Thomas Fitzner

I n s e l t h e a t e r

Hier lauert das Paradies!

Eine Bruchlandung auf Mallorca
Roman

vitolibro

Inseltheater

Neuausgabe

Die Originalausgabe erschien im Lübbe Verlag im Jahr 2001 unter dem Titel „Mallorca, Feng Shui und zwei halbe Orangen“

© Edition wiederlieferbar.de bei Vitolibro (Inh. Vito von Eichborn), Malente, 2014 

Umschlagkonzept: Vitolibro

Umschlagmotiv: Thomas Fitzner

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014

ISBN epub: 978 - 3-86940 - 206-2

Weiteres finden Sie unter www.vitolibro.de und www.wiederlieferbar.de

… der Verlag mit dem Flieger

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Widmung

Impressum

Prolog

1. Edgar versucht locker zu schlendern - und Oskar ahnt Schlimmes

2. Oskar isst ein Tiefkühlmenü und darf nicht originell sein

3. Frau Zarfou baggert und Oskar begegnet einem dreibeinigen Zyklopen

4. Heiner kennt zwei pensionierte Freistilringer - und Oskar sieht Sterne

5. Oskar gibt ein Inserat auf und dem Planeten Erde drohen Imageprobleme

6. Oskar gerät in eine Rentnermeute - und Madeleine hat Angst um ihre Villa

7. Ein Yeti bremst Oskar - und Madeleine wird richtig traurig

8. Johann schaufelt Schnee - und Oskar wird aggressiv

9. Edgar trinkt Mineralwasser - und zwei Außerirdische erschrecken Booze

10. Oskar hat Probleme mit Sigi - und Sigi hat Probleme mit Karotten

11. Garfield grinst, Egon bohrt - und Oskar kratzt sich an der Nase

12. Oskar fährt nach Felanitx - und eine Frau aus gutem Hause wird ordinär

13. Madeleine macht keinen Heiratsantrag - und Oskar lehnt ab

14. Edgar winselt - und Tonio fühlt sich vom Ch’i verfolgt

15. Der Weihnachtsmann klopft an die Tür - und Helene raucht wieder

16. Egon will etwas klarstellen und kriegt eine auf die Nase

17. Ewald wartet auf den Hubschrauber - und Eva heult beim Zwiebelschneiden

18. Oskar wird überfallen und Jürgen hält eine Gedenkminute

19. Oskar fällt beim Charaktertest durch und verlangt ein Tischtuch

Epilog

Danksagung

Für Alia, Alma, Adam und Noah

Alle Menschen sind klug.

Die einen vorher,

die anderen nachher.

Chinesisches Sprichwort

Prolog

Edgar streichelt die Freiheitsstatue und weiß nichts zu sagen

Endlich kamen die ersten Möwen angesegelt, und auch das Meer duftete schon verheißungsvoll nach Hafen und großstädtischen Abwässern. Palma de Mallorca musste gleich hinter der morgendlichen Nebelbank liegen.

Sein Name war noch immer Edgar. Alles andere hingegen war unklar. Rettung gab es keine. Er wollte keine. Für ihn war Erfolg zu Hause schlimmer als Scheitern hier.

Das Paradies noch vor dem Tode anzustreben war zugegebenermaßen ein relativ neues Konzept, aber war es auch korrekt? Irgendjemand, hörte Edgar eine innere Stimme, führt da oben Buch über dein Leben. Nur wenn du genügend Entbehrungen und Leidenspunkte angesammelt hast wie Bonusmeilen bei einer Fluglinie, bringt dich das himmlische Reisebüro nach Valhalla, Shangri-La oder wie immer der Holiday-Park des Jenseits genannt wird, mit Baderutschen und Poolbars, hundert Programmen im Zimmer-TV, abendlicher Disko, haifreiem Strand, Gratis-Eislutschern und sonstigen Verführungen zu jugendfreien, koscheren Sünden.

Oder würde sich das jenseitige Paradies wesentlich von mediterranen Inseln unterscheiden? Oder von Mallorca?

Kindheitserinnerungen sind voller Paradiese. Edgar erinnerte sich an die Ferien seiner Jugendzeit wie an sonnendurchtränkte Träume. Alles schmeckte süßer oder salziger als daheim, die Felder lagen wie verbrannt, die Dörfer bei den Spaziergängen zu ungeeigneter Tageszeit wie ausgestorben da, die Gassen wie Hochöfen und die Luft so hell, dass man Lust hatte, die Augen zu schließen und die Zähne in kaltes Melonenfleisch zu graben; Erwachsene, die bei jeder Gelegenheit Bierkrüge schwenkten, sich ganz anders besoffen als daheim, mit naturechtem Durst und poetischer auch, eine Galerie sonnengebräunter, glänzender Gesichter.

Aber das waren Ferien gewesen. Vor Edgars Augen trat die Insel langsam aus dem Morgennebel heraus. Eine Existenz auf einer Ferieninsel – konnte das mehr sein als ein unverschämter Traum? Oder hatten seine Eltern recht, die – anders als die innere Stimme – Strafe und Belohnung noch zu Lebzeiten in Aussicht stellten: Erst die harte Arbeit am frostigen Morgen führe zum irdischen Shangri-La, zu einem netten Häuschen am Stadtrand mit lukrativem Job, Auto mit Antiblockiersystem, zeitgemäßer Unterhaltungselektronik und dem jährlichen Sonnenurlaub.

Antiblockiersystem. Genau das war hier am Werk. Edgar fingerte nach dem Geldgurt, den er sich unter dem kunterbunten Travellerhemd um den Leib gebunden hatte. Die Bahnreise nach Barcelona hatte in keines der Albtraumszenarien gemündet, mit denen ihn seine Fantasie in Erfüllung elterlicher Befürchtungen bombardiert hatte. Die Ersparnisse waren weder pyrenäischen Bahnräubern noch katalanischen Hafendieben in die Hände gefallen. Die Startgebühr ins neue Leben war noch immer sicher verstaut, erleichtert nur um die Fahrtkosten ihrer komplizierten, zur Gänze erdverbundenen Reise.

Edgar warf einen Seitenblick auf die Frau neben ihm. Skeptisch musterte sie die Silhouette Mallorcas, mit suchenden Augen, als wäre in den Hügeln und Bergen, die sich hinter Palma erhoben, die Zukunft eingemeißelt.

Möwen spielten faul mit den Luftströmungen rund um das Schiff, in dessen weißem Bauch sich einige Dutzend Nordländer den Schlaf aus den Augen rieben und an den Zündschlüsseln fingerten, während in der Ausgangshalle die Restfamilien gähnten und sich zum Sturm auf die Insel sammelten.

„Meine Freiheitsstatue“, sagte Edgar zu der Frau, doch die seufzte nur. Er verstand das. Im Gegensatz zu ihm war sie nicht nur vor dem eigenen Leben auf der Flucht. Seine Hand ließ vom kalten Eisen der Reling ab und begann beruhigend ihre Schulter zu kneten. Statt jedoch etwas Beruhigendes oder – dem historischen Moment entsprechend – Zitierenswertes anzufügen, hüstelte er Richtung Meer und brummte nach einem kurzen Blick auf seine Armbanduhr: „Halbe Stunde Verspätung.“

Im Nachhinein erschien ihm die Verspätung als stimmiger Auftakt zu einem Leben, das nicht mehr von kalter Präzision, sondern von mediterraner Lebenslust und Unbekümmertheit geprägt sein sollte. Noch später, womöglich zu spät, wurde ihm bewusst, dass auch dieser Gedankengang nichts Mediterranes an sich hatte, dass er zu etwas anderem als einer pünktlichen Verspätung nicht in der Lage war, dass jede Mediterranisierung seiner Persönlichkeit in krampfhafter Mimikry münden musste. Und obwohl er über alles sehr genau und analytisch nachdachte, und trotz seiner zahlreichen konkreten Sorgen in diesem Moment und den folgenden Wochen, war und blieb sein Unbehagen seltsam verwaschen, entnervend wie die unleserliche Schrift eines wichtigen Textes.

Vielleicht ahnte Edgar, dass er trotz aller Wagnisse und Bemühungen nicht die Hauptfigur dieser Geschichte sein, ja sogar Mühe haben würde, die Hauptfigur in seinem eigenen Leben zu werden.

Und sehr wahrscheinlich hielt er es in jenen ersten Tagen in Palma de Mallorca für ausgeschlossen, dass sein dramatischer Schritt kerzengerade zurück zum Ausgangspunkt der Reise führen würde, während rund um ihn eine Reihe scheinbar stabiler Charaktere für immer aus ihrer Bahn geworfen würden.

1.

Edgar versucht locker zu schlendern - und Oskar ahnt Schlimmes

Wenn Oskar zurückdachte, war das, was Faber die „mallorquinische Affäre“ nannte, bis zu einem gewissen Grad vorhersehbar gewesen. Aber wer denkt schon im Voraus zurück?

Faber mochte Oskar, wahrscheinlich, weil er in ihm seine Träume verwirklicht sah. Wann immer Faber den bumsagilen Vierziger auf der Straße sah, fasste er ihn am Ärmel und sagte: „Komm doch heute Abend vorbei und erzähl uns von deiner letzten Reise“, oder: „He, Abenteurer, wohin geht's diesmal?“

Island, sagte Oskar verlegen, glücklich, wenn mal ein weniger spektakuläres Reiseziel anstand. Oder: Südafrika. Und Faber verdrehte die Augen, riss den Mund auf und sagte: „Aaah.“

„Warum fliegst du nicht auch nach Island?“ fragte Oskar. Oder Südafrika? Dann zuckte Faber die Achseln und sagte: „Das ist wahnsinnig weit weg.“

„Ach was“, widersprach Oskar. „Reisen sind heutzutage hervorragend organisiert.“

„Genau“, sagte Faber und verzog das Gesicht. „Organisiert. Ich hasse organisierte Reisen. Du fliegst zwölf Stunden, und dann geben sie dir zwanzig Minuten für eine Kathedrale, in der du vor Staunen nicht zum Beten kommst.“

„Dann flieg einfach los“, riet Oskar. „Organisiere nichts.“

„Das sagt sich so einfach“, entgegnete Faber. „Und wenn was passiert?“

Oskar grinste. „Hast du Flugangst?“

„Nur auf neuen Strecken.“

Der Fotograf zuckte die Achseln. Faber war das geborene Publikum, glücklicher Zuhörer und Zuseher. Ein Genießer in Gedanken. Faber hatte es gar nicht nötig, in die Ferne zu schweifen. Er ließ einfach Oskar auf Tour gehen und anschließend erzählen.

Dann lachte Oskar und versuchte sich loszureißen, doch Faber klammerte sich noch fester an seinen Ärmel und sagte: „Oskar, ich habe Familie, ich kann mir das nicht mehr leisten. Du, ja du …“

Und in diesem „Du, ja, du“ verbargen sich, spürte der so Angesprochene, romantische Vorstellungen vom Leben als einsamer Wolf. Eine Braut in jedem Hafen, keine Probleme mit aufsässigen Kindern, die große Freiheit.

Wenn sie in Fabers Haus zusammensaßen und Inge Faber mit all ihrer mütterlichen Energie und Liebe aufkochte, für den einsamen Wolf, der daheim nur Tiefkühlgerichte verschlang und dauernd in Restaurants aß – das konnte auf Dauer nicht gesund sein – versuchte Oskar manchmal, das Bild zu korrigieren. Haarscharf am Rand von Selbstmitleid und Melodram schilderte er seine Reisen als eine Abfolge schwieriger Momente, obwohl sich das, was ihn am schwersten bedrückte, nicht in Worte fassen ließ. Nicht gegenüber Johann und Inge Faber. Der einsame Abend in einem Hotelzimmer in einer unbekannten Stadt, Filmrollen auf dem Bett verstreut, Arbeit bis Mitternacht, und dann um fünf Uhr los für das am Vortag ausgekundschaftete Motiv, das sich nur am frühen Morgen aufnehmen ließ. Das einsame Abendessen in einem drittklassigen, überteuerten Hotelrestaurant, umgeben von fröhlichem Volk und unaufmerksamen Kellnern. Das alles war aufregend beim ersten Mal. Noch ganz witzig beim zweiten, Routine schon beim dritten und ermüdend beim vierten Mal. Nach vierzig Malen galt es, gegen eine Depression anzukämpfen.

Natürlich machte ihm seine Arbeit noch immer Spaß, doch der war teuer erkauft, mit exotischen Magenerkrankungen, ewigen Stunden in Bahnhöfen, Flugplätzen und Vorzimmern, und vor allem mit Einsamkeit.

Einsamkeit – wann immer er das Wort trotz aller Hemmungen in den Mund nahm, lachten die Fabers und sagten: „Jaja, dich kennen wir doch“. Dabei hatte er nicht einmal hier, in Maringen, wo er seit zwölf Jahren in einem geerbten Haus wohnte, eine Freundin. Die jungen Frauen und Mädchen der Kleinstadt kicherten über ihn, weil er als seltsam galt, und die einzigen diskreten Kulleraugen-Blicke kamen von verheirateten Frauen, die nach Abwechslung suchten.

Nicht mit mir, hatte er sich geschworen. Nicht hier. Maringen war zu klein für diese Art von Abenteuer.

Um das Thema zu wechseln, fragte er Johann Faber dann, wie es im Beruf so gehe – Danke, wie immer – und wohin es dieses Jahr auf Urlaub gehe – Mallorca, wie immer. Dabei verkrampften sich seine Gastgeber, sie duckten sich wie unter drohendem Beschuss, warteten auf das abschätzige Lächeln des Weitgereisten, der heute in Arabien, morgen in Mittelamerika unterwegs war; doch Oskar lächelte nicht, und wenn doch, nie abschätzig. Das war wohl der eigentliche Grund, warum sie gute Freunde waren. Johann, der biedere Bankangestellte, der Mallorca-Urlauber und Briefmarkensammler, und Oskar, der vermeintliche Marlboro-Mann. Worüber sollte er auch lächeln? Bestünde die ganze Welt nur aus freiberuflichen Fotoreportern, wäre sie nicht mehr auszuhalten. In einer solchen Welt würde er den Beruf wechseln. Und in einer Bank arbeiten, zum Beispiel.

Wie ein Tourist schlenderte Edgar über den Paseo del Borne und dachte: Etwas läuft hier falsch, ich darf nicht gedankenlos schlendern, ich muss schreiten, zielbewusst, kräftig, entschlossen, als ob dieser Boden bereits mir gehörte, oder ich ihm, sonst schickt mich die Insel nach den obligatorischen zwei, drei Wochen wieder nach Hause.

Neben ihm schlenderte Helene. War sie sich der Gefahren bewusst, die ihnen lauerten? Nichts war mehr egal. Die Zeit der Reisen, der Ferien war vorbei. Aus Kuriositäten und kleinen Ärgernissen, die man beim Heimflug abschütteln konnte und die zu Hause bestenfalls für Anekdoten gut waren, wurden auf einmal lebensbestimmende Faktoren, aus seltsamen Zwergen wurden turmhohe, grimmige Titanen, denen man sich stellen musste.

Es war Zeit, erwachsen zu werden, dachte Edgar und seine Hände, die noch immer urlauberhaft schlenkerten, ballten sich zu Fäusten. Komme, was wolle. Er hatte eine Frau, er hatte Geld, er hatte Zeit. Nur die Sintflut konnte ihn jetzt noch aufhalten.

Aber die war hier unwahrscheinlich. Der prächtige Paseo del Borne, über den das Pärchen von der Uferpromenade Richtung Stadtzentrum schritt, war heute kein Flussbett mehr, dessen braune, zerstörende Wassermassen sich genährt von tobsüchtigen Regenfällen in den Bergen durch die Altstadt von Palma de Mallorca fraßen wie im denkwürdigen Jahr 1403, Häuser mit sich reißend, gnadenlos eine Bresche mitten durch die Stadt schlagend, streng der Schwerkraft folgend. Die Schneise, die seither die Obervon der Unterstadt trennte, war nie geschlossen, viele Gebäude nie mehr aufgebaut worden. Aus dem Flussbett war eine Kloake geworden, und später, als der Riera-Fluss endlich an der Stadtmauer außen entlang ins Meer geleitet worden war, bot der so entstandene leere Raum inmitten des engen, mittelalterlichen Stadtkerns Plätze für festliche und weniger festliche Anlässe. Wie zum Beispiel Hinrichtungen. Die letzte Hexenverbrennung Spaniens hatte hier, am Paseo del Borne stattgefunden, der eine Zeitlang nicht ganz unpassend – wenn man an die braune Flut der Vergangenheit dachte – Franco-Boulevard genannt worden war.

Nicht übertreiben, rief Edgar sich zur Ordnung. Zuviel Dynamik wurde leicht als Arroganz ausgelegt. Er wollte niemanden schockieren. Er wollte sich einfügen, die neuen Regeln lernen. Vielleicht sollte er den Alltagstrott üben. Sein zielgerichtetes, kräftiges Schreiten ging in ein bemüht einheimisches Schlendern über – kein offenmäuliges Begaffen historischer Bauten und rätselhafter Abzweigungen, kein lautes Ablesen vermeintlich lustiger Aufschriften, kein nervöses Ausschauhalten nach Taschendieben. Er wollte eins werden mit der Insel und ihren Bewohnern, er wollte mit der Menge verschmelzen.

Dass die Menge trotz der frühen Stunde hauptsächlich aus Deutschen bestand, konnte er der Insel verzeihen. Er hatte sich vorgenommen, tolerant zu sein.

„Hier haben sie früher Leute hingerichtet“, hörte er sich sagen. „Griesler hat’s mir erzählt.“

„Wer ist Griesler?“

„Urlaubsfreunde. Haben mich über die Insel gefahren, wenn ich vom pausenlosen ‚Entspannen’ meiner Eltern die Schnauze voll hatte. Die lagen nur herum und sagten einander alle fünf Minuten, wie schön es hier sei, aber gekannt haben sie gerade den Weg vom Hotel zum Strand.“

„Vergangenheit“, sagte die Frau neben ihm und griff nach seiner Hand. Lass sie ruhen. Reden wir von was anderem.

Edgar bemerkte, dass sie noch immer wie eine Touristin schlenderte.

„Schau“, sagte sie, „eine Bank.“

Er nickte und fingerte wieder nach seinem Geldgurt. Alles da.

Oskar kannte Edgar seit zwölf Jahren. Schmächtige zehn war der Knirps gewesen, als Johann Faber den Fotografen erstmals zu sich nach Hause eingeladen hatte, zunächst, um einige Details der Erbschaftssteuer zu besprechen, wahrscheinlich auch, um den offensichtlich gut verdienenden Freiberufler als Stammkunden für die Bank zu gewinnen.

„Neu in der Stadt, wie?“ hatte Faber Oskar bei seinem Antrittsbesuch in der Bank begrüßt und sich ohne Aufdringlichkeit um seine Freundschaft bemüht.

Vor zwölf Jahren war „die Affäre“ noch nicht absehbar gewesen. Edgar war klein und schmal und still und machte es seinen Eltern immer recht, und Vater Faber konnte stundenlang über den Mustersohn – nein, wir verwöhnen ihn nicht! – und über die Freude dozieren, die er ihnen bereite. Danach kam Edgar in die Pubertät, ein schwieriges Alter, aber die Fabers hatten Bücher gelesen und sich mit stoischer Geduld für diese Phase gewappnet, standen sie durch wie ein Naturereignis, umgaben den widerborstigen Jüngling mit den Gummiwänden einer reißfesten Toleranz, gegen die der schlaksige, ernste Edgar erfolg- und lustlos anrannte.

Wann immer Oskar die Fabers besuchte, zwischen seinen Reisen und Arbeitsaufträgen, hatte Edgar wieder ein Stück seiner Jugend hinter sich gebracht. Die Pickel, die erste Freundin (die keine war, wie Oskar später erfuhr), kleine Krisen zwischen Eltern und Sohn; doch Edgar war und blieb ein braver Kerl. Selbst seine spätpubertäre Rebellion, als er plötzlich mit einer aufgerissenen Jeanshose und Ohrringen im Wohnzimmer stand und ein aufsässiges Gesicht machte, hatte etwas von einer Pflichtübung an sich. Dann machte der Semi-Punk mit Auszeichnung Abitur und war auf einmal erwachsen, entging der Bundeswehr wegen seiner Plattfüße und studierte an der Universität in München Weltraumphysik. Oskar fiel es schwer, sich den scheuen und etwas linkischen Mustersohn als Erwachsenen vorzustellen. Er vermutete, dass Edgar schon lange ins All entwichen war und sich dort zwischen Roten Zwergen und Schwarzen Löchern herumtrieb. Wer konnte ahnen, dass das nicht weit genug war?

Manchmal hatte Oskar das Gefühl, die Entwicklung des Faber-Sohnes im Zeitraffer miterlebt zu haben. Wann immer er an Edgar dachte, braute sich in der Melancholie-Abteilung seiner Seele eine ängstliche Betroffenheit zusammen angesichts der Rasanz, mit der das Leben verflog. Vater Faber schien sich nie zu verändern, er vermittelte ein Gefühl von Dauerhaftigkeit, Stabilität und ewigem Zinseszins, ein idealer Bankangestellter, aber der Sohn war ein steter Quell von Veränderung und Unruhe, obwohl er ganz still heranwuchs, fast zu still.

Dass es in Edgars Innerem alles andere als ruhig war, versuchte Oskar den Fabers immer wieder schonend beizubringen. Vielleicht hätte er energischer darauf hinweisen sollen, doch hielt er sich bei aller Freundschaft nicht für befugt, seinen treuen Gastgebern die Leviten zu lesen. Vielleicht lag darin der eigentliche Ursprung dessen, was Faber später „die Affäre“ nannte.

Oskar jedenfalls hatte eine eigene Beziehung zu dem stillen, zuweilen verstockten, doch immer höflichen Jungen entwickelt. Und zwar genau ab jenem Moment, als er Oskar – nach wiederholter Aufforderung des Vaters – zum ersten Mal sein Zimmer gezeigt hatte. Vierzehn war er damals. Der Fotograf, ein wenig hilflos auf der Suche nach einem Gesprächsthema, hatte lediglich auf einen offensichtlich selbstgebastelten Apparat gezeigt, „Was ist das?“ gefragt und damit einen halbstündigen Monolog ausgelöst, dessen einzelne Kapitel jeweils in der Feststellung „Aber das versteht Papa nicht“ gemündet hatten. Und damit waren keine technischen Details gemeint.

Schnell hatte zwischen den beiden eine überraschende Vertraulichkeit geherrscht, die Vater Faber nicht verborgen geblieben war, auch deshalb, weil Oskar der einzige Gast war, den Sohn Edgar „mit seiner ungeteilten Aufmerksamkeit beehrt“, wie Faber mit leisem Vorwurf in der Stimme bemerkte. Wann immer sie später Probleme hatten, bat er Oskar: „Red doch mit ihm, dir hört er wenigstens zu.“

Seltsam auch, dass sich Fabers Prophezeiungen erfüllten, wenn auch in unerwarteter Weise. Als Edgar gegen den energischen Ratschlag seines Vaters – Junge, denk doch an den Arbeitsmarkt! – von der Startrampe Elternhaus zum Studium der Weltraumphysik abgehoben hatte, hatte Faber abgewinkt und gemeint: „Ich lasse ihn mal. Er soll selber sehen, was das für ein Blödsinn ist. Er wird schon zur Vernunft kommen. In spätestens einem Jahr steigt er auf etwas Handfestes um.“

Auf etwas Handfestes war Edgar in der Tat umgestiegen. Nur mit dem Zeitrahmen hatte sich Faber verkalkuliert. Und mit der Art des Handfesten.

Das Gebäude war voller Marokkaner. Unrasierte Männer mit ängstlichen Augen und zerfledderten Dokumenten in der Hand standen in den Reihen, auf den entscheidenden Stempel hoffend; ein paar dicke Frauen mit Kopftuch und Kinderschar saßen schicksalsergeben auf den Wartebänken. Mittendrin, selbstbewusst und indigniert, ein paar Deutsche in eleganter Freizeitkluft, das Handy am Ohr – „ja, ich bin jetzt bei der Polizei, Ute, und das wird noch ein bisschen dauern“ –, und dann Edgar, der sich alles viel komplizierter vorgestellt hatte, verblüfft über die Geschwindigkeit des Verfahrens, angemeldet, legalisiert, versichert, den Ausländer-Ausweis könne er sich in ein paar Wochen abholen. Wie betäubt verließ er das moderne, von einem Antennengestrüpp überwachsene Gebäude am Paseo Mallorca und fühlte sich versucht, ein lautes Hosianna auf die Europäische Gemeinschaft anzustimmen. Der vorbeibrausende Vormittagsverkehr ertränkte jedoch seine mediterrane Spontaneität, und er fand nicht einmal Zeit, sich über die Marokkaner zu wundern, die noch immer die zahlenmäßig stärkste Gruppe legal angemeldeter Ausländer auf der Insel waren, nur dass sie keine Ferienhäuser am Meer kauften und keine Bierkrüge in den Strandkneipen schwenkten, sondern mit Strohhüten getarnt in den Weingärten und auf den Feldern der Mallorquiner rackerten.

Im Lonja-Viertel, wo die Protestplakate der Anrainer gegen den allnächtlichen Krawall in den Gassen die lebhafte Kneipenszene mehr anpriesen als -prangerten, saß Helene in einem holzverkleideten Café und bereitete den nächsten Schritt vor. Auf dem winzigen runden Tisch vor ihr stand ein Orangentee neben einem Stapel mallorquinischer Zeitungen, in denen die halbe Insel zum Verkauf inseriert schien.

Ob das Unheil hier noch hätte abgewendet werden können, ist fraglich. Wer hätte es dem jungen Edgar verdenken können, dass er sich in jenen ersten Tagen auf Mallorca unbesiegbar wähnte? Erstmals konnte er die Frau, die er liebte, in aller Öffentlichkeit umarmen, erstmals schuldete er niemandem Rechenschaft, und das Geld, nach dem er in seltenen Schrecksekunden noch immer fingerte, lag inzwischen sicher auf einer mallorquinischen Bank.

Was er übersah, war eine Kleinigkeit: Wer in unbekanntes Wasser springt, haut sich leicht den Schädel an. Und was wie durchsichtig wirkt, ist oft nur ein Spiegel für die eigenen Träume.

Fabers unerwarteter Anruf kam an einem unerwarteten Ort.

In einem Bürogebäude suchten der Werbedirektor der Hotelkette „International Beach” und Oskar nach einem magischen Bild, „das die tropische Lage und Jugendfreundlichkeit des Bali International Beach unterstrich, und gleichzeitig Geschäftsleute auf die Tagungsmöglichkeiten in den Konferenzräumen des frisch renovierten Fünfstern-Betriebs hinwies“. Gemeinsam legten sie den Kopf schräg und warfen einander Kommentare zu, als ein Assistent mit einem Handy hinzutrat und sagte: „Für Sie.“ Der Werbedirektor wollte mechanisch danach greifen, doch der Assistent, etwas verlegen, hielt es Oskar hin, der es zu seinem Markenzeichen gemacht hatte, privat nie per Handy zu kommunizieren.

„Für mich?“ fragte er ungläubig.

Es war Faber. „Du musst sofort kommen“, verlangte der Bankbeamte ohne eine Spur von Höflichkeit in der Stimme. „Es ist etwas passiert.“

„Ich muss was?“ erwiderte Oskar.

„Edgar ist verschwunden. Du musst uns helfen.“

„Moment, Moment“, sagte Oskar und machte eine beschwichtigende Handbewegung. Faber war kein Mann, der Forderungen stellte. Er äußerte höfliche Bitten, flocht eventuelle Bedürfnisse in Nebensätzen mit vielen Konjunktiven ein oder ließ sich seine Wünsche von den Augen ablesen. Die plötzliche Forschheit war beunruhigend.

„Was heißt verschwunden?“ fragte Oskar. „Entführt? Weggelaufen?“

„Das können wir alles bei mir besprechen“, erwiderte Faber, wieder mit ungewohnter Schärfe in der Stimme.

„Was ist denn los mit dir?“ fragte Oskar.

Nun verlor Faber für einen Moment die Beherrschung. „Es ist“, bellte er ins Telefon, „auch deine Schuld. Du hast die verdammte Pflicht, uns beizustehen.“

„Meine Schuld?“ rief Oskar. „Mein lieber Freund, wovon sprichst du eigentlich?“

Fabers lautes Nasenschnaufen drang aus dem Hörer. „Ich spreche“, erklärte er kurzatmig, „von deinen Mauscheleien mit Edgar.“

„Mauscheleien?“ Oskar war so verblüfft, dass er beinahe laut losgeprustet hätte. „Wir haben nie gemauschelt, Johann. Normalerweise bin ich gar nicht zu Wort gekommen. Dein Sohn hat auf mich eingeredet wie auf die Klagemauer. Ich habe die ganze Zeit nur zugehört.“

Faber seufzte. „Reden wir nicht um den heißen Brei herum“, bat er. „Du hast Einfluss gehabt, auch ohne viel zu sagen.“

„Okay. Und?“

Der entnervte Vater räusperte sich, und sagte dann, ruhiger schon, freundlicher auch: „Ich bitte dich, hierherzukommen. Wir müssen unbedingt mit dir sprechen. Lässt sich das einrichten?“

„Ich bin in Frankfurt“, erwiderte der Fotograf, den allein der Gedanke an die Reise abschreckte. Wenn man soviel unterwegs war wie Oskar, mied man jeden überflüssigen Kilometer. „In zwei Tagen fliege ich auf die Kanarischen Inseln“, versuchte er zu verhandeln. „Willst du nicht per Telefon …?“

„Bitte komm“, beharrte Faber. „Wir müssen uns unbedingt Klarheit verschaffen, das geht nicht per Telefon. Du hängst drin, Oskar, ob du willst oder nicht.“

„Hm. Will sehen, was ich tun kann. Er ist also abgehauen?“

„Ja.“

„Ich bin hier noch nicht fertig, ich ruf dich zurück.“

Oskar reichte dem Assistenten das Handy. Der Werbedirektor sah ihn an. „Probleme?“

Oskar zuckte die Achseln. „Ein Sohn ist entlaufen.“

„Soso“, sagte der Kreative. „Wie alt?“

„Zweiundzwanzig.“

Der Werbedirektor begann zu lachen und hieb Oskar auf den Rücken. „Zweiundzwanzig! Das wurde ja wohl Zeit, was?“

„Ich will dein Chopin sein, dein Piano, deine Sonate, dein Abendlied.“ Edgar drückte seiner Freiheitsstatue einen Kuss auf die Stirn. „Dein Morgenlied, dein Mittagslied.“

„Trallali“, sagte die Frau und zog ihren Beschützer hinaus in den kleinen Garten, wo man zwischen Zwergäpfeln und Weinranken hinunter ins Tal blickte, einem friedlichen Teppich aus Wiesen und Wäldern und Feldern und Hängen, verziert mit Bauernhäusern und bunten Geländeautos. Auf der Weide unter ihnen graste eine Familie x-beiniger, weißschnäuziger mallorquinischer Esel. Und im Nachbargärtchen des spartanischen Chopin-Museums von Valldemossa räumte sich ein gerührter Nordländer die umgehängte Fotoausrüstung von der Brust, um auch seine Geliebte umarmen zu können. Trallala.

„Woran denkst du?“ fragte Helene, in der Sorge, Edgar könnte originelle Gedankengänge aus purer Schüchternheit für sich behalten.

„Nichts. Ich frage mich nur, ob das Zufall ist. Mallorcas erste Touristen – ein Pärchen auf der Flucht.“

Wie zärtliche Riesen behüteten die Mauern der Kartause von Valldemossa die materiellen Überreste einer historischen Liebesgeschichte, die den Mallorquinern zuerst unerhört unmoralisch, dann unerhört lukrativ erschien. George Sand und Frederick Chopin in Valldemossa, das war zuerst ein Dorfskandal und dann eine Goldgrube. Kommt und seht, wo Chopin sein uneheliches Techtelmechtel hatte und nebenbei komponierte!

Edgar störte es nicht. Warum sollten Landbewohner auf Mallorca weniger provinziell sein als Landbewohner in Deutschland? Mehr noch: Anders als in Deutschland wollte er diese Provinzialität als naturgegeben hinnehmen, als knorrig-sympathisch genießen, obwohl er nicht verstand, vielleicht auch gar nicht verstehen wollte, warum.

Es schien plötzlich so einfach, tolerant zu sein.

Waren nicht auch die Mönche tolerant gewesen? Eine rauchende, in Hosen spazierende Pariserin mit ihrem Geliebten zu beherbergen, damals, 1839, ein Sündenpfuhl inmitten der Bergwelt Mallorcas! Die lieben Mönche, freilich, hatten gar nichts mehr zu sagen gehabt. Der Staat hatte sie rausgeschmissen und das Kloster in unzählige Besitztümer zerstückelt und verkauft. Moral raus, Touristen rein – der Beginn einer mediterranen Erfolgsgeschichte.

„Gefällt dir meine Insel?“ fragte er Helene.

„Ja“, sagte sie. „Ein ideales Versteck für ungeliebte Liebespaare.“

2.

Oskar isst ein Tiefkühlmenü und darf nicht originell sein

Zum ersten Mal in all den Jahren erlebte Oskar im Hause Faber einen frostigen Empfang. Er hatte seine Freunde noch nie frostig erlebt, und an ihrer unbeholfenen Art erkannte Oskar, dass es auch für sie etwas vollkommen Neues war.

Ungewohnt förmlich baten sie ihn zu Tisch, er sei ja lange unterwegs gewesen und müsse hungrig sein, und Johann stellte ein paar belanglose Fragen, als müsste er sich erst warmreden, als wollte er sich nicht den Appetit verderben lassen von dieser Sache, an der Oskar angeblich Mitschuld hatte.

Oskar wusste nicht, wie er reagieren sollte. Er war verdutzt, als Inge wortlos eine nach Konservierungsmitteln und Maggi duftende Suppe auf den Tisch stellte, ganz offenbar ein Fertiggericht, ein Signal, dass sie sich heute keine Mühe zu machen gedachte für Oskar. Johann hielt hartnäckig eine Unterhaltung über Mietautos in Gang, vermutlich, um einmal über etwas anderes als über Oskars Abenteuer zu sprechen. Sie wollten ihn nicht mit ihrer Neugier ehren heute. Diese Abenteuer waren offenbar zum Problem geworden.

Irgendwann spürte Oskar Belustigung in sich aufsteigen.

„Willst du mir endlich sagen, wozu ich den weiten Weg gemacht habe?“ gab er Faber das Stichwort und legte ein wenig Frost auch in seine Stimme, der freilich geschauspielert war.

Inge blickte ihren Gatten an. Der hielt im Suppenlöffeln inne und sagte ohne aufzublicken: „Mein Sohn hat uns eine Karte geschickt. Inge, zeig ihm die Karte.“

Inge stand auf, trug – selbst in Momenten der Krise ganz die effiziente Hausfrau – gleich ihren leergelöffelten Suppenteller weg und nahm auf dem Rückweg von der Küche eine Postkarte vom Telefontischchen, zerfingert vom vielen Durchlesen und eingerissen, als habe jemand das Ding zerfetzen wollen und sich im letzten Augenblick zurückgehalten. Kommentarlos legte Inge die Karte neben Oskars Suppenteller. Der nahm sie auf und studierte das Motiv. Der Englische Garten in München.

„Das Foto ist ja wohl von nebensächlicher Bedeutung“, wies Faber ihn zurecht, und der Ärger in seiner Stimme klang zum ersten Mal echt.

Oskar wollte sich entschuldigen, ließ es jedoch. Er drehte die Karte um und las:

Lieber Papa, liebe Mama,

wer weltfremd ist, muss sich eine Welt suchen, in der er nicht mehr fremd ist. Wer immer nur zuhören muss, reist so weit, bis die Stimme des anderen verklingt. Wer ein Romeo ist, kann mit seiner Julia nicht in Verona bleiben. Wer seinen Eltern ein Rätsel ist, muss nichts mehr erklären, da er ohnehin nicht verstanden wird. Macht euch keine Sorgen und sucht nicht nach mir. Ich werde ab und zu schreiben. Ohne Absender natürlich.

In Liebe, Edgar.

Das „In Liebe“ stand verschämt und verkrakelt unten hinzugefügt; armer Edgar, so ungeübt mit seinen Gefühlen.

„Was gibt es da zu grinsen? Du findest das vielleicht amüsant?“

„Amüsant nicht“, erwiderte Oskar. „Aber auch nicht tragisch. Der Junge ist zweiundzwanzig, nimmt keine Drogen, ist weder linksnoch rechtsradikal, hat mit Sekten nichts am Hut … sagen wir: Es gibt Schlimmeres.“

„So was in der Art habe ich erwartet“, sagte Faber zu seiner Frau. „Er verteidigt diesen Holzkopf auch noch. Aber das ist ja ganz logisch, denn schließlich warst es zweifelsohne du“ – und jetzt blickte Faber den Fotografen an und wurde leise, um seinen Worten mehr Gewicht zu verleihen –, „der unserem Sohn diese Flausen in den Kopf gesetzt hat. Von alleine kommt er nicht auf so eine Idee. Dazu ist er zu fantasielos.“

„Du hast ihn schon immer unterschätzt“, sagte Oskar und lehnte sich entspannt zurück. „Sieh dir nur die Karte an – das ist beinahe schon poetisch. Der Junge hat Grips.“

„Dreh jetzt nicht den Spieß um“, warnte Faber mit erhobenem Zeigefinger. „Ich habe Edgar nie unterschätzt, im Gegenteil. Ich habe ihn allerdings auch nie idealisiert, wie das andere Eltern mit ihrem einzigen Sohn tun.“

Jetzt kam Fabers angelesenes theoretisches Wissen über Elternschaft zum Zuge. Im Elternschlafzimmer bogen sich die Regale unter dem Gewicht ratgebender Literatur. Ernährung in der Schwangerschaft. Mein Baby. Das heranwachsende Kind. Pubertät. Eine große Edgar-Bibliothek.

„Ich wollte ihm lediglich helfen“, setzte Faber fort, „seine Schwächen und Stärken zu erkennen. Der wichtigste Rat fürs Leben lautet: Man soll nicht sein wollen, was man nicht ist. Du würdest als Wertpapierberater keinen Vormittag durchstehen, und ich könnte nie als Fotograf durch Uganda und Tibet streifen. Man muss seine Grenzen kennen, und ich habe Edgar immer wieder auf seine Grenzen hingewiesen. Zugegeben, vielleicht manchmal zu energisch, aber nie geringschätzig. Edgar ist ein guter Junge. Er ist intelligent. Er ist gewissenhaft. Er ist verträumt. Er ist meinetwegen Weltraumphysiker, obwohl er mit seinem analytischen Talent im Finanzbereich weit nach oben käme. Aber er ist doch kein Abenteurer! Und was soll dieses Geschwafel von Romeo und Julia!?“

„Er ist verliebt“, gluckste Oskar.

Inge erhob sich seufzend und räumte den Tisch ab.

„Liebe, schön und gut“, sagte Faber, „und warum kommt er dann nicht einfach her, stellt uns die junge Dame vor und benimmt sich wie ein normaler Mensch, statt wie ein mittelalterlicher Romanheld mit ihr zu fliehen? Was soll der ganze Quatsch?“

„Offenbar sieht er das anders“, verteidigte Oskar den jungen Flüchtling matt. „Außerdem finde ich es ganz normal, dass junge Kerle ihre Eltern nicht zum ersten Rendezvous mitschleppen.“

Faber schwieg eine Weile, die Augen auf den Tisch gerichtet. Aus der Küche tönte das Ritschratsch von Tiefkühlverpackungen. Mikrowellen-Diner, dachte Oskar wehmütig. Er hatte eigentlich vorgehabt, an diesem Abend mit einem Freund in einem guten Restaurant zu speisen.

Faber faltete die Hände wie zum Gebet, legte sie ans Kinn und sagte, sehr konzentriert um die richtigen Worte ringend: „Bevor wir weitersprechen, möchte ich eines klarstellen. Wir beide, Inge und ich, sind nicht nur deine aufrichtigen Freunde, sondern auch deine Bewunderer. Wir akzeptieren, dass du uns vieles voraus hast. Du bist origineller, gescheiter und mutiger als wir …“

Oskar, peinlich berührt ob dieser unerwarteten Hymne, hob abwehrend die Hände und wollte etwas sagen, doch Faber setzte fort: „Das heißt andererseits, dass du deine Überlegenheit nicht mehr unter Beweis stellen musst. Du wirst jedem Argument, das ich vorbringe, eine schlüssige und oft auch originelle Widerrede entgegenzusetzen haben. Aber das ist Semantik. Was wir jetzt brauchen, ist Hilfe, keine Witze. Wir appellieren an dich als Freund.“

Oskar räusperte sich. „Entschuldige, aber übertreibst du nicht? Was ist schon passiert?“

„Noch ist gar nichts passiert“, gestand Faber. „Doch als Vater, als Eltern versucht man die tödlichen Fallen auf dem Lebensweg eines Kindes weit im Voraus zu erkennen. Edgar verschwindet mitten im Semester in unbekannte Richtung. Das ist nicht normal. Das ist nicht er. Wir als Eltern spüren das. Etwas hat von ihm Besitz ergriffen. Und wir meinen …“

Inge kam herein mit einem Teller für Oskar. „Dieses ganze Gerede von Freiheit“, fauchte sie beim Servieren so unerwartet, dass Oskar zusammenzuckte. „Einem Jungen kann man alles einreden. Und von deinen Geschichten hat er nie genug kriegen können. Er hat immer gefragt: Wann kommt Oskar wieder? Und: Wo ist Oskar wieder? Und: Wohin geht Oskar wieder? Oskar, Oskar, Oskar. Sein großes Vorbild. Und jetzt spielt er selbst Oskar. Wir haben Angst.“

„Ich bin noch nie mit einer Julia abgehauen“, erwiderte Oskar.

„Sei nicht wieder originell“, knirschte Faber.

„Ich bin nicht originell“, sagte der Fotograf und begann in der lieblosen Mahlzeit herumzustochern. „Aber wäre es nicht möglich, dass euer Sohn ganz von alleine auf seinen originellen Einfall gekommen ist? Der Kerl ist verliebt, und damit habe ich absolut nichts zu tun. Er fühlt sich eingeengt, und auch dafür bin ich nicht verantwortlich. Wie genau habt ihr diese Karte eigentlich gelesen, ihr beiden? Ich finde sie sehr aufschlussreich.“

Oskar wedelte mit dem Englischen Garten und hielt ihn Faber zum Lesen hin, doch der winkte ab. „Ich habe die Karte hundertmal gelesen“, brummte er.

„Schau nur den ersten Satz an“, sagte Oskar, während Inge mit zwei Tellern hereinkam und sich wieder zu ihnen setzte. „Er fühlt sich fremd in dieser Welt, also sucht er sich eine andere.“

„Dann“, erwiderte Faber mit einem bitteren Lächeln, „muss er schon in den Weltraum abschwirren, der Herr Weltraumphysiker. Wo will er denn hin? Nach Afrika? Nach Nicaragua? Oder nach Indien zu den Gurus? Ich habe sie bis hier“ – und er zeigte, bis wohin genau –, „diese Laffen, die den Sinn des Lebens prinzipiell im Ausland wähnen.“

„Unser Sohn ist kein Laffe“, protestierte Inge.

„In dieser Hinsicht sehr wohl“, widersprach Faber. Inge senkte traurig den Kopf. Oskar besah sich die beiden und sagte: „Edgar und Indien? Nie im Leben. Das waren die Sechziger. Das war deine Generation, Johann.“

„So jung und so blöd war ich nie, dass ich auf diese Räucherstäbchen-Philosophie reingefallen wäre.“

„Dir war nie nach Rebellion zumute?“ Oskar wackelte mit dem Kopf. „Na sowas.“

„Ich bin immer einen geraden Weg gegangen.“ Fabers Rechte fuhr gerade über seinen Teller. „Und selbst wenn ich der Jugend ein gewisses Maß an Verrücktheit zugestehe, kann ich nicht untätig zusehen, wie mein einziger Sohn sein Leben versaut.“

„Vielleicht braucht er die Erfahrung“, sagte Oskar. „Vielleicht will er nur ein bisschen Slalom fahren, bevor er auf den geraden Weg zurückkehrt. Vielleicht hat er eine andere Vorstellung von dem, was ein gerader Weg ist.“

„Mein lieber Oskar“, erwiderte Faber mit erhobener Stimme. „Das mag alles sein. Nur machen uns diese ‚Vielleichts’ allmählich wahnsinnig. Wir haben Angst um ihn. Wir wollen zumindest mit ihm reden. Sein Verhalten ist einfach unfair!“

Beim letzten Satz krachte Fabers Faust auf den Tisch, dann herrschte Stille. Inge blickte auf ihren Teller, Johann blickte auf seine Faust und Oskar blickte auf die Postkarte.

„Wo würdest du nach ihm suchen?“ fragte Faber unvermittelt, und ein flehendes Timbre begann den Frost in seiner Stimme zu verdrängen. „Italien? Die fahren doch immer zuerst nach Italien, diese Deutschen, die genug haben von Deutschland und anderen Deutschen.“

„Nicht notwendigerweise“, sagte Oskar und setzte eine Maske theatralischer Nachdenklichkeit auf, um den Fabers zu signalisieren, dass er auf ihrer Seite stand. Er runzelte die Stirn und sagte: „Hat er nie etwas erwähnt, was uns weiterhelfen könnte? Gibt es ein Land seiner Träume?“

„Das hofften wir von dir zu erfahren“, sagte Faber. „Uns erzählte er doch nie etwas.“

„Ist er gereist?“ fragte Oskar.

„Mit der Schulklasse nach Österreich“, berichtete Inge. „Und sonst halt mit uns jeden Sommer nach Mallorca, bis vor drei Jahren.“

„Semesterferien?“

Faber schüttelte den Kopf. „Immer gearbeitet. Alles gespart.“

„Mallorca.“ Oskar zuckte die Achseln, schüttelte den Kopf. „Mallorca. Ich bin nie dort gewesen, aber das klingt nicht wie ein Nirvana für zivilisationsflüchtige Weltraumphysiker. Hat er sich wohlgefühlt?“

„Anfangs ja“, sagte Inge. „Später hat er sich gelangweilt und war deshalb mit irgendwelchen Freunden unterwegs.“

„Griesler hießen die“, ergänzte Johann. „Ein Ehepaar aus besseren Verhältnissen. Die mieteten sich einen offenen Geländewagen und brausten herum, und Edgar kam mit einem Gesicht zurück, als hätte er im Windkanal übernachtet.“

„Die hatten auch ein Haus“, kommentierte Inge, erregt über die mögliche Spur. „So ein weißes Haus mit siebzig Fernsehprogrammen und Kamikaze im Klo.“

„Jakuzi“, berichtigte Faber streng.

„Denkst du, dass …?“ Und Inge blickte den Fotografen mit großen Augen an.

Oskar machte Hm.

„Irgendwo haben wir bestimmt noch die Telefonnummer der Grieslers“, wurde Faber langsam hektisch. „Inge, such die Nummer!“

„Ich suche gar nichts. Du suchst die Nummer, und ich mache uns einen Salat. In diesen Tiefkühlmenüs sind so wenig Vitamine drin.“

Plötzlich saß Oskar allein am Tisch, mit einer Postkarte vom Englischen Garten und drei Mikrowellen-Gerichten.

Die Grieslers waren nicht erreichbar. Die Fabers tauten trotzdem so schnell auf, als wären sie selbst unter Mikrowellenbeschuss geraten. Quasi als Entschuldigung für seinen rüden Anruf erzählte Faber noch, wie er Oskar ausfindig gemacht hatte, mit nichts anderem als dem Namen der Hotelkette als Anhaltspunkt. Er war spürbar stolz auf seine Leistung. Inge begann in der Küche zu rumoren, trug einen warmen Salat auf und ließ sich auch durch Oskars Proteste nicht davon abhalten, gegen Mitternacht eine Nachspeise mit viel Zucker und Alkohol zu fabrizieren. Schließlich hatte sie eine Tütensuppe und ein Tiefkühlmenü wieder gutzumachen.

Faber öffnete einen exzellenten Rotwein, ursprünglich gekauft für besondere, freudige Anlässe, und wahrscheinlich geschah es unter dem Einfluss dieses edlen Tropfens, dass Oskar in den frühen Morgenstunden ein folgenschweres Versprechen ablegte.

Im Nachhinein beschlich den Fotografen gar der Verdacht, Faber habe den ganzen Abend bewusst inszeniert. Diese Bankleute waren nicht sonderlich originell, aber auf ihre Art gerissen. Man unterschätzte sie leicht, wenn sie einem freundlich und vermeintlich harmlos gegenübersaßen und die biederen Angestellten spielten.

Am nächsten Morgen jedenfalls wachte Oskar mit jenem angenehm schweren Kopf auf, den guter Rotwein produziert. Ein vages Unbehagen erfüllte ihn, und er kam zunächst nicht dahinter, weswegen. Bis er feststellte, dass er in Fabers Gästebett lag, und sich an sein Versprechen von gestern Nacht erinnerte. Er würde nach Mallorca fliegen und Edgar suchen.

3.

Frau Zarfou baggert und Oskar begegnet einem dreibeinigen Zyklopen

Im Flugzeug schüttelte Oskar so oft den Kopf, dass man ihn leicht für ein allzu junges Parkinson-Opfer halten konnte.

Was in den weinseligen frühen Morgenstunden in Fabers Haus so folgerichtig und zwingend logisch erschienen war, löste sich bei nüchterner Betrachtung in einen Wald von Fragezeichen auf. Das ganze Unternehmen kam ihm jetzt, im billigen Charterflug nach Palma de Mallorca, wie ein außer Kontrolle geratener Scherz vor. Edgar, begriff Oskar zu spät, konnte überall sein. Aus einem einzigen, sehr einfachen Grund: Reisen war kein Abenteuer mehr. Die Hälfte der Weltkugel war jederzeit ohne Risiko besuchbar. Überall würde genügend Englisch radegebrochen, um sich problemlos durchschlagen zu können, und überall gab es Supermärkte, Banken und Reiseagenturen. Die wenigen Flecken dieser Welt, auf die das noch nicht zutraf, wimmelten von Globetrottern, die verzweifelt nach Reise-Abenteuern der guten alten Art suchen, weil sie nicht verstanden, dass es die nicht mehr gab. Das sogenannte Abenteuer beschränkte sich auf überbuchte Hotels, schmutzige WCs, Flugverspätungen und gelegentlichen Betrug beim Geldwechseln. Von wahrem Abenteuer keine Spur.

Edgar war kein Abenteurer, und das – ihr großes Argument in der nächtlichen Diskussion – hieß somit gar nichts. Er konnte in Irland, Griechenland oder Portugal sein, in irgendeinem Dorf irgendeine Arbeit gefunden haben und mit seiner Julia glücklich und – EU sei Dank – legal bis ans Ende seiner Tage leben.

Dennoch – hier saß Oskar, mit blassen Überwinterungsurlaubern in einer fröhlich-gelben Boeing, und flog nach Mallorca statt auf die Kanarischen Inseln. Er hatte seine Aufträge neu arrangiert, im Terminkalender für seinen detektivischen Auftrag ein zweiwöchiges Loch freigeschaufelt und genügend Fotoausrüstung mitgenommen, um den zu erwartenden Fehlschlag mit einigen brauchbaren Bildern abzumildern.

Selbst wenn er Edgar fand, was sollte er mit ihm anfangen? Ihm Handschellen anlegen? Auf den jungen Ausreißer „einwirken“, bis er nachgab? Das junge Glück mit harschen Worten zerstören? Mit jedem Augenblick, den er darüber nachdachte, erschien ihm das Unternehmen idiotischer. Am Ende fand er, dass es ein Gefallen war, den er der Familie schuldete. Nicht weil er, Oskar, tatsächlich Schuld an der Situation hatte, sondern weil die Fabers in Maringen seine Familie waren, sein menschlicher Bezugspunkt, wenn er von seinen Touren zurückkehrte. Dies war die Gelegenheit, sich für jahrelange Freundschaft erkenntlich zu zeigen. Er durfte sie nicht enttäuschen. Selbst wenn er scheiterte, würde er es zumindest versucht und damit seine Pflicht getan haben.

„Fliegen Sie zu einer Beerdigung?“ brach eine Frauenstimme in seine Gedankengänge ein.

Er wandte sich ihr zu und fand sich von seiner Sitznachbarin frontal und intensiv gemustert. Sie war eine hochgewachsene, ranke Mittvierzigerin mit schmalem Gesicht und einem Mund, der sich zu einem sehr breiten Lächeln auseinanderdehnte. Dabei gab er zwei Zahnreihen preis, deren makelloses Weiß lediglich von einigen Flecken kirschroten Lippenstifts beeinträchtigt wurde. Von den Ohrläppchen baumelten zwei von goldenen Schlaufen erwürgte knallbunte Glaspapageien. Der von Sommersprossen übersäte Brusteingang wurde von einem hölzernen Amulett bewacht, das Oskar zunächst als dreibeinigen Zyklopen interpretierte, bis er sich das mittlere Bein genauer ansah.

Die Erscheinung hob fragend eine ihrer beiden präzise nachgezogenen Augenbrauen, klackte mit den Zähnen und warf ihre blonde Mähne zurück.

„Wie … wie kommen Sie darauf, ich würde zu einer Beerdigung fliegen?“ erwiderte Oskar, dem plötzlich die Kehle ausgetrocknet war.

„Sie wirken schockiert“, erklärte die Dame. „Beinahe möchte ich sagen: traumatisiert. Seit Sie sich dafür entschuldigt haben, dass Sie mir beim Einräumen Ihrer Fototasche fast das Ohr abrissen, haben Sie kein einziges Wort mit mir gesprochen. Wirke ich irgendwie abschreckend, oder sind Sie dieser neue schüchterne deutsche Mann, den man jetzt dauernd in der Reklame sieht?“

„Keineswegs“, versicherte Oskar, dessen Blick wie hypnotisiert den im Rhythmus ihrer Worte hüpfenden Augenbrauen folgte. „Das mit dem Ohr tut mir übrigens leid. Diese Taschen …“

„Keine Ursache“, erwiderte sie, unverdrossen lächelnd, offensichtlich zufrieden, endlich ins Gespräch gekommen zu sein. „Was starren Sie so?“

„Verzeihung“, sagte Oskar und senkte den Blick.

„Um Himmels willen, Sie können mich ruhig ansehen“, schnurrte sie, „nur starren sollen Sie nicht. Wollen Sie mir nun sagen, was Sie bedrückt, oder halten Sie gerne Fettnäpfchen für Ihre Gesprächspartner bereit? Ich würde zum Beispiel ungern eine respektlose Bemerkung über die Geisteskrankheit der Liebe machen, um mir dann anhören zu müssen, Sie hätten Liebeskummer.“

„Keine Sorge, Madame, ich habe keinen Liebeskummer“, sagte Oskar. „Ich bin nur etwas zerstreut.“

Einige Augenblicke verstrichen. Oskar betrachtete die Frau verstohlen. Sie war eine Inszenierung, in wallende Gewänder aus schreienden Farben gehüllt, in ihren Händen ein Täschchen, aus dem sie hin und wieder ein Make-up-Utensil klaubte, um ein Auge, eine Wange, eine Lippe nachzubessern. Ein zu Beginn gelesenes Buch mit dem Titel „Das gute Ende“ war bereits in die Sitztasche gewandert.

„Ich will nicht bis zum Landeanflug auf einen Akt der Höflichkeit Ihrerseits warten“, sagte sie dann, „also stelle ich mich vor. Madeleine Zarfou. Ich bin Künstlerin und Lebenstherapeutin.“

„Oskar Tschann“, sagte er. „Fotograf. Angenehm.“

Die Lebenstherapeutin nickte. „Wollen Sie mich eines Tages fragen, was ich in Mallorca zu tun gedenke, oder ziehen Sie es vor, unsere Konversation mit Ihrem desinteressierten Schweigen im Keim zu ersticken?“

Oskar schluckte. Er saß neben einer Verrückten. Der würdige Auftakt seines bescheuerten Vorhabens. „Was“, fragte Oskar und bemühte sich um einen möglichst neutralen Gesichtsausdruck, „gedenken Sie in Mallorca zu tun, wenn Sie meine ungebührliche Neugier entschuldigen?“