Wenn Männer einander begegnen
Das Einschätzen des anderen Mannes
Wenn Männer einander begegnen, beginnt sofort die Konkurrenz. Männer müssen sich gegenseitig messen. Unweigerlich startet ein jahrtausendealtes Programm: In Sekundenbruchteilen wird der andere durchleuchtet, auf gewisse Kriterien untersucht, es wird sofort analysiert, ob er eine Gefahr ist. Unabhängig davon, ob Männer nachts im Dunkeln auf einer Autobahnraststätte im Pissoir aneinander vorbeimüssen oder einander während der Pause in der Oper an der Champagnerbar vorgestellt werden, wir Männer müssen herausfinden: Ist der andere stärker als ich? Muß ich mich schützen? Angreifen? Fliehen?
Wir neigen dazu, diese Situation so schnell wie möglich zu entschärfen, indem wir uns grüßen, einander in die Augen schauen, anlächeln, zunicken und am Ende einander artig die Hand geben. Diese ersten gegenseitigen Signale der Friedfertigkeit, diese Anzeichen von Entwarnung nutzen wir aber immer noch dazu, weitere Informationen abzurufen: Wie stark ist sein Blick, wie kräftig sein Händedruck? Will er mich dominieren? Ist er schwächer als ich?
Ganz in der Tiefe reden bei Begegnungen unter uns Männern Urängste mit: die Angst davor, schwach zu sein, die Angst, weiblich zu sein, die tiefe Angst, penetriert zu werden. Wir fürchten, mental durchlöchert zu werden, mit Blicken oder Befehlen, oder körperlich mit Fäusten, mit Waffen, oder ganz deutlich: penetriert mit dem Penis. Warum sagen Feldwebel in den US-Spielfilmen zu ihren Rekruten immer: »Ich reiß’ dir den Arsch auf!«?
Wir Männer hatten jahrtausendelang Grund, uns voreinander zu fürchten, unser Hirn ist daher genetisch auf dieses blitzschnelle Abschätzen des Gegenübers gut eingerichtet. Aber vieles, was in diesen kurzen Sekunden der Begegnung unbewußt abläuft, wird überlagert von kulturell bedingten oder auch persönlichen Mustern, und bei weitem nicht immer sind unsere Deutungen der Signale fehlerfrei. Hat einer einen sehr starken Händedruck, interpretieren wir: Der ist stark, stärker als ich, ich bin schwach, schwächer als er. Dabei ist es vielleicht der andere, der sich schwach fühlt und dies durch einen überstarken Händedruck zu kompensieren versucht. Wir Männer haben einen Informationskanal nur schlecht entwickelt, der uns in solchen Situationen sehr gute Dienste leisten könnte: das Fühlen.
Wir fühlen schlecht, was wirklich ist. Frauen können sich – so sagen sie – besser einfühlen in das, was in ihnen und in anderen vorgeht. Für Gefühle fehlt uns die Wahrnehmungsfähigkeit. Wir suchen und stellen unseren Mann draußen, in der Welt, im Beruf, im Handeln. Unsere Gefühlswelt ist zu einem großen Teil abgespalten, unterdrückt. Daher merken wir Männer meist gar nicht, was da alles abläuft in diesen ersten Begegnungen, wir halten uns am Äußeren auf. Fährt der andere einen Mercedes, einen Audi oder einen Saab? fragen sich Manager über andere Manager. Hat der andere einen muskulösen Boxerrüden oder eine kleine Pudeldame? fragen sich Hundehalter.
Wir Männer messen aneinander unbewußt sofort die Potenz. Nicht nur die Potenz des Penis, es geht um die Potenz auf verschiedenen Ebenen. Wer verdient mehr? Wer hat die attraktivere Frau? Derjenige, der aus diesem kurzen Kräftemessen als Sieger hervorgeht, beginnt locker zu werden, nonchalant, spricht den ersten Satz, übernimmt die Führung im Gespräch und fühlt sich gut dabei. Der Unterlegene muß schauen, wo er bleibt. Welche Optionen hat er noch?
Er kann sich zurückziehen, »den Schwanz einziehen« und sich aus dem Bereich des Stärkeren entfernen. Er kann versuchen, durch Schmeicheleien den Stärkeren günstig zu stimmen, ihn durch Loyalität in seiner überlegenen Position akzeptieren, er kann versuchen, ihn zum Freund zu gewinnen. Er kann aber auch versuchen, den Stärkeren durch Intrigen fertigzumachen.
Oder er kann den anderen zum weiteren Kräftemessen herausfordern, das Kampffeld verlagern auf andere Themen, andere Situationen. Findet er Fehler beim andern? Unsicherheiten? Gibt es andere Ebenen, auf denen er den Sieg zurückerobern könnte? Kann er ihn als einseitig entlarven, indem er sagt: Er ist zwar reich, aber ein Hohlkopf, er hat’s wohl in den Muskeln, aber nicht im Hirn! Arnold Schwarzenegger ist ein Beispiel dafür. Er hat einen super Body, ist äußerst erfolgreich, aber viele Männer machen ihn klein, dumm, wertlos. Ach, dieser Dummkopf Schwarzenegger. – Wie er wohl in Wahrheit ist?
Oft beginnen unterlegene Männer auch, sich mit dem Stärkeren zu identifizieren. Sie machen ihn zum Idol, finden ihn toll, fühlen sich dabei selber ein wenig wie der Starke, genießen das, brauchen das, weil sie tief drinnen verunsichert sind, was ihre Männlichkeit betrifft. Viele Topmanager, viele Politiker scharen reihenweise solche Verunsicherte um sich und geben ihnen Halt und Sinn.
Machos haben es insofern gut. Der Macho hat einen starken Panzer, er geht mit geschlossenem Visier rücksichtslos durch die Welt, und oft kriegt er sogar, was er will. Männer, die laut sind, die drauflosgehen, fordern, die bekommen meist, was sie wollen, denn der Schwächere, der Sensiblere bekommt Angst und gibt nach. Ein Macho hat auch tatsächlich oft Erfolg bei Frauen, einfach, weil er aus sich herauskommt mit seiner Energie. Die Faszination am Macho liegt darin, daß er seine männlich triebhafte Seite zur Schau stellt, den Kamm stellt, das Brusthaar zeigt und Frauen deshalb direkt körperlich anspricht. Nur heißt das noch lange nicht, daß so ein Mann sicher ist in seiner Männlichkeit. Vielleicht ist sein Gehabe nur eine Flucht nach vorn?
Im Gegensatz zum Macho verdrängt der Softie sein aggressives Potential. Und wenn jemand etwas verdrängt, dann holt er beim Gegenüber genau das Verdrängte hervor: Der Softie provoziert Aggression. Viele Männer reagieren deshalb sehr aggressiv auf »sanfte Männer«.
Wenn Männer einander begegnen und die unbewußten Einschätzungsprogramme durchlaufen haben, fragen sie schnell einmal nach dem Beruf. Man weiß dann auch ungefähr, was der andere verdient, man glaubt also, seine Potenz noch zuverlässiger einschätzen und mit der eigenen vergleichen zu können. Findet man auf diskrete Weise auch noch die Position des andern auf der hierarchischen Ebene heraus – je höher die Position, desto schneller wird sie mitgeteilt –, so glauben wir genügend Informationen für eine definitive Einstufung zu haben, die uns erlaubt, uns besser oder mieser zu fühlen als der andere.
Hierarchien geben Sicherheit
Männer neigen zu Hierarchien. Hierarchien geben Sicherheit. Hierarchisches Verhalten ist ein Erbe unserer tierischen Vorfahren. Affenbanden haben Hierarchien. Hühnerhaufen. Wolfsrudel. Das Wesen der Hierarchie ist immer zwiespältig. Der Leitwolf im Rudel ist zwar der Stärkste, der Schlauste, das Alphatier, er sagt den andern, wo’s langgeht, und bekommt den größten Happen, und zwar zuerst. Der Leitwolf besteigt die Fähen seines Rudels. Die anderen haben das Nachsehen. Aber hinter ihm jagen die Rivalen. Und wehe, er ist nicht schnell genug. Männer funktionieren ganz ähnlich. Auch bei uns hatte der Stammeshäuptling ähnliche Privilegien wie der Leitwolf. Manche Fürsten bestanden noch lange auf dem »Jus primae noctis«, dem Recht der ersten Nacht bei den Jungfrauen ihres Volkes.
Noch heute sind der Staat, die Armee, die Kirche, die Wirtschaft streng hierarchisch organisiert. Und noch immer folgt den Führern die Meute auf den Fersen, sucht nach Fehlern, sägt an Stühlen, versucht, die Oberen vom Podest zu stoßen.
Hierarchien haben den Vorteil, daß sie Konkurrenz und Wettbewerb entschärfen und dadurch die Produktivität des Systems steigern. Wer eine hierarchische Auseinandersetzung gewinnt, aktiviert zudem die Adrenalin- und Testosteronausschüttung und kämpft voll motiviert weiter. Viele »Senkrechtstarter« in den Karrieren werden so von den eigenen Erfolgen zu immer neuen Erfolgen weitergetrieben.
Hierarchien verlangen von uns, Rollen zu spielen. Manche von uns leben ganz gut in diesen Rollen, andere haben zunehmend Mühe damit. Und je weniger wir diese Rollen von ganzem Herzen spielen können, um so mehr brauchen wir etwas, das uns von diesem Unglück ablenkt: Beziehungen, Romanzen, Arbeit im Übermaß, Suchtmittel oder Depressionen.
Die Alternative ist, die Situation genau anzuschauen: Kann ich mich mit meinem Stand in der Hierarchie einverstanden erklären? Kann ich meine Vorgesetzten aufgrund ihrer Macht, ihrer Kraft oder ihres Titels als Vor-Gesetzte akzeptieren? Oder muß ich all meinen Mut zusammennehmen und sagen: Ich darf diese Rolle nicht spielen, das zerstört mein Leben, ich muß mir einen neuen Ort, eine neue Stelle, einen neuen Weg suchen? Oder muß ich gewisse Dinge endlich einmal klären mit meinem Chef?
Hierarchien haben längst nicht mehr die Bedeutung, die sie früher hatten, die Autoritäten sind hinterfragt worden. Die Hierarchien von früher sind aber nicht verlorengegangen. Nur sind wir zahm geworden. Kultiviert. Es braucht sie nicht mehr, die Drohungen und Zurechtweisungen früherer Stammeshäuptlinge, die Peitsche des Gutsherrn, den Stock des Lehrers, um uns dramatisch vor Augen zu führen, wohin der Ungehorsam gegenüber den Oberen uns leitet. Wir beugen uns heute ohne äußeres Dazutun, weil wir die Ge- und Verbote in unserem Über-Ich verinnerlicht haben.
Wer hat in der Beziehung die Hosen an?
Wenn Männer einander begegnen, wird also sofort ausgelotet, wer der Stärkere ist. Eine neue Dimension erreicht die Begegnung, wenn Männer ihre Frauen dabeihaben. Tief in der männlichen Seele ist die Frau ein Statussymbol. Und kaum ist eine Frau dabei, ist Eros im Spiel. Daher fragen wir uns sofort: Hat sie Erotik, und spielt sie damit? Hat sie auch Kopf? Ist sie gleichberechtigt mit dem Mann? Ist da Liebe zwischen den beiden? Warum hat der andere »so ein junges Ding«? Sucht er das rein Körperliche? Wählt er das Mädchen und nicht die Frau? Auch diese Liste von Fragen wird bei einer Begegnung unbewußt sehr schnell durchgearbeitet.
Und besonders wichtig ist die Frage: Hat seine Frau die Hosen an? Hosen anhaben bedeutet, die emotionale Führung übernehmen, die Beziehungsstruktur bestimmen. Im Innenbereich der Partnerschaft, was Beziehungen betrifft, pflegen die Frauen die Chefposition zu besetzen. Frauen sind auf Gefühle, auf das Innerliche und auf Kommunikation sozialisiert, und das macht sie in Sachen Beziehung stärker. Draußen in der Welt mit ihren Herausforderungen wird es dagegen eher der Mann sein, der die Führung übernimmt.
Wenn aber die Frau in der Gesellschaft die Hosen anhat und den Mann runterputzt, dann entspricht das nicht dem traditionellen Mann-Frau-Denken. Zu Zeiten unserer Vorfahren war es der Mann, der das Schwert führte, der die Familie beschützte und das Territorium verteidigte. Die Frau war mit der Aufzucht des Nachwuchses beschäftigt. Die Zeiten haben sich geändert, der Entfaltungsraum der Frauen ist nicht mehr auf die drei K – Kirche, Küche, Kinder – beschränkt. Aber die alten Rollenbilder sind noch tief in uns verankert.
Trotz Emanzipation ist die Frage, wer die Hosen anhat in der Beziehung, für uns Männer wichtig. Eine gewitzte Frau, eine kluge, eine liebende Frau wird ihren Mann in seiner Männlichkeit bestätigen, indem sie ihm die Außenrepräsentation zugesteht. Sie braucht deswegen ihren Partner nicht zu belügen und nicht die Tatsache zu übersehen, daß sie die Außenpolitik ebensogut meistern könnte. Sie wird einfach nicht in der Öffentlichkeit darüber reden, damit er anderen Männern gegenüber sein Gesicht wahren kann.
Für Männer ist es gut, wenn sie ganz leicht den Ton angeben: Frauen lieben erfolgreiche Männer, die ihnen etwas überlegen sind, auf die sie stolz sein können. Vielleicht erinnern wir uns hier auch wieder an unsere Wurzeln: Der dominante Mann wird bevorzugt, weil dieser versorgen und beschützen kann. Beziehungen scheitern eher an der Nachgiebigkeit der Männer als an ihrer Härte. Lust entsteht aus Widerstand, aus Reibung aneinander.
Hat in einer Begegnung der andere nun eine Frau, welche auch draußen eindeutig die Hosen anhat, bedeutet das, daß sie stärker ist in dieser Beziehung und daß ihr Mann wahrscheinlich auf irgendeiner Ebene der Junge ist und sie die Mama. Männer, die ihre Hosen abgegeben haben, betrachten wir schnell als Weicheier, oder aber wir solidarisieren uns mit ihnen und greifen ihre Frauen an. Denn das ist die tiefste Angst des Mannes, daß die Frau, das Weibliche, die Mutter stärker ist.
Auch wenn wir Männer sonst nicht gerade Spitze sind im Fühlen, nehmen wir solche Dinge, wenn wir nicht zu sehr projizieren, doch recht zuverlässig wahr. Sie helfen uns, den andern Mann besser einzuschätzen, denn wir sind immer noch auf der Hut. Ist der andere stärker, mutiger, frecher, gewitzter, lebendiger? Überschreitet er unsere Grenzen? Diese Grenzüberschreitungen können gefährlich sein. Schlägt er uns zu jovial auf die Schultern, überschreitet er damit unsere Grenzen, und wir haben den Impuls, uns zu verteidigen.
Die Angst vor dem Schwulsein
Großalarm herrscht, wenn der Verdacht besteht, daß der andere schwul ist. Wir alle haben tief in uns drin eine schwule Ader. Wir identifizierten uns in unserer Kindheit mit unserem Vater, liebten ihn, unsere Libido war auch auf ihn orientiert. Wir sehnen uns noch immer nach ihm, gerade weil er so wenig vorhanden war; unser Liebesverlangen geht also auch auf den Mann. Aber in den meisten Fällen verdrängen wir diese Möglichkeit aus Angst, weibisch zu sein. Wenn uns nun einer gegenübertritt, der offensichtlich schwul ist, dann weckt dies die alte, verdrängte Sehnsucht nach dem Vater, nach dem Mann. Gleichzeitig steigt in heterosexuellen Männern die Angst vor dem Weibischsein auf, und wir haben einen Konflikt im Innern, den wir sofort unter Kontrolle kriegen müssen, indem wir ihn verdrängen und uns vom Gegenüber distanzieren.
Kontrolle ist wichtig. Wir Männer müssen immer kontrolliert sein. Lebendigkeit macht angst, weil sie kaum zu kontrollieren ist. Das falsche Wort, und du machst dich lächerlich. Du hast deine Aggressionen nicht im Griff und schlägst zu. Kontrolle ist sehr wichtig für uns. Alles unter Kontrolle zu haben bedeutet, richtig zu funktionieren.
Freundschaft braucht Mut zur Unsicherheit
Irgendwie schaffen wir Männer es hie und da, aus dieser Konkurrenz auszusteigen, die Hierarchie zu verlassen und uns als gleichberechtigte Partner mit unterschiedlichen Biographien anzuerkennen. Ein erster Schritt dazu kann sein, daß einer von beiden bereit ist, auch eine seiner schwächeren Seiten zu zeigen, etwas Persönliches zu erzählen, sich eine Blöße zu geben, sich verletzbar zu machen. Oder er erzählt von der Vision seines Lebens und dem, was dazu noch fehlt. Auf solche Signale hin können wir von uns aus eine Abrüstungskampagne einleiten, indem auch wir eine Schwäche zeigen, die hochglanzpolierte Tür aufmachen und ein wenig die wahre Befindlichkeit zu erkennen geben.
Ein großer Türöffner zu einer Freundschaft kann sein, wenn der eine dem andern etwas mitteilt, was er über ihn spürt. Wenn er ihm sagen kann: Ich habe Angst vor deinem mächtigen Körper, oder: Ich bewundere deine Art zu reden. Solch ein Schritt macht uns Männern im allgemeinen angst. Es ist nicht einfach für Männer, über ihre Gefühle oder ihre Visionen zu reden. Solange wir solche Dinge nicht mitteilen, sind wir in uns drin sicher und unangefochten. Sobald wir uns mitteilen, kommt die Unsicherheit: Was rede ich da für einen Stuß? Weil wir nicht gelernt haben, Gefühle ernst zu nehmen. Diese Angst zu überwinden braucht Mut, Mut zur Unsicherheit, Mut, Fehler zu machen, nicht perfekt zu sein, uns zu zeigen und damit Angriffsflächen zu bieten. Wer diesen Schritt wagt, streckt die Hand zur Freundschaft aus. Wer darauf im selben Sinn antwortet, erwidert das Angebot. So entsteht mit der Zeit Vertrauen.
Natürlich kann auch in einer Männerbeziehung Konkurrenz mitspielen, ein Wettbewerb in gewissen Dingen, aber im Grunde wird die Konkurrenz in einer Freundschaft aufgehoben. Spielt sie trotzdem mit, muß darauf geachtet werden, daß sie nicht überbordet, daß der eine den andern nicht fertigmacht, sonst ist die Freundschaft vorbei. Eine gesunde Konkurrenz ist ein Mitstreiten, durch das man sich gegenseitig beflügelt, einander Energien zuschießt. Gute Teams gründen oft auf solch einem Wettstreit: Eine Idee übersteigt die andere, der Funke springt über, man kommt gemeinsam in ein Fieber.
Männer brauchen solche Gemeinsamkeiten in Kollegschaften, Vereinen, Clubs. Sie brauchen Orte, wo sie unter sich sind und einander in ihrer Männlichkeit »nähren«, bestätigen, unterstützen. Fern von Frauen. Wo sie so sein können, wie sie sein wollen. Ein männliches Feld, wo man sich gegenseitig aufladen kann. Da können Freundschaften entstehen. Man verläßt sich aufeinander, vertraut sich gegenseitig, traut sich auch mal, ein Gefühl, vielleicht sogar eine Schwäche zu zeigen, sich zu offenbaren. In Südindien zum Beispiel beobachten die Eltern in gewissen Dörfern, mit welchem Jungen der Sohn sich am besten versteht. Mit zehn Jahren wird er mit diesem Jungen »verheiratet«. Erst später sucht man ein Mädchen für ihn. Die beiden »verheirateten« Freunde bleiben meist ein Leben lang zusammen und unterstützen sich gegenseitig.
Es ist wichtig, daß Männer intime Freunde haben. Auch körperlich. Daß wir uns auch mal umarmen können. Nicht nur diese kurze, krampfartige Umarmung, sondern eine entspannte, bei der wir den andern und seine Kraft und seine Wärme spüren. Das schafft eine Sicherheit, in der wir Fehler eingestehen, Fehler akzeptieren, den andern auch mal kritisieren und uns selber kritisieren lassen können. Das schafft eine Stimmung, in der wir uns trauen, einander die Wahrheit zu sagen.
Auf der andern Seite enden manche Begegnungen zwischen Männern auch in einer Feindschaft. Feindschaft und Freundschaft sind die beiden Seiten derselben Medaille. Oft begegnen sich Männer, die in gewisser Weise sehr ähnlich sind, mit derselben Kraft ausgestattet sind, die sich im Grunde genommen lieben, aber, um eine gewisse Distanz zu gewinnen, Feindschaft säen zwischen sich und dem andern. Jack Lemmon und der Griesgram Walter Matthau waren das Paradebeispiel einer solchen Männerfeindschaft.
Feindschaften entstehen auch häufig über Projektionen: Man projiziert Feindbilder aufeinander. Wir werfen dem andern Dinge vor, die in Wirklichkeit im eigenen Schatten verborgen sind, für die wir bei uns einen blinden Fleck, beim anderen aber einen Riecher haben. Ich bin dann der Gute, und er ist der Böse. Solche Feindschaften lassen sich lösen, sobald wir die Projektion wahrnehmen können. Dazu ist allerdings Selbstkritik gefordert: Warum hasse ich ihn so? Inwiefern bin ich selber genau das, was ich an ihm kritisiere?
Weckt der andere starke negative Gefühle in mir, sollte die eigene Alarmglocke losgehen. Ist er in meinen Augen ein verdammter Schwächling? Ein reicher Großkotz? Ein armes Schwein? Dann lohnt es sich, mit der Taschenlampe des Bewußtseins in den eigenen Schatten zu leuchten: Wo ist meine Schwäche? Wo bin ich ein Großkotz? Ein armes Schwein? Feinde können einem ganz schön viel Klarheit schenken. Skins zum Beispiel, wenn sie nachts auf Patrouille gehen und Schwache verprügeln, »Schwule klatschen«, verprügeln im Grunde ihre eigene Weiblichkeit, ihre eigene Schwäche. Wenn sie sich darüber klar würden und ihr Schwachsein akzeptieren könnten, bräuchten sie schnell mal keine Skins mehr zu sein.
In der Gerümpelkammer unserer männlichen Seelen stapelt sich vieles: unsere verleugnete Weiblichkeit, Gefühle der Schwäche, Ängste, Trauer, Neid, aber auch reichlich Aggressionen. All die Gefühle und Eigenschaften, die wir in unserem bisherigen Leben nicht wahrhaben wollten oder verstecken mußten, sie wurden in die Gerümpelkammer des Unbewußten abgeschoben. Manche dieser Dinge könnten wir aber sehr gut gebrauchen. Ein bißchen Wut im richtigen Moment könnte hilfreich sein, eine Schwäche eingestehen könnte Streß auflösen. Unsere Gerümpelkammer genauer zu durchforsten ist eine Schatzsuche: Dort versteckt sich die andere Hälfte von uns. Aber die Tür zur Gerümpelkammer ist sorgfältig verschlossen, und ein Wächter sitzt davor und warnt vor den Gefahren dahinter. »Kein Böser sein!« sagt er, oder: »Kein Schwächling sein!« Jeder hat seinen eigenen Wächter, jeder seine eigenen inneren Gesetze.
Woher diese Wächter stammen, wie ihre Gesetze lauten, welche Schätze, aber auch Ängste und Abscheulichkeiten sie behüten und wie sie dazu bewegt werden können, die Tür zur Gerümpelkammer freizugeben, das wird ein großes Thema dieses Buches sein. Es wird uns auch die Möglichkeit geben, gewisse Dinge aus dieser Kammer hervorzuholen und in unseren Alltag einzubauen. Denn ganz sind wir Männer erst dann, wenn wir auch zur Verfügung haben, was in unserem Keller so alles gelagert ist. Und wenn wir ganz sind, dann sind die anderen Männer für uns nicht mehr nur eine Konkurrenz, vor der wir uns hüten müssen. Wenn wir ganz sind, sind wir gelassen, offen, neugierig nicht nur auf Frauen, sondern auch auf Männer und vor allem auf uns selber.