»Das alles – dieser ganze Wahnsinn, der Schrecken und die höllischen Kreaturen, die sich überall tummeln – ist die Schuld eines Buches, eines Kinderbuches, das Dancing Jax heißt. Geschrieben wurde es 1936 von einem … Ich weiß auch nicht, was genau er ist, vermutlich würde man Okkultist sagen. Wissen Sie, was das bedeutet? Allerdings war und ist er viel mehr als das; Austerly Fellows, der gefährlichste und bösartigste Mensch, der je gelebt hat – und er ist in der Tat noch immer sehr lebendig. Das Buch wurde erst Ende letzten Jahres veröffentlicht, und zwar von einem Mann, von dem Austerly Fellows Besitz ergriffen hat. Der Kerl war ein nichtsnutziger Tagedieb, der das Pech hatte, in das falsche Haus einzubrechen. Und das war’s dann für ihn. Inzwischen nennt er sich der Ismus nach der Hauptfigur aus der Geschichte und die Welt hängt förmlich an seinen Lippen.
So viele Menschen sind schon gestorben, so viele Leben wurden zerstört, so viele leiden noch immer. Aber was mir wirklich Angst macht, was mich nachts kein Auge zutun lässt, ist nicht die Furcht vor ihm oder davor, dass mich seine fiesen Kreaturen aufspüren, sondern vor dem, was er plant. Was kommt als Nächstes? Was wir bisher erlebt haben, ist noch lange nicht das Ende vom Lied. Austerly Fellows führt etwas im Schilde, etwas noch viel Schrecklicheres. Nein, ich habe keine Ahnung, was. Und wie sollte ich auch? Hören Sie, ich bin nichts, ein Niemand, und hier geht es nicht um Politik. Politik … gehört der Geschichte an und existiert nicht einmal mehr. Ich bin nur ein Mathelehrer aus einem kleinen Ort in England, der Felixstowe heißt, und ich bin müde und verzweifelt. Warum sonst sollte ich hierherkommen und Sie um Hilfe anflehen? Sie müssen mir glauben: Dancing Jax ist auf dem Vormarsch – und nicht mal Sie können es aussperren. Sie sind schon eine lange Zeit vom Rest der Welt abgeschnitten, aber das wird Ihnen nicht helfen. Nichts kann es aufhalten! Nichts … außer vielleicht … ein Junge aus Großbritannien. Er könnte die Antwort auf all unsere Gebete sein und darum müssen Sie mir helfen. Das ist unsere allerletzte Hoffnung.«
Die Videobotschaft endete und der Fernsehbildschirm wurde schwarz. Die Marschälle wandten sich der Gestalt in Schwarz zu, die zwischen ihnen saß.
»Tut, worum er bittet«, befahl ihr Oberbefehlshaber leise. »Leitet die Rettungsaktion ein – sofort!«
1
Überall in London stiegen dunkle, ölige Rauchschwaden in die stille Luft. Heutzutage loderte es ständig – Autos, Häuser, Menschen. Immer gab es etwas zu verbrennen. Die Spiegeltürme der Canary Wharf blitzten im apricotfarbenen Licht eines Spätsommerabends. Obwohl viele der Fenster inzwischen geborsten oder verschmiert waren von den schmutzigen Spuren der aufgedunsenen Geschöpfe, die des Nachts daran herunterkrabbelten, waren noch genug Scheiben übrig, in denen sich die untergehende Sonne grell flammend spiegeln konnte.
Die Themse stand hoch. Die Oberfläche wurde zwar nicht mehr von Flussverkehr gestört, doch von allerlei Unrat, Schlingpflanzen und langen, treibenden Glibberranken, die wie Froschlaich aussahen, verpestet. Dickes Wasser schwappte gegen die halb versunkenen Wracks von Lkws und Bussen. Sie waren von den Brücken gestoßen worden – von Wesen, die ihre Nester in den schattigen Bögen zwischen den Pfeilern bauten, wo in gesponnenen Netzen bereits riesige Ansammlungen ledriger Eier hingen.
Am verlassenen Südufer ging ein Teenagerpärchen spazieren. Die Ruinenstadt völlig außer Acht lassend, hatten sie nur Augen für sich und die Insassin des Buggys, den der Junge schob. Es war einer dieser megamodernen Kinderwagen auf nur drei Rädern, der aussah, als würde er sonst über den Mars rollen. Allerdings zierten Girlanden aus fluffigen rosa Federn die Griffe, um das Gefährt etwas mädchenhafter und persönlicher erscheinen zu lassen, und darüber schwebte ein Garfield-Ballon aus Glanzfolie.
Lee Charles lächelte das Baby an, das wohlbehütet in dem Wagen untergebracht war. Auf dem Kopf des kleinen, schlummernden Mädchens saß eine Strickmütze in Form eines Cupcakes mit rosa Zuckerguss und einer glitzernden Kirsche obendrauf. Jedes Mal, wenn Lee sie betrachtete, strahlte er wie ein Honigkuchenpferd. Sie war das kostbarste und wunderschönste Baby, das er je gesehen hatte. Ihr Lachen war für ihn das Größte und ihre Unschuld umgab sie wie der Schein einer Flamme. Er würde sein Leben dafür geben, dass sie nicht erlosch. An seiner Seite schritt das Mädchen namens Charm, das sich bei ihm untergehakt hatte und das Kinn an seine Schulter schmiegte.
»Oooh«, sagte sie. »Schau dich an, du kleiner Softy. Du bist mir ein feiner Gangsta.«
Lee gab ihr kichernd einen Kuss auf die Lippen. »Jetzt seid ihr zwei Süßen meine Gang«, entgegnete er, die Nase an ihre gepresst.
Charm erwiderte seinen Kuss und betrachtete dann die einst prächtigen Gebäude jenseits des Flusses, die nun verwahrlost und nicht mehr sicher waren.
»Aber war’s das auch wert?«, murmelte sie. »Ich meine … das alles. Alles, was passiert ist. War’s das wert, was du gemacht hast?«
Lee fuhr ihr mit den Fingern durchs lange Haar und schob ihr hübsches Gesicht wieder sich zu. »Dafür, dass du bei mir bist, genau jetzt? Für unseren kleinen Engel? Willst du mich verarschen? Und ob es das wert war! Eine Million Mal würd ich es wieder tun, Babe. Was anderes darfst du gar nicht denken. Hörst du?«
Charm senkte ihren Blick und nickte.
Dann packte Lee erneut die Griffe des Buggys. »Zeit, umzukehren«, verkündete er. »Bald wird’s dunkel. Wir sollten besser nicht mehr im Freien sein, wenn die großen Viecher aus ihren Löchern kommen und es am Himmel hektisch zugeht.«
»Wo gehen wir denn hin?«
»Zurück nach Hause, Babe. Du weißt doch.«
»Nach Hause?«
»Ja, die geile umgebaute Lagerhalle mit Stahlrollläden, Geschützständen und den Fake-Flammenwerfern – das ganze coole Paket.«
Charm zog die Stirn etwas kraus, während sie sich darum bemühte, sich zu erinnern. »Nein, ich … Ist meine Ma auch da?«
»Na, komm schon«, drängte Lee sanft.
»Also ist sie’s oder nicht?«
»Nein.«
»Wo dann?«
»Das hab ich dir doch gesagt, Babe.«
»Dann hab ich’s vergessen. Warum ist meine Ma nicht bei uns? Warum ist sie nicht bei ihrer Enkelin? Sie würde absolut ausrasten bei unsrer süßen Kleinen!«
»Deine Mutter ist nicht mehr da«, sagte Lee und lief los. »Sie ist weg. Das hab ich dir doch erzählt.«
Verwirrt legte Charm eine Hand an ihre Schläfe und zögerte. »Weg?«, wiederholte sie. »Wo ist sie denn hin? Ich kann gar nicht klar denken. Wann war das denn? Wann hast du mir das erzählt?«
Lee hielt an, ließ den Kinderwagen stehen und ging zu Charm, um ihr Gesicht mit beiden Händen zu umfassen und ihr tief in die Augen zu sehen. »Sie ist tot, Süße«, sagte er behutsam. »Als sie herausgefunden hat, was mit dir passiert ist, war es einfach zu viel für sie. Sie hat’s nicht ertragen und musste abhauen. Mann, ich hätte selbst fast das Handtuch geworfen. Deine Mutter war stark und hat gekämpft, du solltest stolz auf sie sein. Sie hat den Rest von uns aus diesem Drecksloch rausgeholt, aber dann hat sie es ohne dich nicht mehr ausgehalten. Sie dachte, dass du für immer tot bist. Sie hat ja nicht gewusst, was ich geplant hatte, dass ich dich aus diesem Mooncaster rausholen wollte. Aber ich werde dafür sorgen, dass unser Engel nie vergisst, dass ihre Oma wie eine Löwin gekämpft hat!«
Charm blinzelte ihre Tränen fort, während Lee ihr über die Wange streichelte.
Immer wieder vergaß sie es. Vielleicht war es so am besten. Vielleicht sollte er aufhören, sie unaufhörlich zu erinnern. Allem voran hätte es die Erinnerung an den Horror des Lagers, in das man die Kinder und Jugendlichen gesteckt hatte, die immun gegen die Wirkung von Dancing Jax waren, verdient, vergessen zu werden – besonders von Charm.
Sie wandte sich ab, trat ans Ufergeländer und starrte auf den trüben Fluss. Lee folgte ihr, zog sie an sich und hielt sie fest. Solange sie zusammen waren, spielte nichts anderes eine Rolle. Er würde alles tun, um sie nicht mehr zu verlieren. Manchmal fiel es ihm selbst schwer zu glauben, was er bisher schon getan hatte.
Plötzlich fuhr ihm das ungute Gefühl einer Bedrohung in den Magen, so wie jeden Abend. Noch immer in seinen Armen, hob Charm den Blick und schrie.
Ein Dutzend abscheulicher, kleiner, buckliger Männer mit Hakennase, die so stark geschwungen war, dass sie das groteske, vorstehende Kinn berührte, stürmte auf sie zu. Es waren Punchinello-Wächter aus den Seiten dieses bösen Kinderbuches, hässliche und brutale Wesen, die in diese Welt geschlüpft waren. Sie trugen die gelb-rote Livree von Mooncaster. Auf ihren deformierten Köpfen saßen große Zweispitz-Hüte aus Samt und in den Fäusten hielten sie Speere.
Lee ergriff die Hand seiner Freundin und gemeinsam rannten sie zum Kinderwagen. Doch die Garde hatte sie bereits eingeholt.
Ein gemeiner Tritt fegte Lee von den Füßen, sodass er mit den Knien voran auf den Asphalt stürzte. Charms Hand wurde ihm entrissen, noch bevor er mit dem Gesicht auf den Boden schlug. Er brüllte vor Schmerz und Zorn, als ein Stahlkappenstiefel auf seine Schultern stapfte. Man riss seine Arme hinter dem Rücken in die Höhe, bis er das Gefühl hatte, sie würden brechen oder ausgekugelt werden. Seine Gelenke brannten wie Feuer. Er wollte sich wehren, doch da rammte ein Schlagring aus Bronze seine Rippen und in seinem Ohr ertönte das Quieken einer näselnden Fistelstimme.
»Fein, fein!«, krächzte sie. »Oh, fein, fein! Noch einmal zuckst du, Creeper, und ich hau dir Knochen kaputt! Schön, wenn sie krachen und knacken, krachen und knacken.«
Lee konnte nur hilflos zusehen, wie drei der Punchinellos johlend vor grausamer Vorfreude Charm hinterherwetzten. »Lasst sie in Ruhe!«, brüllte er. »Wehe, ihr fasst sie an!«
Doch noch während die Worte über seine Lippen kamen, wurde Charm an den Haaren zu Boden gezerrt, bevor kräftige Hände ihren Mund bedeckten und ihre entsetzten Schreie erstickten.
Dann kamen zwei weitere Wächter herbeigewatschelt, die einen großen Lederkoffer schleppten. Er war so lang, dass zwei Griffe dafür nötig waren.
Als Lee ihn erblickte, weiteten sich seine Augen vor Schreck.
Der Koffer hatte die Form eines Sargs.
»Nein!«, brüllte er.
Die Gardisten setzten den makabren Koffer ab und tanzten einige Mal darum herum, bevor sie die Verschlüsse öffneten und den Deckel aufwuchteten. Im nächsten Moment wurde Charm in die Luft gehoben und hineingeworfen.
»Wir hatten einen Deal!«, schrie Lee. »Ich hab gemacht, was euer Psycho-Ismus wollte. Wir hatten einen Deal!«
Die Punchinellos schenkten ihm keinerlei Beachtung. Vergnügt hüpften sie um den Koffer herum und quälten das Mädchen darin, indem sie es mit den Spitzen ihrer Speere piesackten.
»Wenn ihr sie verletzt, bring ich euch um!«, donnerte Lee.
»Pikt das Würschtelchen!«, höhnten sie. »Pikt es, stecht es, lasst es prusten, in der Pfanne singen und quieken.«
»Mädchen tut hier nicht hergehören«, zischten die bösen Stimmen Lee ins Ohr. »Du nicht hast gemacht, was Ismus will.«
»Doch!«, protestierte Lee. »Das hab ich und bin dafür durch die Hölle gegangen. Aber das war mir egal! Wehe, ihr nehmt sie mir jetzt weg!«
»Lügner! Du gar nicht gemacht. Mädchen bleibt tot, bis du endlich machen tust.«
Lee sah, wie die zwei Punchinellos nach dem Kofferdeckel griffen, und erhaschte einen letzten Blick auf Charms erschüttertes Gesicht.
»Hab keine Angst!«, rief er ihr zu. »Ich werd dich nicht wieder verlieren! Egal wo du bist, ich komm dich finden! Versprochen! Versprochen!«
Der Deckel schnappte zu und schnelle, schmutzige Finger verriegelten die Verschlüsse. Dann packten sie den Koffer und die beiden Wächter trippelten damit fort, bis Charms gedämpfte Schreie in der Ferne verklangen.
Das drückende Gewicht des Stiefels hob sich von Lees Schulter und der Eigentümer der Stimme, die er gehört hatte, trat in sein Blickfeld.
Vor Lee stand Swazzle, Hauptmann der Schlossgarde, und zwar in demselben absurden Outfit, in dem Lee ihn zuletzt im Camp gesehen hatte: Er trug einen Nadelstreifenanzug im Stil der Zwanzigerjahre nach Vorbild Al Capones, dazu perlmuttgraue Gamaschen und einen weißen Filzhut. Von der dicken Zigarre in seinem Mund quoll blassblauer Qualm in die Luft.
»Du Mädchen wieder willst?«, keifte er, während er Lee Asche ins Gesicht stippte. »Dann mach, was Ismus sagt.«
»Böser Fehler, sich mit mir anzulegen!«, bellte Lee zurück. »Du weißt, was ich kann. Du weißt, warum euer Anführer so großen Schiss vor mir hat. Ich werde dafür sorgen, dass du aus dieser Welt fliegst und für immer aus diesem Scheißbuch radiert wirst – als hätt’s dich nie gegeben –, und absolut nichts …«
Die Drohung erstarb auf seinen Lippen. Die übrigen Punchinellos hatten ein freudiges Quietschen angestimmt.
»Oooooh, Baby! Schau, Winzmenschling! Schau, schau, schau!« Sie versammelten sich um den Buggy und tatschten nach dem Kind darin.
Lee brüllte sie an, sie sollten sich verziehen, doch sie ignorierten ihn und scharwenzelten um das Baby herum, verzogen ihre ohnehin abscheulichen Gesichter zu grässlichen Fratzen und streckten ihre dunklen Zungen heraus. Kurz darauf fing das Kind an zu weinen und die Wächter kabbelten sich deswegen.
»Du Baby aufgeweckt!«
»Nein, du hast!«
»Nein, du!«
»Du!«
Keifend stritten sie sich um den Kinderwagen, den sie sich gegenseitig aus den gierigen Griffen entrissen.
Lee schrie sie an. Doch die Hände, die seine Arme hielten, versetzten ihm plötzlich einen kräftigen Ruck und er wurde mit dem Gesicht voran zu Boden gepresst.
»Bitte, hört auf!«, flehte er ängstlich. »Macht das nicht. Tut meinem Engel nichts! Ich mache alles, was ihr wollt.«
Hauptmann Swazzle gackerte hämisch und trottete zu den anderen hinüber.
»Ich Baby zum Schlafen bringe«, verkündete er, bevor er den Kinderwagen packte und ihn grob hin- und herwippte. Mit einem fiesen Grinsen streckte er den hässlichen Kopf hinein und pustete dem Kind einen Rauchring ins Gesicht. Dann begann er, ein widerwärtiges Wiegenlied der Punchinellos zu krähen.
»Lass das Quäken, sonst setzt es was!
Nur Schwächlinge wimmern, nur Katzen flennen zum Spaß.
Ich zieh dir deine Nase lang,
ich mach dein Winzkinn krumm.
Bald wird aus dir ein Huckebein,
drum, Schreihals, sei jetzt stumm!«
Während er sang, ergriff ein zweiter Gardist das Vorderrad und schwang den Buggy gemeinsam mit dem Hauptmann immer weiter in die Höhe.
Lee wollte sich losreißen, doch die kleinste Bewegung wurde mit einem gefährlichen Zerren an seinen Armen und einem brutalen Tritt gegen die Beine quittiert.
»Aufhören!«, bettelte er. »Stopp!«
»Weiter!«, krähte Swazzle. »Rauf und raufer!«
Mit jedem Schwung holten sie weiter aus. Hoch und höher wippte der Kinderwagen, bis er die Hüte der Punchinellos erreichte. Ohne den Sicherheitsgurt wäre das Baby längst aus dem Sitz gefallen. Doch noch lange hielten die Wächter nicht inne. Hauptmann Swazzles gelbe Augen traten vor Freude fast aus den Höhlen, während er abstoßend johlte.
»Rauf und runter!«, kreischte er. »Rauf und runter – rauf und runter … So macht man das.«
Die anderen fielen in den vertrauten Singsang mit ein und trampelten mit Füßen den Takt dazu, während sie mit ihren Speeren in die Luft stießen. »So man das macht, so man das macht!«
Lee konnte es nicht ertragen. Heiße Tränen rannen über sein Gesicht. Er flehte und er brüllte, doch nichts half.
»Aaaaaaaa … hoch mit ihr!«, kreischte der Hauptmann ein letztes Mal. Als der Kinderwagen den bislang höchsten Punkt erreichte, ließ er los und auch der andere Punchinello gab das Vorderrad frei. Der Buggy segelte durch die Luft und flog über das Geländer in den Fluss.
Lee presste die Augen zu. Er hörte das Platschen, gefolgt vom Getrampel der Gardestiefel, als die Punchinellos zum Ufer eilten, um zuzusehen, wie der Kinderwagen in den Wogen versank.
»Ooooooh, schade«, rief Hauptmann Swazzle mit einem Blick aufs trübe Wasser, auf dem eine Wollmütze in der Form eines Cupcakes im Unrat trieb. »Oh, so schade!«
Lees Schreie hallten über die Themse.
Schmerz grub sich in seine Handgelenke und er fuhr hoch.
Eiskalter Schweiß bedeckte sein Gesicht und brannte in seinen Augen. Er wollte die Arme hochreißen, doch sie wurden noch immer festgehalten. Sein verzweifelter Hilferuf erfüllte den Raum.
»Mr Lee Charl«, tröstete ihn eine ruhige Frauenstimme. »Sie okay, in Sicherheit, bitte nicht sorgen.«
Immer noch atmete Lee hektisch und schwer, während sein Herz panisch hämmerte und seine Blicke ziellos umherirrten. Der Fluss war fort. Die Punchinellos waren verschwunden. Er befand sich in einem schummrig erleuchteten, fensterlosen Raum mit nackten Wänden. Vor ihm stand ein Krankenbett, umgeben von Monitoren und vier ausdruckslosen Männern in schicken olivgrünen Uniformen, bewaffnet mit AK-47-Sturmgewehren. Auf dem Bett saß kerzengerade eine Gestalt, an deren Stirn verschiedene Kabel befestigt waren.
In diesem Augenblick schritt eine kleine Frau, die über ihrer Militäruniform einen weißen Laborkittel trug, zur Tür und betätigte den Hauptlichtschalter, woraufhin eine Leuchtstofflampe an der Decke zu flackern begann. Jetzt sah Lee, dass die Augen des Patienten weit aufgerissen waren. Der traumatisierte Ausdruck auf seinem Gesicht war ein schmerzhafter Anblick. Plötzlich blitzte im sterilen Licht etwas Rosafarbenes auf. Es war ein Strasspiercing im Ohr des Patienten.
Mit einem Schlag wurde Lee bewusst, dass er in einen riesigen Spiegel starrte, der eine der Wände vollständig einnahm, und dass die bedauernswerte Gestalt auf dem Bett er selbst war.
Angewidert wandte er den Blick ab, während die Ärztin in ihrer professionell ruhigen Art sein Patientenblatt studierte. »Sie möchten Beruhigungsmittel, Mr Lee Charl?«, fragte sie betont höflich.
»Bloß nicht«, antwortete er mit belegter Stimme. »Ich hab schon genug geschlafen – außerdem machen die meine Träume noch schlimmer.«
»Selber Traum, bitte?«, wollte sie wissen, bereit, seine Worte festzuhalten.
»So ziemlich.«
»War Ismus in Traum?«
»Er ist nie dabei, Doktor Choe. Es sind nur Träume. Nicht so wie das andere. Ich schleiche mich nicht nach Mooncaster, das wissen Sie. Das sind nur ganz normale Albträume. Ich hab keine geheimen Treffen mit dem miesen A–«
»Details von Traum, bitte.«
Er schüttelte den Kopf. »Nachher – ich heb’s mir für die Session mit dem Seelenklempner auf.«
»Sie vielleicht vergessen Details«, sagte sie ein wenig fordernder, auch wenn ihr Lächeln nicht eine Sekunde ins Wanken kam. »Details wichtig.«
»Klar, und wie!«, murmelte Lee bitter. »Kann ich jetzt duschen und was Trockenes anziehen? Die Klamotten hier fühlen sich an, als hätte ich reingepisst. Gibt’s heute warmes Wasser?«
Doktor Choe Soo-jin legte ihren Notizblock beiseite und griff nach einer Spritze. »Erst ich nehmen Blut«, stellte sie klar.
»Noch mehr? Versorgen Sie damit ’nen ganzen Vampirclan oder was? Seit ich hier bin, haben Sie mir schon genug abgezapft, um einen ganzen Whirlpool vollzukriegen.«
»So viel nicht«, sagte sie durch ihr unerschütterliches Lächeln hindurch. »Wir müssen testen, Mr Lee Charl. Test sehr wichtig.«
»Das sagen Sie, aber ich kann fast keine Ader mehr finden. Meine Arme sehen schlimmer aus als die von einem Junkie. Gönnen Sie mir mal ’ne Verschnaufpause, okay? Und wenn’s nicht um das rote Zeug geht, nehmen Sie den verdammten Rest von mir aus.«
Doktor Choe Soo-jin fuhr ungerührt fort, ihre Probe zu entnehmen.
Lee betrachtete währenddessen die vier jungen Soldaten, die das Bett flankierten. Bei all der Gleichgültigkeit, die sie an den Tag legten, hätten sie genauso gut Schaufensterpuppen sein können. Keiner von ihnen sprach Englisch, zumindest hatte es nicht den Anschein. Trotzdem fragte Lee sich manchmal, ob sie heimlich lauschten, wenn er und seine Freunde sich unterhielten, um anschließend Dr. Choe oder ihrem Vorgesetzten alles zu berichten.
Lee schenkte der Spiegelwand einen durchdringenden Blick. Er war sich sicher, dass dies eins von diesen Zwei-Seiten-Dingern war. Ganz bestimmt nahm zumindest eine Videokamera dahinter alles auf.
Er richtete den Blick wieder auf die zwei grimmig dreinblickenden Männer zu seiner Linken. Es gab drei verschiedene Teams, die ihn in Vierstundenschichten abwechselnd »babysitteten«. Um sich die Zeit zu vertreiben, hatte er jeder Gruppe einen Namen verpasst. Dieses Quartett waren die Sex-and-the-City-Mädels – weil seine Mutter die Serie geliebt hatte –, die irgendwann in der Nacht, während er geschlafen hatte, Take That (minus Robbie) abgelöst hatten. Seine Oma war ein großer Fan von »diesem netten Gary Barlow« gewesen. Schon bald würden die Spice Girls (minus Geri) an die Reihe kommen. Zwar kannte Lee niemanden, der die Gruppe gemocht hatte, aber er konnte sich darüber totlachen, diese ernsten Wachmänner Sporty, Posh, Baby und Scary zu nennen.
Seine Augen richteten sich auf die Aluminiumkette an ihren Gürteln. Auch das Paar rechts von ihm war auf diese Weise mit ihm verbunden. Beide Ketten endeten in einem Set Stahlhandschellen, die Lees Handgelenke umschlossen. Behutsam pustete er darauf. Im Schlaf hatte er daran gezogen, sodass seine Haut nun wund und aufgescheuert war.
»Ein weiterer herrlicher Tag, angekettet in Nordkorea«, murmelte er. »Kann mein Leben noch mehr den Bach runtergehen? Wie zur Hölle konnte es so weit kommen?«
2
Siebzehn Jahre lang hatte es gedauert, den geheimen Stützpunkt im Norden des Baekdudaegan-Gebirges auszuschachten. Von außen deutete nichts auf das ausufernde Tunnelsystem hin, in dem rund um die Uhr 7500 Mitglieder der Volksarmee stationiert waren. Die größten Terrassen und Balkone waren mit ihren abfallenden Ziegeldächern im Stil alter Tempel errichtet und künstlich auf alt getrimmt, sodass sie historisch und verlassen wirkten, während andere schlichtweg horizontal in den Hang gebaut und gut getarnt waren. Die zwei Hubschrauberlandeplätze und Raketensilos waren auf ähnliche Art verborgen. Die einzige Straße, die im Zickzack zum geheimen Haupteingang führte, wurde durchgehend von Scharfschützen bewacht.
Unter dem pagodenartigen Dach, das eine der Terrassen überragte, stützte Maggie die Ellbogen auf die niedrige Mauer und zog sich den fellbesetzten Kragen ihres Wintermantels bis ans Kinn. Die eisige Dezemberluft schnitt in die Nase der Fünfzehnjährigen, weshalb sie schützend ihre Handschuhe darumlegte. Sie konnte sich nicht erinnern, wann ihr zum letzten Mal warm gewesen war, und was alles noch schlimmer machte: Es gab kein heißes Wasser in den Duschen. Die primitiven Leitungen waren wieder einmal defekt.
Der sonst so atemberaubende Ausblick blieb ihr heute versagt. Hinter der Mauer fielen die grauen Berghänge in einen dicken weißen Nebel ab, der das ganze Tal erfüllte und die dunklen Wälder sowie die umliegenden verschneiten Gipfel verschluckte. Es war, als würde man in ein Universum voller Nichts blicken, auf eine endlose, leere Leinwand, die den ersten Pinselstrich oder Farbklecks erwartete. Der Anblick war beinahe hypnotisierend und Maggies Gedanken drifteten ab.
Sie kehrten zurück zu jener Julinacht, als sie aus dem Gefangenenlager in England entkommen waren, als sie und die anderen anomalen Kinder sich in einen Militärhubschrauber gedrängt hatten, ohne eine Vorstellung, wohin man sie bringen würde. Durch die Dunkelheit waren sie über den Kanal zu einer privaten Landebahn in Frankreich geflogen, wo ein Jet sie erwartete und weiterbeförderte, quer durch die Welt. Damals fühlte sich alles so unwirklich an wie das Abenteuer eines Fremden. Keiner von ihnen stellte irgendwelche Fragen. Die endlose Erleichterung darüber, diesem grauenhaften Ort lebend entkommen zu sein, gepaart mit dem Essen, das sie während ihrer Reise erhielten, verscheuchte alle anderen Gedanken aus ihren Köpfen. Wohin sie flogen, war ihnen gleich. Endlich waren sie vor den Kugeln der Punchinellos in Sicherheit und dem Verhungern entgangen. Jeder neue Tag würde ab sofort kein hoffnungsloser Überlebenskampf mehr sein. Selbst als sie landeten und verschlafen entdeckten, wo genau ihre Zuflucht lag, begriffen sie es nicht wirklich.
Nordkorea – oder: Die Demokratische Volksrepublik Korea, wie sie das Land schnell zu nennen lernten – hatte ihnen ihr wohlwollendstes und einladendstes Gesicht gezeigt. Die Kinder aus dem Lager waren als Ehrengäste festlich bewirtet worden und hatten, zumindest während der ersten Woche, das Beste genossen, was dieser verschwiegene und isolierte Fleck der Welt zu bieten hatte. Nach den Entbehrungen und sadistischen Torturen, die sie zu Hause durchlebt hatten, war es wie ein surrealer Urlaub. Man zeigte ihnen unter prächtigem Spektakel die Hauptstadt Pjöngjang sowie die umliegenden Provinzen. Ein Bus brachte sie zu alten buddhistischen Tempeln, eindrucksvollen Monumenten und Schlachtfeldern. Außerdem nahmen sie an einem Festbankett teil, bei dem auch der Oberste Führer Kim Jong-un anwesend war, umgeben von einer Schar Generäle und Marschälle mit strengem Blick. Man führte sie sogar ins Mausoleum des Palastes, in dem die einbalsamierten Leichname von Kim Jong-uns verehrtem Vater und Großvater feierlich in Glassärgen ausgestellt waren. Maggie und die übrigen Flüchtlinge schritten ungläubig daran vorbei – was für ein Land war das hier bitte? Ein Mädchen namens Esther übergab sich im Anschluss auf der Treppe.
Ein Team von Korean Central Television, dem einzigen Nachrichtensender, folgte ihnen auf Schritt und Tritt. Dem Volk von Pjöngjang waren insgesamt nur drei Sender zugänglich, der Rest des Landes musste sich mit einem zufriedengeben. Für gewöhnliche Bürger gab es weder Satellitenfernsehen noch Internet, Derartiges war verboten. Jeder Fernsehapparat war so voreingestellt, dass nur die offiziellen Kanäle empfangen werden konnten, und regelmäßige Kontrollen sorgten dafür, dass das auch so blieb.
Die geretteten Kinder aus dem Ausland wurden über Nacht zu Stars. Man interviewte sie in der Gruppe, zu dritt oder zu viert, und auch einzeln. Nordkorea wollte ganz genau wissen, welcher Wahnsinn außerhalb seiner Grenzen um sich griff. Wie nur konnte ein europäisches Märchenbuch solch einen Aufruhr und derartiges Chaos verursachen? Mit grauenhafter Faszination verfolgten die Zuschauer die schrecklichen Berichte der Jugendlichen über das Lager und die Zurückweisung durch ihre eigenen Familien.
Maggie wusste schon gar nicht mehr, wie oft sie die immer gleichen Aussagen inzwischen wiederholt hatte.
»Nein, es ist kein normales Buch«, hatte sie sich Mühe gegeben, das Unerklärliche zu erklären. »Es zieht einen in seinen Bann und dann glaubt man wirklich, dass man eine Figur aus der Geschichte ist und all das hier, also die Wirklichkeit, nur ein Traum ist. Ehrlich, so ist das – und dann trägt man eine Spielkarte, um zu zeigen, wer genau man in der Geschichte ist. Nein, bei mir hat es nicht gewirkt, auch nicht bei den anderen hier. Warum, wissen wir selbst nicht so genau, war einfach so. Deshalb haben sie uns ja auch eingesperrt und schlimmer als Tiere behandelt. Wir waren Ausgestoßene. Sie glauben gar nicht, was die mit uns gemacht haben.«
Der Reporter wollte Details wissen und der Übersetzer hatte Schwierigkeiten, mit dem Bombardement an Fragen Schritt zu halten. Man zeigte Maggie Aufzeichnungen des Geheimdienstes von verschiedenen Städten im Ausland, in denen Proteste gegen Dancing Jax zu brutalen Krawallen eskaliert waren. Buchläden und Verlagshäuser waren mit Brandbomben beschossen worden. Ein erbitterter, aber kurzer Bürgerkrieg war entbrannt, bevor jeder dem Zauber des Buches verfallen war.
»In England ist dasselbe passiert«, sagte Maggie, während sie eine angeheizte Schlacht in den Straßen von Moskau zwischen denen, die das Buch bereits gelesen, und denen, die es noch nicht gelesen hatten, betrachtete. »Wir haben das auch alles durchgemacht. Man kommt nicht dagegen an. Es ist einfach zu stark. Und dann kamen diese … Wesen.« Beinahe stieß das Mikro gegen ihre Nase, als es noch näher gerückt wurde. »Irgendwie kommen manche raus aus dem Buch«, erzählte sie. »Es klingt verrückt, aber es stimmt. Albträume, Monster aus diesen Märchen werden real. Ich hab sie gesehen, ich hab gegen sie gekämpft. Ich fand die Punchinello-Wärter schon schlimm, aber diese Viecher … Keine Ahnung, was genau sie sind, aber im Buch heißen sie die Großen Gaagler und sie wollen einen auffressen. Einem der Wärter haben sie einfach die Nase abgekaut. Und dann war da noch dieses … Eigentlich haben wir nie rausgefunden, was es war – irgendein riesiger Wurm oder Tentakel. Es hat meinen … einen guten Freund getötet. Hat ihn geschnappt, hat meinen Marcus geschnappt.«
Maggie verstummte und es wurde vom Interview zu einem einige Monate alten US-Nachrichtenbeitrag geschaltet, als Amerika sich noch darüber gewundert hatte, was im Vereinigten Königreich vor sich ging. Es war ein Video der zweiten oder dritten Phase, ebenfalls vom nordkoreanischen Nachrichtendienst beschafft. Die Reporterin war Kate Kryzewski, die sich in Kew Gardens postiert hatte, um von dort über ein zuvor unbekanntes, wild wucherndes Gewächs mit fleischigen grauen Früchten zu berichten, das Minchet genannt wurde. Letzten Endes war auch sie Opfer der Macht des Buches geworden.
Als man nach dem Bericht zurück zu dem nordkoreanischen Reporter schaltete, war Maggie durch einen unsicheren Jungen mit Brille und Cowboyhut ersetzt worden.
»Äh … ja«, sagte er. »Das Zeug wächst inzwischen überall und es stinkt. Die Wesen aus dem Buch fressen es, neben anderem … und die Jaxer benutzen es, um beim Lesen tiefer einzutauchen. Macht das Ganze wohl besser … irgendwie schärfer. Aber es schmeckt noch schlimmer, als es riecht, und man bekommt davon Bauchweh.«
»Und Dünnpfiff!«, ertönte Maggies Stimme aus dem Off.
Als Nächstes zeigte das Bild einen Militärwissenschaftler, der einen gehörnten Schädel, angebracht an einem kräftigen Stock, in Händen hielt. Die strenge, laute Erzählerstimme informierte die Zuschauer, dass man ihn ausgiebig untersucht und verschiedenen Tests unterzogen hatte. Es handele sich nicht um einen Scherz oder Schwindel, der Schädel stamme von einem echten Einhorn. In Nordkorea nannte man es Kirin und sein Auffinden galt als gutes Omen, da sich diese Fabelwesen nur während der Herrschaft weiser Regenten zeigten. Doch woher stammte es? Keins der Kinder schien es zu wissen und der Junge mit dem Stetson gab lediglich zu, den Schädel aus dem Lager mitgebracht zu haben.
Ein weiteres merkwürdiges Fundstück wurde in die Kamera gehalten: ein langer, gezwirbelter silberner Stab, an dessen oberen Ende ein bernsteinfarbener Stern prangte. Der Reporter wedelte damit herum und schnitt lustige Gesichter. Maggie erklärte, dass er der Figur der guten Fee im Ruhestand gehöre, verschwieg jedoch, wie er ins Lager gekommen war. Beides, der Stab und der Schädel, waren konfisziert.
»Ich will meine scheiß Fresse nicht im Fernsehen haben!«, hatte Lee geknurrt. Neben anderen Dingen, die nicht übersetzt worden waren.
»Was sie mit dir gemacht?«, ließ man ihm keine Ruhe. »Was sie gemacht?«
»Sie wollen das wirklich wissen?«, keifte er. »Sie haben meine Freundin ins Schlachthaus verschleppt und sie wie ein Schwein abgestochen, das haben sie gemacht! Dann haben diese kranken Bastarde sie uns zu essen gegeben. Kapiert? Hast du das verstanden? Ja, schon richtig gehört – die haben sie uns zu fressen gegeben!«
Auf diese Art also erfuhr die Demokratische Volksrepublik Korea von Dancing Jax. Endlich einmal musste die rastlose, bombastische Propagandamaschine die Übel der imperialistischen, bedrohlichen Westmächte nicht übertrieben darstellen. Im Gegenteil, man gab sich alle Mühe, die Gefahr herunterzuspielen, um die aufkeimende Panik einzudämmen. Ja, dies war ein Notfall und es galt: Sie allein gegen den Rest der Welt. Aber das war nichts Neues. Solch eine Krise hatte ihr Gründer, Kim Il-sung, in seiner großen Weisheit vorhergesehen, weshalb sie es überleben würden. Was auch immer ihre Grenzen bedrohte, sie würden damit zurechtkommen. Es gab keinen Grund für Angst. Kim Jong-un, der Enkel des Staatsgründers, würde sicherstellen, dass seinem Volk kein Leid widerfuhr. Sie würden weiterhin vom Rest der Welt isoliert und somit in Sicherheit leben.
Die Anwesenheit der ausländischen Kinder war jedoch eine ständige Erinnerung an die draußen tobende Gefahr, daher wurden nach der ersten Woche die Sonderbehandlung, die Besuche und die Interviews eingestellt. Die einzige weibliche Erwachsene, Mrs Benedict, wurde tot im Badezimmer ihres Hotels aufgefunden. Sie hatte sich das Leben genommen und mit ihr starb auch die Euphorie, dem Lager entkommen zu sein. Zwei Nächte später wurden sie alle aus Pjöngjang fortgeschafft.
Maggie erinnerte sich an diese weniger komfortable Reise im Laderaum eines Armeetrucks durch zerklüftetes, hügeliges Gebiet und scheinbar endlose Wälder, stets auf Behelfsstraßen, bis sie endlich diesen geheimen Stützpunkt im Berg erreicht hatten. Der Urlaub war vorbei. Sie hatten ein Gefängnis gegen das nächste eingetauscht.
»Hier draußen gefriert dein Gesicht noch ein und fällt ab«, scherzte eine freundliche Stimme.
Maggie blinzelte. Zu lange hatte sie in den Nebel gestarrt, sodass ihre Augen nun brannten. Als sie sich von der weißen Leere abwandte, erblickte sie einen adretten, älteren Herrn, der über die Terrasse auf sie zukam.
»Morgen, Gerald«, grüßte sie, froh, ihn zu sehen. »Ich war ganz woanders.«
»Ein Chon für deine Gedanken.«
»Oh – ich dachte nur gerade daran, wie wir hier angekommen sind.«
Der Mann zitterte in seinem Mantel und klatschte in seine behandschuhten Hände. »Als ihr vor all den vielen Monaten aus diesen Waggons geströmt seid …«, sagte er. »Das war wie eine Szene aus dem Oliver!-Musical. Um ein Haar hätte ich Consider yourself angestimmt und euch meine Version des gewieften Schlitzohrs Dodger vorgeführt.« Er fasste sich ans Revers und tänzelte grazil herum. Maggie lachte. »Ach, ich fürchte, heutzutage bin ich eher ein gewiefter Trampel.« Er gluckste.
»Ich wünschte, ich hätte dich früher mal auf der Bühne gesehen«, sagte Maggie. »Ich wette, du warst große Klasse.«
Gerald Benning legte ihr den Arm um die Schulter. Eigentlich redete er nie über seine Vergangenheit im Showbusiness, aber irgendwie hatte es sich unter den Kindern doch herumgesprochen, vermutlich dank Martin, und seitdem fragten sie ihn gerne über sein früheres Leben aus. Gerald antwortete stets gutmütig, lenkte das Gespräch aber meistens schnell auf ein anderes Thema und fragte sie stattdessen etwas über sie selbst. Er hielt es für wichtig, vor allem für die Jüngeren, sie daran zu erinnern, wie ihre Welt vor all dem hier ausgesehen hatte. Er brachte sie dazu, über die kleinen Aspekte jener Zeit zu reden, die simplen Dinge, die sie vergessen hatten: Familienurlaube, die besten Geburtstagsgeschenke, Lieblingsfilme und -lieder, die Namen ihrer Haustiere und wer in der Schule neben ihnen gesessen hatte. Er versprach ihnen nicht, dass all das eines Tages wiederkehren und alles beim Alten sein würde. Das wäre grausam gewesen. Abgesehen davon hätten es ihm die Kinder ohnehin nicht geglaubt. Doch diese Erinnerungen machten ihnen deutlich, dass sie nicht nur Flüchtlinge und auf die Almosen einer argwöhnischen Nation angewiesen waren, sondern dass es in ihrem Leben Gutes und Liebe gegeben hatte und sie ihre Eltern nicht hassen sollten, weil sie sie verstoßen hatten. Es war nicht deren Schuld. Schuld war Dancing Jax.
Maggie lächelte ihn an. »Was hätten wir nur ohne dich gemacht! Diese ganzen Monate, in denen wir hier schon festsitzen – mit noch weniger Freiheit als im Lager und außerdem nichts zu tun, als jeden Tag zu tratschen und zu lästern. Wahrscheinlich hätten wir uns längst gegenseitig umgebracht. Erst heute Morgen hätte ich diese Esther schon wieder erwürgen können. Sie ist noch schlimmer als früher. Diese gemeine Kuh gibt mir echt den Rest.«
»Ja, sie macht es einem nicht leicht, sie zu mögen«, räumte Gerald ein. »Und seit sie wie eine Klette an Nicholas klebt, ist selbst er zu einer Plage geworden. Aber keiner von uns ist perfekt und ihr alle habt Dinge mitgemacht, die die meisten in den Wahnsinn getrieben hätten. Wie in einer Legebatterie zusammengepfercht zu sein, ist auch keine Hilfe. Lass nicht zu, dass es dir zusetzt. Steh darüber, meine Liebe.«
»Du schaffst es immer wieder, dass alles halb so schlimm scheint. Sogar dieser üble Ort –«
»Titipu«, unterbrach er sie zwinkernd. Spitzbübisch hatte Gerald den Stützpunkt im Berg nach der fiktiven Stadt aus der Operette Der Mikado benannt, was für ihre nordkoreanischen Gastgeber eine enorme Beleidigung darstellte. Zwischen ihnen und Japan, wo Der Mikado spielte, existierte nichts als Feindschaft.
»Da siehst du, was ich meine. So nennen inzwischen alle Kids diesen Berg hier. Sie wissen zwar nicht, was das heißt, aber es klingt witzig. Du hast ihnen was zu lachen gegeben, solange die Generäle nichts spitzkriegen. Du machst für uns alles erträglich und gibst uns mit deinen albernen Aktionen was zu tun. Zum Beispiel, als du dich letzten Monat in die Küche eingemogelt hast, um den Geburtstagskuchen für Lee zu backen.«
»Er hätte sich mehr gefreut, wenn ich ihm ein paar Glimmstängel hätte besorgen können.«
»Ach, von ihm darfst du keine Dankesausbrüche erwarten. Er war noch nie der mitteilsame Typ, aber es hat ihm echt ’ne Menge bedeutet. Er ist einfach nicht mehr der Alte, seit Charm … seit sie tot ist.«
»Armes Mädchen«, meinte Gerald traurig. »Das war für euch alle grauenhaft. Ich hätte sie gerne kennengelernt. Sie klingt bezaubernd.«
Maggie senkte den Blick. »Die beste Freundin, die ich je hatte. Kein Tag vergeht, an dem ich nicht an sie denke, und an meinen Marcus … und die beiden vermisse. Auch nach so vielen Monaten tut es noch weh.«
»Natürlich tut es das. Und das wird auch so bleiben, aber nicht immer so schlimm wie jetzt. Mit der Zeit wirst du öfter daran denken, wie gut du dich mit ihnen gefühlt hast, als an den Schmerz, sie verloren zu haben. Aber es braucht eben seine Zeit.«
Maggie biss sich schuldbewusst auf die Lippe. Sie hatte den jungen Schotten, Alasdair, ganz vergessen. Er hatte die Punchinellos abgelenkt, damit der Rest von ihnen entkommen konnte. Sie alle hatten die erbarmungslosen Schüsse in den dunklen Wäldern gehört und begriffen, was sie zu bedeuten hatten. Wahrscheinlich lag seine Leiche noch immer im New Forest, ohne Bestattung und von Vögeln und anderen Tieren – oder Schlimmerem – angefressen.
Und dann die arme Mrs Benedict …
»Ich hätte Charms Mum irgendwie helfen müssen«, sagte sie unglücklich. »In dieser ersten Woche, nachdem sie rausgefunden hatte, was passiert war … Ich hätte …«
»Niemand hätte etwas tun können«, stellte Gerald klar. »Mrs Benedict konnte ihre Trauer nicht länger ertragen. Nicht jeder kann das. Glaub ja nicht, dass du sie hättest aufhalten können. Verzweiflung ist etwas Furchtbares, das absolut Schlimmste.«
Als wollte er die Traurigkeit zerstreuen, pustete Gerald sich auf die Handschuhe und seine Atemluft vermengte sich mit dem Nebel.
»Aber es hat keinen Sinn, in der Vergangenheit zu verweilen, junge Maggie«, erklärte er heiter. »Turn oh turn in this direction, wie der Chor in der Oper Patience singt. Ohne Zweifel lässt weit Schlimmeres nicht lange auf sich warten und wir müssen darauf vorbereitet sein. Doch in der Zwischenzeit: Let the merry cymbals sound! Für Frau Verzweiflung sind wir nicht zu sprechen und wir müssen zusehen, dass unser Freund Lee nicht auch in diese dunkle Grube fällt.«
Maggie stimmte zu. »Aber deinem Chor wird er bestimmt nicht beitreten. Ist mir immer noch ein Rätsel, wie du den Rest von uns dazu gebracht hast. Meine Stimme wird nie nach Adele klingen. Trotzdem sind deine Musikstunden um Welten besser als Martins öder Matheunterricht. Du hältst uns echt bei Laune. Und was du den Wärtern abgeschwatzt hast! Keine Ahnung, wie du das hinbekommen hast. Ich kriege die Sauertöpfe noch nicht mal zum Lächeln.«
»Ich lasse sie beim Schach immer gewinnen«, tat Gerald das Kompliment leichtfertig ab. »Und darauf sind sie ganz wild. Aber gut, dass du den Chor erwähnst, ich habe nämlich beschlossen, dass wir diese Woche Weihnachtslieder singen – und nicht nur die üblichen. Kein Jingle Bells, Batman smells oder Die Oma hängt im Tannenbaum will ich von euch hören! Zeigen wir diesen düsteren Titiputaniern, was sie verpassen.«
»Meinst du im Ernst, die lassen uns Weihnachtslieder singen? Hast du nicht gesagt, dass man hier total gegen das alles ist – also so richtig?«
»Oh, das schon. Vor diesem ganzen Wahnsinn haben die Südkoreaner immer Lichter um einen Turm in der Nähe der entmilitarisierten Zone aufgestellt, damit es wie ein Weihnachtsbaum aussah. Doch dieser Haufen hier hat damit gedroht, ihn zu bombardieren. Sie wollten nicht, dass der gemeine Pöbel auf ihrer Seite auf dumme Ideen kommt. Wir werden ihnen also schlicht nicht sagen, dass wir Weihnachtslieder singen. Ich kenne ein paar wunderschöne alte Lieder, die nicht zu eindeutig sind, und in anderen kann ich die Worte etwas abändern. Die merken davon gar nichts, sie werden glauben, wir machen unsere normale Probe. Vielleicht bekomme ich sogar die Dolmetscher und Wachmänner dazu, mitzuträllern – das wäre doch eine nette Herausforderung! Wenn ich es schaffe, dass sie ein nettes Drei-Königs-Lied oder die Coventry-Weihnachtshymne nuscheln, wäre das mein persönliches Weihnachtsgeschenk an mich selbst. Was meinst du, wie ihr Latein so ist?«
Maggie lachte. »Ungefähr so gut wie meins – nicht vorhanden.«
»Großartig, vielleicht versuche ich es mit Quem pastores laudavere. Damit legen wir sie rein.«
»Irgendwie komisch, hier über Weihnachten zu plaudern, wo die Leute an gar nichts glauben außer an die Partei und ihren tollen Anführer«, murmelte Maggie. »Früher hab ich den ganzen Trubel geliebt: Lametta und Fernsehen, Partys und das Essen – vor allem das Essen. Ich hab meine Stiefmutter richtig in den Wahnsinn getrieben, so vollgestopft hab ich mich. Aber jetzt scheint das wie das Leben einer anderen, so viel ist seitdem passiert.«
Gerald drückte sie sanft. »Du bist erwachsen geworden, das ist passiert. Du hast begriffen, dass du niemandes Erwartungen erfüllen musst, außer deinen eigenen. Deine Stiefmutter war ein Ungeheuer, dich in die Magersucht treiben zu wollen. War doch klar, dass gerade du genau das Gegenteil machst, du Dummchen. Aber schau dich jetzt an. Wie viele Pfunde hast du verloren, seit du hier bist? Nicht, dass das nötig gewesen wäre, du warst reizend, genau so, wie du warst. Die übrigen Kids haben endlich wieder etwas zugelegt, aber du hast doch sicher wenigstens fünfzehn Kilo abgenommen.«
Maggie blickte erneut in den Nebel. »Ich musste ja nicht mehr dick sein. Und wenn ich eins im Lager gelernt habe, dann, dass ich bessere Überlebenschancen habe, wenn ich hundert Meter rennen kann, ohne zusammenzubrechen. Darum gehe ich auch jeden Morgen joggen, mal davon abgesehen, dass es kaum was anderes zu tun gibt.«
»Stimmt«, gab Gerald ihr recht. »Und noch ist es mit dem Rennen nicht vorbei. Dieses Land hat schon viel länger durchgehalten, als ich erwartet hatte. Anscheinend hebt Austerly Fellows es sich bis zum Schluss auf.«
»Was meinst du, wann das ist?«
»Wird nicht mehr lange dauern.« Gerald wandte sich zu der Soldatin um, die ihm auf die Terrasse gefolgt war, und winkte ihr fröhlich zu. Ihre allzeit wachsamen Gastgeber waren nie weit entfernt. »In letzter Zeit sind sie besonders unruhig«, murmelte er, gerade laut genug, dass Maggie es hören konnte. »Ist dir das auch aufgefallen? Es geht das Gerücht um, dass nahe der entmilitarisierten Zone im Süden merkwürdige Dinge geschehen. Viele von ihnen haben dort Familie, weißt du. Man kriegt eine Menge mit, während man nur so Däumchen dreht.«
»Falls die je rausfinden, dass du ihre Sprache lernst, steckst du in ernsthaften Schwierigkeiten.«
Gerald grinste. »Ich habe nicht vor, es ihnen auf die Nase zu binden. Und meine beste Lehrerin ist die jüngste Tochter von General Chung, die kleine Nabi. Für sie ist es ein harmloses Spiel. Außerdem schnappe ich hin und wieder einen Brocken auf – wer hätte zum Beispiel gedacht, dass das koreanische Wort für Piano dasselbe wie unseres ist? Jedenfalls habe ich mitbekommen, dass einige Bücher über die Grenze geschmuggelt worden sind und in den Wäldern dort unnatürliche Wesen gesichtet wurden.«
»Dann hat es also angefangen«, sagte Maggie rundheraus. »Bald werden die Hubschrauber mit den Lautsprechern übers Land fliegen und vorlesen. Nicht, dass das in Pjöngjang nötig wäre, da ist sowieso alles an diese nervige PA-Anlage angeschlossen. Aber wohin sollen wir dann? Verstecken kann man sich nirgends mehr. Wir sitzen ja schon im letzten Eck der Welt. Was wird also aus uns?«
»Nichts, was in diesen Luftraum eindringt, überlebt lange«, erinnerte Gerald sie. »Den Marschällen juckt es schon in den Fingern, endlich ihre Raketen abzufeuern, vor allem Tark dem Shark. Das ist ein blutdürstiger Teufel, sag ich dir, und eben erst aus dem Süden zurückgekommen. Hätte er die Gelegenheit, hätte er längst sämtliche roten Knöpfe gedrückt. Wahrscheinlich haben die Chinesen in diesem Gebiet deshalb nie ihre Helikopter eingesetzt. Immerhin sitzen sie nur dreißig oder vierzig Kilometer hinter diesen Bergen. Nein, ich glaube, Mr Fellows wird es diesmal auf anderem Weg versuchen. Schließlich haben wir die zwei Dinge, die er unbedingt haben will.«
»Lee und Martin.«
»Ja, Lee und Martin. Aus zwei sehr unterschiedlichen Gründen.«
Sie verstummten und drängten sich näher aneinander, um in den gestaltlosen Nebel zu sehen.
Gerald und Maggie hatten sich vom ersten Augenblick an verstanden und genossen die Gesellschaft des anderen sehr. Die Tatsache, dass er fast siebzig und sie erst fünfzehn war, spielte keine Rolle. Sie war nicht nur die Enkelin, die er nie hatte, sondern sie waren auch gute Freunde geworden und teilten denselben Humor.
»Zeit, aufzubrechen«, verkündete er nun. »Martin und ich haben in einer halben Stunde wieder eins dieser nutzlosen Kaffeekränzchen mit den hohen Tieren. Rein in die Wärme mit dir und sag allen Bescheid, dass wir nachher zur üblichen Zeit Chorprobe haben. Oh – und denk dran: ’tis the season …«
»Fa-la-la-la-la-la«, sang sie hinter ihm, als er, gefolgt von der Soldatin, die Terrasse verließ.
Maggie drehte sich abermals zum Nebel um. Das letzte Mal, als sie ein Weihnachtslied gesungen hatte, war im Lager gewesen, am frischen Grab eines kleinen Jungen, der vom Speer eines Punchinellos getötet worden war. Beschämt musste Maggie sich eingestehen, dass sie sich nicht einmal mehr an seinen Namen erinnern konnte. Zu viele Gesichter waren aus ihrem Leben verschwunden. Eins, das sie nie vergessen würde, gehörte zu einem Mädchen namens Jody. Kaltes Grauen packte sie jedes Mal, wenn sie daran dachte, was Dancing Jax ihr angetan hatte. Sie war zwischen den beiden Welten stecken geblieben. Hier waren ihre Augen zu blauem Glas geworden, während sie in Mooncaster die Gestalt eines hohlen Glaskaninchens angenommen hatte, das eine bösartige Seuche in sich trug. Die Erinnerung daran würde Maggie ihr Leben lang verfolgen.
»Was vermutlich nicht mehr allzu lange sein wird«, nuschelte sie leise.
Während sie in den dicken weißen Dunst starrte, dachte Maggie über Geralds Worte nach, über die Sichtungen aus dem fernen Süden. Was, wenn einige der Kreaturen sich über die nahe chinesische Grenze pirschten? In den bewaldeten Tälern und auf den Berghängen könnte es bereits von ihnen wimmeln, verborgen im dichten Nebel. Dieser beunruhigende Gedanke ließ sie von der Mauer schrecken und zurück in den Militärstützpunkt eilen. Mit metallischem Klang schlugen die Türen hinter ihr zu.
3
Im Innern des Berges war es nur unwesentlich wärmer. Martin Baxter wartete in der Halle hinter dem Haupteingang.
Es war ein riesiger, beeindruckender Raum, in dem fünf der wichtigsten Tunnel zusammenliefen. Die Anlage war so gewaltig und weitläufig, dass man von einem Bereich zum nächsten fahren musste, und jede der Verbindungsstrecken war breit genug, um zwei Fahrspuren Platz zu bieten. In einem der Tunnel waren sogar Schienen verlegt, um schweres Gerät und Munition transportieren zu können. Die Wände dieser von Menschen geschaffenen Höhle bestanden aus nacktem Fels und die Beleuchtung war schlicht und funktionell, verbunden durch hängende Kabel und Drähte. Im Zentrum der Haupthalle ragte eine verkleinerte Version der zwanzig Meter hohen Bronzestatue von Kim Il-sung in Pjöngjang auf. Allerdings war auch diese hier immerhin noch sieben Meter groß. Durch den ausgestreckten rechten Arm sah es aus, als würde sie den Verkehr der um sie herumfahrenden Autos dirigieren. Über dem Eingang zu jedem Korridor hing eine rote Flagge mit Stern; dasselbe Design mit den blauen Rändern war in den Mosaikboden eingearbeitet.
Dancing Jax