Die Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel «The Lowland» bei Alfred A. Knopf, New York
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Januar 2016
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«The Lowland» Copyright © 2013 by Jhumpa Lahiri
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ISBN Printausgabe 978-3-499-24840-5 (1. Auflage 2016)
ISBN E-Book 978-3-644-04301-5
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-644-04301-5
Für Carin, die von Anfang an daran glaubte, und für Alberto, der mich bis zum Ende durchhalten ließ.
lascia ch’io torni al mio paese sepolto
nell’erba come in un mare caldo e pesante.
lass mich zurückkehren an meinen Heimatort, begraben
im Gras wie in einem warmen, hohen Meer.
Giorgio Bassani, «Saluto a Roma»
Östlich des Tolly Clubs, hinter der Gabelung der Deshapran Sashmal Road, steht eine kleine Moschee. Dann biegt man in eine stille Enklave ein. In ein Gewirr enger Gassen und bescheidener Mittelschichthäuser.
Früher gab es innerhalb der Enklave zwei Teiche, länglich, nebeneinander liegend. Dahinter erstreckte sich ein Tiefland von mehreren Hektar Ausmaß.
Nach den Monsunregen stieg das Wasser in den Teichen so hoch, dass der zwischen ihnen errichtete Damm nicht mehr zu sehen war. Auch die Niederung des Tieflands füllte sich mit Regenwasser, das bis über einen Meter stieg und für einen Teil des Jahres stehen blieb.
Die überflutete Ebene war dicht mit Wasserhyazinthen überwachsen. Das schwimmende Kraut breitete sich aggressiv aus. Seine Blätter ließen die Oberfläche geschlossen wirken. Grün im Kontrast zum Blau des Himmels.
Am Rand standen ein paar einfache Hütten. Die armen Leute wateten auf der Suche nach Essbarem in den Sumpf hinein. Im Herbst kamen Reiher, das weiße Gefieder dunkel vom Ruß der Stadt, und warteten reglos auf Beute.
Im schwülwarmen Klima von Kalkutta ging die Verdunstung langsam voran. Aber irgendwann hatte die Sonne das meiste Flutwasser weggetrocknet, und das feuchte Tiefland kam wieder zum Vorschein.
Viele, viele Male waren Subhash und Udayan durch die Niederung gegangen. Es war eine Abkürzung zu einer Wiese am Rand des Viertels, auf der sie Fußball spielten. Sie umgingen Pfützen, traten auf Placken übrig gebliebener Hyazinthenblätter. Atmeten die dumpfige Luft ein.
Manche Tiere legten dort Eier ab, die auch die Trockenzeit überdauern konnten. Andere überlebten, indem sie sich in den Schlamm eingruben, sich tot stellten und auf die Rückkehr des Regens warteten.
Sie hatten den Tolly Club nie betreten. Wie die meisten Menschen in der Gegend waren sie immer nur an dem Holztor und den Backsteinmauern vorbeigegangen, Hunderte von Malen.
Bis Mitte der vierziger Jahre hatte ihr Vater von diesseits der Mauer bei Pferderennen zugesehen. Zusammen mit Wettlustigen und anderen Zuschauern, die sich keine Eintrittskarte leisten konnten oder nicht in den Club hineindurften, hatte er auf der Straße gestanden und zugesehen. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg, etwa um die Zeit, als Subhash und Udayan zur Welt kamen, wurde die Mauer erhöht, sodass den Leuten der Blick in den Club versperrt war.
Bismillah, ein Nachbar, arbeitete im Club als Balljunge. Er war einer der Moslems, die nach der Teilung in Tollygunge geblieben waren. Für wenige Paisas verkaufte er den Brüdern Golfbälle, die auf dem Golfplatz verlorengegangen oder liegen geblieben waren. Manche waren aufgeplatzt wie eine Wunde in der Haut und gaben ein rosafarbenes, gummiartiges Inneres frei.
Anfangs schlugen die beiden Brüder die gedimpelten Bälle mit Stöcken hin und her. Dann verkaufte Bismillah ihnen auch einen Golfschläger, dessen Schaft leicht verbogen war. Ein Spieler hatte ihn aus Wut gegen einen Baum geschlagen und beschädigt.
Bismillah zeigte ihnen, wie sie sich vorbeugen, wo sie die Hände an den Schläger legen mussten. In ungefährer Ahnung von dem Sinn des Sports buddelten sie Löcher in die Erde und versuchten, die Bälle hineinzubefördern. Obwohl eigentlich ein anderer Schläger für den Weitschlag nötig war, benutzten sie den Putter. Aber Golf war nicht wie Fußball oder Kricket. Kein Sport, bei dem die Brüder zu ihrer Zufriedenheit improvisieren konnten.
In den Boden des Spielplatzes kratzte Bismillah ihnen einen Lageplan des Tolly Clubs. Er sagte, in der Nähe des Clubhauses gebe es einen Swimmingpool, Ställe und einen Tennisplatz. Restaurants, in denen Tee aus Silberkannen eingeschenkt werde, besondere Räume für Billard und Bridge. Grammophone, die Musik spielten. Barkeeper in weißen Uniformen, die Drinks mit Namen wie Pink Lady und Gin-Fizz mixten.
Die Clubleitung hatte kürzlich weitere Mauern errichten lassen, um Eindringlinge fernzuhalten. Aber Bismillah sagte, an der Westseite gebe es immer noch Abschnitte, in denen nur Maschendraht gezogen sei und wo man hineinschlüpfen könne.
Sie warteten bis zum Einbruch der Dämmerung, wenn die Golfspieler der Moskitos wegen den Platz verließen und ins Clubhaus gingen, um ihre Cocktails zu trinken. Sie hielten den Plan geheim, sagten auch den anderen Jungen in der Nachbarschaft nichts davon. Sie gingen zu der Moschee an der Ecke, deren rot-weiß gestreiftes Minarett sich von den anderen Gebäuden im Umkreis abhob. Sie bogen in die Hauptstraße ein, die Golfschläger und zwei leere Petroleumkanister in den Händen.
Sie überquerten die Straße zum Technicians’ Studio. Sie gingen zum Reisfeld, früher das Bett des Adi Ganga, auf dem die Briten mit ihren Segelbooten ins Delta hinausgefahren waren.
Jetzt war es ein stehendes Gewässer, an dessen Rand Siedlungen von Hindus standen, die aus Dhaka, Rajshahi und Chittagong geflohen waren. Vertriebene, die in Kalkutta Aufnahme, aber keinerlei Beachtung fanden. Seit der Teilung vor zehn Jahren waren sie auf die gleiche Weise in Bereiche von Tollygunge geströmt, wie der Monsun das Tiefland überflutete.
Auch einige Regierungsangestellte hatten dort im Austauschprogramm Wohnungen zugewiesen bekommen. Aber die meisten waren Flüchtlinge, die erst tröpfelnd, dann in einem Strom eintrafen. Subhash und Udayan erinnerten sich daran. Eine finstere Prozession, eine menschliche Herde. Ein paar Bündel auf dem Kopf, Säuglinge vor der Brust der Eltern festgeschnallt.
Sie bauten sich einen Unterschlupf aus Zeltplanen oder Stroh, mit Wänden aus Bambusmatten. Sie lebten ohne sanitäre Anlagen, ohne Elektrizität. In armseligen Hütten neben Müllhaufen, wo immer sie Platz fanden.
Ihretwegen war der Adi Ganga, an dessen Ufer der Tolly Club stand, jetzt ein Abwasserkanal für Südwestkalkutta geworden. Ihretwegen gab es die zusätzlichen Mauern um den Club.
Subhash und Udayan fanden keinen Maschendrahtzaun. Sie blieben an einer Stelle stehen, an der die Mauer so niedrig war, dass sie darüberklettern konnten. Sie trugen Shorts. Ihre Taschen waren mit Golfbällen vollgestopft. Bismillah hatte gesagt, sie könnten auf dem Clubgelände noch viel mehr Golfbälle finden, auf der Erde, zwischen den Schoten, die von den Tamarindenbäumen fielen.
Udayan warf den Golfschläger über die Mauer. Dann einen der Petroleumkanister. Wenn Subhash sich auf den anderen Kanister gestellt hätte, wäre er hoch genug gekommen, um über die Mauer zu steigen. Aber Udayan war damals noch ein paar Zentimeter kleiner.
Gib mir Hilfestellung, sagte er.
Subhash verschränkte die Finger. Er spürte das Gewicht des Fußes, die raue Sohle der Sandale, dann den ganzen Körper seines Bruders, der einen Moment lang auf seine Hände drückte. Udayan stemmte sich schnell hoch. Er setzte sich rittlings auf die Mauer.
Soll ich auf dieser Seite aufpassen, und du guckst dich mal um?, fragte Subhash.
Das macht doch keinen Spaß.
Was siehst du denn?
Komm und schau selbst.
Subhash schob den Petroleumkanister näher an die Mauer. Er stellte sich darauf und spürte, wie der leere Behälter unter ihm wackelte.
Mach schon, Subhash.
Udayan drehte sich um und ließ sich innen an der Mauer herab, bis oben nur noch seine Fingerspitzen zu sehen waren. Dann ließ er los und landete auf dem Boden. Subhash hörte seinen angestrengten Atem.
Alles in Ordnung?
Na klar. Jetzt du.
Subhash krallte sich an der Mauer fest, drückte sich mit der Brust dagegen, schürfte sich die Knie auf. Wie immer wusste er nicht recht, ob er sich mehr über Udayans Wagemut ärgerte oder über seinen eigenen Mangel daran. Subhash war dreizehn Jahre alt, fünfzehn Monate älter als Udayan. Aber ohne Udayan hatte er kein Gefühl von sich selbst. So lange er denken konnte, war sein Bruder immer da gewesen.
Plötzlich waren sie nicht mehr in Tollygunge. Sie konnten den Verkehr auf der Straße zwar hören, aber nicht mehr sehen. Um sie herum standen riesige Kanonenkugel- und Eukalyptusbäume, Zylinderputzer und Frangipani.
Subhash hatte noch nie so einen Rasen gesehen, gleichförmig wie ein Teppich, der über einen abfallenden Erdboden gebreitet ist. Sich wellte wie die Dünen in einer Wüste oder das sanft wogende Meer. Auf dem Grün war das Gras so kurz gestutzt, dass es sich wie Moos anfühlte, als Subhash daraufdrückte. Der Boden war glatt wie ein Schädel, das Gras hier eine Spur heller.
Er hatte noch nie so viele Reiher an einem Ort gesehen; als er ihnen zu nahe kam, flogen sie auf. Die Bäume warfen Nachmittagsschatten auf den Rasen. Ihre ebenmäßigen Äste waren gespreizt, als er nach oben blickte, wie die verbotenen Körperbereiche einer Frau.
Ihnen beiden war schwindelig von der Erregung, widerrechtlich dort eingedrungen zu sein, von der Angst, entdeckt zu werden. Aber kein Wachmann, weder zu Fuß noch zu Pferd, kein Platzwart erspähte sie. Niemand kam und verjagte sie.
Allmählich ließ ihre Erregung nach, und sie entdeckten kleine Fähnchen, die auf dem Platz verteilt im Boden steckten. Die Löcher waren wie Bauchnabel in der Erde, und in den Löchern dienten kleine Becher dazu, die Bälle aufzufangen. Zwischendrin gab es flache Sandgruben. Und Wasserlachen auf dem Fairway, merkwürdig geformt, wie Tropfen unter einem Mikroskop.
Sie hielten sich vom Haupteingang fern und wagten sich auch nicht in die Nähe des Clubhauses, wo ausländische Paare Arm in Arm wandelten oder auf Korbstühlen unter den Bäumen saßen. Manchmal, so hatte Bismillah erzählt, gab es ein Geburtstagsfest für das Kind einer britischen Familie, die noch in Indien lebte, mit Eis und Ponyreiten und einem Kuchen, auf dem brennende Kerzen steckten. Obwohl Nehru Premierminister war, hing das Porträt von Elizabeth II., der neuen Königin, im großen Salon.
In ihrem unbeachteten Teil des Clubs schwang Udayan in Gesellschaft eines Wasserbüffels, der sich dorthin verirrt hatte, kraftvoll den Schläger. Er hob beide Arme über den Kopf, nahm bestimmte Haltungen ein und schwenkte den Golfschläger wie ein Schwert. Er riss den makellosen Rasen auf und schlug ein paar Golfbälle ins Wasser. Im Rough suchten sie nach neuen.
Subhash musste aufpassen; er lauschte, ob er auf den breiten roten Wegen Pferdehufe hörte. Er vernahm das Klopfen eines Spechts. Und das schwache Sirren einer Sichel in einem anderen Teil des Clubs, in dem der Rasen von Hand geschnitten wurde.
Schakale saßen aufrecht in Rudeln zusammen, das braune Fell grau gefleckt. Im abnehmenden Licht gingen einige auf Nahrungssuche; ihre mageren Gestalten zogen in gerader Linie dahin. Ihr klagendes, an den Mauern widerhallendes Geheul war ein Zeichen dafür, dass es spät wurde und die Brüder nach Hause mussten.
Sie ließen die beiden Petroleumkanister zurück, den einen an der Außenseite der Mauer, um die Stelle zu markieren. Den Kanister innerhalb des Geländes versteckten sie sorgfältig im Gebüsch.
Bei weiteren Besuchen sammelte Subhash Federn und wilde Mandeln. Er sah Geier, die in den Lachen badeten und die Flügel zum Trocknen ausspannten.
Einmal fand er ein Ei, das heil aus dem Nest einer Grasmücke gefallen war. Er trug es vorsichtig nach Hause, legte es in ein Tonschälchen aus einem Süßwarenladen und bedeckte es mit Zweigen. Dann, als kein Vogel aus dem Ei schlüpfte, vergrub er es im Garten hinter dem Haus, am Fuß des Mangobaums.
Eines Abends hatten sie den Golfschläger über die Mauer geworfen, waren selbst wieder herübergeklettert und stellten fest, dass der Kanister draußen nicht mehr da war.
Jemand hat ihn weggenommen, sagte Udayan. Er begann zu suchen. Das Licht war schwach.
Sucht ihr Jungen das hier?
Es war ein Polizist, der in dem Gebiet um den Club herum patrouillierte und wie aus dem Nichts heraus plötzlich vor ihnen stand.
Sie konnten seine Größe, seine Uniform erkennen. Er hielt den Kanister in der Hand.
Er ging ein paar Schritte auf sie zu. Als er den Golfschläger auf dem Boden sah, hob er ihn hoch und betrachtete ihn eingehend. Er stellte den Kanister ab, schaltete eine Taschenlampe an und richtete den Lichtstrahl erst auf ihre Gesichter, dann ließ er ihn an ihren Körpern entlanggleiten.
Brüder?
Subhash nickte.
Was habt ihr in den Taschen?
Sie holten die Golfbälle heraus und übergaben sie. Sie sahen zu, wie der Polizist sie in seine eigenen Taschen steckte. Einen behielt er in der Hand, warf ihn in die Luft und fing ihn wieder.
Woher habt ihr die?
Sie schwiegen.
Hat euch etwa jemand eingeladen, zum Golfspielen im Club?
Sie schüttelten den Kopf.
Ich muss euch nicht sagen, dass das Betreten des Geländes für Unbefugte verboten ist, sagte der Polizist. Er berührte Subhashs Arm leicht mit dem Golfschläger.
War das heute euer erster Besuch?
Nein.
War das deine Idee? Du bist doch alt genug und solltest mehr Verstand haben.
Es war meine Idee, sagte Udayan.
Du hast einen treuen Bruder, sagte der Polizist zu Subhash. Er will dich beschützen. Er ist bereit, die Schuld auf sich zu nehmen.
Diesmal tue ich euch einen Gefallen, fuhr er fort. Ich werde es im Club nicht melden. Solange ihr es nicht noch mal versucht.
Wir kommen nicht wieder, sagte Subhash.
Gut. Soll ich euch zu euren Eltern nach Hause bringen, oder beenden wir unser Gespräch hier?
Hier.
Dann dreh dich um. Nur du.
Subhash stellte sich mit dem Gesicht zur Mauer.
Noch einen Schritt nach vorn.
Er spürte den Schlag des stählernen Schafts auf seinem Gesäß. Dann auf den Oberschenkeln. Die Wucht des zweiten Schlags, der ihn nur ganz kurz traf, zwang ihn in die Knie. Es würde Tage dauern, bis die Schwellungen abklangen.
Ihre Eltern hatten sie nie geschlagen. Im ersten Moment spürte er nichts, nur Benommenheit. Dann ein Gefühl, als würde kochendes Wasser über seine Haut gegossen.
Aufhören, schrie Udayan den Polizisten an. Er ging neben Subhash in die Knie und warf ihm den Arm um die Schultern, versuchte ihn zu beschützen.
Zusammen, aneinandergedrückt, wappneten sie sich gegen den nächsten Schlag. Sie hatten die Köpfe gebeugt, die Augen geschlossen, Subhash wand sich noch vor Schmerz. Aber nichts weiter geschah. Sie hörten, wie der Schläger über die Mauer geworfen wurde, wie er ein letztes Mal auf der Clubseite landete. Dann, wie der Polizist, jetzt, da er mit ihnen fertig war, davonging.
Von Kindheit an war Subhash zaghaft. Hinter ihm musste seine Mutter nie herrennen. Er blieb bei ihr und sah zu, wenn sie am Kohleherd kochte oder für eine Schneiderin im Viertel Saris und Bluseneinsätze bestickte. Er half seinem Vater, die Dahlien zu pflanzen, die er in Töpfen im Hof zog. Manche der kreisrunden Blütenköpfe in Violett, Orange und Rosa hatten weiße Spitzen. Ihre leuchtenden Farben waren ein Schock vor den graubraunen Hofmauern.
Er wartete, bis wilde Spiele vorbei waren, bis laute Stimmen verstummten. Am wohlsten fühlte er sich, wenn er allein war oder das Gefühl hatte, allein zu sein. Morgens, wenn er im Bett lag und zusah, wie das Sonnenlicht, einem rastlosen Vögelchen gleich, über die Wand flirrte.
Er legte Insekten unter einen Netzschirm, um sie zu beobachten. Am Rand der nahe gelegenen Teiche, in denen seine Mutter manchmal das Geschirr abwusch, wenn das Dienstmädchen nicht gekommen war, versuchte er im trüben Wasser mit den hohlen Händen Frösche zu fangen. Er lebt in seiner eigenen Welt, sagten Verwandte manchmal bei großen Familienfeiern, wenn ihm keine Antwort zu entlocken war.
Während Subhash immer in Sichtweite blieb, verdrückte Udayan sich gern aus dem Blickfeld: Selbst in ihrem Haus mit nur zwei Zimmern versteckte er sich als kleiner Junge wie zwanghaft unter dem Bett, hinter den Türen, in der Kiste mit den Winterdecken.
Er kündigte diese Spiele nicht an, sondern verschwand ganz plötzlich – entwischte etwa in den Garten, kletterte auf einen Baum und zwang seine Mutter, ihre Tätigkeit zu unterbrechen, wenn sie ihn rief und er nicht antwortete. Jedes Mal, wenn sie nach ihm suchte, wenn sie auf sein Spiel einging und seinen Namen rief, sah Subhash den Moment der Panik in ihrem Gesicht, die Befürchtung, ihn nicht zu finden.
Als sie alt genug waren und man ihnen erlaubte, das Haus zu verlassen, schärfte man ihnen ein, einander nicht aus den Augen zu verlieren. Zusammen streiften sie durch die gewundenen Gassen der Enklave, durch das Gebiet hinter den Teichen und über das Tiefland bis zu dem Sportplatz, auf dem sie sich bisweilen mit anderen Jungen trafen. Sie gingen zu der Moschee an der Ecke, setzten sich auf die kühlen Marmorstufen, hörten sich manchmal auf einem Kurzwellenradio, das einem der Jungen gehörte, ein Fußballspiel an, und der Wächter der Moschee hatte nie etwas dagegen.
Mit der Zeit durften sie auch aus der Enklave hinaus in die Stadt. Durften gehen, so weit die Füße sie trugen, durften allein mit Straßenbahnen und Omnibussen fahren. Doch immer blieb die Moschee an der Ecke, Gebetsplatz einer anderen Glaubenslehre, der Orientierungspunkt ihrer täglichen Unternehmungen.
Auf Udayans Vorschlag hin fingen sie irgendwann an, vor dem Technicians’ Studio herumzustehen, in dem Satyajit Ray Pather Panchali gedreht hatte und bengalische Filmstars aus und ein gingen. Ab und zu arbeitete jemand, den die beiden kannten, bei den Dreharbeiten mit, dann durften sie ins Studio, in das Gewirr von Kabeln, Drähten und grellen Scheinwerfern. Nachdem Ruhe befohlen und die Klappe geschlagen worden war, sahen sie zu, wie der Regisseur und die Crew eine einzelne Szene immer wieder neu drehten und wenige Dialogzeilen so perfekt wie möglich hinzubekommen versuchten. Ein ganzer Arbeitstag für einen kurzen Moment der Unterhaltung.
Sie erhaschten Blicke auf schöne Schauspielerinnen, die aus ihren Garderoben kamen und sich, hinter Sonnenbrillen versteckt, in ein wartendes Auto setzten. Udayan hatte sogar den Mut, um ein Autogramm zu bitten. Zurückhaltung war ihm wesensfremd, ähnlich wie bei einem Tier, dem die Fähigkeit fehlt, bestimmte Farben zu erkennen. Subhash hingegen bemühte sich um größtmögliche Unauffälligkeit, wie andere Tiere, die sich in Farbe und Form der Baumrinde oder den Grashalmen anpassen.
Trotz aller Unterschiede zwischen ihnen wurden sie ständig miteinander verwechselt, und beide hatten gelernt zu antworten, wenn der eine oder der andere Name gerufen wurde. Und manchmal war schwer zu erkennen, wer da geantwortet hatte, weil ihre Stimmen nahezu ununterscheidbar waren. Wenn sie vor einem Schachbrett saßen, glichen sie Spiegelbildern: ein Bein angewinkelt, das andere ausgestreckt, das Kinn aufs Knie gestützt.
In Körperbau und Größe ähnelten sie sich so sehr, dass beiden dieselbe Kleidung passte. Ihre Hautfarbe, ein heller, von den Eltern geerbter Kupferton, war identisch. Ebenso die geschmeidigen Finger, die scharf gezeichneten Züge, das wellige Haar.
Subhash fragte sich, ob sein stilles Wesen in den Augen seiner Eltern als Mangel an Erfindungsgabe, vielleicht sogar als Charakterschwäche galt. Um ihn mussten sie sich keine Sorgen machen, gleichwohl zogen sie ihn nicht vor. Es wurde ihm zu einem inneren Auftrag, ihnen zu gehorchen, denn sie zu überraschen oder zu beeindrucken war ohnehin nicht möglich. Das machte schon Udayan.
Im Hof des elterlichen Hauses konnte man ein langlebiges Zeugnis von Udayans Ungehorsam sehen: die Spur seiner Fußabdrücke von dem Tag, als der gestampfte Boden eine Betondecke bekam. Von dem Tag, als man ihnen eingeschärft hatte, im Haus zu bleiben, bis der Beton getrocknet war.
Den ganzen Vormittag hatten sie zugesehen, wie der Maurer den Beton in seiner Schubkarre mischte und dann die feuchte Masse verteilte und mit seinen Werkzeugen glattstrich. Vierundzwanzig Stunden, hatte der Maurer mahnend gesagt, bevor er ging.
Subhash hatte ihm gehorcht. Er hatte zum Fenster hinausgesehen, war nicht nach draußen gegangen. Aber als ihre Mutter irgendwann anderweitig beschäftigt war, war Udayan über die lange Planke gerannt, die vorübergehend als Verbindung von der Haustür zur Straße diente.
Auf halber Strecke kam er von der Planke ab und hinterließ als sichtbares Zeugnis von dem Weg, den er genommen hatte, die Abdrücke seiner Fußsohlen, in der Mitte schmaler, wie eine Eieruhr, die Zehen gespreizt.
Am nächsten Tag wurde der Maurer noch einmal gerufen. Doch da war die Fläche schon getrocknet, und die Abdrücke von Udayans Füßen blieben für immer sichtbar. Man konnte den Schaden nur reparieren, indem man eine neue Schicht auftrug. Subhash fragte sich, ob sein Bruder es diesmal nicht zu weit getrieben hatte.
Aber ihr Vater sagte zu dem Maurer: Lassen wir es, wie es ist. Nicht wegen der Kosten oder der Mühe, sondern weil er es nicht richtig fand, Schritte auszulöschen, die sein Sohn gemacht hatte.
Und so wurde die Verunzierung zu einer besonderen Zier ihres Hauses. Etwas, das Besuchern auffiel, die erste Familienanekdote, die man sich erzählte.
Subhash hätte ein Jahr eher zur Schule gehen können. Aber aus praktischen Gründen – und weil Udayan bei der Vorstellung, dass Subhash ohne ihn hinsollte, protestiert hatte – wurden sie zur selben Zeit in dieselbe Klasse eingeschult. Eine bengalische Mittelschule für Jungen aus normalen Familien, hinter dem Straßenbahndepot, am christlichen Friedhof vorbei.
In identischen Schreibheften machten sie sich Notizen zur Geschichte Indiens, zur Gründung von Kalkutta. Sie zeichneten Landkarten und erlernten die Geographie der Welt.
Sie lernten, dass Tollygunge auf dem Meer abgewonnenem Land erbaut war. Vor Jahrhunderten, als es im Golf von Bengalen noch eine kräftige Strömung gegeben hatte, war hier ein Sumpf mit dichtem Mangrovenbewuchs gewesen. Überreste davon waren die Teiche und die Reisfelder, das Tiefland.
Im Biologieunterricht zeichneten sie Mangrovenbäume. Die verschlungenen Wurzeln über der Wasseroberfläche, die speziellen Atemwurzeln für die Sauerstoffaufnahme. Die länglichen Ableger, Propagula genannt, die wie Zigarren geformt waren.
Sie lernten, dass die Propagula, die bei Ebbe abfielen, neben der Ursprungspflanze ausschlugen, indem sie sich im sumpfigen Brackwasser festsetzten. Aber bei Flut trieben sie, manchmal bis zu einem Jahr lang, vom Ursprungsort fort, bevor sie sich in einer ihnen gemäßen Umgebung weiterentwickelten.
Die Engländer hatten den durchfluteten Dschungel abgeholzt und Straßen angelegt. 1770 hatten sie jenseits der südlichen Grenzen von Kalkutta einen Vorort geschaffen, dessen ursprüngliche Bevölkerung mehr aus Engländern als aus Indern bestand. Ein Gebiet, in dem Axishirsche zu Hause waren und Eisvögel über den Horizont jagten.
Major William Tolly, nach dem das Gebiet benannt wurde, ließ einen Teil des Adi Ganga, der auch Tolly’s Nullah genannt wurde, ausbaggern und schiffbar machen. Das ermöglichte die Handelsschifffahrt zwischen Kalkutta und Ostbengalen.
Das Gelände des Tolly Clubs hatte ursprünglich Richard Johnson gehört, dem Direktor der General Bank of India. 1785 erbaute er dort eine Villa im palladianischen Stil. Aus allen Teilen der subtropischen Welt importierte er unbekannte Bäume nach Tollygunge.
Anfang des neunzehnten Jahrhunderts hielt die British East India Company die Witwen und Söhne von Tipu Sultan auf Johnsons Besitz gefangen, nachdem Tipu, der Herrscher von Mysore, im Vierten Mysore-Krieg getötet worden war.
Die entmachtete Herrscherfamilie wurde aus Srirangapatna im fernen Südwesten Indiens umgesiedelt. Nach der Freilassung teilte man ihr Grundbesitz in Tollygunge zu, wo sie fortan lebte. Und als die Engländer sich ins Zentrum von Kalkutta zurückzogen, wurde Tollygunge eine überwiegend muslimische Stadt.
Obwohl die Muslime durch die Teilung wieder zu einer Minderheit geworden waren, zeugten noch viele Straßennamen von der abgesetzten Tipu-Dynastie: Sultan Alam Road, Prince Bakhtiar Shah Road, Prince Golam Mohammad Shah Road, Prince Rahimuddin Lane.
Golam Mohammad hatte die große Moschee von Dharmatala zum Gedenken an seinen Vater erbaut. Eine Zeitlang war ihm erlaubt worden, in Johnsons Villa zu wohnen. Aber als sich 1895 ein Schotte namens William Cruickshank zu Pferd auf die Suche nach seinem entlaufenen Hund machte und dabei auf die Villa stieß, fand er das prächtige Haus verlassen vor; Zibetkatzen hatten sich hier angesiedelt, Ranken überwucherten es.
Cruickshank ist es zu verdanken, dass die Villa restauriert und ein Country Club darin eingerichtet wurde. Cruickshank wurde zum ersten Präsidenten des Clubs ernannt. Für die Briten wurde die Straßenbahn in den 1930er Jahren entsprechend weit nach Süden verlängert. Sie sollten den Tolly Club leichter erreichen, dem Getriebe der Stadt entkommen und sich unter ihresgleichen bewegen können.
In der Highschool befassten die Brüder sich mit Optik und Kräfteverhältnissen, mit den Atomzahlen der Elemente und den Eigenschaften von Licht und Schall. Sie studierten Hertz’ Entdeckung der elektromagnetischen Wellen und Marconis Experimente mit drahtloser Übertragung. Jagadish Chandra Bose, ein Bengale, hatte mit einer Demonstration im Rathaus von Kalkutta bewiesen, dass elektromagnetische Wellen aus der Entfernung Schießpulver zur Explosion und eine Glocke zum Läuten bringen können.
Jeden Abend saßen die Brüder über ihren Schulbüchern, an den zwei Enden eines Metalltisches, vor sich Hefte, Bleistifte und Radiergummi, in der Mitte ein Schachbrett, auf dem zur selben Zeit eine Partie im Gang war. Sie blieben lange auf und lernten Gleichungen und Formeln. Nachts war es so still, dass sie das Heulen der Schakale im Tolly Club hören konnten. Manchmal waren sie noch wach, wenn die Krähen fast alle zugleich ihr Gekrächze anstimmten und den Beginn eines neuen Tages ankündigten.
Udayan hatte keine Angst, seinen Lehrern bei Themen wie Hydraulik oder Plattentektonik zu widersprechen. Er gestikulierte, um seine Argumente zu illustrieren und seine Ansichten zu unterstreichen, und seine Gebärden ließen vermuten, dass ihm Moleküle und Partikel vertraut waren. Manchmal wurde er von den Lehrern aus dem Klassenzimmer gewiesen, weil er, so hieß es, den Unterricht aufhalte, während er in Wahrheit der Klasse längst voraus war.
Dann wurde ein Tutor angeheuert, um die Jungen auf die Aufnahmeprüfung fürs College vorzubereiten, und die Mutter nahm zusätzliche Näharbeiten an, um die Kosten zu decken. Der Tutor war ein humorloser Mann mit gelähmten Augenlidern, die von Klammern an seiner Brille hochgehalten wurden. Anders konnte er die Augen nicht offen halten. Jeden Abend kam er zu ihnen ins Haus und übte mit ihnen den Welle-Teilchen-Dualismus, die Gesetze der Refraktion und Reflexion. Sie lernten das Fermat’sche Prinzip auswendig: Der Weg, den das Licht zwischen zwei Punkten nimmt, ist stets so, dass die benötigte Zeit minimal ist.
Nachdem Udayan die Grundlagen von Schaltkreisen studiert hatte, machte er sich mit dem Stromkreis ihres Hauses vertraut. Er legte sich Werkzeug zu und fand heraus, wie er defekte Leitungen und Schalter reparieren, Drähte miteinander verbinden und von den Kontakten des Tischventilators den Rost abschmirgeln konnte, der die Funktion beeinträchtigte. Er machte sich über ihre Mutter lustig, weil sie sich jedes Mal den Finger mit dem Stoff ihres Saris umwickelte vor Angst, einen Schalter mit der bloßen Hand zu berühren.
Wenn eine Sicherung durchbrannte, prüfte Udayan in Gummisandalen ohne jedes Zögern die Widerstände und schraubte die Sicherung auf, während Subhash neben ihm stand und die Taschenlampe hielt.
Eines Tages kam Udayan mit einem Kabel nach Hause und machte sich daran, zum praktischen Nutzen von Besuchern einen Türsummer im Haus einzubauen. Er schloss einen Transformator an den Sicherungskasten an und installierte an der Haustür einen schwarzen Knopf. Er bohrte ein Loch in die Wand und führte die neuen Drähte hindurch.
Als der Summer fertig eingebaut war, schlug Udayan vor, sie sollten damit das Morsen üben. In der Bibliothek fand er ein Buch über Telegraphie und schrieb die Punkte und Striche, die für die Buchstaben des Alphabets standen, zweimal ab, eine Kopie für jeden.
Ein Strich war dreimal so lang wie ein Punkt. Auf jeden Punkt oder Strich folgte eine Pause. Zwischen den einzelnen Buchstaben waren drei Punkte, sieben Punkte zwischen einzelnen Wörtern. Sie selbst wiesen sich mit dem Anfangsbuchstaben ihres Namens aus. Der Buchstabe S, den Marconi über den Atlantik gemorst hatte, bestand aus drei schnellen Punkten. Das U waren zwei Punkte und ein Strich.
Sie wechselten sich ab, einer stand an der Tür, der andere drinnen, sie sandten sich Mitteilungen zu und entschlüsselten Wörter. Sie wurden so geschickt darin, dass sie kodierte Mitteilungen senden konnten, die ihre Eltern nicht verstanden. Kino, schlug der eine vor. Nein, Tramdepot, Zigaretten.
Sie dachten sich Situationen aus, gaben vor, Soldaten oder Spione in einer Notlage zu sein. Oder heimlich Nachrichten von einem Gebirgspass in China, aus einem russischen Wald, einem Zuckerrohrfeld in Kuba zu schicken.
Fertig?
Klar.
Koordinaten?
Unbekannt.
Überlebende?
Zwei.
Verluste?
Sie benutzten den Knopf, um sich mitzuteilen, dass sie Hunger hatten oder Fußball spielen wollten oder dass gerade ein hübsches Mädchen an ihrem Haus vorbeigegangen war. Es war ein vertrauliches Hin und Her, so wie zwei Spieler den Ball hin und her passen, während sie gemeinsam auf das Tor zulaufen. Wenn einer von ihnen den Tutor kommen sah, drückten sie SOS. Drei Punkte, drei Striche, wieder drei Punkte.
Sie wurden an zwei der besten Colleges in der Stadt zugelassen. Udayan sollte ans Presidency College gehen und Physik studieren, Subhash sich an der Jadavpur University für Chemie einschreiben. Sie waren die einzigen Jungen aus ihrer Gegend, die einzigen Schüler ihrer ganz normalen Highschool, die so gut abgeschnitten hatten.
Um das zu feiern, kaufte ihr Vater auf dem Markt Cashewnüsse und Rosenwasser für ein Pulao und ein halbes Kilo der teuersten Krabben. Ihr Vater hatte mit neunzehn angefangen zu arbeiten, um zum Lebensunterhalt seiner Familie beizutragen. Zu seinem größten Bedauern hatte er nie ein College besucht. Er hatte einen Büroposten bei der indischen Eisenbahngesellschaft. Seit sich die Kunde vom Erfolg seiner Söhne verbreitete, konnte er angeblich das Haus nicht mehr verlassen, ohne angehalten und beglückwünscht zu werden.
Mit ihm habe das nichts zu tun, erwiderte er dann. Seine Söhne hätten fleißig gelernt, hätten sich Auszeichnungen erworben. Sie hätten alles aus eigener Kraft erreicht.
Als sie gefragt wurden, was sie sich als Geschenk wünschten, schlug Subhash ein Schachspiel mit Marmorfiguren vor, als Ersatz für die abgegriffenen Spielfiguren aus Holz, die sie schon seit einer Ewigkeit hatten. Aber Udayan wollte ein Kurzwellenradio. Er wollte mehr Nachrichten aus der Welt empfangen als die, die aus dem alten holzverkleideten Röhrenradio seiner Eltern kamen oder in der bengalischen Tageszeitung abgedruckt waren, die morgens, dünn zusammengerollt wie ein Zweig, über die Mauer geworfen wurde.
Eigenhändig bauten sie das Radio zusammen, suchten auf dem New Market und auf Trödelmärkten und fanden Teile aus Restbeständen der indischen Armee. Sie folgten komplizierten Anweisungen, einem abgegriffenen Schaltkreisdiagramm. Sie legten die Teile auf dem Bett aus: Gehäuse, Kondensatoren, Widerstände, Lautsprecher. Sie löteten die Drähte aneinander und bauten das Gerät zusammen. Als es endlich fertig war, sah es aus wie ein kleiner Koffer mit einem eckigen Griff. Aus Metall, schwarz verkleidet.
Oft war der Empfang im Winter besser als im Sommer. Nachts war er allgemein besser. Zu einer Zeit, wenn die Photonen der Sonne nicht die Moleküle der Ionosphäre zerlegten. Wenn positive und negative Partikel sich in der Luft schnell wieder verbanden.
Die Brüder setzten sich abwechselnd ans Fenster und hielten den Empfänger in den Händen, wendeten ihn in unterschiedliche Richtungen, richteten die Antenne aus und drehten an beiden Reglern gleichzeitig. Indem sie den Senderknopf so langsam wie möglich bewegten, lernten sie die Frequenzbereiche kennen.
Sie suchten nach Funksignalen aus dem Ausland. Nachrichten von Radio Moskau, der Voice of America, Radio Peking, der BBC. Sie hörten zufällige Informationen, Bruchstücke aus Tausenden Meilen Entfernung, aus einem gewaltigen Dickicht von Störungen, die brausten wie das Meer und rüttelten wie der Wind. Wettervorhersagen für Mitteleuropa, Volksmusik aus Athen, eine Rede von Gamal Abdel Nasser. Berichte in Sprachen, die sie nicht erkannten: vielleicht Finnisch, Türkisch, Koreanisch, Portugiesisch.
Es war das Jahr 1964. Die Tonkin-Resolution ermächtigte Amerika, mit militärischer Gewalt gegen Nordvietnam vorzugehen. In Brasilien putschte das Militär.
In Kalkutta kam der Film Charulata – die einsame Frau in die Kinos. Nach dem Diebstahl einer Reliquie aus einer Moschee in Srinagar gab es bei erneuten gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Moslems und Hindus über hundert Tote. Unter den Kommunisten Indiens herrschte Uneinigkeit wegen des Grenzkonflikts mit China, der zwei Jahre zurücklag. Eine Gruppe, die sich hinter China stellte, spaltete sich ab und nannte sich jetzt Communist Party of India, Marxist: die CPI(M).
Die Kongresspartei stellte noch immer die Zentralregierung in Delhi. Nachdem Nehru im Frühjahr an einem Herzinfarkt gestorben war, trat seine Tochter Indira ins Kabinett ein. Keine zwei Jahre später würde sie Premierministerin von Indien werden.
Subhash und Udayan rasierten sich nun schon und hielten sich morgens im Hof gegenseitig eine Schüssel warmes Wasser und einen Spiegel hin. Nach einer Mahlzeit aus dampfendem Reis, Dhal und frittierten Kartoffelstäbchen gingen sie zu der Moschee an der Ecke und verließen die Enklave. Gemeinsam folgten sie der verkehrsreichen Hauptstraße bis zum Straßenbahndepot, wo jeder in seinen Bus zum College stieg.
In unterschiedlichen Teilen der Stadt lernten sie Jungen kennen, die auf englische Mittelschulen gegangen waren, und schlossen jeweils neue Freundschaften. Obwohl einige ihrer naturwissenschaftlichen Kurse ganz ähnlich waren, legten sie zu unterschiedlichen Terminen Prüfungen ab, wurden von anderen Professoren unterrichtet und machten in den Laboren andere Experimente.
Weil der Campus von Udayans College weiter entfernt war, brauchte er länger für den Weg nach Hause. Und weil er sich mit Studenten aus Nordkalkutta anfreundete, stand das Schachbrett unbenutzt auf dem Schreibtisch, sodass Subhash anfing, gegen sich selbst zu spielen. Trotzdem begann jeder Tag seines Lebens mit Udayan an seiner Seite und endete auch so.
Eines Abends im Sommer 1966 hörten sie auf ihrem Kurzwellenradio das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft zwischen England und Deutschland in Wembley. Es war das berühmte Finale mit dem Tor, über das noch jahrelang gestritten werden sollte. Sie schrieben mit, als die Mannschaften vorgestellt wurden, und hielten die Aufstellung auf einem Blatt Papier fest. Während der Übertragung zeichneten sie mit dem Zeigefinger die Spielzüge nach, als wäre das Bett der Fußballplatz.
Deutschland schoss das erste Tor; in der achtzehnten Minute erzielte Geoff Hurst den Ausgleich. Gegen Ende der zweiten Halbzeit, England lag mit zwei zu eins in Führung, schaltete Udayan das Radio aus.
Was machst du da?
Ich versuche, den Empfang zu verbessern.
Ist doch gut so. Wir verpassen das Ende.
Es ist noch nicht vorbei.
Udayan suchte unter der Matratze, wo sie ihren Kram verstauten. Hefte, Zirkel und Lineale, Rasierklingen zum Anspitzen der Bleistifte, Sportzeitschriften. Die Anleitung für den Zusammenbau des Radios. Ein paar Schrauben und Muttern, Schraubenzieher und die Zange, die sie dafür brauchten.
Mit dem Schraubenzieher fing Udayan an, das Radio wieder auseinanderzunehmen.
Der Kontakt hat sich wohl von einer Spule oder einem Schalter gelöst.
Musst du das jetzt reparieren?
Er machte sich nicht die Mühe zu antworten. Er hatte die Verkleidung schon abgenommen und lockerte mit geschickten Fingern die Schrauben.
Wir haben Tage gebraucht, bis wir es zusammen hatten, sagte Subhash.
Ich weiß, was ich tue.
Udayan hob das Gerät aus dem Kasten und richtete einige Drähte neu aus. Dann baute er den Empfänger wieder zusammen.
Das Spiel lief noch, das Knistern war jetzt weniger störend. Während Udayan am Radio bastelte, hatte Deutschland kurz vor dem Abpfiff ein zweites Tor erzielt und die Verlängerung erzwungen.
Sie hörten, wie Hurst ein weiteres Tor für England schoss. Der Ball hatte die Unterkante der Latte getroffen und war hinter der Linie aufgekommen. Als der Schiedsrichter das Tor gab, focht die deutsche Mannschaft die Entscheidung sofort an. Alles kam zum Erliegen, solange sich der Schiedsrichter mit dem sowjetischen Linienrichter besprach. Das Tor wurde gegeben.
England hat gewonnen, sagte Udayan.
Ein paar Minuten waren noch zu spielen, und Deutschland drängte verzweifelt auf den Ausgleich. Aber Udayan behielt recht, Hurst schoss sogar noch ein viertes Tor für England. Und die englischen Zuschauer, des Triumphs schon vor dem Abpfiff sicher, stürmten bereits aufs Spielfeld.
1967 erfuhren sie zum ersten Mal aus den Zeitungen und dem Sender All India Radio von Naxalbari. Einem Ort, von dem sie bisher nie gehört hatten.
Es handelte sich um eine Reihe von Dörfern im Distrikt Darjeeling, einem schmalen Schlauch an der nördlichen Spitze von Westbengalen. In den Vorbergen des Himalaya gelegen, fast vierhundert Meilen von Kalkutta entfernt und näher an Tibet als an Tollygunge.
Die meisten Dorfbewohner waren einfache Bauern, die auf Teeplantagen und in großen Landwirtschaftsbetrieben arbeiteten. Seit Generationen lebten sie in einem Feudalsystem, das sich kaum verändert hatte.
Die Bauern waren den reichen Landbesitzern ausgeliefert. Sie wurden von den Feldern vertrieben, die sie bebaut hatten, die Gewinne aus Ernten, die sie erzielt hatten, wurden ihnen vorenthalten. Sie waren leichte Beute für Geldverleiher. Ihr Einkommen reichte nicht für den Lebensunterhalt, manche starben an Unterernährung.
Als in jenem März ein Pächter in Naxalbari das Land pflügen wollte, von dem er unrechtmäßig vertrieben worden war, schickte der Grundbesitzer seine Handlanger, die ihn zusammenschlugen. Sie nahmen ihm den Pflug und den Ochsen weg. Die Polizei weigerte sich, einzuschreiten.
Danach begannen sich Gruppen von Pächtern zu wehren. Sie verbrannten Urkunden und Dokumente, in denen sie betrogen worden waren. Sie besetzten das Land.
Es war nicht das erste Mal, dass Bauern im Distrikt Darjeeling aufbegehrten. Aber diesmal gingen sie militant vor. Sie rüsteten sich mit primitiven Waffen aus, trugen rote Banner, riefen: Lang lebe Mao Tse-tung.
Zwei bengalische Kommunisten, Charu Majumdar und Kanu Sanyal, halfen bei der Organisation der Proteste. Sie waren in der Nähe von Naxalbari aufgewachsen. Im Gefängnis hatten sie sich kennengelernt. Sie waren jünger als die meisten anderen Männer der kommunistischen Führung in Indien – Männer, die Ende des neunzehnten Jahrhunderts geboren waren. Majumdar und Sanyal verachteten diese Anführer. Sie waren Dissidenten innerhalb der CPI(M).
Sie forderten Besitzrechte für die Pächter. Sie riefen die Bauern dazu auf, das Land für sich selbst zu bestellen.
Charu Majumdar kam aus einer Familie von Landbesitzern. Er war Sohn eines Anwalts und hatte sein Studium abgebrochen. In den Zeitungen sah man Fotos von einem zierlichen Mann mit scharf konturiertem Gesicht, einer gebogenen Nase und buschigem Haar. Er war Asthmatiker, ein Theoretiker des Marxismus-Leninismus. Einige der älteren Kommunisten bezeichneten ihn als Wahnsinnigen. Zur Zeit des Aufruhrs war er, obwohl noch keine fünfzig, aufgrund eines Herzleidens ans Bett gefesselt.
Kanu Sanyal, ein Schüler Majumdars, war über dreißig. Er war Brahmane und hatte die Stammessprachen gelernt. Er verweigerte jeden Privatbesitz. Er widmete sich ganz der armen Landbevölkerung.
Als die Unruhen sich ausbreiteten, begann die Polizei das Gebiet zu überwachen. Es wurden unangekündigte Ausgangsperren verhängt, willkürliche Festnahmen vorgenommen.
Die Regierung in Kalkutta appellierte an Sanyal. Sie hoffte, er könne die Bauern zum Aufgeben bewegen. Anfangs fühlte er sich sicher, dass er nicht festgenommen würde, und traf sich mit dem Minister für Landsteuer. Dieser sagte Verhandlungen zu. In letzter Minute nahm er das Angebot zurück.
Im Mai wurde berichtet, eine Gruppe von Bauern, Männer und Frauen gleichermaßen, habe einen Polizeiinspektor mit Pfeil und Bogen angegriffen und getötet. Am nächsten Tag stellten sich Polizeikräfte der aufrührerischen Menge auf der Straße entgegen. Ein Pfeil traf einen Sergeanten am Arm, und die Menge wurde aufgefordert, sich zu zerstreuen. Als das nicht geschah, schoss die Polizei mit scharfer Munition. Elf Menschen wurden getötet. Acht davon waren Frauen.
Abends hörten Subhash und Udayan Radio und sprachen dann über die Ereignisse. Sie rauchten heimlich, nachdem ihre Eltern zu Bett gegangen waren, saßen mit einem Aschenbecher zwischen sich an ihrem Arbeitstisch.
Meinst du, es hat sich gelohnt?, fragte Subhash. Das, was die Bauern getan haben?
Natürlich hat es sich gelohnt. Sie haben sich aufgelehnt. Sie haben alles aufs Spiel gesetzt. Menschen, die nichts haben. Menschen, die von den Machthabern nicht beschützt werden.
Aber wird sich etwas ändern? Was können Pfeil und Bogen gegen einen modernen Staat ausrichten?
Udayan drückte die Fingerkuppen zusammen, als hielte er ein paar Reiskörner dazwischen fest. Wenn du in ein solches Leben geboren wärst, was würdest du tun?
Wie viele andere auch gab Udayan der United Front die Schuld, der linksgerichteten Koalition unter der Führung von Ajoy Mukherjee, die Westbengalen zu der Zeit regierte. Noch zu Beginn des Jahres hatten er und Subhash deren Wahlsieg gefeiert. Die United Front hatte Kommunisten ins Kabinett geholt. Sie versprach, eine Regierung zu bilden, in der Arbeiter und Bauern vertreten waren. Sie versprach, den Großgrundbesitz abzuschaffen. In Westbengalen hatte sie die fast zwei Jahrzehnte andauernde Herrschaft der Kongresspartei beendet.
Aber die United Front hatte den Aufstand nicht unterstützt. Im Gegenteil, der Innenminister Jyoti Basu hatte angesichts des Widerstands die Polizei eingeschaltet. Und jetzt klebte an Ajoy Mukherjees Händen Blut.
Die People’s Daily in Peking beschuldigte die westbengalische Regierung, den Aufstand der Bauern blutig unterdrückt zu haben. Frühlingsgewitter über Indien, lautete die Überschrift. In Kalkutta berichteten alle Zeitungen über die Vorfälle. Auf den Straßen und an den Hochschulen kam es zu Demonstrationen zur Verteidigung der Bauern, als Protest gegen die Morde. Am Presidency College und an der Jadavpur University sahen Subhash und Udayan an einigen Gebäuden Banner hängen, die Unterstützung für Naxalbari bekundeten. Sie hörten Reden, in denen Staatsbeamte zum Rücktritt aufgefordert wurden.
In Naxalbari verschärfte sich der Konflikt weiter. Es gab Berichte von Raubüberfällen und Plünderungen. Von Bauern, die ihre eigenen Verwaltungen einrichteten. Von Landbesitzern, die entführt und ermordet wurden.
Im Juli erließ die Zentralregierung ein Verbot gegen das Tragen von Pfeil und Bogen in Naxalbari. In derselben Woche ließ die westbengalische Regierung das Gebiet von einem fünfhundert Mann starken Aufgebot durchkämmen. Sie durchsuchten die Behausungen der ärmsten Dorfbewohner. Sie nahmen unbewaffnete Aufständische gefangen und töteten alle, die sich nicht ergeben wollten. Erbarmungslos und systematisch unterdrückten sie die Rebellion.
Udayan sprang von seinem Stuhl auf und schob empört einen Stapel Bücher und Papiere beiseite. Er schaltete das Radio aus. Er lief im Zimmer auf und ab, den Blick auf den Fußboden gerichtet, und fuhr sich mit den Fingern durch das Haar.
Was hast du?, fragte Subhash ihn.
Udayan blieb stehen. Er schüttelte den Kopf, eine Hand lag auf der Hüfte. Einen Moment lang fand er keine Worte. Der Bericht hatte sie beide fassungslos gemacht, aber Udayan verhielt sich, als wäre er persönlich verletzt, als wäre er selbst körperlich geschlagen worden.
Die Menschen hungern, und das soll die Lösung sein?, sagte er schließlich. Sie machen Opfer zu Verbrechern. Sie richten Waffen auf Menschen, die nicht zurückschießen können.
Er öffnete die Tür ihres Zimmers.
Wohin gehst du?
Ich weiß nicht. Ich muss raus. Wie konnte es so weit kommen?
Anscheinend ist es ja vorbei, sagte Subhash.
Udayan hielt einen Moment inne, bevor er hinausging. Das kann auch erst der Anfang sein, sagte er.
Der Anfang wovon?
Von etwas Größerem. Etwas anderem.
Udayan zitierte, was die chinesische Presse vorausgesagt hatte. Der Funke in Darjeeling wird eine Feuersbrunst entfachen und zweifellos Indiens riesige Flächen in Brand setzen.
Als es Herbst wurde, waren Sanyal und Majumdar untergetaucht. Im selben Herbst wurde Che Guevara in Bolivien exekutiert, und zum Beweis seines Todes wurden ihm die Hände abgehackt.
In Indien begannen Journalisten, eigene Zeitschriften herauszugeben. Liberation auf Englisch, Deshabrati auf Bengali. Sie druckten Artikel aus chinesischen kommunistischen Zeitschriften nach. Udayan brachte sie mit nach Hause.
Diese Reden sind nichts Neues, sagte der Vater dazu nur. Wir in unserer Generation haben auch Marx gelesen.
Eure Generation hat kein Problem gelöst, sagte Udayan.
Wir haben eine Nation geschaffen. Wir sind unabhängig. Das Land gehört uns.
Das reicht nicht. Was hat es uns gebracht? Wem hat es geholfen?
Das braucht seine Zeit.
Ihr Vater hielt Naxalbari für unwichtig. Er sagte, die jungen Leute erregten sich wegen nichts. Die ganze Angelegenheit habe zweiundfünfzig Tage gedauert.
Nein, Baba. Die United Front denkt, sie hat gewonnen, aber sie hat versagt. Guck doch, was jetzt passiert.
Was passiert denn?
Die Menschen beziehen Stellung. Naxalbari ist eine Inspiration. Es ist der Auslöser für Veränderung.
Ich habe schon genug Veränderungen in diesem Land mitgemacht, sagte der Vater. Ich weiß, was es bedeutet, wenn man ein System durch ein anderes ersetzen will. Ihr nicht.
Aber Udayan gab nicht nach. Er löcherte den Vater mit Fragen, wie er in der Schule die Lehrer gelöchert hatte. Wenn der Vater so stolz war auf Indiens Unabhängigkeit, warum hatte er dann damals nicht gegen die Briten protestiert? Warum war er nie einer Gewerkschaft beigetreten? Warum hatte er niemals Stellung bezogen? Schließlich gab er doch bei den Wahlen den Kommunisten seine Stimme.
Subhash und Udayan kannten beide die Antwort. Weil ihr Vater Regierungsangestellter war, durfte er weder einer Partei noch einer Gewerkschaft beitreten. In der Phase der Unabhängigkeit durfte er sich nicht öffentlich äußern – das waren die Bedingungen seiner Anstellung. Manche missachteten die Regeln, aber ihr Vater hatte das nie riskiert.
Es war unseretwegen. Er hat verantwortlich gehandelt, sagte Subhash.
Aber Udayan sah das nicht so.
Zwischen Udayans Physikbüchern standen jetzt andere Bücher, die er ebenfalls studierte. In den Seiten steckten kleine Zettel. Die Verdammten dieser Erde. Was tun? Ein Buch in einem roten Plastikeinband, kaum größer als ein Kartenspiel, mit den Sprüchen Maos.
Als Subhash fragte, woher Udayan das Geld habe, um diese Schriften zu kaufen, sagte Udayan, sie seien Allgemeinbesitz und würden am College in einer Gruppe von Studenten herumgereicht, mit denen er sich angefreundet habe.
Unter der Matratze bewahrte Udayan auch einige Pamphlete von Charu Majumdar auf, die er sich besorgt hatte. Sie waren meist vor den Aufständen von Naxalbari geschrieben worden, als Majumdar im Gefängnis saß. Unsere Aufgaben in der gegenwärtigen Situation. Nutzen wir die Gelegenheit. Welche Möglichkeiten birgt das Jahr 1965?
Eines Tages brauchte Subhash eine Pause von seinen Büchern und griff unter die Matratze. Die Aufsätze waren kurz, wortgewaltig. Majumdar sagte, Indien sei zu einer Nation von Bettlern und Ausländern geworden. Die reaktionäre Regierung Indiens ist dazu übergegangen, die Massen zu töten; sie bringt sie mit Hunger und mit Gewehrkugeln um.
Er warf Indien vor, es habe sich zur Lösung seiner Probleme an die Vereinigten Staaten gewandt. Er warf den Vereinigten Staaten vor, Indien zu ihrem Spielball zu machen. Er warf der Sowjetunion vor, Indiens herrschende Klasse zu unterstützen.
Er rief zur Gründung einer geheimen Partei auf. Er rief zur Kaderbildung in den Dörfern auf. Er verglich die Methode des aktiven Widerstands mit der Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten.
In allen seinen Schriften wies er auf das Beispiel Chinas hin.