hatte Caesar ihm die Hilfe von Festus, seinem vertrauenswürdigsten Leibwächter, und von Lupus gewährt und ihn aus der Sklaverei freigelassen, damit er seine Mutter suchen konnte. So waren die drei zusammen mit zwei weiteren Männern nach Griechenland gereist. Die beiden Männer hatte Festus schon bald nach Rom zurückgeschickt, denn ihm war klar geworden, dass Caesars Geld nicht lange reichen würde, wenn sie noch mehr Leute durchfüttern mussten.
Nach der Ankunft in Griechenland hatten die drei die Küstenstraße an der nördlichen Seite des Golfs entlang genommen. Ihr Ziel war Stratos, die Stadt, in der Marcus Decimus, dem Geldverleiher, der ihm so viel Kummer und Leid bereitet hatte, zum ersten Mal begegnet war. Unterwegs hatten sie sich ihren Unterhalt verdient, indem sie in den Städten und Häfen, durch die sie kamen, ihre ganz besondere kleine Vorstellung gaben.
Festus schob die leere Schüssel von sich weg, stand auf, reckte die Schultern und dehnte seinen Nacken. »Auf geht’s, Jungs. Zeit für unsere Vorstellung.«
Marcus und Lupus erhoben sich von der Bank und nahmen ihre Taschen auf. Darin enthalten waren ein paar Kleidungsstücke und eine Handvoll persönlicher Habe – bei Lupus Schreibutensilien und bei Marcus und Festus eine Sammlung verschiedener Waffen. Festus griff in seine Geldbörse und warf ein paar bronzene Asse auf den Tisch, um für die Mahlzeit zu bezahlen. Dann wies er die beiden Jungen mit einer Geste an, ihm zu folgen. Sie traten unter der verwitterten Markise des Gasthofs hervor in die gleißende Sonne und gingen über den Platz zum Brunnen.
Es war Ende April, und die Bergbäche waren so angeschwollen, dass immer noch genug Wasser für den Brunnen übrig blieb, selbst nachdem das notwendige Nass für die Hafenstadt abgezweigt worden war. Ein stetiger Wasserstrom floss über die kleine Kuppel in der Mitte des Brunnens, fiel von dort in das runde Becken und kühlte dabei die Luft in der unmittelbaren Umgebung angenehm ab. Deswegen lungerten die jugendlichen Banden hier so gern herum – ebenso wie die groben Kerle, die immer auf der Suche nach Handlangern für die Landbesitzer und Geldverleiher waren. Genau die Leute, die Festus gesucht hatte.
Um den Brunnen herum verliefen flache Treppenstufen, gerade hoch genug, dass ein Mann, der oben stand, über die Menschenmenge auf dem Markt hinwegschauen konnte. Festus stellte seine Tasche ab und die beiden anderen taten es ihm nach.
»Behalte sie im Blick«, sagte Festus zu Lupus. Dann wandte er sich an Marcus. »Also, dann mal los.«
Sie traten an den Rand des Brunnens. Festus hob die Hand und holte tief Luft, ehe er der Menge auf Griechisch zurief: »Freunde! Hört mir zu! Hört mir zu!«
Gesichter wandten sich ihm hin, Leute blieben stehen und starrten ihn neugierig an. Die Männer rings um den Brunnen unterbrachen ihre Plauderei und schauten wütend auf den Mann und den Jungen, die ihre tägliche Routine gestört hatten. Es würde keinen Mangel an Freiwilligen geben, die die Herausforderung annehmen würden, die Festus gleich aussprechen sollte.
»Edle Bürger von Chalkeia!«, fuhr Festus fort. »Ihr seid die Erben einer stolzen Tradition, der Tradition der heldenhaften Griechen, die sich einst dem mächtigen persischen Reich entgegensetzten und es besiegten. In jüngerer Zeit seid ihr jedoch leider der Macht Roms unterlegen und jetzt sind sie – sind wir – eure Herren.«
Er legte eine Pause ein, um einige wütende Trotzrufe aus der kleinen Menge zuzulassen, die sich inzwischen vor dem Brunnen versammelt hatte. Marcus war unter Griechen aufgewachsen und wusste, wie stolz sie auf ihre Kultur waren. Sie litten bitter darunter, dass sie unter der Knute der Römer standen, die sie für unterlegen hielten. Festus nutzte das ganz bewusst aus und achtete darauf, auch ja mit einem starken römischen Akzent zu sprechen.
»Zweifellos gibt es hier viele Männer, die immer noch den Kampfgeist ihrer Vorfahren hochhalten.«
»Jawohl!« Einer der rauen Burschen, die nicht weit weg standen, brüllte diese Antwort. »Und das kannst du rasch rauskriegen, wenn du dein Maul weiter so weit aufreißt!«
Seine Kumpane stießen zustimmende Rufe aus.
»Verzieh dich, du Römer«, fuhr der Mann mit bedrohlichem Grinsen fort. »Und nimm deine kümmerlichen Wichte gleich mit.«
Festus wandte sich dem Mann mit einem strahlenden Lächeln zu. »Ah! Ich sehe, dass ich mich in den Leuten von Chalkeia nicht getäuscht habe. Hier gibt es noch ein, zwei echte Kerle.«
»Viel mehr, Römer!«, brüllte ein anderer stämmiger Mann. »Und jetzt tu, was er dir gesagt hat, und verzieh dich, sonst machen wir dir Beine.«
Festus hob die Hände und bat um Ruhe. Es dauerte eine Weile, bis diejenigen in der Menge, die Beleidigungen und Drohungen ausstießen, endlich den Mund hielten. Die meisten Bürger der Stadt erwarteten neugierig, was als Nächstes geschehen würde, und brachten die anderen zum Schweigen.
»Ich wollte niemanden beleidigen«, rief Festus. »Wir sind nur Reisende, die durch eure Gegend ziehen. Ich heiße Festus. Ich habe euch erzürnt, und dafür entschuldige ich mich untertänigst. Aber mir scheint, dass einigen von euch meine Entschuldigung nicht ausreicht.«
»Wie recht du hast, Römer!«, schrie das erste Raubein zurück und seine Kumpane johlten zustimmend.
Festus schaute den Mann direkt an. »In diesem Fall scheint es mir nur gerecht, dass ich euch eine Gelegenheit gebe, uns eine Lektion zu erteilen.« Er wandte sich an Marcus. »Zeit für die Übungsstäbe.«
Marcus nickte, beugte sich zu dem Rucksack aus Ziegenfell und nahm ein kleines Bündel mit hölzernen Stöcken heraus, die je fünf Fuß lang und etwas dicker als ein Männerdaumen waren. Er reichte sie Festus, der sie hochhielt, damit alle sie sehen konnten.
»Wer tritt gegen mich und den Jungen in einem Wettstreit an, in dem es darum geht, wer am längsten auf den Beinen bleibt?«
»Ich!« Der erste Mann trommelte sich auf die Brust und einige andere traten mit ihm zusammen auf Festus zu. »Ich heiße Andreas. Und ich verpasse dir eine Tracht Prügel, die du nie vergessen wirst.«
»Sehr gut!«, antwortete Festus. »Dann soll es einen Wettstreit geben. Aber wir wollen fair bleiben. Vier von euch gegen uns beide.«
Das Raubein lachte verächtlich. »Abgemacht! Höchste Zeit, dass man euch eingebildeten Römern endlich mal eine Lektion erteilt. Vier gegen Euch und Euren kümmerlichen Wicht. Natürlich, wenn Ihr mich um Verzeihung anflehen möchtet, dann lasse ich Euch vielleicht unversehrt aus Chalkeia weggehen. Vorausgesetzt, ihr gebt uns erst eure Taschen da. Kriegsbeute, Römer. Damit kennt ihr euch ja aus.«
»Es würde mir nicht im Traum einfallen, euch des Vergnügens zu berauben, uns zu demütigen«, erwiderte Festus aalglatt. »Aber lasst uns die Sache noch interessanter machen.«
Er langte nach unten, nahm seine Geldbörse und hielt sie in die Höhe. »Ich wette zehn Silberstücke, dass der Junge und ich gewinnen. Wer hält dagegen?«
Die Städter dachten kurz über diese neue Entwicklung nach, dann hob ein gut gekleideter Kaufmann in einer blauen Tunika den Arm. »Ich nehme die Wette an. Ich setze die gleiche Summe in Silber gegen euch, wenn ihr gegen Andreas und seine Kumpane antretet.« Er deutete auf das Raubein.
Letzterer nickte eifrig. »Abgemacht. Hier, Eumolpus, du kommst zu mir.« Er schaute zu der am nächsten stehenden Bande und deutete mit dem Finger auf zwei der größeren Jungen. »Du, Thrapsus, und du, Atticus, ihr kümmert euch um den römischen Welpen, während Eumolpus und ich diesem Maulhelden eine Tracht Prügel verpassen. Und jetzt gebt uns eure Stöckchen, Römer, und los geht’s!«
»Aber gern.« Festus nickte Marcus zu, der vortrat und den Griechen die Stöcke hinhielt, damit sie ihre Waffen aussuchen konnten. Andreas nahm den ersten in die Hand, dann noch drei weitere, die er dem ausgewählten Mann und den Jungen weiterreichte. Marcus und Festus griffen sich die übrigen zwei aus dem Bündel. Festus hatte alle Stöcke aus dem Holz von Bäumen entlang der Straße geschnitten.
»Zurück mit euch!« Festus trat vom Brunnen herunter auf den Platz und schwang seinen Stock um sich, um die Menge zurückzudrängen. Die Leute verzogen sich schlurfend, und als Festus ein Quadrat von etwa dreißig Fuß Kantenlänge frei gemacht hatte, trat er in die Mitte und erhob seinen Stab. Marcus gesellte sich mit großen Schritten zu ihm und nahm seine Position ein, sodass sie Rücken an Rücken standen. Er hob seinen Stock und hielt ihn mit beiden Händen quer vor sich. Wie vor jedem Kampf spürte er, wie sein Herz pochte und sich seine Muskeln anspannten. Andreas und seine Kameraden umringten die beiden, die Männer standen Festus, die beiden Jungen Marcus gegenüber. Der musterte sie rasch und prüfend.
Der Junge, der Thrapsus hieß, war untersetzt und hatte das strähnige Haar mit einem Lederriemen zusammengebunden. Sein Gesicht war mit entzündeten Pickeln übersät, und als er die Zähne fletschte, waren sie fleckig und krumm. Sein Kumpan Atticus war größer und wirkte gepflegter. Sein Haar war ordentlich geschnitten, und seine Tunika war zwar schlicht, aber sauber, und sie passte gut und zeigte seinen muskulösen Körper. Er hatte feine Gesichtszüge, erinnerte an eine der vielen Statuen von jungen Athleten, die Marcus seit ihrer Landung in Griechenland immer wieder in den Städten gesehen hatte. Zweifellos hielt Atticus sich für einen Frauenschwarm, vermutete Marcus.
»Wir machen’s wie immer«, grummelte Festus über die Schulter. »Wir halten uns gegenseitig den Rücken frei und sorgen dafür, dass es gut aussieht. Damit die Menge ein bisschen Spaß hat, ehe wir diese Rüpel zu Boden gehen lassen. Kapiert?«
»Ich weiß, was ich zu tun habe«, murmelte Marcus zurück. »Du hast es mir oft genug eingetrichtert. Und jetzt los.«
Festus wandte sich um und zwinkerte ihm zu. »Kannst es wohl nicht abwarten, endlich wieder zu kämpfen, was? Das ist die richtige Einstellung.«
Marcus presste die Lippen zusammen. Eigentlich hasste er das Kämpfen. Er hasste die Übelkeit, die ihn kurz davor überkam. Das Einzige, was ihn vorantrieb, war der Gedanke daran, dass er seine Mutter retten wollte. Deswegen kämpfte er. Das war der einzige Grund.
»Bist du bereit?«, fragte Festus.
»Bereit.«
Festus schaute das Raubein an. »Dann los!«
Zuerst bewegte sich niemand. Marcus und Festus standen Rücken an Rücken, beobachteten ihre Gegner genau, hielten Ausschau nach jedem Anzeichen, das auf einen drohenden Angriff schließen ließ. Marcus bemerkte, dass Thrapsus den Stock mit beiden Händen auf halber Höhe hielt wie eine Keule, bereit, auszuholen und auf Marcus einzuschlagen. Im Gegensatz dazu schien der andere Junge eine vage Vorstellung davon zu haben, wie man diese Waffe am besten einsetzte, und hielt den Stock in weitem Griff mit beiden Händen, sodass er mit den Enden zustoßen oder Hiebe so gut wie möglich abblocken konnte.
Marcus hörte, wie Festus’ Sandalen über die Steinplatten schleiften, und schaute über die Schulter. Sein Kampfgefährte richtete sich auf und legte den Stock lässig über eine Schulter, um die beiden Männer zu provozieren, die ihm gegenüberstanden.
»Wo liegt das Problem, meine Freunde? Ist euch der Appetit auf einen leichten Wettkampf vergangen?«
»Du redest zu viel«, knurrte Andreas. »Das wird dir nicht mehr so leichtfallen, wenn ich dir erst alle Zähne ausgeschlagen habe, Römer.«
Er wartete die Antwort gar nicht ab, sondern stieß ein lautes Brüllen aus und raste auf Festus zu, holte mit dem Stock weit aus und wollte ihn im großen Bogen auf dessen Kopf niedergehen lassen. Augenblicke später griffen auch seine drei Kumpane an und wiederholten seinen Kampfschrei. Marcus’ Blick wanderte sofort wieder zu den beiden Jungen und er überließ Festus seinem eigenen Gefecht. So hatten sie es verabredet. Jeder vertraute darauf, dass der andere seinen Mann stehen und dem Kameraden den Rücken frei halten würde. Atticus hielt sich zurück und ließ seinen gedrungenen Freund zuerst angreifen. Thrapsus hob den Stock über den Kopf und streckte die Arme, um so viel Kraft wie möglich in den Schlag zu legen. Marcus zog die Linke zurück, drehte so das Ende seines Stocks auf den jungen Griechen zu und rammte es ihm knapp unter dem Kinn in den Oberkörper. Der Aufprall ließ Thrapsus in der Vorwärtsbewegung erstarren, und dann taumelte er nach Luft japsend zurück und ließ eine Hand los, um sie an die Brust zu drücken. Marcus machte einen Schritt nach vorn, senkte das Ende seines Stocks und stieß erneut zu, diesmal in den Bauch seines Gegners.
Er vermied Hiebe auf Gesicht und Leiste, genau wie Festus ihn angewiesen hatte. Der Zweck der Übung war ja nicht, dem anderen dauerhaften Schaden zuzufügen und damit großen Unmut zu erregen. Den Kämpfern sollte nur eine einfache Lektion erteilt werden; hart genug, dass sie nicht mehr weiterkämpfen konnten, aber nicht so hart, dass mehr als ihr Stolz ernsthaft verletzt wurde. Thrapsus stolperte rückwärts. Ihm blieb jetzt völlig die Luft weg und er rang schwer um Atem. Marcus senkte seinen Stock erneut, stieß ihn hinter den Hacken des Jungen in den Boden und rammte dann seinen Gegner mit der Schulter. Thrapsus verlor das Gleichgewicht und ging zu Boden, der Stock flog ihm aus der Hand und landete klappernd in einiger Entfernung.
Die Niederlage des Jungen war so rasch gekommen, dass die Zuschauer eine Weile brauchten, um zu begreifen, was geschehen war. Dann stöhnten viele enttäuscht auf. Ein paar leisere Stimmen aber waren zu hören, die Marcus unterstützten, und da wurde ihm klar, dass der rüpelhafte junge Mann wohl nicht bei allen Einwohnern der Hafenstadt beliebt war. Marcus nahm seinen Stock wieder auf und kehrte zu Festus zurück. Er konzentrierte sich auf den zweiten jungen Mann und hörte im Hintergrund Grunzen und das Krachen von Holz. Atticus hatte verdattert zugesehen, mit welcher Leichtigkeit Marcus seinen Gefährten zu Boden gestreckt hatte, und jetzt war ein kalter, skrupelloser Ausdruck auf seine Züge getreten. Er ging in die Hocke und schaute Marcus finster an.
»Ziemlich geschickt, Römer«, zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. »Aber ich bin kein solcher Narr wie dieser Tölpel Thrapsus.«
Marcus zuckte die Achseln. »Das werden wir ja sehen. Aber ein guter Rat. Spar dir den Atem. Du wirst ihn brauchen.«
Atticus runzelte wütend die dunklen Augenbrauen und beugte sich vor, um den am Boden liegen gebliebenen Stock aufzuheben. Mit zwei Stöcken bewaffnet – in jeder Hand einen –, rückte er vor. Eine ungewöhnliche Technik, überlegte Marcus rasch, aber keine sonderlich wirkungsvolle. Atticus würde so zwar in der Lage sein, ihn mit ungeheuer vielen Schlägen zu bombardieren, aber er konnte nicht so viel Kraft in seine Angriffe legen wie bei einer richtig geführten Waffe.
Wie Marcus erwartet hatte, kam der Grieche, wild die Stöcke schwingend, auf ihn zu und ließ seine Waffen durch die Luft sausen, während er den jungen Römer zu treffen versuchte. Marcus hielt seinen Stock hoch und bewegte ihn nach links und rechts, um die Hiebe zu parieren, die auf ihn herunterregneten.
Er erinnerte sich an die andere Anweisung, die ihm Festus gegeben hatte: Er sollte versuchen, den Kampf gegen den zweiten Gegner ein wenig in die Länge zu ziehen. Sie wollten die Menge nicht enttäuschen. Man musste den Leuten für ihr Geld etwas bieten, hatte Festus gesagt. So machte es ein guter Gladiator. Und wenn dann der Kampf vorüber war und die Zuschauer ihre Aufregung gehabt hatten, dann würden die Verlierer trotzdem mit dem Gefühl gehen, dass sie einen anständigen Kampf geliefert hatten. Ihr Stolz hätte zwar gelitten, wäre aber bei dem Gedanken wieder angeschwollen, dass sie es dem Sieger nicht leicht gemacht hatten.
Marcus machte zwischen seine Paraden ein paar Finten und zwang so den griechischen Jungen, Schritt für Schritt zurückzuweichen. Nach einigen weiteren Angriffen zog sich Atticus keuchend aus Marcus’ Reichweite zurück, starrte ihn an und hielt, vor Anstrengung bebend, die Stöcke hoch. Als er hinter sich ein tiefes Grunzen hörte, riskierte Marcus einen Blick über die Schulter und sah, dass Festus den ersten der Männer zu Boden gestreckt hatte. Der Mann lag bewusstlos auf den Steinplatten ausgestreckt da. Dann wandte Marcus sich wieder Atticus zu, in der Gewissheit, dass er jetzt, da es Mann gegen Mann ging, nicht mehr so nah bei Festus bleiben musste. Er griff den Holzstab mit der Linken ein wenig weiter hinten, senkte das Ende des Stocks und packte ihn wie einen Speer, während er vorwärtsschritt.
Atticus hieb auf das Ende von Marcus’ Stock ein und schlug ihn zur Seite, aber jedes Mal zielte Marcus wieder mit der Spitze auf das Gesicht seines Gegners und machte einen weiteren Schritt vorwärts, zwang den Gegner, immer weiter in Richtung der Zuschauermenge zurückzuweichen. Der junge Grieche wurde schwächer, und endlich begriff er, dass er einen einzelnen Stock besser kontrollieren konnte als zwei. Er zog die Rechte zurück und schleuderte die überflüssig gewordene Waffe auf Marcus. Der Holzstab wirbelte durch die Luft, und Marcus spürte einen scharfen Schmerz, als ein Ende ihn über dem Ohr traf, ehe er sich ducken konnte. Er merkte, dass ihm warm das Blut in den Nacken rann. Sein Gegner stieß ein Triumphgeheul aus, kam vorwärtsgerannt und hieb mit seinem Stock, den er nun mit beiden Händen gefasst hatte, von einer Seite zur anderen.
Marcus zog sich zwei Schritte zurück und hielt dem Angriff stand, parierte die wilden Schläge und spürte, wie sich das Zittern des anderen Jungen mit jedem Hieb mitteilte. Atticus verließen die Kräfte, und in seiner Verzweiflung wollte er den Kampf so rasch wie möglich beenden. Es folgte ein weiterer scharfer Schlagabtausch, und das Krachen der Stöcke hallte von den hohen Mauern eines nahe gelegenen Tempels wider. Dann sprang Marcus vor, spannte alle Muskeln an und zielte mit einem harten Schlag auf die Fingerknöchel des Griechen. Das Holz krachte, Atticus stieß einen Schmerzensschrei aus und zog die verletzte Hand zurück, wobei er seinen Griff ein wenig löste. Seine Waffe war nun nicht mehr im Gleichgewicht und das eine Ende schwankte.
Marcus drückte mit seinem Stock dagegen, drehte dann das Ende herum und riss die Arme hoch, wobei er dem anderen Jungen die Waffe aus der Hand schlug und sie in hohem Bogen in die Luft schleuderte. Die Menschenmenge jaulte überrascht und bewundernd auf, aber der Kampf war noch nicht zu Ende. Marcus musste den Gegner noch zu Boden strecken.
Atticus war genauso überrascht wie die Zuschauer und zu schockiert, um zu reagieren, als Marcus auf ihn zugeprescht kam, den Stiefel hinter sein Bein rammte und ihm den Stock mit Macht in die Taille stieß. Genau wie sein gedrungener Kumpan vorhin fiel auch Atticus zu Boden und landete schwer auf dem Rücken. Marcus reckte sofort seinen Stock in die Luft und schrie: »Gewonnen!«
»Nein!«, keuchte Atticus unter Schmerzen und begann sich aufzurappeln.
Schnell senkte Marcus den Stock und stieß ihn dem Jungen unmittelbar unter dem Hals in die Brust. »Ein guter Rat: Wenn du zu Boden gehst, bleib liegen. Oder trage die Konsequenzen.« Er drückte noch ein wenig fester, um seine Aussage zu unterstreichen. Mit wütendem Gesicht nickte Atticus und hob besiegt die Hände.
Marcus drehte sich um, um zu sehen, wie es Festus erging. Er schien mit Andreas gut zurechtzukommen. Der Grieche stand breitbeinig da und hielt seinen Stock fest mit beiden Händen, bereit, jede Bewegung zu parieren, die Festus machte.
»Brauchst du Hilfe?«, fragte Marcus.
»Nein. Der gehört mir.«
Andreas schnaubte verächtlich und schüttelte den Kopf. »Bei allen Göttern, du musst ja sehr von dir überzeugt sein! Typisch verdammter Römer.« Sein Brustkorb hob und senkte sich, während er nach Luft schnappte. Er war ein massiger Mann, bemerkte Marcus. Aber er war nicht fit, im Gegensatz zu Festus, der jeden Tag trainierte und dessen Körper so rasch reagierte wie seine Gedanken. Festus setzte zu einem neuen Angriff an, zielte auf den Bauch des Gegners. Aber Andreas, so schwer er auch war, hatte die Reflexe einer Katze. Er lenkte den Stock ab, ehe er mit einem Hieb konterte, der den Römer seitlich an der Brust streifte. Festus zuckte zusammen und zog sich zurück, während er seine Brust abtastete. Er neigte sich in einem kurzen Gruß vor seinem Gegner, holte dann tief Luft und packte den Stock wieder in festem Griff.
Marcus verspürte ein wenig Sorge um seinen Freund, hütete sich jedoch davor einzuschreiten. Festus war ein stolzer Mann und würde zornig auf jeden Versuch reagieren, ihm zu Hilfe zu kommen. Also senkte Marcus seinen Stock und trat zur Seite. Da er seinen Kampf als Erster beendet hatte, blieb ihm sonst nichts zu tun. Er schaute sich nach dem Kaufmann um, der die Wette angenommen hatte, konnte ihn aber nicht gleich finden. Da sah er etwas Blaues aufblitzen und bemerkte, dass der Mann sich zum Rand der Menschenmenge durchschlängelte. Marcus packte den Stock in seinen Rucksack zurück, zog einen Dolch heraus und steckte ihn in den breiten Ledergürtel, den er um die Taille trug.
Festus hatte in der Zwischenzeit den Kampf wieder aufgenommen. Als Andreas den Stock hochhob und auf das Gesicht des Römers zielte, zuckte Festus nicht einmal. Er hieb auf den Griechen ein, und als sein Gegner den Schlag parieren wollte, duckte sich Festus unter dessen Stock weg, ließ seine Waffe schräg heruntersauen und stieß sie dem Griechen mit voller Wucht gegen die Zehen.
Andreas brüllte vor Schmerz auf und hob instinktiv den verletzten Fuß, um auf einem Bein rückwärts zu hüpfen, während er noch den Stock hochhielt, um seinen römischen Gegner abzublocken. Doch diese Bewegung konnte der untersetzte Mann kaum kontrollieren. Er stolperte und fiel, stöhnte auf, als ihm der Aufprall die Luft aus den Lungen presste. Festus schlug ihm die Waffe aus den Händen und presste dann dem Mann das Ende seines Stocks in den Bauch. Viele in der Menge lachten lauthals los, als sie den Grobian so tollpatschig fallen sahen, und Andreas wurde zornesrot.
»Gib auf«, verlangte Festus.
Die Miene des Griechen verfinsterte sich, doch dann schaute er zur Zuschauermenge und bemerkte, dass die meisten Festus zujubelten und fröhlich lachten. Er rang sich ein Lächeln ab, während er sich unter Schmerzen auf die Beine rappelte und seine Hand ausstreckte.
»Du hast fair gewonnen, Römer. Chalkeia hat selten einen solchen Kämpfer wie dich gesehen. Es ist keine Schande, von einem professionellen Kämpfer besiegt zu werden. Von einem Gladiator vielleicht?«
»Früher einmal«, gab Festus zu, nahm den Stock in die Linke und schüttelte dem Griechen vorsichtig die Hand. »Jetzt bin ich nur ein Reisender in deinem Land.«
»Und der Junge? Der ist doch sicherlich zu jung, um auch Gladiator zu sein?«
»Nein. Er war Gladiator, ehe er seine Freiheit gewann.«
»Wirklich?« Andreas schaute sich um und runzelte die Stirn. »Wo zum Teufel ist er hin?«
Marcus war schon auf halbem Weg durch die Zuschauermenge. Die meisten ignorierten ihn, weil ihre Aufmerksamkeit auf Festus gerichtet war. Marcus bewegte sich auf die blaue Tunika zu, die er einen Augenblick zuvor noch gesehen hatte. Die Menschenmenge war weniger dicht gedrängt, als er die Stände erreichte und den Kaufmann erblickte, der auf eine Straße zueilte, die vom Markt wegführte. Marcus wich in eine ein wenig entfernte Parallelstraße aus und rannte los. Als er die erste Straßenkreuzung erreichte, bog er ab, sprintete dann eine schmale Gasse entlang auf die nächste Ecke zu, wo er stehen blieb und sich an den rauen Putz der Mauer drückte. Er zog den Dolch aus dem Gürtel und versuchte so ruhig wie möglich zu atmen, als er das leise Klatschen von Sandalen näher kommen hörte. Einen Augenblick später eilte der Kaufmann an ihm vorbei. Marcus trat aus dem Schatten und drückte ihm die Spitze seines Dolchs in den Rücken.
Der Kaufmann schrie überrascht auf und fuhr herum, während er in Richtung des gegenüberliegenden Gebäudes zurückwich.
»Ihr habt noch einen Wetteinsatz zu zahlen, wenn ich mich nicht irre«, sagte Marcus lächelnd. »Und jetzt gehen wir zum Markt zurück, um die Angelegenheit zu regeln. Zehn Silberstücke. Die solltet Ihr besser bei Euch haben, sonst wird mein Freund Festus sehr ungehalten.«
Der Kaufmann erholte sich schnell von seiner Überraschung und starrte Marcus mit verächtlich verzogenem Mund an. »Du bist doch nur ein kleiner Junge. Geh mir aus dem Weg.«
Marcus trat zur Seite und schnitt ihm den Weg ab. »Ich bin der Junge, der gerade zwei von euren Straßenbengeln im Kampf besiegt hat. Und ich bin ein Junge, der ein Messer in der Hand hält, das kaum einen Fuß von Eurem Bauch entfernt ist. Ihr habt eine Schuld zu begleichen. Also, zurück zum Markt. Los.«
»Das sind neun … zehn.« Der Kaufman zählte Festus die Silbermünzen auf die Hand.
»Ich danke Euch«, sagte Festus lächelnd. »Und beim nächsten Mal wäre es gut, wenn Ihr nicht versucht, Euch aus dem Staub zu machen.«
»Es wird bestimmt kein nächstes Mal geben«, erwiderte der Kaufmann säuerlich. »Ich hoffe, ich sehe Euch oder Euren widerlichen kleinen Handlanger niemals wieder.«
»Das solltet Ihr besser hoffen.« Festus legte Marcus die Hand auf die Schulter. »Oder mein Freund Marcus ist beim nächsten Mal vielleicht nicht so freundlich und hält sich mit seinem Dolch zurück.«
»Das würde er niemals wagen!« Der Kaufmann spuckte verächtlich aus.
Marcus drehte den Kopf zur Seite. »Nein? Wollt Ihr mich auf die Probe stellen?«
Der Kaufmann zuckte zurück, richtete sich aber sofort wieder auf. »Pah! Ein Haufen jämmerlicher Betrüger, alle miteinander. Ich hätte Lust, euch beim Magistrat anzuzeigen.«
»Warum macht Ihr es nicht?«, forderte ihn Festus heraus. »Ich bin sicher, die interessieren sich für einen Mann, der seine Wettschulden nicht zahlen will, noch dazu für eine Wette, die er vor aller Augen auf dem Marktplatz von Chalkeia abgeschlossen hat.«
Der Kaufmann zischte frustriert zwischen den Zähnen hindurch, machte auf dem Absatz kehrt und entfernte sich rasch über den Marktplatz. Inzwischen hatte sich die versammelte Menschenmenge wieder verlaufen und Marcus, Festus und Lupus begannen die Stöcke wegzupacken. Andreas, der auf den Stufen des Brunnens saß, um seinen Fuß zu pflegen, lachte leise, als der Kaufmann davonrannte.
»Ah, den könnt ihr vergessen. Hier gibt es jede Menge Männer wie Clysto. Die verdienen es nicht besser.« Der Grieche stand auf, belastete vorsichtig seinen verletzten Fuß und stöhnte.
»Tut mir leid«, meinte Festus. »Aber nach dem Schlag auf die Rippen musste ich dich schnell zu Boden strecken.«
»An jedem anderen Tag hätte ich dich niedergestreckt, Römer.«
»Wie du meinst.«
»Das meine ich … Habt ihr, du und deine Jungen, vielleicht Durst?«
Festus schaute sich um und Lupus und Marcus nickten.
»Gut!« Andreas trat näher und legte Marcus die Hand auf die Schulter. »Und was dich betrifft, mein Junge, du bist ja genauso furchterregend wie dein Freund Festus. Bei allen Göttern, wenn ich zehn von deiner Sorte in meiner Bande hätte, wir würden die Straßen dieser Stadt beherrschen. Kommt mit. Ich kenne eine gute Kneipe, wo wir was trinken können. Und ich zahle.«
»Wie geht’s dem Fuß?«, fragte Festus, als er seinen Becher laut krachend auf den Tisch stellte.
»Tut weh«, antwortete Andreas und grinste. »Und wie geht’s der Seite?«
»Tut weh.«
Sie lachten beide, und Andreas griff nach dem Krug, um die Becher erneut vollzuschenken. Nach einem kurzen Zögern schüttete er auch noch ein wenig mit Wasser verdünnten Wein in Marcus’ und Lupus’ Becher. Das Gasthaus, das der Grieche ausgewählt hatte, lag an einer steilen Straße, die zu einem kleinen Plateau führte. An die Kante einer Klippe gebaut, bot es einen wunderbaren Blick über die Stadt und das funkelnde Meer dahinter. Nach der heißen Luft auf dem Marktplatz umwehte sie hier eine leichte Brise, und man hörte das leise Rauschen der Zweige einer Zeder, die den Gästen Schatten spendete.
»Du, Junge«, sagte Andreas und schaute Marcus direkt an. »Du kämpfst wie der Teufel. Ich habe ja nur ein bisschen davon mitbekommen, während ich mich um deinen Freund hier kümmern musste, aber was ich gesehen habe, hat mich beeindruckt. Deine Gladiatorenschule muss eine der besten gewesen sein. Ich habe schon ein paar Kämpfe hier im Amphitheater gesehen, aber das war nichts, verglichen mit dem, was ihr uns geboten habt. Wo genau kommt ihr drei her?«
Marcus hob dankend den Becher und nippte an dem säuerlichen Getränk, ehe er antwortete. »Ich bin in einer Schule bei Capua ausgebildet worden. Und dann von Festus, nachdem mich mein neuer Herr gekauft und nach Rom mitgenommen hatte.«
»Und du?« Andreas wandte sich an Lupus. »Was ist deine Geschichte? Du siehst nicht aus wie ein Junge, der mit zwei ausgebildeten Mördern herumziehen sollte.«
»Wir sind keine Mörder«, sagte Festus mit gleichmütiger Stimme. »Unsere Aufgabe war es, unseren Herrn zu beschützen.«
»Euren Herrn? Ich dachte, ihr hättet gesagt, dass man euch befreit hatte? Zumindest Marcus.«
Festus lächelte schmallippig. »Macht der Gewohnheit. Ich bin vor einigen Jahren befreit worden und bin bei meinem … Arbeitgeber geblieben. Marcus hat seine Freiheit vor einigen Monaten erhalten. Als Belohnung für treue Dienste. Genauso Lupus.«
»Dann ist er auch ein Kämpfer?« Andreas schaute zweifelnd auf Lupus’ magere Gestalt. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Der würde in einem Kampf keine Sekunde durchhalten.«
»Ich kann wohl kämpfen!«, rief Lupus trotzig. »Wenn ich muss.«
Der Grieche lachte glucksend und hielt besänftigend eine seiner großen Hände hoch, um den Jungen zu beruhigen. »Ich wollte dich nicht beleidigen, mein kleiner Freund. War nur eine Beobachtung. Wenn mich meine Augen nicht trügen, liegen deine Fertigkeiten auf einem anderen Gebiet. Das stimmt doch?«
Lupus errötete und reckte stolz das Kinn vor. »Ich bin ein ausgebildeter Schreiber. Ich kann lesen, schreiben und rechnen. So gut wie jeder erwachsene Mann.«
Andreas lachte. »Da bin ich mir sicher. Aber wenn du nicht in einem Kaufmannshaus oder in den Diensten eines Adeligen bist, so bist du von, äh, geringerem Nutzen.«
Marcus lehnte sich vor. »Lupus ist mein Freund. Ich würde ihm mein Leben anvertrauen. Mehr brauchst du über ihn nicht zu wissen.«
Das stimmte. Marcus hatte Lupus tatsächlich sein Leben anvertraut. Lupus kannte das Geheimnis von Marcus’ Geburt und wusste, was die Narbe auf seiner Schulter bedeutete. Man hatte Marcus als Säugling ein Brandzeichen aufgedrückt, als geheimes Zeichen dafür, dass er der Sohn des Spartakus war. Lupus hatte ihm sein feierlichstes Versprechen gegeben, das für sich zu behalten. Festus jedoch wusste es nicht. Er sollte es auch nie erfahren, hatte Marcus beschlossen. Wie eng ihre Freundschaft auch war, so war doch Festus schon viele Jahre in Caesars Diensten gewesen, als Marcus in sein Leben getreten war. Es wäre gefährlich, seine Treue zum früheren Herrn auf die Probe zu stellen. Festus war ein Ehrenmann und hielt eisern an seinen Prinzipien fest. Caesar hatte ihm befohlen, Marcus bei seiner Mission zu begleiten. Falls er herausfand, dass Marcus der Sohn des Spartakus war, eines der gefährlichsten Feinde, die Rom je bedroht hatten, dann würde er sich verpflichtet fühlen, Caesar darüber zu unterrichten, und alle Anweisungen befolgen, die dieser ihm gab, um Marcus’ Schicksal zu entscheiden.
Andreas lehnte sich zurück und warf Festus einen mitfühlenden Blick zu. »Ziemlich reizbar, die beiden. Wie kommst du nur mit denen klar? Wären sie mir anvertraut, ich würde ihnen eins hinter die Ohren geben, wenn sie so frech daherreden.«
»Sie sind mir nicht anvertraut«, erwiderte Festus. »Sie sind meine Gefährten. Meine Waffenbrüder. Meine Freunde.«
Es war das erste Mal, dass Festus dieses Wort benutzt hatte, und sowohl Marcus als auch Lupus schauten ihn überrascht an. Marcus spürte, wie Stolz in ihm aufstieg, weil dieser Mann, den er bewunderte und respektierte, ihn als Freund betrachtete. Trotz all der gemeinsam durchgemachten Gefahren hatte Festus bisher nie seine Gefühle zum Ausdruck gebracht.
»Freunde, was?« Andreas zog eine Augenbraue in die Höhe. »Was macht ihr, du und deine Freunde, dann hier so weit weg von Rom? Ich nehme an, es geht um mehr als nur eine Wanderung von einer Stadt zur anderen, wobei ihr euch mit euren Kämpfen einen Hungerlohn verdient?«
»Für Essen und Unterkunft langt es«, konterte Festus. »Was brauchen wir mehr?«
»Was schon?« Andreas nahm einen Schluck Wein und musterte sie einen nach dem anderen gründlich, ehe er weitersprach. »Also, was ist die wahre Geschichte?«
Marcus wusste, dass sie Informationen brauchten, wenn sie bei ihrem Unternehmen Erfolg haben wollten. Er wechselte einen raschen Blick mit Festus, der unmerklich nickte.
»Wir suchen jemanden«, sagte Festus. »Vielleicht kannst du uns da helfen.«
»Oh? Und wer ist das?«
Festus deutete mit dem Kopf auf Marcus. »Seine Mutter. Sie wurde vor zwei Jahren in die Sklaverei verschleppt. Seinen Vater hat man umgebracht, und Marcus konnte entkommen, nur um dann von dem Besitzer einer Gladiatorenschule geschnappt zu werden. Alles ziemlich ungesetzlich, verstehst du. Sie waren römische Bürger, und unser ehemaliger Arbeitgeber hält gar nichts davon, wenn man seine Mitbürger so behandelt. Er möchte, dass wir Marcus’ Mutter finden und befreien. Wenn wir auch den Mann auftreiben können, der dafür verantwortlich ist, und ihn für seine Verbrechen bezahlen lassen, umso besser.«
Andreas schaute zu Marcus. »Das ist hart. Tut mir leid, dass du diesen Verlust erlitten hast, mein Junge. Klingt ganz so, als hättest du eine schwere Zeit hinter dir.«
Marcus nickte und kämpfte gegen die Gefühle an, die wieder in ihm aufstiegen, jetzt da seine Vergangenheit angesprochen wurde.
»Also, was kann ich für euch tun?«, fragte Andreas. »Ihr denkt doch hoffentlich nicht, dass ich weiß, wo sich jeder Sklave in ganz Griechenland befindet?«
»Nein«, erwiderte Marcus und räusperte sich, um seine Emotionen in den Griff zu bekommen. »Aber du kannst uns helfen, den Mann zu finden, der meine Familie zerstört hat. Er heißt Decimus. Er war damals Magistrat in Stratos und er hatte Landbesitz auf dem Peloponnes. Er hat einen Glatzkopf und hinkt.«
Andreas nickte und kratzte sich am Kinn. »Kann nicht behaupten, dass ich den kenne. Ich war schon ein paar Mal in Stratos, aber so jemand ist mir da nicht begegnet. Es gibt aber einen Decimus, der Steuereintreiber ist. Er ist für die meisten Städte in diesem Teil der Provinz zuständig. Er kommt zweimal im Jahr nach Chalkeia, um die Steuereinnahmen zu überwachen.«
Marcus lehnte sich vor. »Wann ist das?«
Der Grieche schnalzte mit der Zunge. »Ihr habt ihn knapp verpasst. Vor ein paar Tagen ist er hier durchgekommen. Den sehen wir erst gegen Ende des Jahres wieder.«
Marcus stieß einen frustrierten Seufzer aus und ballte die Fäuste.
»Weißt du sonst noch was über diesen Decimus?«, schaltete sich Festus ein.
»Nein.«
»Na gut, wir wären dir dankbar, wenn du all das hier für dich behältst. Kennst du sonst jemanden, der uns weitere Informationen liefern könnte?«
»Nicht hier in Chalkeia. Aber in Stratos gibt es einen großen Sklavenmarkt. Da kommen jede Menge Händler durch. Wenn euch überhaupt jemand helfen kann, die Mutter des Jungen zu finden, dann sind es die.«
Marcus spürte, wie es ihm kalt über den Rücken lief, wenn er sich an den Sklavenmarkt und an die Nacht erinnerte, in der Decimus ihn und seine Mutter besucht und sich über ihre Qualen lustig gemacht hatte. Der Magen krampfte sich ihm zusammen, und er erneuerte im Stillen den Schwur, Decimus leiden zu lassen, wenn die Zeit der Rache gekommen war. Ein einfacher Tod wäre für diesen Kerl zu gut.
»Also auf nach Stratos«, unterbrach Festus seine bitteren Gedanken. »Dahin wollen wir gehen. Wir versuchen es auf dem Sklavenmarkt, wie du es vorgeschlagen hast, und schauen mal, ob dort jemand etwas weiß. Jetzt machen wir besser Pläne für die Nacht und brechen morgen ganz früh auf. Wir danken dir, Andreas. Für deine Hilfe. Und für den Wein.«
»Gern geschehen. Und danke für die Lektion. Jetzt überlege ich es mir zweimal, ehe ich mich wieder mit durchreisenden Fremden auf einen Kampf einlasse.« Er trank seinen Becher aus, schaute in den Krug und runzelte die Stirn, als er feststellte, dass der leer war. »Dann lasse ich euch mal die Vergnügungen erkunden, die unsere Hafenstadt zu bieten hat.«
Er erhob sich von der Bank und rülpste laut, ehe er sich noch einmal Marcus zuwandte. »Viel Glück, mein Junge. Ich hoffe, du findest, was du suchst.«
Marcus nickte zum Dank, und der Grieche ging durch eine schmale Gasse auf die sonnendurchflutete Straße, die zurück in die Stadtmitte führte. Als er weg war, schüttelte Festus den Kopf.
»Ich glaube, unser Mann wird schwieriger zu finden sein, als wir gedacht haben.«