Text: Nathalia Brodskaia

(außer den Gedichten und der Einleitung von Jean Moréas)

 

Maurice Maeterlinck, Serres chaudes, © Succession Maeterlinck

Saint-Pol-Roux, Tablettes, © Rougerie

Paul Valéry, Poésies, © Gallimard

 

Direktor der deutschen Veröffentlichung: Klaus Carl

Übersetzer: Dr. Martin Goch

 

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Weltweit alle Rechte vorbehalten. Soweit nicht anders vermerkt, gehört das Copyright der Arbeiten den jeweiligen Fotografen. Trotz intensiver Nachforschungen war es aber nicht in jedem Fall möglich, die Eigentumsrechte festzustellen. Gegebenenfalls bitten wir um Benachrichtigung.

 

ISBN: 978-1-78310-343-0

 

Nathalia Brodskaia

 

 

 

 

 

Symbolismus

 

 

 

 

 

 

 

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Inhalt

 

 

Einleitung: Manifest des Symbolismus von Jean Moréas

DER SYMBOLISMUS

ERSTE SZENE

SZENE II

I. Der Symbolismus in der Literatur

II. Symbolistische Gedichte

Charles Baudelaire, Ein Kadaver

Charles Baudelaire, Übereinstimmungen

Charles Baudelaire, Spleen

René Ghil, In der Zeit der Götter

Remy de Gourmont, Hieroglyphen

Joris-Karl Huysmans, Einleitendes Sonett

Alfred Jarry, Barden und Saiten

Gustave Kahn, Der Kelch

Jules Laforgue, Beschwerden der Klaviere, die man in besseren Gegenden hört

Maurice Maeterlinck, Herzgewächse

Stéphane Mallarmé, Der Nachmittag eines Fauns (Auszug)

Robert de Montesquiou, Hymne an die Nacht

Jean Moréas, Sinnlichkeit

Anna de Noailles, Der Tod sagte zu dem Menschen…

Henri de Régnier, An Stéphane Mallarmé

Arthur Rimbaud, Vokale

Saint-Pol-Roux, Der Reinigende Regen

Paul Valéry, Helena

Emile Verhaeren, Der Felsen (Auszug)

Paul Verlaine, Dichtkunst

Paul Verlaine, Mattigkeit

III. Der Symbolismus in der Kunst

Wichtige Künstler

Pierre Puvis de Chavannes (Lyon, 1824 – Paris, 1898)

Arnold Böcklin (Basel, 1827 – Zürich, 1901)

Gustave Moreau (Paris, 1828 – Paris, 1898)

Dante Gabriel Rossetti (London, 1828 – Birchington-on-Sea, 1882)

Edward Burne-Jones (Birmingham, 1833 – London, 1889)

Odilon Redon (Bordeaux, 1840 – Paris, 1916)

Eugène Carrière (Gournay-sur-Marne, 1849 – Paris, 1906)

Michail Alexandrowitsch Wrubel (Omsk, 1856 – St. Petersburg, 1910)

Fernand Khnopff (Grembergen-lez-Termonde, 1858 – Brüssel, 1921)

Jan Toorop (Purworedjo, 1858 – Den Haag, 1928)

Edvard Munch (Løten, 1863 – Ekely, 1944)

Franz von Stuck (Tettenweis, 1863 – München, 1928)

Jens Ferdinand Willumsen (Kopenhagen, 1863 – Le Canet, 1958)

Maurice Denis  (Granville, 1870 – Paris, 1943)

Bibliographie

Index

Anmerkungen

 

 

Gustave Moreau, Jupiter und Semele, 1895.

Öl auf Leinwand, 213 x 118 cm.

Musée national Gustave-Moreau, Paris.

 

Einleitung: Manifest des Symbolismus von Jean Moréas

 

 

„Seit zwei Jahren beschäftigt sich die Pariser Presse sehr mit einer die „Dekadenten” genannten Schule aus Dichtern und Prosaautoren. Monsieur Jean Moréas, der Erzähler von Le Thé chez Miranda (in Zusammenarbeit mit Mr. Paul Adam, dem Autor von Selbst), der Dichter von Les Syrtes und Les Cantilènes und einer der sichtbarsten Vertreter dieser Revolutionäre in der Literatur, hat auf unsere Bitte hin für die Leser dieser Beilage die fundamentalen Prinzipien dieser neuen Manifestation der Kunst formuliert.”

(Le Figaro, Literaturbeilage, 18. September 1886)

 

 

DER SYMBOLISMUS

 

Wie alle Kunst entwickelt sich auch die Literatur. Es handelt sich dabei um eine zyklische Evolution mit genau vorherbestimmten Wendungen, die durch von der Zeit und von Umwälzungen verursachte verschiedene Modifikationen verkompliziert wird. Es wäre überflüssig, darauf hinzuweisen, dass jede neue evolutionäre Phase in der Kunst genau mit der senilen Gebrechlichkeit, dem unvermeidbaren Ende der ihr unmittelbar vorhergehenden Schule korrespondiert. Zwei Beispiele werden genügen: Ronsard triumphierte über die Impotenz der letzten Imitatoren von Marot, die Romantik ließ ihre Banner über den von Casimir Delavigne und Étienne de Jouy nur unvollkommen bewachten Schutt des Klassizismus wehen. Jede Manifestation der Kunst verarmt auf fatale Weise, erschöpft sich; dann vertrocknet und verwelkt das, was einst voller Saft und Frische war, von Kopie zu Kopie, von Nachahmung zu Nachahmung immer weiter; das, was neu und spontan war, wird konventionell und klischeehaft.

Und so verlor die Romantik, nachdem sie die Alarmglocke laut geläutet und die Tage der Schlacht und glorreicher Siege überlebt hatte, ihre Macht, legte ihre heroische Verwegenheit ab, wurde ordentlich, skeptisch und vernünftig: sie hoffte in dem ehrenhaften und armseligen Bemühen der Parnassier auf ein trügerisches Wiederaufleben und ergab sich dann schließlich, wie ein in der Kindheit gefallener Monarch, dem Naturalismus, dem man ernsthaft nur den Wert eines gewissen legitimen, aber schlecht beratenen Protests gegen die Langweiligkeit einiger der damals beliebten Romanautoren beimessen kann.

Eine neue Manifestation der Kunst war deshalb zu erwarten, notwendig, unvermeidlich. Diese seit langer Zeit ausgebrütete Demonstration ist soeben geschlüpft. Und all die unbedeutenden Schmerzmittel der frohen Menschen von der Presse, all die Anliegen ernsthafter Kritiken, der ganze Missmut der in ihrer an Schafe erinnernden Selbstgefälligkeit überraschten Öffentlichkeit bestätigen nur jeden Tag die Vitalität der gegenwärtigen neuen Entwicklung in der französischen Literatur, diese von Richtern in großer Eile und mit einer unglaublichen Arroganz als Evolution von Dekadenz kritisierte Entwicklung. Man beachte jedoch, dass die dekadente Literatur im Wesentlichen zäh, umständlich, ängstlich und servil ist; alle Tragödien Voltaires z.B. sind durch diese Flecken der Dekadenz beschmutzt. Und was kann jemand, der die neue Schule kritisiert, ihr vorwerfen? Den Missbrauch von Pomp, die Merkwürdigkeit der Metaphern, ein neues Vokabular oder sich mit Farben und Linien verbindende Harmonien, Charakteristika jeglicher Renaissance.

Wir haben bereits den Namen Symbolismus als den einzigen Namen vorgeschlagen, der auf einigermaßen vernünftige Weise die gegenwärtige Tendenz des schöpferischen Geistes in der Kunst bezeichnen kann. Wir können diesen Namen beibehalten.

Ich habe am Anfang des Artikels erwähnt, dass die Evolution der Kunst aus einem extrem komplizierten Zyklus aus Abweichungen besteht. Deshalb wäre es, wollte man die genaue Abstammung der neuen Schule verfolgen, notwendig, zu bestimmten Gedichten von Alfred de Vigny, zu Shakespeare, zu den Mystikern, ja noch weiter zurück zu gehen. Diese Fragen würden einen ganzen Band von Kommentaren erfordern; deshalb wollen wir es dabei bewenden lassen, dass Charles Baudelaire als der wahre Vorläufer der gegenwärtigen Bewegung gelten muss; Monsieur Stéphane Mallarmé trägt das Geheimnisvolle und Unaussprechliche zu der Bewegung bei; Monsieur Paul Verlaine zerbrach zu ihren Ehren die grausame Barriere der Versdichtung, die die berühmten Finger von Monsieur Théodore de Banville zuvor bereits aufgeweicht hatten. Der höchste Zauber ist jedoch noch nicht erreicht: die beharrliche und eifrige Arbeit erfordert Neuankömmlinge.

Als Feind der einfachen Bedeutungen und Aussagen, falscher Sentimentalität und objektiver Beschreibungen strebt die symbolistische Dichtung an, die Idee in eine sinnliche Form zu kleiden. Dieses Bestreben ist jedoch nicht ihr Selbstzweck, bleibt aber, während es dazu dient, die Idee auszudrücken, sichtbar. Die Idee ihrerseits darf nicht der üppigen Gleichnisse äußerlicher Analogien beraubt werden, weil das wesentliche Merkmal der symbolistischen Kunst darin besteht, immer weiter bis zur Konzentration der Idee selbst zu gehen. Deshalb können sich in dieser Kunstrichtung Szenen aus der Natur, menschliche Handlungen und alle konkreten Phänomene nicht um ihrer selbst willen manifestieren. Es handelt sich hierbei um sinnliche Entsprechungen, die ihre esoterischen Ähnlichkeiten mit ursprünglichen Ideen verkörpern.

Der dieser Ästhetik von aufgebrachten Lesern gemachte Vorwurf der Obskurität überrascht nicht. Aber was ist zu tun? Pindars Pythische Oden, Shakespeares Hamlet, Dantes Vita Nuova, Goethes Faust Teil II, Flauberts Die Versuchung des heiligen Antonius – weisen sie nicht ebenfalls alle eine große Mehrdeutigkeit auf?

Der Symbolismus benötigt für die genaue Übersetzung seiner Synthese folgende Elemente: einen komplexen und archetypischen Stil, unverschmutzte Begriffe, den Wechsel zwischen der sich rüstenden Periode und der wellenförmig abflauenden Periode, bedeutungsvolle Pleonasmen, mysteriöse Ellipsen, das Anakoluth voller Spannung, alles wagemutig und vielfältig; und schließlich: gute Sprache, die – institutionalisierte und modernisierte – gute, üppige und kraftvolle französische Sprache der Zeit vor Vaugelas und Boileau-Despréaux, die Sprache eines François Rabelais und eines Philippe de Commines, Villon, Ruteboeuf und so vieler weiterer freier Schriftsteller, die die Begriffe der Sprache so wie thrakische Bogenschützen ihre sehnigen Pfeile abschossen.

Rhythmus: die alten Metren wiederbelebt; eine gelehrt geordnete Unordnung; Reime glänzend und gehämmert wie ein Schild aus Gold und Bronze, Halbreime mit abstruser Flüssigkeit; der Alexandriner mit zahlreichen und beweglichen Pausen; die Verwendung bestimmter Schlüsselzahlen – sieben, neun, elf, dreizehn –, in unterschiedliche rhythmische Kombinationen aufgelöst, deren Summen sie sind.

Nun möchte ich Sie darum bitten, meinem kleinen INTERLUDIUM beizuwohnen, das ich aus einem unbezahlbaren Buch habe: Die Abhandlung über die französische Dichtung, in der Monsieur Théodore de Banville wie die Götter von Claros dem Kopf des Midas gnadenlos monströse Eselsohren aufsetzt.

Achtung!

Die in diesem Stück auftretenden Figuren sind die folgenden:

 

EIN KRITIKER DER SYMBOLISTISCHEN SCHULE

MONSIEUR THEODORE DE BANVILLE

ERATO

 

 

Louis Welden Hawkins,
Die Heiligenscheine, 1894.

Öl auf Leinwand, 61 x 50 cm.

Private Sammlung, Paris.

 

ERSTE SZENE

 

 

František Kupka,
Das Prinzip des Lebens, 1900-1903.

Aquatinta und Farben, 34 x 34 cm.

The New York Public Library, New York.

 

 

DER KRITIKER. – Oh! Diese Dekadenten! Welch eine Pomphaftigkeit! Was für ein Gefasel! Unser großer Molière hatte Recht, als er sagte:

 

Dieser bildliche Stil, den die Leute so mögen, liegt jenseits des guten Geschmacks und der Wahrheit.

 

THEODORE DE BANVILLE. – Unser großer Molière hat hier denjenigen, die so viel guten Geschmack wie nur möglich haben, in zweierlei Hinsicht Unrecht getan. Welcher gute Geschmack? Welche Wahrheit? Die offenbare Unordnung, die lebendige Verrücktheit und die leidenschaftliche Pomphaftigkeit sind gerade die Wahrheit lyrischer Dichtung. Sich Exzessen der Bildersprache und der Farbe hinzugeben, ist kein großes Übel, und unsere Literatur wird nicht durch diese Merkmale untergehen. In den schlimmen Zeiten, in denen sie zweifellos gestorben ist (wie etwa im Ersten Kaiserreich), waren es nicht Pomp und der Missbrauch von Schmuck, die sie getötet haben, sondern ihre Langweiligkeit. Geschmack und Natürlichkeit sind schöne Dinge, aber zweifellos weniger nützlich, als man die Dichtung einschätzt. Shakespeares Romeo und Julia ist von Anfang bis Ende in einem Stil geschrieben, der ebenso affektiert ist wie jener des Marquis de Mascarille; der Stil von Ducis glänzt durch die glücklichste und natürlichste Einfachheit.

 

 

Giuseppe Pellizza da Volpedo,
Die aufgehende Sonne, oder Die Sonne, 1904.

Öl auf Leinwand, 150 x 150 cm.

Galleria Nazional dArte Moderna, Rom.

 

 

DER KRITIKER. – Aber die Zäsur, die Zäsur! Sie entweihen die Zäsur!!

THEODORE DE BANVILLE. – In seiner 1844 veröffentlichten bemerkenswerten Prosodie stellt Monsieur Wilhem Tenint fest, dass der Alexandriner auf der Basis des Verses, der seine Zäsur nach der elften Silbe hat, zwölf verschiedene Kombinationen erlaubt. Er fährt fort, dass die Zäsur tatsächlich hinter jede Silbe des Alexandriners platziert werden kann. Er hält ebenfalls fest, dass Verse aus sechs, sieben, acht, neun und zehn Silben variable und an verschiedenen Stellen platzierte Zäsuren zulassen. Lasst uns noch weiter gehen: wir wollen es wagen, vollständige Freiheit zu erklären und in diesen komplexen Fragen allein das Ohr entscheiden zu lassen. Man stirbt nicht daran, dass man zu kühn war, sondern daran, dass man nicht kühn genug war.