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Eliot Coleman

Handbuch
Wintergärtnerei

 

 

© 2014 by Löwenzahn in der Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel „The Winter Harvest Handbook“ in der Chelsea Green Publishing Company

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-7066-2767-2

Umschlag- und Buchgestaltung sowie grafische Umsetzung:

Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.loewenzahn.at.

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Den Kindern gewidmet, denen unser Gemüse schmeckt.

 

 

„Gibt es einen Geschäftsmann, der die Arbeit unterbricht, um sich mit einem Fremden zu unterhalten? – So etwas machen nur Menschen, die Grund und Boden bearbeiten. Nur Landwirte, Obstbauern oder Gärtner geben ihr gesamtes Wissen so gerne und bereitwillig weiter, und tun dies ohne jeden Hintergedanken an einen möglichen Profit. Wen gibt es sonst noch, der seine Geschäftsgeheimnisse offen legt, um seinen Mitmenschen damit Gutes zu tun? Wer sonst hat erkannt, dass diese Erde groß genug ist für alle Menschen?“

Henry Dreer

Dreer’s Vegetables Under Glass

„Wer nicht weiß, mit der Erde gut umzugehen, wird auch mit seinen Mitmenschen nicht gut umgehen.“

Liberty Hyde Bailey

The Holy Earth

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Inhalt

Vorwort

Einleitung

Ernte im Winter

Inspiriert von der Geschichte

Wie alles begann

Jahresplanung

Sonnenlicht

Das „kalte“ Gewächshaus

Das frostfreie Gewächshaus

Wintergemüse

Sommergemüse

Gewächshaus-Modelle

Reiche Ernte rund ums Jahr

Bodenvorbereitung

Aussaat

Beikrautregulierung

Ernte im Winter

Vermarktung und Wirtschaftlichkeit

Schädlinge

Insekten und Krankheiten

Werkzeuge für den Kleinbetrieb

Tiefen-biologischer Landbau für den Kleinbetrieb

Klimakarten

Auswirkungen der Temperatur auf Gemüsepflanzen

Bezugsquellen für Werkzeug, Geräte und Material

Bezugsquellen für Saatgut

Sortenempfehlungen

Glossar

Aussaattermine für Herbst- und Winterernte

Literaturverzeichnis

Über den Autor

Über Angelika und Wolfgang Palme

Register

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Vorwort

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Wolfgang Palme und Eliot Coleman in der City Farm Schönbrunn. Foto: Ing. Alexander Kvech

Eliot Coleman war in seiner Jugend Schirennläufer und Extrembergsteiger. „Biogärtner wurde ich aus reiner Abenteuerlust“, erzählte er mir, als wir einander im Herbst 2013 auf einer internationalen Biogemüsekonferenz kennenlernten. Dass er im Anschluss daran bereit war, mit nach Österreich zu kommen und bei uns am Lehr- und Forschungszentrum für Gartenbau Schönbrunn einen Ganztages-Workshop über Wintergemüseanbau und seine „Four-Season-Farm“ zu halten, entwickelte sich zu einem Abenteuer für mich. Es kam als Veranstaltungsdatum nämlich nur der Allerseelentag (der noch dazu auf einen Samstag fiel) in Frage. Meine Befürchtungen, dass sich nur eine Handvoll Teilnehmerinnen und Teilnehmer finden lassen würden, verkehrten sich ins Gegenteil. Für mehr als 150 Biogärtnerinnen und -gärtner, Berater und engagierte Selbstversorgerinnen wurde dieser Tag zu einem unvergesslichen Erlebnis. Es waren nicht nur die anschaulichen Bilder, die detailreichen Praxisratschläge und die wertvollen Erfahrungen, die wir mitnehmen konnten, sondern vor allem diese Botschaft: Das Konzept eines ressourcenschonenden, im echten Sinne des Wortes saisonalen Gemüseanbaus zur Selbstversorgung oder zur Direktvermarktung ist ein glaubhafter und lebbarer Gegenentwurf zu einem industrialisierten, anonymisierten Produktions- und Vermarktungssystem, das sich selbst gerne als modern und unersetzbar ansieht.

Seit einigen Jahren forschen wir an der Versuchsstation Zinsenhof des Lehr- und Forschungszentrums für Gartenbau an Gemüseanbauverfahren nach dem Low-Energy-Prinzip. Die Entwicklung eines Vielfaltssortiments zur radikal heizungsfreien Winterernte wurde zur Leitlinie einer für uns völlig neuen Forschungsstrategie. Wir begannen damit, bevor ich Colemans „Winter Harvest Handbook“ kannte. Aber als es mir in die Hände fiel, war ich von dem reichen Erfahrungsschatz, der darin enthalten ist, so begeistert, dass ich es nicht nur durchlas, sondern regelrecht durchstudierte. Wir ließen uns dadurch zum Bau eines Rollfolientunnels an meiner Versuchsstation inspirieren und fanden in Österreichs „Bioszene“ eine bunte Gruppe gleichgesinnter Produzentinnen und Produzenten, Beraterinnen und Forschungskollegen.

Eliot Coleman ist einer der großen Bio-Pioniere der US-amerikanischen Direktvermarkterszene. Sein Betriebsprinzip wirkt wahrscheinlich in seinem Umfeld noch widerständiger als bei uns. Er benennt es mit dem Begriff „deep organic“ und meint damit einen Biogemüseanbau aus Überzeugung, der sich nicht an der Grenze des Gerade-noch-Erlaubten entlanghantelt. Dieser problematischen Entwicklung diesseits wie jenseits des Atlantiks nämlich, die man in Fachkreisen als „Konventionalisierung der Biolandwirtschaft“ diskutiert, hat Coleman eine klare Haltung entgegenzusetzen. Er lebt den Biogedanken authentisch, kompromisslos und regt damit herzhaft zur Nachahmung an.

Eliot Coleman ist Praktiker. Was er in diesem Buch beschreibt, hat er alles selbst entwickelt und ausprobiert. Aber er hat nicht alles selbst erfunden. Ich finde es berührend, wie er in Kapitel 2 beschreibt, welche Impulse und Inspirationen er aus Europa bekommen hat. Genau deshalb lässt sich sein kleinstrukturiertes System bei uns so wunderbar anwenden. Natürlich richtet sich Colemans Buch vorrangig an Profi-Gemüsegärtnerinnen und -gärtner. Aber biologischer Wintergemüsebau funktioniert eben auch im Kleinen. Das kann ich bestätigen, seit wir in Wien die City Farm Schönbrunn betreiben, wo wir ganzjährig auch nach Colemans Vorbild gärtnern und dies an eine stetig wachsende, begeisterte Hobbygärtnerschar weitervermitteln.

Für die vielen versierten Selbstversorgerinnen und engagierten Hausgärtner wird das „Handbuch Wintergärtnerei“ eine wahre Fundgrube an anwendbarem Praxiswissen sein. Und genau diese Zielgruppe kommt auf dem deutschsprachigen Büchermarkt zu kurz, wo wieder und wieder nur das einfache Garten-ABC vermittelt wird, ohne in die Tiefe zu gehen.

So sind wir dem Löwenzahn Verlag sehr dankbar, dass Colemans „Winter Harvest Handbook“ nun auf Deutsch erscheint. Der Geist von Colemans zukunftsweisendem Zugang und sein reicher praktischer Erfahrungsschatz werden hoffentlich als geschriebenes Wort ebenso ansteckend und Mut machend wirken, wie es sein persönlicher Auftritt im letzten Herbst war. Das bei der Lektüre dieses Buches zu spüren, liebe Leserin, lieber Leser, wünschen wir Ihnen und uns!

Wolfgang Palme

Einleitung

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Eliot Coleman beim Wintergemüse-Workshop im Lehr- und Forschungszentrum für Gartenbau Schönbrunn. Foto: Ing. Alexander Kvech

Unsere Farm im US-Bundesstaat Maine ist gleichzeitig traditionell und unkonventionell. Während der „Gartensaison“ in den Sommermonaten sind wir traditionell – wir produzieren Frischgemüse für den Verkauf. Aber auch während der Wintermonate – sozusagen in der „toten Saison“ produzieren wir Frischgemüse für den Verkauf. Diese Winterproduktion besteht im Anbau von kältetolerantem Salat- und Wurzelgemüse in ungeheizten Gewächshäusern. Indem wir unsere Saison auf das ganze Jahr (oder den Großteil davon) ausdehnen, können wir unsere Kunden dauerhaft binden, unsere Angestellten weiter beschäftigen und unser Jahreseinkommen regelmäßiger auf alle Monate verteilen. Wir sind überzeugt, dass unsere unkonventionelle Winteranbaumethode für Produzenten auf der ganzen Welt interessant und lohnend ist, denen die kalte Witterung momentan noch eine Ganzjahresproduktion unmöglich macht.

Unsere ersten ernstzunehmenden Schritte in Richtung Winterproduktion unternahmen wir schon gegen Ende der 1970er Jahre. Und jedes neue Projekt hatte folgende Kriterien zu erfüllen: einfach und kostengünstig in der Anschaffung zu sein sowie beste Qualität im Ergebnis zu erzielen. Unser Ziel war es, den technisch einfachsten und kostengünstigsten Weg zu finden, um die Frischgemüseproduktion auf die Wintermonate auszudehnen. Die technisch einfache Winterproduktion begann mit altmodischen Mistbeetkästen mit Glasabdeckung und erreichte eine zweite Stufe in der Aufstellung dieser Kästen im Inneren eines einfachen Folientunnels. Aus diesen Anfängen entwickelten sich die größeren, aber ebenso einfachen 9 x 29 m großen mobilen Folientunnel, in denen die alten Kästen durch eine innere Reihenabdeckung aus leichtem Vliesmaterial ersetzt wurden. Wirtschaftlich konzentrierten wir uns darauf, herauszufinden, wie viel wir ohne zusätzliche Heizkosten produzieren konnten.

Seit dem Beginn unserer kommerziellen Ganzjahresproduktion im Jahre 1995 halten wir die Entwicklung unserer Systeme schriftlich fest. In diesem Buch beschreiben wir die Auswahl der Gemüsekulturen, Werkzeuge, Pflanzpläne und Techniken, die wir heute zur Ganzjahresproduktion in unserem Betrieb verwenden. Die Informationen zum Thema Winteranbau aus den Vorgängerwerken The Winter Harvest Manual sowie The New Organic Grower (revised edition, 1995)1 wurden vertieft, ergänzt und auf den neuesten Stand gebracht. Grundlegende Themen wie Fruchtfolge, Gründüngung, Erzeugung von Erdpresswürfeln und Ähnliches sind in The New Organic Grower umfassend beschrieben und werden hier nicht extra behandelt.

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Eliot Coleman beim Vorführen des Präszisionssägerätes im Rahmen des Wintergemüse-Workshops in Schönbrunn. Foto: Ing. Alexander Kvech

Unser System ist allerdings nicht statisch, wir entwickeln es immer noch ständig weiter. Wir würden uns sehr freuen, von all jenen Gärtner und Bauern zu hören, die auch in Zukunft unsere Methoden grundlegend verbessern und so die Renaissance einer klein strukturierten Landwirtschaft einläuten werden.

Eliot Coleman

1 beide Titel nur auf Englisch erhältlich. A.d.Ü.

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KAPITEL 1

Ernte im Winter

„… wenn wir ihr System analysieren, erkennen wir, dass es im Wesentlichen zuerst darin besteht, für die Pflanze einen nährstoffreichen und durchlässigen Boden zu schaffen, der sowohl das nötige sich zersetzende organische Material enthält, als auch die anorganischen Komponenten; und danach darin, in diesem Boden und der ihn umgebenden Atmosphäre, eine Temperatur und Feuchtigkeit aufrechtzuerhalten, die jeweils höher ist als die der Umgebung. In diesen kurzen Worten lässt sich das ganze System zusammenfassen.“

Fürst Pjotr Kropotkin

Landwirtschaft, Industrie und Handwerk (dt. 1899)

Unsere Geschichte beginnt mit dem Winter und dem Wieder-Erstarken der Sonne. Beim Gemüse, das wir während des Winters verkaufen, handelt es sich keineswegs um die Reste der traditionellen Sommerproduktion. Vielmehr ist es Teil einer gärtnerischen Produktion im Jahreskreislauf, in welchem unterschiedliche Gemüsearten zu verschiedenen Zeiten Saison haben. Der Winter hat eine einzigartige Stellung in diesem außergewöhnlichen Modell für den Kleinbetrieb. In diesem Buch finden sich, basierend auf unseren Erfahrungen, sämtliche Informationen, die ein regionaler Gärtner mit Weitblick braucht, um an jedem Ort der Erde in eine erfolgreiche Ganzjahresproduktion einsteigen zu können.

Jede Behauptung, winterliche Frischgemüseproduktion in kalten Klimazonen sei ohne Heizung oder Wärmespeicherung möglich, scheint ja an sich unglaubwürdig. Ein Blick hinaus ins Freie im Jänner genügt, um zu sehen, wie armselig und tot die Pflanzen in Feld und Garten aussehen. Es ist allerdings ein Irrglaube, dass alle Gemüsearten sommerliche Temperaturen brauchen, um gut zu gedeihen. So schädlich kalte Temperaturen für wärmeliebende Pflanzen wie z.B. Tomaten auch sein mögen, so wohl fühlen sich andere Arten wie Spinat und Blattsalate, oder auch Winterportulak und Vogerlsalat bei kühlerer Witterung. Viele dieser Kulturen halten nicht nur Kälte und sogar Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt aus (sofern sie vor Austrocknung durch kalte Winterwinde geschützt sind), vielmehr gedeihen sie unter diesen Bedingungen besser und werden süßer, zarter und geschmackvoller.

Gewächshaus-Terminologie

Um Missverständnisse zu vermeiden, möchte ich an dieser Stelle auf die Bezeichnungen kaltes2 und frostfreies3 Gewächshaus eingehen, die in englischen Gartenbüchern immer für einen spezifischen Temperaturbereich gebraucht werden. In der britischen Terminologie bezeichnet Kalthaus eine Minimumtemperatur von 0 °C, frostfrei eine Temperatur von 7 °C. In dem vorliegenden Buch definiere ich diese Bezeichnungen etwas anders: Kalthaus bezeichnet ein ungeheiztes Haus (eventuell mit Zusatzheizung für Sonderfälle, wenn man z.B. eine Tomatenkultur zu Beginn mit höheren Temperaturen beschleunigen möchte), ein frostfreies Haus weist hingegen eine Minimum-temperatur von knapp über dem Gefrierpunkt auf.

Außerdem werden die Bezeichnungen Gewächshaus, Folientunnel und Folienhaus synonym verwendet, um jene, mit durchsichtiger Kunststofffolie überzogenen Rohrgestängekonstruktionen zu bezeichnen, in denen unsere Pflanzen wachsen.

Abgesehen von Bedenken wegen der Kälte herrscht noch ein zweiter Irrglaube über den Winteranbau, dass nämlich die Tageslänge zu kurz sei. Viele Leute glauben, es wäre Zusatzbeleuchtung vonnöten. Die kurzen Wintertage sind aber kein so großes Hindernis, wie es den Anschein hat. Die Kulturdauer von der Aussaat bis zur Ernte ist zwar deutlich länger, aber dies kann kompensiert werden, indem man mit dem gestaffelten Anbau früher beginnt und die zeitlichen Abstände der einzelnen Aussaaten enger wählt. In großen Gebieten der USA gibt es im Winter weit mehr Sonnenstunden als in Teilen Westeuropas, die aufgrund des milderen Klimas aber auf eine lange Tradition des Wintergemüseanbaus zurückblicken können. Ich werde in Kapitel 5 noch ausführlich darauf zurückkommen.

Ein Anbau in geheizten Gewächshäusern war immer die nächstliegende Methode, um auch während der Wintermonate Gemüse ernten zu können. Früher hießen die Gewächshäuser, in denen Gemüse produziert wurde, gemeinhin „Treibhäuser“. Man verwendete sie für Tomatenanbau bei nächtlichen Minimumtemperaturen von 18 °C, oder für Salate bei 13 °C. Ungeheizte Glashäuser hielt man indes für völlig ungeeignet für Gegenden mit kalten Wintern, ausgenommen als Überwinterungsort für frostfeste Topfpflanzen. Unser erfolgreiches Experiment mit der Produktion von Wintergemüse beweist das Gegenteil. Und so nennen wir unsere ungeheizten Häuser „Kalthaus“, im Gegensatz zum „Treibhaus“ mit hoher Temperatur. In unseren Kalthäusern finden sich viele Arten von Blatt- und Wurzelgemüse, die den ganzen Winter über stehen bzw. wachsen.

Unsere professionellen Kalthäuser sind das Endergebnis einer Entwicklung, die in den 1970er Jahren mit der Suche nach einer einfachen, kostengünstigen und benutzerfreundlichen Winterproduktion begann. Diese ungeheizten Tunnels sind Passivhäusern gleichzusetzen, und wesentlich ökologischer als die komplizierten und teuren Solarglashäuser der 1970er Jahre. Es gibt kein Heizungssystem, keinen unnötigen Ballast in Form von Wasser oder Stein als Wärmespeicher, keine Pumpen oder Gebläse, die die Wärme verteilen, auch keine unterirdische Isolierung rund um das Glashaus. Wir folgten einfach unserer minimalistischen Ader und vermieden hypermoderne Materialien, komplizierte Technik und ratternde Maschinen.

Drei grundlegende Elemente

Winteranbau und -ernte, wie wir sie auf unserer Four Season Farm betreiben, basiert auf drei Elementen: kältetolerantes Gemüse, Anbaustaffelung und geschützte Produktion.

Als kältetolerantes Gemüse bezeichnet man Arten, die mit Kälte gut zurechtkommen und in Gegenden mit milden Wintern oft ganzjährig im Freiland kultiviert werden. Die meisten haben auch einen weit geringeren Lichtbedarf als wärmebedürftige Pflanzen.

Die Liste der kältetoleranten Gemüsearten beinhaltet Altbekanntes wie Spinat, Mangold, Karotten und Jungzwiebeln, und Neueres wie Vogerlsalat, Winterportulak, Hirschhornsalat und Rucola. Bis heute sind es bereits ca. dreißig verschiedene Arten, die wir irgendwann in unseren ungeheizten Folientunnels angebaut haben – Blattkohl, Blattsenf, Broccoletto, Brunnenkresse, Chicorée, Endivien, Eskariol-Endivien, Jungzwiebeln, Gartensalat, Hirschhornsalat, Karotten, Kohlrabi, Kraut, Lauch, Löwenzahnsalat, Mangold, Mizuna, Pak Choi, Petersilie, Radicchio, Radieschen, Rosetten-Pak Choi (Tatsoi), Rote Rüben-Blatt, Rucola, Sauerampfer, Schnittknoblauch, Speiserüben, Spinat, Vogerlsalat und Winterportulak. Die vielversprechendsten davon, mit denen wir die meiste Erfahrung haben, werden in Kapitel 8 einzeln besprochen. Die Speisequalität dieser kältetoleranten Arten ist während der kühleren Zeit im Herbst, Winter und Frühjahr konkurrenzlos gut: ohne sommerlichen Hitzestress erreichen sie ein weit höheres, fast perfektes Qualitätsniveau.

Anbaustaffelung bedeutet, eine Gemüsekultur während der Saison mehrmals anzubauen, um eine kontinuierliche Ernte zu ermöglichen. Die Auswahl der Aussaattermine von Spätsommer bis Spätherbst, und dann wieder von Winter bis Frühling, sorgt für eine Gemüseernte im Überfluss. Zur Zeit der Wintersonnenwende können Schnittsalate gut beerntet werden, weil sie kräftig nachwachsen, während die im Spätherbst und Winter gesäten Kulturen erst langsam erntereife Größe erreichen.

Mit dem Kulturbeginn von Wintergemüse am 1. August beginnt eine Saison, die wir auch den „zweiten Frühling“ nennen. Kontinuierlich wird den ganzen Herbst hindurch angebaut bzw. gepflanzt. Die Praxis des Winteranbaus ist geprägt von einer Umkehr der aus dem Frühjahrsanbau bekannten Erfahrungen. Die Tageslänge nimmt ab anstatt zu, und es wird kälter statt wärmer. Um den ganzen Winter lang garantiert über eine kontinuierliche Abfolge von Ernten zu verfügen, ist es unerlässlich, die Auswirkungen von kürzerer Tageslänge und niedrigeren Temperaturen auf den längeren Abstand zwischen Aussaat und Ernte genau zu verstehen. Daher ist auch die präzise Auswahl der Aussaattermine für den Herbstanbau weit wichtiger als für die Frühjahrskultur. Die Termine sind außerdem für jede Kultur exakt zu wählen, was in Kapitel 4 genau beschrieben wird.

Unser Ziel ist es, nie ein Beet im Gewächshaus unbepflanzt zu lassen, was uns auch weitestgehend gelingt. Innerhalb von 24 Stunden nach der Ernte werden die Reste entfernt, der Boden vorbereitet und die neue Kultur angelegt. Mit Hilfe genauer Aufzeichnungen wird eine möglichst vielfältige Fruchtfolge eingehalten.

Geschützte Produktion ist gleichzusetzen mit Gemüse unter Folie. Da traditionelles Wintergemüse gewöhnlich unter einer Schneedecke gut gedeiht, sich der Gärtner aber auf den Schnee nicht verlassen kann, ist der beste Ersatz dafür der Schutz eines ungeheizten Folientunnels. Viele wunderbare Wintergemüsearten kommen mit dieser Minimalversion gut zurecht.

Unsere Winteranbau-Kalthäuser sind Standard-Folientunnel aus Rohrgestänge in Spitzbogenform. Die größten davon sind 9 m breit und 29 m lang und der Länge nach in Ost-West-Richtung ausgerichtet. In den meisten Fällen benötigen die Kalthäuser nur eine einfache Folienabdeckung aus UV-beständigem Material, während die beheizten Häuser mit aufblasbarer Doppelfolienbespannung versehen sind, um Wärmeverluste zu vermeiden. Der Erfolg unserer Kalthäuser scheint bei uns in Maine, wo wir uns in USDA-Klimazone 54 befinden und die Temperatur im Winter auf bis zu -29 °C fallen kann, unwahrscheinlich. Aber unser Kultursystem funktioniert, weil wir den temperaturausgleichenden Effekt des Kalthauses verstärken, indem wir eine zweite Schutzschicht einziehen. Wir legen im Folientunnel noch eine zusätzliche Reihenabdeckung aus dünnem Vlies direkt über die Kulturen, um so ein doppelt temperiertes Kleinklima zu erzeugen. Als Wärmespeichermedium fungiert der Boden selbst, ganz so wie es auch in der freien Natur der Fall ist.

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Gewächshäuser und Kleintunnel schützen die Herbstkulturen, wenn der Winter kommt.

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Unter der Abdeckung scheint ewiger Frühling zu herrschen.

Jede Art von leichtem, dünnem und flexiblem Vliesmaterial, das Licht, Luft und Feuchtigkeit durchlässt, ist als innere Reihenabdeckung im Kalthaus geeignet. Diese Reihenabdeckung wird in einer Höhe von 30 cm über dem Boden über rechteckige Drahtbügel gespannt. Die Drahtbügel sind im Abstand von 120 cm der Reihe nach über unseren 75 cm breiten Beeten angebracht. Die so geschützte Kultur ist immer noch Temperaturen unter dem Gefrierpunkt ausgesetzt, diese sind aber nicht annähernd so niedrig bzw. schädigend wie ohne Vliesschutz. Wenn z.B. die Außentemperatur auf -26 °C fällt, beträgt die Temperatur unter der inneren Abdeckung des Kalthauses noch immer durchschnittlich -10 °C bis -8 °C. Die kältetoleranten Gemüsearten sind noch weit frostfester als man es als Gärtner erwarten würde, und unserer Erfahrung nach können viele auch Temperaturen bis zu -12 °C leicht überstehen, wenn sie nicht den zusätzlichen Stressfaktoren des Freilands ausgesetzt sind. Darüber hinaus erhöht die doppelte Schutzschicht auch die relative Luftfeuchtigkeit in der darunterliegenden Zone, was die Pflanzen zusätzlich vor Frostschäden bewahrt. Die Verbesserung des Kleinklimas durch die Kombination von innerer und äußerer Abdeckung im Kalthaus ist die technische Grundlage unseres Konzepts einer kostengünstigen Winterkultur.

In einer technisch immer komplizierter werdenden Welt stellt sich der Wintergemüsebau erfrischend unkompliziert dar, weil alle drei Komponenten den meisten Gemüsebauern wohlbekannt sind. Was noch unbekannt und neu ist, ist der durch die Kombination entstehende Synergieeffekt, den wir auf unserem Betrieb seit langem täglich erleben.

Mobile Folientunnel

Wir haben dem Winteranbau eine neue Wendung gegeben, indem wir eine alte europäische Praxis wieder zum Leben erweckt haben – das mobile Gewächshaus.

Laut den verlässlichsten historischen Quellen, die ich finden konnte, wurde das erste mobile Gewächshaus der Welt 1898 in England gebaut. Obwohl es sich um eine große Glaskonstruktion handelte, konnte das Haus gefahrlos bewegt werden, da es über einen Eisenrahmen verfügte, der mittels Eisenbahnrädern auf Stahlschienen fortbewegt wurde. Dieses Grundkonzept eines mobilen Gewächshauses haben wir nachgebaut, aber auf einer weit kostengünstigeren Basis. Unsere mobilen Gewächshäuser werden in Kapitel 10 beschrieben.

Pionier für Wintergemüse unter Glas

Die Idee, frostfestes Wintergemüse mit Hilfe einer zweiten Schicht innerhalb eines ungeheizten Folienhauses zusätzlich zu schützen, wurde in den 1950er Jahren erstmals von E.M. Emmert, Gartenbauprofessor der Universität von Kentucky, entwickelt. Aus irgendeinem Grund wurde seine Neuerung aber von niemandem aufgegriffen: vielleicht waren Folienhäuser damals einfach noch zu neu; vielleicht war aber auch nur das Konzept zu gut, um wahr zu sein. Am wahrscheinlichsten aber ist es, dass sich die Gärtner von dem ungewohnten Umgang mit dem Faktor der verkürzten Tageslänge beim Winteranbau abschrecken ließen. Aufgrund des durch kürzere Tage (in Kombination mit kälteren Temperaturen) wesentlich verlangsamten Pflanzenwachstums müssen die Winterkulturen schon vor dem Winter ausgepflanzt bzw. gesät werden. Der rechte Zeitpunkt bei der Pflanzung ist der Schlüssel zum Erfolg. Das Ziel ist, die Pflanzen beinahe erntereif zu haben, bevor die Tageslänge unter 10 Stunden fällt.

Ein mobiles Gewächshaus bietet eine Reihe von Vorteilen. Erstens ersparen wir uns die Kosten und Mühen, das Haus am 1. August bei Pflanzbeginn der Winterkulturen herunterkühlen zu müssen. Stattdessen säen wir die Winterkulturen ins Freiland auf jene Fläche, auf der der mobile Folientunnel später stehen wird. In der Zwischenzeit bietet der Tunnel weiter Schutz für wärmeliebende Kulturen wie Tomaten, Paprika, Gurken, Melanzani, Melonen oder Süßkartoffeln. Wir belassen den Folientunnel über den Sommerkulturen, bis die Saison für diese zu Ende geht, was hier bei uns in der Küstenregion von Maine meist Mitte bis Ende Oktober der Fall ist. Dann schieben wir den Tunnel über die Winterkulturen. Im Oktober des Folgejahres wird der Folientunnel wieder auf der ersten Position platziert, d.h. dieselbe Prozedur findet in umgekehrter Richtung statt.

Ein mobiles Gewächshaus hat aber noch einen zweiten Vorteil: man vermeidet die Anreicherung von Ungeziefer, Krankheiten und Nährstoffüberschüssen im Boden, die in einem dauerhaften Gewächshaus zum Problem werden können. Jedes zweite Jahr verbringen unsere Beete im Freiland, und der Boden wird den reinigenden Kräften von Sonne, Regen, Wind und Schnee ausgesetzt. Ein Zusatznutzen während unserer ersten Jahre, in denen ein guter Boden erst aufgebaut werden musste, war die Möglichkeit, in den Freiland-Jahren als Gründüngung tiefwurzelnde Langzeitleguminosen anbauen zu können. Diese Gründüngungskultur kann bis zu dreizehn Monate (Juni bis Juli des Folgejahres) auf den Freilandflächen verbleiben, wenn man auf eine Sommerkultur verzichtet, oder aber zehn Monate (September bis Juli), wenn sie gegen Ende der Sommergemüsesaison ausgesät wird. Die Vorzüge der Gründüngung in punkto Schutz, Anreicherung und Lüftung des Bodens waren ein wesentlicher Teil unseres Programms zum Aufbau der Bodenfruchtbarkeit während unserer ersten Jahre. Alle Gründüngungskulturen sollten drei bis vier Wochen vor dem Pflanztermin der Folgekultur eingearbeitet werden.

Minimale Zusatzheizung

Schon seit Beginn unserer kommerziellen Winterproduktion haben wir ein großes Gewächshaus, das mit Zusatzheizung ausgestattet ist. Um dieses von unseren ungeheizten Kalthäusern zu unterscheiden, nennen wir es „frostfrei“. Wir bauten dieses frostfreie Haus auch deshalb, weil wir wussten, dass ein Gewächshaus die billigste Art sein würde, einen geschützten und überdachten Bereich zu schaffen, um unsere Produkte zu waschen und zu verpacken. Ein Viertel dieses Hauses verfügt über einen betonierten Boden mit ausreichend Platz für eine Wasch- und Packstation, einen Kühlraum und einen Anzuchtbereich für die Frühjahrssaison. Um die Gemüsewaschanlage im Winter vor Frost zu schützen, wurde eine Propangasheizung installiert. Der Thermostat ist sehr niedrig, auf knapp über 0 °C, eingestellt.

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Speiserüben der Sorte ‚Hakurei’.

Die verbleibenden drei Viertel dieses Hauses werden für den Anbau von Wintergemüse genutzt. Hier hatten wir sozusagen unser Labor zur Erforschung der Parameter für Heizungs-Minimierung. Wie wir herausfanden, genügte es, das Haus in der Nacht gerade frostfrei zu halten, um das Pflanzenwachstum so zu beschleunigen, dass wir in einer Wintersaison zwei Ernten mehr hatten als im ungeheizten Kalthaus (was einem Jahresdurchschnitt von fünf bis sechs Ernten im Gegensatz zu drei oder vier entsprach). Als die Preise für Brennstoffe niedrig waren, konnten wir mit einer einzigen Ernte das Propangas für die Heizung bezahlen und stiegen finanziell damit gut aus. Außerdem stellte sich heraus, dass es mit Hilfe der Zusatzheizung möglich war, sehr beliebtes Gemüse wie Baby-Speiserüben und Radieschen den ganzen Winter lang anzubieten, während Frostzeiten in den ungeheizten Kalthäusern die Produktion hemmten. Weiters konnten wir unsere schon sehnsüchtig erwarteten Frühkarotten sechs Wochen früher ernten (1. April) als in den ungeheizten Häusern (15. Mai).

Wenn es Heizmaterial gibt (wie z.B. Holz), das billig genug bzw. lokal erhältlich ist, sodass mit nur einer zusätzlichen Kultur die Kosten für die minimale Heizung gedeckt sind, lehrt uns schon das simple wirtschaftliche Verständnis, dass wir in allen unseren Gewächshäusern Zusatzheizungen installieren sollten. Und tatsächlich waren die Vorteile, die noch um die Möglichkeit eines früheren Starts für die wärmeliebenden Sommerkulturen bereichert wurden, für uns so überzeugend, dass wir einige Jahre lang mit der Minimalheizung experimentierten.

Dennoch lag die ursprüngliche Inspiration für die Wintergärtnerei darin, herauszufinden, was wir im Winter ohne den umständlichen und ressourcenverbrauchenden Einsatz von Zusatzheizung erreichen konnten. Unser Erfolg mit den Kalthäusern war und ist höchst erfreulich, und es hat sich herausgestellt, dass sie den Ansprüchen von Babyleaf-Salaten und Blattgemüse, von Spinat, Lauch, Asiasalaten, Winterkarotten und deren Frühjahrs-Folgekulturen mehr als genügen. Wir verfolgen immer noch unser Ziel, so viel wie möglich mit ungeheizten Folientunnels zu arbeiten. Obwohl wir uns entschieden haben, die Option „frostfreie Folienkultur“ nicht weiter zu verfolgen, gibt es in Kapitel 7 Informationen zu diesem Thema, basierend auf unseren Erfahrungen, für jene Betriebe, bei denen diese Idee zu ihrer Geschäftsphilosophie passt. Für Betriebe in wärmeren Klimazonen als unserer ist die Kultur im ungeheizten Kalthaus sicherlich ausreichend.

Erntesaison für frostfreie Kulturen Oktober bis Mai, Klimazone 5

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Erntesaison für Kalthauskulturen Oktober bis Mai, Klimazone 5

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Junge Sämlinge direkt über der Bodenheizung sowie Spätwinterkulturen gedeihen bestens in unserem frostfreien Haus.

2 Cold house

3 Cool house

4 USDA-Klimazonen wurden ursprünglich vom amerikanischen Landwirtschaftsministerium (USDA) herausgegeben und sind ein internationaler Standard für die Winterhärte von Pflanzen. Anhand der durchschnittlichen kältesten Jahrestemperatur werden geographische Gebiete einer 11-teiligen Skala zugeordnet. Zum Vergleich: die flachen Gebiete Deutschland, Österreichs und der Schweiz liegen in den Klimazonen 6–7, der Alpenraum in Zone 4–6.

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KAPITEL 2

Inspiriert von der Geschichte

„Auf dem Gebiet des Gemüsebaus haben wir ebenfalls einige wichtige Dinge von den Franzosen zu lernen, nicht zuletzt die Winter- und Frühjahrskultur von Salat.“

William Robinson

Parks and Gardens of Paris (1869)

Wenn man sich die lokale, ganzjährige Produktion von frischem Gemüse zum Ziel gesetzt hat, und außerdem als kleiner Betrieb die Fläche optimal ausnutzen möchte, dann gibt es kein inspirierenderes Vorbild als die Pariser Gärtner vor 150 Jahren. La culture maraîchère (Der Gemüseanbau) war im Paris der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts das eindrucksvolle Ergebnis jahrelanger Verfeinerungen der Gemüseproduktion unter Glas und im Freiland. Die allerersten Versuche in Richtung Saisonverlängerung (mit Hilfe von einfachen Vorläufern des Frühbeetkastens) wurden während der 1670er und 1680er Jahre im königlichen Potager (Gemüsegarten) von Versailles vom berühmten Obergärtner La Quintinie unternommen. Diese frühen Anfänge erreichten ihren beeindruckenden Höhepunkt in den Händen der Pariser maraîchers (Gemüsegärtner) zwischen 1850 und 1900.

Das „französische Gärtnereisystem“ („French garden system“, wie es von den Engländern genannt wurde), beeindruckte aus Gründen, die uns heute sehr modern erscheinen:

   Es war so lokal, wie irgend möglich: direkt in einer und unmittelbar angrenzend an eine Großstadt. Die Fläche der Pariser Gärtnereien machte ein Sechzehntel (sechs Prozent) des Stadtgebietes der Großstadt Paris aus. Die Adressen einiger dieser „Gärten“ des neunzehnten Jahrhunderts beherbergen im zwanzigsten Jahrhundert Bürogebäude und Wohnhäuser. Die Stadt Paris, die sich einst mit Frischgemüse selbst versorgen konnte, muss dieses nun von weit her importieren.

   Die Vielfalt des Angebots war exzellent. Dieses System versorgte Paris das ganze Jahr über mit einer Fülle an verschiedensten Obstund Gemüsearten, und dies sowohl in wie auch außerhalb der Saison. Frühbeetkästen, die mit sich zersetzendem Pferdemist beheizt und mit Glasfenstern abgedeckt wurden, ermöglichten es den Gärtnern, der Kälte zu trotzen und frischen Salat im Jänner anzubieten und frühe Gurken und Melonen im Mai und Juni.

   Das System war nachhaltig. Sowohl die Wärme für den Winteranbau von Gemüse in Mistbeetkästen, als auch die Zusatzstoffe zur Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit waren Nebenprodukte, die bei der Kompostierung eines anderen Nebenproduktes anfielen – des Pferdemists, der mit Stroh vermischt von den Ställen der Stadt geliefert wurde. Diese Wiederverwertung der „Transportabfälle“ des Tages erfolgte so gründlich und war so erfolgreich, dass die Bodenfruchtbarkeit trotz des intensiven Produktionsniveaus von Jahr zu Jahr zunahm.

   Ein letzter beeindruckender Umstand war die ungeheure Produktivität des Systems, die sich in der Menge des angebauten Gemüses zeigte. Die Gärtner versorgten nicht nur die Pariser Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, sie exportierten auch Gemüse nach England. Auf derselben Fläche wurde im Durchschnitt mindestens viermal, für gewöhnlich aber bis zu achtmal pro Jahr geerntet. Das System war sowohl praktisch als auch wirtschaftlich höchst erfolgreich.

Techniken für den Intensivanbau

Eine durchschnittliche Pariser Gärtnerei war damals zwischen einem halben und einem Hektar groß. Ein führender Gärtner nannte Folgendes seinen Schlüssel zum Erfolg: „Bearbeite immer das kleinste Stück Boden, aber bearbeite es besonders gut.“ Ein anderer Gärtner nannte die Pariser maraîchers die „Goldschmiede des Bodens“, die die anspruchsvollen Techniken kannten, mit denen man zu jeder Jahreszeit exquisitestes Gemüse erzeugen konnte. J. Curé beschrieb die Situation in Ma pratique de la culture maraîchère ordinaire et forcée mit folgenden Worten: „Intensivgemüseanbau, wie er in professionellen Gärtnereien mit Bewässerung und Düngung betrieben werden kann, unterscheidet sich von gewöhnlichem Anbau im Gemüsegarten dahingehend, dass das ganze Jahr lang eine ununterbrochene Abfolge von Gemüsekulturen vorhanden sein muss, und oft mehrere verschiedene Gemüsearten zusammen auf ein und derselben Fläche angepflanzt werden.“

Französische Quellen

Die Flächenangabe von 6 % für den gemüsebaulich genutzten Teil von Paris habe ich wie folgt errechnet: die ca. 10 000 ha Fläche von Paris dividiert durch die ca. 600 ha, die M. Courtois-Gérard als Gemüseproduktionsfläche für das Jahr 1844 angibt.

Folgende alte französische Bücher wurden für dieses Kapitel konsultiert:

   Courtois-Gérard. Manuel pratique de culture maraîchère. Paris: Librairie Scientifique, Industrielle et Agricole, 1844.

   Curé, J. Ma pratique de la culture maraîchère ordinaire et forcée. Paris: Librairie Agricole de la Maison Rustique, 1904.

   Gressent, Vincent Alfred. Le potager moderne. 12e édition, Paris: Librairie Agricole de la Maison Rustique, 1926.

   Moreau, J.G. und J.J. Daverne. Manuel pratique de la culture maraîchère de Paris. Paris: Librairie de la Société, 1845.

Die Notwendigkeit, aus einem kleinen Stück Boden so viel wie möglich herauszuholen, führte zu intensiven Anbautechniken, die für einen modernen Gärtner schwer vorstellbar sind. Zum Beispiel wurde ein Mistbeetkasten im zeitigen Frühjahr breitwürfig mit Radieschen und Karottensamen besät, und gleich danach in den Zwischenräumen mit Salatsetzlingen bepflanzt. Die Radieschen wurden als erstes geerntet und machten so den Karotten Platz, die zwischen den Salatpflanzen weiter wuchsen. Die Spitzen des Karottengrüns ragten zwischen den Salaten hervor, bis diese geerntet wurden, wodurch wiederum die Karotten mehr Licht und Luft bekamen, und ihr Wachstum abschließen konnten. Aber sobald die Salate geerntet worden waren, setzte man junge Karfiolpflanzen zwischen die Karotten. Nachdem die Karotten gezogen waren, hatten die Karfiole den Kasten für sich alleine, bis auch sie geerntet und der Boden für die nächsten Gemüsekulturen vorbereitet wurde.

Dieses hohe Niveau an intensiver Ganzjahresproduktion von Gemüse war nur möglich, weil pro Hektar zwischen 200 und 800 Tonnen Pferdemist eingearbeitet wurden, je nachdem wie viele Mistbeete in Betrieb waren. Verrottender Pferdemist wurde nicht nur als Wärmequelle unter den Treibbeeten verwendet, sondern auch auf die Gehwege zwischen den glasbedeckten Treibhauskästen aufgebracht, um extra Wärme zu erzeugen. Wenn der Mist unter dem Treibbeet einmal erkaltet und zu krümeligem Kompost zerfallen war, wurde er weggeschaufelt und zur Bodenverbesserung verwendet. Meiner Erfahrung nach ist Kompost aus einer Mischung aus Pferdemist und Stroh das Allerbeste für den Gemüseanbau. Und die französischen maraîchers waren offenbar auch dieser Meinung. Zu jener Zeit vertraten viele Gärtner überhaupt die Ansicht, dass kompostierter Pferdemist der einzig passende Dünger für den Gemüseanbau sei.

Als Ergebnis ihrer praktischen Erfahrung arbeiteten diese alten maraîchers auch schon „biologisch“ im besten heutigen Wortsinn: Bereits im Jahr 1870 hatte nämlich Vincent Gressent in seiner Anleitung für die Pariser Gärtner Le Potager moderne, Folgendes geschrieben: „Chemische Dünger erfüllen nicht die Erwartungen des Gemüsebauers; sie stimulieren das Pflanzenwachstum und steigern die Quantität, aber auf Kosten der Qualität … Im Prinzip befallen Schädlinge nur schwache und kranke Pflanzen, denen irgendein Nährstoff fehlt … Als Beweis dafür möchte ich die Gemüsegärten von Paris anführen, wo die Kunst des Gemüsebaus zur Perfektion gelangt ist … Überall dort, wo mit reichlich Kompost gearbeitet und eine vernünftige Fruchtfolge betrieben wird, gibt es nicht die geringste Spur von Schädlingen.“

Um den Ertrag auf diesen kleinen Anbauflächen zu maximieren und mehr Fläche zu bebauen, waren die Zugänge und Verbindungswege in den Gärten nur 25 cm breit und damit für den Gebrauch von Schubkarren zu schmal. So wurde der Pferdemist (sowohl in frischer Form zur Wärmeerzeugung als auch verrottet als Dünger) in Rückentragen aus Weidengeflecht, den sogenannten hottes, zu den Beeten gebracht. Diese Weidenkörbe waren so konstruiert, dass eine Verlängerung hoch über den Kopf des Trägers hinausragte, so dass die Ladung an der gewünschten Stelle platziert werden konnte, indem man sich weit vorbeugte und so den aufgeladenen Pferdemist über Kopf aus dem Rückenkorb herausrutschen ließ. Pferdemist aus den Stallungen der Stadt wurde täglich mit denselben Wägen zu den Gärtnereien gebracht, die zuvor die Gemüsekisten zu den Märkten geliefert hatten.

Als Ergänzung zu der durch den verrottenden Mist entstehenden Wärme boten 2–3 cm dicke Matten aus Roggenstroh, die in besonders kalten Nächten über die Fenster gerollt werden konnten, zusätzliche Isolierung und Kälteschutz. Laut Angabe einer in der Zeitschrift Hardy Enough (Bd.5, Nr. 4) abgedruckten Klimazonenkarte liegt der französische Zentralraum in USDA-Zone 8. Somit hätte Paris im Winter Minimaltemperaturen zwischen -12 °C und -7 °C gehabt, die aber durch den Wärmeinseleffekt des Stadtklimas wahrscheinlich etwas darüber lagen.

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Historischer französischer Mistbeetkasten mit Glasabdeckung. Die Wärme entsteht durch den Rotteprozess im Pferdemist unter dem Kasten.

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Man benutzte Rückentragen aus Korbweidengeflecht („hottes“), um den Pferdemist auf den engen Gehwegen der französischen Gärtnereien zu den Frühbeetkästen und den Mistbeeten zu transportieren.

Pflanzen, die nicht in Frühbeetkästen wuchsen, wurden durch Glasglocken („cloches“) mit 45 cm Durchmesser geschützt, die in ordentlichen Reihen eng nebeneinander aufgestellt waren. Die Gärtner benutzten die Cloches für alles: man konnte darunter Jungpflanzen heranziehen, sowie fünf Salatköpfe unter einer Glasglocke geschützt bis zur Erntereife heranwachsen lassen, und vieles mehr. Da an sonnigen Tagen jede Glasglocke einzeln gelüftet werden musste (eine Seite wurde mit Hilfe eines gekerbten Stöckchens aufgespreizt), und manche Gärtner bis zu 3000 Cloches besaßen, kann man sich vorstellen, welch unglaublicher Aufwand an Handarbeit und Sorgfalt für jedes Detail notwendig war. Die Glocken konnten während kälterer Perioden auch mit Strohmatten abgedeckt werden.

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Arbeiter rollen auf einem Feld Strohmatten über die Cloches, um sie für die Nacht zu schützen.

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