Otto Redenkämper
»Dat Leben is kein Trallafitti«
Der Fenster-Rentner erklärt die Welt
FISCHER E-Books
Geboren in Gelsenkirchen. Als Blagen im Nachkriegsruhrgebiet mit Blindgängern Fußball gespielt. Später mit ordentlicher Lederpille eigene Mannschaft für Straßenfußball gegründet. Dann kamen die Frauen. Knutschen im Autokino, Fummeln am Rhein-Herne-Kanal. Wilma getroffen, gemählt, geschwängert. Auf der Zeche malocht. Opa geworden. Dann Rente. Und heute? Aufstehen, Jupps Kiosk, Schrebergarten, von Wilma bekochen lassen, ins Fenster hängen, Einkäufe erledigen, über die Welt- und Wetterlage moppern – das bin ich, euern Otto.
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Erschienen bei FISCHER E-Books
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2014
Covergestaltung: bürosüd°, München
Mitarbeit: Carsten Uekötter
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403067-8
Kinners,
als mich mein Chef, Herr Dr. Kirnhoff, in den Ruhestand verabschiedete, hätte ich nie gedacht, was das Rentnerdasein für eine stressige Angelegenheit ist. Früher hab ich auf der Zeche zig Männer angeleitet und heute krieg ich schon die Krise, wenn die Tageszeitung nicht pünktlich im Briefkasten landet. Ich weiß noch, als ich damals am ersten Tag im Ruhestand als frischgebackener Rentner aufwachte, hab ich mich über meine neue Freiheit gefreut wie ein Döppke auf den ersten Ferientag. Es gab nur einen Haken. Um 11 Uhr war ich mit allem durch, was ich mir für den Tag vorgenommen hatte. Und so hing ich gelangweilt in Unterhemd und Joggingbuxe auf dem Sofa rum. Das Taubenzüchten hatte ich vor Jahren drangegeben, die Schrebergartensaison war noch ein paar Monate hin, und bei meinem alten Kumpel Jupp im Kiosk wollte ich auf keinen Fall vor Mittag aufschlagen. Ich zappte gelangweilt durch die Fernsehkanäle, als ich plötzlich Lärm auf der Straße hörte. Ich schlüpfte in meine Badelatschen, ging zum Fenster und sah einen Wagen der Stadtwerke. Zwei Malocher stiegen aus und versuchten, eine Birne in der Straßenlaterne auszutauschen. Ich öffnete das Fenster, holte mir einen Pott Kaffee aus der Küche und schnappte mir eins von Wilmas selbstgenähten Sofakissen.
Die Straße fest im Blick, sah ich auf einmal mein Spiegelbild in den Fensterscheiben des Nachbarhauses. Da fuhr mir der Schreck in die Glieder. Die Geschichten waren also wahr? Die Verwandlung hatte keine 24 Stunden gedauert. Ich wusste sofort, was die Uhr geschlagen hatte und war bereit, mich der Verantwortung zu stellen. Die Rentenkasse war mein neuer Chef und Gelsenkirchen mein Einsatzgebiet. Es gab Kinder zu belehren, nach Kleingeld zu kramen, Wartezimmerstühle zu besetzen und meinen Kumpels im Kiosk die Welt zu erklären.
Was mich im Spiegelbild anguckte, war ein waschechter Fenster-Rentner. Ich prostete mir zu und war bereit für alles, was da kommen sollte.
Also dann, bei uns im Ruhrgebiet sagt man an dieser Stelle: »Glück auf!«
Euern Otto
Kinners,
morgens vorm Frühstück komm ich regelmäßig in Stress. »Wilma, wo sind denn meine beiden Lieblingsunterhemden abgeblieben?«
»Die sind in der Wäsche. Nimm halt ein anderes Unterhemd, sind doch genug da!«
Auf neuen Feinripp geschmeidig machen hatte ich überhaupt keine Lust. Aber mir blieb keine andere Wahl. Also holte ich ein neues Unterhemd aus dem Schrank, zog ein bisschen daran rum und warf es über meinen Astralkörper. »Was möchtest du denn zum Frühstück, Rührei oder Spiegelei?«
»Wenn der Tag schon mit einem neuen Unterhemd anfängt, ist er nur noch mit Rührei und Speck wieder auf die gerade Bahn zu kriegen.«
Es dauerte nicht lange, dann hatte die doppelte Portion Rührei mit Speck ihre beruhigende Wirkung getan. Ich gönnte mir noch ein Rosinenbrot mit grober Leberwurst und hörte die Nachrichten im Radio: »Die Einbruchserie in Gelsenkirchen hält weiter an. Der Polizeisprecher dazu: ›Die Kriminalitätsstatistik weist gerade im Bereich Einbrüche in den letzten Jahren kontinuierlich nach oben. Deshalb bitten wir alle Bürger, die Augen offen zu halten und die Polizei zu informieren, sobald sich in der Umgebung etwas Verdächtiges tut.« Da bin ich wie ein Erdmännchen in die Höhe. Denn eins war für mich glasklar. Ich hatte den lupenreinen Auftrag, mich zu kümmern. Von der einen auf die andere Sekunde lag die Sicherheit Gelsenkirchens auf meinen Schultern. Was eine Verantwortung. Vor allem, da sich einer der größten Schätze Europas nur wenige Hundert Meter von meiner Wohnung entfernt befindet. Die Schalker Trophäensammlung. Ich musste die Einbruchserie stoppen. Nur, ohne die richtige Ausrüstung war ich den Halunken hilflos ausgeliefert. Ich zog meine Thermounterbuxe an, falls ich spontan die Verfolgung aufnehmen musste, packte die Ladestation vom Telefon auf die Fensterbank und legte Fernglas und Notizblock bereit. Ich hatte mich gerade in voller Montur auf meinen Posten begeben, da ging es auch schon los. Ein komischer Typ mit Nasenhaartoupet zog einen Rollkoffer durch unsere Straße. Mit einem Rollkoffer durch Gelsenkirchen-Buer? Das konnte gar nicht sein. Wer im Ruhrpott wohnt, fährt mit der Karre in den Urlaub und zieht seinen Koffer nicht quer durchs Gelände. Und dazu der dubiose Oberlippenfiffi. Da wusste ich, Gefahr war im Verzug. Der Typ lief schnurstracks Richtung Jupps Kiosk. Meinem zweiten Wohnzimmer.
Jupps Kiosk gibt es schon länger, als ich lebe. Jupp führt den in der dritten oder vierten Generation und damit es keine Probleme mit dem Namen gibt, werden alle erstgeborenen Söhne in seiner Familie einfach Jupp genannt. Mein Opa ist da mit mir als kleines Blag schon hin. Und irgendwann stand auch ich im Kiosk und kaufte meinem Sohn eine bunte Tüte. Hier kennt, trifft, freut und tröstet man sich von morgens bis abends. Jupp hatte mir letztens irgendetwas erzählt, von wegen, sein neuer Hauseigentümer würde Stress machen und hätte ihn lieber heute als morgen raus. Und so ein Bruch, um den Mieter einzuschüchtern, käm ja nicht zum ersten Mal vor. Aber nicht mit mir. Die können sich ihre Gewinnmaximalisierung oder wie das heißt sonst wo hinstecken.
Der Typ mit dem Oberlippenfiffi musste gestoppt werden. Zum Glück hatte ich die Telefonnummer der Polizei Gelsenkirchen in den Kurzwahlspeicher gepackt: »Guten Tag, mein Name ist Otto Redenkämper. Vor meinen Augen spielt sich eine Einbruchsanbahnung ab. Bitte schicken Sie sofort einen Streifenwagen zu Jupps Kiosk.«
»Haben Sie Einbruchsanbahnung gesagt? Was soll ich mir denn bitteschön darunter vorstellen?«
»Ein zwielichtiger Geselle plant hier vor meinen Augen einen Bruch. Der hat einen Schnurrbart und einen Rollkoffer. Da habe ich blitzschnell eins und eins zusammengezählt. Schnurrbart zur Tarnung und im Rollkoffer befindet sich alles, was er für seinen Bruch braucht.«
»Guter Mann, wir können doch nicht einfach unbescholtene Bürger festnehmen! So läuft das nicht bei uns. Ich wünsch Ihnen noch einen schönen Tag. Auf Wiederhören.«
Nach diesem Rückschlag brauchte ich eine Pause und kümmerte mich um die letzte Domäne, die uns Männern noch geblieben ist. Ich schnappte mir, wie jeden Tag um Punkt 13 Uhr, das Boulevard-Blättchen meines Vertrauens und informierte mich am stillen Örtchen über die wichtigsten Aufreger des Tages. Nach einem kurzen Mittagsschlaf war ich zurück auf dem Posten. Etwas verschlafen sah ich Horden von Schulkindern an meinem Fenster vorbeiziehen. Da stach mir was ins halboffene Auge. Warum hatten die Blagen so komische Beutel in den Händen, wenn die Schulklamotten doch alle im Tornister verstaut waren? Mir fiel es wie Schuppen aus dem Resthaar. Wieso war ich da nicht früher drauf gekommen? Kinder sind die idealen Handlanger. Die kannst du schön klauen schicken und keiner kann dir was. Ich konnte nicht anders und rief wieder bei der Polizei an. »Hier ist noch ma Otto Redenkämper. Ich geb zu, vorhin war die Beweislage etwas dünn. Aber jetzt hab ich hier wirklich ein Verbrechen für Sie. Ich sag nur Kinderbanden. Da sind Sie baff, was?«
Ich erklärte dem Polizisten meine Theorie.
»Herr Redenkämper, nun ist es aber wirklich gut gewesen. Was wollen Sie denn bitteschön von uns? Dass wir Ihre Straße absperren, die Kinder in Angst und Schrecken versetzen und deren Turnbeutel durchsuchen? Lassen Sie uns bitte in Ruhe mit Ihren hanebüchenen Theorien. Sonst rücken wir wirklich zu einem Einsatz aus und der findet direkt bei Ihnen in der Wohnung statt! Haben wir uns da verstanden?«
Ich blieb trotz der Abfuhr weiterhin auf meinem Posten. Wilma hatte mir zwischendurch einen Henkelmann mit Erbsensuppe und eine Thermoskanne Kaffee als Abendration hingestellt. Als ich gerade den Löffel in die Erbsensuppe tunken wollte, fiel mir der ganze Kladderadatsch vor Schreck aus der Hand. Ein lautes Poltern vor meinem Fenster riss mich fast vom Stuhl. Es war mein Nachbar, der seinen Kofferraum nach und nach mit schweren Gegenständen belud. Der feine Herr Schröter wohnte erst seit ein paar Jahren auf meiner Straße. Der kam mir schon vom ersten Tag an dubios vor. Schweigsamer Typ, der sich höchstens ein muffeliges »Guten Tag« aus den Rippen leiert, wenn er an mir vorbeiläuft. Vielleicht hätte ich ihn auch nicht direkt nach seinem Einzug darauf hinweisen sollen, dass sein Vorgarten aussieht wie Gelsenkirchen kurz nach dem Krieg. Mein Nachbar lud weiter Gegenstände aller Art in seinen Kofferraum.
»Jetzt hab ich dich, du mieser Wüstenlurch. Ich wusste, dass du Dreck am Stecken hast.« Ich notierte, was mein Nachbar alles in sein Auto packte. Verschiedene Gemälde, mehrere Lampen, Kisten voller Schmuck, Kleidung und Bücher. Astreines Diebesgut, das bestimmt bei Nacht über die Grenze geschafft werden sollte. Plötzlich ergab alles einen Sinn. Die Schulkinder luden ihre Beute bei meinem Nachbarn ab, und er vertickte die Sachen an einen Hehler. Ich stürmte brüllend aus der Wohnung.
»Finger weg vom Kofferraum! Hier spricht die Bürgerwehr! Sie wurden in flatulenzi erwischt!«
Mein Nachbar wusste gar nicht wie ihm geschah.
»Wo haben Sie das Zeug im Kofferraum geklaut, Sie Dieb!?«
Bei meinem Nachbarn änderte sich die Gesichtsfarbe in Pavianhintern-Rot.
»Sind Sie jetzt völlig durchgeknallt? Soll ich Ihnen sagen, wo ich mit den Sachen in meinem Kofferraum hinfahre? Ich fahre damit zum Flohmarkt, Sie Ochse!«
Ich war sprachlos. Dieses Alibi war wasserdicht. Ich murmelte ein »Entschuldigung, falscher Alarm« vor mich hin und schlich wie ein begossener Mettigel zurück ins Haus. Dabei sah ich Wilma an meinem Stammplatz im Fenster hängen. Sie schüttelte heftig den Kopf und machte mit der rechten Hand einen Dauerscheibenwischer.
Am nächsten Tag baute ich meine Überwachungsstation wieder ab, zog mein Lieblingsunterhemd an und schaute wieder wie gewohnt aus meinem Fenster. Gegen Mittag lief Wilma mit einem Müllbeutel in der Hand vorbei. »Inspektor Buerlumbo, hol schnell die Polizei! Deine Frau hat eine Bank überfallen und versteckt die Beute gerade in deiner Mülltonne.«
Glück auf, auch von meiner lustig aufgelegten Gemahlin!
Euern Otto
Kinners,
mein Einsatz als Chef der Bürgerwehr war mir ganz schön auf die Stimmung geschlagen. So schnell hatte ich mich lange nicht mehr vor so vielen Leuten auf einmal blamiert. Um mich auf andere Gedanken zu bringen, versprach ich Wilma, mich in den nächsten Tagen ausschließlich um ihr Wohl zu kümmern und das Fenster Fenster sein zu lassen.
Ganz oben auf meiner Liste stand das Erledigen der täglichen Einkäufe. Meine Wilma ist für ihre kulinarischen Ausflüge ins Reich der Botanik bekannt und stellt mich immer wieder vor neue Herausforderungen. Die haut sich alles zwischen die Kiemen, was grün ist und nach Komposthaufen aussieht. Und am besten immer alles Bio. Ich sage immer, Bio ist, wenn Mutti mit ihrem dicken Geländewagen jedes Ei einzeln vom Bauernladen abholt, damit sich bloß kein Dotter vernachlässigt fühlt. Ich bin da anders gepolt. Ich schlag die Discounterprospekte auf und guck, was das beste Fleisch-Euro-Verhältnis hat, und das wird gekauft. Ob Huhn, Pferd, Kamel oder Tapir. Nirgendwo bekommst du mehr Fleisch für die Rente als beim Discounter.
»Ich habe heute richtig Appetit auf Tomaten und Basilikum mit Büffel-Mozzarella. Kannst du mir den holen? Du hast doch heute eh nichts vor.« Ich hatte keinen blassen Schimmer, was Büffel-Mozzarella eigentlich sein soll. Aber da ich als Ehemann laut Altem Testament unantastbar und allwissend bin, gab es nur eine Antwort: »Klar, Büffel-Mozzarella. Hol ich.«
Ich ging zur Fleischerei Korrazeck bei mir ums Eck. Ich bin übrigens einer der wenigen Auserwählten in Gelsenkirchen-Buer, die über eine Korrazeck-Bonuskarte verfügen. Pro zehn Kilogramm Hack gibt es einen Stempel. Sobald zehn Stempel voll sind, gibt es einen Korrazeck-Balken gratis. Korrazeck-Balken ist bei uns ein fester Begriff. Anderswo läuft das unter Frikadelle oder von mir aus auch Bulette.
»Hallo die Damen, ich hätt gern einmal Büffel-Mozzarella.«
Lautes Lachen erfüllte den Saal.
»Da haben Sie sich wohl in der Tür geirrt. Wir sind eine Fleischerei.«
»Liebe Frau Korrazeck, vielleicht haben Sie mich nicht richtig verstanden. Ich möchte eine Büffel-Mozzarella mit B wie Büffel.«
Da wieherten die Damen hinter der Theke los, als wären sie eine Herde Gäule auf dem Weg in die Lasagne. Ratlos bin ich ins Internetkaffee gegenüber und habe »Büffel-Mozzarella« in die Suchmaschine gehauen.
»Büffel-Mozzarella ist ein Käseprodukt aus Wasserbüffelmilch und stammt aus Italien.« Was eine Blamage. Als ich mir die Bilder von dem Zeug anschaute, kam mir was ganz anderes in den Sinn. Immerhin wusste ich jetzt, wonach ich suchen musste und ging sofort zu Jupps Kiosk.
»Tach, Jupp, gib mir ma bitte ne Packung Büffel-Mozzarella.«
»Wie bist du denn drauf? Du bist hier in einem Kiosk. Das hier ist ein Kiosk und kein Bioladen. Ich hab hier keine Büffelweide im Hinterhof. Oder siehst du hier irgendwo einen Büffel? Möchtest du noch ne Flasche kalt gegurgeltes Olivenöl dazu? Das haben die Bauern in Italien selbstgemacht. Das machen die alles selber, verstehst du?«
»Hast du einen Pekinesen gefrühstückt?«
»Von wegen. Hier ist die Pekinesenkacke ganz groß am Dampfen. Aber ganz groß. Komm mit nach hinten und schau dir die Scheibe an. Eingebrochen haben sie hier. Einfach eingebrochen. Zum Glück hatte ich kein Bargeld mehr in der Kasse liegen. Das war mein Glück.«
»Ich geh kaputt. Ich hab den Typen gesehen! Ich hab der Polizei eine glasklare Ansage gemacht, dass da ein Typ mit Rollkoffer und Oberlippenfiffi einen Bruch in deinen Kiosk plant. Aber die haben mir nicht geglaubt.«
»Da steckt bestimmt der neue Hauseigentümer dahinter. Das ist ein ganz mieser Hund. Der will mich hier mit allen Mitteln raushaben, jedes Mittel ist dem recht. Der hat mir schon ne saftige Mieterhöhung angedroht. Einfach angedroht.«
»Was ist das bloß für ein Ganove? Das müssen wir unbedingt in Ruhe verhackstücken. Lass uns nächste Tage alle zur Krisensitzung treffen. Ich trommel die Jungs zusammen.«
Ich schaute mich hochkonzentriert im Kiosk um und entdeckte den guten alten Scheibenkäse im Kühlregal. Der heißt Käse, riecht nach Käse und schmeckt nach Käse. Dazu eine Packung abgepackten Schinken und eine Lage Toastbrot und du hast im Nu ein Fünf-Sterne-Menü auf dem Teller. Käse-Schinken-Toast nennt sich das. Ich sage dazu auch gerne Stumpenhappen. Wenn du den Toast kalt lässt, kannst du das auch ohne deine Dritten leicht und locker vertilgen. Beim Anblick des Scheibenkäses kam mir eine Idee, wie ich das Büffeldilemma ohne weitere Blamage ganz schnell beenden konnte.
Ich schnappte mir eine Packung und tigerte damit nach Hause. In meinem Hobbykeller legte ich alle wichtigen Utensilien für meine Operation bereit. Heißklebepistole, durchsichtige Gefrierbeutel, Flasche Mineralwasser, wasserfesten Stift und natürlich den Scheibenkäse. Ich nahm den Käse aus der Packung, klatschte alle Scheiben zusammen, formte eine Kugel daraus, und siehe da, vor mir lag ein Käseklops vom Allerfeinsten. Ich füllte einen Gefrierbeutel zur Hälfte mit Mineralwasser, legte die Käsekugel rein und klebte die Tüte mit der Heißklebepistole zu. Ich war ganz begeistert von meinem Werk. Das sah genauso aus wie das Zeug auf den Bildern im Internet. Fehlte nur noch die Beschriftung. Die musste natürlich sitzen, damit Wilma keinen Verdacht schöpfte. Also habe ich »Buffa di Moz, Calavaro Patrese Fabricia, 9876 Stifilien, Italien« drauf gepinnt.
Wilma war ganz aus dem Häuschen und machte sich direkt dran, ihr Basilikum-Tomaten-Zeugs mit der Büffel-Mozzarella zu veredeln. »Komisch, der ist aber ganz schön gelb. Sonst ist Büffel-Mozzarella doch immer weiß und viel weicher. Und irgendwie riecht der hier auch ein bisschen muffig.«
Da hieß es ruhig bleiben und Wilma auf keine falschen Gedanken bringen. »Ich bin durch halb Gelsenkirchen getigert, um den Käse zu besorgen. Guck ma auf die Verpackung. Da steht ›Calavaro Patrese Fabricia‹ aus Stifilien. Weißt du überhaupt, wo Stifilien ist? Das ist ein klitzekleines Bergdorf in Italien. Ganz unten am Stiefel. Die Büffel da kriegen extra viel Sonne ab, und deshalb ist der Käse so fest und gelb. Und was den Muff angeht, Muff kommt von Buff, also von Büffel. Das stinkt nun mal.«
Doch als Wilma das Mozzarellamofa an ihre Lippen setzte, überkam mich schlagartig das schlechte Gewissen. Ich konnte sie einfach nicht in diesen Schummelkäse beißen lassen. »Stopp!«, rief ich und schlug Wilma im letzten Moment das Brot aus der Hand. »Ich muss dir was gestehen. Das war gar kein Mozzarella, das war zusammengeklumpter Scheibenkäse aus Jupps Kiosk. Die Mozzarellabeschaffung hat mich überfordert. Ich wusste nicht ma, was das überhaupt sein soll.«
Als sich Wilmas Zornesfalte auf der Stirn zusammenzog, überkam es mich: »Mein Täubken, als Wiedergutmachung lad ich dich jetzt sofort zum Italiener ein.«
Wilma und ich verbrachten einen romantischen Abend, ich gönnte mir ein saftiges Steak und Wilma aß seltsam angerichtetes Gemüse und eine Pizza mit Brokkoli. Wer auch immer auf die Idee gekommen ist, Brokkoli auf eine Pizza zu packen, der muss in großer Not gewesen sein. Irgendwann hatte bestimmt ein Koch in Italien die Hütte voll, aber nichts mehr zur Hand außer Brokkoli. Anders kann ich mir das nicht erklären.
Zurück zu Hause haute ich mich aufs Sofa und guckte noch einen Boxkampf in der Glotze. Sobald ich Boxen einschalte, geht Wilma sofort ins Bett. Keine Ahnung warum. Es gibt doch nichts Besseres, als zwei Männern dabei zuzugucken, wie die sich gepflegt einen vor die Mappe hauen. Ich hab ja früher noch die ganz großen Kämpfe mitbekommen. Bambule im Dschungel und so. Ich weiß noch, wie ich mit meinem besten Kumpel Erwin einmal total aufgedreht nach einem Boxkampf in der Glotze auf die Cranger Kirmes gegangen bin. Da gab es eine Boxbude, und wir beide natürlich rein in die gute Stube und uns als Kandidaten gemeldet. Normalerweise kriegst du da nicht richtig einen gewemst, wenn du dich ordentlich benimmst. Aber Erwin und ich sind da wie zwei offene Hosen mit großer Klappe rein und meinten, wir wären die Kings vom Kirmesplatz. Und da haben uns die netten Herren aus dem ehemaligen Jugoslawien kurz gezeigt, wo der Hammer hängt. Teufel, haben die uns einen verpasst. Erwin und ich haben nach der Nummer auch ohne Alkohol doppelt und dreifach gesehen, und die nächsten Tage war extremes Schädelbrummen angesagt. Seitdem haben wir nie wieder die Fäuste geschwungen. Da halten wir uns an das, was mein Opa immer sagte: »Wichtich beim Klappeaufreißen is, datt du immer nen astreinen Fluchtweg parat hass.«
Als ich nach dem Ende des Boxkampfs die Schlafzimmertür öffnete, traf mich ein Ausleger direkt auf die Nase. So einen Mief hatte ich lange nicht mehr erlebt. »Sag ma, wie viel Tonnen Knoblauch haben die dir aufs Gemüse gedonnert?«
Ich ging zum Fenster, zog die Rollladen hoch und lüftete einmal kräftig durch. Aber sosehr ich auch lüftete, innerhalb von Minuten war die Bude wieder zugedampft.
In solchen Momenten habe ich das große Glück, auf jahrzehntelange Schlafzimmerkompetenzen zurückgreifen zu können. Am Anfang unserer Ehe haben Wilma und ich das Schlafzimmer tagsüber genauso oft benutzt wie nachts, aber irgendwann nagt der Zahn der Zeit an der Bettkante. Heute liegt meine nächtliche Aufgabe im Bereich wohlige Geräuschkulisse. Je nachdem, wie viel Pils ich an dem Abend getrunken hab, gibt es da verschiedene Abstufungen. Die Kleinste ist, selbst eine Nordmanntanne im Wald sägen. Das geht dann rauf bis zum automatischen Sägeroboter, der den Urwald dem Erdboden gleich macht. Wilma meinte letztens, ohne mein beruhigendes Röhren könnte sie gar nicht mehr schlafen. Aber es gibt eine Sache, die uns auch nach über vierzig Jahren Ehe noch regelmäßig auf die Palme bringt. Die Schlafzimmertemperatur. Wilma gehört zu den Leuten, die es nicht warm genug haben können. Dicke Bettdecke drauf, Körnerkissen an die Füße, alle Fenster dicht und zur Sicherheit die Heizung schön kacheln lassen. Könnte ja sein, dass über Nacht auf einmal der Klimawandel komplett zuschlägt und die Temperaturen auf zweistellige Minusgrade absinken. Ich hingegen bin von Natur aus Heißblüter. Ich lass die Knöppe meiner Schlafanzugjoppe grundsätzlich offen und für meinen Astralkörper reicht mir ein hauchzartes Laken. Schläft Wilma tief und fest, schleiche ich mich gerne zum Heizungsregler und versuche, das Teil ein paar Nummern weiter runterzudrehen. Seit letztem Winter geh ich die Sache noch mal anders an und habe zwei Ersatz-Schlafanzüge parat liegen. Verwandelt sich mein Bett gefühlt in ein löchriges Schlauchboot, stehe ich kurz auf und zieh mich um. Das ist nichts anderes, wie wenn ich früher meinem Sohn die Windeln gewechselt hab. Ist die Buxe nass, wird eine neue angezogen, und schon geht es einem besser.
Aber an dem Abend nach unserem Besuch beim Italiener war ein durchgeschwitzter Schlafanzug mein kleinstes Problem. Im Schlafzimmer stank es wie im Pumakäfig. Da fiel mir die alte Weisheit wieder ein, dass man Feuer nur mit Feuer bekämpfen kann. Mein Fehler war, dass ich selbst keinen Knoblauch gespachtelt hatte. Aber das ließ sich ändern. Ich lief in die Küche, durchstöberte Wilmas Gewürzregal und fand eine Dose Knoblauchpulver. Muss reichen, dachte ich und kippte ordentlich von dem Zeug in ein Glas. Ein bisschen Kraneberger drüber, umgerührt, und schon war die Suppe meine Speiseröhre runtergerutscht. Zur Sicherheit schnappte ich mir eine Zwiebel und kaute so lange darauf rum, bis mir die Tränen in die Augen schossen. Bevor ich zurück ins Schlafzimmer ging, ließ ich das hochexplosive Knoblauch-Zwiebel-Gemisch eine halbe Stunde in meinem Bauch wirken. Ich atmete tief ein und siehe da, ich roch nichts mehr.
Hätte jemand in dieser Nacht ein Streichholz in unserem Schlafzimmer angezündet, wär wahrscheinlich halb Gelsenkirchen in die Luft geflogen. Aber ein Naturgesetz blieb intakt, niemand und schon gar nicht meine Ehefrau hatte das Recht, mich in meinem eigenen Schlafzimmer zu übermüffeln.
Glück auf!
Euern Otto
Kinners,
Mittagszeit ist Kioskzeit. Vorm Kiosk warteten schon Acki, Dietmar und mein bester Kumpel Erwin auf mich.