Buch
Andrew Smart möchte, dass Sie sich öfter einfach mal hinsetzen und gar nichts tun – und er hat sogar wissenschaftliche Argumente dafür. Auch wenn wir ständig dazu angehalten werden, schneller und effizienter zu sein, und Multitasking längst von einer Tugend zur Notwendigkeit geworden ist, werden Faulenzer letzten Endes die Nase vorn haben. Ob im Berufsleben oder in der Freizeit – gestützt durch wissenschaftliche Erkenntnisse liefert Öfter mal auf Autopilot überzeugende Gründe dafür, dass es Ihrem Gehirn nur schadet, wenn Sie allzu aktiv sind. Umgekehrt fördert gezieltes Nichtstun Ihre Kreativität, die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis, Ihr Gedächtnis, Ihr emotionales Wohlbefinden und Ihre sozialen Fähigkeiten. So können Sie Ihrem Chef, Ihrer Familie und Ihren Freunden mit den aktuellsten Forschungsergebnissen auf dem Gebiet der Gehirnforschung erklären, weshalb Sie sich unbedingt ausruhen müssen – und zwar jetzt sofort.
Autor
Andrew Smart ist Kognitionswissenschaftler und Autor. Er erhielt seinen Master of Science an der Universität Lund, Schweden, wo er unter anderem die positiven Auswirkungen von Lärm auf das Erinnerungsvermögen und die Aufmerksamkeit von Kindern mit ADHS erforschte. Sein besonderes Interesse für das Nichtstun und die Abscheu vor Zeitmanagement brachten ihn dazu, Öfter mal auf Autopilot zu schreiben.
Andrew Smart
Öfter mal
auf Autopilot
Warum Nichtstun so wichtig ist
Aus dem Amerikanischen
von Manuela Knetsch
Alle Ratschläge in diesem Buch wurden vom Autor und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung des Autors beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.
1. Auflage
Deutsche Erstausgabe November 2014
Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
© 2014 der deutschsprachigen Ausgabe
Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
© 2013 Andrew Smart
Originaltitel: Autopilot. The Art & Science of Doing Nothing
Originalverlag: OR Books, New York
Published by arrangement with OR Books, New York.
Umschlaggestaltung: Uno Werbeagentur, München
Umschlagmotiv: FinePic®, München
Redaktion: Susanne Lötscher
Fachliche Beratung: Sonja Schall
Satz: Buch-Werksatt GmbH, Bad Aibling
KW · Herstellung: IH
ISBN 978-3-641-14516-3
www.goldmann-verlag.de
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Inhalt
Einleitung
1 | Das abscheuliche Monster Müßiggang
2 | Nichts als Rauschen
3 | Von Aha-Momenten und Selbsterkenntnis
4 | Rilke und das müßig erforschte Leben
5 | Ihr Ich – ein selbstorganisiertes System
6 | Revolution oder Selbstmord
7 | Das Signal ist das Rauschen
8 | Six Sigma – ein epileptischer Anfall
9 | Arbeit zerstört den Planeten
Danksagung
Quellenverzeichnis
Register
Einleitung
»Ich habe mich oft gefragt, ob nicht gerade die Tage, die wir gezwungen sind, müßig zu sein, diejenigen sind, die wir in tiefster Tätigkeit verbringen? Ob nicht unser Handeln selbst, wenn es später kommt, nur der letzte Nachklang einer großen Bewegung ist, die in untätigen Tagen in uns geschieht?
Jedenfalls ist es sehr wichtig, mit Vertrauen müßig zu sein, mit Hingabe, womöglich mit Freude. Die Tage, da auch unsere Hände sich nicht rühren, sind so ungewöhnlich still, dass es kaum möglich ist, sie zu erleben, ohne vieles zu hören.«
Rainer Maria Rilke, Brief an Tora Holmström,
24. August 1904
In diesem Buch geht es ums Nichtstun. Das Nichtstun gehört zu den wichtigsten Aktivitäten im Leben. Ich habe mich dazu aufgerafft, meine Gedanken dazu aufzuschreiben, und hoffe, auch andere davon zu überzeugen – trotz der Tatsache, dass überall auf der Welt immer länger gearbeitet wird und in jedem Zeitmanagement-Buch, das es auf dem Markt gibt, behauptet wird, dass man noch mehr machen könnte und sollte. Dieses Buch vermittelt eine gegenteilige Botschaft. Sie sollten weniger tun, ja, Sie sollten sogar faul sein. Laut Erkenntnissen aus der Neurowissenschaft muss sich unser Gehirn entspannen – und zwar genau in diesem Augenblick. Auch wenn unser Geist für intensive Aktivitäten außerordentlich gut entwickelt ist, muss unser Gehirn, um normal funktionieren zu können, auch müßig sein dürfen – und das sogar sehr häufig, wie sich herausgestellt hat.
Wir sind oft zu zielgerichtet, zu gelenkt; wir sollten uns selbst öfter einmal in den Autopilot-Modus versetzen. In der Luftfahrt ist der Autopilot eine automatische Anlage, die Flugzeuge lenkt, ohne dass Piloten eingreifen müssen. Der Autopilot wurde entwickelt, weil das manuelle Steuern eines Flugzeugs absolute und fortwährende Aufmerksamkeit des Piloten erfordert. Da die Flugzeuge im Lauf der Zeit immer höher und schneller flogen und die Flüge immer länger wurden, führte das manuelle Steuern eines Flugzeugs bei Piloten zu ernsthaften (und gefährlichen) Ermüdungserscheinungen. Die Einführung des Autopiloten gestattete es den Piloten, sich bei der physischen Lenkung des Flugzeugs Pausen zu gönnen, um ihre geistigen Kräfte für riskantere Flugphasen wie Starten und Landen zu schonen. Heutzutage steuert der Autopilot Flugzeuge auf der Basis von Computersoftware.
Die Kehrseite des Autopilot-Modus ist, dass Piloten manchmal nicht mehr unterscheiden können, ob nun der Autopilot oder sie selbst das Flugzeug steuern. Dieser Zustand wird im Englischen Mode Confusion genannt (deutsch etwa: Modus-Verwirrung) und hat schon zu schwerwiegenden Unfällen geführt.
Interessanterweise besitzt auch Ihr Gehirn einen Autopiloten. Wenn Sie sich ausruhen und sozusagen die »manuelle Kontrolle« über Ihr Leben aufgeben, übernimmt der Autopilot. Er weiß, wo Sie wirklich hinwollen und was Sie wirklich tun wollen. Und der einzige Weg herauszufinden, was er weiß, besteht darin, die Steuerung des Flugzeugs aufzugeben und sich von Ihrem Autopiloten leiten zu lassen. Nicht nur Piloten werden bei der manuellen Steuerung von Flugzeugen so müde, dass es gefährlich werden kann – auch wir brauchen öfter Pausen, in denen wir unser Flugzeug von unserem Autopiloten fliegen lassen sollten. Die Kunst besteht darin, die Mode Confusion zu vermeiden, das heißt es locker angehen zu lassen, unsere Terminkalender zur Seite zu legen und die Dinge einfach nicht zu erledigen.
Psychologische Studien haben gezeigt, dass Menschen das Nichtstun eher scheuen. Doch dieselben Studien zeigen auch, dass Menschen, wenn sie nicht gerade gute Gründe dafür haben, geschäftig zu sein, im Durchschnitt lieber untätig wären. Einerseits scheuen wir uns, untätig zu sein, andererseits würden wir gleichzeitig lieber faulenzen. Dieser Widerspruch könnte ein Überbleibsel aus der Evolutionsgeschichte sein. Im Lauf seiner Entwicklungsgeschichte war es für den Menschen zumeist oberste Priorität, mit seinen Kräften zu haushalten, denn die Nahrungsbeschaffung allein war eine gewaltige körperliche Anstrengung. Heutzutage ist das Überleben in den westlichen Ländern (wenn überhaupt) nur mit geringer körperlicher Anstrengung verbunden; daher haben wir uns alle möglichen Arten von nutzlosen Beschäftigungen ausgedacht. Gibt man Menschen auch nur den leisesten, ja fadenscheinigsten Grund, etwas zu tun, werden sie geschäftig. Menschen, die zu viel Zeit haben, neigen zum Unglücklichsein oder zur Langeweile. Doch wie wir in diesem Buch sehen werden, könnte das Nichtstun möglicherweise der einzige wirkliche Weg zur Selbsterkenntnis sein. Bei dem, was Ihnen ins Bewusstsein kommt, während Sie untätig sind, handelt es sich häufig um etwas aus den Tiefen Ihres Unterbewusstseins – und diese Informationen sind vielleicht nicht immer angenehm. Nichtsdestoweniger wird Ihr Gehirn Ihre Aufmerksamkeit mit gutem Grund darauf lenken. Durch den Müßiggang bekommen bedeutende Ideen, die in Ihrem Unterbewusstsein schlummern, eine Chance, in Ihr Bewusstsein zu dringen.
Unsere seit Langem bestehende Angst vor dem Nichtstun hat unweigerlich dazu geführt, dass wir heutzutage von Geschäftigkeit nahezu besessen sind. 2006 hat Bruce Charlton in seinem vorausschauenden Leitartikel in der Zeitschrift Medical Hypotheses behauptet, die moderne Gesellschaft werde von Berufen beherrscht, die sich durch eine besondere Geschäftigkeit auszeichnen. Mit Geschäftigkeit ist Multitasking gemeint – aufgrund eines von außen auferlegten Zeitplans viele Tätigkeiten nacheinander ausführen und häufig zwischen ihnen wechseln. In den meisten Berufen besteht die einzige Möglichkeit voranzukommen darin, so zu tun, als beherrsche man das Multitasking. Francis Crick, Nobelpreisträger und Mitentdecker der DNS, war berühmt für seine Weigerung, sich durch die Verwaltungsebenen zu kämpfen, um in der akademischen Welt aufzusteigen. Er verabscheute die Geschäftigkeit, die eine leitende Stellung mit sich bringt.
Die Definition des Nichtstuns, die ich in diesem Buch erörtere, ist die Antithese der Geschäftigkeit: vielleicht ein oder zwei Dinge am Tag zu erledigen, und dies – und das ist entscheidend – nach einem intern auferlegten Zeitplan. Chronische Geschäftigkeit ist schlecht für Ihr Gehirn und kann auf lange Sicht ernsthafte gesundheitliche Konsequenzen haben. Kurzfristig zerstört starke Geschäftigkeit die Kreativität, die Selbsterkenntnis, das emotionale Wohlbefinden, Ihre sozialen Fähigkeiten – und sie kann das Herz-Kreislauf-System schädigen.
Vom neurowissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet erweist sich die Erforschung des Nichtstuns im Labor als leicht. Tatsächlich wurde die unglaubliche Gehirnaktivität, die nur dann auftritt, wenn man gerade gar nichts tut, durch Zufall entdeckt – als nämlich Probanden bei Experimenten mit bildgebenden Verfahren einfach nur in den MRT-Geräten lagen und vor sich hin träumten. Ich erweitere dieses Laborergebnis insofern, als ich dazu auch jeden Moment Ihres Tagesablaufs zähle, in dem Sie sich nicht an einem von außen auferlegten Zeitplan orientieren und die Gelegenheit haben, wirklich nichts zu tun, oder in dem Sie die Freiheit haben, Ihre Gedanken zu allem wandern zu lassen, was in Ihr Bewusstsein dringt, sobald Sie einmal nicht beschäftigt sind. Wahre Erkenntnis, sei sie künstlerischer oder wissenschaftlicher, emotionaler oder sozialer Natur, kann sich wirklich nur in diesen allzu seltenen Momenten des Müßiggangs einstellen.
Selbst Wissenschaftler geben zu, dass man einige der immer wiederkehrenden Ideen der Neurowissenschaft vielleicht nie wirklich verstehen wird – man gewöhnt sich nur an sie. Es ist jedoch hilfreich, sich in diesem Buch schon früh mit diesen Konzepten vertraut zu machen, und sei es auch nur, weil Sie damit teilweise rechtfertigen können, es locker anzugehen. Man wird Sie künftig in Ruhe lassen, wenn Sie Ihre Faulheit postwendend mit einem Satz wie diesem erklären: »Ich lasse die Hubs meines Default-Mode-Netzwerks schwingen, um herauszufinden, was ich mit meinem Leben anfangen will.« Zudem lassen sich mit dem Wissen um diese Konzepte viele Fakten, das Gehirn betreffend, in einen entsprechenden Zusammenhang stellen.
Betrachten Sie dieses Buch als einen Crashkurs in Komplexitätstheorie und Neurowissenschaft. Das menschliche Gehirn ist eine Kreativmaschine – ein komplexes, nichtlineares natürliches Objekt, das folgende Eigenschaften hat:
Dies war aber nur dann der Fall, wenn die Uhren an ein und derselben Wand hingen. So wurden winzige Vibrationen ausgelöst, die so stark waren, dass sich die beiden Rhythmen gegenseitig beeinflussen konnten. Die Vibrationen – oder das Rauschen – lösten den Koppelmechanismus zwischen den beiden Oszillatoren aus. Es stellte sich also heraus, dass unser alter Freund »Lärm« bei der Synchronisation hilft. Dennoch kann übermäßige Synchronisation, wie bereits oben erwähnt, zu einer Art Anfall führen, und eine zu geringe Synchronisation dazu, dass vielleicht überhaupt keine Kommunikation stattfindet. Und auch dies ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie ein Forscher zu einer fundierten wissenschaftlichen Erkenntnis gelangte, während er eigentlich überhaupt nichts tat (in diesem Fall im Bett lag, um sich von einer Krankheit zu erholen).
Wir werden noch sehen, dass jedes dieser wissenschaftlichen Schlagwörter mit hineinspielt, wenn wir müßig beziehungsweise kreativ sind, und weshalb Nichtstun Sie kreativer machen könnte. Und jedes der genannten Gebiete ist Gegenstand intensiver aktueller Forschungen, an denen Tausende von Wissenschaftlern beteiligt sind. Am Ende des Buches finden Sie einige herausragende Quellen für eine weiterführende Lektüre. Mit jedem dieser Themen lassen sich ganze akademische Semester verbringen, und für einige Wissenschaftler ist das jeweilige Forschungsgebiet eine Lebensaufgabe. Dennoch wissen wir eigentlich immer noch sehr wenig darüber, wie das Gehirn funktioniert. Zudem handelt es sich bei dem Versuch, diese Konzepte auf die Gehirnforschung anzuwenden, um eine recht neue Entwicklung in der Psychologie und der Neurowissenschaft. Wenn Sie also ein Gespür für diese Konzepte und ihren Bezug zum Gehirn entwickeln, betrachten Sie sich ruhig als Person mit einer wissenschaftlichen Begabung.
Gestattet man dem Gehirn, sich auszuruhen, können diese Mechanismen der Nichtlinearität und des Zufalls ausgeschöpft werden. Außerdem verstärken Ruhephasen die natürliche Neigung des Gehirns, Empfindungen und Erinnerungen zu neuen Ideen zu verknüpfen. Nicht nur die Berichte einzelner Schriftsteller und Künstler, sondern auch neueste psychologische Studien führen zu der Erkenntnis, dass wir uns lange, ungestörte Phasen des Nichtstuns gönnen sollten, damit sich das kreative Potenzial unseres Gehirns – ein komplexes, nichtlineares System – richtig entfalten kann. Möglicherweise sind Ruhephasen für die geistige Gesundheit mindestens ebenso wichtig wie zielgerichtete geistige Aktivität, wenn nicht sogar noch wichtiger.