Wenn es zwei Uhr morgens ist und du manisch bist, hat sogar das UCLA Medical Center einen gewissen Reiz. Das Krankenhaus – eigentlich eine kalte Ansammlung langweiliger Gebäude – wurde für mich an jenem frühen Herbstmorgen vor beinahe zwanzig Jahren zum Brennpunkt meines bis in die feinsten Fasern empfänglichen Nervensystems. Die Sinne schmerzhaft gereizt, alle Antennen voll ausgefahren, mit hastendem Blick, die Augen facettiert wie die einer Fliege, nahm ich alles um mich herum auf. Ich war auf der Flucht. Nicht einfach nur auf der Flucht, sondern auf einer gehetzten, wilden Flucht. Ich schoss vorwärts und wieder zurück, kreuz und quer über den Parkplatz des Krankenhauses und versuchte, eine unendliche, rastlose manische Energie aufzubrauchen. Ich rannte schnell, aber ich wurde langsam wahnsinnig.
Mein Begleiter, ein Kollege von der medizinischen Fakultät, hatte eine Stunde zuvor mit dem Rennen aufgehört und war, wie er ungeduldig bemerkte, nun erschöpft. Einen Menschen mit gesünderem Geist hätte das nicht weiter überrascht, aber für uns beide existierte die gewöhnliche Unterscheidung zwischen Tag und Nacht damals schon längst nicht mehr, und die endlosen, mit Scotch, Streitereien und anschließenden Lachanfällen angefüllten Stunden hatten ihren sichtlichen, wenn nicht endgültigen Tribut gefordert. Wir hätten schlafen oder arbeiten, etwas publizieren sollen, anstatt zugrunde zu gehen, hätten Fachzeitschriften lesen, Tabellen schreiben oder wissenschaftliche Diagramme zeichnen sollen, die nun niemand mehr zu Gesicht bekommen würde.
Plötzlich bog ein Streifenwagen um die Ecke. Selbst in meinem alles andere als klaren Geisteszustand bemerkte ich, dass der Polizist beim Aussteigen die Hand an seiner Waffe hatte. »Warum, zum Teufel, rennen Sie in aller Herrgottsfrühe hier auf dem Parkplatz herum?«, wollte er wissen. Eine nicht ganz unberechtigte Frage. Die wenigen mir verbliebenen Inseln gesunden Urteilsvermögens näherten sich einander und formierten sich auf eine Weise, die es mir zumindest ermöglichte zu begreifen, dass diese Situation schwer zu erklären sei. Mein Kollege war glücklicherweise weitaus geistesgegenwärtiger als ich; ihm gelang es, in einen intuitiven Bereich hinabzusteigen, der seinem individuellen und dem kollektiven Unbewussten gemein war, und sagte: »Wir gehören zur Abteilung für Psychiatrie.« Der Polizist sah uns an, lächelte, ging zu seinem Streifenwagen zurück und fuhr davon.
Zwei Psychiater – das erklärte alles.
Einen Monat nachdem ich meinen Anstellungsvertrag als Lehrbeauftragte der University of California in Los Angeles unterschrieben hatte, war ich schon auf dem besten Weg, wahnsinnig zu werden; das war 1974, und ich war achtundzwanzig. Drei Monate später hatte mich die Manie bereits bis zur Unkenntlichkeit verändert und ich nahm einen langen, kostspieligen persönlichen Kampf gegen eine Behandlung auf, die ich einige Jahre später anderen Menschen dringend empfehlen sollte. Meine Krankheit und die Widerstände gegen das Medikament, das mir letztlich das Leben gerettet und mich wieder gesund gemacht hat, hatten sich über viele Jahre hinweg entwickelt.
Solange ich denken kann, war ich auf erschreckende, wenngleich oft auch auf wunderbare Weise Stimmungen unterworfen. Nachdem ich als Kind äußerst emotional und als junges Mädchen quirlig und lebhaft gewesen war, wurde ich in der späteren Adoleszenz zunächst schwer depressiv und verfing mich dann, mit meinem Eintritt ins Berufsleben, heillos in den Zyklen der manisch-depressiven Krankheit. So begann ich aus Not, aber auch aus intellektueller Neigung, Stimmungsschwankungen zu erforschen. Das war für mich die einzige Möglichkeit, meine Krankheit zu verstehen oder vielmehr zu akzeptieren; es war auch der einzige mir bekannte Weg, anderen zu helfen, die ebenfalls an dieser Art von Stimmungsschwankungen litten. Die Krankheit, die mich selbst mehr als einmal beinahe umgebracht hätte, kostet jährlich Zehntausende das Leben: Die meisten von ihnen sind jung, die meisten von ihnen sterben einen unnötigen Tod, und viele von ihnen gehören zu den Fantasievollsten und Begabtesten unserer Gesellschaft.
Nach dem chinesischen Volksglauben kann man ein wildes Tier erst dann besiegen, wenn man es zuvor schön gemacht hat. In gewisser Weise habe ich versucht, genau dies mit der manisch-depressiven Krankheit zu tun. Sie war eine faszinierende, obwohl lebensbedrohliche Feindin und Gefährtin für mich. Ich fand sie verführerisch vielschichtig, sah in ihr eine Quintessenz des Reinsten und Schönsten, aber zugleich auch des Gefährlichsten unserer menschlichen Natur. Um den Kampf mit diesem wilden Tier aufzunehmen, musste ich es zuerst in all seinen Stimmungen, in all seinen zahllosen Masken kennenlernen, seine wahren und eingebildeten Kräfte begreifen. Da mir meine Krankheit anfangs als bloße Erweiterung meiner selbst – das heißt meiner üblicherweise wechselhaften Stimmungen, Energien und Euphorien – erschien, habe ich ihr vielleicht manchmal zu sehr nachgegeben. Und weil ich glaubte, ich müsste mit meinen immer heftigeren Stimmungsumschwüngen selbst zurechtkommen, habe ich mich während der ersten zehn Jahre um keinerlei Behandlung bemüht. Selbst nachdem mein Zustand schon als medizinischer Notfall einzustufen war, wehrte ich mich zeitweilig immer noch gegen eine Medikation, die, wie mir meine Ausbildung und meine klinische Sachkenntnis sagten, die einzig vernünftige Methode darstellte, meine Krankheit zu bekämpfen.
Meine Manien waren, zumindest in ihren frühen und milden Formen, Rauschzustände, die ein enormes persönliches Wohlbefinden, einen unvergleichlichen Gedankenreichtum und unerschöpfliche Energien zur Folge hatten, die mir die Entwicklung neuer Ideen und deren Umsetzung in Projekte ermöglichten. Die Medikamentenbehandlung beendete diese schnelllebigen, umtriebigen Phasen nicht nur, sie brachte auch scheinbar unerträgliche Nebenwirkungen mit sich. Ich habe viel zu lange gebraucht, um zu erkennen, dass verlorene Jahre nicht mehr einzuholen sind und zerbrochene Beziehungen nicht mehr gekittet werden können, dass sich Schaden, den man sich selbst und anderen zugefügt hat, nicht immer wiedergutmachen lässt und dass die Befreiung aus einer von Medikamenten aufgezwungenen Kontrolle ihre Bedeutung verliert, wenn die einzigen Alternativen Tod und Krankheit heißen.
Der Kampf, den ich gegen mich selbst geführt habe, ist nicht ungewöhnlich. Das größte klinische Problem bei der Behandlung der manisch-depressiven Krankheit ist nicht etwa das Fehlen wirksamer Medikamente – denn die gibt es –, sondern die Tatsache, dass die Patienten sich sehr oft weigern, sie einzunehmen. Aber was noch schlimmer ist: Aufgrund mangelnder Information, unzureichender ärztlicher Beratung, des Krankheitsstigmas oder auch aus Angst vor Nachteilen im Privat- oder Berufsleben unterziehen sich viele erst gar nicht einer Behandlung. Die manisch-depressive Krankheit verzerrt Gemütszustände und Gedanken, löst schreckliche Verhaltensweisen aus, zerstört die Grundlagen rationalen Denkens und unterhöhlt nur allzu oft Lebensfreude und Lebenswillen. Manisch-depressive Störungen sind eine Krankheit, deren Ursprünge biologischer Natur sind, auch wenn sie als psychische Krankheit erlebt wird; es handelt sich um eine Krankheit, die wie keine andere ein Gefühl der Überlegenheit und des Wohlbefindens suggeriert, auch wenn sie in der Folge zu fast unerträglichem Leid und nicht selten sogar zum Selbstmord führt.
Ich kann von Glück sagen, dass ich meine Krankheit überlebt und die bestmögliche Behandlung erfahren habe und dass ich solche Freunde und Kollegen und eine solche Familie habe, wie ich sie besitze. Deshalb habe ich auch, so gut ich konnte, versucht, meine eigenen Erfahrungen mit dieser Krankheit zu nutzen und in meine Forschung und Lehrtätigkeit, meine klinische Arbeit und meine Beratungen und Empfehlungen einzubringen. Durch mein Schreiben und meine Lehrtätigkeit wollte ich meine Kollegen von dem paradoxen Wesenskern dieser »Quecksilberkrankheit« überzeugen, die sowohl töten als auch kreativ wirken kann; und gemeinsam mit vielen anderen versuchte ich, die öffentliche Einstellung zu psychischen Erkrankungen im Allgemeinen und zur manisch-depressiven im Besonderen zu verändern. Es war manchmal sehr schwer, die wissenschaftliche Disziplin meines Fachgebietes und die unabweisbare Realität meiner eigenen emotionalen Erfahrungen miteinander in Einklang zu bringen. Und doch war es ebendiese Verbindung von ungefilterten Emotionen und dem distanzierteren Blick der analysierenden Wissenschaft, die mir das Gefühl gab, nun endlich die Freiheit gewonnen zu haben, das Leben zu führen, das ich führen möchte, sowie die menschlichen Erfahrungen, die notwendig sind, um Veränderungen sowohl im öffentlichen Bewusstsein als auch in der klinischen Praxis zu bewirken.
Ich hatte große Bedenken, ein Buch zu schreiben, das sowohl meine eigenen manischen Attacken, meine Depressionen und Psychosen als auch meine Schwierigkeit, die notwendige ständige Medikamentenbehandlung zu akzeptieren, so unverhüllt darstellt. Klinikangestellte sind bisher – wegen ihrer Approbation oder ihrer privilegierten Stellung im Krankenhaus – davor zurückgeschreckt, anderen von ihren eigenen psychischen Problemen zu berichten. Diese Bedenken sind oft genug gerechtfertigt. Ich weiß nicht, welche Auswirkungen die offene Diskussion über solche Fragen langfristig auf mein Privat- und mein Berufsleben haben wird. Aber wie auch immer die Konsequenzen aussehen mögen – sie sind sicher leichter zu ertragen, als weiter zu schweigen. Ich habe genug von dem Versteckspiel, von der Vergeudung und Einschränkung meiner Energie, ich habe die Heuchelei satt und bin es leid, mich so zu verhalten, als hätte ich etwas zu verbergen. Man ist, was man ist, und das unehrliche Sichverschanzen hinter einem Diplom, einem Titel oder einer bestimmten Haltung und Wortwahl bleibt eben immer unehrlich. Notwendig vielleicht, aber unehrlich. Meine Entscheidung, öffentlich über meine Krankheit zu sprechen, bereitet mir immer noch Sorgen, aber einer der Vorteile, die man hat, wenn man wie ich seit über dreißig Jahren an der manisch-depressiven Krankheit leidet, besteht darin, dass einem nur noch sehr weniges unüberwindlich schwer erscheint. Es ist so, als würde man die Bay Bridge überqueren, während sich über der Bucht von Chesapeake gerade ein Sturm zusammenbraut: Man hat Angst weiterzufahren, aber es führt auch kein Weg zurück. Ich merke, dass ich fast nicht anders kann, als mich mit Robert Lowells lebenswichtiger Frage zu trösten: Warum denn nicht aussprechen, was geschehen ist?